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Ein politisch Lied I

Nachstehende Verse wurden uns von einem Anonymus aus Berlin ohne Adresse eingesandt. Da sie für den Papierkorb zu gut und wir auf die vom Einsender angekündigte regelmäßige Fortsetzung gespannt sind, geben wir dem Poem im »Simplizissimus« einen Raum, obgleich es eigentlich nicht hineingehört.      D. R.

                            Ich, der alte Hieronymus Jobsius,
Weiland Theologiae candidatus,
Bekannt dem zu verehrenden Publikum
Durch meine Lebensbeschreibung von Kortum.

Ich, der ich in verwichenen Phasen
Deutscher Entwicklung das Kuhhorn geblasen,
Finde, daß es jetzt das richtige ist,
Ich werde politischer Journalist.

Nicht, daß ich dem gegenwärtigen Kurs der Dinge
Keine Hochachtung entgegenbringe;
Ich bin nur der Überzeugung, ein Kuh-
Horn gehört notwendig dazu.

Was ist der Bürger, der zahlt die Steuern,
Um sich selbst noch das Brot zu verteuern,
Anderes als eine melkende Kuh? –
Höchstens noch ein Esel dazu.

Es haben nämlich agrarische Übergriffe
Und besonders die Panzerschiffe
Schon seit Jahren mein Herz empört.
Warum hat man nicht darauf gehört!

Aber unmöglich kann ich diese
Hereinbrechende Ministerkrise
Hereinbrechen lassen, ohne meinem Zorn
Luft zu machen durch mein Horn.

Treibt denn nicht die Politik ihre schönsten Blüten
Nur um alles Erdenkliche zu verhüten?
Aber fragt man, was sie will,
Dann wird sie auf einmal mäuschenstill.

Die Agrarier, das will ich ja gerne zugeben,
Sind von Gott auch geschaffen, damit sie leben,
Aber warum schöpfen sie nicht lange schon
Trost und Stärkung aus der Religion?

Alsdann sagten sie sich wohl in Bälde:
Sehet die Lilien auf dem Felde;
Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie spannen niemand ins Joch
Und unser Vater im Himmel nährt sie doch!

Darum, wenn ich hätte die Ehre
Und der Kultusminister von Bosse wäre,
Müßte eine hohe Geistlichkeit
Solches verkünden weit und breit.

Aber was tut der Herr Minister indessen?
Jeder Schulmeister klagt über sein schlechtes Essen,
Wenn er im Jahr einmal etwas zu essen hat,
Denn gewöhnlich wird er nicht satt.

Muß er dann seinen Buben verkünden:
Du sollst dem Ochsen, der da drischet, das Maul nicht verbinden,
Dann blickt er aufwärts und sagt mit stolzem Sinn:
Ich danke dir, O Herr, daß ich kein Ochse bin;

Daß es für mein Vaterland ist eine Ersparung,
Wenn ich mich nähre von geistiger Nahrung,
Weil die leibliche aufgegessen wird
Von dem notleidenden Landwirt.

Wenn ich von einem armen Schulmeister höre,
Regt sich nämlich meine Standesehre,
Maßen ich vor manchem lieben Jahr
Auch einmal ein armer Schulmeister war.

Aber bei dem heutigen Treiben auf Erden
Hoffe ich Kultusminister zu werden;
Darum schimpfe ich auch auf ihn.
Man muß aus allem seinen Vorteil ziehn.

Da nehme man als Exempel den Herrn von Miquel!
Wer hätte dem sozialdemokratischen Karnickel
Vor dreißig Jahren prophezeit,
Er brächte es als Reineke Fuchs so weit.

Ich aber hingegen an seiner Stelle
Wüßte eine reichlich sprudelnde Quelle,
Aus der man noch manches Panzerschiff
Schöpfen könnte mit einem Griff.

Zollfrei sind immer noch unsere lieben Gedanken,
Die so üppig unter dem Himmel ranken
Besonders in unserem deutschen Land.
Miquel, wo hast du deinen Verstand!

Statt durch die Polizei zu überwachen,
Was wir uns für Gedanken machen,
Lasse doch gegen bares Geld
Jeden denken, was ihm gefällt.

Laß keine Bücher mehr konfiszieren;
Dabei kann man sein Geld nur verlieren.
Liebevoll mag es ja freilich sein,
Aber es bringt dem Staate nichts ein.

Bitte, stell dir vor, welche Unsummen
Nur allein durch Nietzsche zusammenkommen,
Wenn von jedem Deutschen, der nietzscht,
Etwas in die Staatskasse glitscht.

Auch soll man keine Versammlungen mehr auflösen,
Denn es verursacht nur böse Polizei-Spösen.
Schreie doch alles aus vollem Bauch!
Schrieest du, Miquel, nicht einst auch?

Und nun komme ich zur Vereinsnovelle;
Großer Gott, welche unerschöpfliche Geldquelle!
Ist es nicht wirklich eine Schmach,
Daß das halbe Vaterland noch liegt brach!

Deshalb, Miquel, eine letzte Bitte,
Bezugnehmend zu deinem demnächstigen Hintritte,
Wenn du als der Nachfolger von Fürst
Hohenlohe Reichskanzler würst.

Dann bitte ich, die Verwaltung der Reichskassen
Und das Finanzwesen überhaupt mir zu überlassen.
Du siehst aus meinen Plänen, daß es mir nicht
An der nötigen Inspiration gebricht.

Ich werde alles gewissenhaft verwalten,
Nur das Überflüssigste für mich behalten.
Denn hierin denk' ich wie ein Droschkenpferd:
Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert.

Die Gedanken werde ich sofort verzollen,
Dann mögen die Deutschen denken, was sie wollen.
Sozialist, Anarchist und auch Konservativ,
Alles hat seinen bestimmten Tarif.

Schmoller, Delbrück und Genossen
Wird ferner nicht mehr der Mund verschlossen;
Ja, selbst die hohe Beleidigung ist frei,
Vorausgesetzt, daß sie richtig versteuert sei.

Denn wie mancher Ehrsame fühlte sich gedrungen
Zu solcher Art von Beleidigungen,
Indem er die Beleidigung in einer Anwandlung
Von sprachloser Verwundrung begung.

Deshalb soll man ihn darob nicht richten,
Maßen man keinen Bürger verpflichten
Kann, so fromm ihn auch Gott geschaffen haben mag,
Seine Gedanken zu denken im Zick-Zack.

So, Miquel, nun kennst du meine Pläne.
Indem ich mich sehr nach deinem Portefeuille sehne,
Verbleib' ich indessen mit herzlichem Gruß
Dein getreuer Vetter

Hieronymus.

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