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Die Mühle der Humoristen

Idylle

Halt, respektable Gesellschaft! rief der dicke, schwitzende Justizamtmann, der Weisel des bunten Zuges, der ihm durch den Kiefernbusch nachfolgte. Der laute Jubel, mit welchem der muntere Schwarm von Haus aus den Weg nach der, etwa eine Stunde von der Stadt entfernten Talmühle angetreten, war nach und nach verstummt in der brennenden Hitze des sonneheiteren Juliustages, in dem langen ewigen Kiefernwalde, der nirgends ein kühlendes Obdach bot. Matt und schweigend schlichen sie, die mit Hüpfen und Singen den lustigen Spaziergang begonnen, und die Kinder dürsteten und lechzten nach der erquicklichen Semmelmilch, die ihrer am Ziele harrte. Jetzt war der Zug an einem Grabenrande, an welchem längshin, unter und zwischen dem labungslosen Nadelholze duftige Erlen und Birken flüsterten. Unten im dunkeln Grunde schlängelte sich zwischen üppigen Brombeerufern ein Bächlein. Und hier war es, wo der Justizamtmann sein Halt rief und den Wanderstab, auf dem er den ausgezogenen Rock trug, von der Schulter nahm. Hier ist gut sein, – seufzte er, tief Atem holend. – Darum laßt uns, ob zwar nicht Hütten bauen, jedoch ein wenig verschnaufen, sintemal ihr alle beträchtlich zu schwitzen scheinet, so wie ich. Aber nicht lange, nur auf ein kleines halbes Viertelstündlein, damit wir richtig um drei Uhr in der Mühle sind und das Ökonomie-Kommissariat mit dem Kaffee nicht wieder auf uns warten darf, wie das letztemal. Und alle folgten dem ersehnten Rufe und lagerten sich ins weiche Heidekraut unter die zitternden Birken, die Kinder aber kletterten hinunter zum Bache, zu den Beeren, die aus dem Gestrüpp hervorlockten. Wir hätten freilich – nahm der Justizamtmann weiter das belehrende Wort – auch durch die Dörfer drüben ziehen können, wie die andere Abteilung unserer Karawane, wo Schatten und Abwechselung genug ist, item frische Buttermilch, und wo wir en passant noch bedeutend unsere geographische Wissenschaft von mancherlei Völkerschaften und Nationen hätten erweitern können; doch das stritt gegen meine Grundsätze. Denn ich bin, wie ihr wißt, ein Genußmensch, dem das Mahl wenig gilt, wo der letzte Bissen nicht auch der beste ist. Darum wählte ich den dürren Wald, so wie ich jedesmal, wenn ich mit dir, liebes Weib, und unseren Kindern in den Hundstagen ins schöne Riesengebirge reise, nach Hirschberg und Warmbrunn, den Weg durch die Wüste Sahara, das heißt, durch das Fürstentum Sagan, von der Stadt aus über die Antonischenke wähle. Über Sprottau und Bunzlau wäre es allerdings viel angenehmer, durch laubige Dörfer und grünende Auen. Aber wo bliebe dann das Jauchzen und die Wonne der Überraschung, mit welcher man hinter Löwenberg in das Paradies des Schlesierlandes hineinfährt? Nein, durch meilenlange Sandstraßen, die rechts und links der unabsehbare Föhrenwald umgibt, muß die Reise gehen. Hier lernt man erst die Wahrheit des Titelschildes der alten Homannschen Karte jenes Fürstentums gehörig würdigen. Hier in diesen tiefen Forsten sind die Hirsche, die wilden Schweine, die Auer- und Birkhähne zu Hause, die da im Kupferstich prangen, und deren heimatliche Reviere die Wälderpunkte jener Karte bezeichnen. Ach, welch ein Gefühl, durch diese Einöden zu ziehen mit Weib und Kind! Wie glaubt man sich da versetzt in die Urwälder Amerikas! Wie vernickt man hinter Eisenberg im sanft durch den Sand schleichenden, freundlichen Wagen manche Viertelstunde des warmen, nüchternen Morgens, öffnet wieder die Augen und sieht nichts vor sich als die meilenferne Endspitze der schnurgraden gelben Straße, hört nichts als den einsamen Gesang der Heidelerche, oder tief im Forste den Ruf des Jägerhorns, – ach, und möchte vergehen vor Langeweile, die nur die herausgelangte Buttersemmel noch zu verleidlichen imstande. Aber nun hält der Wagen vor den ärmlichen Häusern der Antonischenke. Nun wachen die sanft schlummernden Kinder auf, mit ihnen die phantastischen Mord- und Räubergeschichten, die sich in diesen abgelegenen, unheimlichen Gegenden zugetragen, oder sich doch hätten zutragen können. Nun sehnt man sich nach einem kühlen, schattigen Baumplätzchen zum Absteigen, während den Pferden ihr Frühstück gereicht wird. Umsonst! – die wenigen Ebereschbäume, zwischen deren sonneverbrannten Blättern die schon halb geröteten, verkümmerten Beerendolden schimmern, geben so wenig Schatten als die Gummimimosen am Senegal. Doch still! Steht da nicht der freundliche Schuppen, in welchem der Ziehbrunnen? Ach! – da ist Kühle, da ist Labung! Und wie schmeckt da drinnen das Glas köstlicher Milch! Welcher frische Wasserduft steigt labend aus der finsteren Tiefe, in welche die Eimer an ihren langen Ketten hinab- und heraufgewunden werden! Und seht, lieben Freunde, das ist gerade so eine Zwischenerquickung, wie hier das wohltuende Plätzlein am Grabenrande. Mutiger steigt sich's dann in den Reisewagen. Gestärkt geht's bei Klitschdorf vorbei wieder in den öden, unermeßlichen Kiefernwald, bis nachmittags die Gegend sich öffnet, hinter Ottendorf das Simonishaus bei Neudörfel über das Gebüsch mit dem alten, stumpfen Gesichte herabschaut, als riefe es Willkommen den Reisenden im schönen Gebirge. Nun duftet das frischgemähte Heu der Wiesen von Rackwitz, nun rollt der Wagen dahin unter dem Schatten der Fruchtbaumalleen von Löwenberg, die die labenden, großen, süßen, schwarzen Knorpelkirschen bieten. Nun strecken sich hoch herauf die riesenhohen Steinbrüche links. Nun plätschert rechts am Wege das zarte Forellenbächlein durch saftiges Ufergrün, aus welchem Vergißmeinnicht, wie Türkisen, mit den freundlichen blauen Augen nicken, und über welche die flockige Spiraea ulmaria sanft in Zephyrlüftchen wedelt. Nun geht es lustig durch das fruchtbaumdunkle Schmottseifen mit seinen grellen Christus- und Heiligenbildern, vorbei an den tief im Laubgrün versteckten Hütten, vor denen alte Weiber mit stattlichen Kröpfen sitzen und mit Händen und Füßen sich im Strumpfstricken an den ellenlangen Holznadeln abäschern. Nun erhebt sich die mächtige Höhe hinter Röhrsdorf. Nun sind wir oben. Nun schauen wir wie Moses das gelobte Land, links zur Seite im romantischen Tale die über den lachenden Wiesengrund verstreuten Häuser, die an den Bergen wie lackierte Bildlein klebenden Gärtchen mit den reinlichen Kraut- und Kartoffelbeeten, ferne den Spitz-, Zobten- und Grödisberg. Aber was vor uns liegt, hemmt Wort und Atem. Majestätisch dehnt sich, so weit das Auge schaut, von Westen bis Osten, wie eine dunkle, dämmernde Wand das Riesengebirge zum Himmel, und rückwärts gegen Norden schimmert im Glanze der untergehenden Sonne wie ein ausgebreiteter Teppich ganz Niederschlesien zwischen dem Bober und der Oder, Städte mit ihren roten Dächern, Dörfer mit ihren Schlössern und Kirchtürmen, alles schwimmend im magischen Dufte der nebelnden Ferne. Ah! – Ah! – Ah! – ruft alt und jung und ist außer sich vor Überraschung und Entzücken. Gelt, das ist schön und herrlich? – frage ich dann lächelnd durch die Tränen der Wonne, die mir die Augen feuchten. – Aber würde euch der Genuß so ergreifen, so erquicken, wenn ihr nicht vorher tüchtig gehungert hättet, – das heißt, geseufzt und gestöhnt im Sande der Antonischenke? – Nun seht, lieben Freunde, die ihr heute mir folgt durch diesen dürren Busch in das Land Gosen der Talmühle, wo Milch und Honig fleußt und die Krebse zum Abendbrote schon im Topfe der flinken Meisterin krabbeln, so wird es auch heute uns sein, wenn wir nun die Anhöhe hinabsteigen und den Kalmusteich und die bunten Wiesen zwischen den Eichen und Erlen vor uns sehen und die Mühle aus dem dunkeln Gezweige heraus klappern hören. Darum munter, lustige Gesellschaft, munter fürbaß! Meine Predigt ist aus! Munter und getrost über die Dornen und den Sand des Lebens! – setzte er leise hinzu, sich zu der achtzehnjährigen, reizenden Fernandine, seiner ältesten Tochter, neigend, die zu seinen Füßen saß und das blonde Lockenköpfchen sanft an sein Knie lehnte. – Auch dir wird noch ein freundliches Land lächeln! Nicht wahr, Magister, non si male nunc, et olim sic erit? das heißt, liebe Frauenzimmer, wenn auch der Herr Nunc etwas malitiös ist, der Herr Olim, der auf jenen folgt, wird nicht so, er wird vernünftiger sein. – Mir lächelt keine Freude mehr! seufzte Nandchen still und setzte geschwind wieder den Strohhut auf, daß die Tränen ungesehen unter ihm aus ihren großen blauen Augen hinabrollen konnten ins hohe Gras, und weiter zog die Karawane.

Wer sind die Völker, wer die Namen, die gastlich hier zusammenkamen? – Wer anders als ein sinnig gebundener Kranz fröhlicher Menschen, die die Fettaugen des Lebens von oben schöpften und sich wenig um den trüben, schlammigen Grund kümmerten, der unten ruhte. Kluge Eiertreter, denen Herz und Gefühl wie eine Taxus-Karyatide zugeschnitten, finstere, unter den Mühseligkeiten des Amtes und des irdischen Jammertales ächzende Lastträger, kalthöhnende Gemütlose, denen Frohsinn ein Ärgernis und die wahre Lebensphilosophie eine Torheit, schalten sie wohl als Leichtsinnige und hätten auch nicht unrecht gehabt, wenn sie leichten Sinn und nicht Leichtsinn damit gemeint. Jener ist eine dankenswerte Gabe Gottes, die unter Dornen und Molchen auf Rosen bettet, dieser die schwachmütige Verachtung des Feindes, dem man nicht ins Auge zu schauen wagt, die Narrenjacke, die der Teufel der Verzweiflung zuwirft. Besser und richtiger nannte man die wackeren Spaziergänger die Humoristen. Und wirklich verdienten sie den Ehrentitel männiglich, denn ihnen blühten duftende Blumen aus jedem Boden, sogar aus der Poudrette der Schlechtheit anderer, der unvermeidlichen Mängel der sublunarischen Existenz. Was Schwächeren den Magen verdarb, war ihnen ein heilsames, notwendiges Pfefferkörnlein in der Spittelsuppe schaler Alltäglichkeit. Mit Lachen und Possen umhüllten sie den Schmerz und die Wehmut. Aber dieses Lachen war nur ein leichtes Gazekleid, durch welches der Tränentau der Wehmut hindurchschimmerte und mit dem Lachen ein Clairobskur bildete, schöner als Claude Lorrains allerschönstes. Denn hatte nicht der ehrliche Magister Muzelius – sein Großvater hieß noch schlechtweg Muzel – ein ganzes langes Leben vereselt im schmählichen pädagogischen Joche, war, am Predigerteiche Bethesda liegend, immer zu spät gekommen zum ersehnten Sprunge ins Amt, zu welchem L'hombre und Jagd, reichbegabte Kammerjungfern und Klugheit der Schlangen anderen verholfen, und dennoch guten Mutes? Erhob sich nicht der magere, gabelbeinige Registrator Lüdtke wie der Riese Wolfgrambär über den Staub seiner vollen Repositorien, über die Kleinlichkeit seines Präsidenten, dem an der Überschrift eines Aktendeckels das Wohl und Wehe des Staates, ja der ganzen Menschheit hing? War nicht der redliche, wohltätige Pastor Eheu, der das Schicksal hatte, bei Anwesenheit der durchlauchtigsten Herrschaft in der Predigt steckenzubleiben, und der, in der Regel von seinen eigenen Worten gerührt, weint wie ein Kind, draußen der witzvollste Lacher? Konnten die bedenklichsten Handels-Konjunkturen dem dicken Kommerzienrate Scheitelfuchs die joviale Laune rauben? Lebte nicht der Major von Schienbein trotz der feindlichen Kugel, die ihm in der Lende stak und Sturm und Regen richtig barometrisierte, dennoch glücklich unter seinen Blumen und Freunden? Mußte nicht das trübste Gesicht sich erheitern, wenn der alte französische Sprachmeister Du Bois erzählte, wie er sich aus Paris Froschengsten (Froschhengste) kommen lassen, um die Rasse der deutschen Frösche, sein Lieblingsgericht, zu veredeln, oder wenn er im vergeblichen Abmühen, das Ch auszusprechen, kirschbraun im Gesichte ward, oder wenn der dürre Professor Kilian, der bei größter Gemütlichkeit und Wissenschaft den Tick hatte, für allerliebst und zierlich gelten zu wollen, wahre Hasensprünge machte und den der Freundin entfallenen Zwirnknäul nicht anders als mit einem Entrechat aufhob und mit dem Daumen und Zeigefinger, auf einem Beine schwebend, überreichte? War die affektierte Grobheit des biederen trockenen Proviantmeisters Fahlleder nicht die allerergötzlichste, ein saftiger Roastbeef, an dem sich niemand den Magen verdarb? Und hatte nicht bei Sprachmeister, Professor und Proviantmeister das Schicksal reichlichst für den Pfahl ins Fleisch gesorgt? Bei dem einen durch interessante pizzicatos des Zipperleins, bei dem anderen durch Nervenübel, nämlich am neorv rerum gerendarum? War nicht des alten, anekdotenreichen Doktors Hahnentritt fast einzige Kundschaft, seitdem der neue, junge, um die Weiber schwänzelnde Homöopath sich eingenistet, er selber mit seinem Rheuma? War nicht erst vorgestern wieder dem braven Irrenhausinspektor Kohlnase der Schah von Persien mit der Kaiserin Katharina davongelaufen? – Und die Frauen des freundlichen Vereins, der sich in der magnetischen Attraktion der Wahlverwandtschaft zusammengefunden, – ach, der ehrliche Magister Muzelius und der kräftige Laban Lüdtke hatten keine; jenem war das liebliche Bild des häuslichen Lebens nur als eine Truggestalt im ruhigen Wasserspiegel des Teiches Bethesda erschienen, diesem der Ehestand siebenmal von der Pfanne gebrannt – die Frauen waren samt und sonders wie die Männer auch Humoristinnen in ihrer Art, die eine mit finsteren und mürrischen Mienen durch komische Einfälle ergötzend, die andere den Kuchen und Braten in allerhand mathematische Figuren, als Rhomben, Trapezoide, Kegel und Triangel, verschneidend, die dritte glänzend als deutsche Puristin, die vierte belustigend in der Gänschenrolle, die fünfte als hochreichsgräfliche Truthenne, die Reifrock- und Haarbeuteletikette persiflierend, die sechste eine gutmütige Xantippe, alle aber das Ihrige redlich beitragend zur allgemeinen Heiterkeit. Und die Männer und Frauen umgab ein Schwarm jungen Volkes, wie um die großen Schüsseln der Tafel sich die kleineren Assietten mit den Salaten, Pfeffergurken, dem Eingemachten, den Äpfeln, Nüssen, Makronen und Knackmandeln scharen, blühende Jungfrauen, schäkernde Mädchen, männliche spes patriae, vom windigen Referendare abwärts durch alle Schulstufen bis zum glücklichen, vierjährigen Fibeladspiranten. Das ausgelassen im Freien wildernde Kinderrudel bis zu zwölf Jahren nannte Magister Muzelius nur die Rotte Korah, Dathan und Abiram, die Mosjehs von da ab bis hinauf zu den Studenten: meine jungen Herren, wobei jedoch, wie billig, das Wort Herren etwas undeutlich ausgesprochen wurde, so daß es fast lautete wie: Hörner.

Und alle diese Fröhlichen zogen nun heute, hier der Justizamtmann mit seiner Philosophie und seinen Peripatetikern, drüben durch die Dörfer die anderen, die auch wieder Genußmenschen nach ihrer Art waren, nämlich die den Honig aus allen und jeden Blumen saugten und von Entbehren so wenig wie möglich wissen mochten, in die Talmühle. Das pflegten sie regelmäßig zweimal jeden Jahres in den langen Sommertagen zu tun, und alles freute sich schon lange vorher darauf wie auf ein Fest. Daß die edle Musika und ein Tänzchen im Grünen dabei nicht fehlen durfte, das verstand sich von selbst. Darum waren denn auch heute die sechs Bierfiedler, die gewöhnlich das Orchester bildeten, schon frühzeitig mit ihren Instrumenten ausgerückt, sintemal der Dirigent ein lahmes Bein hatte und zwei andere über der großen Baßgeige schleppen mußten, die drei übrigen als Fourierschützen vorausmarschierten, um die Schnapsschenken unterwegs in Ordnung zu halten, alle aber, um bereit zu sein, die Ankommenden mit geziemendem Tusch zu empfangen. Auch war das Ökonomie-Kommissariat, das heißt, die Mägde mit den Kaffeeutensilien, Tellern, Töpfen, Flaschen, Messern, Gabeln, Gläsern, Servietten, Kuchen und Mänteln für die abendliche Rückreise ebenfalls voraus, desgleichen der Kinderwagen der Frau Pastorin und der Frau Kommerzienrätin mit den jungen Nesthäklein, die Milch und die Krebse aber schon tagelang vorher bestellt. Alles das jedesmal anzuordnen, ließ sich das Justizamtmann-Kleebornsche Ehepaar niemals nehmen, das auch sonst immer der Impuls und die Seele jeder geselligen Freude war. Die Glücklichen! – Welch schöneres Los auf Erden gibt es als das, Frohsinn, und Heiterkeit zu verbreiten, mit Lachen zu scheuchen die trüben Stunden, lindernden Balsam zu träufeln in Wunden, die dem Herzen mit Täuschung und Trug, ach, das feindliche Schicksal schlug! Und doch, wer bedurfte des lindernden Balsams mehr als eben sie? – Der Biedermann hatte ein langes, vorwurffreies Leben dem Staate und seinen Mitbürgern im Dienste der heiligen Themis geopfert, deren Wage er niemals mit falschem Gewichte gemißbraucht. Die Achtung seiner Vorgesetzten, die Liebe seiner Untergebenen lohnte ihm, Liebe der freundlichsten Gattin hatte ihn bis ins Greisenalter begleitet und verschönte den Abend seiner Tage. Zwei freudige Jungen machten ihm Ehre auf der Akademie und studierten, daß die Köpfe rauchten. Daheim blühten ihm die sanfte Fernandine schön wie eine üppig sich öffnende Zentifolie, still und bescheiden wie das duftende Veilchen, die achtjährige wilde Hummel Sophie, gewöhnlich nur Fietsch genannt, und der sechsjährige Philhellene Robert, der überall laut erklärte, daß er an der Übergabe von Missolonghi unschuldig sei, maßen der Drechsler ihn mit den zwei Kanonen, die er den Griechen schenken wollen, schändlich im Stiche gelassen. Ein bedeutendes Amtseinkommen sicherte seine und der Seinigen Existenz. Und doch, wer ahnt, was in der friedlichen Flut tief unten auf finsterem Grunde ruht? Auch dieser schimmernde Blumenkranz hatte seine stechenden Dornen. Denn war nicht eben sein liebstes Kind, seine Fernandine, unglücklich – schweigend dahinwelkend in hoffnungsloser, treuer Liebe? Und war er, der zärtlichste aller Väter, nicht schuld daran? – Ach, ich bin ja nicht schuld, – tröstete er sich wohl manchmal, doch immer nur palliativisch – das Schicksal und, wenn ich nicht so heidnisch reden will, unser Herr Gott ist es, der, wie klar in der Bibel steht, nicht Gefallen hat an der Stärke des Rosses, das heißt, an Kavallerie, noch an jemandes Beinen, das heißt, an Infanterie, überhaupt also nicht am Militär, mithin auch nicht am guten Leutnant Blumenfeld, und der es demnach zugelassen, daß der Schelm in Berlin den entsetzlichen Bankerott machen und mich um zwanzigtausend Taler bringen durfte. Aber lange – wie schon gesagt – hielt diese Selbsttröstung nicht vor. Die kalte Vernunft rief ihm zu: von Haus aus hättest du dem Umgange steuern und wehren sollen, sintemal ein Leutnant ohne Geld und, wäre er auch sonst ein Musterbild aller Vollkommenheiten, klug, tapfer, gut, immer ein miserabler Ehestands-Kandidat ist. Und darin hatte die kalte Vernunft wirklich so gar unrecht nicht. Freilich war der wackere Blumenfeld, der übrigens die Kinderschuhe längst ausgetreten, ein Mann, der schon ein Mädchenherz interessieren konnte, ohne Fehl von der Sohle bis zum Scheitel, wie Absalom, wenn man die spannenlange Hiebfurche über den rechten Arm, ein Andenken an die Schlacht bei Leipzig, die man ja doch nicht sah, die aber freilich zu Zeiten, wenn das Wetter sich änderte, eben die Mucken zeigte wie die Kugel des Majors, für nichts rechnet. Daß sie für ungefähr so viel wirklich gerechnet und mit dem Ehrenkreuze abgefunden sei, welches dem Leutnant auf die Brust geklebt worden, das schien ihm selbst eine ausgemachte Sache. Denn er war und blieb Leutnant und konnte mit Wahrscheinlichkeit kaum in fünfzehn Jahren auf die Kompagnie rechnen, wenn bis dahin Hans Mors nicht etwa auf außerordentliche Weise unter den Vormännern aufräumte, oder ihn selbst zur himmlischen Garnison avancierte, in welchem letzten Falle freilich die Langeweile des irdischen Hoffens und Harrens mit einem Male ein Ende hatte. Dabei war er, als Zeus den Markt der Erde verteilt, leer ausgegangen wie der Dichter und lebte von seinem eben auch nicht überreichlich zugemessenen Gehalte. Auch in der Zukunft sah er keinen Weg zu dem glänzenden Schlaraffenlande Eldorado. Kein reicher Ohm, keine über ihren goldenen Eiern brütende Tante hustete ihm an der Schwindsucht, und wie viele Male er es sich auch abgedarbt zum Viertellose in der Klassen-Lotterie, immer war Fortuna bei ihm vorübergegangen und hatte Dummköpfe neben ihm oder ohnedies schon reichlich Bedachte mit ihrem freundlichen Lächeln beglückt. Und dennoch war auch er, im Bewußtsein des eigenen Wertes, genügsam und die frohe Laune selbst. War es darum ein Wunder, daß auch ihn der Magnet der Humoristen anzog, daß er sich bald in ihre Gesellschaft, so wie ins Herz des Justizamtmannes einnistete, bald sich zu dessen unentbehrlichstem Hausfreunde erhob? War es ein Wunder, daß Feuer und Schwefel zündeten, daß ihm in den Augen des unschuldigen, sich nun selbst bewußt werdenden Nandchens eine herrliche Sonne, ihr in dem freundlichen Manne der Liebe Mond aufging? Schon drei Jahre hatte er nun alle Freuden des justizamtmannlichen Hauses geteilt, drei Jahre lang schon die Spaziergänge zur Talmühle mitgebracht. Das waren tempi passati. Heute zum ersten Male sollte er nicht mitgehen. Wie ein Cherub mit dem feurigen Schwerte war auf seinen Weg ein ernstes Gebot und die kalte Vernunft gestellt, und das glühende Herz mußte die kalte Feindin ehren. Wie so glücklich träumte noch vor kurzem er sich dem Ziele seiner Wünsche ganz nahe. Wie selig sah sie dem schönen Tage der Vereinigung mit dem Geliebten entgegen! Wie labend lautet nicht schon von den Lippen der wohlwollenden Eltern der Schmeichelname Herr Sohn! Wie emsig stickte schon Fietsch über den Brauthemden! Wie studierte schon Robert an der Polterabendrede, in welcher er als Miaulis den teueren Schwager, der ihm bereits das: Rechtsum! Linksum! und Präsentiert das Gewehr! gelehrt, in den zyprischen Freihafen des Ehestandes einzulotsen bestimmt war. – Umsonst! aus heiterer Luft war ein Donnerkeil gefallen, der alle diese frohen Hoffnungen und Zubereitungen zertrümmerte, der Herr Sohn war wieder zum Herrn Leutnant geworden, Fietsch mußte die erst halb fertige Wäsche der niedergeschlagenen Mutter zurückgeben und des wackeren Miaulis Schifflein saß fest auf der Sandbank des widrigsten Schicksals.

Es ist nämlich im Lande, wo die Talmühle belegen, nach welcher die Humoristen heute wanderten, ein Gesetz, welches zum allerhöchsten Konsense in die Verheiratung eines Subaltern-Offiziers, bis zum Hauptmann ausschließlich, den Nachweis eines freien Einkommens von jährlich sechshundert Talern noch außer dem Traktamente des Bräutigams erfordert und jedem liebeschmachtenden Leutnantsherzen Hymens Paradiespförtlein ohne weiteres vor der Nase zuschließt, dafern sothanes Einkommen nicht entweder abseiten seiner oder abseiten der Braut nachgewiesen werden kann.

Nicht mehr als recht und billig! – sagte der Justizamtmann. – Wenn die Herren von der Klinge sind ein eigenes Völklein, dünken sich besser und vornehmer als andere Leute, müssen also auch mehr aufgehen lassen, Bediente halten, wo andere die Sache selber verrichten, Schande halber Wein trinken, wenn sie auch den Katzenjammer davontragen und lieber ein Glas Bier haben möchten wie unsereiner, der Modegöttin den Schleppschweif nachtragen und dergleichen. Dazu gehört Geld, das der Herr Leutnant dir leb' ich, Herr Leutnant dir sterb' ich, als solcher nicht hat. Würde er nun eine heiraten, die eben so viel hat als er, das heißt, gar nichts, so würden beide nur die Bedürfnisse vermehren, ohne Möglichkeit, sie zu befriedigen, dadurch bald die drückende Schmach der Zurücksetzung, der Verachtung, mit der Verachtung des einzelnen würde aber auch nach und nach die Erniedrigung des ganzen, eines Standes, dessen Pfeiler die Ehre sein muß, herbeigeführt werden. Darum ist jenes Gesetz um so mehr ein weises, als ohne dasselbe jugendlicher Leichtsinn Scharen von Unglücklichen machen würde, sintemal die Zahl liebender Leutnants in jedem wohl eingerichteten Staate Legion ist. – Denn was kann man von einem verliebten Leutnant großes im Stoizismus und in Tötung des Fleisches und seiner Begierden, was für Mädchenstandhaftigkeit vor glänzender Uniform erwarten! Dabei aber streichelte sich Vater Kleeborn lächelnd und wohlgefällig das stattliche Bäuchlein. Denn mit Freund Blumenfeld und seinem Nandchen war es ja eine ganz andere Sache. Hatte auch der Freier nichts als seinen Degen, seine Ehre, sein redliches Herz, seine unverwüstliche frohe Laune, so hatte er, der Vater, dagegen Mosen und die Propheten und konnte dem Gesetze genügen. Er rechnete so: Nandchen zwölftausend Taler, von denen sie, wenn Blumenfeld Hauptmann geworden, sechstausend den anderen Geschwistern und der Mutter zurückgibt, weil sie bis dahin doch auch die Zinsen dieser sechstausend Taler gezogen, Fietsch sechstausend, die Mutter sechstausend, fazit vierundzwanzigtausend; das wird gehen, und dann bliebe auch noch etwas für die Buben übrig, die bei der kostbaren Erziehung eigentlich gar nichts zu erben brauchten, da sie das Ihrige dahin haben und sich selbst fortzuhelfen imstande, wenn sie fertig sind, das heißt, nach vollendeten Studien und überstandenen Probejahren, von denen die jungen Themispriester, die gern gleich von der Akademie aus Präsidenten sein möchten, freilich zu sagen pflegen: sie gefallen uns nicht, in welches Seufzen die Väter getreulich und zwar mit besserem Fuge einstimmen. Darum hielt er Rat mit seiner freundlichen Baucis, die den braunen Krauskopf mit den seelenvollen schmeichelnden Augen und dem zierlichen, anständigen, jovialen Wesen von Anfang an gar wohl leiden mögen und der die Aussicht auf die glückliche Last der Ausstattung-Besorgung und der Hochzeit-Ausrichtung – denn das alles lag auf ihr und sollte dem Hause Ehre machen – fast ebenso beseligend erschien als die Aussicht in die glückliche Zukunft des geliebten Kindes. Das Resultat der ehelichen Konferenz war daher ein freudiges Ja und der elterliche Segen. Das war ein Jubel! Nandchen, das sonst so stille, sachte Nandchen, sprang und hüpfte in namenloser Wonne, die humoristischen Brüder und Schwestern schickten sich an, auf die Hochzeitbraten und Kuchen zu hungern, gute Schwänke und Possen zu ersinnen, mit denen das Fest und der bekannte Firnewein des Justizamtmanns gewürzt werden sollte, und es gab gar keine glücklicheren Menschen auf Erden, als, wie schon gesagt, das heimtückische Schicksal grausam drein schlug und die üppigen Saaten der Freude vernichtete. Der Bankier in Berlin, dem der Justizamtmann den größten Teil seines Vermögens anvertraut, war ein Betrüger, machte Bankerott, und zwanzigtausend Taler gingen unwiederbringlich verloren. – Das veränderte die Rechnung. Denn, blieben auch dem Justizamtmann vielleicht noch ein paar tausend Taler übrig, so konnten davon auf Nandchen, wenn auch auf die Brüder gar keine Rücksicht genommen wurde, kaum so viel Hunderte kommen, als Tausende vonnöten waren. Und das Gesetz zu hintergehen mit lügenhafter Täuschung, dazu dachte der alte Staatsdiener viel zu bieder und ehrlich. Ihm war zwar nicht unbekannt, welche Vorspiegelungen und Scheinnachweise man sich in Fällen dieser Art hier und da erlaubt, wie Geldpapiere, Dokumente, auch wohl bare Summen von irgendeinem dienstfertigen Sohne Israels gegen guten Lohn für die Stunde der Legitimation erborgt werden, und der Jude unten an der Treppe, die zum Gerichtszimmer führt, wo der Landesherr soeben hintergangen worden, auf die Rückgabe des vorgezeigten Anvertrauten lauert; aber dergleichen Trug war ihm ein Greuel, und er konnte und wollte damit das Glück seines Kindes nimmermehr erkaufen. Wäre es denn auch ein Glück? – sprach er zu den Jammernden. – Ihr alle kennt meine Grundsätze. Ihr alle wißt, was ein Subalternenoffizierpaar ist, das sein Hauswesen auf das Diensteinkommen des Mannes beschränken muß. Mit bitteren Reuetränen wird nach kurzen Flitterwochen das Band des Leichtsinns benetzt. Arbeiten, nähen, Putz machen für Fremde um Geld und Lohn, das darf die Frau nicht, wenn sie auch gern wollte und könnte, das erlaubt ihr das Vorurteil ihres Standes nicht. Was bleibt also übrig als Mangel und Verachtung, die mit den Eltern bald auch unschuldige Kinder teilen. Und dieser Mangel, diese Verachtung, dieser innere Vorwurf bei dem Anblicke der Unschuldigen kann wahrlich kein Kitt der Liebe sein. Bald verkörpert sich der selige ätherische Traum zur erbärmlichsten prosaischen Wirklichkeit. Der Druck der Dürftigkeit, des steigenden Elendes erschlafft ein Band, das jugendlicher Enthusiasmus und Übereilung für die Ewigkeit zu knüpfen gewähnt. Kummer bleicht die Wangen der Frau, Grimm und Verzweiflung ergreift den Mann, und zwei Leben zum wenigsten sind verpfuscht und gemordet, die ohne die heillose Verbindung glücklich gewesen sein würden. Wolltet Ihr wohl, Ihr armen vom Schicksale Getäuschten, Euch in die Nacht dieses Todes versenken?

Mit niedergeschlagenen Augen starrte der Leutnant auf den Boden, mit dem Tuche bedeckte Nandchen das verweinte Gesicht. Beide fühlten die Wahrheit der väterlichen Worte, aber das zerrissene Herz lähmte ihnen die Zunge.

Wackerer Kriegsmann! – fuhr endlich nach langer schmerzlicher Pause der Alte fort. – Du hast so oft dem Tode kühn in das grinsende Knochengesicht geschaut, sei auch hier ein Mann, ein Held! Es gilt größerer, höherer Tapferkeit als der, dem feuerspeienden Rachen einer Batterie entgegenzustürmen. Herr Leutnant, – bat er mit wankender, wehmütiger Stimme – beißen sie in den saueren Apfel, schauen Sie um sich nach den Töchtern des Landes. Eine andere wird die Wunde heilen mit ihrer Liebe, mit ihrem Golde! Entsagen Sie meinem armen Kinde! Es muß sein! Gott weiß es, wie gern ich Sie zum Schwiegersohne gehabt, aber unser Vater im Himmel will nicht. Flechten Sie auch dieses Kräutlein Muß in den Kranz Ihres Lebens. Sein bitterer Duft möge das süße Arom der Blumen würzen, die ihnen die Zukunft darein winden soll, daß es nicht schal und ekelhaft werde. Gehen sie dem schwachen Mädchen mit gutem Beispiele voran – entsagen Sie!

Düster blickte der Leutnant auf den Vater und nach der still weinenden Geliebten. Es muß sein! – endete der Justizamtmann mit festem Tone. – Sie waren ein Freund meines Hauses, – setzte er bedeutsam hinzu, indem er herzlich seine Hand ergriff, – bleiben Sie es auch ferner – auch wenn Sie nicht mehr – Er wollte sagen: hineinkommen, aber die Stimme verging ihm.

Ich verstehe, – fiel Blumenfeld mit gepreßter Brust ein – ich verstehe! Ich entsage! Nicht meiner Liebe, das glaube nicht, du, meine versprochene Braut, du, mein Nandchen! Denn die ist ewig, wie meine Treue, nur meinen Ansprüchen, die vielleicht zwischen dich und dein besseres Schicksal treten können.

Bravo, Leutnant! – rief der Justizamtmann mit nassen Augen. – Wer hindert uns denn, wenn wir, ich oder Sie, etwa einmal etwas Bedeutendes finden, oder in der Lotterie gewinnen, aus diesem klagenden Moll wieder in das fröhliche Dur zu fallen? – Darum Gott vertraut! Wir können, wenn es zu unserem Besten dient, finden und gewinnen, auch wenn wir nicht gesucht oder eingesetzt haben. Ging doch jenem Bauer im Streubusche der Rechen los und schoß einen Hasen.

Datur tertium! murmelte der Leutnant mit einem seelenvollen Blicke zum Himmel und schied von der trostlosen Geliebten und dem freundlichen Familienkreise, in welchem ihm so unaussprechlich wohl gewesen. Auch hielt er Wort und mied von nun an die Schwelle des Hauses, wo sein Paradies geblüht, selbst jedes Zusammentreffen mit Ferdinandinen.

Er ist ein ehrlicher Mann! sagte der Vater.

Ach, wäre er's! – seufzte die Tochter, als schon viele Wochen vergangen waren, in denen sie den Unvergeßlichen kaum dann und wann einmal durch die Fenstergardinen mit seinem Zuge vorbeimarschieren gesehen. – Er schaut nicht einmal herauf nach dem Fenster, – klagte sie in herber Wehmut – er ist nicht einmal auf den Spaziergängen, wo er mich treffen könnte, nicht einmal in der Kirche, wo ich für ihn bete! Er schickt mir nicht einmal ein unschuldiges Vergißmeinnicht! – Ach, armes Herz, du bist betrogen – Leicht ist ihm das Scheiden von der Vermögenlosen geworden! Ja, es ist klar, der elende Mammon war ihm lieber als ich! Ihm galten seine Schwüre, nicht mir! – Aber was willst du denn, Törin! – strafte wieder die kühlere Besinnung. – Was könnte er dir denn sagen und schreiben? – Wäre es redlich von ihm, eine Leidenschaft empfindsam zu nähren, die ja doch zu nichts führen kann? – Allein, so überzeugend auch die Vernunft predigte, das Herz blutete dennoch. Ja, das Herz schien sogar recht zu haben. Die Augen der Liebe sind scharf und durchdringend; was sie hier erspäht, war nicht geeignet, zu trösten. Zitternd und zagend stand Nandchen in unbelauschten Augenblicken vor dem großen Spiegel und fragte ängstlich: Ist sie denn schöner als du? Und in der Überzeugung der Wahrheit seufzte sie dann: Ach! – sie ist wirklich schöner! Und dennoch, wie freundlich gegen dich, die Falsche! Ja, darum ist er nur immer bei dem Major. In Dienstgeschäften! – rief die Vernunft. In Dienstgeschäften – erwiderte die Eifersucht – – bis in die späten Abende? – Und wahrhaftig, Blumenfeld verkehrte seit der Trennung von ihr auffallend im Hause des steinreichen Majors von Schienbein, dessen einziges Kind, die reizende, siebenzehnjährige Rosanna, in ihrer sich entfaltenden Schönheit alle ihre Gespielinnen überstrahlte. Gut und geistvoll war sie auch, das mußte ihr der Neid lassen. Tränen entstürzten der Verlassenen, als ihre treue Magd ihr berichtete, der Herr Leutnant stängele soeben die Nelken im Garten des Herrn Majors, und als sie gestern da gewesen nach Petersilie, habe er mit Fräulein Rosanna die Levkoien begossen und sehr gelacht, dabei aber ganz und gar nicht nach ihrer Herrschaft gefragt. Ja, es ist gewiß, – jammerte Ferdinandine – er hat mich vergessen, meine unendliche Treue, seine Schwüre! Nun fühlte sie sich empört bei jedem freundlichen Worte der früher so zärtlich geliebten Vertrauten, empört, wenn die Alten miteinander im heiteren Zwiesprach ihr Pfeifchen rauchten nach wie vor. Es ist alles schändliche Falschheit! schluchzte sie still für sich, denn sie hielt ihren Schmerz geheim in verschwiegener Brust, um die teueren, ohnedies gebeugten Eltern nicht noch mehr zu betrüben. – Nun waren es vier Monate, daß der Treulose ihr Valet gesagt, nun zogen die verbrüderten Freunde heute zum ersten Male wieder in diesem Jahre zur Talmühle. Daß er nicht mitziehe, fühlte Nandchen schmerzlich. Er durfte ja nicht, weil sie dabei war. Ob er wohl bei dem Zuge drüben sein könne? fragte das klopfende Herz. Nein, – rief die Besonnenheit – denn obschon der Major auch mit Rosannen bei denen drüben ist, so vereinigen sich doch beide Karawanen am Ziele, und boshaft, wenn er auch treulos ist, nein boshaft kann Blumenfeld nicht sein. Dennoch war Nandchen im ganzen Schwarme die stillste. Wer mag das ihr verdenken? Wie ganz anders war es heute als im vorigen Jahr! Damals ging er an ihrer Seite, unter den Frohen der Froheste, fing den Kindern Schmetterlinge und spielte auf der Wiese mit Blindekuh. Damals hatte er das freie Wort der Werbung um sie bei den Eltern noch nicht gewagt, aber alle kannten ihre Liebe, und sie selbst hatten ihrer kein Hehl. Selige Vergangenheit! seufzte Nandchen. Verstohlen pflückte sie auf dem Wege die gelben, mit Aurora getüpften Immortellen, die man Katzenpfötchen nennt, und wand sie mit dem rankenden Lykopodienkraute zum Kranze. Aber sie warf den Kranz weg, denn er war kraft- und duftlos. Die Blumen der Ewigkeit, die Immortellen, – lispelte sie den weggeworfenen nach – riechen nicht! Herziger bist du, mein demütiges Veilchen! Blume des Frühlings, der vergänglichen Jugend, bald dahin welkend, oft zertreten von täppischen Füßen, du labest die Seele! – Bist du auch dahin, die Erinnerung an dich, an den kurzen Frühling, an die verblühte Jugend ist noch süß und erquickend! Du bist mein Liebling! Weg mit den prunkenden Immortellen!

Rotte Korah, Dathan und Abiram, – rief der Magister mit Stentorstimme, daß der Wald dröhnte und der Grünspecht scheu und erschrocken von der Fichte aufflog, – hörst du es rumpeln? – Die Baßgeige, die Baßgeige! jauchzten die Kinder. Und die Nase, – lächelte der Magister – die dort der Bergrücken hat? – Das ist die Feueresse der Mühle, jubelten alle – die hinter dem Berge im Grünen steckt. O nun sind wir ja bald da! Und siehst du nicht, – bemerkte der kleine Pastor-Emil zu Vater Eheu – wie es aus der Bergnase sich blaulich und durchsichtig herauswindet wie zarte Wölklein? – Das ist der Kaffeerauch! – antwortete der Vater. – Und die Krebse kommen gar nicht in den Himmel und werden auch erst des Abends gekocht. Seht, – rief die Kommerzienrätin – da sitzt die Marie mit dem Kinde unter der Eiche! Die anderen sind schon da. Mutig vorwärts! – gebot der Justizamtmann. – Hört Ihr den Bierkrug der Kirchturmuhr da drüben, die drei schlägt? Wir haben zu lange am Graben gesessen. – Und gepredigt, fiel Mutter Kleeborn ein. – Freilich murrte er. – Aber kann man denn zu oft sagen, wie man den Genuß der Gegenwart verschmähen muß, um sich die Zukunft zu würzen? Laß die anderen da sein. Kommen doch auch wir noch nicht zu spät. Und wirklich begann nun der Zug um den Hügel, der den Sehnenden das freundliche Tal verborgen. Da lachte es ihnen nun entgegen – ach, so einladend, so kühl, so duftig. Der Teich schimmerte hervor aus den dickbelaubten dunkeln Erlen. Nun waren sie an der Mühle und schauten von der sanften Anhöhe hinab in den Rasengarten hinter dem Gewerke, wo auf dem grünen Teppich der lange Kaffeetisch, schon gedeckt mit den stattlichen rot- und weißgeblumten Festservietten der Müllerin, prangte. Nun wurden sie von den anderen, die im bunten Gewimmel schon im Garten herumschwärmten, erblickt und mit Tücherschwenken und jauchzendem Willkommen begrüßt, den ihr eigenes lautes Hurra erwiderte. Nun rumpelte die Baßgeige, nun kratzten die Fiedeln, nun meckerten die Klarinetten, nun krächzte die Trompete zweifelhafte Gewalttöne, und das Gerumple, das Kratzen, das Meckern, das Krächzen schmolz zusammen in einen konfusen Tusch, dem man den guten Willen anhörte, wenn auch nicht die Kunst, und der dem jovialen Du Bois Lachtränen auspreßte. Professor Kilian aber langte zierlich die Prise aus dem Achatdöschen, führte sie mit geschmackvoller Armschwingung zur Nase und lispelte, daß die unanständigen Laute der Bierfiedler-Tuba sein ästhetisches Gefühl verletzten und in Gegenwart zarter Frauen nicht geduldet werden sollten.

Doch was ist Ferdinandinen? Warum wechselt auf ihren Wangen Feuerglut mit Todesblässe? Warum hält sie sich wankend an die Mutter, daß sie, die Zitternde, nicht falle? – Ach, was sie erblickt, hat den Sturm widerstreitender Empfindungen in ihrem Innern erregt. Glänzten nicht drüben im Gewimmel des Mühlgartens zwei Uniformen? – Eine ist der Major, und die andere? – Wäre es möglich? – Ist er es wirklich, der Geliebte, der Treulose, der Ersehnte, der Gefürchtete? – Ja, er ist es. Davon überzeugte sie sich, als nun beide Karawanen zusammenflossen in ein einziges fröhliches Chaos, als er nun zwar fern sich hielt, aber sein innig zärtlicher Gruß ihr Auge traf, daß es, wie vom Blitze gerührt, den Blick zur Erde schlug.

Ei, ei! – murmelte der Justizamtmann, in unmutiger Überraschung, und, auf den Leutnant zeigend, zum Major. – Warum habt Ihr mir das getan, warum das Unkraut unter den Weizen gesäet, den Sauerteig gemischt in die Bäcke der süßen Brote?

Warum? – antwortete der Major und zündete behaglich die Pfeife an. – Seid Ihr denn wirklich solch ein Fremdling in Israel, Amice? Oder verstellt Ihr Euch nur? – Schaut dorthin in das verklärte Gesicht meines Rosannchens. Nun, merkt Ihr noch nichts? – Und seht Ihr nicht, was sie hier im Körbchen mitgebracht? – Er nahm das auf dem Tische stehende und öffnete es. – Einen ganzen Blumengarten, ein ganzes Treibhaus! Seht! Orangenblüten, id est, das Symbolum des Vollgenusses, Heliotropium peruvianum, Reseda, Lathyrus odoratus, Jasminum Sambac, bedeutend stille Freuden, die das Herz laben, Zentifolien, Lychnis chalcedonica, Hibiscus, Rosa sinensis flore pleno coccineo – nun, was darunter, unter dem sanften Erröten jener, unter der Feuerglut dieser zu verstehen, das weiß ja wohl ein jeder, wenn er auch im ganzen Leben keinen Selam gebunden. Hier zwei Nelken von der Sorte, die man Grenoble nennt, rot und weiß, und welche sagen: Unschuld und Liebe, aber es ungewiß lassen, welches von beiden die Grund- und Hauptfarbe sei. Nun – dieses zarte, weiße Cynoglossum linifolium behauptet die Unschuld. Und diese Vergißmeinnicht, diese Zyanen mit dem sanften Himmelblau und dem dunkeln Azur, deuten sie nicht auf Treue und Beständigkeit? – Und spreche ich nicht empfindsam wie eine Romanenratte? Merkt Ihr noch nichts?

Betroffen und ungeduldig wußte der Justizamtmann nichts weiter zu stammeln als: rückt deutlicher heraus mit der Sprache, drückt ab die Büchse!

Nun, wenn Euch das alles noch nicht deutlich ist, – fuhr der Major lächelnd fort – so schaut doch nur auf die Unzahl der Myrtenzweiglein hier im Grunde des Körbchens und auf die veilchenblaue Seide, deren beiderseitige Bedeutung ja, mein Gott, jedes Kind kennt! Ein Verlobungskranz soll das werden!

Ein Verlobungskranz? fragte der Justizamtmann erstaunt, und Ferdinandine, die hinter dem Vater gestanden und jedes Wort erlauscht, taumelte nieder zu den Kindern, die vierblätterigen Klee suchten, und weinte ungesehen bittere Tränen.

Und die Ingredienzen – setzte der Justizamtmann empfindlich hinzu – hat das Fräulein selber mitgebracht.

Selber, selber, – erwiderte der Major – und sie wird auch selber den Kranz winden nach dem Kaffee.

Scharmant! – fiel der Justizamtmann ein. – Und das alles soll heute hier, in unserer Mühle passieren?

Sapperment! – polterte der Major. – Freilich heute, und wenn auch nicht gerade in der Mühle, doch bei der Mühle, hier im Grünen, Denn wo in aller Welt mag es sich fröhlicher verloben als unter Gottes freiem Himmel, in der schönen Natur, im Kreise redlicher Freunde!

Nun, so gratuliere ich! rief der Justizamtmann mit nicht mehr unterdrücktem Unwillen.

Danke, danke! – entgegnete der Major. – Gleichfalls, gleichfalls!

Verstimmt, teils durch das Unzarte des alten, sonst so bewährten feinfühlenden Freundes, der gerade heute und hier ein Fest zu feiern im Sinne hatte, das das Herz seines armen Kindes brechen und das gehoffte Vergnügen vergällen mußte, teils durch andere Gefühle, die schmerzlich in seinem Innern erwachten, saß der Justizamtmann da und rauchte still, tief versunken in wehmütige Gedanken. Der Kommerzienrat stritt sich ergötzlichst mit der Frau Pastorin, die dabei stehenblieb, daß man im Deutschen schlechterdings nicht sagen müsse: Musikdilettant, denn das sei kein Deutsch, sondern Klangvergnügling, nicht Balkon, sondern Trompetergang, nicht Allee, sondern Baumschnurweg. Umsonst! – der Sinnende hörte es nicht! Vergebens erzählte der Irrenhausinspektor vom General Suwarow in seinem Hause, der, wie der rechte einst tat, als er den Aufbruch seiner Armee befohlen, wenn der Hahn sein Kikiriki rufe, richtig jeden Tag den Morgen auskrähe und nur mit Mühe abgehalten werden könne, das heimliche Gemach im Hofe zu stürmen, das er für die Festung Oczakow halte! Vergebens hatte der Registrator die Baumleiter benutzt und war auf einen Birnbaum gestiegen, von wo er Possen herab predigte. Vergebens rief der Proviantmeister ihm zu: Ei, ei, wie mag ein ehrbarer Registrator bei einem hohen Landes-Kollegio solche ärgerliche Allotria treiben! Herunter mit Euch, Ihr Gauch! Laßt den Pastor hinauf und uns etwas vorweinen und heulen zu erklecklichem Lachen! Oder meinet Ihr, Ihr wäret ein Humorist, weil Ihr gabelbeinig und mager seid, oder weil Euch Gott mit bedeutend breitem Maule begabt? O mitnichten! Ihr seid ein Amphibium, schwebt mitten inne zwischen verspottetem erdachten Elende und wirklichem. Wollt Ihr zu den Landtieren gehören, so meckert wie ein Ziegenbock; reizt Euch das Reich der Luft oder des Wassers, so nehmt Euch die Ente zum Muster oder den Frosch. Denn die Ente ist ein humoristisches Vieh, item der Frosch und der Geisbock. Dem Justizamtmann rauschte das alles unverständlich an den Ohren vorüber. Er wünschte sich zurück an seinen einsamen Aktentisch. Es schwärmte vor ihm vorbei im bunten Gewirre, er sah nur den Leutnant, wie er um die anderen Mädchen, um Rosannen flatterte, nur sein unglückliches Kind, wie sie auf dem grünen Rasenteppich saß und mit den Kleinen spielte. Verwünschter Mammon, – schalt er vor sich hin, – du bist doch nicht so verächtlich, wie ich sonst gemeint! Ohne dich, wie unschmackhaft heute mir und den armen Meinigen die schöne Gotteswelt! Mit dir – wie lachend! Aber ohne dich auch Redlichkeit und Treue! Mit dir Falschheit, Trug und Täuschung! Daß der Leutnant seine erste Liebe so bald vergessen können, das war ihm weniger schmerzlich – denn es mußte ja doch sein – als das auffallend egoistische, hinterrückische Benehmen eines Mannes, den er immer für bieder und für seinen Freund gehalten. Nicht ein Wort, nicht eine Anspielung in bezug auf die Sache hatte er fallen lassen, und nun brach er so plötzlich, so unerwartet damit hervor. Das ist die Frechheit und der Triumph des Geldsackes! murrte er hinein in seine blauen, wirbelnden Tabakwolken. – Hol' ihn der Henker!

Aber nun kam der Kaffee, nun die Frauen, die ihn besorgt und sich bis jetzt wenig um die Gesellschaft kümmern können. Nun wurden die weißen Schüsseln mit den Kuchen aufgedeckt. Nun spielten die Musikanten, die sich auf der Estrade des Teichdammes unter den Erlen etabliert. Und so allmächtig ist der Zauber der Töne, so allmächtig auch schlechte Musik, die immer besser als gar keine ist, daß selbst die kummervollste Brust dadurch milder gestimmt wird. Auch Nandchen, das verlassene Nandchen, fühlte sich erleichtert, auch das mitleidende Vaterherz, und so niederträchtig auch das Andante grazioso war, das mit zärtlichem Tremulieren der erste Geiger, der Lendenlahme, vortrug und in welchem der Hornbläser sogar mehre, freilich zur Tonart nicht gehörige Triller hervorbrachte, so lautete es ihm doch fast wie die tröstliche Melodie: was Gott tut, das ist wohl getan, und er konnte der freundlichen Gattin, die besorgt ihn angeschaut, doch nicht zu fragen gewagt hatte, wieder ein ziemlich heiteres Gesicht zeigen. Nur das Benehmen des Leutnants, der fern am anderen Seitenflügel des Tisches beim Major saß, fing nun an, ihm unklar zu werden. Was hat er denn – sprach er zu sich selber – immer so herüber zu blicken nach uns, als ob er gar nicht von uns los kommen könne? Warum zittert die Tasse in seiner Hand? Warum hat er das Stück Kuchen auf die Erde fallen lassen, das nun der Hund frißt, der freilich auch ein Vergnügen haben will? – Nun – gab er sich zur Antwort – das ist das böse Gewissen, das Andenken an das Gute, das er in unserem Hause genossen. Darum hat er auch den Robert und Fietsch so abgeherzt, die er, ich sollte es freilich nicht sehen, aber ich sah es doch, unten beim Rade zwischen den Sträuchern aufgefangen. Mag es sein, was es will! Wohl dem, der frei von Vorwurf ist und Schuld! Die Zukunft, seines Lebens ernste Grenze, die dunkle Nemesis, – sie schreckt ihn nicht!

Corpus juris, – rief der Doktor dem Sinnenden zu – wo habt Ihr die Gedanken! Wahrscheinlich wieder in der Büttelei bei dem malitiösen Inquisiten, der zur Verkürzung seiner einsamen Muße das scharmante Gedicht auf die Advokaten mit Kohle an die Wand geschrieben? – Laßt den Kerl im Treibhause der Gerechtigkeit dem Galgen entgegenreifen und bedenkt, daß hier nicht Zeit und Ort ist, zu spintisieren, sondern zu essen und zu trinken und zu lachen! Auch wird gleich das Schelmenlied gesungen werden. Wirklich öffnete sich soeben nach jedesmaligem Brauche, wenn die Gäste beim Kaffee saßen, das runde Fensterlein in der Mauer des Mühlgehwerks, neben dem Rade. Der wohlbekannte Kopf des jovialen Müllers steckte sich heraus mit der weißen, spitz in die Höhe stehenden Schlafmütze und sang das lächerlich satirische Lob seiner Zunft, wo jeder Vers sich mit den Worten endet: der Müller, Mahler, Müller ist – ein Sche– – Sche– – schöner Mann.

Die Kinder aber fielen jubelnd im Chorus ein: ein Schelm, ein Schelm, ein Schelm!

Dazu klapperte die Mühle, läutete die Klingel, plätscherte das Rad, und die Musikanten fuhren über die Saiten wie toll. Das war eine Lust! – Auch wurden nun mancherlei andere Lieder gesungen – nichts Neues, immer nur das Alte, das schon vor drei, vier, sechs und mehr Jahren hier immer gesungen worden. Denn gerade dieses Alte vergegenwärtigte die glückliche Vergangenheit. Jeder fühlte sich um so viele Jahre jünger und genoß die damals genossenen Freuden wieder und zugleich mit ihnen die des Augenblickes. Was die neueste Zeit geliefert, hätte, mit wenigen Ausnahmen, in seiner Frivolität nur kaltes Wasser in die freundliche Täuschung gegossen. Ja, Kommerzienrats Minna, die das: Wenn auch die Wolke, aus dem Freischütz, meisterhaft sang, kam mit ihrem Erbieten, dieses Musikstück hier zum besten zu geben, nicht an. Eher den Jungfernkranz, – meinte der Proviantmeister – oder den Jägerchor. Ja, den Jägerchor, – fiel der Major ein, und der Leutnant horchte hoch auf – aber erst nach der Semmelmilch. Denn jetzt haben wir des Guten genug getan, und seht Ihr's nicht, wie es dem jungen Volke in den Beinen zuckt? – Jetzt wartet und winkt die Wiese. Ja, die Wiese, die Wiese! rief alles, und es ging nun über den Damm, zwischen den Erlen- und Haselsträuchen – die Musik vornweg – hinter den Teich, wo sich der weite grüne Spiel- und Tummelplatz bis an das Birkenwäldchen vor den Frohen ausbreitete. Hier wurde nun, wie immer, nach dem Topfe geschlagen, Blindekuh gespielt, mit verbundenen Augen nach dem Ziele gegangen, wobei, wenn der rechte Weg getroffen wurde, die Musik in sanften Wohllauten tönte, im Gegenteile den Warnungsruf: der Kessel brennt, durch schreiende, jämmerliche Mißklänge verkündete. Auch ans Tanzen kam es endlich, auf welches mancher und manche sich ganz absonderlich gespitzt. Rundum flog es im bunten Kreise, und selbst die Alten verschmähten nicht, mitzumachen, so viel ihnen möglich und behaglich. – Aber warum tanzt er nicht? – fragte Nandchen still vor sich. – Warum sitzt er allein auf dem bemooseten Baumwurzel und schaut herüber, als ob er nicht zur Gesellschaft gehöre? – Freilich, sie tanzt ja auch nicht, sie sitzt ja auch allein, dort, an der Grabenerhöhung und windet die mitgebrachten Blumen zum Kranze – nein, es ist kaum glaublich! – zum Kranze für sich selbst, die Falsche, die Heimtückische! – Und wieder lief es ihr heiß die Wangen herab unter dem Strohhute. – Fort in das Getümmel! – ermutigte sie sich, wie die arme, verbannte, zu Boden gedrückte Fanchon. – Fort, laßt die Fiedeln klingen, fort in des Walzers Schwingen, dann wird das Herz mir still! Und sie stürzte sich hinein in den wirbelnden Strudel. Doch ihre Kniee zitterten, ihr Busen flog in unbeschreiblicher Angst – sie mußte aufhören. Denn immer näher und näher rückte ja der schreckliche Augenblick, wo sie Zeugin der Feier eines Bundes sein sollte, der ihr Lebensglück vernichtete. Nun werden sie kommen, – jammerte sie still – mit Prunk es verkünden, die Glücklichen gratulierend nun umstehen. Nun wird der Kranz sie schmücken, er seine Wonne gewaltsam mäßigen – denn gut ist er doch – aus Schonung für die Verlassene! – O Gott, ist es möglich? – Und tanzen sie nicht schon den Großvatertanz?

Sie tanzten ihn wirklich, den Schlußreigen. Denn schon warf die lange, kahle Grenzpappel längeren Schatten auf den Rasenteppich. Schon schlug es im nahen Dorfe sechs! – Der Bote der Müllerin verkündete, daß vorn alles bereitet sei. Dieser, sonst zu neuem Vergnügen ladende Ruf war der Bebenden jetzt das Eulengekrächz ihres Todes, und mit wankenden Schritten folgte sie dem frohen Schwarme, der wieder zurückzog über den Teichdamm nach dem Mühlengarten, wo die frischbackene Semmel schon in der kühlen Milch der mächtigen Steingut-Terrinen weichte. Im bunten Gemische lagerte sich das junge Volk ins Gras, die anderen setzten sich an den Tisch. Jeder bekam sein Näpfchen und labte sich und wußte, was nun Ergötzliches kommen müsse, nämlich – die Maskerade. Denn jedesmal unter der Milch stahl sich heimlich bald der, bald die hinweg in die Mühle, aus welcher dann abenteuerliche Gestalten herauskamen, die sich vor den Überraschten tummelten in allerhand Späßen und Formen. Daß dabei weder auf ängstliche Treue in den Kostümen, noch auf ästhetische Regeln gesehen wurde, versteht sich von selbst. Ein Hemde, über die Kleider gezogen und mit einer weißen Binde gegürtet, genügte, einen Geist, ein umgekehrter Rock, einen Pickelhering zu machen. Am unerschöpflichsten in auffallenden Verkleidungen waren die Frauen und Mädchen, denen die verschiedene und sinnreiche Anwendung der so mannigfaltigen Stücke ihres Anzuges die wunderlichsten und sonderbarsten Darstellungen leicht machte. Und das Signal zu dieser neuen Freude des Tages gab jedesmal der Müller selbst. Auch heute brach er aus der Mühle hervor als greulicher Ruprecht mit verkehrt angezogenem Schafpelze, so daß die Troddeln nach außen hingen, auf dem Kopfe eine Igelhaut, mit gewaltigem Besen in der geschwärzten Faust, um ihn seine Frau, als zimperliche Marzipille herumtrippelnd. Wie die kleinen Vögel den Uhu umschwirren, so umschwärmte die Rotte Korah, Dathan und Abiram den fürchterlichen Popanz neckend mit dem Geschrei: friß mich doch, friß mich doch, hier bin ich ja! und, verfolgt von der Schar, flüchtete der Ruprecht grunzend mit Marzipillen wieder zurück in die Mühle, aus welcher nun ein Zigeunerpaar herauswalzte und sein Wesen trieb. Schäfer und Schäferinnen zogen nach ihnen heraus und plumpe Bauern mit Dreschflegeln, unter ihnen Registrator Kranichbein, als schadenfroher Vogt mit fuchsroter Atzel. Der Jubel war allgemein. Nur Vater Kleeborn fühlte sich wieder unbehaglich und verglich wieder sinnend die Gegenwart mit der Vergangenheit. Und Ferdinandinen besonders erschien dies alles heute zum ersten Male schal und ekelhaft. Ihr scheues Auge forschte nach ihm. Sie sah ihn nirgends. Rosannens Kranz lag fertig auf dem Tische. Wo er nur sein mag? seufzte sie, und ihr Herz schlug stärker. Da umfaßte sie plötzlich Fietsch von hinten und lispelte außer Atem ihr ins Ohr: Nandchen, Nandchen, der Leutnant maskiert sich auch, er sieht schon ganz grün aus, und Matthes und Balzer, die uns immer die Schnepfen und Hasen bringen vom Forstamte, sind auch dabei! Ich habe zur Türe hineingeguckt, aber sie jagten mich fort! – Warte, warte, du kleine Plaudertasche! erscholl es aus der Mühle. Es war der Ruprecht, der mit dem Besen aus dem runden Fensterlein neben dem Rade herüberdrohte nach dem kleinen Wildfange, der erschrocken zur Mutter flüchtete und in diesem sicheren Port hinter ihrem Rücken hervorkicherte und den Ruprecht auszischte. Aber ehe Nandchen noch zur Besinnung gelangen konnte darüber, was das zu bedeuten habe, ertönte von den Hörnern das lustige Jägerlied aus dem Freischützen. Der Major erhob sich mit glänzenden Augen, Rosanna nahm den Kranz vom Tische, und aus der Mühle heraus marschierten vier stattliche Waidmänner, in ihrer Mitte – Blumenfeld in glänzender Jägertracht. Alles fuhr erstaunt auf. Nandchen erblaßte. Es flimmerte vor ihren Augen, denn nun, das sah sie ja, war der entsetzliche Augenblick gekommen. Warum gerade jetzt, warum in dieser Verkleidung – das war ihr ein neues Rätsel. Seine Lösung mit anzusehen, dazu hatte sie nicht die Kraft. Abgewendet, das holde Köpfchen auf den Arm gestützt, der auf der sanften Anhöhe, an welcher sie mit den anderen saß, ruhte, blickte sie zitternd hinab ins Gras. Aber sonderbare Worte, die sie vernahm, schreckten ihre Blicke wieder herauf. Blumenfeld nahte ihrem Vater. Seine Stimme schwankte. So, – sprach er – in dieser Kleidung darf ich doch wieder vor Ihrem Angesichte erscheinen? – So werden Sie mich doch nicht mehr zurückweisen? – Und Rosanna hatte Nandchen hinterrücks umgangen, ihr den Kranz umgeworfen und die aufs höchste Überraschte mit freundlichen Küssen aufgerichtet. Maskerade! – stammelte der Justizamtmann, und alle eilten erstaunt herbei und drängten sich hinzu. – Was soll das? – fuhr er bitter fort, als er Nandchen mit dem Kranze fast ohnmächtig in Rosannens Armen sah und der Major lachend vor ihm stand. – Macht Ihr auch die zur Maske, nolens volens? – Menagiert Euch, sonst kehre ich das Rauhe heraus!

Oh Ihr blinder Zelote! – tremulierte der Major, daß ihm der Bauch wackelte. – Es ist ja keine Maskerade! Es ist ja wirklich! – Ja, mein verehrter Vater, – nahm Blumenfeld wieder das Wort – es ist wirklich, es ist Wahrheit! Hier in diesem Bündel lege ich Ihnen und meiner Liebe das zu Füßen, was mir außer dieser das Teuerste war, den Rock der Ehre, meinen Soldatenrock! Ich bin nicht mehr Soldat. Gestern erhielt ich den Abschied und das königliche Forstamt hier zur Versorgung. Vater, darf ich nun? – Nandchen, darf ich nun? – Das Gefühl erstickte seine Worte. Auch der Justizamtmann, auch die Mutter, auch Nandchen standen und konnten nicht reden – sie begriffen nicht, sie wußten nicht, was mit ihnen vorgehe. Ihr seid etwas schwächlich an Verstand, – nahm der Major das Wort – merke ich, item an Glauben und Zutrauen auf Freundschaft, Männerwort und Treue. Darum will ich Euch unter die Arme greifen und das Verständnis eröffnen. Als Soldat konnte der Leutnant – das wißt Ihr ja – nimmer zu seinem Zwecke gelangen. Das Obstakulum mußte also beseitigt werden. Durch wen anders konnte der arme Seladon zum Ziele gelangen als durch seinen Major, Eueren Freund! Ich setzte daher meine Maschinen in Bewegung. Wenn man Geld, Gönner und ein passables Töchterlein hat, so kann man vieles, wenn man will. Darum glückte mir's auch. Das Ehrenkreuz erster Klasse meines Schützlings und der Kreuzhieb auf dem Arme, der ihn zum Invaliden gemacht, nun Ihr versteht mich ja, taten auch das Ihrige, und so geschah es denn, daß der Blumenfeld, als tüchtiger Waidmann, mit dem Abschiede auch die Forstinspektorstelle erhielt, deren sich kein Oberst schämen würde. Und Euerer eigenen Maxime gemäß hielten wir die Sache geheim, damit Ihr alle Euch um desto mehr freuen solltet, je mehr Ihr Euch vorher hinter den Ohren gekratzt und geseufzt. Glaubt Ihr nun, daß die Stelle, die schöne Wohnung, das Deputat, die achthundert Taler ihren Mann nebst großen und kleinen Appendixen ernähren, so –

Major, Major, – unterbrach ihn der Justizamtmann und reichte ihm mit feuchten Augen die drückende Rechte – Ihr seid – nun, was Ihr seid, das fühlt Ihr ja selber! Und Rosanna hat wirklich den Kranz nicht für sich gewunden? Sie ist also wirklich –

O Sapperment, – polterte der Major ihm in die Rede – macht mich nicht toll mit Euerem Unsinne. Sie wird für sich selber den Brautkranz winden! – Welche abgeschmackte Idee! – Sie hat nicht daran gedacht, ebenso wie der Blumenfeld, der nur schmachtet nach seinem Nandchen, dem er sich ja nicht nahen durfte und auch nicht nahen wollte vor ausgemachter Sache.

Du bist ein ehrlicher Kerl! rief der Justizamtmann gerührt am Halse des wackeren Blumenfeld.

Freilich ist er das, – entgegnete der Major – und alle rechtschaffenen Soldaten, auch die verliebten Leutnants sind es, wenn sie recht und wirklich lieben. Aber – wie wird's denn nun? – Warum stehst du so still und blutrot da, mein schönes Bräutchen, willst immer vorwärts – ich weiß schon, wohin – und kannst nicht? – Nun gut, auch dir will ich helfen und förderlich sein in allen Leibes- und Seelennöten. Ich kommandiere, mit Euerer Erlaubnis, Ihr Alten: Achtung! Marsch! Vorwärts!

Und Nandchen sank in die Arme des Geliebten, und die Eltern herzten und segneten die nun auf ewig Verbundenen, und alle jubelten, und die Kinder hüpften auf einem Beine, und Robert hatte die Leutnantsuniform angezogen, die er stolzierend, so kurz sie auch war, hinter sich herschleifte.

Was nun noch weiter um und neben ihnen vorging, das war meistenteils für das glückliche Paar verloren. Ob nun die köstlichsten Krebse, die ersten frischen Kartoffeln auf der Tafel prangten; ob und wie nun alle in ergötzlichen Possen und Redensarten sich selbst übertrafen; ob und wie die Bierfiedler den schönen grünen Jungfernkranz mißhandelten; was kümmerte das sie? Nur erst, als spät abends die fröhliche Karawane nun vereinigt zurückzog nach der Stadt, und der Vollmond still und mild durch die dunkeln Zweige schaute, wußten sie es, daß sie noch auf Erden wandelten. Ein wehmütiges Gefühl mischte sich in ihr unaussprechliches Glück, das Gefühl, daß auch dieser schöne Tag nun doch unwiederbringlich dahin sei auf immer. Sie blickten Arm in Arm zu dem freundlichen Lichte des Himmels und lispelten unter Küssen: Luna und Endymion! Liebe und Treue – auf ewig!


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