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VII. Das Treiben des Ablaßpredigers Tezel während seines Aufenthaltes im sächsischen Erzgebirge.

Ein Gemälde aus dem XVI. Jahrhunderte.
Erzählt von A. Textor.

Alles hat seine Zeit.

Salomo.

Längst bekannt, auch theilweise wieder vergessen ist die Rolle, welche der Ablaßkrämer Tezel zu seiner Zeit spielte; und es ist keinesweges unsere Absicht, das noch einmal zu wiederholen, was schon hundertmal im Allgemeinen von ihm erzählt worden ist: sondern wir wollen uns nur darauf beschränken, aus seiner Laufbahn das auszuheben, was mit seinem Aufenthalte in unserm Gebirge in näherer Verbindung steht. Gerade in dieser Periode schütteten die Bergwerke des Erzgebirges die reichsten Ausbeuten; und es war für die Lieblinge der Glücksgöttin sehr leicht, waren sie auch erst noch so arm, in kurzer Zeit zu großem Reichthum zu gelangen. Kein Wunder also, wenn dieser so spekulative geistliche Abenteurer sein Hauptaugenmerk auch dahin richtete und darnach trachtete, auf seine bekannte Weise ebenfalls Theil zu nehmen an diesen großen Schätzen der Erde, und einzutauschen blankes Silber gegen Papier. Er besaß die Gabe einer überredenden Beredsamkeit im hohen Grade, und war auch sonst an witzigen Einfällen keinesweges arm; besonders aber hatte ihm die Natur viel Geistesgegenwart verliehen, und er wußte sich, gerieth er in Verlegenheit, meisterhaft heraus zu helfen. Mit diesen herrlichen Eigenschaften ausgerüstet, trat er mit seinem Begleiter die sogenannte heilige Reise ins Gebirge an, um zu sehen, wie viel des Bergmanns Fleiß auch für ihn zu Tage gefördert habe.

Zwickau war die erste Stadt, deren Einwohner das Glück genossen, für ihr baares Geld die Erlaubniß zu erhalten, ungestraft thun zu dürfen, was sie wollten. Kaum hätten wohl die Zwickauer ihren Landesfürsten, wäre er in ihre Stadt eingezogen, mit mehrerem Pomp empfangen können, als sie diesen, Heil und – Straflosigkeit für baares Geld bringenden Dominicaner-Mönch empfiengen, als er in der Woche vor Pfingsten des Jahres 1507 seinen äußerst prächtigen Einzug in diese Stadt hielt. Ein großer Ruf gieng vor ihm her, und Zwickauer Rathsherren eilten ihm entgegen, um den Mann Gottes zu bitten, seine Heil-bringende Gegenwart auch ihrer Stadt zu schenken. Er ließ sich erst ein wenig bitten; dann aber sagte er sein Kommen zu, und bestimmte den Tag seiner Ankunft.

Kaum war dieser angebrochen, als Geläute aller Glocken das Volk, geschmückt mit Feierkleidern, hin zum Tempel Gottes rief. Der Rath erschien im Fest-Ornat. Die Cistercienser so wie die Franciscaner-Mönche verließen ihre stillen Klöster, und eilten mit vorgetragenem Kreuz und Fahnen herbei, um den theuren Gnaden-Gesandten Päpstlicher Heiligkeit empfangen zu helfen. Ihnen schlossen sich die Bewohner der Hospitäler, die in Zwickau waren, mit an. Von allen Seiten zogen die Zünfte, mit dem vorgetragenen Stab und Heiligen an der Spitze, köstlich angethan daher, und die Zunft-Papiere wehten in die Luft empor. Von allen diesen Zünften aber war die der Tuchmacher an, zahlreichsten und prächtigsten. Der Schutzpatron der Schuhmacher war der heilige Crispinus (von welchem das bekannte Sprichwort herkommt), und er war von dem damals reichen Gewerk in fein silberner Arbeit angeschafft worden, und wurde bei Processionen dem Handwerkszuge vorgetragen, so wie es bei jedem andern Handwerke auch mit seinem Schutzpatron geschah.

In der großen Marienkirche hielt der Pfarrer eine Rede an das Volk, und ermahnte die Zuhörer: »mit Dank zu erkennen des heiligen Vaters Gnade, und Glauben zu haben an den gespendeten Ablaß, auch daß er helfe den armen Seelen im Fegefeuer, und lindre ihre große Qual.«

Nun ertönte abermal das prächtige Geläute der Marienkirche, und von ihr zog nun die lange Procession dem Heil bringenden Manne Gottes entgegen. Voran die Schulen mit ihren Fahnen. Ihnen folgte der Magistrat mit der Geistlichkeit, und diese, in den prächtigsten Meßgewändern, ließ in ihrer Mitte einen überaus köstlichen Baldachin tragen, daß von ihm bedeckt der lang erwartete Bote des Heils einziehe. Und diesem folgte nun der lange Zug von Trost-bedürftigen Sündern.

So zogen sie hinaus vor die Stadt, wo in einiger Entfernung der hochwürdige Herr mit seinem Wagen hielt. Jetzt war man bei diesem angelangt; der regierende Bürgermeister trat feierlich hervor, und bat in wohlgesetzter Rede: auch dieser alten Stadt zu bringen päpstliche Huld und Gnade, und einzuziehen zu ihren Thoren, damit die Bürger ebenfalls theilhaftig würden des neuen Segens der Kirche. Mit majestätischem Ernst hörte der heilige Mann diese demüthige Bitte an, und versprach mit einem gnädigen Kopfneigen ihre Gewährung. Er stieg nun von dem Wagen herab, und gab die köstlich eingebundene päpstliche Bulle dem Pfarrer der Marienkirche, sie ihm beim Zuge vorzutragen. Tezel selbst aber nahm ein großes Kreuz von gutem Silber und vergoldet in seine Hand, und trat mit sehr andächtigen Gebehrden, nebst dem Pfarrer, der die Bulle trug, unter den Baldachin, empfangen vom Jubel des Volks. Die Geistlichkeit aber stimmte das Hosianna an, und die Luft ertönte von dem Gesänge und dem Läuten aller Glocken.

So zogen sie in Zwickau ein und geradehin nach der Marienkirche. Ein höchst feierliches Hochamt wurde gehalten. Kaum war dasselbe zu Ende, als sich die Geistlichkeit am Hochaltare sammelte, den Neuangekommenen in ihre Mitte schloß, sich auf die Kniee niederwarf, und das Miserere etc. anstimmte. Alles war für den Eindruck auf die Gemüther berechnet, und in der That verfehlte dieses alles keinesweges seinen Zweck; denn man weiß recht wohl, was dieser Psalm, gut vorgetragen, für eine große Wirkung auf das menschliche Gemüth hervorbringt. Der Herz-ergreifende Gesang war zu Ende; und in der feierlichen Stille, die ihm folgte, erhob sich der Ablaß-Gesandte, um die Canzel zu besteigen, und von ihr herab des heiligen Vaters Gnade zu verkündigen. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, und aller Ohren vernahmen nur seine Rede. Tezels großes Predigertalent zeigte sich an diesem Tage in seinem ganzen Umfange. Mit hinreißender Beredsamkeit schilderte er die Leiden und Qualen der armen Seelen im Fegfeuer, und prieß die Wunderkraft des Ablasses, ihnen aus diesem zu helfen. Eine Todtenstille herrschte in der ganzen Kirche. Alle Zuhörer waren tief erschüttert; denn keiner war unter ihnen, der nicht irgend eine Seele von den geliebten Seinen aus dem Fegefeuer zu erlösen hatte, und die Thränen flössen reichlich. Tezel verstand die Kunst sehr wohl, durch der Rede Kraft und Macht große Effecte hervorzubringen, und ließ sich oft selbst bis zu den Künsten der rhetorischen Charlatanerie herab. Mitten in der ergreifendsten Schilderung brach er ab, verließ die Canzel, und gieng feierlichen Schrittes nach dem aufgestellten Opferbecken hin; und alles Volk, Vornehme und Geringe, Reiche und Arme, strömten ihm im dicken Gedränge dahin nach.

»Nicht blos sprechen will ich zu Euch, meine Christen!« – erscholl der neuen gewaltigen Rede Anfang – »nicht blos Worte will ich spenden: auch mit der That will ich Euch vorangehen. Folgt meinem Beispiele nach, und noch heute werden Tausende von erlösten Seelen Eure Milde segnen, wenn sie, befreit von des Fegefeuers Qualen, der Seligkeit des Himmels sich erfreuen werden. Eure Väter, Mutter, Brüder, Schwestern, Gattinnen und Kinder schmachten in dem Fegfeuer vielleicht viele hundert Jahre noch, wenn Ihr verschmäht, durch Eure Opfer der Liebe und Treue sie aus diesem Ort der Qual bald zu erlösen. Und Ihr säumet noch? – Blickt auf, und sehet! Mit meinem Beispiel geh' ich Euch voran, und opfre alles, was ich habe.«

Und wirklich griff der allgewaltige Redner in die Kutte, zog einen Beutel mit Gelde hervor, und schüttete ihn in das noch leere Opfer-Becken aus. Wie ein elektrischer Schlag wirkte dieses auf die Menge, und Alle stürzten nach dem Opferbecken hin, das Ganze, was sie an Baarschaft bei sich trugen, in dasselbe zu dem ewigen Heil der Seelen einzulegen. Bald war das Opferbecken gefüllt, und andere, die man leer an seine Stelle setzte, trug man gleichfalls reich gefüllt hinweg. Zum Schlusse wurde noch am Hochaltare die Benediction ertheilt; und Alle zogen nun getröstet, ja im lauten Jubel, ihren Häusern zu.

Und dieses Alles war nur die Einleitung, in welcher blos für die Verstorbenen gesorgt wurde. Aber es sollten auch die Lebenden an dieser päpstlichen Gnade, zur Beruhigung der von begangenen Sünden beängstigten Gewissen, Antheil nehmen. Und dazu wurde am andern Tage ein großes rothes Kreuz vor Tezels Wohnung errichtet, und die päpstliche Ablaßfahne daran aufgehangen. Neue kräftige Reden brachten neue reiche Opfer; denn jeder Sünder suchte hier sich seiner Schuld auf eine leichte Art zu entledigen, ohne daß er der beschwerlichen Kirchenbußen, die im Beichtstuhl auferlegt wurden, irgend nöthig hatte. Hier wurde nun nach Stand und Würden ein Jeder bedient, ja, selbst der Groschen des Armen nicht verschmäht. Und so war kein Tag ohne Einnahme, obgleich Tezels Aufenthalt in Zwickau das Jahr 1507 hindurch währte. Dieser Mensch aber half den andern Menschen von ihren Sünden, so wie von ihrem Gelde, daß es eine Lust war, es mit anzuschauen; und nie gebrach es ihm an Vorwänden, die er jedesmal mit hinreißender Beredsamkeit vortrug.

Der ehrwürdige Vater Tezel war aber nicht allein berühmt wegen seiner mächtig überredenden Sprache, sondern er trug auch noch bei allen angestellten Gastereien hohen Ruhm davon; denn als einer der feinsten Schmecker beurkundete er stets auf das glänzendste das Meisterthum in dieser edlen Wissenschaft. Dabei war er auch ein starker Freund des edlen Rebenbluts, und hielt sich, wurden Wettkämpfe im Poculiren veranstaltet, jederzeit trefflich wohl, wie man denn in allen Städten seines Aufenthaltes die lustigsten Anekdoten von ihm zu erzählen wußte. Aber auch an allen diesen Orten war die Achtung für ihn deshalb gesunken, und gleiches Loos traf ihn nunmehr auch in Zwickau. Der feine Menschenkenner aber, der er wirklich gewesen ist, merkte dieses gar bald, und nahm daher seinen Abschied, als es noch Zeit war.

Hatte man ihn aber während seines Aufenthalts in Zwickau fleißig zu Gaste gebeten, so suchte er sich auch, Gutes mit Gutem vergeltend, bei seinem Abschiede durch ein splendides Valet-Mahl möglichst zu revangiren; und Alles, was in dieser Stadt vom guten Tone war, nahm Theil daran.

Während man nun schmaußte und guter Dinge war, traten die Pfarrer, Capelläne und Altaristen zu Vater Tezeln hin, und stellten ihm die bisher geleisteten guten Dienste vor, machten ihm aber auch zugleich bemerkbar, daß er ihnen für die gehabte Mühe doch auch etwas von seiner gemachten guten Einnahme hätte sollen zufließen lassen; nun aber habe er ihrer ganz vergessen, und dieß sey nicht fein.

Der immer geistesgegenwärtige Dominicaner aber entgegnete ihnen auf das Freundlichste: »daß sein Ablaßgeld bereits zu Buche getragen sey; davon könne er ihnen also nichts abgeben. Doch ihre Rede sey vernünftig und ihre Bitte gerecht. Sie zu erfüllen, werde er morgen noch einmal mit der großen Glocke läuten lassen und eine rechte Meister-Predigt halten; was aber davon einkomme, solle ihnen ganz allein anheim fallen.«

Gesagt, gethan! Am andern Morgen ertönte das volle Geläute der Hauptkirche zu Unserer Lieben Frauen, und haufenweise strömte das Volk nach der Kirche hin, wo endlich, nachdem eine große Menge beisammen war, das Miserere etc. der Geistlichkeit erscholl. Noch nie hatte es seine Wirkung verfehlt – diesesmal aber wurde sie doppelt hervorgebracht; denn die geistlichen Sänger hatten noch nie so meisterhaft gesungen, als heute, wo ihnen selbst der Ertrag ihrer Kunst gewidmet war. Der Zweck des Gesanges war erreicht, und alle Gemüther wehmüthig erweicht; Vater Tezel betrat nunmehr die Canzel; und er, der sein Lieblingsthema immer neu zu erhalten, und bei jeder Predigt in einer andern Gestalt, immer aber höchst anziehend, davon zu sprechen vermochte, sprach auch heute auf das hinreissendste und rührendste zu seinen zahlreichen Zuhörern; und gar bald flössen ihre Thränen.

»Wohl hatte ich mir vorgenommen. Euch heute zu verlassen, meine Andächtigen!« – schloß er endlich seine salbungsvolle Rede – »allein eine schauderhafte Begebenheit in der vergangenen Nacht hat mich vermocht, heute noch einmal zu Euch zu sprechen, und mich bittend an Eure christliche Mildthätigkeit zu wenden. Es ist mir nämlich der Geist einer in ihren Sünden, ohne Beicht' und Absolution dahin gestorbenen Ehebrecherin erschienen, und hat mich demüthig gebeten, sie durch eine Seelenmesse aus dieser Qual zu erlösen. Diese soll nunmehr gehalten werden, und ich bitte Euch deßhalb um eine christliche Beisteuer. Nur diejenigen, welche Hurer, Ehebrecher und Ehebrecherinnen sind, und also in gleiche Verdammniß kommen werden, können sich ausschließen von diesem Werke der Liebe und Barmherzigkeit, bei welchem ich mit meinem Beispiel gern vorangehe.«

Und mit diesen Worten verließ er die Canzel, gieng zu dem aufgestellten Opferbecken, und legte reichlich ein, blieb aber auch bei dem Becken stehen, damit er seine Nachfolger und ihre Gaben recht eigentlich beobachten könne. Diese fielen aber über alle Maaßen reichlich in der Summe des Ganzen aus; denn listig genug hatte der feine Welt- und Menschenkenner einen solchen starken Trumph für die Ermangelnden darauf gesetzt; und Niemand mochte sich daher für den Preiß, als ein Ehebrecher oder eine Ehebrecherin vor der Welt zu gelten, von dem Opfer ausschliessen. Ja, Manche, die kein Geld bei sich hatten, borgten von den Andern, nur um nicht in diese öffentlich so verhaßte Kategorie gesetzt zu werden.

Als nun das Opfer vorbei und die Seelenmesse gelesen war, die Volksmenge aber sich verlaufen hatte, reichte Tezel der Geistlichkeit die reiche Spende zur Theilung dar; doch brachte er vorher sein eingelegtes Geld reichlich wieder in Abzug.

Am andern Tage zog er nun aus, und wendete sich nach Freiberg, wo er es gegen drei Monate auf die gewohnte alte Weise trieb, und reiche Ausbeute davon brachte, so daß er, wie mehrere gleichzeitige Chronographen uns berichten, einst in nur zwei Tagen gegen 2000 Gülden gelöst haben soll.

Da ihm aber hier sein Aufenthalt gar bald zuwider wurde, besonders weil die Freiberger so unartig gewesen waren, den Sybaritismus des ehrwürdigen Paters mit seiner geistlichen Sendung unvereinbar zu finden: so trachtete er ernstlich darauf, der Stadt Freiberg Vale zu sagen, und richtete sein Augenmerk auf die neue, nur erst noch im Entstehen begriffene Stadt Annaberg, um von den damals so überaus reichen Ausbeuten des Schreckenbergs auch einen Theil für seinen Zweck zu heben. Da nun die Einwohner dieser Stadt durch eben diesen Reichthum der Erde in den höchsten Wohlstand versetzt worden waren, so durfte er das Gelingen seines Unternehmens um so mehr mit Zuversicht hoffen.

*

Um seinen Einzug vorzubereiten, sandte Tezel seinen Gehülfen, den Doctor Baumhauer, vorher, welcher auch bei der Berg- und Stadt-Obrigkeit, so wie auch bei den Geistlichen, seinen Auftrag so geschickt ausrichtete, und die Gnade des römischen Hofes dermaßen herauszustreichen und anzupreißen wußte, daß man dem hochwürdigen Herrn entbieten ließ: »er möchte doch ja so bald als möglich kommen, die Knapp- und Bürgerschaft der Gnade des Papstes theilhaftig zu machen. Er solle ehrlich empfangen und wohl gehalten werden.«

*

Am Mittwoch nach Invocavit des Jahres 1508 zog nun der Ablaßprediger in die Stadt Annaberg ein. Sein Einzug durch das nur erst vor Kurzem ganz vollendete Wolkensteiner Thor war nicht minder feierlich, als in Zwickau. Die Berg- und Stadt-Obrigkeiten, an der Spitze der Knapp- und Bürgerschaft, wo besonders der Zug der Bergleute allein auf einige Tausend anstieg, die Geistlichkeit mit den Schulen, waren mit Kreutzen und Fahnen ihm entgegen gezogen. Sie führten ihn nun mit Freuden zu dem Thore ihrer Stadt ein, und die geistlichen Lobgesänge der langen und freudenreichen Procession erfüllten die Luft. Alles, was den Einzug dieses päpstlichen Gesandten verherrlichen konnte, war veranstaltet, und dem reichen, in der frühern Geschichte Annabergs berühmt gewordenen Fundgrübner Laurentius Pflock war die Ehre beschieden, diesen Apostel der Gnade des Papstes als Gast in seinem Hause einzuführen, und ihm die Herberge zu bereiten. Tezeln gefiel es auch bei seinem reichen und freigebigen Wirthe dermaßen wohl, daß er den Aufenthalt bei ihm bis zum Jahre 1510 verlängerte, und in dieser Zeit zugleich auch andere erzgebirgische Städte, und namentlich Chemnitz, mit seiner Waare versah, überall aber guten Markt hielt.

Zu jener Zeit war nicht einmal das Mauerwerk an der großen Annenkirche vollendet, indem der ganze Bau von 1499 bis 1525 gewährt hat, obgleich die Kirche schon 1519 durch den Bischof von Meißen, Johannes VII., eingeweihet wurde. Man hatte jedoch schon 1498 eine kleine hölzerne Kirche zur Haltung des Gottesdienstes erbauet, und um dieselbe herum den Bau der noch jetzt stehenden großen Annenkirche begonnen. Im J. 1512 aber, als die Mauer der neuen Kirche bis an das Dach fertig war, und man das Deckengewölbe anfangen wollte, wurde diese kleine hölzerne Kirche abgerissen und aus dem neuen Bau heraus geschafft.

In dieser kleinen Kirche nun richtete Tezel sein rothes Gnadenkreutz auf. Neben demselben stund der große Ablaß-Kasten Welcher noch jetzt in der alten Sacristei der Hauptkirche zu Annaberg, zum Andenken an jene Zeit, aufbewahrt wird., und hier erscholl der Ruf:

Sobald das Geld im Kasten klingt,
Die Seel' zu Gott im Himmel springt.

Unbeschreiblich war der Zulauf zu diesem so viel versprechenden Institute, dem der Reitz der Neuheit, so wie ein voraus gegangener großer Ruf, und die Leichtigkeit, die Gewissensbisse auf diese Art zu beschwichtigen, als mächtig wirkende Verbündete zur Seite standen. Leicht war es in jener silberreichen Zeit, zu Vermögen zu gelangen; und man kennt ja den Unterschied zwischen leicht und durch Glück, oder mit saurer Mühe und Arbeit erworbenem Wohlstande.

Tausende strömten herzu, um für ihr blankes Silber einzugehen durch die geöffnete Gnadenpforte, und gefüllt war gar bald der große Ablaß-Kasten mit den neugeprägten Buchhölzer Gülden-Groschen Ein Gülden-Groschen ist so viel als ein jetziger Speciesthaler, und die in Buchholz 1505 etc. geprägten gehören dermalen unter die Seltenheiten der Münz-Cabinete. Was aber die Silberkuchen waren, haben wir bereits im ersten Theil erklärt. A. d. V. und Silberkuchen. Ja, da der enge Raum der kleinen hölzernen Kirche für die herbeigeströmte Menschenmenge zu beschränkt wurde, errichtete man das Gnadenkreutz, und von da wurde die Ablaßthüre für baares Geld eröffnet.

*

Vater Tezel kannte aber diesen leicht erworbenen Reichthum nur zu wohl, und wußte dieser ergiebigen Aerndte eine längere Dauer zu geben. Den reichen Sündern wurde der Preis des Ablasses mächtig erhöht; mit den minder Reichen wurden aber weniger Umstände gemacht, und ihnen die Absolution schon um deswillen erleichtert, weil sie nicht so viel bezahlen konnten, als die Reichen, und weil es der Absicht des Ablaßkrams entgegen gewesen wäre, wenn man die Sünder allzusehr hätte anstrengen wollen. Deshalb sollte man auch – so schrieb es des Papstes Ablaßbulle vor – » ganz armen Leuten den Ablaß umsonst geben.« Doch diese Vorschrift wurde nicht so genau befolgt; denn nur für baares Geld öffnete Tezel die Gnaden-Pforte; und wäre bei den Aermsten auch nur ein Blech-Groschen Blech-Groschen, auch dünne Groschen, Hohlpfennige und Bracteaten genannt, waren Münzen von Silberblech, welche durch einen Stempel, und nur auf einer Seite erhaben, geprägt waren, daher den Namen Hohlpfennige erhielten, und im Mittelalter bis tief in das XVI. Jahrhundert hinein im Umlauf waren. A. d. V. die Pförtnergebühr gewesen. Dieses Abweichen von der päpstlichen Bulle brachte aber den Ablaß-Prediger, gegen das Ende seines Aufenthalts zu Annaberg, mit einem damaligen Schüler und nachmaligen Franciscaner-Mönch daselbst, nämlich mit dem späterhin in der Reformationsgeschichte sehr bekannt gewordenen Friedrich Myconius oder Mecum, in einen gelehrten Zwiespalt, ans welchem Tezel mit Unehren schied.

»Der Ablaß bewirkt eine völlige Vergebung der Sünden, und verschafft einen gewissen Eingang in das Paradies« – hatte der Ablaßprediger in seinen Predigten oft wiederholt. Eben dasselbe hatten seine getreuen Freunde und Helfer, die Franciscaner-Mönche zu Annaberg, von welchen sich schon jetzt einige in dieser Stadt aufhielten, obgleich ihr Kloster noch nicht fertig war – in ihren Predigten gethan, und nicht allein hierdurch, sondern auch noch bei jeder andern vorkommenden Gelegenheit diesen Ablaßhandel durch Empfehlungen aller Art zu unterstützen gesucht.

Diese Predigten und Empfehlungen brachten den frommen Schüler Friedrich Mecum (späterhin Myconius genannt) zum Nachdenken über diesen Gegenstand; und da die Lobpreißung des Ablasses, durch Tezeln und seine Gehülfen aufs Höchste getrieben, ihn in seinem bisherigen, von fernem Vater ihm gelehrten Glauben: daß nur allein das Verdienst Christi die Sünde der Welt lösen könne – irre gemacht hatten: so begab er sich zu dem berühmten Ablaßprediger, und wollte bei ihm Ablaß und Belehrung holen. Wie er aber von diesem und seinen Gehülfen aufgenommen worden sey, finden unsere verehrten Leser in einer andern Erzählung dieses Werks: » Friedrich Myconius« berichtet, und wir fahren fort, unsern Weg zu verfolgen.

Wir haben oben schon gedacht, daß es dem Ablaßprediger und seinen Gehülfen dermaßen wohl in dem reichen Annaberg gefallen habe, daß ihr Aufenthalt auf zwei Jahr verlängert wurde. Doch hier war ein doppelter Zweck zu erreichen. Um dem Reitz der Neuheit immer wieder frischen Anstrich zu geben, besuchte Tezel selbst – während dieser Zeit – mehrere erzgebirgische Städte, und hielt in allen diesen Orten guten Markt. Sein Freund und treuer Gehülfe, Dr. Baumhauer, blieb jedoch in Annaberg, um dort die erworbene Kundschaft nicht ganz zu verlieren. In Schneeberg wurde er ziemlich kalt empfangen, und hielt sich deshalb auch nicht lange dort auf. Dagegen durchzog der Ablaßprediger in diesem Zeitraume selbst die Oberlausitz, predigte in Görlitz, und versprach, das Geld, welches er in den letzten drei Wochen lösen würde, zu einem neuen Kirchdache auf der Peterskirche daselbst anzuwenden. Unglaublich war daher die Menge der herbeiströmenden Zuhörer dieser Predigten.

Doch bald wurde bei Tezeln die Sehnsucht nach dem ihm so lieb gewordenen Annaberg, wo es ihm so wohl gegangen war, ganz unwiderstehlich, und er wendete sich wieder dahin, machte aber vorher einen Abstecher von der Straße nach Chemnitz, wo er einige Tage blieb, predigte und seine Ablaßzeddel verkaufte, auch gleich am ersten Tage 300 fl. löste. Bald aber brach er wieder auf, und eilte dem geliebten Annenberge zu, wo er am 25. Jul. 1509 zum zweiten Mal ankam, um das rothe Gnadenkreutz daselbst wieder aufzurichten.

Für den andern Tag, als den Festtag der Stadtpatronin St. Anna, hatte Dr. Baumhauer, Tezels zurückgebliebner Freund und Gehülfe, eine prächtige Procession veranstaltet, und schon am Morgen dieses Tages leuchtete diesen beiden Aposteln ein neuer Stern, welcher den Pomp des Festes ungemein erhob.

Es war vor einigen Tagen der Landesfürst, Herzog Georg von Sachsen, in der Geschichte gemeiniglich der Bärtige genannt, zu seinem jüngern Bruder, Herzog Heinrich, welchem eben diese Geschichte den schönen Ehrennamen des Frommen beilegt, auf den Wolkenstein gekommen, um sich mit dem geliebten Bruder zu letzen, dabei zugleich des Fürsten liebste Stadt, das in der Nachbarschaft des Wolkensteins liegende, neugeschaffne Annaberg zu beschauen, und sich zu ergötzen an dem Anblick der gewaltigen Silberklumpen, die des Bergmanns reger Fleiß des Schreckenbergs Schoose entwand. Die Morgensonne des Annentages vergoldete also kaum die zahllosen Wipfel der um den Wolkenstein liegenden Wälder: da zogen die Fürsten mit ihrem prächtig geschmückten Gefolge den steilen Schloßberg herab, des Wegs nach Annaberg hin. So ritten sie durch den Wald, und kamen bis nahe an die Stadt. Doch jetzt wurden die Heranziehenden von den Bergleuten erkannt, welche aus den alten Bergdörfern Wiesa und Häuersdorf im vollen Staate nach der Stadt zogen, um der Procession beizuwohnen, und Alle riefen ihnen ein fröhliches Glückauf! entgegen.

Schon strömten die Bürger und Bergleute nach der Annenkirche hin, und harreten auf dem weiten Platz, der diese Kirche umgab, des Beginnens der Feierlichkeit. Es wurden die Priester mit den heiligen Gewändern aufs prächtigste bekleidet; denn die Stunde nahete, wo die päpstliche Ablaßbulle wieder aufs Neue umher getragen, und die himmlische Gnadenpforte abermals aufgethan werden sollte. Von ihren Lehrern geleitet zogen in langen Reihen daher die von liebender Aeltern Händen schön geschmückten Schaaren der Kinder, und von mehreren Seiten her nahten sich die frommen Brüderschaften dem allgemeinen Versammlungsorte im feierlichen Zuge.

Man ordnete bereits die langen Reihen der Procession, und zündete die weißen Kerzen an, die Jedermann in seiner Rechten trug, der mit ihr gieng; da erscholl plötzlich der Ruf: »der Herzog Georg ist mit seinem Bruder Heinrich im Anzuge. Schon sind sie vor dem Wolkensteiner Thor!« – und eine Menge Volks eilte schnell nach diesem Thore hin, um den geliebten Landesvater zu empfangen.

Herzog Georg war ein guter Fürst, und eifrig für das Wohl der Seinen besorgt; dafür liebten ihn aber auch damals alle seine Unterthanen auf das herzlichste, und wenn er im Lande reiste, so wurde er überall mit wahrer, ungekünstelter Freude empfangen.

So auch hier. Dem Herzog war die neue Stadt St. Annaberg wegen der reichen Ausbeute ihrer Bergwerke und weil er sie gegründet hatte, sehr lieb und werth geworden, so daß er ihr den Ehrennamen »die Liebste« gab. Die Begnadigungen und Privilegien aber, welche er derselben bereits verliehen hatte, waren sehr ansehnlich, und vermehrten sich noch weiter von Jahr zu Jahr. Kein Wunder also, wenn ihn die Einwohner Annabergs wieder höchlich liebten; er lebte deshalb, befand er sich in dieser Stadt, wie ein Vater in der Mitte seiner Kinder, und gestand dieses auch öffentlich.

*

Auch jetzt wurde das fürstliche Brüderpaar bei seiner Ankunft mit herzlicher Freude empfangen, und unter lautem Jubel zum Kloster hingeleitet, wo das Absteigequartier genommen wurde. Ein neues Leben war durch diese unvermuthete Begebenheit dem harrenden Volke geworden. Alle die regellosen Haufen ordneten sich schnell, und als nach kurzem Verweilen die Fürsten unter ihnen erschienen, begann der feierlichste und erhabenste Zug, den Annabergs Geschichte nur einmal aufzuweisen hat.

Der Posaunen- und Pfeifen-Schall ertönte, und mit der weiß und rothen Kreutzfahne an der Spitze zog der festlich gekleideten Schulkinder langer Zug voran auf dem Wege nach dem Markte hinunter, wo das rothe Ablaßkreutz wiederum aufgerichtet worden war. Ihnen folgten die religiösen Brüderschaften von St. Annen, St. Jacob und der Rosenkränzer Welche letztere in und außerhalb der Stadt an tausend Mitglieder zählte. A. d. V., und ihre prächtigen Kreutz-Paniere wehten hoch in die Luft. Die Glöcklein der Chorknaben ertönten, und in den süßen Dampf des köstlichsten Weihrauchs eingehüllt, welcher aus den hochgeschwungenen silbernen Räuchergefäßen emporstieg, schritten die Träger des goldenen Traghimmels feierlich-langsam daher, unter welchem in höchster Pracht der Ablaßprediger Tezel die Ablaßbulle des Papstes, und unmittelbar vor ihm mit gleicher Pracht der Stadtpfarrer, M. Wolfgang Messerschmidt, den allerheiligsten Fronleichnam des Herrn in goldner Monstranz dem andächtigen Zuge vortrug. Zu beiden Seiten stimmten die Chorsänger, im weißen, roth gegürteten Altargewand, Hymnen zum Preiße des Ewigen an, in die alles Volk einfiel. Die Gebeine St. Annens und noch anderer Heiligen Deren Richter in seiner Annaberg. Chronik auf 120 angiebt. A. d. V. wurden von den übrigen Geistlichen und Altaristen auf goldreichen Kissen und in den kostbarsten Gefäßen dem hochwürdigsten Gute » mit großer Reverenz« nachgetragen. Ihnen folgten nun die fürstlichen Brüder mit vorgetragenem Stab und Schwerdt in der Mitte der Berg- und Stadt-Obrigkeiten; und mit der Barde auf der Achsel, die brennende Grubenlampe in der Hand, und die Fahrkappe fliegend, trat nun ernsten Schrittes der fast unabsehbare Zug der Berg- und Hüttenleute Zu jener Zeit mögen wohl mehrere tausend Berg- und Hüttenleute in Annaberg wohnhaft gewesen seyn. A. d. V. einher, und in ihrer Mitte erhob sich, von Steigern getragen, das große silberne Bild des heiligen Georgs, so wie in dem nun noch folgenden Rest der Bürgerschaft ein anderes gleich kostbares Heiligenbild die Blicke der Zuschauer auf sich lenkte. Endlich schloß nun der Frauen und Jungfrauen große Schaar die ganze Procession, und auf prächtigen Thronen trugen zwölf Auserkohrene von ihnen, im weißen Gewande, die Bilder der hochgebenedeiten Jungfrau Maria und ihrer Mutter St. Anna voran, geformt aus den reichen Silber-Eingeweiden des Schreckenbergs, und wahre Meisterstücks der in edlen Metallen bildenden Kunst. Man darf nicht glauben, als wären jene Bilder etwa im sparenden Geschmack späterer metallärmerer Zeiten gearbeitet gewesen; denn man findet in Richters Annab. Chron. Cap. XXII. S. 186 den Betrag des Silberwerks, welches die Annenkirche im Jahr 1526 besaß, auf 1036 Mark 9½ Loth angegeben, und es soll dieser Schatz in der Folge noch weit ansehnlicher geworden, die meisten dieser Bilder aber, von welchen St. Georg 100, St. Anna aber gar 190 Mark wog, sollen bei diesem Feste zum erstenmale zur öffentlichen Anschauung gekommen seyn. A. d. V. Auch aus diesen schönen Reihen stiegen in lieblichen Tönen die Hymnen zum Lobe des ewigen Schöpfers empor.

So schritt der ganze Zug langsam und feierlich nach dem Markte hinunter, wo das Allerheiligste auf einem in der Nähe des Kreutzes köstlich zugerichteten Altar niedergesetzt wurde. Der Ablaßprediger Tezel aber bestieg die nahe Rednerbühne, und eine Meisterrede floß von seinen Lippen, welche auch des gewünschten Eindrucks keineswegs verfehlte; denn als die Predigt geendigt war, und die Procession ihren Weg nach der Berg-Capelle verfolgte, und an dem aufgestellten und schon erwähnten Ablaß-Kasten vorbeizog, fielen die Opfer so reichlich als noch nie, und Dr. Baumhauer hielt die Wache dabei keineswegs vergebens.

Nachdem nun die ganze Procession ihren Weg zurückgelegt, und wieder in der Annenkirche angekommen war, beschloß ein feierliches Hochamt dieses Fest.

Zu jener Zeit stund noch die kleine hölzerne Interims-Kirche, und um sie herum wurde die jetzige große Annenkirche gebaut. Obgleich klein und unansehnlich, glänzte sie doch heute in ihrem Innern im herrlichsten Schmuck. Alle Wände waren dicht mit grünen Zweigen geziert und mit Blumenkränzen behangen; dieses aber erhob den Glanz der schon beschriebenen Heiligen-Bilder auf ihren Thronen, so wie der Leuchter und übrigen heiligen Gefäße, womit alle Altäre bedeckt waren, noch einmal so hoch. Dazu der köstlichste Wohlgeruch, welcher aus den zahlreich geschwungenen silbernen Rauchfässern in dicken Wolken aufstieg, und die ganze Atmosphäre erfüllte; die dicht gedrängten Menschenmaßen in der kleinen Kirche, welche doch nur die Vornehmsten zu fassen vermochte; die über alle Maaßen prächtig geschmückten Priester, welche, zur Verehrung der ausgestellten heiligen Gebeine, an allen Altären Messe lasen; die Tausende, welche nicht in die Kirche kommen konnten, sondern außen vor den offenen Thüren derselben auf den Knieen lagen, und deren Gesang, stimmten sie in die Hymnen mit ein, wie ein Meer brauste; das höchst imponirende des Zugs selbst; Tezels Meisterpredigt (für seinen Zweck); der ganz eigne Anblick der Opferung etc. – Alles dieses mit lebhafter Phantasie in ein Ganzes gebracht, gewährt doch nur eine unvollkommene Copie des ganzen großen Gemäldes.

Mehrere Tausende von Einwohnern enthielt schon jetzt diese neue Stadt; aber noch weit mehr waren zur Feier des heutigen Tages aus der Umgegend herbei gekommen, und um die Bedürfnisse dieser großen Menschenmenge zu befriedigen, hatte der Speculationsgeist ein nicht geringes Krämerheer gelockt, welche auf mehreren geräumigen Plätzen (und dieser gab es dazumal in der noch nicht vollendeten Stadt so manche) ihre Hütten aufgeschlagen hatten, in welchen Victualien und andere Waaren den Käufern feil geboten wurden. Dem Herzog gefiel dieses wohl, und er – der keine Gelegenheit vorbei gehen ließ, seiner Lieblingsstadt eine Wohlthat zu erzeigen – gab noch an diesem Tage der Stadt Annaberg das Privilegium eines Jahrmarkts von acht Tagen mit den Gerechtigkeiten und Freiheiten einer Messe, zum Andenken an diesen feierlichen Tag. Dieser Jahrmarkt wird auch noch zu unsern Zeiten, so wie er verliehen worden ist, gehalten, und jedesmal am Mittag des Annenfestes eine Stunde lang ein-, acht Tage später aber wieder ausgelautet; hat er auch in den spätern Zeiten viel von seinem ersten Glänze verloren, so ist er doch immer noch ansehnlich genug.

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Doch Tezels Ansehen, welches bis jetzt so hoch gestiegen war, fieng bald darauf, und besonders vom Anfang des Jahres 1510 an zu sinken, und bei den Helldenkenden, welche seinen Wandel beobachteten und mit seinen Lehren verglichen, in Verachtung überzugehen. Aber es geht auch fast ins Unglaubliche, in welches lüderliche und ausschweifende Leben dieser Mann versunken war. Alle Geschichtschreiber, die über ihn geschrieben haben, und unter diesen Jenisius, Arnold, Melzer und Schmidt, hinsichtlich seines Aufenthaltes im Gebirge, sind darin einig, daß er sich mit Fressen, Saufen etc. stattlich habe gebrauchen lassen. Besonders aber sank in Annaberg dieses Ablaßpredigers anfänglich so hoch gestiegenes Ansehen durch sein ganz ungeistliches Benehmen weit herab, wie folgende wahre Anekdote beweis't, welche in mehreren alten Chronographien enthalten ist.

Ein Bürger zu Annaberg hatte eine hübsche junge Frau, welche die Gefühle der innigsten Freundschaft, und vielleicht noch etwas mehr in dem Herzen des geistlichen Herrn erregte, und ihn dazu bewog, sich öfters in dieses Bürgers Hause einzufinden. Anfänglich war der gute Ehemann über die Ehre, so ihm widerfuhr, ganz entzückt; doch bald verminderte sich dieses Entzücken, als er die Absicht dieser Besuche merkte, und sich davon zu überzeugen Gelegenheit fand, daß die Kraft des Ablasses auch bei dieser Evens-Tochter Wunder gewirkt hatte. Diese Ueberzeugung brachte nun aber sein Blut dermaßen in Wallung, daß er sich kurz und gut, auch vielleicht nicht auf die höflichste Weise, diese Besuche verbat. Als nun demohngeachtet dieselben in seiner Abwesenheit fortgesetzt wurden, und er einst zur ungelegnen Stunde den geistlichen Vater in seinem Hause traf, so wies er ihm ganz kurz die Thür, und drohete ihm, was freilich ziemlich unmanierlich war, mit einer tüchtigen Tracht Prügel, würde er diesen strafbaren heimlichen Umgang nicht aufgeben. Der eifersüchtige Narr! – Es müssen diese Zusammenkünfte demohngeachtet aber nicht unterblieben seyn, weil der Ehemann seine Drohungen in Erfüllung gehen lassen wollte.

Einst sah Tezel seinen Widersacher, mit einem derben Prügel bewaffnet, ihm auf der Straße entgegen kommen. Er merkte bald, wem es galt; und da er ihm durch keine Seitengasse ausweichen konnte, die Flucht zurück aber nicht ergreifen wollte, so gerieth er hierüber in keine geringe Verlegenheit. Doch bei diesem so gewandten Manne wurde sie bald durch folgenden Umstand gehoben.

Zu Tezels größtem Glücke war der Laden eines Schwerdtfegers in seiner Nähe, in welchem eine gute Anzahl Schwerdter und Dolche zum Verkauf ausgehängt waren; und schnell war der Bedrohete entschlossen. Er trat in den Laden ein, und gab vor, eine solche Waffe kaufen zu wollen. Der Schwerdtfeger gab ihm, verwundert über dieses Begehren, mehrere zur Ansicht. Jetzt wurde Tezel seines Feindes Ankunft gewahr, und er zog daher ein langes Schwerdt aus der Scheide, als wolle er die Güte der Klinge prüfen. Unterdessen hatte der Widersacher vor der Thür des Schwerdtfegers Posto gefaßt, und machte seinen Prügel schon zum Schlagen fertig; Tezel aber kehrte ihm die Spitze seines Schwerdtes zu, und spielte durch Minen den Bramarbas so natürlich, daß sein Feind unverrichteter Sache wieder abzog.

Es soll sich auch dieser wollüstige und seinen geistlichen Stand schändende Mönch bei einem andern abermaligen Versuch, seinen unreinen Begierden zu fröhnen, in einen Korb versteckt haben, in demselben aber von dem beleidigten Ehemanne entdeckt und privatissime mit einer tüchtigen Tracht Schläge regalirt worden seyn. Dieser Vorfall gab denn nun Gelegenheit zu einem Volksliede voll beißenden Spottes, welches unter dem Titel: Johannes im Korbe, in vielen Gegenden sehr bekannt wurde, späterhin aber an mehreren Orten, und außer Annaberg auch in Freiberg, Zwickau, Chemnitz, Meissen etc. viel Unruhe, besonders unter den Bergleuten und der Klerisei verursachte, ja sogar mehrere Todtschläge zur Folge hatte, und nur durch volle Anwendung der obrigkeitlichen Macht und Gewalt wieder gestillt werden konnte.

Von nun an nahm sich dieser gute Pater mehr in Acht, und ehrte wenigstens den äußerlichen Schein. Da er jedoch bald merkte, daß sein voriges Ansehen nur sehr schwer wieder herzustellen seyn dürfte, so erwählte er das klügste Theil, und machte in der Mitte des Jahres 1510 seine bisher so einträglich gewesene Ablaß-Bude zu, sagte mit schwerem Herzen dem lieben Annaberg, wo es ihm so wohl gegangen war, Ade, und setzte, sehr bereichert, seinen Stab nun weiter.

Doch die reichen und luxuriösen Bergstädte waren diesem Ablaßprediger so fest ans Herz gewachsen, daß er in der Woche vor Lätare 1517 abermals hier in Annaberg ankam, und an diesem Sonntage seine erste Ablaßpredigt im nunmehr vollendeten, eingeweiheten und mit Mönchen besetzten Franciscaner-Kloster hielt, in dessen Kirche er auch das Gnadenkreutz aufrichtete, und dabei ein prächtiges Fest veranstaltete. Dieser Tag wurde nun die Veranlassung, daß der Herzog Georg der Stadt Annaberg einen zweiten Jahrmarkt verlieh, welcher noch in unsern Zeiten jährlich am Montage nach Lätare gehalten wird.

Zwar war der Zulauf des gemeinen und ununterrichteten Volks auch dieses Mal nicht gering; allein es hatte der Zeitgeist in den dazwischen liegenden sieben Jahren ebenfalls seine Fortschritte auf dem Wege zur Vollkommenheit gemacht; in sehr vielen Köpfen war es in dieser Zeit heller geworden; Tezel hatte sich bei seiner vorigen Anwesenheit durch seine lockere Lebensweise in der guten Meinung aller für Moral und Sittlichkeit Empfindenden sehr herabgesetzt, und bei den Meisten seinen Credit ganz verloren.

Da nun sein Geschäft dadurch, und wegen der damaligen großen Theurung, wenig einträglich wurde: so war sein dermaliger Aufenthalt in dieser Stadt sehr kurz, und weise war sein Entschluß zum baldigen Abschied; denn es fehlte selbst nicht an gemeinen Leuten, die seines Ablasses spotteten.

Aber nicht Tezel allein verlor die öffentliche Achtung durch sein unsittliches Leben, sondern er hatte der Genossen in der Schwelgerei und dem Nichtachten des Gefühls für Sittlichkeit zu jener Zeit noch sehr viele, und die Klagen über die Ausschweifungen einer großen Menge Kleriker wurden gerade in dieser Periode am häufigsten und lautesten, weil sie gerade in derselben Zeit am unverschämtesten ausgeübt und am wenigsten bestraft wurden.

Die Chronik der Stadt Annaberg hat uns unter andern 14 starke Klagepuncte aufbewahrt, welche der Rath und die Bürgerschaft in Annaberg gegen den damaligen Pfarrer an der Hauptkirche zu St. Annen, M. Wolfgang Messerschmidt, dessen wir schon oben bei der Beschreibung des großen Ablaßfestes gedachten, bei dem Bischof zu Meissen einzugeben genöthiget waren. Sie sind in Richters Annabergischer Chronik P. II. S. 49 ff. enthalten, und wir wollen, zum Beweis des Obigen, die wichtigsten davon ausheben.

Man beschwerte sich also unter andern über diesen, seines ehrwürdigen Standes sehr unwürdigen Pfarrer, daß er, dem nur ein Tischtrunk von 35 Faß Freibergischen Bieres einzulegen, keinesweges aber der Handel damit gestattet sey, die Pfarrwohnung in eine förmliche Schenke umwandle; »der Pfarrherr und seine Capelläne laufen alle Bierhäuser aus, fangen Hadder an, tanzen auch Abends auf den Gassen, wie Herr Moriz Dieser Moriz war Capellan, dabei aber ein sehr unsittlicher Mensch, wurde auch späterhin wegen eines schlechten Streichs von dem reichen Fundgrübner Hanns Hünerkopf zu Elterlein mit einem Messer erstochen. A. d. V. neulich im Freibergischen Keller gethan.« Der Pfarrer, Wolf Messerschmidt, sey ferner in einem Bierhause in bloßen Hosen und Wamms gesessen, habe gespielt, gesoffen, und noch andere Leichtfertigkeiten verübt. Von diesen Leichtfertigkeiten wird noch ferner gedacht, daß sich die Priester (der Pfarrer Messerschmidt und seine beiden Capelläne) in vieler Laien Gegenwart veruneiniget, und im Verfolg dieser Zankerei einander die Bierkannen an die Köpfe geworfen, so wie auch, daß der andere Diaconus, gemeiniglich nur der kleine Peter genannt, im Trunke mit dem Schenken Händel angefangen, und von demselben eine tüchtige Tracht Schläge bekommen etc. – Wenn die Wehweiber nicht gleich nach der Pfaffen Gefallen zur Taufe brächten, so würden sie von denselben in aller Teufel Namen empfangen. Der Pfarrherr lebe in grosser Unzucht, und seine Concubine sey durch des Pfarrherrn eigne Anverwandte mit Schlägen aus der Pfarre getrieben, und der Bürgermeister von diesen Anverwandten gebeten worden, solche aus der Stadt zu schaffen. – Der Pfarrherr und die Capelläne wären bei der Administration der Sacramente oft betrunken. Der Pfarrherr fluche selbst gar oft, selbst dann, wenn er bei Processionen die Monstranz in den Händen trage, in zehntausend Teufel Namen etc. –

Und als dieses schändliche Leben endlich Ursache wurde, daß sich diese unwürdigen Genossen des ehrwürdigsten Standes unter einander veruneinigten, wurde dieser Streit durch den Bischof zu Meissen und seinen Vicarius zwar wieder vertragen, bei welcher Gelegenheit der M. Messerschmidt und Consorten sich und ihre Würde abermals so sehr vergaßen, daß man sie im höchsten Grade betrunken auf Misttragen nach Hause bringen mußte. Es konnte also endlich nicht daran fehlen, daß die völlige Remotion dennoch erfolgen mußte.

Darf man sich aber wohl wundern, wenn die Reformation in diesen Gegenden so schnellen Eingang fand, (in Buchholz war der protestantische Gottesdienst schon 1524 völlig eingerichtet) da ihr durch solche unwürdige Priester der Weg so trefflich geebnet wurde? Gedruckt bei A. F. Fulde u. Comp. in Schneeberg.


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