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Am 17. September 1900 schritt ein Herr durch den sinkenden Spätsommerabend auf den breiten Fußsteigen der stillen Helenenstraße dem Hause Nummer 68 zu.

An dem in vornehmer Abgeschiedenheit ruhenden Hause angelangt, versicherte er sich durch einen Blick auf das blanke Messingschild, das nur den Namen »Hans Hansen« trug, daß er an Ort und Stelle, und zog die Glocke.

Ein sauberes Dienstmädchen öffnete und sah den fremden Herrn erwartungsvoll an.

»Ist Herr Hansen zu sprechen?«

»Glaube kaum, mein Herr! Der Herr ist erst vor einer Stunde von einer Reise zurückgekommen. – Frau Leisering,« – wandte sie sich in den Hausflur zurück – »Herr Hansen ist wohl noch nicht zu sprechen?«

»Bitte – sagen Sie – es sei eine Sache von größter Wichtigkeit!« schaltete der Besucher ein.

»Das sagen alle, die den Herrn aufsuchen,« meinte das hübsche Mädchen lächelnd, »Frau Leisering will zufragen –« fügte sie dann hinzu – »treten Sie solange näher.«

Der Ankömmling klopfte den Staub von den Füßen und trat in die freundliche Vordiele, die mit ihrem hellen Fliesenbelag, auf den das Sicht der untergehenden Sonne, durch bunte Glasfenster fallend, leuchtende Farbentöne malte, einen behaglichen Eindruck machte.

Es dauerte nicht lange, so erschien eine rundliche, kleine Dame, das schlichte schwarze Kleid mit einem hellen Teeschürzchen geschmückt, durch eine der Türen, die sie hinter sich offen ließ, und bat den Besucher einzutreten. Aus dem großen Ledersessel am Fenster erhob sich eine mittelgroße, schmale Gestalt mit einem blassen, bartlosen Gesichte, in dem die klugen Augen von unbestimmter Farbe das Auffallendste waren.

Der berühmte Detektiv war zu dieser Zeit ein Mann von etwa vierzig Jahren; er stand auf der Höhe seiner Kraft und seines Könnens.

»Bitte, nehmen Sie Platz,« sagte er freundlich. »Der Verschwundene ist also noch nicht zutage gekommen?«

Der andre sah ihn verblüfft an – »Sie kennen mich?«

»Mein Weg führt mich häufig am Westend-Hotel vorüber, – ich vergesse Physiognomien nicht leicht – Herr Geschäftsführer –?«

»Runge ist mein Name.«

»Also – Herr Runge – bitte.«

»Ich komme im Auftrage meines Chefs, Herr Hansen. Es sind nun fünf Tage her, seit Herr von Guseck verschwunden ist, und die Polizei scheint noch ebenso im dunkeln zu tappen wie am ersten Tage – trotz der verschiedenen Entdeckungen, die sie ja gemacht hat. Da dieser Fall nun der zweite ist, daß aus unserm Hause ein Gast spurlos verschwindet, – Sie erinnern sich vielleicht an den Fall Goldschmidt – der reiche Bankier aus München, der eines Abends das Hotel verließ und nicht wiederkehrte – und dessen Leiche niemals gefunden wurde –«

»Ich erinnere mich vollkommen, Herr Runge! Das war vor fünf Monaten – im April – als ich in Wien mit der Affäre Leman-Beckey zu tun hatte.«

»Jawohl – jawohl, Herr Hansen! Leider waren Sie damals nicht in der Stadt; deshalb meinte mein Chef, diesmal wollten wir nun nicht lange zögern, sondern gleich vor die rechte Schmiede gehen. – Ich weiß nicht, wie weit Sie von dem jetzigen Fall unterrichtet sind –?«

»Wenig, lieber Herr. Ich komme heute erst von Rußland zurück, wo ich ein paar Landsleuten zu einer sicheren Heimreise verhelfen mußte. Habe allerdings hie und da etwas darüber in den Blättern gelesen, aber ich möchte Sie doch bitten, mir die ganze Sache im Zusammenhang vorzutragen.«

Der Geschäftsführer räusperte sich, besann sich ein wenig und begann dann zu erzählen.

»Vor nunmehr vierzehn Tagen bezog der Rittergutsbesitzer von Guseck bei uns ein Zimmer im dritten Stock; in den unteren Etagen war nichts mehr frei, so nahm er mit diesem hochgelegenen Zimmer vorlieb.

»Der Herr verkehrte schon seit mehreren Jahren in unserm Hotel, – ein alter Stammgast! Da ist Herr Reimers, mein Chef, doppelt außer sich, daß ihm dies Unglück passieren mußte.

»Also am Montagmorgen halb elf Uhr kam Herr von Guseck in die Vorhalle herunter, erkundigte sich nach allerhand bei mir und dem Portier und ging dann fort in die Stadt – und seitdem ist er nicht zurückgekommen und hat ihn keiner von uns wiedergesehen!

»Wir haben den peinlichen Vorfall ja so viel wie irgend möglich geheim gehalten – aber wie das so geht! Und nicht zum wenigsten hat die Presse schuld, die in den Blättern alles möglichst breit tritt – genug, das ganze Haus ist alarmiert, und Herr Reimers ist in Verzweiflung. Herr Reimers würde selbst zu Ihnen gekommen sein, Herr Hansen, aber er leidet wieder an seinen rheumatischen Beinschmerzen und darf nicht ausgehen. Da hat er mich geschickt mit der Bitte, Sie möchten ihn morgen aufsuchen und dann die Recherchen in die Hand nehmen. Der Herr von Guseck muß ja doch tot oder lebendig hier irgendwo in der Stadt stecken; auf seinem Gute ist er nicht eingetroffen, er ist Junggeselle, und wir haben an seinen Inspektor depeschiert. Wie sollte er auch abgereist sein, da er doch alle seine Effekten hat bei uns liegen lassen – seine großen und kleinen Koffer nicht einmal gepackt waren. Trotzdem hat die Polizei auf allen Bahnhöfen Erkundigungen eingezogen – es konnte ja ein Fall plötzlicher Geistesgestörtheit vorliegen –, es ist aber keine Spur zu finden gewesen.«

Hansen hatte seinen Gast ruhig sprechen lassen, ohne ihn zu unterbrechen; als der andre jetzt schwieg, fragte er: »Sie sagten, Herr von Guseck habe vor seinem Fortgehen am Montagmorgen mit Ihnen und dem Portier gesprochen? Erinnern Sie sich, wovon die Rede war?«

»Er fragte nach einer Kunsthandlung, da er – wie ich glaube – ein Gemälde zu kaufen beabsichtigte.«

»Sie nannten ihm ein solches Geschäft?«

»Jawohl, ich wies ihn zu Ferdinand Schmidt in der Luisenkreuzstraße.«

»Kannte er den Weg dorthin?«

»Der Portier beschrieb ihm die Straßen, die er zu gehen hatte.«

»Von Ihrem Hotel aus führt wohl der nächste Weg über den Georgsplatz, Bernerstraße, die Hohe Allee entlang und über die Franziusstraße –«

»Jawohl – ganz recht, Herr Hansen!«

»Bitte – erzählen Sie weiter. Wie hielt es der Herr mit seinem Gelde? Hatte er es bei Ihrem Chef deponiert?«

»Nein, Herr Hansen, das ist es ja gerade! Das war eine Eigenheit von ihm, – er trug sein Geld immer in einer Brieftasche mit sich herum – manchmal viele Tausende! Und das wird ihn nun wohl ins Verderben gestürzt haben –«

»Sie glauben, er ist des Geldes wegen beraubt und ermordet –?«

»Ja – das fürchte ich! Nur, meine ich, müßte dann seine Leiche doch schon gefunden sein – nach fast einer Woche!«

»Nun – ich danke Ihnen, Herr Runge. Wann kann ich morgen Ihren Chef sprechen?«

»Wenn es Ihnen angenehm ist – um neun Uhr früh! Herr Reimers möchte gern sobald wie möglich –«

»Ich begreife das – auf morgen denn!«

*

Hansen hatte sein frugales Abendbrot verzehrt, wobei ihm seine langjährige Hausdame, Frau Leisering, Gesellschaft leisten mußte – jetzt machte er es sich in seinem behaglichen Arbeitszimmer bequem.

Er lehnte in einem großen Schreibsessel; vor ihm auf der mit grünem Tuch bezogenen Platte des großen Diplomaten lagen ein ganzer Stapel Tagesblätter, die er sich hatte besorgen lassen; außerdem stand da in funkelnder Kristallkaraffe ein guter alter Burgunder und eine kleine Kiste Havannazigarren.

Sein Platz und die Tischplatte vor ihm bildeten, bestrahlt von der hellbrennenden Studierlampe, eine Lichtinsel in dem großen, dämmerigen Gemache.

Da die Wirtschaftsräume abseits lagen, umgab den Herrn des Hauses tiefe Stille.

Ohne zu ermüden, durchflogen seine Augen eine Spalte der Zeitungen nach der andern; zwischendurch schlürfte er kleine Schlucke des tiefroten Burgunders, und nach und nach bildeten sich zartblaue Dampfnebel um den still Dasitzenden, ihn in wunderlichen Wolkengebilden umschwebend.

Das Haupt-Tagesblatt vom dreizehnten September, also vom zweiten Tage nach dem Verschwinden des Rittergutsbesitzers, tischte seinen Lesern die Neuigkeit unter der Spitzmarke »Spurlos verschwunden« auf:

»Ein rätselhafter Vorfall hat sich dieser Tage in unsrer Stadt zugetragen und ist wohl geeignet, die größte Aufregung hervorzurufen. Seit Montagmorgen ist ein Herr von auswärts, der seit längerer Zeit im Westend-Hotel wohnte, spurlos verschwunden! Er ist eines Morgens ausgegangen – und nicht wieder zurückgekehrt. Das ist am Montag passiert, und erst am Dienstag wurde vom Hotel aus die Polizei benachrichtigt. Durch diese Verzögerung sind die Nachforschungen erheblich erschwert. Wieder einmal das Vertuschungssystem, das nicht genug gerügt werden kann. Man munkelt von einem Duell; der Herr soll Offizier sein.«

14. September.

»Näheres über den verschwundenen Herrn aus dem Westend-Hotel.

»Unser Berichterstatter hat gestern den engeren Schauplatz dieser sensationellen Affäre persönlich aufgesucht und ist von dem Herrn Geschäftsführer des Westend-Hotel freundlichst näher über den interessanten Fall unterrichtet worden. Wir geben den Inhalt seiner Erkundigungen hier kurz wieder.

»Am Montagmorgen halb elf Uhr verließ der Rittergutsbesitzer von Guseck das Hotel und begab sich zu Fuß in die innere Stadt. Er ließ sich vom Herrn Geschäftsführer eine größere Kunsthandlung nennen, in der er Einkäufe zu machen gedachte. In dem genannten Geschäft, das des Herrn Ferdinand Schmidt in der Luisenkreuzstraße, ist er, wie sofortige Recherchen ergeben haben, nicht mehr gewesen.

»Als er am Montag nicht mehr in das Hotel zurückkehrte, auch nicht in der Nacht oder gegen Morgen, wie das bei seinem früheren Aufenthalte im Hotel wohl öfter vorgekommen sein soll, – er auch bis Dienstagmittag nicht wiedergekehrt war, wurde der Geschäftsführer ängstlich. Er erinnerte sich daran, wie viele Raubanfälle in letzter Zeit im Weichbild unsrer Stadt vorgekommen – auch ein Verunglücken des genannten Herrn war nicht ausgeschlossen; er besprach sich mit seinem Chef, der augenblicklich leidend ist, und benachrichtigte die Polizei.

»Eine Umfrage in den Krankenhäusern, Privatkliniken, den Polizeiwachen und so weiter hatte ein negatives Resultat; und ist auch bis jetzt, trotz eifrigen Nachforschens, keine Spur des verschwundenen Herrn zu entdecken gewesen.«

15. September.

»Endlich ein Lichtstrahl ›in Sachen des verschwundenen Herrn von Guseck!‹

»In den Anlagen an der Reesche, die sich bis an das Stadtwäldchen ziehen, hat der Polizeikommissar Hänel, der mit den Recherchen in diesem Falle betraut ist, dicht am Wasser, festgehakt in dem Weidengestrüpp, ein Stöckchen mit schwerem silbernem Knopf gefunden, das als dem Herrn von Guseck gehörig rekognosziert worden ist.

»Allem Anschein nach liegt also ein Raubmord vor. Ein Raubmord am hellen, lichten Tage – noch in den Mauern unstet Stadt – nicht allzu weit von belebten Straßen und Plätzen – kaum eine Viertelstunde vom Westend-Hotel entfernt!

»Die Reesche ist sofort abgesucht worden, doch ist bis jetzt nichts gefunden worden. Da hat sich einmal wieder das Wort bewahrheitet, daß man den Brunnen erst zuzudecken pflegt, wenn das Kind hineingefallen ist.

»Wie oft haben wir auf die Unsicherheit dieser Anlagen hingewiesen und betont, daß es durchaus erforderlich sei, hier mehr Sicherheitsbeamte zu stationieren.

»Noch vor einigen Wochen, bei Gelegenheit des frechen Raubanfalles auf eine alte Dame, hat unser Blatt energisch Protest eingelegt gegen die ganz mangelhaften Zustände jener Gegend. Jetzt gibt dieser neue furchtbare Fall uns recht, und wir können uns nicht wundern, daß der Volksunwille groß ist über die Nachlässigkeit der Sicherheitsbehörden, die diese Greueltat möglich gemacht hat –« und so weiter.

16. September.

»Wir wiederholen kurz die sensationelle Nachricht, die wir gestern abend noch per Extrablatt bekannt gemacht haben: ›Der Mörder des Herrn von Guseck ist verhaftet! Es ist ein wegen Vagabundierens und Bettelns schon mehrfach bestraftes Subjekt namens Scholtz.‹

»Unser Berichterstatter sagt darüber folgendes: Als die Wahrscheinlichkeit eines Raubanfalles in den Anlagen festgestellt worden, richteten sich die Nachforschungen des überaus tätigen Kriminalkommissars Hänel auf einige der Polizei als gefährliche Subjekte bekannte arbeits- und obdachlose Männer. Es wurde in den verschiedenen Verbrecherkneipen und sonstigen Schlupfwinkeln des lichtscheuen Gesindels gespürt und geforscht, – und gelang es Hänel in dem berüchtigten Matrosenkeller am Hafenkai, Hand auf einen Vagabunden zu legen, der durch ungewohntes Geldausgeben Verdacht erweckt hatte, und bei dem man eine wohlgefüllte Geldtasche gesehen haben wollte. Der Mann widersetzte sich seiner Festnehmung so andauernd, daß er nur mit Hilfe einiger herbeigerufener Schutzleute überwältigt werden konnte. Als ihm die Brieftasche abgenommen wurde, behauptete er, dieselbe gefunden zu haben. Auf die Frage, wo das geschehen sein sollte, gab er zunächst an: im Stadtwäldchen. Als ihm dann auf den Kopf zugesagt wurde, er habe sie nicht im Stadtwäldchen gefunden, sondern er habe in den Reescheanlagen bei der großen Esche einen Herrn überfallen, ermordet und beraubt, wurde der Verbrecher leichenblaß und rief beinahe schluchzend: ›Und ich habe sie doch gefunden – ich habe sie gefunden!‹ Er blieb auch noch bei seinem Leugnen, als der Kommissar ihm einen halb abgerissenen Zettel zeigte, der sich in der Brieftasche befunden hatte und folgende Worte enthielt:

– – – Anlagen, mittags ein Uhr
– – – – – – nicht verfehlen.

Aber er rief verzweifelt aus: ›Nun bin ich hin!‹ In der Brieftasche waren noch zwei Zwanzigmarkscheine und in seiner Westentasche fanden sich ein Zehnmarkstück und etliches Silbergeld. Auf Befragen, wo er das übrige Geld gelassen habe, antwortete er nur mit seinem stereotypen: ›Ich weiß nichts, ich habe die Tasche gesunden!‹

»Man recherchiert nun nach dem Verbleib der großen Geldsumme, die Herr von Guseck nachgewiesenermaßen bei sich getragen hat; es ist ein günstiger Zufall, daß der Herr Geschäftsführer R. imstande war anzugeben, wieviel sich in der Brieftasche befunden haben muß. Am Sonntagmorgen, als Herr R. mit dem Herrn von Guseck über irgend etwas Nebensächliches in seinem Bureau verhandelte, sprach dieser die Absicht aus, einmal von seiner Gewohnheit abzugehen und sein Geld im Hotel zu deponieren – da die Summe, die er diesmal bei sich habe, und die er in Hannover zum Ankauf von Reitpferden benötige, fast zwanzigtausend Mark betrage.

»Am nächsten Tage mag er wohl sein Vorhaben vergessen haben, auch Herr R. hat nicht wieder daran gedacht – und so muß dem Mörder eine Beute zugefallen sein, an die er jedenfalls nicht im Traum gedacht hat.

»Es handelt sich nun darum, den Versteck oder den Hehler ausfindig zu machen, wo der Mörder seine Beute untergebracht hat.«

17. September.

Die, ›Affäre Guseck‹ ist doch verwickelter, als es zunächst den Anschein hatte.

»Der obdach- und stellenlose Maurer Scholtz hat ein unzweifelhaftes Alibi beibringen können! Er ist am Montag den zwölften September um neun Uhr morgens in der Kneipe zur ›Blauen Faust‹ gewesen, hat dort mit Gleichgesinnten Schnaps getrunken und hat sodann seinen Rausch an Ort und Stelle ausgeschlafen. Gegen Abend hat ihn der Maurer Türk, der ihn von früher her kannte, mit in seine Wohnung genommen, und dort ist er bis zum Abend des dreizehnten verblieben; an diesem Abend ist er mit Türk durch die Anlagen geschlendert und muß dort, ungesehen von diesem, die Brieftasche aufgenommen haben; dem Türk hat er nichts davon gesagt – vielleicht um seinen Raub nicht teilen zu müssen. Er ist dann mit Türk bis zum ›Toten Huhn‹ am Hafen gegangen, wo sie bis zum andern Mittag gezecht haben, – in demselben Keller, in dem er zwei Tage später verhaftet werden sollte. Daß der Mord aber nicht nach dem Mittage dieses Tages, des vierzehnten, mehr stattgefunden haben kann, beweist die Tatsache, daß schon in den Mittagsstunden des genannten Tages das Stöckchen mit dem silbernen Knopf in den Anlagen aufgefunden worden ist – ganz abgesehen davon, daß es schwer verständlich wäre, wie und weshalb Herr von Guseck in der Zwischenzeit sich versteckt gehalten haben sollte.

»So hüllt denn den sensationellen Fall wieder ein undurchdringliches Dunkel ein.

»Trotz eifrigen Nachforschens ist auch die Leiche des unglücklichen Herrn, falls man an einem Verbrechen festhalten will, noch nicht gefunden. Es kursiert übrigens auch ein Gerücht, von dem wir, seiner Absurdität halber, bislang nicht Notiz genommen haben, – daß Herr von Guseck heimlich abgereist sei – natürlich: cherchez la femme! Aber dem widerspricht die Tatsache, daß seine Brieftasche und sein Spazierstock in den Anlagen gefunden worden sind.«

*

Hansen legte das letzte der Zeitungsblätter zur Seite und lehnte sich in seinen Lehnstuhl zurück.

Er saß unbeweglich, das Haupt zur Brust gesenkt, die Augen starr auf die rötliche Flamme der Lampe geheftet; er war in ein tiefes Grübeln versunken, aus dem er erst erwachte, als eine große Wanduhr mit tiefer, hallender Stimme Mitternacht verkündete.

Leise schob er seinen schweren Sessel zurück, erhob sich und löschte die Lampe.

Er trat an das große Fenster, zog die dichten Zuggardinen zur Seite und öffnete beide Flügel weit, daß ihm die herbe kühle Nachtluft belebend entgegenströmte.

Aufatmend lehnte sich der Detektiv in den Fensterrahmen und strich mit der schmalen Hand wiederholt über Augen und Stirn, als wolle er von sich abtun, was im Dienste seines schweren Berufes dort rastlos grübelt und arbeitet – und damit ist es, als verändere er sich.

Das in seiner Reglosigkeit fast ausdruckslose Gesicht – zu dem für gewöhnlich die lebhaften Augen in seltsamem Kontraste stehen – beginnt sich zu beleben.

Der harte Mann der strafenden Gerechtigkeit – der mit dem nicht fehlenden Instinkt des leidenschaftlichen Jägers sein Opfer verfolgt, mit nie ermüdender Ausdauer einer Spur nachgeht bis zum Ziele – scheint verschwunden.

Drüben über den hochragenden Bäumen des Stadtwäldchens steigt majestätisch die volle, leuchtende Scheibe des Mondes herauf, und ihr bläuliches Licht rieselt über die zitternden Zweige, über die von leichtem Nebel überwallten Rasenflächen und verleiht den Dächern und Giebeln der Villenvorstadt einen fremdartigen Zauber.

Das Mondlicht spiegelt sich auch in Hansens leuchtenden Augen, die entzückt das märchenhaft schöne Bild in sich aufzunehmen scheinen.

Das ist der Hansen, den nur wenige kennen, der da Zwiesprache zu halten scheint mit Geistern, die nur er sieht, der Stimmen hört, die nur zu ihm reden.

Das ist der Hansen, dessen warm empfindendes, weiches Herz nur wenige seinesgleichen kennen, – desto mehr aber die Ausgestoßenen und Elenden, die durch Not und Laster dem Verbrechen zutaumeln und die das Wunder nicht zu fassen vermögen, wie oft plötzlich aus dem Jäger, dem sie nicht zu entrinnen vermocht, ihnen ein Schutzengel erstand, der sich ihrer Not und Schuld erbarmte.

*

Es war gegen Mittag des nächsten Tages, da stieg der Stoßer in der Apotheke zum »Roten Löwen« an der Ecke der Sandstraße und des Georgenplatzes in den Keller, um dort durch eine im Fußboden befindliche Klappe eine verbrauchte Säurelösung in die unter diesem Hause hindurchströmende Reesche zu schütten.

Zwei Minuten darauf kam er stolpernd und rufend die Kellertreppe wieder heraufgestürzt und in das Kontor der Apotheke, wo der Besitzer Doktor Wilhelm Bruns an seinem Schreibpult beschäftigt war.

Der Apotheker war ein Mann am Ende der dreißiger Jahre, eine auffallend große Gestalt von reckenhaftem Aeußern und urgermanischem Typus.

»Mein guter großer Junge,« pflegte ihn seine Mutter zu nennen, die er zu sich genommen, als sein Vater, ein vielbeschäftigter Arzt, gestorben war, und an der er in kindlicher Verehrung hing.

Und etwas Knabenhaftes hing dem blonden Hünen auch wirklich noch immer an. Warmherzig und gutmütig, den guten Dingen dieser Welt zugetan, von einem offenherzigen Egoismus, der in seiner Naivität nicht zu verletzen vermochte, war er im tiefsten Kern seines Wesens von einer ehrenfesten, unbeugsamen Rechtlichkeit und Wahrhaftigkeit.

Er sah erstaunt von seinen Büchern auf, als jetzt die Tür heftig aufgerissen wurde und der Stoßer hereintrat.

Der Mann sah leichenblaß aus und wischte sich wiederholt den Schweiß von der Stirn:

»Herr Doktor – dor unnen in'n Keller liggt'e!«

»Wer liegt da –?«

» – den se so säuket hebben – der Herr aus'n Westend-Hotel!«

Der Doktor Bruns war jetzt fast ebenso blaß wie sein Angestellter; er starrte ihm ungläubig in das Gesicht: –

»Mensch – in unserm Keller?! Sie sind wohl nicht recht – –«

»Ne – in't Water! Ik wull die Säure utschütten – da sah ik em – Gottsdunner – gräsig sah et ut! Gliks unner de Klappe sit'e!«

»Kommen Sie mit!«

Doktor Bruns schloß hastig seine Bücher fort und eilte voran in den Keller; er nahm die Laterne auf, die der Stoßer dort auf der Erde stehen gelassen, und näherte sich zaubernd der offenen Klappe, aus deren dunkler Tiefe man das Strömen des Wassers hörte. Er beugte sich vor und ließ den Lichtschein in das dunkle Loch fallen – da sah er's.

Von dem vorbeischießenden Wasser hin und her geschoben und fest an die Sprossen der kurzen, eisernen Leiter gepreßt, die hier tiefer ins Wasser hineinreichend befestigt ist, – sah er eine Schulter, einen Arm, einen kleinen Teil des Kopfhaares und eine aufgedunsene Gesichtshälfte, grünweiß in der fahlen Beleuchtung.

Doktor Bruns schüttelte sich vor Entsetzen – ein furchtbarer Anblick! Er wandte sich zu dem Stoßer:

»Heinrich, daß Sie mir den Mund halten! Meine Mutter braucht vorläufig nichts davon zu erfahren – es ist ja zu schrecklich!«

Er verließ rasch mit dem Stoßer den Keller, der so viel Unheimliches barg, schloß ihn ab und schickte den Mann sofort nach dem nur zwei Häuser entfernten Westend-Hotel, um den Chef oder den Geschäftsführer herbeizurufen.

Einige Minuten später standen vier Männer im Keller der Apotheke zum »Roten Löwen«. Der Geschäftsführer Runge vom Westend-Hotel, der Detektiv Hansen, der sich dort gerade zur Konferenz befunden, der Apotheker Doktor Bruns und der Stoßer, der zuerst die grausige Entdeckung gemacht.

Man hatte sofort telephonisch die Polizei verständigt und erwartete nun mit Ungeduld die Beamten, um zur Untersuchung der Leiche schreiten zu können.

Hansen hatte sich neben der gähnenden Oeffnung im Kellerfußboden auf die Knie niedergelassen und beleuchtete den grausigen Fund mit seiner hellbrennenden Taschenlampe. Er stellte fest, daß der eine Arm bis zur Schulter sich zwischen die Sprossen der eisernen Leiter eingeklemmt hatte, was zur Folge gehabt, daß der Körper anstatt weitergeschwemmt zu werden, durch die Wucht des rasch strömenden Flusses dagegen gedrückt wurde.

Es wurden Vermutungen und Fragen laut, aber Hansen achtete nicht darauf und gab keine Antwort.

»Nun ist es zu begreifen,« meinte Herr Runge, »daß der Leichnam nicht in der Reesche zutage kam! Wäre er weiter geschwemmt, anstatt hier hängen zu bleiben, müßte er ja längst gefunden worden sein.«

»Es wundert mich nur,« sagte Doktor Bruns nachdenklich, »daß das nicht schon in den Anlagen der Fall gewesen ist – vermutlich ist das Verbrechen doch am hellen Tage begangen worden. Gerade um Mittag herum sind freilich die Anlagen meist ganz menschenleer –«

»Und dann,« unterbrach ihn Runge, »ist doch anzunehmen, daß der Körper zunächst untergegangen ist; er wird erst viel später an die Oberfläche des Wassers gekommen sein. Meinen Sie nicht auch, Herr Hansen?«

Der Detektiv hatte sich erhoben und stand da, gedankenvoll zu Boden starrend; er antwortete nicht, sondern beugte sich noch einmal nieder, den andern dabei den Rücken zuwendend. Anscheinend leuchtete er zum zweiten Male zu dem Toten nieder und stützte sich dabei scheinbar achtlos auf die sandigen Steinfliesen; dabei schloß sich seine Hand blitzschnell um einen kleinen Gegenstand, der den Blicken der andern Herren entgangen war.

Als in diesem Augenblick die erwarteten Gerichtsbeamten eintraten, richtete er sich ruhig auf.

»Ah – Herr Hansen!« rief ihm der dicke Staatsanwalt von Hachingen jovial zu und schüttelte ihm dabei herzlich die Hand, »ich denke, Sie ruhen auf Ihren Lorbeeren – und da finde ich Sie schon wieder auf dem Anstand! Ja, ja! Das ist eben ›unser Hansen!‹ Hier, Amtsgerichtsrat, gratulieren Sie Hansen mal; großartige Leistung in Rußland! Ich sage Ihnen – – na, einfach – das war mal wieder ›Hans Hansen!‹ Diener, Doktor Bruns!« wandte sich der lebhafte Herr an den ihm bekannten Apotheker, »unangenehme Geschichte hier – was?! Na – nun mal an die Gewehre, Kinder!«

Es wurde nun zunächst der Leichnam heraufbefördert und auf dem Steinboden des Kellers niedergelegt; dabei ergab sich, daß beide Taschen des Rockes, den der Ermordete trug, mit Ziegelsteinen beschwert waren.

Der Polizeikommissar notierte die Angaben des Geschäftsführers, der in dem schrecklich gedunsenen Körper unzweifelhaft den verschwundenen Herrn von Guseck erkannte. Der Gerichtsarzt untersuchte den Toten und konstatierte, daß eine Wunde an seinem Körper nicht zu finden sei, nur am Hinterkopfe, an der Stelle, wo das Kleingehirn sitze, eine furchtbar entstellte Beule die Stelle bezeichne, wo der Streich mit ungeheurer Wucht gefallen, der vermutlich den augenblicklichen Tod zur Folge gehabt habe.

Als Mordinstrument bezeichnete der Arzt einen sogenannten Totschläger, jene Gummischläuche mit Bleikugeln gefüllt – eine der gefährlichsten aller Waffenarten.

»Blut ist nicht geflossen bei dieser Verletzung,« schloß er seine Untersuchung.

Jetzt wurden die Taschen des Ermordeten untersucht, in denen sich außer dem Taschentuch, einem Messer und einem Bleistift in silberner Hülse nichts vorfand; ein Portemonnaie war nicht vorhanden, dagegen fehlten weder Uhr noch Ringe an der Leiche.

Darauf wandte sich der Polizeikommissar an den tief erschütterten Apotheker, der sich vergeblich bemühte, ruhig und gelassen zu erscheinen.

»Wie kommt es, daß der Fund erst heute gemacht ist? Ist diese Klappe für gewöhnlich verschlossen?«

»Jawohl, sie ist stets durch einen Riegel verschlossen.«

»Hat dieser Keller noch einen andern Eingang?«

»Nein, nur den einen, durch den wir gekommen sind.«

Der Kommissar wandte sich an den verstört dreinschauenden Stoßer:

»Sie fanden die Leiche?«

»Javoll, Herr Kommissar!«

»Erzählen Sie.«

»Ja – ek wull die Säure hier utschütten, und wie ik die Klappe upböhre, – da sah ik et!«

»Haben Sie oft an dieser Klappe zu tun?«

»Ne, Herr Kommissar!«

»Wann waren Sie zuletzt daran?«

»Och – det mag woll en acht Dage her sein –«

»Und sonst ist niemand dabei gewesen? Ist auch der Keller für gewöhnlich verschlossen?«

»Jawoll – und dor hett niemand anners wat to säuken!«

Der Kommissar stand einen Augenblick in Gedanken versunken; dagegen wandte sich jetzt der Staatsanwalt an den Besitzer der Apotheke:

»Zu welchem Zweck ist diese Leiter angebracht?« sagte er und deutete auf die Sprossen der eisernen Leiter, an denen sich der Leichnam festgehakt hatte und um die jetzt die schwarzen Fluten der Reesche sprudelten, »das muß doch oft vorkommen, daß sich hier allerhand festsetzt?«

»Nicht so leicht, Herr Staatsanwalt. Wenn wirklich mal Zweige oder sonstige Holzteile daran festhaken, so löst der starke Strom sie meist von selbst wieder. Daß die Leiche hier festsaß, konnte nur daher kommen, daß beim Herantreiben der eine Arm und die Schulter zwischen zwei Sprossen gerieten. Gebraucht wird die Leiter nur, wenn der Wasserstand im Hochsommer ein ausnahmsweise niedriger ist und ein entleertes Gefäß gespült werden soll.«

»Die Klappe kann wohl wieder geschlossen werden, Herr Kommissar?«

Er gab dem Stoßer einen Wink, der darauf die schwere Holzklappe einfügte und mittels einer Eisenstange und des Riegels sicherte.

Als der Mann damit fertig war und etwas abseits stehen blieb, trat der stille Herr, der mit dem Geschäftsführer gekommen und den der Herr Staatsanwalt so freundschaftlich begrüßt hatte, auf ihn zu und fragte ihn, wieviel Uhr es sei. Mit einem erstaunten Blick auf die goldene Uhrkette, die jener trug, antwortete der Stoßer: »Ik hebbe keene! Schall ik baben mal tau kiken?«

»Nein – das ist nicht nötig – meine Uhr ist nämlich stehen geblieben. Also Sie haben Ihre vergessen heute – aber sonst tragen Sie sie doch?«

»Ne, Herr! In't Geschäft bringe ik sie doch nie midde!«

»So – so! Es ist eine silberne Uhr, nicht wahr?«

»Ja – – dat is so!«

»Und ganz heil ist sie wohl auch?«

»Jawoll, Herr!«

Der Mann sieht ganz verdutzt aus und betrachtet den Herrn, der so törichte Fragen stellte, mit Blicken, die nicht gerade schmeichelhaft zu nennen waren.

Aber Hansen achtete nicht darauf, er ließ ihn mit kurzem Kopfnicken stehen und wandte sich der Gruppe Herren wieder zu.

Der Kommissar hatte die Leiche fortschaffen lassen nach dem gerichtlichen Totenhause; die erste Untersuchung war beendet, die Herren verließen den Keller und verabschiedeten sich auf dem engen Hausflur voneinander.

Der Geschäftsführer und Hansen waren mit dem Kommissar auf die Straße getreten; es lag nur ein schmales Gebäude zwischen der Apotheke und dem Westend-Hotel.

Der Kommissar, der die paar Schritte mit den beiden Herren gemacht hatte und den Moment benutzt hatte, Hansens Ansicht über den vorliegenden Fall einzuholen, denn er hatte einen unbegrenzten Respekt vor dem berühmten Geheimpolizisten, – sah endlich ein, daß dies ein vergebliches Bemühen war, und verabschiedete sich.

In dem behaglich ausgestatteten Privatzimmer des Westend-Hotel hatte der jetzige Besitzer, Herr Reimers, voller Ungeduld die beiden Herren erwartet; nun sie bei ihm eintraten, überschüttete er sie mit Fragen, die freilich nur von Herrn Runge beantwortet wurden.

Hansen saß in sich zusammengekrümmt in einem Lehnstuhl; er hatte die Hand über die Augen gedeckt, man konnte glauben, er schliefe.

»Mein Gott, Herr Hansen,« wendete sich der aufgeregte kleine Mann endlich direkt an den stumm Dasitzenden, »wie schrecklich ist das alles! Ich bin nur froh, daß der Mord nicht im Hotel selbst geschehen ist, das wäre noch ungleich unheilvoller für unser Haus. – Sie haben sich die Mordstelle doch schon angesehen? Ihnen wird die löbliche Polizei sie wohl verraten haben. Ich höre, sie soll sonst äußerst geheimnisvoll damit sein. Es ist freilich wahr – wüßten die Leute erst genau, an welcher Stelle die grausige Tat begangen ist, würden bald die ganzen schönen Grasflächen und Farnanlagen an der Reesche vertrampelt sein! Die Leute pilgern ja so schon in hellen Scharen in die Anlagen, nur um von ferne die Uferböschungen anzustarren und sich vermutlich der gruseligen Hoffnung hinzugeben, ›etwas‹ zu entdecken.«

Der kleine Herr humpelte aufgeregt im Zimmer hin und her; er war sehr korpulent, und sein bartloses, rundes Gesicht strahlte in einem lebhaften Rot, woran zum Teil die Erregung, zum Teil wohl auch die Flasche Rotspohn die Schuld tragen mochte, die fast geleert auf dem Tische stand.

»Das sind Menschen – Menschen!« rief er klagend und rieb mit seinem weißen Foulard die ausgedehnte Glatze, die nur von einem schüchternen Rändchen krauser blonder Haare umgeben war, – »der süße Mob! Na – aber Sie waren doch sicher auch an der Mordstelle?«

»Nein – noch nicht.«

»Noch nicht? Nanu? Ich dächte doch, das müßte von größtem Interesse für Sie sein? Die Polizei soll ja freilich alles untersucht und festgestellt haben – Fußspuren in Gips ausgegossen und so weiter. Nur den Mann selbst – den Mörder – den kriegen sie nicht! Aber daß Sie sich die Stelle noch nicht angesehen haben –«

»Verzeihen Sie, Herr Reimers, ich habe mich schlecht ausgedrückt! In den Anlagen war ich natürlich, habe mir auch genau die Stelle angesehen, wo das Stöckchen gefunden wurde – aber an der Mordstelle war ich deshalb doch nicht –«

»Das heißt –«

»Das heißt, daß der Mord nicht in den Anlagen geschehen ist.«

Der kleine Herr Reimers stockte plötzlich in seinem Hin- und Herhumpeln und wedelte aufgeregt mit seinem Foulard in der Luft umher, er hatte den runden Kopf vorgeschoben und starrte Hansen aus seinen vorstehenden Augen erstaunt an. »Aber, bester Herr,« sprudelte er eifrig hervor, »wie wollen Sie das denn behaupten? Ich meine doch, da kann kein Zweifel sein –«

»Mein lieber Herr Reimers,« unterbrach ihn Hansen aufstehend, »ich möchte Sie um etwas bitten! Gedulden Sie sich ein paar Tage! Es ist mein Prinzip, mich während einer Untersuchung nicht viel zu äußern, auch möchte ich Sie und Herrn Runge ersuchen, andern Leuten gegenüber soviel als tunlich über diese erneute private Untersuchung zu schweigen – Sie würden mir meine Aufgabe dadurch wesentlich erleichtern. Darf ich nun das Zimmer des Herrn von Guseck sehen?« wandte er sich an den Geschäftsführer.

»Jawohl, Herr Hansen, kommen Sie, ich führe Sie hinauf. Der Polizeikommissar war natürlich auch schon dort, hat aber, wie er sagte, nichts gefunden.«

Er nahm einen Schlüssel vom Bört und geleitete den Detektiv über den Flur zum Lift.

Während sie zum dritten Stock hinauf fuhren, bewahrten sie Stillschweigen, und erst als sie vor dem an einem entfernten Korridor gelegenen Zimmer Nummer 64 angelangt waren und Runge die Tür geöffnet hatte, sagte Hansen halblaut: »Ich danke Ihnen, ich möchte jetzt allein bleiben. Ich werde den Schlüssel unten bei Ihnen abliefern.«

Der Geschäftsführer war gegangen, und Hansen hatte die Tür hinter sich zugezogen; einige Augenblicke blieb er ruhig auf der Schwelle stehen und ließ seine Blicke in dem ziemlich großen Gemache umherschweifen.

Es war noch in demselben Zustande, in dem sein Bewohner es vor sechs Tagen verlassen hatte.

Hansen ging auf den Tisch zu, der, mit einer roten Plüschdecke behangen, vor dem Sofa stand; er war mit allerhand Utensilien bedeckt, wie ein Reisender sie aus der Hand legt.

Ein Kursbuch, Handschuhe, ein Opernglas, Reiselektüre, verschiedene Zeitungen und Witzblätter.

Hansen nahm einen Gegenstand nach dem andern zur Hand, betrachtete sie aufmerksam und legte sie wieder hin.

Auch die Zeitungen faltete er auseinander, und da fiel ihm etwas auf; in dem Inseratenteile des einen Blattes klaffte eine Lücke, hier war augenscheinlich eine Annonce herausgeschnitten. Sorgfältig legte der Detektiv das Blatt zusammen und schob es in die Brusttasche. Einige Kleidungsstücke, die im Schranke hingen, ergaben trotz peinlichster Untersuchung nichts.

Der Koffer des Ermordeten sowie seine Handtasche waren von der Polizei untersucht und die Schlüssel beschlagnahmt worden. Hansen hatte mit ihnen nichts zu tun; er wußte durch den Kriminalkommissar Hänel, daß sich nichts in ihnen gefunden hatte, das geeignet gewesen wäre, Licht in die rätselhafte Angelegenheit zu bringen.

Plötzlich stutzte der Detektiv und hob lauschend den Kopf; draußen auf dem Gange schlich sich jemand bis dicht an die Tür, dann ward es stille; der Jemand draußen im Korridor war stehen geblieben, vermutlich mit dem Auge am Schlüsselloch.

Hansen tat, als habe er nichts bemerkt, er öffnete und schloß eine Kommodenlade, die vollständig leer war, er drehte laut den Schlüssel im Kleiderschrank – und war plötzlich mit einem lautlosen Satz an der Tür und riß sie auf. Aber der Lauscher war noch flinker gewesen wie er – im dämmerigen Korridor huschte eben eine schlanke Gestalt um die Ecke und verschwand.

Als Hansen die Ecke erreicht und den nächstfolgenden Gang durcheilt hatte, lag das Treppenhaus vor ihm; er blieb stehen und lauschte; weder nach unten noch nach oben war ein Tritt auf den Stufen zu hören. Kopfschüttelnd sah er sich um, niemand war zu sehen, nur hinter der geschlossenen Gittertür des Lift glaubte er in dem dort herrschenden Dunkel die Gestalt des sogenannten Liftjungen in seiner Ecke zu erkennen.

Er trat nahe heran, aber der Beamte rührte sich nicht, und Hansen sah jetzt, daß er, auf seiner Bank lehnend, fest zu schlafen schien. Erst als der Detektiv die Hand an das Gitter legte, fuhr er auf und öffnete, eine Entschuldigung murmelnd, die Tür.

»Sahen Sie eben jemand hier vorbeilaufen?«

Der Liftjunge schüttelte beschämt den Kopf.

»Ach, Herr – ich glaube, ich war ein wenig eingenickt, ich habe niemand gesehen!« Dabei trat er höflich aus seiner Gittertür und stand im vollen Tageslicht.

Und nun konstatierte der Geheimpolizist dreierlei: erstens sah der Liftjunge ganz und gar nicht aus wie jemand, der eben aus dem Schlafe geschreckt wurde, zweitens hob sich seine Brust in hastigen, unterdrückten Atemzügen, und drittens war der Mann, der jugendlich bartlose Züge besaß, leichenblaß.

Als Hansen sich abwandte, um noch einmal nach Nummer 64 zurückzukehren, huschte ein leichtes Lächeln um seine Lippen, und er nickte gedankenvoll vor sich hin.

Wenig später trat Hansen in das Privatzimmer des Hotelbesitzers.

Der aufgeregte kleine Herr sprang bei seinem Erscheinen rasch auf, sank aber mit einem Schmerzenslaut und heftig sein Bein reibend wieder zurück. Er hatte tausend Fragen auf der Seele, erinnerte sich aber noch rechtzeitig der Verschwiegenheit, die er gelobt, und daß er nicht allein war. Ihm gegenüber saß ein älterer Herr, der Hansen als »Herr Müller, mein Nachbar!« vorgestellt wurde.

Der Herr mußte leidend sein; er saß stark zusammengekrümmt und trug ein dickes Tuch um den Hals.

Hansen, der durchaus nicht wünschte, daß sein Name hier im Hause genannt wurde, kam Herrn Reimers zuvor und sagte, sich vorstellend, in zufälliger Ideenverbindung – er hatte soeben das bequeme Beförderungsmittel der Elektrotechnik, den Lift, benutzt –: »Meißner, Elektrotechniker,« und da er einem fragenden Blicke des fremden Herrn begegnete, fügte er, zu Herrn Reimers gewandt, hinzu: »Der Fahrstuhl ist wieder in Ordnung, es war nur –«

Ein Schreckenslaut Herrn Reimers ließ ihn verstummen – der Herr aus dem Nachbarhause war ohne einen Laut vom Stuhle gesunken.

Leichenblaß lag er da, die Augen stier geöffnet, die Hände krampfhaft zusammengeballt.

Reimers und Hansen richteten den Erkrankten sorgsam auf, merkten aber zu ihrer Erleichterung, daß das Bewußtsein ebenso rasch zurückkehrte, wie es plötzlich geschwunden war. Reimers hielt Herrn Müller ein gefülltes Weinglas hin: »Trinken Sie, trinken Sie, bester Herr, das wird Ihnen gut tun. Sie sind doch noch kränker, als Sie wahr haben wollen! – Der Herr war schwerleidend in den letzten Wochen,« fügte er, sich an Hansen wendend, hinzu. »Sie hätten noch nicht ausgehen sollen, das ist Ihnen zuviel geworden.«

»Ich bringe den Herrn gern nach Haus,« beeilte sich Hansen gutmütig zu sagen und bot dem stumm und schwankend Dastehenden den Arm. »Ich komme noch einmal zurück, Herr Reimers! – So, nun stützen Sie sich nur fest auf meinen Arm; in welcher Etage wohnen Sie denn?«

»Herr Müller bewohnt sein Haus allein.«

»Ah – Sie wohnen zwischen diesem Hotel und der Apotheke; ich hatte an das große Haus hier an der andern Seite gedacht. Nun, kommen Sie nur –«

Sorgfältig half er dem augenscheinlich schwerkranken Manne durch das Vestibül auf die Straße und die paar Schritte bis zur Haustür des schmalen Nachbarhauses.

Hansen streckte die Hand aus, um zu klingeln, aber der sonderbare alte Herr wehrte ihm hastig und sagte mit heiser klingender, leiser Stimme: »Ich danke Ihnen sehr, ich kann nun schon allein, – leben Sie wohl.«

Er klammerte sich, Hansens Arm loslassend, an den Türgriff, machte aber keine Miene zu klingeln.

Hansen schüttelte ärgerlich den Kopf. »Ich kann Sie doch nicht so stehen lassen, bester Herr. Sie werden doch Hilfe im Hause haben?«

»Mein Diener kommt schon – ich danke Ihnen – ich kann allein –« Die heisere Stimme klang so ungeduldig und abweisend, daß Hansen nichts anders tun konnte, als den Sonderling sich selbst zu überlassen.

Er zuckte die Achseln und eilte mit ein paar Schritten in das Hotel zurück.

»Wunderlicher alter Knabe,« sagte er zu dem Portier, der im Vestibül stand.

»Der Herr Müller! – Herr Reimers sagte, er wäre elend geworden. Ja – das soll ein merkwürdiger Herr sein. Lebt so ganz einsam mit seinem ebenso schweigsamen Diener in der alten Baracke hier nebenan.«

»Na, jetzt ist er glücklich drin!« Hansen hatte noch einmal nach der Haustür gespäht und ging nun zu Herrn Reimers zurück.

»Haben Sie Zeit für mich, Herr Reimers?«

»Immer, werter Herr!«

»Ich möchte mich gern über Ihr Personal näher unterrichten –«

»Mein Personal?! Was hat das – –?! Sie vermuten doch nicht etwa den Mörder unter meinen Leuten?!«

»Ich vermute vorläufig nichts Derartiges – aber ich weiß auch nicht das Gegenteil! Also bitte – ist der Portier schon lange bei Ihnen?«

»Seit über zwölf Jahren. Ne Seele von Mann! Für den lege ich meine Hand ins Feuer –«

»Das genügt!«

Unter stetem Protest des cholerischen alten Herrn wurde das übrige Personal durchgenommen, meist ältere, bewährte Leute.

Ab und zu machte sich der Detektiv ein paar kurze Notizen, dann sagte er: »Und der Liftbeamte?«

»Ist seit dreiviertel Jahren hier, sehr tüchtiger, brauchbarer Bursche.«

»Er hatte gute Referenzen?«

»Vorzüglich! Habe zufällig sein Dienstbuch hier bei der Hand, hat nämlich heute gekündigt, leider. Bitte! – Drei Jahre in Bremen im ›Goldenen Löwen‹, vorher war er Hausknecht oder Ausläufer in einem großen Warenhause dort – auch prima Zeugnisse –«

»Nüchtern, solide? Gab keinen Anlaß zu Tadel?«

»Habe noch nichts Nachteiliges über ihn gehört.«

»Und nun hat er gekündigt?«

»Jawohl, zu Oktober. Das heißt – ich brauchte ihn ja eigentlich noch nicht gehen zu lassen, sein Kontrakt läuft länger; ist ihm aber in Pommern, irgendwo dahinten eine gute Stelle angeboten; na – da mag ich dem ordentlichen Menschen nicht im Wege sein.«

»Nun noch eins, Herr Reimers: war an dem Mordtage jemand von den Leuten beurlaubt?«

»Nein – das weiß ich gewiß.«

»Auch nicht krankheitshalber?«

»Nein, nein – beurlaubt war keiner, das kann ich bestimmt versichern.«

»Nun komme ich auf Ihre Gäste. Ist bei der Untersuchung durch die Polizei irgend eine Nachforschung angestellt in dieser Richtung? Ist kein Verdacht auf einen Ihrer Gäste gefallen?«

Der kleine Herr prustete förmlich vor Empörung. «Aber, bester Herr! Das ist denn doch – –! Unter meinen Gästen sollte – –«

»Nehmen Sie's nur nicht persönlich! Also, es ist nie die Rede davon gewesen?«

»Ja doch – ja! Nachgeforscht ist da wohl – aber natürlich, da war alles in Ordnung. In den Tagen war mein Haus leider außergewöhnlich schlecht besetzt – tatsächlich! Es waren nur wenige Zimmer besetzt. Vier davon hatte eine große Familie mit Kind und Kegel inne, in dreien wohnten Aerzte, die zu dem tagenden Aerztekongreß hier waren, und die andern Zimmer – halt, hier ist das Register: da war noch ein Pastor mit Familie und ein paar einzelne Damen; das ist alles.«

»Besten Dank, Herr Reimers, nun möchte ich noch etwas wissen. Herr Runge sagte mir, Herr von Guseck habe die schlechte Angewohnheit gehabt, sein ganzes Geld bei sich zu tragen?«

»Jawohl – das war so. Runge hatte ihn noch zuletzt gewarnt, und er hatte da auch die Absicht geäußert, sein Geld bei uns zu deponieren, aber – er ist nicht mehr dazu gekommen.«

»Hatte Herr von Guseck sich Ihnen gegenüber auch über die Summe geäußert, die er bei sich trug?«

»Nein – aber ich hörte davon durch Runge.«

»Entsinnen Sie sich, ob Sie allein waren, als Herr Runge es Ihnen erzählte?«

Reimers dachte einen Augenblick nach. Ja, ich weiß es genau, ich war hier in meinem Kontor allein mit Runge – wir hatten zusammen einige Rechnungen durchgesehen.«

»Herr Runge hat mir versichert, sich gegen niemand sonst über diese Sache geäußert zu haben. Haben Sie irgend jemand, ganz einerlei wem, darüber Mitteilung gemacht?«

»Nein! Ich weiß das so bestimmt, weil Runge mir das mit dem Gelde erst am Abend vor dem Mordtage erzählte, und ich hatte da schon die ersten neuralgischen Schmerzen, die in der Nacht so arg wurden, daß mir Herrn von Gusecks Brieftasche mit großem oder kleinem Inhalte sehr nebensächlich wurde.«

»Ich danke Ihnen, Herr Reimers, für heute brauche ich Sie nicht weiter zu belästigen!« Hansen erhob sich und verabschiedete sich von dem Hotelbesitzer.

*

Im Privatzimmer des Doktor Bruns standen der Apotheker und Hansen einander gegenüber.

»Also, Sie erlauben, daß ich jetzt in Ihren Keller gehe, und sorgen dafür, daß ich nicht gestört werde?«

»Gewiß, Herr Hansen, selbstverständlich! Aber ich hätte eine Bitte, dürfte ich nicht mit dabei sein?«

»Wenn ich den Keller untersuche!? Aber, werter Herr, das kann Sie doch wohl kaum interessieren!«

»Sehr, aber sehr würde es mich interessieren!

Sehen Sie, Herr Hans Hansen, ich bin schon lange einer Ihrer eifrigsten Bewunderer. Bewundert und beneidet habe ich Sie! Jawohl, beneidet!«

Hansen lächelte gutmütig. »Sie setzen mich in Erstaunen, Herr Doktor! Ich wußte nicht, daß Sie sich für meinen Beruf interessieren.«

»Und wie!« Der blonde Hüne nickte bekräftigend mit dem Kopfe. »Herrlich denke ich es mir, den Triumph zu erringen durch eigne mühsame Geistesarbeit einer oft winzigen Spur zu folgen, um schließlich das Wild – den Verbrecher zur Strecke zu bringen, eine Untat zu rächen!« Er reckte sich und ballte die Fäuste; Hansens Blicke ruhten überrascht auf seinem offenen, lebhaft bewegten Gesicht. »Das ist eben zeitlebens so ein geheimes Steckenpferd von mir gewesen,« fuhr der Doktor fort, »geträumt hab' ich davon, daß mir selbst einmal so etwas gelingen sollte! Aber als Apotheker,« – er lachte verlegen. »Es war ja auch nicht zu erwarten! Und nun kommt solch ein prachtvoll verwickelter Fall so in meine allernächste Nähe – ich hab' mir schon die allerhöchste Ungnade meiner Mutter zugezogen, daß ich mich darüber gefreut habe! Aber das Beste dabei war doch, daß ich das Glück hatte, Sie, verehrter Herr Hansen, persönlich kennen lernen zu können. Ja, ja, das hatte ich mir schon immer gewünscht – denn vom Hörensagen kenne ich Sie natürlich schon lange. Wird es Ihnen nun sehr unbescheiden erscheinen, wenn ich Sie bitte: lassen Sie mich nur ganz von fern zuschauen, wenn Sie Ihrem Berufe hier im Hause nachgehen. Ich weiß, daß Sie nicht gestört werden dürfen, ich werde mich ganz still verhalten, Ihnen nicht im Wege sein! Sie lachen über meinen Eifer – nur zu –, aber Sie lassen mich mitkommen? Besten Dank, ich hole die Schlüssel!«

Kopfschüttelnd und lächelnd steht Hansen hinter dem großen blondbärtigen Manne drein, der trotz seiner ausgeprägten Männlichkeit etwas Kindliches im Wesen, zwei mit knabenhaftem Enthusiasmus in die Welt schauende Augen hat.

Es wird ihm warm ums Herz bei dem Gedanken, hier einen Menschen gefunden zu haben, bei dem er volles Verständnis finden wird für den Beruf, den er sich erwählt, und der so viel verkannt wird.

»Kommen Sie,« sagt er fröhlich zu dem Zurückkehrenden. »Es macht mir wahrhafte Freude, einem solchen Verständnis für meinen so oft verachteten Beruf zu begegnen. Nun wollen wir gemeinsam den hoffentlich vorhandenen Spuren in Ihrem Keller nachspüren. Aber sagen Sie mal, haben Sie sich denn eigentlich gar nicht gewundert, daß ich auf dieser Nachsuchung bestehe? Wo aller Meinung nach der Leichnam nur unter Ihrem Keller hindurchgeschwemmt wurde?«

»Gewundert wohl ein wenig. Aber ich sagte mir, Herr Hansen scheint eben andrer Meinung zu sein. Und dann hatte ich auch gesehen, wie Sie etwas aufnahmen, das bei der Klappe lag.«

»Ah, das haben Sie bemerkt?!«

»Ja, und da dachte ich mir, daß ein Gegenstand, den Herr Hansen des Aufhebens wert hält, jedenfalls mit dem Morde in Zusammenhang stehen müsse. Und nun, wo Sie mich fragen, wird es mir erst voll klar, daß dieser Gegenstand dann bewiese, daß der Ermordete oder der Mörder in meinem Keller gewesen sein müßten – daß also –«

»Daß der Leichnam eben nicht von den Anlagen her in der Reesche entlang geschwemmt worden, bis er an der Leiter sich festgehakt, sondern daß er von Ihrem Keller aus hinuntergeworfen und sich erst dabei festgehakt haben muß. Ganz recht, Herr Doktor, das ist auch meine Meinung! Das scheint Sie zu erschrecken, Sie sind ganz blaß geworden!«

Doktor Bruns sah dem Sprecher verstört in das ruhige, kluge Gesicht, er strich wiederholt mit der Hand über die feuchte Stirn. Es war ihm durch den Kopf gegangen, daß, wie die Sache jetzt lag, ein furchtbarer Verdacht auf seinem Hause ruhte – auch auf ihm?!

Er schauderte und warf einen hilfeflehenden Blick auf den Detektiv, der ihm jetzt gutmütig lächelnd die Hand hinstreckte. »Schlagen Sie ein, Doktor, auf gute Kameradschaft beim Suchen –«

»So – so denken Sie nicht –«

»Daß Sie den Mord begangen?! Nein, lieber Herr, ebensogut könnte ich es selbst getan haben!«

»Aber werden andre? – Die Polizei?«

»Vorläufig wissen nur wir beiden, daß die Spuren von Ihrem Keller ausgehen – kein Mensch hat Sie im Verdacht, darüber können Sie sich vollkommen beruhigen! Und nun kommen Sie!«

Doktor Bruns hatte eine hellbrennende Laterne ergriffen und führte nun den Detektiv denselben Weg in den Keller hinunter, den sie gestern gegangen. Unten angekommen, sperrte der Doktor die Tür hinter sich zu und befestigte die Laterne an eine zu dem Zweck von der Decke hängende Kette. Er selbst setzte sich bescheiden auf eine nahe der Tür stehende Kiste und ließ seine noch immer verstörten Augen dem Tun und Treiben des Geheimpolizisten aufmerksam folgen.

Hansen widmete dem Kellerboden in der Mitte, rings um die Klappe, nur einen flüchtigen Blick; der Sand war an dieser Stelle von so viel Menschen vertreten worden, daß keine einzelnen Fußspuren mehr zu unterscheiden waren.

Er wandte sich den Seiten zu und ging, seine Taschenlaterne nahe zur Erde haltend, langsam ringsum, methodisch jeden Fußbreit untersuchend. An der einen Langseite des Kellers unterhalb der hochgelegenen kleinen Fensterschachte war der Steinfußboden unberührt, die dicht an der Wand stehenden Kisten und Tönnchen zeigten sich mit einer gleichmäßigen dichten Staubschicht bedeckt. An der Wand gegenüber der Eingangstür, wo sich die Tür zum Nebenkeller öffnete, kniete Hansen nieder und unterzog den hier sandigen Boden einer genauen Betrachtung. Dann stieß er die Tür auf und leuchtete in den anstoßenden Raum.

Er starrte eine Weile aufmerksam auf den Steinfußboden unmittelbar vor ihm, beugte sich interessiert tiefer und nickte befriedigt mit dem Kopfe; dann wandte er sich und schritt nun im vorderen Keller die andre Langseite langsam wieder zurück. Etwa in der Mitte stutzte er und rief den Doktor herbei.

»Sehen Sie mal dort –«

»Da müssen Tonnen und Kisten gestanden haben; man sieht im Sande unten, wo sie fortgenommen sind. Aber das könnte mein Stoßer getan haben.«

»Jawohl – und wir wollen uns davon überzeugen. Lange ist es noch nicht her, seit hier gekramt wurde, höchstens acht Tage; Sie können das deutlich an den fast staubfreien Stellen sehen und auch an diesem zerrissenen großen Spinngewebe, das erst zum Teil wieder ausgebessert wurde.«

Hansen führte den Doktor an die offene Tür zum Nebenkeller und deutete auf die Fußspuren am Boden. »Sehen Sie hier! Verschiedene, scharf ausgeprägte Stiefelabdrücke in dem lehmigen Sand. Es kommt mir nun darauf an, welche davon eventuell von Ihrem Stoßer herrühren; jemand sonst ist in diesen vierzehn Tagen wohl nicht hier unten gewesen?«

»Nein – niemand! Aber Sie glauben doch nicht, daß der Stoßer? –«

»Darüber später, lieber Doktor! Vorläufig suche ich diese Schrift zu entziffern, die mir der Sandboden da zeigt, und um das zu können, brauche ich einige unzweifelhafte Fußstapfen des Mannes, der die Leiche gefunden hat. Ich habe dort an der Wand eine Ecke bemerkt, wo noch unberührter Sandstaub auf dem Boden liegt – sehen Sie da. Wollen Sie nun, bitte, Ihren Stoßer rufen, er kann uns die große leere Tonne dort aus der Ecke holen.«

Der Doktor verschwand eiligst, gleich darauf kam er in Begleitung des Stoßers, eines hageren, jungen Menschen zurück, der neugierig von dem Apotheker zu dem fremden Herrn schaute, der ihm schon neulich bei der Auffindung der Leiche durch seine wunderlichen Fragen aufgefallen war.

Auf Geheiß seines Herrn stapfte er in die Ecke und holte die gewünschte Tonne mit seinen muskelstarken Armen mit Leichtigkeit bis in die Mitte des Kellers.

»Sie haben aber Kräfte,« sagte der fremde Herr anerkennend. »Da werden Sie die andern Tonnen und Kisten ebenso leicht in den Nebenkeller getragen haben – ich sah da durch die Türe einen Haufen Gerümpel liegen –«

Der Stoßer schüttelte den Kopf. »Dat olle Gerümpelst dor nebenbi – dat liggt dot schonst ne halwe Ewigkeit – dorvon weet ik nix mehr.«

»Nein, ich meine in den letzten Wochen?«

Der Mann starrte ihn erstaunt und etwas ungeduldig an. »Ik hebbe keene Kisten ummekramt in letzter Tid! Die ollen Scharteken – wotau denn?!«

Achselzuckend wandte er sich an seinen Herrn, der ihm beruhigend zunickte. »Sie können wieder gehen, Heinrich, es ist gut.«

Kaum war er fort, da kniete Hansen schon an der Erde und besah genau die deutlichen Fußstapfen, die der Mann zurückgelassen. Dann stand er auf. »Nein, er war nicht im Nebenkeller,« und er eilte, von Bruns gefolgt, in den kleinen Hinterkeller zurück. »Hier sehen Sie, es sind zweierlei verschiedene Fußspuren und keine gleicht der Ihres Stoßers.« Er zog ein Blatt Papier und eine kleine Schere aus der Tasche und begann eifrig die Form des einen Abdruckes auszuschneiden; er verglich und änderte, bis er ein getreues Abbild erreicht hatte. Dann begann er dasselbe bei der zweiten Fußspur; hier aber stockte er bald und begann unmutig von neuem. »Wunderlich!« sagte er, als er bei drei bis vier Abdrücken vergeblich eine scharf ausgeprägte Form gesucht hatte. »Es ist, als hätte immer wieder jemand hinterher gewischt – es ist kein klares Bild zu finden, nur daß sich der Stiefel von dem andern durch eine auffallend breite Spitze unterscheidet, sieht man deutlich.«

So gut wie möglich stellte sich Hansen auch von den verwischten Spuren einen Ausschnitt her; dann sprang er auf und zog Bruns nach der Ecke vor einen Haufen Gerümpel, Kisten, Tonnen, Bretter, die dort aufgehäuft lagen. Sie waren verstaubt und schmutzig, aber die Staubschicht war unregelmäßig, einigen Tonnen fehlte sie ganz, und dort auf der Kiste – Hansen stutzte und leuchtete näher –, da war deutlich der Abdruck einer Hand zu sehen; auch an andern Stellen war sie, wenn auch undeutlicher, zu erkennen.

»Das scheinen zum Teil die fehlenden Kisten vom großen Keller zu sein,« meinte Bruns.

Hansen nickte, dann zeigte er auf die Spuren am Boden. »Sehen Sie, von der Tür ab bis hier ziehen sich die Fußspuren hin- und zurückgehend! Woher sind sie gekommen – aus dem andern großen Keller hier herein? Zwecklos und unwahrscheinlich! Oder aber hier aus der Ecke heraus – dann –«

»Dann muß hier in der Mauer ein Durchgang sein, eine Oeffnung,« unterbrach der Apotheker ihn heiser vor Erregung.

»Jawohl, hier müssen sie hereingekommen sein,« bestätigte Hansen ernst, »zwei Männer mit einer schweren Last – dem Toten. Sie sind dicht an den Kisten hergestreift und dabei hat dieser Nagel in der untersten großen Kiste hier dem Mörder oder Helfershelfer oder dem Opfer ein Stück Zeug aus dem Gewand gerissen.«

Vorsichtig zog der Detektiv eine Flocke Wolle von dem hervorstehenden Nagel und beleuchtete sie. »Grau und schwarzgestreifter Stoff mit wenig Grün darin – ich muß sie zunächst mit dem Anzug des Toten vergleichen!«

Er legte die kleine Probe in seine Brieftasche und zog gleichzeitig einen winzigen, glänzenden Gegenstand heraus, den er Bruns zeigte. »Sie haben ja gesehen, daß ich vorgestern etwas bei der Klappe dort aufhob – dies war es! Der kleine Klemmring einer goldenen Remontoiruhr. Das war der Faden, der mich darauf brachte, daß die Mörder, es müssen zwei gewesen sein, hier im Keller waren. Der kleine Ring lag blank und unbeschmutzt dicht an der Klappe. Von Ihnen hörte ich bald darauf, daß Sie seit langem nicht im Keller gewesen, daß Ihr Stoßer keine Uhr trug, vergewisserte ich mich noch am selben Tage – das also war eine tatsächliche Spur. Daß die Mordbuben nicht wohl mit der Leiche durch Ihren Hausflur gekommen sein konnten, machte ich mir bald klar – es mußte also in diesen Kellerräumen noch einen Zugang geben – und hier muß er sein!« Hansen deutete in die Ecke, die von dem losen Gerümpel vollständig ausgefüllt war. »Dies ist doch die Wand nach dem schmalen Hause hin, das zwischen diesem und dem Hotel steht?«

Bruns nickte.

»So werden sie vom Hotel aus durch vielleicht unbenutzte Keller dieses schmalen Nachbarhauses hindurch nach hier gelangt sein. Hätten also zweimal durch die Mauern brechen müssen, – aber weshalb sollten sie das nicht fertig gebracht haben?«

»Das schon,« meinte Bruns nachdenklich. »Aber dann müßte doch der Mord im Hotel begangen sein, und ich glaube zu erinnern, daß Herr von Guseck das Hotel verlassen haben soll, nicht wahr?«

»Ja. Und in seinem Zimmer deutet nichts auf einen Ueberfall hin. Gewiß, die Sache ist sehr rätselhaft! Aber unlösbar ist das Rätsel nicht mehr, seit wir wissen, daß die Leiche hier hereingebracht worden ist, seit wir eben eine Spur haben. Folgen wir ihr!«

Hansen und Bruns begannen vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, den Haufen Gerümpel aus der Ecke zu räumen; schon bald finden sie die Bestätigung ihrer Annahme – Schutt und Geröll auf dem Fußboden, – jetzt ist Platz geschafft, und die Laterne beleuchtet ein ziemlich bedeutendes Loch in der Kellermauer, das durch lose hineingeschichtete Steine oberflächlich geschlossen ist.

»Geschickt gemacht!« sagt Hansen. »Der zuletzt zurückgekrochen ist, nachdem sie hier ihre grausige Arbeit vollendet, hat die Kisten und Kasten nachgezogen und hochgeschichtet, um ihr Werk möglichst zu verdecken, dazu gehören Kräfte! Nun müssen wir sehen, wie sich die Halunken durch das Nachbarhaus ihren Weg gebahnt haben; aber nicht von hier aus – ich will herumgehen und den Besitzer verständigen. Angenehme Ueberraschung für den kränklichen Herrn – kann ihm aber nicht helfen –«

»Herr Müller ist verreist nach Berlin,« unterbrach ihn Bruns. »Sein Diener war noch gestern abend bei mir und holte ein paar schmerzstillende Pulver; sein Herr solle operiert werden, es sei ganz plötzlich gekommen und er müsse ihn in die Klinik begleiten. Für einige Wochen steht das Haus leer.«

»Desto besser,« sagte Hansen, »das erspart uns Umwege. Aber wir wollen warten bis zur Nacht, wir sind dann ganz sicher, nicht gestört oder beobachtet zu werden – beides wäre mir nicht angenehm. Ich sage ›wir‹! Aber ich will Sie nicht bereden, mich auch diese Nacht zu begleiten, nicht ein jeder würde Geschmack gewinnen an solch nächtlichen Gängen.«

Das rosige Antlitz des blonden Riesen sah sehr niedergeschlagen aus. »Sie wollen lieber einen Kollegen mitnehmen? Denn allein können Sie es ja doch nicht machen?«

»Nein, aber es liegt ganz bei Ihnen, ob Sie dabei sein wollen – dann brauchen wir keinen Dritten.«

»Schwere Hacke nich – noch – nein!« unterbrach ihn Bruns strahlend. » Ob ich dabei sein will?! Aber natürlich, ich könnte mir nichts Besseres wünschen! Wann kommen Sie? –«

»Vor elf Uhr möchte ich nicht beginnen.«

»Dann erwarte ich Sie ein Stündchen früher. Wir müssen uns doch stärken und das Unternehmen begießen! Einen feinen Rüdesheimer habe ich, den sollen Sie mal kosten!«

»Das soll ein Wort sein!« lachte der Detektiv. »Also ich komme heute abend und ich hoffe, Sie jagen mich nicht wieder fort.«

Und er lächelte verschmitzt, während er mit dem protestierenden Doktor den Keller verließ.

*

Im Westend-Hotel war vor einer halben Stunde mit Gepäckdroschke vom Nordbahnhof ein neuer Gast eingetroffen und eben nahm der Geschäftsführer den Meldezettel in Empfang, den ihm ein Kellner herunterbrachte – »Dr. med. Heinrich Merkel, Hannover«, stand da.

Der Herr war ein wenig verspätet noch zu dem gerade tagenden Aerztekongreß eingetroffen. »Der Herr würde wohl morgen noch nicht zur Versammlung gehen können,« sagte der Kellner. Er habe sich arg erkältet auf der Reise. Na – das hört man freilich – er krächzt wie ein Rabe.«

»Hat er sonst etwas verlangt?« erkundigte sich der Geschäftsführer.

»Nein, er fragte nur, ob die Löwenapotheke in der Nähe wäre, er wäre mit dem Doktor Bruns befreundet und wolle ihn heute abend aufsuchen. Na, ich hab' ihm gezeigt, daß es nur ein Katzensprung ist.«

Der Kellner ging und Runge schloß, ein Lächeln verbeißend, den Meldezettel in sein Pult.

 

Auf Nummer 57 im dritten Stock hatte sich's der Doktor Merkel bequem gemacht; er saß vor einem Schreibtisch am Fenster und schaute tief in Gedanken verloren über die gegenüberliegenden Dächer der niedrigen Häuser in den blassen Herbsthimmel. Er trug einen üppigen schwarzen Haarschopf und ebensolchen langen Vollbart, eine goldene Brille lag neben ihm – augenblicklich aber schauten aus dem blassen Gesichte unverhüllt die klugen Augen des Detektivs Hans Hansen.

Zwar hatte er die Tür verschlossen und das Schlüsselloch verhängt, aber er legte trotzdem die lästige Vermummung der Perücke und des falschen Backenbartes nicht ab.

Es war vier Uhr nachmittags und er benutzte die freien Stunden dazu, ein kurzgefaßtes Resümee seiner bisherigen Nachforschungen, wie das seine Manier war, zu Papier zu bringen.

»Fall Guseck.

»Am 12. September wurde Herr von Guseck vermißt. Er führte eine Summe von zwanzigtausend Mark in Kassenscheinen bei sich, Nummern unbekannt.

»In einer Zeitung auf seinem Tische fehlte eine Annonce, die sich bei meiner Nachforschung als auf die Auktion von Kunstsachen bezüglich erwies, die am zwölften in den Vormittagsstunden von neun bis elf Uhr abgehalten werden sollte in einem Lokale nahe dem Westend-Hotel.

»Zu dieser Auktion, der vermutlich sein erster Gang gelten sollte, ist er – wie unzweifelhaft festgestellt werden konnte – nicht erschienen. Hiernach ist anzunehmen, daß sein Tod gleich nach seinem Fortgange aus dem Hotel erfolgt ist.

»Die in den Reescheanlagen gefundenen Gegenstände, die Brieftasche und das Stöckchen, sollten demnach irreleiten, wie auch der Zettel mit der fingierten Verabredung. Schon daraus war zu entnehmen, daß der Mord nicht in den Anlagen geschehen war.

»Am 18. September wurde die Leiche des Herrn von Guseck in dem Arm der Reesche gefunden, der unter dem Besitztum des Doktor Bruns hindurchfließt, eingehakt in eine kleine eiserne Leiter unterhalb einer Klappe im Keller der betreffenden Apotheke. Unzweifelhafte Spuren beweisen, daß die Leiche durch obige Klappe ins Wasser geworfen.

»Weitere Spuren zeigen, daß der Leichnam von zwei Männern durch ein Loch in der Mauer vom Nebenhause hereingeschafft wurde.

»Ein bei der Klappe gefundener kleiner, goldener Klemmring beweist, daß einer von ihnen eine goldene Uhr trägt – es ist zu beachten, daß er versucht haben dürfte, die Uhr hier reparieren zu lassen.

»Der mir durch sein sonderbares Benehmen verdächtig gewordene Liftjunge ist am Mordtage keine Stunde beurlaubt gewesen, und hat seinen Posten, wie mir der zuverlässig erscheinende Portier versichert, keinen Augenblick verlassen. Wer konnte Kenntnis von der großen Summe haben, die Herr von Guseck bei sich trug? Herr von Guseck hatte es Herrn Runge und dieser es Herrn Reimers erzählt; beide Male waren die beiden betreffenden Herren allein in der Stube des Herrn Reimers gewesen.

»Nun kann man in dem kleinen Gange vor der schlechtschließenden Tür ziemlich jedes Wort verstehen, das drinnen laut gesprochen wird. Angenommen, es ist auf diese Weise zur Kenntnis der Täter gelangt, wer konnte das gewesen sein? Wer von den Hotelangestellten zunächst hatte in dem kleinen Gange zu tun?

»Der Portier und eventuell der Liftjunge – da die Kellner in diesem Teil des Hauses nichts zu suchen haben. Der Portier ist schwerhörig – bleibt noch der Liftjunge, der viel auf einem kleinen Bänkchen nahe des kleinen Ganges zu sitzen pflegt. Angenommen, der Liftjunge hat die Täter – er selbst hat ja seinen Posten nicht verlassen – von der vorhandenen Geldsumme, sowie von dem Ausgange des Herrn von Guseck am zwölften morgens verständigt – wo kann dann der Schauplatz des Verbrechens gewesen sein? – Bleibt die Untersuchung des Ganges im Nebenhause abzuwarten.«

*

Hansen schloß seine Betrachtungen durch einen dicken Strich und legte das Heft in eine Lade des Schreibtisches, deren Schlüssel er an sich nahm. Dann setzte er sorgfältig die goldene Brille mit den blitzenden Gläsern auf, die nur aus klarem Kristallglas bestanden, und verließ sein Zimmer.

Er zeigte sich den Leuten, denen er auf seiner Wanderung treppauf treppab begegnete, als ein ziemlich neugieriger, mitteilsamer, freundlicher Herr, der die schönen Lese- und Konversationsräume, die ganze moderne Anlage des neuerbauten Hotels sehr bewunderte, und einem kleinen Schwätzchen mit diesem oder jenem, mit dem Oberkellner oder den hübschen Zimmermädchen durchaus nicht abgeneigt schien.

Gegen halb zehn Uhr verließ er das Hotel, er wolle – wie er dem Portier vertraulich erzählte – seinen alten Schulfreund, den Doktor Bruns, noch zu dieser späten Stunde überraschen.

 

In dem behaglich eingerichteten Junggesellenheim des Doktor Bruns in der Apotheke zum »Goldenen Löwen« waren ein paar Zimmer festlich beleuchtet; im Speisezimmer mit der dunkeln Täfelung an den Wänden, der reichgeschnitzten Holzdecke blitzte das elektrische Licht in den geschliffenen Römern, dem silbernen Eiskühler, aus dem die weißlackierten Hälse des alten Rüdesheimer schauten, und die auf dem weißgedeckten Tische mit ein paar Havanna-Kistchen und Aschbechern ein interessantes Stilleben bildeten. Im Zimmer daneben, mit seiner schweren Herrenzimmerausstattung, wanderte Doktor Bruns auf und ab, ungeduldig seinen Gast erwartend. Da tönte die Flurglocke; noch eine kurze Weile, dann trat eine alte Magd ein. Sie trug eine Karte in der Hand.

»Merkel! – Dr. med. – Hannover? Ein fremder Herr – so spät noch? Führen Sie den Herrn herein!«

Ein großer schwarzbärtiger Herr trat mit einer höflichen Verneigung über die Schwelle, er trug ein dickes seidenes Tuch um Hals und Kinn geschlungen.

»Verzeihung, Herr Doktor,« sagte er heiser und sich wiederholt räuspernd. »Ich sah, daß Ihre Apotheke schon geschlossen war, und da ich sehr erkältet bin und dringend eines Hustenmittels bedarf, dachte ich, Sie würden vielleicht die große Güte haben –«

»Gewiß gern, lieber Herr. Aber unten an der Apotheke ist doch eine Glocke! Man kann doch die ganze Nacht unten etwas bekommen – Sie, als Arzt –«

»Hätte das wissen müssen! Verzeihen Sie nochmals – Sie haben recht!«

»O, das macht nichts,« meinte rasch besänftigt der Doktor. »Darf ich Sie nun hinunter bemühen?«

»Nein, danke, hinunter möchte ich nicht,« damit trat der wunderliche Besucher auf die Schwelle zum Speisezimmer. »Ich sehe da eine Medizin, die meiner heiseren Kehle gerade gut tun dürfte – Sie erwarten einen Gast?«

Doktor Bruns betrachtete den zudringlichen Herrn mit erstaunten Blicken – was war denn das für ein Sonderling?

»Aber weshalb haben Sie Ihren Teckel denn ausgesperrt? Glaubten Sie, er würde Ihren Gast genieren? Kein Gedanke – der ist selbst ein großer Hundeliebhaber.«

Damit ließ er sich an dem Tische nieder und begann langsam die Handschuhe abzustreifen. Das ging dem gutmütigen Apotheker denn doch über: die Hutschnur!

»Mein Herr!« sagte er ärgerlich, »ich weiß nicht – und übrigens, was geht Sie mein Teckel an! – wenn ich Sie nun ersuchen dürfte –«

»Sie haben heute bei dem feuchten Wetter eine Radtour gemacht?« unterbrach ihn der andre kaltblütig, ohne sich im geringsten an den augenscheinlichen Aerger des Apothekers zu kehren. »Wie war's denn bei der B...er Schleuse? Da waren Sie doch?«

Doktor Bruns starrt erstaunt seinem wunderlichen Besucher in die blitzenden Brillengläser.

»Sie scheinen mich zu kennen?«

»Jawohl, Herr Doktor Bruns! Aber das hätte ich nicht von Ihnen erwartet – erst laden Sie mich freundschaftlichst ein, und dann –«

»Schwere Hacke – nich – noch – nein! Hansen – Sie sind Hansen!?« schrie der blonde Riese in ungläubigem Erstaunen, »das war Ihre Stimme – aber Sie verstehen's! Ich hätte Sie nie erkannt!« Er war lachend auf einen Stuhl gesunken und schlug sich wiederholt klatschend auf seine stattlichen Schenkel. »Wenn das bloß Mutter miterlebt hätte – ne – so was!«

Es dauerte eine Weile, bis sich sein Erstaunen einigermaßen gelegt hatte; Hansen hatte auf seine Bitte seine Vermummung abgelegt und heiter gestimmt saßen sie sich gegenüber, klangen mit den Römern zusammen und taten lange Züge von dem goldenen Rüdesheimer.

»Aber, lieber Hansen,« sagte Doktor Bruns nach einer kleinen Pause im lebhaft geführten Gespräch. »Da fällt mir eben ein, woher wissen Sie denn, daß ich heute nachmittag nach der B...er Schleuse hinaus war? Haben Sie mich dort gesehen?«

»Nein, das nicht. Aber nehmen Sie's nicht übel, lieber Doktor, das haben mir Ihre Beinkleider verraten.«

Doktor Bruns zog einen Fuß unter dem Tisch hervor und betrachtete, verlegen lachend, die großen Spritzen rötlicher Tonerde, die da an den Beinkleidrändern paradierten; dann schaute er auf und dem andern ins Gesicht und sagte endlich lachend: »Na, das ist doch nun Unsinn! Freilich, der Schmutz, für den ich um Entschuldigung bitte, zeigt, daß ich im Freien war bei dem nassen Wetter, aber –«

»Und die Falten rechts und links zeigen, wo die Radklammern gesessen, und der rötliche Ton existiert im Umkreis von drei Meilen um meine geliebte Vaterstadt nur in der Gegend der B...er Schleuse! Da haben Sie's gleich auf einmal.«

Der Apotheker lachte. »Ach so? So herum! Na ja – freilich!«

»Nu äben – wie der Sachse sagt!«

»Nur,« fing Doktor Bruns von neuem an. »Was redeten Sie da von meinem Teckel? Kennen tun Sie den wohl auch nicht?« setzte er etwas zögernd hinzu.

»Habe noch nicht die Ehre gehabt.«

»Ach, so – ich weiß schon, Sie hörten ihn jaulen! Nicht? Oder die Dore sprach draußen von ihm? Auch das nicht? Nun sagen Sie mal bloß, wie machen Sie denn das?«

»Einfache Schlußfolgerung, lieber Doktor. Die Decke da beim Ofen ist doch entschieden für einen Hund bestimmt?«

»Das wohl, aber könnte es nicht ebensogut ein Terrier oder ein Möppel oder sonst eine Sorte sein?«

»Doch wohl kaum, da mir Ihre Gewehre und Jagdausrüstung dort im Glasschrank verraten hatten, daß Sie Jäger sind. Terrier und Möpse dürften sich jedoch schlecht zur Jagd eignen! Da blieb nur ein Jagdhund oder ein Teckel – na, und die Decke ist für einen Jagdhund doch um die Hälfte zu klein! Sehen Sie, das war sehr einfach!«

*

Die Stunden waren den beiden Herren wie im Fluge verronnen, jetzt schlug es elf Uhr vom nahen St. Petrikirchturm.

Im Hause war es ganz still geworden, das Gesinde war zur Ruhe gegangen.

Doktor Bruns nahm die bereitgelegten Kellerschlüssel, entzündete die Laterne, und die Herren stiegen, jedes Geräusch möglichst vermeidend, in das Kellergeschoß hinunter.

Sie durchschritten den vorderen Keller, mit der jetzt verschlossenen Klappe, und begaben sich im Hinterkeller an die Arbeit.

Hansen stieß mit einem kleinen Küchenbeil, das sie mitgebracht, ein paar der locker eingefügten Steine heraus, daß sie mit dumpfem Klang in den Keller des Nebenhauses polterten. Die Herren richteten sich unwillkürlich auf und lauschten.

Mit einem Kopfschütteln über sich selbst – was sollte sich denn in dem leerstehenden Hause regen – griff jetzt Hansen eifrig zu und hob einen der Steine nach dem andern heraus, bis eine Oeffnung entstanden, die ihnen ermöglichte, hindurchzukommen; er leuchtete mit seiner Taschenlaterne in den vor ihnen liegenden finsteren Raum und kroch, von Bruns gefolgt, rasch hindurch.

Sie befanden sich in einem ziemlich geräumigen Keller, der vollständig leer war; die einzige, nur angelehnte Tür öffnete sich auf einen dumpfigen Gang, an dessen entferntestem Ende eine schmale Steintreppe in das Haus hinaufzuführen schien.

Doch das interessierte sie nicht; sie suchten zunächst nach einer Fortsetzung der Fußspuren, die sie im Nebenhause bis zum Durchgang geführt und die auch im eben durchschrittenen Räume deutlich wahrnehmbar gewesen.

Aber hier wurde ihnen eine Enttäuschung zuteil – der Gang war mit Backsteinen gepflastert, der Staub, der darauf lagerte, zu dünn, um Spuren erkennen zu lassen.

Sie überschritten ihn rasch und wandten sich dem Räume zu, der an die Keller des Westend-Hotel grenzen mußte – auch hier das harte Steinpflaster, das keine Fußstapfen aufbewahrte; hier waren Regale an den Wänden, aber sie waren völlig leer, in den Ecken ein paar Körbe mit Stroh gefüllt, das war alles.

Hansen hob seine Taschenlampe und ließ den hellen Lichtstrahl über die schmutzige Steinwand hin und wieder gehen, die unzweifelhaft die diesseitige Grenzmauer zwischen den beiden Häusern bildete.

Dann wandte er sich kurz um. »Hier ist keine Verbindung zum Hotel hinüber! Kommen Sie, es muß im Keller nebenan sein.«

Aber auch dort war nichts zu finden; keine Stelle in dem festen Gemäuer der alten Kellerwand, die auf einen kürzlichen Durchbruch schließen ließ.

Die beiden Herren blieben stehen und sahen sich erstaunt an. Endlich sagte Hansen: »Von diesem Hause aus sind sie in Ihren Keller gekommen, daran ist kein Zweifel! Es muß eine Verbindung da sein mit dem Westend-Hotel, oder der Mord ist eben hier im Hause geschehen?!

»Bleiben Sie zurück, Doktor, ich will einmal leise ins Haus hinauf, ich komme gleich wieder zu Ihnen.« Damit war er auch schon den dunkeln Gang entlang geschritten und verschwand auf den steilen Stufen, die nach oben führten – einen Augenblick zitterte noch der Schein seiner kleinen Lampe an den feuchten Steinwänden – nun noch einmal höher hinauf – dann war alles wieder dunkel und still, und Doktor Bruns empfand einen leichten Schauder, als er sich auf eine im Gange stehende Kiste niederließ und seine Laterne neben sich stellte.

Er hätte es entschieden vorgezogen, dem Detektiv zu folgen, aber er fürchtete zu stören und wollte um keinen Preis lästig fallen. Er schaute um sich und erstaunte, wie gänzlich verwahrlost alles aussah; unzählige Spinngewebe bedeckten die Wände und füllten die Ecken aus, fingerdick lag der Staub auf einem jeden Vorsprung der unebenen Steine, die nicht einmal verputzt waren.

Sein Blick fiel auf den Fußboden und da stutzte er; hier lag ziemlich dicker, feuchter Sand auf den Backsteinen und – da waren die Fußspuren wieder, die sie vorhin gesucht.

Es war ja nicht viel – denn der Sand hörte nach ein paar Metern wieder auf und damit auch die Spuren –, aber es würde Hansen doch interessieren.

Bruns bückte sich und versuchte, wie er es von dem Detektiv gesehen, die Abdrücke zu unterscheiden. Doch das wollte ihm nicht so leicht gelingen – freilich, daß es verschiedene Stiefel gewesen, die da hin und wieder gegangen – das sah er genau!

Aber halt – da schien auch der verwischte Abdruck zu sein, der Hansen so viel Mühe gemacht beim Nachschneiden! Den hatte er sich genau angesehen – das war dieselbe eigentümlich verwischte Kontur!

Bruns begann eifrig zu werden, er freute sich, dem Detektiv vielleicht durch seine Beobachtungen einen Dienst leisten zu können. Eine halbe Stunde mochte so verstrichen sein, – da fuhr der Apotheker plötzlich entsetzt zusammen.

Aus dem stillen Hause herunter klang gedämpft ein langanhaltender, gellender Schrei.

Einen Augenblick stand Bruns regungslos, vor Schrecken jeder Fähigkeit beraubt, seine Glieder zu rühren, er fühlte, wie sich seine Haare sträubten und sein Herz fast stillstand.

Dann hatte er sich wieder in der Gewalt und rannte, seine Laterne vergessend, mit ein paar langen Sätzen zur Kellertreppe – er stolperte ein paar dunkle Stufen empor, – dann fiel plötzlich ein heller Lichtstrahl vor seine Füße, und er sah zu seiner unendlichen Erleichterung – Hansen vor sich stehen.

Der Detektiv sah erregt und sehr blaß aus, er deutete ihm Vorsicht und Schweigen an, schob seine Taschenlaterne zusammen und zog Bruns neben sich auf die oberste Stufe der Treppe.

Sie standen vor einer Glastür, durch deren Scheiben sie auf den Hausflur sehen konnten, der vom hereinfallenden Mondlicht erleuchtet war; ihnen gerade gegenüber mündete die Haustreppe, auch sie war vom bleichen Licht des Mondes voll übergossen.

Hansen preßte einen Finger auf die Lippen. »Hören Sie!« raunte er leise.

Und wirklich – wohl aus der ersten oder zweiten Etage drang ein leises Geräusch zu ihnen herunter.

Jetzt unterschied der Apotheker es deutlich – es waren Fußtritte, die leise tastend – stockend, unterbrechen von tiefem, lastendem Schweigen die Treppe herabkamen.

Und jetzt überrann es die beiden Lauscher eisig – auf der obersten Stufe der Treppe erschien eine Gestalt.

Eine Frau oder ein Mädchen – das totenblasse Gesicht starr erhoben, die weitaufgerissenen Augen mit einem solchen Blick furchtbarsten Entsetzens ins Leere gerichtet, daß die beiden Herren erschauerten, so kam sie langsam, automatenhaft die Stufen herunter.

Ihre Augen sahen nichts von dem, was sie umgab, ihre Füße tasteten von einer Stufe zur andern, bis sie auf dem Hausflur angelangt war, von den beiden Spähern nur durch die Glastür getrennt, hinter deren blinden Scheiben das tiefe Dunkel des Kellereingangs sie auch sehenden Augen entzogen hätte. Aber diese großen grauen Augen, die da so erstarrt vor Grauen schienen, sahen nichts.

Das geheimnisvolle Wesen, das in dem leeren Hause nächtlich umherwanderte, schien noch jung; blondes, schlichtgescheiteltes Haar umgab das schmale, weiße Gesicht, ihre Kleidung war die eines Bürgermädchens, ein dunkles Tuch bedeckte ihre Schultern.

Eine Weile blieb sie vor der untersten Stufe regungslos stehen, mit seltsam starrer Bewegung hob sie den Kopf und wandte die entsetzten Augen der Treppe zu, die sie herabgekommen war – sie schien atemlos zu horchen.

Dann erschütterte plötzlich krampfhaftes Erbeben ihren ganzen Körper – und nun stürzte sie vorwärts, die Haustür, die, wie Bruns erst jetzt sah, angelehnt gewesen, aufreißend und die Stufen hinunter auf die nächtliche Straße, unbekümmert die Tür hinter sich offen lassend.

Hansen packte den Arm des Apothekers. »Ich muß ihr nach! Bleiben Sie hier – gehen Sie nicht hinauf, bis ich zurück bin!«

Seine Stimme klang heiser vor Erregung, seine Augen blitzten hart wie Stahl – ein Jäger auf der Fährte.

Gleich darauf war er verschwunden, die Haustür schnappte leise ins Schloß –, Bruns sprang an eines der Flurfenster, da kreuzte die weibliche Gestalt mit hastigen, ungleichen Schritten den Fahrdamm und hinterher, dicht im Schatten der Häuser glitt Hansen – das Wild und der Jäger.

Erst als sie beide seinen Blicken entschwunden waren, drehte Bruns sich um, und unwillkürlich flogen seine Blicke die Treppe hinauf bis zu der Biegung, die sie den Augen entzog.

Da oben herrschte nachtschwarzes Dunkel, das sich dräuend hernieder zu wälzen schien. Lösten sich da nicht Schatten los und huschten die Stufen herab auf ihn zu?!

Da oben – was war da oben?

Der furchtbare Schrei gellte noch in seinen Ohren. Stieß ihn das Opfer aus? Lag dort oben jemand ermordet in seinem Blute – konnte der Schrei jeden Augenblick von neuem ertönen?

Oder hatte ihn das Weib ausgestoßen, das mit so angstverzerrten Zügen von da oben herabgekommen?

Müßte er jetzt nicht hinauf eilen – konnte er nicht vielleicht noch Hilfe bringen?!

Aber Hansens Warnung?

Zaudernd blieb er stehen; die große Turmuhr von Sankt Petri hub an zu schlagen, tief und dröhnend in die furchtbare Ruhe dieses schauerlichen Hauses – es war Mitternacht.

Bruns schloß momentan die Augen – was für Phantasiebilder gaukelten ihm die erregten Sinne vor?

Beleuchteten die bleichen Mondstrahlen da nicht rote Flecke auf den hellen Holzstufen der Treppe?

Flecke – rot, wie frisch vergossenes Blut?

Entschlossen, diesen Wahnbildern ein Ende zu machen, eilt er mit ein paar hastenden Schritten über den Flur und beugt sich nieder – aber was ist das?!

Das war keine Einbildung – Blut auf dem hellen Holze – auf ein, zwei, drei – auf fast allen Stufen, die er von unten übersehen kann!

Schaudernd fuhr er zurück – ihm war, als gefriere das Blut in seinen Adern.

Und er ist noch im Zweifel, was die schreckerstarrten Augen des Weibes da oben gesehen?

Ein Mord war geschehen – eine Bluttat!

War die Frau, die sie, versteinert in Entsetzen, die Stufen Herabkommen sahen, die Mörderin?! Ihr schleifender Kleidsaum hatte diese blutige Schrift hinterlassen – war es ihr Todesurteil, das da so schaurig rot im Mondlicht leuchtete?

Aber konnte nicht ebenso gut das Opfer noch leben?

Nein – da mochte Hansen fordern, was er wollte – jetzt mußte er hinauf.

Nie im Leben würde er es sich verzeihen können, wenn er jetzt noch zögerte.

Nur seine Laterne mußte er holen, die mußte er haben zu dem grausigen Gang.

Eilig tastete er sich die Kellertreppe hinunter, wo die Laterne noch auf der Kiste stand; er hob sie empor und schritt hastig zurück – da stutzte er –, er hörte deutlich die Haustür öffnen.

Mit ein paar Sätzen war er oben – gottlob – da stand Hansen, er schob eben den Schlüssel ins Schloß und schloß die Haustür ab.

Blaß und abgehetzt sah er aus, auf der bleichen Stirn perlte der Schweiß in dicken Tropfen; er wehrte jede Frage ab, er zeigte die Treppe hinauf und eilte voran.

Noch bevor Bruns ihn darauf aufmerksam machen konnte, hatten seine scharfen Augen die Blutspuren entdeckt, schon im Hinaufspringen berührte er die eine und nickte düster vor sich hin, als sich sein Finger rot färbte.

»Sie muß mit ihrem Rocksaum hineingetaucht sein,« murmelte er.

Sie waren auf dem Vorplatz der ersten Etage angelangt – hierher fiel kein Mondenstrahl, es war ganz finster; sie schauten sich um im spärlichen Licht ihrer Laternen – aber sie brauchten nicht lange zu suchen –, die blutigen Spuren wiesen ihnen den Weg, quer über den Vorplatz nach einer Tür, die weit offen stand.

Hansen trat zuerst über die Schwelle, nach ihm Bruns nun doch, trotz aller Tapferkeit, bebend am ganzen Körper.

Es dauerte eine Weile, bis sie das Zimmer übersehen konnten, es herrschte bei dicht verhüllten Fenstern eine tiefe Finsternis, nur schwer durch die schwachen Strahlen ihrer Laternen zu besiegen. Zunächst schien es leer zu sein.

Das war jedenfalls ein andrer Anblick, als ihre aufgereizte Phantasie ihnen vorgegaukelt – da lag keine hingestreckte Gestalt, kein blutüberströmter Leichnam. –

Plötzlich packte Bruns den Detektiv in jähem Schrecken am Arm – da saß ja eine Gestalt am Schreibtisch, in der einen Fensterecke, sie war anscheinend über Bücher und Papiere gebeugt, die darauf verstreut lagen.

Hansen war ruhig näher getreten, wehrte aber, auf den Fußboden deutend, den Gefährten zurück – ja, nun sah es der Apotheker auch: unterhalb und zuseiten des Lehnstuhls, in dem der Unglückliche zusammengekauert saß, stand eine große Lache Blut, erst teilweise eingetrocknet und von hier aus zog sich in leuchtender Purpurfarbe die Spur, die das unglückliche Weib unbewußt hinter sich her gezogen – Schritt für Schritt – Stufe für Stufe.

»Doktor,« sagte der Detektiv halblaut. »Sehen Sie ihn an, das ist doch Ihr Nachbar? Der kranke Herr Müller, der gestern abend abgereist sein sollte nach Berlin in die Klinik?«

Bruns warf nur einen Blick auf das grauweiße Gesicht des Toten – dann schüttelte er sich.

»Ja, er ist es! Mein Gott, Hansen, diese verzerrten Züge, eine solche entsetzensvolle Wut liegt in ihnen – fürchterlich!«

Hansen nickte gedankenvoll, er war jetzt vollkommen ruhig.

Er hob seine kleine Lampe und beleuchtete aufmerksam die ganze Gestalt des Toten; dann deutete er auf einen blutbesudelten Riß im Rücken des Toten, zwischen den Schulterblättern.

»Da ist die Todeswunde, vermutlich mit einem breiten Messer; dem Bluterguß nach muß eine große Arterie getroffen sein – jedenfalls ist der Tod augenblicklich erfolgt.«

»Aber vielleicht ist noch nicht alle Hoffnung vorbei – vielleicht ist noch ein Fünkchen Leben da,« drängte der Apotheker.

»Bei dem da?! Der ist schon seit vielen Stunden tot, fühlen Sie nur die eiskalten Hände, die Leichenstarre ist eingetreten. Das Blut da auf der Erde müßte längst ganz eingetrocknet sein, wenn es nicht in solcher Menge dastände.«

»Aber das Weib, das vorhin herunterkam, war das denn nicht die Mörderin?«

»Ah – das unglückliche junge Weib hat nichts mit dem Morde zu tun.«

»Hansen, wie können Sie das wissen?! Ich will glauben, daß der Mann schon längere Zeit tot sein muß, als vergangen ist, seit wir die Frau herabkommen sahen! Aber sie kam doch von ihm – denken Sie an die Spuren auf der Treppe. Konnte sie nicht nach ihrer raschen Tat in halber Sinnesverwirrung noch längere Stunden hier verweilt haben? Vielleicht unfähig, vor Schreck und Angst, sich zu entfernen?«

Hansen nickte düster.

»Ja, es ist gut für sie, daß sie einen Zeugen hat, der sie vor dem Schafott retten kann.«

»Hat sie den?! Sie sahen –«

»Ja, ich sah sie kommen. Als ich Sie unten im Keller zurückließ, ging ich zunächst in die Erdgeschoßräume; sie sind kaum möbliert, anscheinend seit Wochen nicht bewohnt gewesen. Nachdem ich alle durchschritten hatte, in jeden Winkel gespäht und nirgends den gesuchten Durchgang gesunden, wollte ich eben auf den Vorflur zurückkehren, da hörte ich Geräusch an der Haustür, lauschend blieb ich hinter der Tür stehen. Deutlich vernahm ich, wie ein Schlüssel gedreht und die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Dann kamen rasche, laute Schritte über den Vorflur, Schritte eines Menschen, der ein festes wohlbekanntes Ziel hat; und ich hörte – und nun denken Sie an den furchtbaren Gegensatz, wie wir sie wieder Herabkommen sahen –, ich hörte sie ein fröhliches, kleines Liedchen summen! Darauf knarrten die Stufen der Treppe, und leise vortretend sah ich sie noch eben bei der Biegung oben verschwinden. Zunächst war ich unsicher, was ich tun sollte, dann entschloß ich mich, den Verlauf der Dinge abzuwarten. Ich zog nur den Haustürschlüssel ab, den sie stecken gelassen, und lehnte die Tür an; es schien mir besser, hier noch einen Ausgang zu haben. Und nun, Bruns, nun kann ich bezeugen, daß kaum ihre Schritte oben über dem Flur verhallt waren, ich kaum noch meinen Platz hinter der Glastür am Kellereingang eingenommen hatte, als ihr furchtbarer, gellender Schrei ertönte, und ich gleich darauf wieder ihre rückkehrenden Schritte hörte – das übrige wissen Sie. Und nun sehen Sie ein, daß sie nicht die Tat verübt haben kann!«

Bruns nickte überzeugt. »Aber,« meinte er dann zweifelnd, »wird die Polizei auch Ihre Gründe gelten lassen?«

»Das weiß ich nicht, und deshalb wollen wir die Begegnung vorläufig für uns behalten. Ich bin ihr bis zu ihrer Wohnung gefolgt und werde sie nicht aus den Augen lassen. Und nun kommen Sie, Doktor, wir wollen unsre Nachforschungen nach einem Durchgang zum Westend-Hotel heute nicht fortsetzen. Ich glaube jetzt, daß wir umsonst suchen würden, sieht es doch ganz so aus, als hätten wir in diesem Hause die Mördergrube entdeckt –«

»So glauben Sie,« unterbrach ihn Bruns erregt, »daß der Mord hier geschehen? Und der Diener dieses Unglücklichen –«

»Auch sein Mörder gewesen ist. Ob er auch den Mord an Herrn von Guseck begangen, und ob mit einem unbekannten Dritten, oder ob dieser Tote hier sein Helfershelfer war, kann ich noch nicht sagen. Daß aber dieser zweite Mord mit dem an Herrn von Guseck in Zusammenhang steht, scheint mir zweifellos. Bin nur neugierig, ob die Herren Polizeikommissare das auch herausbekommen werden, wenn sie die Bescherung hier entdecken –«

»So sollten wir es nicht morgen früh melden?«

»Ich werde mich hüten! Glauben Sie, daß ich mir in die Karten sehen lassen werde, um dann noch Unannehmlichkeiten zu haben? Wir sind hier in ein fremdes Haus widerrechtlich eingedrungen; und als Privatdetektiv habe ich naturgemäß meine Feinde und Neider unter den Polizeibeamten, die es mir nicht vergeben können, daß ich von der Behörde dann und wann mit einem besonders heiklen Auftrag beehrt werde! Nein – sein still sein! Es genügt vollkommen, wenn Sie morgen früh so nebenbei einige Leute darauf aufmerksam machen, daß die Haustür hier unten offen stände – ich werde sie nachher angelehnt lassen –, wo doch Herr und Diener verreist seien. Da sollen Sie mal sehen, wie bald die Neugierde der Leute dem Geheimnis auf die Spur kommt. Kommen Sie, Doktor, bringen wir die Kellerwand wieder in den Zustand, wie wir sie fanden, das andre überlassen wir dem Zufall.«

*

Der »Dr. med. Merkel« aus Hannover schien ein Frühaufsteher zu sein.

Schon frühzeitig des andern Morgens um sieben Uhr ertönte die Glocke aus Nr. 57, und die Marie, die dem freundlichen Herrn gewogen war, beeilte sich, dem Rufe nachzukommen. Es war ein frisch aussehendes Mädchen mit einem offenen, gutmütigen Gesichte.

»Herr Doktor wünschen?«

»Helfen Sie mir mal mit den Jalousien, das ist ja eine vertrackte Einrichtung, ich werde nicht damit fertig!«

Das Mädchen sah einigermaßen erstaunt aus, mußte der Herr aber unpraktisch sein! Sie griff rasch zu und lachte gutmütig – da hatte er wahrhaftig in seiner Ungeduld eine Schnur abgerissen!

Geschäftig langte sie Nadel und Zwirn aus der Tasche, um den Schaden gleich wieder gut zu machen.

»Na,« meinte der Doktor gutlaunig und sah sie schelmisch von der Seite an. »Ist denn der Schatz wieder gut, Marie?«

Das Mädchen wurde feuerrot und kicherte verlegen.

»Nun, gestern hat's doch Krach gegeben mit dem Louis, nicht wahr?« neckte der Herr weiter.

»Na ja,« sagte das Mädchen achselzuckend. »Es gibt halt manchmal Aerger mit den Mannsleuten – aber woher wissen denn der Herr davon?«

»Na – so!« meinte der Herr unbestimmt. »Die Kellner neckten da unten den Louis – ich hörte das so. Aber verstanden hab' ich's nicht recht: sie fragten, ob Sie wieder den Herrn von Guseck gesehen hätten. Na, ich muß nun sagen, ich finde das einen recht schlechten Scherz! Mit so etwas soll man keine Witze machen, und ich verdenke es dem Louis gar nicht, wenn er zornig wurde – und noch einer half ihm dabei, den schien die Neckerei ganz wild zu machen, das war der Liftbeamte –«

»Der Fritz,« sagte das Mädchen erstaunt. »Aber das ist doch komisch! Erst fällt der am ärgsten über mich her und hetzt die andern auf, und nun –?«

»Ich dachte, es täte ihm leid, daß Sie und der Louis von den andern so geneckt werden!«

»Dem?! – Ach, ne – der möcht' mich am liebsten aus 'n Haus ärgern – der! Erst neulich hätt' er mich beinah' geohrfeigt, weil ich – ach, es kann den Herrn doch nicht interessieren –«

»Aber doch,« fiel der Herr freundlich ein. »Also, was hat's gegeben?«

»Nun, ich hatt' den andern erzählt, daß ich ihn mit dem Scheusal von nebenan, dem Johann, hatte sprechen sehen; abends spät, hinten im Hof über 'n Zaun hinüber.«

»Na, ist das so was Schlimmes?«

»Nein, das nicht. Aber wissen der Herr, den Menschen, er ist Diener bei dem Herrn Müller, können wir alle nicht leiden! Und der Fritz hat auch immer so getan – und heimlich steckt er mit dem ›schleichenden Uebel‹ doch zusammen!«

»Schleichendes Uebel?«

»So nennen wir den Johann! Einmal hat er doch so was Hintertück'sches und dann schlurrt er immer so mit den Füßen!«

Hansen hebt überrascht den Kopf, aber er spricht sofort ruhig weiter. »So – so! Hübsch ist das gerade nicht von dem Fritz, so seine Freunde zu verleugnen.«

»Ja, er war auch schön giftig, daß ich das verraten hab'. Na, überhaupt der! Drei Kreuz hinter ihm drein – wenn er erst weg ist! Wie der mir's Leben sauer macht und alle aufhetzt gegen mich – bloß weil ich den Herrn von Guseck noch mal gesehen hab'! Was geht's denn ihn an?«

Das Mädchen ist in Eifer geraten; daß die Augen hinter den blitzenden Brillengläsern, die sie unverwandt beobachten, nichts weniger als harmlose Neugier verraten, bemerkt sie nicht.

»Der alte Giftnickel – lügen tät' ich, hat er gesagt! Ich brauch' bloß dran zu denken, da steigt mir die Hitz' auf!«

Hastig beendete das Mädchen ihre Flickarbeit und riß den Faden mit einem heftigen Ruck ab.

Der Herr legte freundlich die Hand auf ihre Schulter und meinte begütigend: »Wer wird sich über so einen Kunden ärgern! – Nun, sagen Sie mal, was ist denn das für eine Geschichte mit Herrn von Guseck?«

Einen Augenblick zögerte das Mädchen noch, dann sagte sie: »Na, ich kann's dem Herrn ja sagen; die Geschicht' hängt mir eh' schon zum Hals 'naus! Ich war grad' an dem Morgen, als der Herr von Guseck nachher verschwand, in einem Zimmer nach vorn heraus. Wissen der Herr, ich hab' sonst nur in den Zimmern hier hinten 'naus zu schaffen, und das weiß auch der Louis. Na, an dem Morgen wollte ein Herr, der wohl mal ein paar Worte mit mir gesprochen hatte – es war ein Reisender, ein ganz netter Mensch –, der wollte mir bloß mal was zeigen, was er in seinem Zimmer im Koffer liegen hätte! Ich lass' mich überreden – der Louis ist ja auch zu albern mit seiner Eifersucht –, ich geh' also mit, und er kramt so allerlei aus seinem Koffer, und dabei hör' ich die Turmuhr grad' halb elf Uhr schlagen – wissen S', wo der Herr von Guseck aus dem Hotel gegangen ist. Na, schließlich wurde der Herr fad, und als ich merk', daß er mir ein bißchen zu nahe rückt – da geh' ich halt ans Fenster und sag' ihm: ›Sie!‹ sag' ich, ›passen S' auf – lassen S' mich in Ruh', sag' ich – sonst mach' ich das Fenster auf und ruf' hinaus!‹ Und wie ich grad' hinausgucke, da kommt der Herr von Guseck wieder zurück! Ich sah ihn über den Platz kommen und unten ins Hotel gehen.«

»So, so!« macht gleichgültig ihr Zuhörer, aber es kam dem Mädchen vor, als spräche der Herr seltsam tonlos. »War er's aber auch wirklich? Sie könnten sich doch getäuscht haben?«

»Nein, ich hab' mich nicht geirrt! Ich sah den Herrn von Guseck ganz deutlich, mit seinem hellen Ueberzieher und dem Stöckchen mit dem silbernen Knopf – das sie nachher in den Anlagen gefunden haben.«

»Nun, dann wird's schon so sein. Aber nun sagen Sie mir, warum wollen denn die andern Ihnen das nicht glauben?«

Das Mädchen wurde rot und wandte sich verlegen ab, endlich stotterte sie: »Ach – weil – ich konnt' doch nicht sagen, von wo ich den Herrn hab' zurückkommen sehen – das sehen der Herr doch ein, nicht wahr?! Wegen dem Louis, dem eifersüchtigen Peter! So sagt' ich halt, ich wär' just unten im Flur gewesen, und wie ich das sag', fallen s' doch über mich her – na so!«

»Besonders der Liftjunge, nicht wahr?«

»Akkurat so – grad' der! Eine Lügentrin' wär' ich, so spricht 'r, und er wär', nachdem Herr von Guseck fortgegangen, eine Stund' lang auf seinem Bänkchen gesessen im Flur, und der Herr wär' nicht zurückgekommen, und ich wär' auch gar nicht unten gewesen! – Na ja,« fügte sie kleinlaut hinzu, »da hat 'r nu ja recht mit. Und daderfür muß ich schweigen, und ärger' mich bloß, daß ich überhaupt was gesagt hab'! Seitdem hackt der Giftnickel auf mir 'rum, als hätt' ich ihm weiß Gott was getan! Was geht's denn ihn an, ob der arme Herr dazumal retour gekommen ist oder nicht?!«

»Freilich,« sagt der Herr Doktor Merkel langsam. »Was geht das den Liftjungen an?«

Eine Weile steht er in so ernstes Grübeln versunken, daß das Mädchen ihn betreten ansieht; dann sagt er ruhig: »Ich will Ihnen nun mal was sagen, Marie! Nun reden Sie mal nichts mehr darüber hier im Hause! Und sagen Sie vor allem dem Fritz nicht, daß Sie es mir erzählt haben, wenn Sie nicht neue Klatschereien haben wollen. Also den Mund gehalten, nicht wahr?«

 

Nachdem das Mädchen ihn verlassen, saß Hansen noch eine ganze Weile regungslos in seinem Sessel; die Hände ineinander gelegt, die Augen starr auf eine Arabeske des bunten Teppichmusters geheftet, dachte er den Tatsachen nach, die so unerwartet zu seiner Kenntnis gekommen.

Der Liftjunge hielt heimlich Verkehr mit dem Diener des ermordeten Müller, seinem mutmaßlichen Mörder! Und vor allem – der unglückliche Herr von Guseck war in das Hotel zurückgekehrt, und das verheimlichten und leugneten sowohl der Liftjunge wie auch der Portier. Dadurch wurde auch der letztere verdächtig. Sodann der »schlurrende« Gang des verdächtigen Dieners von nebenan, und die so sonderbar verwischten Spuren im Keller!

Hansen schloß das Schubfach seines Schreibtisches auf und holte die beschriebenen Seiten heraus. Er fügte in kurzen Sätzen die neuen Tatsachen hinzu, und fuhr dann fort: »Ich machte einige Entdeckungen an der Person des ermordeten Herrn Müller, erstens ist an seiner goldenen Remontoiruhr der Klemmring kürzlich erneuert worden, und zweitens passen seine Stiefelsohlen genau auf den Ausschnitt, den ich mir im Keller der Apotheke nach den klarausgeprägten Spuren gemacht habe. All diesen Tatsachen zufolge kann kein Zweifel bestehen, daß der p. p. Müller und sein sogenannter ›Diener‹ Johann, oder, wie ich jetzt vermute, der ›starke Benzinger‹, alias ›Karl der Große‹, die Mörder des Herrn von Guseck sind. Auch daß der Liftjunge an der Tat beteiligt ist, ist kaum mehr zu bezweifeln. Nun, zugegeben, daß Herr von Guseck noch einmal ins Hotel zurückgekehrt ist – ist dann der Mord doch hier im Hotel geschehen?! Aber dann – wo?! Und wie kam dann die Leiche in das Nachbarhaus, da doch keine Verbindung zwischen den Häusern zu finden ist?! Sie muß eben zu finden sein, denn sie muß da sein! Aber – wo?!«

 

In Gedanken verloren, zeichnete Hansen ein Fragezeichen nach dem andern unter den Schluß seiner schriftlichen Grübeleien – dann klappte er entschlossen die Blätter zusammen und schloß sie fort.

*

Ein paar Stunden später stand Doktor Merkel aus Hannover in einer schmalen Straße der winkligen Altstadt.

Der Hochsommer schien noch einmal zurückgekommen, die Sonne strahlte vom blauen Himmel, es herrschte eine wahre Hundstagshitze.

Der Detektiv sah ermüdet und verstimmt aus; er seufzte ungeduldig und wischte sich den Schweiß von der perlenden Stirn. Er kam nicht weiter – er fand den Durchgang nicht zum Nachbarhause –, der doch da sein mußte.

Herr von Guseck war in das Hotel zurückgekehrt, er hatte keinen Grund, an der Aussage des Mädchens zu zweifeln; er hatte sich von einem der Zimmer nach vorn heraus überzeugt, daß man genau beobachten konnte, ob jemand, der über den Platz kam, in das Hotel trat oder etwa in das Nachbarhaus – denn auch diese Idee war ihm schon gekommen.

Aber die Tür des Nachbarhauses lag nach der Apotheke zu, fast durch die ganze Breite der Fassade von dem Hoteleingang getrennt. Das Mädchen konnte sich da nicht irren. Er wußte auch, daß im ganzen Hotel der Herr von Guseck nicht nach seinem Zurückkommen bemerkt worden war, nicht von den Kellnern, vom Geschäftsführer, nicht vom Stubenmädchen, das sich um die fragliche Zeit doch im Gange aufgehalten, an dem sein Zimmer lag. Portier und Liftjunge waren verdächtig – ihre Angaben von keinem Belang.

War der Herr wirklich zurückgekehrt, so mußte er sofort beseitigt worden sein! Fast die einzige Erklärung hierfür, daß er nämlich in die Kellerräume gelockt und von dort in das Nachbarhaus geschafft worden, hatte ihn veranlaßt, noch einmal gründliche Nachforschungen anzustellen.

Von Runge hatte er sich ungesehen in den Keller bringen lassen und dort ungestört und angestrengt gesucht – und nichts entdeckt – gar nichts!

In dem niedrigen Häuschen, vor dem jetzt Hansen stehen blieb, befand sich ein Bäckerladen. Die dicke Bäckerfrau, die in dem dumpfigen, von einer Anzahl Fliegen bevölkerten Laden beschäftigt war, aufzuräumen, schien nicht wenig erstaunt, in dieser stillen Mittagsstunde einen feingekleideten Kunden eintreten zu sehen.

Sie wischte sich die rundlichen Hände umständlich auf der blauen, umfangreichen Schürze ab und warf einen besorgten Blick über die spärlichen Schätze ihrer altbackenen Herrlichkeiten.

»Womit kann ich dienen, mein Herr?« Der schwarzbärtige Herr schien zunächst zu überlegen, welche der verlockenden Backwaren am wenigsten privilegiertes Eigentum der träge umhersurrenden Fliegen zu sein schien, dann entschied er sich mit einem resignierten Blick.

»Wäre es wohl sehr unbescheiden, wenn ich es gleich hier verzehrte?«

»Aber, bitte schön, ganz wie der Herr wünschen!«

Der Detektiv nahm sein Stück Backwerk mit Todesverachtung in Angriff und meinte dann anerkennend: »Vorzüglich, vorzüglich! Das Haus gehört wohl Ihnen, Frau Meisterin?«

»Ach nein, mein Herr, das nicht! Wir wohnen nur zur Miete hier.«

»Angenehmes Wohnen hier, nicht wahr? Besser wie in den großen Mietskasernen, wo eine Mietpartei auf der andern hockt! Hier wohnen wohl nur wenig Leute im Hause außer Ihnen?«

»Nun, doch drei Familien.«

»Das geht noch, vorzüglich wenn nicht so viel kleine Kinder da sind.«

»Meinen der Herr? Na, wir zwei größeren Familien haben nun freilich noch allerhand kleines Kroppzeug, aber das sind wir gewöhnt, könnten's gar nicht missen! Nur in den Hinterzimmern, parterre, da gibt's keine kleinen Kinder mehr. Aber glauben der Herr ja nicht, daß es deshalb da weniger Sorgen gäbe – ne, ganz ins Gegenteil!«

»Ja, ja,« nickte Hansen. »Sie haben recht – kleine Kinder – kleine Sorgen, und große Kinder – große Sorgen! – Wenn ich fragen darf: wer wohnt denn dort?«

»Eine Familie Wehnert; sie haben nur noch eine Tochter bei sich.«

»Und die macht ihnen Sorgen? Ist wohl gar leichtfertig geworden, hat Liebhaber und so weiter?«

Die Bäckerfrau schüttelte gutmütig den Kopf. »Ne, so schlimm ist das nicht. Aber sie hat einen recht nichtsnutzigen Bräutigam, wo die Alten nichts von wissen wollen. Der alte Wehnert ist krank und wunderlich, er hatte einen Schlaganfall – und der schimpft denn auf den Menschen, und das Mädchen weint! Heute morgen sind sie schon eine ganze Zeit wieder im Gange, man kann den Alten hier wettern hören –«

»Was ist denn mit dem Bräutigam?«

»Ich weiß nicht recht,« meinte die Frau zögernd. »Er hat keinen guten Ruf! Ein Raufbold soll er sein – soll schon mal gesessen haben. Ich hab' nie begreifen können, wie sich das hübsche Mädchen an so einen hängen kann. Ein roher Patron, brummig und grob – wenn man ihn nur so dahinschlarren sieht!«

»Er schlurft beim Gehen?!« Der Detektiv hob überrascht den Kopf. »Was treibt der Mann?«

»Er soll ja woll Diener sein –«

»Bei wem?«

»Das weiß ich nicht, Herr?«

»Heißt er Karl Benzinger?«

»Ich weiß nicht – ich glaube –«

»Sie brauchen nicht stutzig zu werden, liebe Frau, es ist nur – ich habe den Mann gekannt, und Sie sagen, die Wehnerts seien ordentliche Leute, ich will Sie warnen vor dem Menschen. Wollen Sie mich zu ihnen führen?«

Er hat schon die Tür zum Flur geöffnet, bleibt aber überrascht stehen – aus einer offenstehenden Tür, im dämmerigen Hintergründe dringen laute Stimmen; auf einen Wink Hansens treten sie leise näher.

Im Lehnstuhl am Fenster saß ein alter Mann, der alte Wehnert. Zu schwach, um sich auf den Füßen zu halten, aber ununterbrochen laut scheltend und jammernd; in der Ecke, auf einem Stuhl zusammengesunken, das Gesicht in den Armen vergraben, saß eine jugendliche Mädchengestalt, man sah an dem Beben ihrer Schultern, daß sie schluchzte.

Die Bäckermeisterin war über die Schwelle getreten, und die alte Mutter, die sich bis jetzt mit dem Kranken beschäftigt, ging händeringend auf sie zu, Schreck und Aufregung ließen sie nicht zu Worte kommen.

»Aber, Frau Wehnert, was ist denn nu wieder los?!«

»Die Schande!« keuchte der Alte mit den geballten Fäusten auf seinen Lehnstuhl schlagend. »Die Schande! Heimlich – nachts läuft so was von den Eltern fort, wie ein ganz liederliches Frauenzimmer, treibt sich nachts auf den Straßen herum! Weiß ich denn,« schrie er zornig auf, »ob du, gottvergessenes Mädchen, nicht schon eins bist?!«

»Vater!«

»Schweig, sag' ich dir! Und weswegen? Um so 'n schlechten Kerl, so 'n Nichtsnutz – so 'n Räuber und Mörder!«

»Das ist nicht wahr, Vater! Das ist nicht wahr!« Laut auf schrie das Mädchen und sprang empor, da sah sie die Nachbarin neben der Mutter stehen, und stöhnend schlug sie die Hände vor ihr blasses, verstörtes Gesicht.

»Was ist denn nun eigentlich?« fragte die gutmütige Bäckerfrau und trat näher. »Was hat denn Vater, Luise?«

»Frau Meisterin!« schrie der Alte heiser vor Aufregung, »das will ich Ihnen sagen – Schande hat sie auf meine weißen Haare gebracht, die Luise, und Schmach! Die Polizei wird kommen und wird ihn bei uns suchen – den Mörder!«

»Vater, Vater!« schrie das Mädchen verzweifelt, »mach ihn nicht unglücklich, er hat's nicht getan – er nicht!«

Da öffnete sich plötzlich die angelehnte Tür ganz, und der schwarzbärtige Herr trat ruhig ein. Er zog die Tür fest hinter sich zu und wandte sich dann an die dicke Frau Meisterin, die ihn erstaunt musterte. »Gehen Sie nun ruhig an ihre Arbeit, liebe Frau, und lassen Sie mich mit den Leuten reden –«

»Was will der fremde Herr hier!« schrie zornig der Alte im Lehnstuhl. »Frau, frag ihn, ob er schon von der Polizei kommt!«

Der Eindringling trat jetzt dicht zu dem tobenden alten Manne und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter: »Herr Wehnert, ich komme nicht von der Polizei. Aber ich bin Privatdetektiv und will Ihnen helfen, daß Sie und vor allem Ihre Tochter nicht mit ihr zu tun bekommen.«

Die Bäckermeisterin war gegangen und die alten Leute hatten sich endlich so weit beruhigt, daß sie sich mit dem freundlichen Herrn verständigen konnten. Also das Mädchen, die Luise, hatte plötzlich diese Nacht vor ihren Betten gestanden, ganz grausig anzusehen in ihrem Schreck und Entsetzen, und hatte immer nur geschluchzt und geschrien und sich angeklagt, daß sie die Eltern hintergangen und heimlich fortgelaufen sei, um ihren Schatz zu treffen – ein paarmal schon! Und diese Nacht, da sei sie auch in dem Hause gewesen, wo der Karl wohne mit seinem Vater zusammen, und den – den habe sie dort in einem Zimmer gefunden – als Leiche – ermordet! Aber der Karl sei nicht dagewesen! Und dann sei sie fortgestürzt!

Da unterbrach der Zuhörer das stammelnde Erzählen und sagte ruhig: »Das weiß ich. Und nun kommen Sie einmal her, Kind,« fuhr er strenge fort, »und sagen Sie mir aufrichtig: Sie wissen nicht, wo er ist – der Karl – meine ich?«

Das Mädchen schüttelte ratlos den Kopf.

»Er hat Ihnen nichts davon gesagt, daß er fort wollte?«

»Das wohl, aber später, erst in einer Woche. Und dann – ach, wir hofften doch, daß Vater unsre Hochzeit zugeben würde! Aber Karls Vater wollte doch das Geld nicht herausgeben, das doch eigentlich dem Karl gehörte.«

»Sie hatten Streit miteinander?!«

»Ach Gott! Streit wohl – aber deshalb?! – Nein, nein, er hat es nicht getan!«

»Mein armes Kind!« sagte der Detektiv mitleidig. »Sie haben ihn wohl sehr lieb? War er denn nicht oft roh und grob?«

»Aber nie zu mir,« sagte das Mädchen leise.

»Wie nannte er sich?«

Das Mädchen sah ihn angstvoll an. «Karl Berger.«

»Und wie hieß er wirklich?«

»Karl Benzinger.« Und sie sank wie gebrochen in sich zusammen, wurde ihr doch erst jetzt klar, wie verdächtig dieses Verheimlichen seines Namens, das er so harmlos erklärt, wohl in Wirklichkeit war. Eine Pause entstand.

Das Mädchen sah unruhig auf und in das ernste Gesicht des fremden Herrn, in ihre verweinten Augen trat ein entsetzter Blick. »Sie glauben, Herr, Sie glauben. – O Gott, was wissen Sie von ihm?!«

»Daß Sie ihn vergessen müssen, er ist Ihrer nicht wert! Und daß Sie Gott danken können, daß Sie noch nicht unlöslich an ihn gebunden sind! Ja, mein armes Kind, es ist nicht anders, er hat den Mord begangen, an seinem eignen Vater, wenn er Sie nicht belogen hat, wenn es so ist, wie Sie sagen. Und nicht das allein – es ruht noch ein schwerer Verdacht auf ihm. Und nun nehmen Sie sich zusammen und denken Sie an Ihre armen, alten Eltern. Noch eins: Sie brauchen sich nicht zu ängstigen, daß die Polizei kommen werde – noch ahnt es keiner, daß Sie in dieser Nacht im Mordhause waren. Aber etwas muß ich verlangen! Sollten Sie Nachricht bekommen von dem Benzinger, so lassen Sie es mich sofort wissen!«

Totenblaß steht das Mädchen vor ihm und ihre starren Augen ruhen mit rätselhaftem Blick in den seinen.

Da schüttelt er den Kopf und geht schweigend aus der Tür – er weiß es jetzt ganz genau – sie wird ihn nie verraten.

 

Die Mutter des unglücklichen Mädchens hatte auf seinen Wink den Detektiv hinausbegleitet; jetzt sagte sie schluchzend: »Ach, Herr – Herr, so 'n Unglück!«

»Kommen Sie, liebe Frau, wo sind wir hier ungestört, ich möchte Sie allein sprechen!«

Die weinende alte Frau führte ihn über den dunkeln Gang in ein kleines, einfenstriges Gelaß, das eine Art Werkstatt zu sein schien; es hingen allerhand Werkzeuge an den Wänden und Draht und Nägel lagen ordentlich aufgeschichtet auf einem Tische in der Ecke.

»Das Zimmer meines Sohnes,« sagte die Alte erklärend.

»Sie haben noch einen Sohn?«

»Ja, aber er ist nicht hier; er hat eine Stelle auswärts.«

Der Detektiv hieß die alte, verstörte Frau sich niedersetzen und begann sie über den Verlobten ihrer Tochter auszufragen. Er sei gelernter Schlosser, erzählte die Alte bereitwillig; ein gewalttätiger, roher Mensch, sie hätten es deshalb nicht zugeben wollen, daß ihre Tochter ihn heirate.

Auch zu den »Sozial'schen« gehöre er und führe oft ganz gotteslästerliche Reden! Wie Luise ihn denn kennen gelernt? Durch ihren Sohn.

Der Detektiv horchte auf. »Ihr Sohn kennt den Benzinger?«

»Seit ein paar Jahren. Unser Fritz war mit ihm in derselben Schlosserei beschäftigt, er ist gelernter Mechaniker. Na, und da brachte der Fritz ihn denn mal mit nach Hause – und so ist das denn gekommen.«

»Wo ist Ihr Sohn jetzt?«

»In Bremen. Es geht ihm gut, er hat uns erst vor ein paar Wochen Geld geschickt! Gut ist er doch – man en bißchen schwach, und deshalb sind wir froh, daß er nicht mehr mit dem Karl zusammen ist. Gutes hat er von dem nicht gelernt! Ich hab' dem Menschen nie recht getraut und mich immer geärgert, daß der Fritz seine Briefe und sogar das Geld durch diesen Lumpen an seine alten Eltern schickt!«

»Ihr Sohn schreibt nie direkt von Bremen?«

»Nein.«

»Wirklich, keinmal? Sie haben keinen Brief von ihm von Bremen bekommen?«

»Nein, nur durch den Karl –«

»Was für eine Stellung hat Ihr Sohn?«

»Im Hotel! Er ist in einem Hotel am Aufzug, am Fahrstuhl angestellt – was ist denn?!« unterbrach sich die alte Frau erschreckt; der fremde Herr war hastig aufgesprungen und starrte sie überrascht an.

Hansen beruhigte sie und wandte sich ab, es tat ihm weh, die arme Frau anzusehen, die da so leidvoll und gebeugt saß, und deren Sohn – das war ihm plötzlich klar geworden –, der Liftbeamte im Westend-Hotel war, der Mithelfer bei einer Mordtat.

Arme Eltern!

Wird der kranke alte Mann dies neue Entsetzen überleben? Aber war nicht noch ein Irrtum möglich?

»Haben Sie eine Photographie Ihres Sohnes?«

Die Alte eilte geschäftig ins Nebenzimmer und kehrte mit einem kleinen eingerahmten Bildchen zurück, das sie ihm mit mütterlichem Stolze darbot; Hansen warf nur einen Blick darauf – kein Zweifel möglich –, das war Fritz, der Liftjunge im Westend-Hotel. Hatte Hansen seinen Gesichtsausdruck nicht genügend in der Gewalt? Die alte Frau sah mit plötzlich erwachendem Mißtrauen zu ihm auf.

»Kennen Sie den Fritz, Herr?«

»Nein. Wie lange ist Ihr Sohn fort von hier?«

»Weihnachten wird's ein Jahr.«

»Und vorher?«

»Mein Sohn? Der war hier in der Bauschlosserei von Limme in Arbeit.«

»Führte er sich gut?«

Die alte Frau sah ein wenig verlegen aus. »Na, es gab woll mal Klagen! Schlecht war er nicht, der Fritz, aber er ließ sich leicht verleiten von den andern Bengels! Und da trank er woll mal zu viel und wollte andern Tags auf der Bärenhaut liegen, solange er noch Groschens hatte! Ja, das Geld – so junge Bengels wissen da nicht mit umzugehen.«

»Bestraft ist er noch nicht?«

Frau Wehnert fuhr entrüstet auf. »Bestraft?! Unser Fritz? Wo denken Sie hin! Ich weiß gar nicht – was wollen Sie eigentlich von Fritzen?!« Sie war stutzig geworden; Hansen sah ihre trüben Augen in geheimer Angst auf sich gerichtet – was konnte er tun?

Sein Herz krampfte sich zusammen – das Schicksal der armen Mutter schmerzte ihn tief. Wenn er sie warnte?!

Er schüttelte über sich selbst den Kopf! Durfte er den Verbrecher der strafenden Gerechtigkeit entziehen? Hansen seufzte tief auf und verabschiedete sich rasch, hier konnte er nicht helfen – noch nicht.

*

Vor dem Westend-Hotel, an die Säulen des Hauptportals gelehnt, stand der Liftbeamte. Er sah blaß und elend aus, seine Augen schweiften ruhelos die Straße rechts und links hinauf und über den Georgenplatz hinüber, um immer wieder zum Nachbarhause zurückzukehren, vor dessen Tür ein kleines Häufchen Menschen stand.

Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und redeten aufgeregt aufeinander ein, und ab und zu trat der eine oder andre näher an die halb offenstehende Haustür heran und spähte angestrengt in den dämmrigen Flur.

Es war drei Uhr nachmittags, die Straßen um diese Zeit noch nicht sehr belebt. Da kam der schwarzbärtige Arzt aus Hannover die Straße entlang; bei dem Häufchen neugieriger Menschen blieb er stehen und wandte sich an eine der Bürgerfrauen, die so eifrig zu verhandeln hatten.

»Ist hier etwas passiert?«

Von mehreren Seiten wurde ihm zugleich Antwort: »Ja, mein Herr, ein Mord! Totgestochen haben sie einen, da drinn' in dem Hause! Die Herrens vom Gericht sind schon da.«

»Ich hab's zuerst entdeckt!« meldete sich ein halbwüchsiger Bursche.

»Ne, ich hab's zuerst gesagt,« unterbrach ihn eine dürre Arbeiterfrau. »Ich hab' gesagt, da is was los! Mal merkwürdig, hab' ich gesagt, das Haus ist doch leer, die Leute sind doch verreist und nu steht die Düre offen!«

»Aberst hineingehen haben Sie nicht gewollt, Frau Nachbarin, nicht für die Welt!«

»Ne, das hab' ich getan!« trumpfte der Bursche wieder auf. »Und rein gräsig war's!« Und er beginnt noch einmal zu erzählen, was er seinem dankbaren Publikum schon so und so oft vorgetragen, und mit jedem Male werden die Ströme Blutes größer, die er da drinnen gesehen hat.

Der Gast vom Westend-Hotel hat seinen Weg fortgesetzt; die Eingangstür war jetzt leer, aber bei seinem Nahen trat der Portier aus seiner Stube, und der Liftjunge tauchte aus einem dunkeln Gange auf.

Hansen nahm seinen Schlüssel in Empfang, dabei sagte er: »Was reden denn die Leute da draußen, ist denn das wahr?«

»Freilich, freilich,« bestätigte der Portier wichtig. »Es ist zu schrecklich! Unser Nachbar, der Herr Müller, ist vor zwei Stunden ermordet aufgefunden!«

»Ermordet – der kranke Herr von nebenan?!«

Hansen sah dem Manne forschend in das offene Gesicht.

»Jawohl, Herr, und jedenfalls von seinem Diener, denn der soll verschwunden sein!«

»Kannten Sie den Burschen, Portier? Es wäre ja doch sehr wichtig, wenn die Polizei etwas erfahren könnte.«

»Nein, Herr Doktor,« sagte der Portier bedauernd. »Das könnte ich nicht sagen. Ich habe ihn kaum gesehen, er war merkwürdig scheu, wir haben uns oft drüber gewundert – na, nun weiß man ja, weshalb!«

»Und Sie?« wandte sich Hansen plötzlich an den Liftjungen, der bisher stumm daneben gestanden.

Vor der plötzlichen, unerwarteten Anrede schrak er zusammen. »Ich?«

»Ja, ob Sie den Diener kannten?«

»Nein, ich kannte ihn nicht,« klang es heiser zurück.

Doktor Merkel lachte spöttisch auf. »Na, der wird der Polizei wohl mal wieder durch die Lappen gehen!« Dann schritt er auf den Lift zu. »Kommen Sie, fahren Sie mich hinauf!«

 

In dem engen Raume des Fahrstuhls herrschte starke Dämmerung, aber erst auf eine Forderung des Fremden schaltete der Beamte das elektrische Licht ein.

Langsam setzte sich der Apparat in Bewegung. Unbemerkt hafteten die Augen des Fahrgastes scharf auf dem überaus bleichen Antlitz des Beamten, das einen unverkennbar verstörten Ausdruck trug. Wie hatte der Mann sich in der letzten Zeit verändert! Fahl die Gesichtsfarbe, die Augen tief in ihren Höhlen liegend!

Eine hastige Bewegung des Liftjungen zwang Hansen, seine Augen abzuwenden, sollte er doch vor allem nicht frühzeitig gewarnt werden! Nun streifen seine Blicke gedankenlos das Stückchen kahlen Mauerwerkes, an dem sie jetzt rasch aufwärtsgleiten; da fällt ihm ein schwarzer Strich auf, der, mit schwarzer Farbe gezogen, sich scharf von dem grauen Zementgründe abhebt – und kaum gesehen und mit Bewußtsein erfaßt – seinen Blicken schon wieder entschwunden ist.

»Was bedeutet der Strich an der Wand?« Ohne besondere Absicht hat er's gesagt, nur um etwas zu sagen.

Kaum aber war die Frage verklungen, da geschah etwas Sonderbares: der Liftbeamte stieß einen heiseren, unterdrückten Schrei aus, er fuhr herum und auf den Herrn zu, dabei mußten seine Hände den Hebel berührt haben, der Lift stand plötzlich still, mitten zwischen den Stockwerken.

»Aber, mein Bester, was ist denn los?!« rief der Fremde erschreckt und sehr erstaunt, und ein Blick in sein verständnisloses Gesicht schien plötzlich den Beamten zu verwandeln. Er versuchte zu lachen und stotterte Entschuldigungen hervor – ein Krampf – aber es sei schon vorüber. Ein Druck am Hebel und das Gefährt setzt sich rasch gleitend wieder in Bewegung.

Vor seinem Zimmer angelangt, bleibt der Detektiv eine Weile horchend stehen, deutlich hört er, wie der Lift wieder abwärts gleitet.

Da wendet er sich kurz um und eilt die Treppen wieder hinunter auf den verdutzten Liftbeamten zu. »Die Mühe hab' ich Ihnen umsonst gemacht, hatte was vergessen! Sehr fatal – muß notwendig meine Tropfen haben! – Portier, haben Sie ein Kuvert und etwas Papier hier? Schön – schön! Kann wohl gleich an Ihrem Pult ein paar Worte schreiben!«

Der zerstreute Herr hat hastig ein paar Worte hingekritzelt, sie sind an Doktor Bruns und lauten: »Ueberbringer zehn Minuten festhalten – beliebige Mixtur mischen. Hansen.«

Der Zettel wird in das Kuvert geschoben und dieses, sorgfältig geschlossen, dem Liftbeamten eingehändigt. »Bitte, springen Sie damit in die Apotheke nebenan, der Portier paßt so lange schon auf Ihr Amt; ich muß die Medizin haben, spüre schon meine Nervenschmerzen – eilen Sie, lieber Freund!«

Der »liebe Freund« scheint keine große Lust zu verspüren, den Auftrag des aufgeregten Herrn Doktors zu erfüllen, erst ein unwilliger Zuruf des Portiers bringt ihn auf den Trab.

Kaum ist er verschwunden, da scheint der erregbare Herr schon wieder in Verzweiflung zu geraten, er fährt suchend in alle Taschen, späht auf dem Boden umher und rüttelt an der Gittertür des Lift.

»Oeffnen Sie, Portier! Ich habe meinen goldenen Crayon verloren! Es ist eine schlechte Angewohnheit von mir – drehe ihn so in Gedanken zwischen den Fingern, da muß ich ihn vorhin im Hinauffahren fallen gelassen haben! Wollen Sie auch das Licht andrehen – so, danke! Nein, Sie brauchen mir nicht zu helfen, ich finde ihn schon; wir stehen uns nur im Wege – gehen Sie ruhig an Ihre Arbeit.«

Der Portier denkt, dem Herrn könne freilich ein niederschlagendes Pulver nicht schaden, – wie er im Lift auf und niederfährt, als ob sein Crayon an den Wänden hängen geblieben sein könnte, stöbert er doch in den Stofffalten umher, mit denen sie bezogen sind; er wendet sich kopfschüttelnd ab und geht in seine Loge.

Ein paar Minuten später zeigt ihm der Doktor freudestrahlend den wiedergefundenen Bleistift; er läßt sich in der kleinen Portierloge nieder und verwickelt ihren Inhaber in ein Gespräch. Freilich, daß es schon mehr ein Verhör ist, und daß es zu seinen Gunsten ausfällt, das ahnt der harmlose Mann nicht.

Dann kommt der Liftjunge zurück. Der Doktor nimmt die kleine Flasche in Empfang, und wieder fliegt der Lift mit ihm aufwärts, aber diesmal sitzt der Herr ganz still auf dem Bänkchen, er hat die Augen mit der Hand beschattet und scheint sehr müde zu sein.

In seinem Zimmer angekommen, bleibt er eine Weile hochaufgerichtet stehen, in seinen blassen Zügen liegt es wie eine atemlose Erwartung, in seinen scharfen Augen leuchtet ein Strahl triumphierender Freude!

Wohl eine halbe Stunde wandert er dann auf und ab, sinnend und grübelnd.

Er zieht die beschriebenen Blätter aus seinem Fach, er liest sie noch einmal durch, dann faltet er sie mit festem Ruck zusammen und schließt sie fort – er braucht sie nicht mehr, er ist »am Ziel«.

 

Eine Stunde später vertrat Herr Runge den Portier in seinem Stübchen, und dieser saß im Zimmer des Herrn Reimers einem Herrn gegenüber, den er bis dahin als Doktor Merkel aus Hannover gekannt und der sich ihm jetzt in seiner Eigenschaft als Detektiv kundgegeben hatte. Der Portier sah aufgeregt und verängstigt aus, und sein sonst so rotes, blühendes Gesicht war fahl geworden.

»Also, Sie geben jetzt zu,« sagte Hansen streng, »daß Sie am Mordtage – am 12. September – nicht, wie Sie bisher angegeben, nach dem Fortgange des Herrn von Guseck – zirka zwei Stunden unentwegt auf Ihrem Posten geblieben sind, sondern daß Sie, unmittelbar nachdem der Herr das Hotel verlassen hatte, ebenfalls fortgegangen sind, und zwar in Ihre Wohnung im Hofe, zu Ihrer Frau?«

»Jawohl, Herr, das ist so!« stöhnte der Mann, sich mit seinem rotbunten Tuche wiederholt die feuchte Stirn wischend.

»Und weshalb haben Sie das nicht gleich gesagt?«

»Ach, Herr, ich dachte doch nicht, daß das so wichtig wäre! Und denn, der Herr Runge hält so streng darauf, daß ich in den Dienststunden nicht meine Loge verlasse – und, wahrhaftiger Gott, Herr, das tue ich auch sonst nie! Der Herr Runge kann mir das bestätigen, daß ich ein gewissenhafter Mann bin, aber diesmal, weil doch der Fritz sagte, meine Frau hätte nach mir gerufen – und, Herr, meine Frau war krank damals –«

»Dann konnte sie doch nicht kommen und Sie abrufen?«

»Nein, Herr, sie war ja bettlägerig, aber unser Kammerfenster geht doch auf den Hof, und wie nun der Fritz sagte, er hätte sie rufen hören, glaubte ich das doch! Durch die große Glastür, die von der Eingangshalle zum Hofe führt, hört man alles, was dort vorgeht, wenn man nicht gerade so schwer hört wie ich.«

»Hatte sie denn gerufen?«

»Nein, Herr.«

»Nein? Hat Sie das nachher nicht gewundert, da der Fritz es doch behauptet hatte?«

»Nein, Herr, ich dachte einfach, er hätte sich woll verhört gehabt.«

»Kennen Sie den Liftjungen näher? Was ist das für ein Mensch?«

»Nein, Herr, kennen tue ich ihn eigentlich gar nicht, wenn ich auch täglich ein paar Worte mit ihm gewechselt habe. Mir gegenüber war er sehr ordentlich und zurückhaltend. Von den andern Angestellten weiß ich, daß er bei ihnen nicht beliebt war, er sollte heimtückisch und falsch sein; ich weiß nicht, ich konnte nicht über ihn klagen.«

»Weiter wissen Sie nichts?«

»Nein. Nur die Kellner behaupteten, er verkehre mit dem ›Sozialdemokraten‹, so nannten sie den Diener des armen Herrn Müller, und er wollte das nicht wahr haben!«

»Ich habe auch gehört, es wolle keiner der Leute mit ihm zusammen schlafen, weshalb das?«

»Ach, das war nur, weil er so unruhig sein soll des Nachts, er solle sogar nachtwandeln, behaupten die Kellner, das ist aber schon länger her.«

»Freilich,« sagte ganz ruhig Hansen. »Das wird wohl in der Zeit gewesen sein, bevor damals der Bankier Goldschmidt verschwand, da wird er wohl nachts zu tun gehabt haben!«

Er drehte sich um und sah den Hotelbesitzer an, der verzweifelt vor sich hinstöhnte. »Wie ich Ihnen vorhin sagte! –« Dann richtete er sein Auge plötzlich scharf auf den Portier. »Nun hören Sie mal und denken Sie gut nach, bevor Sie antworten! Sie erinnern sich doch an den Bankier Goldschmidt, der vor einem halben Jahre ebenso verschwand, wie der Herr von Guseck jetzt?«

»Jawoll!«

»Nun besinnen Sie sich mal! Sie haben damals angegeben, der Herr wäre drei Uhr nachmittags aus dem Hotel fortgegangen, und diese Aussage ist durch den Liftjungen Fritz bestätigt worden?«

»Ja, Herr, und das stimmt doch auch?«

»Mann, Sie haben doch unter Ihrem Eide ausgesagt! Haben Sie denn den Herrn fortgehen sehen?!«

Der Portier war aufgesprungen, sein Gesicht sah ganz verzerrt aus. »Ach, Herr, machen Sie mich nicht unglücklich!« rief er angstvoll. »Du mein Gott, ich hab' ja nur ausgesagt, es wäre so gewesen, ich hab' doch nicht bezeugt, daß ich ihn hab' fortgehen sehen!« Mit einem schluchzenden Laut sank der Mann auf seinem Stuhle zusammen und schlug die Hände vor das bleiche Gesicht.

Hansen betrachtete ihn mitleidig, aber er sagte kurz und streng: »Erzählen Sie, wie es war!«

Stammelnd und undeutlich vor übergroßer Erregung gab nun der Portier an, er sei nur für ein paar Minuten in seiner Wohnung gewesen, und als er wieder zurückgekommen, habe er den Fritz gefragt, der in seinem Lift gesessen, ob jemand da gewesen sei? Und der Fritz habe ihm dann gesagt, der Bankier Goldschmidt sei soeben fortgegangen.«

»Und dabei haben Sie sich beruhigt? Auch als die Sache vor Gericht kam?! Und wie haben Sie sich dies letzte Mal mit Ihrem Zeugeneid abgefunden?«

»Diesmal bin ich gar nicht vernommen worden darüber, nur der Herr Runge, der ja auch dabei war, als der Herr von Guseck fortging. Ach, Herr, machen Sie mich nicht unglücklich!«

Der erschreckte Mann sah flehend von dem unbewegten Gesicht des Detektivs zu seinem Chef hinüber, der stumm in seinem Lehnstuhl saß und sich bis jetzt mit keinem Wort an dem Verhör beteiligt hatte. Nun stand er auf, und in seinem gutmütigen Gesichte arbeitete es, er zog Hansen am Aermel und führte ihn ein paar Schritte abseits.

»Lieber Herr Hansen,« sagte er eindringlich. »Der Mann ist, meiner Meinung nach, hm – bestraft genug! Er ist sonst so tüchtig und ehrlich! Das mit dem Eid – hm, hm – da hat er nicht so recht gewußt, was er tat, ich glaube –«

»Ich glaube auch,« nickte Hansen freundlich. »Ihr Chef da,« wandte er sich an den Portier, »gibt Ihnen ein gutes Zeugnis, ich denke, ich kann es verantworten, wenn ich diesen verhängnisvollen Irrtum in Ihren Aussagen, den Fall Goldschmidt betreffend, für mich behalte. Nein,« wehrte er kurz die Dankesbezeigungen des Mannes ab, »Danken Sie Ihrem gütigen Chef. Und dann hören Sie: Sie haben dem Liftjungen Fritz weder durch Wort noch Blick anzudeuten, was soeben zwischen uns – und daß überhaupt über den Mordfall verhandelt ist! – Er glaubt Sie augenblicklich mit einer Berechnung bei Herrn Reimers beschäftigt – dabei müssen Sie bleiben. Wenn Sie Ihrem Herrn Dank schuldig zu sein glauben, so zeigen Sie das, indem Sie sich durch äußerste Vorsicht bemühen, unsre Pläne nicht zu hindern. Wann verläßt der Liftbeamte abends seinen Posten?«

»Um zehn Uhr.«

»Und wo schläft er?«

»Im rechten Seitenflügel im vierten Stock.«

»Gut. Heute abend nach zehn Uhr, wenn der Liftjunge hinaufgegangen ist, wird Herr Runge Ihnen den Nachtdienst unten abnehmen. Sie werden sich von da an im vierten Stock aufhalten, natürlich, ohne daß die Kellner oder gar der Fritz Sie bemerken. Ich mache Sie verantwortlich für den Burschen, Portier! Sollte er versuchen, sich heimlich aus dem Hotel zu entfernen, so halten Sie ihn mit Hilfe irgend eines Kellners fest, nehmen Sie dann keine Rücksicht mehr darauf, Aufsehen zu erregen. Sie wissen nun Bescheid,« schloß Hansen. »Sie können gehen!«

Nachdem der Portier das Zimmer verlassen, wandte sich der Detektiv an den ganz gebrochenen Hotelbesitzer und den Geschäftsführer, der gleich darauf eintrat:

»Ja, meine Herren, mir ist die Sache jetzt klar geworden, und ich denke, ich werde auch Ihnen bald die letzte Frage, wo denn diese zwei Mordtaten vor sich gegangen, ganz beantworten können. Nun möchte ich Sie noch bitten, mir Ihren Fahrstuhl draußen – nach zehn Uhr heute abend – zur freien Benutzung zu überlassen. Haben Sie keine Sorge, ich verstehe etwas von der Elektrotechnik und weiß mit dem Apparat umzugehen. Halten Sie mir nur Aufpasser und Neugierige fern, damit unser Wild nicht stutzig wird.«

*

Der Staatsanwalt von Hachingen hatte ungeduldig noch einige Anfragen seiner Beamten erledigt; jetzt schloß er die Türen und setzte sich Hansen gegenüber, der gekommen war, Bericht zu erstatten.

Nachdem der Detektiv eingehend von seinen Nachforschungen, Entdeckungen und daraus resultierenden Schlüssen berichtet, fuhr er fort: »So hat den einen Mörder des Herrn von Guseck, den sogenannten Herrn Müller, schon die strafende Gerechtigkeit ereilt, er ist von seinem Mordkomplicen selbst über den Haufen gestochen worden. Hinter diesem angeblichen Diener fahndet schon die Polizei, wie ich von Kommissar Hänel weiß, vielleicht aber dürften noch einige nähere Angaben von Nutzen sein. Der falsche ›Johann‹ ist der schon lange gesuchte Einbrecher ›Karl der Große‹, ein schwerer Junge, der in Wahrheit Karl Benzinger heißt. Er ist gelernter Schlosser, ein Hüne von Gestalt, schleift beim Gehen die Füße nach und trug bei seiner Flucht ein dickes Lodenjackett, grauschwarz, mit grünen Tupfen; es besitzt an den Rockteilen oder an den Aermeln eine größere defekte Stelle. Darf ich fragen, wer mit seiner Ergreifung beauftragt ist?«

»Schulz. Ich erwarte jeden Augenblick eine Depesche von ihm! Bis Hamburg hatten sie seine Spur, und da ein Schiff seitdem nicht gegangen ist – aber Ihre Angaben sind wichtig – erlauben Sie –« Der Staatsanwalt drückte auf einen Druckknopf an seinem Schreibtisch, worauf sich sofort eine Tür öffnete und ein Beamter eintrat, und schrieb ein paar Zeilen auf. »Hier,« sagte er, den Zettel hinreichend. »Geben Sie das an Hänel zur weiteren Besorgung.«

Als der Mann verschwunden, wandte Hachingen sich wieder dem Detektiv zu.

»Bitte, fahren Sie fort! Also der Leichnam des Herrn von Guseck ist durch das Haus des p. p. Müller in die Keller der Apotheke geschafft und dort durch die Klappe in die Reesche spediert – schön, aber wie ist der Leichnam zunächst in das Haus des Müller gekommen?! Glauben Sie denn, daß dort im Hause der Mord geschehen?«

»Nein, Herr Staatsanwalt, seit kurzem nicht mehr! Seit ich weiß, daß der Mord im Westend-Hotel selbst begangen ist.«

Der Staatsanwalt sprang erregt auf. »Aber das ist doch kaum glaublich! Hänel hat doch – und ich habe doch auch im Hotel mehr wie einmal nach Spuren geforscht und nichts Verdächtiges gefunden!«

»Jawohl, Herr Staatsanwalt, mir ist es ebenso ergangen und doch ist es so. Wenn Sie erlauben, möchte ich über dies letzte noch schweigen; tatsächlich fehlt mir noch eine letzte Bestätigung meiner Annahme durch den Augenschein, aber heute abend werde ich Ihnen zeigen können, was uns jetzt noch fehlt – den Tatort, Herr von Hachingen!«

»Ganz wie Sie wünschen, lieber Hansen. Und Sie meinen also wirklich, der Fall Guseck wäre mit dem unaufgeklärt gebliebenen Fall Goldschmidt konform? Und wir würden die langgesuchte Leiche auch dieses unglücklichen Herrn in der Reesche finden?«

»Jawohl, Herr Staatsanwalt. Die Mordgesellen haben ihn von demselben Keller in der Apotheke durch die Klappe ins Wasser hinuntergeworfen. Nur dasmal geschickter, daß der Körper sich nicht an der kleinen Leiter festhaken konnte. Mit Steinen beschwert wird er dort unten liegen, auf dem Grunde der Reesche –, wenn Sie morgen Nachforschungen anstellen lassen, wird er sich finden.«

Die beiden Herren saßen sich eine Zeit lang schweigend gegenüber, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Dann empfahl sich Hansen, nachdem ihm Hachingen versprochen, sich um elf Uhr im Westend-Hotel einfinden zu wollen.

*

Vom Staatsanwalt von Hachingen eilte Hansen direkt zu Doktor Bruns.

»Wollen Sie mitkommen!« rief er ihm zu. »Ich will im Hause des Müller nebenan noch einmal nach dem verborgenen Zugang zum Westend-Hotel suchen, und verlassen Sie sich darauf, diesmal finde ich ihn!«

Natürlich war der Apotheker bereit und Feuer und Flamme für das Unternehmen. Diesmal betraten sie das Haus von der Straße aus durch die Haustür, deren Schlüssel sich Hansen verschafft hatte, und die sie sorgfältig hinter sich abschlossen.

*

Gegen elf Uhr begrüßte Hansen im Privatzimmer des Besitzers vom Westend-Hotel Herrn von Hachingen und den Kommissar Hänel.

»Und die Polizisten?«

»Sind mit dem Portier im vierten Stock – sollen sie den Vogel ausnehmen, Herr Hansen?«

»Das hat noch keine Eile,« sagte der Detektiv ruhig. »Darf ich zunächst die Herren bitten, mir zu folgen –«

»Zum Tatort?«

»Jawohl, Herr Staatsanwalt, zum Tatort.«

Er schritt den Herren voran durch die Eingangshalle des Hotels bis zum Lift und öffnete die Gittertür.

»Wir sind angelangt, wollen die Herren tritt mir in den Lift kommen? Danke, Herr Runge, ich fahre selbst.«

Die Herren haben sich erstaunt angesehen, dann sind sie der Aufforderung gefolgt und stehen nun eng gedrängt in dem kleinen Raum des Lift.

»Und jetzt,« sagte der Detektiv ruhig, »möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich am Tatorte befinden.«

Die Herren blieben stumm vor Erstaunen, nur Hachingen lieh ihrer aller Ueberraschung Worte:

»Aber, Hansen! Hier im Lift – und ohne Spuren zu hinterlassen? Und dann, wo ist denn der Mörder mit der Leiche geblieben in einem lebhaften Hotel am hellen Tage?!«

Hansen blieb ganz ruhig, er sagte nur: »Bitte, sich nicht auf die Bank zu setzen, ich kann Ihnen das Rätsel sofort lösen!«

Ein dumpfes Schweigen der äußersten Spannung hatte sich der kleinen Gesellschaft bemächtigt; aller Blicke hingen an dem blassen Gesichte des Detektivs, der jetzt die Hand an den Kurbelgriff der elektrischen Leitung legte. Langsam setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung, langsam, ganz langsam ließ Hansen ihn aufwärtsgleiten, immer die Augen auf den schmalen Streifen grauen Mauerwerks geheftet, der seitlich der Türöffnung zu sehen war.

An der ersten Etage sind sie eine geraume Strecke vorbei, da berühren Hansens Finger den Ausschalter und der Lift bleibt stehen – auf dem grauen Mauerstreifen ist in der Höhe des Schalters ein schwarzer Strich erschienen. Und noch etwas ist da zu sehen: ein schmales Metallbändchen steht einen Fingerbreit von der Wand ab.

Hansen legte den Finger daran und hob, Aufmerksamkeit heischend, die Hand – ein leises Klingelzeichen ward hörbar und unmittelbar darauf stießen die Herren einen schreckhaften Laut der Ueberraschung aus –, die ganze Hinterwand des Lift war plötzlich wie eine Tür lautlos auseinander gefahren, und in der freigewordenen Oeffnung – sich gegen einen schwach erleuchteten Raum dunkel abhebend, stand die reckenhafte Gestalt Doktor Bruns'! Er hielt die Hand mit einem Stock wie zum Schlage erhoben, und als jetzt Hansen sich auf das Bänkchen im Lift niederließ und die drohende Gestalt dicht hinter ihm verharrte, da überlief es die Zuschauer eiskalt in furchtbarem Entsetzen – denn klar und deutlich stand das Verbrechen vor ihnen, wie es hier zweimal verübt worden! Und alle atmeten erleichtert auf, als Bruns jetzt zur Seite trat und Hansen aufstand.

Es dauerte eine geraume Zeit, bevor die Herren sich dem Banne des Erlebten zu entziehen vermochten. Sie waren Hansen in den Raum gefolgt, der jetzt in gleicher Höhe mit dem Lift vor ihnen lag. Es war ein Zimmer der zweiten Etage des Nachbarhauses, das der sogenannte Herr Müller bewohnt und das bedeutend niedrigere Etagenhöhen besaß, als das Westend-Hotel.

Zur Seite gerückt standen ein paar hohe Bücherregale, deren mit Tapete beklebte Hinterwände die Maueröffnung in der Wand maskiert hatten.

Hansen schloß die breite Tür, die die Rückwand des Lift bildete, und erklärte den Herren den einfachen Mechanismus des Verschlusses, der, gut geölt, mit einem einzigen Griff geöffnet werden konnte, worauf die beiden Türhälften durch starke Federn auseinander geschleudert wurden.

»Das nichtsahnende Opfer,« erklärte Hansen, »das auf seinem Bänkchen saß, und dem der Liftjunge das Anhalten wohl mit einem Defekt in der elektrischen Leitung erklärte, wird kaum zum Bewußtsein der Gefahr gelangt sein, in der es schwebte! Das Oeffnen der Tür ging lautlos vor sich – dann ein furchtbarer Schlag mit dem Bleiknopf, und der Unglückliche wurde mit raschem Griff in dies Zimmer hinübergezogen! Die Tür wieder geschlossen, konnte der Liftjunge weiterfahren, ohne daß im Hotel dieser kurze Aufenthalt zwischen den Etagen hätte bemerkt werden können.«

»Und das Signal gab er mit dem Klingelzeichen,« sagte Hachingen nachdenklich. »Aber sie konnten nie vorher berechnen, wann ihr Opfer ihnen in die Hände laufen würde! Es war doch der reine Zufall, daß Herr von Guseck noch einmal umkehrte, um den Lift zu benutzen – wie erklären Sie das, Herr Hansen?«

Der Detektiv lächelte. »Nun, Herr Staatsanwalt, es handelte sich um zwanzigtausend Mark! Da vermute ich, daß einer der beiden Schurken, die hier im Hause wohnten, beständig sich in diesem Zimmer aufhielt, um zur Stelle zu sein, wenn das verabredete Zeichen ertönte. Wenn man bedenkt, mit welchem Fleiß und welcher Ausdauer dieser ganze Apparat in Szene gesetzt wurde, da meinte ich, kann es nicht wundernehmen, wenn sie auch noch einige Tage dafür auf der Lauer gelegen!«

Hachingen nickte: »Wie die Spinne in ihrem Netz haben die Schurken in dieser Menschenfalle gelauert.«

Herr Reimers war stöhnend auf einen Stuhl gesunken und starrte mit noch immer vom Schreck entfärbten Gesicht aufgeregt um sich her; er hantierte eifriger denn je mit dem seidenen Schnupftuch und bearbeitete seine runde Glatze mit gedankenloser Ausdauer.

»Runge, Mensch!« jammerte er. »Wie ist nur so etwas menschenmöglich?! Wie können die Kerle das denn fertig gebracht haben, diese Arbeiten am Lift, ohne daß wir etwas davon merkten?!«

»Vermutlich nachts,« antwortete der Detektiv für den ebenso verdutzten Geschäftsführer. »Erinnern Sie sich nur an das Nachtwandeln Ihres ehrenwerten Liftbeamten! Uebrigens kommen Sie, lieber Hänel, wir wollen ihn jetzt holen –«

»Gut,« unterbrach ihn Hachingen. »Wir erwarten Sie hier. Aber wissen Sie es denn schon? – Den ›Diener Johann‹ haben wir, und Sie hatten recht, es ist der langgesuchte Benzinger, ›Karl der Große‹. Schulz bringt ihn morgen von Hamburg. Er hat sich wie ein Wahnsinniger gewehrt und getobt bei der Verhaftung. Sie werden Mühe haben mit seinem Transport. Na, Sie scheinen sich ja nicht einmal zu freuen, daß uns der Schurke ins Garn gegangen, Hansen?!«

Nein – Hansen stand mit verdüstertem Gesicht, in schmerzliche Gedanken versunken!

Er denkt nicht an den Mörder, den sie gefaßt und der der Todesstrafe entgegensteht – er denkt des blassen Mädchens im Bäckerhause, der Luise Wehnert! Und dann muß er an die arme Mutter denken, die er dort so gebrochen verlassen – die Tochter vom tiefsten Leid zu Boden geworfen – und der Sohn? – Wäre dies Verbrechen ohne sein Dazutun so rasch aufgeklärt, die Mithilfe des Fritz Wehnert aufgedeckt worden? Hätte der Unglückliche, der Verführte, nicht Zeit gehabt, sich noch zu retten? »Arme Mutter!« murmelte er leise vor sich hin – da brachten ihn die erstaunten Blicke der Umstehenden wieder zum Bewußtsein seiner Pflicht. Der weiche Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht, er preßte die Lippen zusammen und seine Augen leuchteten in alter Tatkraft.

»Kommen Sie, Hänel,« sagte er rasch und stieg ihm voran über das Bänkchen in den Lift. »Und, Doktor Bruns, Sie schließen wohl die Tür; wenn wir mit dem Manne zur Stelle sind, werde ich das Zeichen geben, und Sie öffnen uns wieder.«

Doktor Bruns kam der Aufforderung nach, er schloß die Tür von außen, und langsam entschwand der Fahrstuhl ihren Blicken nach oben.

Die Zurückgebliebenen standen in unbehaglicher Spannung umher, und die Viertelstunde, die sie zu warten hatten, dünkte ihnen eine kleine Ewigkeit. Endlich läßt sich das surrende Geräusch des zurückkehrenden Lifts vernehmen und gleich darauf gleitet er vor ihren Augen herab; jetzt bleibt er stehen und das Klingelzeichen ertönt – eine kleine Glocke in verborgener Ecke.

Doktor Bruns ist rasch vorgetreten, und nun spielt sich derselbe Akt noch einmal ab, nur, daß jetzt aus dem Bänkchen, von zwei Polizisten niedergehalten, eine schmächtige Gestalt kauert und sich ihnen ein verzerrtes, totenblasses Gesicht zuwendet.

Als der Gefesselte endlich mit schlotternden Knien im Zimmer stand und mit scheuen Augen angstvoll von einem zum andern blickte, trat Reimers, schweratmend vor gewaltiger Erregung, auf ihn zu und packte den Mann am Arm – et rüttelte ihn in ausbrechender Wut und stammelte unverständliche Worte.

Der fassungslose Zorn seines sonst so gütigen Herrn machte jedoch wenig Eindruck auf den elenden Menschen! Seine umherirrenden Augen streiften nur einen Augenblick den bebenden kleinen Herrn vor ihm – dann schlossen sie sich in plötzlichem Schreck, um dann starr und entsetzt auf Hansen haften zu bleiben – er hatte ihn mit Namen gerufen: »Fritz Wehnert!«

Reimers und Runge glaubten sich verhört zu haben – so hieß der Liftjunge doch nicht –, aber ein Blick auf den Burschen, dem ratloses Entsetzen im bleichen Gesicht geschrieben stand, zeigte ihnen, daß sie sich bisher im Irrtum befunden.

»Fritz Wehnert,« fuhr Hansen fort und seine Stimme klang hart wie Stahl. »Sie tragen zweimal Mitschuld an einem Morde! Im April wurde der Bankier Goldschmidt Ihr Opfer, und am 11. September der Herr von Guseck! Ihre Schuld ist erwiesen, Ihr Mitschuldiger schon in Händen der Polizei –«

Ein rauher Aufschrei unterbrach ihn. »Ich habe sie nicht gemordet, das – das ist nicht wahr!« rang es sich heiser und mühsam von den weißen Lippen des Unglücklichen.

»Sie haben den Streich nicht geführt, das taten Ihre sauberen Genossen – aber Sie sind ebenso schuldig, als die Mörder –, Sie haben ihnen die unglückseligen Opfer in die Hände geliefert! Und dann, als Ihr Anstifter, der Müller, ermordet wurde, war es da der Benzinger allein? Antworten Sie!« rief Hansen drohend.

Aber der Verbrecher vermochte nicht mehr zu antworten, er schüttelte nur angstvoll den Kopf und lallte unverständliche Worte vor sich hin.

Hansen wandte sich ab und dem Staatsanwalt zu. »Meiner Ueberzeugung nach,« sagte er mit einem Blick auf den jetzt bewußtlos Zusammengebrochenen, »ist dieser das schwache Werkzeug in den stärkeren Händen der beiden Verbrecher gewesen. Aus Leichtsinn und Schwäche schlecht und lasterhaft geworden. Der Hauptschuldige, der geistige Urheber der grauenhaften Verbrechen, steht schon vor einem höheren Richter.«

Der elende Bursche wurde fortgeschafft, und die Herren drängten sich um Hansen. Der Staatsanwalt von Hachingen beglückwünschte den Detektiv zu dem Resultat seiner Nachforschungen, der dicke Herr Reimers schüttelte ihm unaufhörlich dankbar die Hände, und Doktor Bruns stand strahlenden Gesichts dabei, er war stolzer auf die Erfolge Hansens, als dieser selbst!

*

Am andern Tage gegen Mittag stand Hansen wieder vor dem Häuschen mit dem Bäckerladen in der Altstadt; diesmal hielt er sich nicht in dem duftenden Fliegenparadies auf, sondern schritt den kleinen Gang hinunter und pochte an die Tür der Eheleute Wehnert.

Wohl eine Stunde blieb er dort drinnen bei dem infolge der Aufregungen erkrankten Manne, der teilnahmlos im Bette lag, und der blaß, aber gefaßt aussehenden unglücklichen Mutter, die ihren alten Mann mit rührender Sorgfalt pflegte.

Und als er ging, da wußten sie auch das Aergste, aber sie segneten den Mann, der es ihnen so vorsichtig und liebevoll beigebracht, und der versprochen hatte, all seinen Einfluß aufzubieten, um eine mildere Beurteilung des verführten Sohnes herbeizuführen.

Finis

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