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Zweiter Teil.
Das Konzil zu Basel

Im Dominikanerkloster. Das Proszenium zeigt das Rahmenwerk eines Triptychons. Die beiden schmalen Seitentafeln sind wie bei dreiteiligen Altarbildern ein wenig eingewendet. Ihr Boden ist stark gehoben. Die rechte stellt einen Bibliotheksraum des Klosters dar, die linke die Zelle des Kardinals Julian. In der Bibliothek: Entrückte Bücherwand und ein Tisch. In der Zelle: Lebensgroßes Kruzifix, Feldbett, Betschemel, Tisch. Die Mitteltafel füllt der Konzilsaal in der Klosterkirche aus. Bei Beginn des Spiels sind Bibliothek und Zelle erleuchtet, im finsteren Kirchenschiff erschimmern nur fern die hohen gemalten Fenster. – In der Zelle steht schweigend Julian, dem von Dienern das rote Kardinalsgewand angelegt wird. Hinter ihm drei sehr alte Dominikaner.

In der Bibliothek warten Erzbischof Philibert, Doktor Palomar und Doktor Johann Stojkowitsch auf den Kardinal.

Stojkowitsch selbstgefälliger Fanatiker: Nein, meine sehr ehrwürdigen Herren, ihr kennet sie alle nicht. Ich aber kenne sie, wie ich mich selber kenne, denn auch ich bin Slave. Hab wohl jahrelang schwere Pönitenz und harte Disziplin aufwenden müssen, den Slaven in mir zu domestizieren. Unsere Art ist von Geburt scheu und zügellos, und nicht zum Heil der Christenheit sind wir in grauer Urzeit eingebrochen im Abendland. Wißt ihr, daß unsre Voreltern keine Standesunterschiede und kein Eigentum gekannt haben? Schaudert euch nicht bei diesem abscheulichen Gedanken? Das Erblaster der Völker bricht immer wieder hervor wie ein Ausschlag: Hus und die Seinen.

Erzbischof Philibert abgeklärt gütiger Priester: Ich hab in meinem langen Leben erfahren, daß die Unterschiede zwischen den Menschen und den Völkern ergötzlich geringfügig sind. Und dabei blick ich nicht einmal von gelehrter Turmhöhe aufs irdische Treiben wie Ihr, Herr Doktor Stojkowitsch. Doktor Palomar nüchtern-durchgearbeiteter Kopf eines Kirchenpolitikers: Ein Wort, ihr Herren, solang wir noch allein sind... Er macht einige Schritte in den Hintergrund, um sich zu überzeugen, daß niemand lauscht.

Julian in der Zelle. Er ist fertig angekleidet: Fromme Väter, ich bitt euch, erwartet mich hier und vereiniget die große Kraft eures Gebetes zum Heiligen Geist! Ab mit den Dienern. Die Zelle wird dunkel bis auf das Ewige Licht unterm Kruzifix. Die Mönche beginnen, kaum hörbar, zu murmeln: »Veni creator Spiritus, mentes tuorum visita...« und so weiter.

Doktor Palomar in der Bibliothek:... solang wir noch allein sind. Jeder weiß, wie sehr ich Julianum liebe und mich ihm, dem Konzilsleiter, pflichtschuldigst unterwerfe. Ein herrlicher junger Mann. Jedennoch tu ich euch kund, daß mich der heilige Vater Eugenius höchstselbst abgeordnet hat, zur gewissenhaften Wahrung der Punktationen, und damit der Ehre und dem Ansehn unsrer katholischen Kirche kein Abbruch geschehe, sollte jugendlicher Übereifer und liebender Schwarmgeist... Da ist er...

Julian betritt die Bibliothek: Vergebt, ihr Lieben, wenn ich euch warten ließ. Dies ist ein Tag der Erfüllung für mich. Offen gesteh ich's, ja, ich bin sehr bewegt... Eurer Unterstützung, Eures väterlichen Wohlwollens fühl ich mich sicher, Herr Erzbischof Philibert. Ihr, Doktor Palomar, seid ein allzustrahlender Geist, um nicht zu wissen, daß Rom heute nicht in Rom ist, sondern hier in Basel... Und was insonderheit Euch anbelangt, Meister Stojkowitsch – Ihr seid ein berühmter Redner und Autor –, erlaubt, daß Euch ein Bewunderer vermahnt, der Dunkelheit in Eurer Seele nicht Gewalt zu geben... Noch nie, ihr Lieben, hab ich so klar gewußt wie jetzt, daß unsrer heiligen Kirche Wesen das einige allumfassende Licht ist. Christus selbst schickt uns die hussitische Kritik, nicht damit wir in niedres Ärgernis verfallen, sondern damit wir sie wider das Schlechte in uns selbst wenden. Die stolzeste Kraft des Glaubens ist es, den Zweifel durstig in sich aufzunehmen... Fernes Glockengeläute. Sie läuten die Stunde ein, die über die Zukunft der Christenheit entscheiden wird...

Stojkowitsch: Festläuten oder Sturmläuten?

Palomar: Die Stadt Basel ist aufgewühlt. Überall stehn die deutschen Bürger in Haufen...

Stojkowitsch: Wundert's Euch? Das contagiöse Monstrum ist eingekehrt in Basel, der Erzfeind der Sakramente und des deutschen Volkes...

Palomar: Wir hätten vom Herzog-Protektor mehr Schutzmannschaft anfordern sollen...

Julian: Nein! Was geht uns die Welt an, wenn wir um den Geist kämpfen... Laßt uns fest an die glorreichen Worte des größten Apostels denken: »Die Liebe eifert nicht, sie bläht sich nicht auf...« Ich bitte, verfügt euch jetzt in den Saal!

Philibert, Palomar, Stojkowitsch ab. Julian gibt einem Mönch ein Zeichen, der Prokop hereinführt.

Julian: Prokop, mein Bruder! Verwehr mir's nicht, daß ich dich umarme.

Prokop tritt kalt zurück: Bist du's, Priester Angelo?

Julian: Nenn mich, wie du willst. Der Angelo ist im Julian wie der Julian im Angelo war.

Prokop: Aber deine schönen Kleider hast du wieder, was?

Julian: Priester Prokop! Ich kenne dein Herz. Auch dich wird der Heilige Geist ergreifen.

Prokop: Wir werden's sehn...

Julian: Nun aber faß ich deinen Arm fest, daß du mir nicht entkommst. Wir wollen als einiges Paar das Konzil betreten. Er führt ihn hinaus.

Das Gebet der Mönche in der finstern Zelle ein wenig hörbarer: »Tu septiformis munere –, Digitus paternae dextrae –, Tu rite promissum patris –, Sermone ditans guttura –«

Rosenberg, Neuhaus und Sternberg betreten die Bibliothek.

Sternberg: Was? Man verbietet uns den Eintritt in den Sitzungssaal?

Neuhaus: Sie lassen keinen Laien heut zu. Nicht einmal die regierenden Fürsten.

Sternberg: Ich in einer Bibliothek? Ich in einer Antikamera? Überhebt sich der Pfaff auch hier? Überall Hirnrotz und Mauldrusch gegen edles Geblüt? Freß ich deshalb seit Tagen schon deutsche Reichspastete mit betrübter Salse und saufe den Krätzer der Dorfwirtshäuser? Sauer bin ich worden davon, daß man Gurken einlegen könnt in mir...

Neuhaus: Und die Strapazen? Mein Hinterleder ist durchgewetzt. Wären wir zu Haus geblieben!

Sternberg: Die Treibjagden beginnen... Hundemeute und Bauernkette... Hussa...

Rosenberg: Ja, hussa, und du das Wild! Gefehlt, Herren! Hierher gehören wir als getreue Männer des vertriebenen Kaiser-Königs Sigismund von Böhmen. Dank meiner Fürsorge kocht die Suppe zu Haus von selber. Man muß uns nicht am Herd sehn. Ich habe Post, daß die Bürger Ach und Ichgereut zweiundneunzig andre Kaufleute zu je hundert Goldgulden geworben haben, und daß demgemäß die königstreuen Bauernwehren in gewissen Bezirken auf immer besseren Stand gebracht werden können.

Neuhaus: Wißt ihr, Freunde, daß Majestät das Ernennungsdekret Riesenburgs als Reichsverweser in Böhmen schon firmiert haben...

Rosenberg: Wißt ihr? Von meinem Werk soll ich nichts wissen? Fürs Regieren brauch ich wie zum Aufstemmen eines Steines einen Hebel. Ein Hebel ist ein Stock. Riesenburg ist ein Stock und die flinke Drahomira der Handgriff dran.

Sternberg: Ulrich, ich bewunder dich. Für einen Grafen bist du verdächtig gerissen. In die erhabene Reihe deiner Ahnen scheint sich ein Jud eingeschlichen zu haben.

Rosenberg: Seht! Ein Geheimfenster zum Versammlungssaal! Hier kann man alles hören und beobachten.

Sternberg: Duldet es der ritterliche Anstand, auf diesem Anstand hier zu liegen?

Rosenberg: Weißt du was, Sternberg? Heb dir die adligen Skrupel für deine Geldgeschäfte auf!

Sternberg: Ulrich! Ist es nicht schon ein Zeichen des Weltuntergangs, daß ein Sternberg Geschäfte machen muß?

Rosenberg: Lösch die Kerzen aus, Neuhaus, damit man uns hier nicht entdeckt.

Neuhaus gehorcht. Die Bibliothek wird finster. Steigerung des Glockengeläutes. In der Höhe des Mittelraumes setzt eine Orgel ein.

Der Saal des Konzils wird langsam hell. Sehr tiefer Raum. Im Hintergrund überhöhte Bankreihen, auf denen die Mitglieder des Konzils sitzen. Zwei Farben herrschen: Das Violett der Prälaten und das Schwarz der Doktoren. Vor den Bankreihen in einem eignen Präsidentengestühl der Kardinal Julian. Links vorne die Bänke der hussitischen Sprecher mit einem Rednerpult. Außer Prokop und Rokycana noch vier Gesandte, zwei Radikale und zwei Gemäßigte, die sich demgemäß verhalten. Ihnen gegenüber die Bänke der katholischen Sprecher mit einem Rednerpult. Außer Philibert, Palomar, Stojkowitsch noch drei andre. Man hat das Gefühl, daß vom Konzilsaal nur ein Ausschnitt sichtbar ist. Die Verhandlung befindet sich schon in vollem Gange.

Julian eine Ansprache beendend: Und so sei denn dieses Konzil der Glühofen, wo durch die Flamme des Heiligen Geistes alle Schlacken der Entzweiung geschmolzen und geläutert werden.

Palomar der am Rednerpult steht: Ich kehre nun zum ersten Punkt der böhmischen Artikel zurück, zur Frage des Kelches. Nach tiefgründigen Unterredungen, nach der Gewissensqual schlafloser Nächte, haben sich die Väter entschlossen, Zu den Gesandten. euren Argumenten, die sich auf die primitive Kirche berufen, näherzutreten. Erkennet die ungeheure Überwindung an, die es uns kostet, und die Gefahr, die wir eingehn. Denn der geheimnisvolle, jahrtausendalte Bau des Glaubens ist kein irdisches Haus, aus dem man mit Willkür Steine brechen und durch andre ersetzen kann. Ihr verdankt das Entgegenkommen der Väter einzig dem Liebeswirken unsres Kardinals...

Rokycana tritt langsam zum böhmischen Rednerpult: Mit herzlicher Rührung trink ich Eure Worte. Ich ermesse, was es bedeutet, daß Ihr Euch unsern unwiderleglichen Gründen beugt. So beugen auch wir uns und nehmen in Demut aus Euren Händen das Geschenk der Wahrheit entgegen.

Philibert: Ein großer Schritt ist getan. Stimmt an mit mir: Er intoniert. Te deum laudamus.

Der größere Teil der Versammlung erhebt sich und fällt ein: Te deum laudamus... Te dominum confitemur...

Julian: Zum nächsten böhmischen Artikel über weltliche Macht und Eigentum der Kirche hat das Wort Doktor Johann Stojkowitsch, Professor der Universität zu Paris.

Stojkowitsch tritt an das Pult, legt Papiere auf und kramt nervös unter ihnen. Pause.

Rosenberg in der Bibliothek: Der Prokop ist zugefroren. Schaut ihn nur an! Auf seinem Gesicht stehn Eisblumen des Hasses.

Neuhaus: Vor so viel Glanz und Weisheit spürt er halt, was für ein Dreck er selber ist.

Stojkowitsch am Pult: Hohe Versammlung! Eminenz, Monsignori, Eure Hochgelahrtheiten,... und auch ihr, hussitische Gesandte Böhmens! Eh ich...

Rokycana: Halt! Damit kein Irrtum obwalte, Stojkowitsch! Wir nehmen das Wort »Hussiten«, Nachfolger des freventlich getöteten Hus, nicht als Beschimpfung, sondern als stolze Ehre auf. So, jetzt dürft Ihr fortfahren...

Stojkowitsch muß die Pille schlucken: Eh ich mich dem nächsten Punkt der ketzerischen Vorlage...

Prokop fährt lang auf.

Julian: Nicht solche Worte, Doktor Stojkowitsch!

Rokycana: Ruhe, Prokop! Laut. Hochwürdige Väter! Machen wir's uns klar: Doktor Stojkowitsch ist slavischer Renegat! Er leidet an ohnmächtigem Bruderhaß. Eine traurige Geisteskrankheit, über die man leider nur lachen kann.

Stojkowitsch: Ihr werdet nicht zu lachen haben. Die Artikel, die ihr dem Konzil vorgelegt habt, sind zahm und scheinheilig, wenn ich der wahren Artikel eurer Aufrührerei denke, die hier vor mir liegen.

Rokycana: Ihr habt nur von den Dingen zu sprechen, die dem Konzil eingereicht sind.

Stojkowitsch: Soll ich vielleicht Eure Erlaubnis erbitten, Magister? Ich bin ordentlicher Professor zu Paris, und Ihr seid ein kleiner unbesoldeter Dozent in Prag.

Rokycana: Allzu wahr, Stojkowitsch! Mein Kollegiengeld ist trocken Brot. Euch erwirbt das emsige Sitzfleisch Eurer Gottes-Gelehrsamkeit üppige Mahlzeiten, wie man sieht...

Julian: Keine Beleidigungen, ihr Herren! Stojkowitsch, ziehet nichts Ungehöriges heran!

Prokop: Ich aber beantrage laut und dringend, daß Stojkowitsch die ketzerischen Artikel, die auf seinem Pult liegen, sogleich verliest!

Rokycana sucht Prokop zu beschwichtigen: Prokop! Dein Versprechen!

Prokop: Lüge hab ich nicht versprochen.

Julian: Den Antrag weis ich zurück, da er gegen die Tagesordnung verstößt.

Prokop: Kein Antrag, auf den sich die Parteien einigen, kann einen Verstoß bilden. Wer ist für Verlesung?

Viele Hände werden erhoben.

Die Mehrheit! Wir sind nicht hier, um Tatsachen mit Honig und Höflichkeit zu beschmieren, sondern um einander bis auf den Grund zu erkennen!

Julian: Doktor Palomar?

Palomar: Die Praxis der Congregationen beruht auf Majorität.

Philibert: Das Konzil ist ein heiliger Ort der Einigung. Ich beschwör Euch, von allem abzulassen, was trennt und verletzt.

Prokop: Wir Slaven werden nicht so schnell eingeschüchtert. Was, Stojkowitsch? Zeig, daß du nicht schlechter hassen kannst als kriechen!

Von diesem Augenblick an beginnt sich die Unruhe zu steigern.

Stojkowitsch nimmt mit wutbebenden Händen ein Blatt und liest: »Artikel der großen Taborgemeinde, die Kampfziele der Partei betreffend: Wir kämpfen dafür, daß es auf Erden keinen Papst, keinen König, keinen Herrscher noch Untertan gebe, daß alle Herren, Edle, Ritter und Besitzer gleich Aufständern im Walde sollen niedergemacht und vertilgt werden. Alle Menschen müssen Brüder und Schwestern sein.«

Prokop: Richtig! Weiter!

Stojkowitsch: »Item! Wie in der Stadt Tabor kein Mein und Dein, sondern alles gemeinschaftlich ist, so soll fürder in der Welt alles allen gemeinschaftlich sein: Grund und Boden, Haus und Hof, Pflug und Spindel. Eigentum ist Todsünde!«

Prokop: Richtig! Doch warum schreist du so teuflisch?!

Stojkowitsch: »Item! Geweihte Priester sind überflüssig, denn jeglicher Mensch ist Priester. Hingegen sollen Kirchen, Kapellen und Altäre zerstört werden.«

Die Mitglieder des Konzils erheben sich in starker Erregung.

Rokycana: Jede Volksbewegung hat ihre wilden Männer und ihre Maximalia. Uns kümmert hier nur der Geist und die Wirklichkeit.

Julian: Wohlgesprochen, Rokycana! Stojkowitsch, ich entzieh Euch das Wort.

Prokop: Wird dem Lügner erst dann das Wort entzogen, wenn er die Wahrheit mittelt? Mit Staunen, ihr Herren, seh ich eure Erregung. Ist denn auch nur ein widerchristlicher Satz verlesen worden? Es scheint, daß wir zweierlei Evangelium haben? In eurem sagt Christus zum reichen Jüngling wohl: Nimm all ihr Gut den Armen. Er ruft nicht die Mühselig-Beladenen zu sich, sondern die üppigen Bäuche. Er tafelt mit übertünchten Gräbern und freut sich einer elenden Welt des Leibgedinges, in der die ganze Menschheit krepiert, damit ein paar Wucherfratzen sich überfressen dürfen. Ihr aber, Hirten der Völker, treibt die fettesten Kamele durchs Nadelöhr...

Stimmengewirre: Genug!... Kein Gehör mehr!... Erzketzer!... Wort entziehn!... Wort entziehn!... Sitzung schließen!...

Sowohl Prokop wie Julian werden von heftig fuchtelnden Delegierten umringt. Auf Julian sprechen Stojkowitsch, Philibert und andre ein, auf Prokop Rokycana und die böhmischen Gesandten. Dadurch entsteht eine natürliche Pause. Von Mönchen geführt, erscheint ein Stadtoffizier, der Palomar eine schriftliche Botschaft überreicht. In der Zelle wird das Gebet der Mönche für einen Augenblick sehr laut: »Accende lumen sensibus –, Infunde amorem cordibus –, Infirma nostri corporis – Virtute firmans perpeti«.

Sternberg in der Bibliothek: Ich werde dieser feigen Gesellschaft dort meine Artikel verkündigen: Sehr laut. Achtung: Gott hat die Menschen ungleich geschaffen, damit sich Hoch von Niedrig unterscheide: Item: Das Leben ist ein Privilegium der Wohlgebornen und Starken...

Rosenberg: Halt's Maul! Bist du verrückt?

Palomar mit starker Stimme: Meldung ans Konzil!

Der Lärm legt sich, wenn auch nicht vollständig. Julian gibt Doktor Palomar das Wort. »Rat und Volk der Stadt Basel sind durch arge Vorfallenheit in Unruhe versetzt. Bei der ordnungsgemäßen Messe im Münster drängten sich etwelche Reitknechte des böhmischen Gesandten Prokop unter die Andächtigen und begannen den Gottesdienst wie auch die Bilder der Heiligen zu höhnen. Einer bestieg die Kanzel und reizte mit frechen Reden die Menge auf, sie solle sich nicht länger von den Pfaffen betrügen lassen. Im Augenblick tagt eine große Versammlung der wohltüchtigen Bürger Basels vor dem Rathaus. Sie gedenkt zum Konzil zu ziehen und die strenge Bestrafung der Übeltäter zu fordern.«

Stojkowitsch: Da seht Ihr's, Herr Kardinal! Warum habt Ihr die Seuche nach Basel gelassen?

Wachsende Unruhe wieder auf allen Bänken.

Julian: Das Konzil ist keine Gerichtsbehörde. Und überdies hat niemand etwas zu fordern.

Rokycana: Dank, Kardinal! Ich gelobe, den Vorgang streng und sachgemäß zu untersuchen. Die Schuldigen werden bestraft.

Prokop: Schuldige? Bestrafen? Mit einem Schritt zum Rednerpult. Sind Menschen strafbar, weil sie ihre feste Wahrheit andern Menschen verkünden? Ich will die langweilige Lüge zwischen uns zerreißen, ihr Herren! Seht uns gut an! Wir sind die Sieger! Solang ihr geglaubt habt, uns durch Waffenwut ausrotten zu können, da habt ihr Jahr für Jahr Kreuzzüge gegen Böhmen gerüstet, allen voran euer Kardinal hier. Wir aber sind durch die einfache Kraft der Wahrheit unüberwindlich geblieben. Der arme Hus hatte keine Gewalt. Ihn konntet ihr leicht verbrennen. Wir aber haben furchtbare Gewalt, vor der ihr weidlich zittert, allen voran euer Kardinal hier. Nur um dieser Gewalt willen begegnet ihr uns süß, lächelt ihr nachsichtig und zwinkert bestechlich. Hätten wir nicht unsre großen Heere im Rücken, gäb's einen kurzen Ketzerprozeß, weiter nichts. So aber seid ihr gezwungen, die christliche Liebe in den Kampf zu senden und den Heiligen Geist fleißig zu zitieren. Allen voran euer Kardinal hier! Wie erkenne ich euch. Gesicht an Gesicht! Eure Kirche ist keine Gemeinschaft der Heiligen, sondern die Gemeinschaft der Herrschenden und Habenden! Der Heilige Geist, den ihr bemüht, ist ein Geist der Macht und Abermacht. Reißet nur Mund und Augen auf! Ja, ich, Prokop, der sich verantworten sollte, ich zieh euch zur Verantwortung. Bei Christi Wahrheit! Ich hasse den Krieg. Meine Hand hat nie noch eine Waffe geführt. Aber nun, da ich euch so vollzählig vor mir hab, nun gelüstet's mich, ein andermal nicht friedlich unter euch zu treten, sondern an der Spitze von Hunderttausenden. Tobet nur! Ihr seid ein schwacher Haufen. Das wahre Kreuzheer aller Länder und Nationen wartet nur meines Werberufs!

Die Rede Prokops hat alle Versammelten langsam krampfhaft von den Sitzen gehoben.

Bei den letzten Worten bricht ein ungeheurer Tumult aus. Das Konzil zerschlägt sich in wütend gestikulierende Gruppen. Ein Teil der Mitglieder haut wie rasend auf die Pultdeckel. Einige dringen mit geschwungenen Folianten auf die böhmische Gesandtschaft ein.

Stojkowitsch sich übergicksend: Wache! Gefangensetzen!

Prokop ruhig am Pult: Der Heilige Geist offenbart sich.

Julian nachdem er den Wirrwarr eine Weile betrachtet hat: Die Sitzung ist geschlossen. Ab.

Palomar zu einigen Mönchen: Der Orgelmeister ans Werk!

Der Konzilsaal wird schnell finster. Einige starke Orgeltakte, dann leises Nachspiel bei geschlossenem Werk. Die Bibliothek leuchtet sofort auf.

Rosenberg: Auf den Prokop kann man sich wirklich verlassen.

Sternberg: Ich bin wegen jenseitiger Konsequenzen kein Freund des politischen Mords... Der Prokop aber muß dran glauben... Schafft mir einen versierten Beichtvater.

Rosenberg: Ich hab eine andre Aufgabe für dich... Zu Neuhaus. Du giltst etwas bei den Hussiten, Neuhaus. Bring den Rokycana her, tot oder lebendig!

Neuhaus: Ach, die ewigen Strapazen! Als beschaulicher Mensch bin ich in ein falsches Zeitalter geraten. Ab.

Rosenberg: Bist du nüchtern, Sternberg?

Sternberg: Siehst du mir mein Elend nicht an, Ulrich?

Rosenberg: Lern einen Freund erkennen! Eigens für dich führ ich in meinem Gepäck zwanzig Flaschen französischen Sekt mit...

Sternberg: Ulrich! Warum hast du nicht früher meine bange Seele aufgerichtet?

Rosenberg: Du weißt, daß ich etwas von deiner demagogischen Begabung halte. Mehr als einen Krawall hast du im Leben angezettelt. Spring um die Ecke zum Rathaus und erzähl der Menge, daß Prokop übers Jahr Basel niederbrennen will.

Sternberg: Gut, Ulrich! Der Mensch hat viele Trunkenheiten. Das Leben ohne Rausch ist Verwesung nach Stundenplan. Ich werde reden, wie ich trinke. Aber die erste Flasche krieg ich noch vor dem Nachtmahl.

Rosenberg: Sie ist eingekühlt.

Sternberg ab.

Die Zelle leuchtet auf.

Julian tritt ein. Die Mönche gehen. Dei Kardinal wirft sich betend vor dem Kruzifix nieder.

Rokycana und Neuhaus treten in die Bibliothek.

Rosenberg: Ich bin untröstlich, würdiger Rokycana. Auch dieses Konzil geht in die Brüche. Es zeigt sich klar, daß Prokop geisteskrank ist. Zwischen Euch und ihm kann es länger keine Eintracht geben. Auf Rokycana ruht nun die Hoffnung der armen Welt...

Rokycana: Was redet Ihr da herum? Wozu habt Ihr mich hergebeten?

Rosenberg: Ja, richtig! Kaiserliche Majestät tragen Euch für den Fall einer friedlichen Neuordnung in Böhmen das Erzbistum Prag an.

Rokycana: Hält mich der Kaiser für einen Roßtäuscher? Sollte es Böhmens Not fordern, werde ich aus den Händen des Volkes jede grausame Last entgegennehmen, selbst das Erzbistum. Schnell ab.

Neuhaus: Haben wir den oder haben wir ihn nicht?

Rosenberg: Selbst wenn wir ihn hätten, haben wir ihn nicht. Es gibt in der Politik einen einzigen Opportunismus, den man nicht in Rechnung stellen kann...

Neuhaus: Welcher Opportunismus?

Rosenberg: Reine Hände!... Geh, Neuhaus, häng dich an Rokycana. Versprich ihm unsern Schutz!... Wohin kämen wir ohne Korruption?... Von allen Arten der Bestechlichkeit ist die Unbestechlichkeit die gefährlichste... Laß den Rokycana nicht los!... Ich schreib jetzt an den Kaiser.

Neuhaus ab. Rosenberg setzt sich an den Tisch und beginnt zu schreiben.

Prokop tritt in die Zelle: Hier bin ich, Priester Angelo.

Julian betet ohne sich zu rühren.

Rosenberg in der Bibliothek, indem er schreibt: »Die Sache Eurer Majestät steht ausnehmend günstig... Von allen Gegnern ist der Fanatiker der durchsichtigste... Prokop hat durch einen Wutausbruch die alten Herren des Konzils gehörig erschreckt, zugleich aber, wessen ich sicher bin, die Einheit seiner eigenen Partei zerstört...«

Prokop in der Zelle wendet sich zum Gehn.

Julian erhebt sich: Priester Prokop, du bleibst! Vor dir steht dein geistlicher Oberer. Denn auch exkommuniziert bist du nicht losgebunden vom Gehorsam. Prahle nicht, Priester Prokop, als habest du mit der Wahrheit Christi das Konzil gesprengt. Du weißt von der Wahrheit nichts, nichts! Deine Wahrheit Christi ist das wütende Geblöke der Volksmassen, das den göttlichen Geist der Evangelien für seine tierische Begehrlichkeit in Anspruch nimmt. Du willst ein Führer sein und bist nur ein Schwimmer auf der Strömung! Doch selbst in der armseligen Pöbel-Wahrheit nenn ich dich einen Lügner. Der du alles Gut der andern verteilst, warum besitzest du selber Haus und Anwesen, Lügner!? Der du alle Macht verabscheust, warum hängst du so gierig an deiner eigenen Macht, Lügner!? Du willst die Völker alle befrein und duldest daheim die Verfolgung der Deutschen, Lügner!? Und deine tückischeste Lüge, Lügner Prokop: Du rühmst dich, keine Waffe anzurühren, und watest bis zu den Knien in Blut!

Prokop: Du bist der rechte Bußprediger, Feldherr des Heeres von Taus!

Rosenberg in der Bibliothek schreibend: »Eure Hoheit beachte genau den Unterschied: Der Deutsche ist ein ewiger Herdbrand, der Slave ein ewiger Brandherd...«

Julian: Ich sehe die wehrhaften Toten des Krieges und die wehrlosen Toten eurer Rache. Menschen, wölfisch zerrissen! Von der Pöbelwut, die du Wahrheit nennst, in die Spieße geschleudert! Menschen in Pechfässern verbrannt, Menschen in Scheunen zusammengepfercht und verbrannt! Deine Wahrheit ist Leichengestank.

Prokop: Ich bin in deiner Hand. Unter keinem falschen Namen und ohne restrictio mentalis.

Rosenberg schreibend: »In der Geschichte findet Eure Hoheit immer nur Eine Art grausamster Massenmörder: Die Idealisten«...

Julian: Man wird für dich Gefängnis fordern. Doch ich fürchte dich nicht mehr, Prokop. Nur noch als Märtyrer wärest du gefährlich. Hüte dich aber, offen auf der Straße zu erscheinen. Die Deutschen dort unten sind erregt... Ich biete dir zwei Wege: Hier, Feder und Papier! Schreib einen Widerruf ans Konzil, beklag deine Leidenschaftlichkeit! Widerrufst du, kann ich dich vor den Vätern und vor der Stadt schützen. Wo nicht... Hier ist eine Dominikanerkutte! Niemand erkennt dich. Leicht kommst du bis nach Schaffhausen. Dort sind eure Reisewagen. Deine Knechte send ich in der Nacht. Für sichres Geleit ist gesorgt... Widerruf oder Flucht! Die Wahl ist dein! Prokop, ich fürchte dich nicht mehr. Ab.

Prokop packt die Kutte, zerknüllt sie und schleudert sie aufs Bett. Dann beginnt er heftig auf und ab zu gehen.

Rosenberg in der Bibliothek schreibend: »In dem Spiel gibt es nur ein Rätsel für mich: Julian...«

Im Saal des Konzils wachsendes Gemurmel – Langsames Lichtwerden – Die Delegierten in erregten Gruppen – Die Böhmen fehlen.

Sternberg betritt die Bibliothek: Sie kommen, Ulrich! Du wirst staunen. Der Durst hat meine Rhetorik satanisiert...

Rosenberg den Brief faltend: Der Mensch ist eitel, der Komödiant ist eitler und am eitelsten der politische Redner... Still!

Sie treten zum Geheimfenster.

Julian erscheint im Konzil. Die Mitglieder nehmen ihre Plätze ein: Die geheime Congregation ist eröffnet. Doktor Palomar!

Palomar: Ich stelle den Antrag, die böhmische Gesandtschaft durch den Herzog-Protektor in Schutzhaft zu nehmen.

Nervosität im Konzil. Draußen Lärm einer sich näher wälzenden Menschenmenge.

Julian: Abgewiesen! Freies Geleit ist ihnen zugesichert unbedingt.

Palomar: Ich stelle den Antrag, den Gesandten Prokop allein zu inhaftieren.

Julian: Abgewiesen! Aus selbigem Grund!

Palomar: So bin ich denn als päpstlicher Vertrauensmann gezwungen, einen geheimen Erlaß des Heiligen Vaters zu verlautbaren, der die Auflösung des Konzils verfügt, sofern dem Ansehn der Kirche Abbruch zu geschehen droht.

Julian: Reicht mir den Erlaß, Herr Doktor! Nimmt das Dokument in Empfang. So! Und merkt Euch fortan! Wir sind demütig gehorsame Söhne. Das Konzil aber steht unter der Gewalt des Heiligen Geistes und nicht des Papstes. Solange ich den Vorsitz führen muß, berufe ich ein und löse ich auf...

Die Menge unter den Fenstern: Heraus mit Prokop! Heraus mit Prokop!

Stojkowitsch: Ich stelle den Antrag, daß sich das Konzil in Sicherheit bringt.

Philibert: Kein Konzil ist je dem Pöbel gewichen.

Prokop in der Zelle hört seinen Namen von der Menge gerufen. Er bleibt einen Augenblick erstarrt, dann nimmt er die Kutte und verläßt den Raum.

Julian: Horchet nicht auf den vergänglichen Schrei! Der Heilige Geist erwählt uns, wie keine Versammlung noch, seinen Willen zu vollstrecken. Liebet eure Feinde, verzeihet denen, die euch hassen! Das Konzil rüstet eine Gesandtschaft nach Böhmen...

Die Menge: Heraus mit Prokop! Tod den Mördern! Nieder das Konzil!

Palomar winkt einem Mönch: Schutzwache! Eingänge besetzen!

Rosenberg: Jetzt ist es Zeit für den Sekt, Freund! Mit Sternberg ab aus der Bibliothek.

Auf der Zwischenspiel-Straße an der Rampe eilen vier Hellebardiere und einige Mönche vorüber.

Menge immerfort: Tod dem Prokop! Nieder das Konzil!

Schläge gegen das Haustor – Die Tür bricht ein – Jubel der Menge – Getrampel im Haus – Die rechts und links am Proszenium postierten Wachen und Mönche werden ein Stück zurückgedrängt, so daß jetzt Bibliothek und Zelle von der Menge abgedeckt sind.

Julian: Wir gehen nach Böhmen. Nicht im Glanz unsres Amtes. Ohne Waffen und Knechte. Als niedre Boten des Heiligen Geistes. Das tschechische Volk überwinden wir durch Liebe...

Stojkowitsch: Steine! Deckt euch!

Ein Steinhagel prasselt gegen die Kirchenfenster, die einklirren. Alles bis auf Julian verbirgt sich unter den Pulten.

Julian: Durch Liebe... Geht aufrecht einige Schritte vor und bricht zusammen.

Aufschrei: Der Kardinal ist getroffen...

Alle Mitglieder des Konzils drängen vor zu Julian.

Julian richtet sich auf, von Philibert und Palomar unterstützt. Sein Gesicht ist blutüberströmt: Nichts... Es ist nichts Besonderes, Freunde... Schreiber her... Nächste Sitzung: Morgen! Unsere Gesandtschaft nach Böhmen wird verhandelt... Und jetzt schließe ich ordnungsgemäß und ohne Zwang die Congregation... Tritt weit vor. Das Haus räumen...

Grelles Sturmläuten ganz nahe im Glockenturm des Klosters. Die kleinlaut gewordene Menge ist abgedrängt worden.


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