Frank Wedekind
Frühlingsstürme
Frank Wedekind

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Scene spielt in einem Atelier.

Dr. v. Schütz (mustert ein Bild, das auf der Staffelei steht) Wissen Sie, daß ich die Dame von einer ganz neuen Seite kennen lerne?

Knote Ich habe noch niemanden gemalt, bei dem der Gesichtsausdruck so ununterbrochen wechselte. Es war mir kaum möglich einen einzigen Zug dauernd festzuhalten.

Dr. v. Schütz Finden Sie denn das in dem Bild?

Knote Ich habe das Erdenklichste aufgewandt, um durch meine Unterhaltung während der Sitzungen wenigstens etwas Ruhe in der Stimmung hervorzurufen.

Dr. v. Schütz Allerdings, dann verstehe ich den Unterschied. (Da Knote die Züge mit Öl überpinselt) Glauben Sie es wird dadurch ähnlicher?

Knote Man kann nicht mehr thun als es mit der Kunst so gewissenhaft wie möglich nehmen.

Dr. v. Schütz Sagen Sie mal…

Knote Die Farbe ist auch wieder etwas eingeschlagen.

Dr. v. Schütz Haben Sie jemals in Ihrem Leben ein Weib geliebt?

Knote Ich verstehe Sie nicht. Der Stoff hebt sich noch nicht genügend ab. Man sieht noch nicht recht, daß ein lebender Körper darunter ist. – Wenn Sie bitte nur hierher treten wollen.

Dr. v. Schütz Sie müssen ihr wahre Schauergeschichten erzählt haben. (Er tritt einige Schritte zurück und stößt aus Versehen ein Bild um.) Oh Pardon!

Knote Oh bitte! (Er hebt den Rahmen auf.)

Dr. v. Schütz (betroffen) Was ist denn das?

Knote Sie kennen die Dame wohl?

Dr. v. Schütz Nein. – Aber erlauben Sie ... die ist Ihnen aber gelungen !

Knote Sie kennen Sie?

Dr. v. Schütz Nein. Und in dem Kostüm läßt sie sich malen?

Knote Es fehlt noch die ganze Ausführung. Was wollen Sie! Ich habe während jeder Sitzung das Vergnügen, ihren Mann zu unterhalten. Über Kunst natürlich, um mein Glück zu vervollständigen.

Dr. v. Schütz Wie kommen Sie denn zu dieser sonderbaren Bekanntschafts?

Knote Wie unsereiner eben zu sowas kommt . Ein steinalter wackliger Knirps fällt mir eines Tages hier herein, ob ich seine Frau malen wolle. Nun, natürlich, um Gottes Willen: und wenn sie runzlich wie Mutter Erde ist. Am nächsten Tag , punkt zehn, fliegt die Thüre auf und der Schmerbauch treibt dieses Engelskind vor sich her. Ich fühle jetzt noch, wie mir die Knie schwankten. Ein stocksteifer, saftgrüner Lakai hinterher mit einem Paket unter dem Arm. Wo die Garderobe sei. Denken Sie sich meine Lage. Ich öffene die Schlafzimmerthür da. Nur ein Glück, daß das Bett schon gemacht war. Das süße Geschöpf huscht hinein und der Alte postiert sich als Schanzkorb davor. Ehe ich noch recht zur Besinnung komme, tritt sie in diesem Schäferinnenkostüm heraus . Mir schoß das Blut zu Kopf…

Dr. v. Schütz Sie müßten doch eigentlich gegen derlei Eindrücke abgehärtet sein!

Knote Sie machen sich ja gar keinen Begriff! Der ganze Körper, wissen Sie, im Einklang mit diesem ebenso alltäglichen wie entzückenden Tingel-Tangel-Kleid, als wäre sie darin zur Welt gekommen. Und dann ihre Art und Weise, die Füße vom Teppich zu heben ... ich habe nie in meinem Leben so etwas gesehen!

Dr. v. Schütz Und alle diese Empfindungen, sehen Sie, merkt man diesem Portrait ganz genau an. Hier führt das Modell die Konversation!

Knote Da irren Sie sich. Sie hat den Mund noch nicht aufgethan.

Dr. v. Schütz Was Sie nicht sagen! Muß man denn dazu immer gerade den Mund aufthun?!

Knote Wenn Sie sich übrigens das Kostüm einmal ansehen wollen, ich kann es Ihnen zeigen.

Dr. v. Schütz E Ich danke Ihnen sehr; Sie sind zu liebenswürdig.

Knote Das ganze ist nämlich in einem einzigen Stück gearbeitet. Deshalb umschließt es die Formen so wie angegossen.

Dr. v. Schütz Wie kommt sie denn dann hinein?

Knote Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Sie kleidet sich immer in meinem Schlafzimmer um.

Dr. v. Schütz Und der Alte postiert sich als Schanzkorb davor!

Knote Es giebt Dinge, von denen sich unsere menschliche Schulweisheit nichts träumen läßt. Sie müssen übrigens jeden Augenblick hier sein. Mir scheint, ich habe den Wagen eben schon vorfahren hören. Wenn Sie dann vielleicht ihre Bekanntschaft machen wollen ...

Dr. v. Schütz Nein ich danke Ihnen. Wie oft wird Ihnen die Dame noch sitzen müssen?

Knote Ich werde diese Tantalusqualen wohl noch ein Vierteljahr zu erdulden haben!

Dr. v. Schütz Ich meine die andere Dame, meine Braut.

Knote Ach so! Entschuldigen Sie bitte, Herr Doktor. Dreimal höchstens. Wenn mir Ihre Braut dann nur vielleicht die Spitzentaille noch ein paar Tage hierlassen will, damit ich das Stoffmuster recht wirkungsvoll herausarbeiten kann.

Dr. v. Schütz Selbstverständlich; ganz, wie es Ihnen konveniert. Lassen Sie sich doch auch mal wieder bei mir sehen. (Da die Thüre geöffnet wird) In Gottes Namen!

(Sanitätsrat Krüger und Yella treten ein.)

Knote Darf ich die Herrschaften vielleicht miteinander bekannt machen?

Krüger (zu Dr. v. Schütz) Was in aller Welt treiben Sie denn hier?

Yella (zu Dr. v. Schütz) Sie wollen doch nicht etwa schon wieder gehen?

Krüger Welcher Wind führt denn Sie in diese Einöde?

Dr. v. Schütz Ich habe mir eben das Bild meiner Braut angesehen.

Yella Ihre Braut wird hier gemalt? Das ist ja ein entzückendes Zusammentreffen! Sie kleidet sich wohl jetzt eben gerade im Schlafzimmer um?

Krüger Sie lassen hier also auch arbeiten? Warum in aller Welt erzählen Sie Einem davon denn kein Sterbenswort?

Yella (hat ins Schlafzimmer gesehen) Wo steckt denn das süße Wunderkind, das Sie zu einem neuen Menschen gemacht hat?

Dr. v. Schütz (zu Krüger) Sie haben mir ja auch nicht erzählt, wo Sie Ihre liebenswürdige Gattin porträtieren lassen. – (Zu Yella) Meine Braut kommt meistens nur Nachmittags her.

Yella Sieh' da, da ist ja ihr Bild! – Sieht sie denn wirklich so ernst aus?

Dr. v. Schütz Das dürfte wohl noch die Nachwirkung ihrer Erziehung im Pensionat sein. Hoffentlich giebt sich das bald.

Krüger (vor dem Bild) Ja ja, Herr Doktor, man merkt, daß Sie eine tiefgehende Wandlung durchgemacht haben!

Yella Nun dürfen Sie das arme Wurm aber auch nicht mehr länger warten lassen.

Dr. v. Schütz Seien Sie ganz unbesorgt, gnädige Frau. In spätestens vierzehn Tagen werden Sie unsere Verlobungsanzeigen erhalten.

Krüger (zuDr. v. Schütz) Ich habe Ihnen schon verschiedene Male dazu gratuliert. (ZuYella) Laß uns bitte keine Zeit verlieren, mein Kind!

Yella (Zu Dr. v. Schütz) Denken Sie nur, wir fuhren eben im Trab über die neue Quaibrücke; und ich selber habe kutschiert!

Krüger Geh, Yella, hopp! Unser Apelles leckt sich schon seinen Pinsel ab!

Yella Glauben Sie nur, Herr Doktor, ich hatte mir dieses Gemaltwerden tausendmal amüsanter vorgestellt.

Dr. v. Schütz Sie haben immerhin die Genugthuung, uns einen der allerseltensten Genüsse zu bereiten.

Yella Na, warten Sie nur! Sie werden was erleben! (Ins Schlafzimmer ab.)

Krüger (stellt sich mit dem Rücken gegen die Thür) Ich habe sie in unserem Ehekontrakt nämlich Yella getauft.

Dr. v. Schütz Ja, hm – was läßt sich dazu sagen !

Krüger Nun, was halten Sie denn davon? Sie sind doch ein Mann von Geist?

Dr. v. Schütz Warum nennen Sie sie nicht lieber gleich Mignon?

Krüger Gewiß, warum nicht! Mignon! Das wäre auch so was! Sehen Sie, daran hab' ich nun leider gar nicht gedacht.

Dr. v. Schütz Sind Sie übrigens thatsächlich der Überzeugung, daß der Name dabei eine so bedeutende Rolle spielt?

Krüger Wie man's nimmt, lieber Freund. Wie man s auffaßt. Das ist eben nun einmal Geschmacksache! – Sie wissen, ich habe aus meinen früheren drei Ehen keine Kinder; da habe ich mich bis jetzt noch nicht viel mit Wählen und Erteilen von Namen abgeben können.

Dr. v. Schütz Jetzt sind Sie aber doch erst wieder drei Monate verheiratet.

Krüger Danke, ich wünsche jetzt keine mehr.

Dr. v. Schütz (seine Zigarettendose öffnend) Rauchen Sie vielleicht auch eine Zigarette?

Krüger (verläßt die Thür und bedient sich) Danke schön. – – Ich habe jetzt an dem Einen vollkommen genug. (Die Zigarette anzündend, zu Knote) Sagen Sie mal, lieber Freund, was macht denn eigentlich Ihre kleine Sängerin von neulich?

Dr. v. Schütz Ist es die Möglichkeit, Sie und eine Sängerin?!

Knote (ist derweil zur Schlafzimmerthür gegangen) Die Dame saß mir damals nur aus Gefälligkeit. Ich kenne die Dame von einem Ausflug des Künstler-Sänger-Vereins her.

Krüger (mit verächtlichem Achselzucken, zu Dr. v. Schutz) Mir scheint, wir werden jetzt dann nächstens anderes Wetter bekommen.

Dr. v. Schütz Meinen Sie? – Das geht wohl nicht so rasch mit dem Umkleiden da drin?

Krüger Das geht wie der Blitz, sag' ich Ihnen. Das habe ich ihr eingepaukt. Die Frau muß Virtuosin in ihrem Berufe sein, das ist die Hauptsache; ebenso wie Unsereiner auch Virtuose in seinem Berufe sein muß, wenn das Leben nicht zur Bettelei werden soll. Ich sehe überhaupt gar nicht ein, warum sich eine Frau in ihrem Beruf als Weib nicht ebenso sachgemäß und praktisch ausbilden soll, wie wir Männer uns zu Zeitungsschreibern oder zu Chirurgen ausbilden. (Er ruft.) Hopp, Yella!

Yella (von innen) Gleich! Gleich!

Knote (an der Schlafzimmerthür) Frau Sanitätsrat!

Yella (von innen) Gleich; nur noch eine Sekunde!

Krüger (zu Dr. v. Schütz) Ich begreife solche Stockfische nicht.

Dr. v. Schütz Und ich meinerseits beneide diese Stockfische aus tiefster Seele. Diese Stockfische, wie Sie sie nennen, kennen gar nichts Höheres und Heiligeres auf dieser Welt, als ihr Hungertuch. Was ihnen dies Hungertuch an seltenen Genüssen und berauschenden Orgien einträgt, ist hundertmal mehr, als wir Enterbten uns bei einer Jahresrente von hunderttausend Mark leisten können. Übrigens können Sie in Bezug auf Genußfähigkeit doch auch über einen Menschen nicht urteilen, der von Kindesbeinen an direkt von der Palette in den Mund gelebt hat. Finanzieren Sie ihn doch und machen Sie ihn berühmt. Es kann für Sie ein Geschäft daraus werden, wie jedes andere. Mir fehlt leider der moralische Mut dazu. ich beeinträchtige das Wunderwerk der Schöpfung nicht gern in seinem erhabenen Naturzustand. Und dann verbrennt man sich auch leicht die Finger an den kommenden Genies. Irgendwo ist bei solchen Menschen immer etwas nicht ganz. so, wie es sein soll.

Krüger Wenn ich diesen Caravacci für ein Genie hielte, wäre ich doch nicht hierhergekommen. (Er ruft.) Hopp!

(Yella tritt aus dem Schlafzimmer. Ihren Hut und den bis auf die Füße fallenden Paletot, in dem sie zuerst auftrat, hat sie abgelegt und erscheint nun in einem möglichst kurzen, mit bunten Schleifen besetzten Schäferinnenkleid, das ihre Figur- so wirkungsvoll wie nur irgend möglich zur Geltung bringt. In der Rechten hält sie einen hohen Stab mit Unterschleife.)

Yella Da bin ich! – (Zu Dr. v. Schütz ) Nun? – Wie gefalle ich Ihnen jetzt?

Dr. v. Schütz Sie beschämen die verwegenste Phantasie! Ein Naturbild, vor dem der talentvollste Maler an seiner Kunst verzweifeln müßte.

Krüger Finden Sie das nun nicht auch? – Ich habe unseren Rafael auch schon zu verschiedenen Malen darauf aufmerksam gemacht.

Yella Oh, dem macht das gar nichts.

Dr. v. Schütz Sie wissen doch wohl nicht recht, was für Unheil Sie damit in Ihrer Umgebung anrichten können.

Yella Im Gegenteil! Ich bin mir meiner Vorzüge so bewußt, wie es die eitelste aller Frauen nur sein kann. ich thue ja doch auch nur meine Schuldigkeit.

Dr. v. Schütz Sie haben sich etwas gepudert?

Yella Was Ihnen nicht einfällt! Kennen Sie mich nicht besser?

Krüger Mein, lieber Freund, da sind Sie auf dem Holzweg. Sie hat eine weiße Haut, wie ich sie in diesem Leben noch nie bei einem weiblichen Wesen gefunden habe. Ich habe unserem Tintorello auch schon gesagt, er möge sich mit dem Fleisch nur ja so wenig wie möglich abgeben. (Zu Yella) Hopp !

Yella Ja ja, ich stehe schon ganz zu seiner Verfügung. (Sie besteigt ein schmales Postament, das in der Mitte des Ateliers steht.) Mir ist der Brummbär überhaupt zuwider.

Dr. v. Schütz Wenn das wirklich der Fall wäre, dann würden Sie es vielleicht doch nicht so erbarmungslos in seiner Gegenwart aussprechen.

Krüger (zu Dr. v. Schütz) Kommen Sie hierher. Setzen Sie sich hier an meine Seite. Dies hier ist nämlich mein Beobachtungsposten. (Nachdem er Platz genommen, zu Knote) Nun fangen Sie aber bitte endlich mal an, Hopp! – (Zu Dr. v. Schütz) Ich kann mich nun einmal für diese moderne Klexerei nicht begeistern.

Knote (malend) Dem Impressionismus dankt es doch die heutige Malerei auf jeden Fall, daß sie sich unseren alten großen Meistern ohne Erröten an die Seite stellen darf.

Krüger Hm – für ein Stück Schlachtvieh mag sie ja ganz angebracht sein.

Yella (zuKnote, indem sie mit der Linken ihr Kleid etwas rafft) So?

Knote Ja, wenn ich bitten darf.

Yella Oder wünschen Sie es noch etwas höher?

Knote Ja, ja – noch etwas höher.

Yella So vielleicht? – Ist es so recht?

Knote Ja so ist es gerade recht.

Krüger (zu Dr. v. Schütz) Ich finde sie nämlich von hier aus eigentlich noch vorteilhafter.

Yella Ich bitte sehr, meine Herren; ich bin von allen Seiten gleich vorteilhaft.

Knote Die Beleuchtung ist heute zum mindesten halbwegs erträglich.

Krüger Sie müssen Sie flott hinwerfen. Fassen Sie Ihren Pinsel doch etwas länger! – Hopp! –

Knote Gewiß, Herr Sanitätsrat.

Dr. v. Schütz . Behandeln Sie sie als Stilleben! Malen Sie Schnee auf Eis! Wenn Sie tiefer gründen wollen, dann wird Ihre Kunst sofort unkünstlerisch.

Knote Gewiß, Herr Doktor.

Krüger Es verträgt nun einmal nicht jeder weibliche Körper Ihre pastose Behandlung!

Knote Gewiß, Herr Sanitätsrat. – Sie pflegten den Kopf um eine Idee höher zu halten, gnädige Frau.

Yella (den Kopf etwas hebend) Malen Sie mir die Lippen etwas geöffnet.

Knote Gewiß, gnädige Frau. Wenn gnädige Frau Ihre Lippen dann nur immer etwas geöffnet halten wollen.

Krüger (zu Knote) Die Kunst, wissen Sie, muß die Natur so wiedergeben, daß man wenigstens geistig dabei genießen kann!

Yella (zuKnote) So sehen Sie! So halte ich sie halb geöffnet.

Krüger Du mußt Dich in Deiner Stellung da oben überhaupt ganz so verhalten, als ob unser Titian hier gar nicht vorhanden wäre.

Knote Sobald die Sonne über das Nebenhaus scheint, wirft die Mauer von gegenüber warme Reflexe herein. Ich hätte mir im vergangenen Herbst doch lieber ein freier gelegenes Atelier mieten müssen.

Yella Ein Maler ist doch auch eigentlich gar kein Mann!

Dr. v. Schütz Ich glaube nicht, daß Sie von einer rühmlichen Ausnahme so ohne Weiteres auf die ganze Zunft schließen dürfen.

Knote (mit verhaltener Stimme vor Seelenschmerz aufstöhnend) Oh verflucht – oh verdammt noch mal!

Dr. v. Schütz (zuKrüger) Haben Sie im Kolosseum denn die kleine O'Morphi schon als peruanische Perlenfischerin auftreten sehen?

Krüger Drei Mal bis jetzt. Morgen sehe ich Sie mir zum vierten Mal an. Hoffentlich bleibt sie den nächsten Monat noch hier. (Zu Knote) Malen Sie ihr zum Henker die Augen etwas lebendiger!

Dr. v. Schütz Der dicke Fürst Polossow führte mich neulich Abend mal hin. Er ist entschieden die dickste Perle, die sie bis jetzt gefischt hat. – Sagen Sie mal, finden Sie sie denn übrigens wirklich so fabelhaft?

Krüger Meinen Sie die kleine O'Morphi?

Dr. v. Schütz Sie hören ja, daß ich von der kleinen O'Morphi rede. Ich weiß nicht, auf mich hat sie nämlich gar keinen so hervorragenden Eindruck gemacht.

Krüger (tief aufseufzend) Wer will das bei einer Frau überhaupt von vornherein beurteilen?

Yella Ich glaube, es hat geklopft.

Knote Entschuldigen Sie mich bitte für einen Augenblick. (Er geht auf den Korridor.)

Krüger (zuYella) Du darfst Dich ihm getrost noch etwas verlockender präsentieren, sonst wird das Porträt so langweilig, daß ich es in meiner Klinik zum Chlorophormieren benutzen kann.

Dr. v. Schütz (zuYella) Sie kränken den Mann ja damit auch gar nicht weiter. Sie sagen ja selber, daß er nichts für Sie empfindet.

Krüger Soll er empfinden, was er empfinden will! Wozu sitzen wir Zwei denn hier!

(Gaston – von Schütz steckt den Kopf zur Thür herein.)

Gaston Ist es denn nicht wenigstens für einen Moment erlaubt einzutreten?

Dr. v. Schütz Donnerwetter, da ist ja mein Sohn!

Yella Das ist ja Herr Gaston!

Krüger Kommen Sie doch nur herein, hopp!

Gaston (ist eingetreten, zu Yella) Ach, meine Gnädigste! (zu Krüger) – Der Herr wollte mich nämlich wirklich zuerst nicht einlassen. Er sagte, er habe eine Dame in so außergewöhnlich gewagter Stellung zu malen, daß er sie unmöglich meinen Blicken aussetzen könne, ohne sie in tiefster Seele zu kränken.

Knote Ich habe den Herrn mehrmals vergeblich gebeten, mir seinen Namen zu nennen.

Gaston (zuYella) Ach, mein Gott, wenn ich Sie doch für meine Hauptrolle engagieren könnte.

Yella Glauben Sie denn, Herr Gaston, daß ich für Ihre Pantomime auch gut genug tanzen würde?

Gaston Wie könnte ich daran zweifeln? Sie haben doch in Herrn Sanitätsrat einen Tanzlehrer, wie man ihn an keiner Bühne Europas findet!

Krüger O bitte, zu liebenswürdig!

Dr. v. Schütz Was führt Dich denn eigentlich hierher?

Krüger Sie lassen hier wohl auch insgeheim irgend jemand porträtieren?

Gaston Ich wollte Dich zu meiner Generalprobe abholen. Auf der Redaktion sagte man mir, Du seiest hierher gefahren. Kommen Sie nicht mit, Herr Sanitätsrat? In fünf Minuten muß ich auf der Bühne sein.

Krüger Wie nennt sich denn eigentlich Ihr neuestes Ballet?

Gaston Es heißt Zarathustra.

Krüger Zarathustra? Ich glaubte, der wäre längst im Irrenhaus.

Gaston Sie meinen Nietzsche, Herr Sanitätsrat! Der ist sogar schon tot.

Krüger Sie haben recht; ich verwechsle die Beiden.

Gaston Aber ich habe seiner Philosophie auf die Beine geholfen.

Krüger Und auf was für Beine, lieber Freund! Auf die weltberühmten Beine der Corticelli! – Sehen Sie, das gefällt mir an Ihrem Symbolismus. An den Beinen erkennt man den Bühnendichter.

Dr. v. Schütz Sie haben übrigens keine Zeit zu verlieren. (zu Krüger) Kommen Sie doch mit!

Krüger Unmöglich !

Gaston Kommen Sie mit, Herr Sanitätsrat! Im dritten Akt sehen Sie Zarathustra in seinem Kloster mit seinen Jüngern, alles die jüngsten Damen vom Ballet, keine über siebzehn Jahre. Das ganze Tanzpoem spielt in der Stadt, die genannt ist »zur Bunten Kuh«. Sie sehen den Seiltänzer, die wilden Hunde, das Grunzeschwein; dann sehen Sie die krumme Obrigkeit, den bleichen Verbrecher, den roten Richter. Sie sehen den letzten Menschen, die berühmten Weisen, die Töchter der Wüste, den Wächter der Nacht. Und schließlich sehen Sie mit eigenen Augen, wie Zarathustra bei einbrechender Dunkelheit den Seiltänzer, der am Nachmittage vom hohen Thurmseil gestürzt ist und den Hals gebrochen hat, mitten auf dem Marktplatze beerdigt.

Krüger Und das Alles haben Sie aus Ihrem eigenen Hirnkasten herausgeholt?! – Sie sind ja ein geradezu vorsündflutliches Genie!

Gaston Sie schmeicheln mir Herr Sanitätsrat! Aber der dritte Akt, sehen Sie, der hat mir wirklich Schwierigkeiten gemacht. Das Glänzendste daran ist die Scene, wie der Feuerhund mit den Kobolden zusammen aus dem Feuerberge ausgespieen wird – die Kobolde vom Taillengürtel aufwärts bis über den Kopf in schwarzen Trauersäcken und vom Aschenregen bestreut. Auf der ganzen Bühne sieht man nichts als Beine und Beine!

Krüger Phänomenal!

Gaston Vierter Akt: Zarathustra's Heimkehr; Wandeldekoration; er zieht dem Hirten die Schlange aus dem Rachen – die Geburt des Übermenschen. Die Corticelli tanzt den eben geborenen Übermenschen mit einer Grazie, die mich jedesmal an Sphärenmusik erinnert; ich weiß nicht, ob Sie die schon gehört haben. Apropos Übermensch, Herr Sanitätsrat, wissen Sie, wie ich mir den Übermenschen eigentlich vorstelle Nichts weiter sehen Sie, als ein geflügelter Lockenkopf mit rosigen Spangen, blauen Augen, blühenden Lippen, und darunter, wo sonst der Hals anfängt, das Notwendigste, um sich, wie Nietzsche sagt, hinaufzuentwickeln. – im letzten Akte sehen Sie Zarathustra vor seiner Höhle mit seinem Adler, seiner Schlange, den beiden Königen und dem alten Ölgötzen.

Krüger Mir wäre es, wissen Sie, nämlich wirklich nur um den Übermenschen zu thun. Probt denn die Corticelli heute Vormittag auch?

Gaston , Generalprobe, Herr Sanitätsrat! Alles probt mit, die alten Esel, die kleinen Maiglöckchen ...

Krüger Bleiben Sie mir jetzt nur um Gottes Willen mit den kleinen Maiglöckchen vom Halse!

Gaston Was kann Sie denn daran hindern, sie sich wenigstens anzusehen! Wir gehen nachher vielleicht noch mit ihnen in die Anglo-Amerikan-Bar. Da können Sie Ihrem Kunstenthusiasmus in Austern Genüge thun.

Krüger Es geht nicht! Es geht nicht! Bis ich zurückkomme, hat mir der Höllenbreugel das ganze Bild verpatzt!

Dr. v. Schütz Das wäre doch wahrhaftig kein Unglück!

Yella Darf ich Sie bitten, lieber, süßer Herr Gaston, reservieren Sie uns für die Premiere heute Abend doch auf jeden Fall eine Prosceniumsloge!

Gaston Ist bereits geschehen, meine Königin!

Knote Entschuldigen Sie, Frau Sanitätsrat, aber Sie halten Ihr Kleid jetzt wieder zwei Zoll tiefer als vorher.

Yella Seien Sie doch nur ruhig!

Krüger (in Wut) Wenn man solch einem Caravacci nicht jeden Pinselstrich expliziert!

Dr. v. Schütz (reicht ihm die Hand) Also auf heute Abend, Herr Sanitätsrat.

Krüger (stampfend) Verdammte Klexerei! (Er stellt sich an die Staffelei hinter Knote.) Sie müssen hier oben ein wenig mehr modellieren. Das Haar ist schlecht. Sehen Sie das nicht? Nehmen Sie doch in des Henkers Namen etwas mehr Farbe auf Ihre Palette. Gaffen Sie ihr nicht in einem fort nur an die Beine hin. Sie sind nicht genug bei der Sache…

Gaston Kommen Sie jetzt, oder kommen Sie nicht?

Krüger Nun nur hopp! – in die Anglo-Amerikan-Bar bringen mich keine zehn Pferde mehr.

Dr. v. Schütz (Gaston und Krüger folgend) Wir nehmen meinen Wagen, der unten steht.

(Alle drei ab. Pause.)

Knote (spuckt aus) Pack! – Wäre doch das Leben zu Ende! – Brodkorb und Maulkorb! – Jetzt bäumt sich mein Künstlerstolz, wo sie draußen sind! Diese Gesellschaft! – – – Wenn ich – Frau Sanitätsrat bitten darf, die rechte Hand etwas höher zu halten.

Yella Immer noch höher? – Das wird ja schon beinah unmöglich.

Knote – Ich erscheine Ihnen wohl recht lächerlich?

Yella Geben Sie nur Acht, er kommt gleich zurück. Er hält es keine zehn Minuten in der Generalprobe aus.

Knote Liebt er Sie denn so leidenschaftlich ?

Yella Er will sich einfach nicht zum Narren halten lassen. Ich finde auch, daß er darin vollkommen Recht hat. Ich kann das keinem Manne verdenken, der etwas auf sich hält.

Knote Ist es denn wahr, daß er Ihnen Tanzunterricht erteilt?

Yella Darüber lassen Sie uns lieber gar nicht reden. Das sind Privatangelegenheiten, die niemanden anders etwas angehen. – – Hören Sie, ich wußte es ja. Da ist er schon!

Knote Wieso meinen Sie?

Yella Es kommt jemand die Treppe herauf.

Knote Weiß Gott, ich höre auch so was.

Yella Malen Sie bitte, sonst zerschlägt er Ihnen die Knochen im Leib.

Knote Es ist niemand. – Es ist die alte Hausmeisterin, die die Treppe fegt.

Yella Gott sei gelobt!

Knote – Sie scheinen mir aber gar nicht viel Gefühl für ihn übrig zu haben.

Yella Ich bin, was ich bin. Wen will das Wunder nehmen! Sie sind ein glücklicher Mensch. Sie können sagen: Ich liebe diesen Menschen und ich hasse jenen Menschen. Das kann Unsereins nicht. – Aber malen Sie bitte! Er sieht nach, wieviel Sie gemalt haben, wenn er zurückkommt.

Knote (malend) Sie waren mit ihm zusammen auch in Paris?

Yella Woher wissen Sie das? Davon hat er Ihnen doch wohl nichts erzählt?

Knote Ich hörte so was. – Es scheint unter den jungen Künstlern in Paris auch entsetzlich viel Elend zu geben. Ist Ihnen das nicht aufgefallen?

Yella Wir sind in Paris nur bei Nacht ausgefahren. Tagsüber war er mit seinen Professoren zusammen. Ich saß derweil zu Hause im Hotel vor dem Kaminfeuer und rauchte.

Knote – – Haben Sie denn überhaupt jemals in Ihrem Leben irgend einen Menschen wirklich geliebt?

Yella Das thue ich sogar heute noch. – Das trauen Sie mir wohl gar nicht zu?

Knote Offen gesagt, nein. Es fällt mir ziemlich schwer, mir das vorzustellen.

Yella Aber was hilft Einem denn das. Stellen Sie sich einmal vor, daß dieser Mann Einem eines Tages erklärt: Du mußt jetzt den und den heiraten, ob Du willst oder nicht!

Knote Ich finde das geradezu unerhört!

Yella Sie finden das unerhört? Sie haben gut reden! – Seine Frau ist ihm plötzlich gestorben, nachdem sie jahrelang krank gelegen hat, und nun möchte er sich eben gerne wieder verheiraten, noch dazu mit einem jungen Mädchen aus den allerstrengsten Gesellschaftskreisen. Dabei bin ich ihm dann doch natürlich nur im Wege!

Knote Und deshalb lassen Sie sich dann willenlos von ihm aus dem Wege schaffen?!

Yella Ich sage Ihnen doch, daß ich den Mann liebe! Da werde ich mich doch nicht in unvernünftiger Weise direkt zwischen ihn und sein Lebensglück stellen!

Knote Es muß eine beneidenswerte Wonne sein, so selbstlos von einer Frau geliebt zu werden! – Wer in aller Welt ist denn dieser gewaltige Lebenskünstler?

Yella Das könnten Sie jetzt doch wirklich nachgerade gemerkt haben!

Knote Sie dürfen nicht vergessen, gnädige Frau, daß ich der geborene Dummkopf bin.

Yella Das scheint mir beinahe der Fall zu sein, nachdem Sie zwei Monate lang an dem Portrait seiner Braut malen.

Knote Wie meinen Sie das?

Yella Seine Braut kommt doch seit zwei Monaten jeden Nachmittag zu Ihnen, um sich von Ihnen malen zu lassen!

Knote Der also? – Der eben erst hier war? – Und dieses Ungeheuer lieben Sie?!

Yella Ich verdiente keinen freien Atemzug mehr zu thun, wenn ich ihn nicht liebte! Hätte mich dieses Ungeheuer nicht von der Straße aufgelesen, dann watete ich noch heute, wie ich es als Kind gethan habe, mit Papa Wolschke im tiefsten Schmutz. Und Sie hätten sich Ihren Rock am allerschnellsten zugeknöpft, wenn ich Ihnen damals Nachts an einer Straßenecke unversehens unter die Augen getreten wäre.

Knote Was kann ich Ihnen, als der Bettler, der ich bin, darauf antworten! Ich habe auch keinen Pfennig auf meine Künstlerlaufbahn mitbekommen, obschon ich aus einer ziemlich begüterten Bauernfamilie stamme. Aus den Schrecknissen, die Sie durchlebt zu haben scheinen, hätte ich mich aber vielleicht trotz all meiner Energie doch nie emporringen können.

Yella Das glaube ich Ihnen; aber wie hätten Sie das denn als Mann auch anfangen wollen! In der Beziehung sind wir freilich besser daran. Unsere weiblichen Eigenschaften nehmen es ebenso gut mit Klassenunterschieden wie mit Standesunterschieden auf. Für uns hat die Welt keine Hindernisse.

Knote (läßt den Arm sinken) Ich kann unmöglich weiter malen.

Yella Was ist mit Ihnen?

Knote Die Beleuchtung hat sich mit einem Male vollkommen geändert.

Yella Ich bleibe ruhig hier oben stehn, Sie mögen thun und lassen, was Sie wollen! Sie sind hier ja in Ihrem eigenen Haus. Meinetwegen können Sie sich Kaffee kochen!

Knote Wollen Sie sich denn Ihr Bild nicht einmal ansehen?

Yella Ich danke Ihnen sehr. In d i e Falle gehe ich nicht. Ich sage Ihnen ja, ich bleibe, wo ich bin. Und wenn Sie das Atelier auch an seinen vier Ecken anzünden, ich weiche nicht von meinem Platz!

Knote Dann erlauben Sie mir wenigstens eine ernste Frage!

Yella Fragen Sie, was Ihnen beliebt.

Knote Finden Sie denn nicht selbst, daß Sie und ich einander unendlich viel näher stehen, daß wir, arm wie wir beide sind, zehnmal mehr Gemeinschaft mit einander haben, als mit jener Gesellschaft von Sklavenhaltern und Glücksrittern, in der Sie leben, in der ich das trostlose Glück hatte, Sie kennen zu lernen?!

Yella Sie haben ebensowenig Ursache, sich über diese Gesellschaft zu beklagen, wie ich! Sie leben von dieser Gesellschaft von Sklavenhaltern geradeso gut, wie ich von den Sklavenhaltern lebe! Und wenn diese Gesellschaft nicht wäre, dann könnten wir Beide, Sie und ich, zusehen, wo wir mit unseren Kenntnissen blieben!

Knote Oh, wenn Sie doch nur wüßten, wie ich dieses Pack verabscheue! Wenn Sie wüßten, wie mich schon gleich der Ekel an der Kehle würgt, wenn einer dieser vollgefressenen, glotzäugigen Mastochsen nur erst seinen Mund aufthut! Denn, was kommt anderes heraus, als immer nur ein Schwefelregen auf eine frische Saat! Was kommt anderes heraus, als ein Faustschlag auf eine klaffende Wunde! Gemütsverrohung heißt bei diesen Menschen Männlichkeit! Ihre Schutzwehr gegen jede Gefahr ist das allerniedrigste Dickhäutertum! Wie unsereiner an den heiligen Rätseln des Lebens, so leiden sie an der Gicht und an geschwollener Leber. Und wenn ein Friedrich Nietzsche Auge in Auge mit der Ewigkeit erbarmungslos seine unerbittlichen Konsequenzen zieht, dann sehen diese Geldsäcke in Menschengestalt einen Wald von bengalisch beleuchteten Beinen sich vor ihrer tierischen Einbildungskraft entschleiern!

Yella Dadadadadadada! Wie Sie schön zu reden verstehen! Wer hätte Ihnen das zugetraut! – Aber diese Dickhäuter, sehen Sie, von denen Sie sprechen, die habe ich nie anders als zur Erholung beim Sekt nach gethaner Arbeit und vollbrachtem Tagewerk so schön reden hören. Wenn etwas gethan werden soll, dann thun es diese Dickhäuter kurzweg, ohne viel Worte dabei zu machen und nachher reden sie meistens auch nicht einmal mehr darüber.

Knote Glauben Sie denn vielleicht von mir, daß ich keiner That fähig bin?!

Yella Bis jetzt glaube ich das allerdings; aber Sie dürfen es mir nicht übel nehmen.

Knote Dann werde ich Ihnen das Gegenteil beweisen!

Yella Fassen Sie sich nur ein Herz. Ich warte darauf.

Knote Sehen Sie dieses Bild an! Ich habe fünftausend Mark dafür zu erhalten. Das ist für mich keine Kleinigkeit. Zweitausend Mark Vorschuß habe ich bis jetzt bezogen. Die übrigen dreitausend Mark bedeuten für mich die Möglichkeit, meine eigenen Ideale verwirklichen und als freier Künstler arbeiten zu können. Wird mir diese Möglichkeit aber von Leuten aus Ihrer Gesellschaft geboten, von diesen Glücksrittern und Sklavenhaltern, dann verzichte ich lieber von vornherein auf den Ertrag, denn solcher Menschen Wohlthaten können nur Ruch und Verderben in ihrem Gefolge haben. – Wollen Sie sich Ihr Bild noch einmal ansehen?

Yella Ich gehe nicht von meinem Platz.

Knote (zieht ein Messer aus der Tasche) Wollen Sie sich Ihr Bild noch einmal ansehen??

Yella Ihr Messer fürchte ich noch lange nicht! Hier stehe ich! Stoßen Sie doch bitte nur zu !

Knote Sie haben nichts vor mir zu fürchten! Aber wenn Sie Ihr Bild hier noch einmal sehen wollen, dann steigen Sie von Ihrem Postament zu mir herunter!

Yella Das thue ich nicht! Mit Drohungen bringen Sie mich hier nicht herunter. Was geht mich Ihr Bild an! Zerstören Sie es doch nur, wenn Sie wirklich den Mut dazu haben!

Knote ob ich den Mut dazu habe?! (Er zerschneidet das Bild von oben bis unten und von links nach rechts.) Da sehen Sie, daß ich den Mut dazu habe!

Yella (springt von ihrem Postament) Sind Sie wahnsinnig geworden?! – Das schöne Bild!

Knote (sie umfassend) Das schöne Bild, mein Kind – was gilt mir das Alles gegen e i n e n aufrichtigen, treuen Blick aus Deinen Augen – so wie Du mich jetzt ansiehst! Dich glücklich zu wissen, Deine Seele aus dem Schlamm emporzuheben, in dem sie augenblicklich dem Ertrinken nahe ist, das ist ein Werk, das mich höher und heiliger begeistert, als alle Kunst mit all ihrer hehren Trunkenheit. – Sag mir nur das Eine: Würdest Du mich lieben können, auch wenn Du kein Ponnygespann über die Quaibrücke zu lenken hättest, auch wenn Du Dein entzückendes, niedliches Ohr nicht mit Diamanten schmücken könntest, auch wenn wir still und bescheiden in einem abgelegenen Winkel auf dem Lande nur unserer Liebe lebten und Du mich und Deine Kinder Dein höchstes, einziges Besitztum auf dieser Erde nennen müßtest?

Yella Wie Deine Wangen glühen! Wie Dein Herz rebelliert! Weiß ich denn bis jetzt, ob Du mich wirklich liebst? Du redest so viel!

Knote Wie kannst Du nur noch an meiner aufrichtigen Liebe zweifeln! Ich werde Dir ein Heim schaffen, wie es nur in Kindermärchen zu finden ist. Ich werde Dir jeden Deiner geheimsten Wünsche an den Augen ablesen…

Yella Thu' das! Thu' das bitte! Ich beschwöre Dich darum! Du machst mich überglücklich!

Knote Ich werde… Da tappt jemand an der Thür herum!

Krüger (von außen, dumpf) Machen Sie auf! Schließen Sie auf!

Yella Verstecken Sie mich, um Gottes Willen!

Knote Es wird die alte Hausmeisterin sein, die die Treppe fegt…

Yella (vor ihm in die Knie sinkend) Verstecken Sie mich! Er schlägt mich tot!

Krüger (hereinstürzend) Wirst Du jetzt gleich mit mir nach Hause fahren!

Yella (Knotes Knie umklammernd) Er schlägt mich tot! Er schlägt mich tot.

Krüger Wirst Du ... (Nach Atem ringend, mit erhobenemStock) Hopp! – – Hopp! – – Ho-hopp! ... (Er stürzt vornüber und bleibt liegen.)

Knote (eilt ihm zu Hilfe und beugt sich über ihn) Herr – Herr –Sanitäts – Herr Sanitätsrat – Herr Obersanitätsrat –

Yella Um Gottes Barmherzigkeit Willen, was ist da geschehen!

Knote (über Krüger gebeugt) Er hat sich die Stirne verletzt. – Herr Obersanitätsrat! – Sein Puls schlägt noch. – Herr Geheimrat ! – – Er hört nicht. Um Gottes Willen, was läßt sich denn da thun! Ein Arzt, so rasch als möglich! Parterre wohnt der Doktor Meier. – Herr Obersanitätsrat! – Ich gehe rasch hinunter, um den Doktor Meier heraufzuholen. – Seine Schläfen sind eiskalt. Und in der Hand rührt sich gar nichts. Hoffentlich kann der Arzt noch das Äußerste abwenden! (Zu Yella) Wollen Sie doch bitte derweil das Atelier etwas in Ordnung bringen. Ich bin gleich zurück. (Ab.)

Yella (allein) – Auf einmal springt er auf. – Er hat mich überall im Auge. – Er sieht mir auf die Füße und beobachtet jeden Schritt, den ich thue. – Und wenn es ihm trotzdem ernst ist – wenn er mich allein läßt – was dann? – – Nein – er nimmt mich mit hinunter – läßt mich unten tanzen. Er kann alles durchsetzen; er ist zweifacher Millionär – vor dem Teufel und der ganzen Hölle läßt er mich tanzen. – Die Millionen nimmt er auch mit! – Mich – und die Millionen – und meinen Tanz ...

Knote (zurückkommend) Der Arzt kommt gleich! – Wollen Sie sich dem nicht wenigstens anständig anziehen?

Yella Wie Sie befehlen. (Zu Krüger) Wie Du befiehlst ... (Sie geht ins Schlafzimmer ab.)

Knote (allein, setzt sich auf das Postament und vergräbt den Kopf in die Hände) – – Aus den dunklen Tiefen der menschlichen Gesellschaft komme ich herauf – mit einem unbezähmbaren, eingeborenen Lechzen nach Licht, nach Lust und Herrlichkeit! – Einem Lechzen, das während gramvoller langer Jahre in Erniedrigung, das unter schmachvollsten Demütigungen, unter Entbehrungen, deren Furchtbarkeit öfter die Grenzen menschlicher Lebenskraft ausmaß, nicht hat erlöschen wollen! – Wer lernte je, solang er atmete, sein eigenes Geschick begreifen! – Über diese grausenvolle Schwelle zu meinem Glück zu schreiten, über diesen entsetzlichen Vernichtungsschlag zu Wohlstand und Unabhängigkeit zu gelangen, hast Du unter Tausenden mir in Deiner unerforschlichen Fügung gütigst vorbehalten! – – Hätte sich der bebendce schüchterne Jüngling, als ihm die Welt und der Lebenskampf wie ein unüberwindliches, wutschnaubendes Ungeheuer entgegengrinsten – hätte er sich in seinen verstiegensten Ängsten je eine so kreischende Blasphemie von Schicksalsgnaden träumen lassen?! – Ich faß es nicht, ich faß es nicht, und mir graut fast, meine Hand auf diesen Gewinn zu legen! – – (Er hat sich erhoben.) Aber Du bist ein Geschöpf, an dem sich die Menschheit versündigte, noch ehe Du zum ersten Mal die Augen öffnetest! An Deiner schauervollen sittlichen Verwahrlosung trägst Du selbst o wenig die Schuld, wie ich an der starren Unbeugsamkeit meiner Künstlerseele, wie ich die Schuld an meiner bäurischen Einfachheit, an der Unverwüstlichkeit meiner Energie und an meiner übermenschlichen Körperkraft trage. Und so will ich Dich denn retten, um des Glückes, das Du mir bringst, würdig zu sein! Das schwöre ich! Das schwöre ich angesichts dieser erloschenen Augen; das schwöre ich bei Allem, was ich Hohes und Heiliges in dieser Welt kenne; ich schwöre es bei dem, was mir die Zukunft an Erfolgen und Ruhm zu bieten hat! – Du bist ein Mädchen, das aller Verderbnis zum Trotz den untilgbaren Stempel der Seelenreinheit, der geistigen Größe im Antlitz, im Rhythmus der Füße, in jeder Körperbewegung trägt. Deine Züge können lügen; hundertfach haben sie gelogen, tausendfach; das glaube ich gern. Aber wen belogst Du damit! Gemeine Spekulanten, niedrige Epikuräer, geistige Hochstapler, die das leuchtende Kleinod, hätte es sich ihnen unvorsichtiger Weise jemals unverhüllt gezeigt, nur hätten beschmutzen oder mit ihren rohen Schinderfäusten zertrümmern können! – Mir, dem bescheidenen Kindergemüte, mir, dem reinen Thoren blieb es vorbehalten, Dich in der Wüstenei des weltlichen Getriebes zu entdecken! Und so sei denn auch all mein künftiges Leben und Streben Dir allein geweiht. Eine lebendige Gottheit sollst Du durch die Verehrung, mit der ich Deinem Wohl und Deiner seelischen Auferstehung lebe, über meine Thaten herrschen! Und in Augenblicken der Bangigkeit und des. Zweifels wird Dein kluger Orakelspruch – unbewußt aus den ewigen Weltgesetzen entsprungen – mein Handeln bestimmen. – Welcher Mensch in der Welt wüßte denn auch besser als ich, wie sich Menschen aus der Tiefe emporheben und veredeln lassen! Ihre niedrigen Eigenschaften nicht beachten, auch wenn alle Welt mit Fingern darauf weist. Und ihre guten Eigenheiten hegen und großziehen, bis sie zu so herrlichem Wachstum gediehen sind, daß die schlechten nirgends mehr Platz und Nahrung finden. Jeder Mensch, sei er wer immer er sei, will lieber Gutes als Schlechtes thun. Das ist meine höchste Weisheit und der vertraue ich! – –

(Yella kommt im Rock einer eleganten Straßentoilette rund in weißer Untertaille aus dem Schlafzimmer, vollkommen angekleidet bis auf die Taille, die sie inder Hand hält.)

Yella Würden Sie mir bitte helfen, die Taille anziehen. Ich kann sie nicht zuhaken. Meine Hand zittert.

Knote (verwirrt) Was soll ich…?

Yella Mir helfen die Taille anziehen. Oder verstehen Sie sich vielleicht nicht so genau auf Damentoiletten?

Knote (noch wie vorher in innerem Kampf)… Mir graut davor, meine Hand auf den Gewinn zu legen…

Yella Ihnen graut vor mir?

Knote (umfaßt sie überwältigt) O Weib! – O Glück!

Vorhang


 << zurück