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Nun reisen wir schon auf böhmischem Boden, Silvana«, sagte der Kapellmeister. »Wir sind in dem alten Irrwischland, darin es seit undenklichen Zeiten von unruhigen Köpfen wimmelt und von Aufruhr und Ketzerzank raucht. Falte deine samtenen Hände und lass uns beten, dass es uns in Prag gut ergehe! Ach, fände ich doch dort wohlwollende Menschen! Kunst braucht Gunst. Und würde ich doch dort meine Schulden los! Doch dreimal zum Teufel!« unterbrach er sich polternd. »Ist die wunderbare Welt da, dass darin der Mensch sich bewinsle und beseufze?! Halloh, Schwager, lass Er die Pferde rasten! Wir wollen uns einmal in aller Ruhe diese großartige Opernbühne Gottes betrachten!«

Der träumerische Mann am Bock gehorchte, und sogleich hielt der geräumige, kürbisgelbe und mit Gepäck reichlich beladene Reisewagen. Er hielt neben einer nackten, vom Blitz geschälten Tanne.

Hier bot die hochgelegene Straße einen freien, weithin reichenden Blick über das Grenzgebirge. Blauer Meilerrauch ragte still und biblisch urhaft über dem dunkeln, endlosen Grün der Wipfel. Eine einsame Axt bellte. Verborgene Vögel sangen, brünstig scholl der Kuckucksruf. Die Bäume dufteten würzig, und von einer wilden Waldalm herauf wehten die Gerüche holder Kräuter. Abendblaue, sanfte und ernste Berge schlossen die Ferne ab.

»Wie ahnungsvoll ruht die Landschaft!« sagte der Kapellmeister nachdenklich. »Horch, Silvana, wandelt sie sich nicht in Musik?«

Die Sängerin öffnete wie ein vertieftes, lauschendes Kind leise den Mund. Sie hörte aber nur die jungen Bäche murren und die Rinnsale klingeln, die Vögel vergeudeten sich, und die Axt schlug eintönig an.

Lässig schnalzte der Fuhrknecht mit der Geißel. Da legten sich Grauschimmel und Fuchs wieder ins Gestränge, und der Wagen rollte schwerfällig die Straße weiter durch die kühlen Wälder und dämmernden Schluchten, die gesättigt waren von dem beglückenden Duft des Harzes. Felsenhäupter schauten hernieder, steinerne Urkunden der Vorzeit, einsame Habichtschroffen, den Gewittern zum Spiel.

Die Sängerin rückte den schattigen, freundlich bebänderten Schutenhut tiefer an den lockenumschmeichelten Wangen herab. »Mir ist gar nicht heimlich«, sagte sie. »Wir geraten aus einer Wildnis in die andere. Ein Köhlerland! Ich werde hier wohl gar noch böhmisch lernen müssen!«

»Frage dort drüben bei dem altmoosigen Felsen an!« › riet der Kapellmeister. »Dort siedelt ein scheuer Geist. Er ist verwunschen und stumm. Doch ist ihm erlaubt, von allen den Worten, die man ihm zuwirft, das letzte zurückzugeben.«

Sie erhob sich vorsichtig im Wagen, stützte sich auf die schmale Schulter des Freundes und rief: »Echo, kannst du böhmisch?«

»Böhmisch!« läutete der neckende Widerhall.

»Welch silberreinen Wohllaut hat dieses Echo!« rief der Kapellmeister entzückt. »Ich werde es suchen und verhaften lassen. Ich will es und alle seine Schwestern nach Prag schaffen und dort sie zwingen, im Chor zu singen.«

»Du Felsgeist, wär dir das erfreulich?« fragte die Sängerin wieder.

»Freilich!« hallte es zurück.

»O bleib du nur in deiner seligen Stille!« mahnte der Kapellmeister den Ruf der Bergwand. »Ach, wäre ich selber jenes Echo dort! Wie friedlich ist es hier! Und wie unruhig ist mein Leben! Wäre es nicht das heiligste Glück, in diesen Wäldern zu ruhen und sie zu ehren und schließlich einsiedelalt und silberbärtig hier in einer Höhle zu sterben? Oder tausend Jahre lang auf einer Bergspitze in Betrachtung versunken zu sein? Oder zeitlos dahinzudämmern wie der Fels dort drüben?«

»Nein, nein!« wehrte das Fräulein eifernd ab, und ihre ehrgeizigen Augen blitzten. »Vorläufig haben wir noch anderes vor. Wir sind junge Leute. Wir müssen erst die Welt austrinken. Wir müssen erst Glanz und Freude erfahren. Die Menschen müssen toben, wenn wir ihnen unsere Kunst zeigen!« Und sie lachte und klatschte wie eine Rasende sich selber Beifall.

Doch ihr übermütiges Herz schlug rasch in Ernst um, sie schlang sich den türkischen Schal dichter um den Hals und sagte sehr verhalten: »Ich atme zu heftig. Die Gebirgsluft ist hart. Ich fürchte für meine Stimme. Am Ende trete ich stockheiser vor die Prager hin. Ich werde ihnen nicht gefallen.« Sie hüstelte ängstlich.

Er fasste verliebt ihre Hand und streichelte sie. »Kind, Kind, beruhige dich! Selbst dein Hüsteln klingt wie eine Koloratur des göttlichen Mozart. Du hüstelst Perlenschnüre.« Doch hüllte sich der Kapellmeister nach diesem schmeichlerischen Trost selber den löwengelben Mantel, der in drei Kragen. abgestuft war, fester um den zarten, knabenhaften Leib. Es war ja schon später Tag, bergverschattet lagerten die Schluchten, und die Luft war von den sausenden Wassern gekühlt.

Schüchtern aneinander geschmiegt, mit keuschem Schrecken eines den Leib des andern fühlend, fuhren die beiden wie auf einer Hochzeitsreise dahin. Schweigend schauten sie die Berge, die ihnen namenlos waren, namenlos, wie der Schöpfer sie hingestellt hatte, schauten sie über sich den träumerischen Flug der Wolken. Und zuweilen öffnete sich ein Waldanger, und darüber war eine wilde Erwartung gespannt, als müsse hier der leibhafte Pan im Pantherfell aus dem Gehölz springen und seinen. Zauberschrei ausstoßen. Dann drückte sich die Sängerin fester an den Gefährten und nahm ihre Zuflucht zu der Welt der klaren Sachen und fragte den Kapellmeister eilends, er möge ihr genau erklären, was eine Tanne und was eine Fichte sei, denn sie unterscheide diese Bäume nicht, oder sie ließ sich sagen, ob ein Häher schreie oder eine Elster.

»Und das ist eine Meise«, lehrte er sie. »Hörst du sie warnen: ›Sieh dich für! Sieh dich für!'?«

Die Straße gabelte sich in zwei Arme, die in gleicher Weise beschwerlich und zerfahren zu sein schienen. Da versagte der Mann auf dem Bock. »Wohin jetzt?« brummte er.

»Sieh dich für! Sieh dich für!« äffte das Fräulein dem Vogel nach. »Schwager, fahren wir einfach rechts!«

»Niemand ist in der Nähe, der einem den Weg zeigte!« schalt der Knecht. »Wenn man da auf einen Menschen stieße, müsst man sich härter verwundern, als wenn man einem Bären begegnete!«

»Meines Achtens müssten wir links fahren«, meinte der Kapellmeister.

»Was verhalten wir uns da so lange?« rief die Sängerin gereizt. »Rechts fahren wir! Rechts!«

Der Knecht kehrte sich um und forschte den Kapellmeister mit fragenden Brauen an. Der zuckte die Achseln. Da bog der Wagen die Straße rechts ein.

Nun meldete sich der Abendschrei heimkehrender Krähen. Die Bäume wurden schwärzer, und

im Gewipfel verstummte ein Schnäblein nach dem andern. Dämmerige Geister flüsterten im Laub auf, sie flüsterten Unverständliches. Bald lag das Tal getötet im tieferen Schatten.

Der Wagen holperte seelenschüttelnd über einen Prügelweg. Immer näher rückten die Wände des Waldes an das Sträßlein heran, man hätte einem andern Fuhrwerk nimmer ausweichen können. Dann durchfurteten sie einen Bach. Der Knecht ließ die Pferde saufen und sagte: »Wir haben uns verfahren. Spätigst um halb neun Uhr hätten wir in der Grenzstadt sein müssen.«

»Was sagst du dazu, streitbare Silvana?« versuchte der Kapellmeister zu scherzen. »Verirrt! Und in diesen Wäldern! Vielleicht haben wir die Fährte des Wilden Jägers gekreuzt.«

»Ich bitte dich, beschwöre nicht solch finsteres Zeug herauf!« bat die Sängerin. Ihr entschiedener Geist war demütig geworden.

»Hier scheint eine alte Heerstraße versunken zu sein«, sagte er. »Fahr Er zu, Schwager Treml! Fahr Er auf gut Glück! Aber fein bedachtsam, dass wir nicht in eine Wolfsgrube stürzen!«

Etwas rollte drohend im Tann.

Das Fräulein klammerte sich erschrocken an den Freund. »Was ist jetzt das gewesen?« bebte sie. »Was will der von uns?«

»Es ist nur ein Specht«, beschwichtigte er sie. »Er trommelt an einem dürren Ast. Mach Feierabend, Freund Specht!«

Wiederum zweigte sich der Weg.

Der Fuhrknecht Treml zündete die Laterne an. Der Kapellmeister reckte seinen Schwanenhals und hob die schlanke, längliche Nase wie ein witterndes Tier.

Gott sei gelobt mit Zimbeln, Dudelsack und Posaunen! Vor dem Zweiweg erhob sich ein Wegweiser. Der Künstler zog den breiten Hut und schwang ihn zum Gruß.

Als aber der Knecht den Pfahl anleuchtete, fluchte er. Auf dem verwitterten Arm war die Schrift verloschen.

»Kehren wir um!« rief der Kapellmeister. »Diese Straßen werden mitten in einem Sumpf oder vor einem Abgrund enden. Hier ist nichts zu holen.«

Da stand auf einmal neben der Wegsäule wie hingehext ein Mensch, schiefschultrig und dünn, Wangen und Kinn mit einem schwarzen Bart verbuscht und verstruppt. Er gab sich durch das Gewehr, das er an sich hielt, als Jäger zu erkennen. Ohne auf eine Frage zu warten, deutete er stumm auf einen der Wege und trat hernach schnell wie-. der in das finstere Gehölz zurück.

Die Pferde und ihr Lenker folgten dieser Gebärde wie einem übermächtigen Befehl, und stoßend und polternd rollte das Gefährt durch ein ganz urwälderliches Gebiet den hochbeschwerlichen und erbärmlich steinigen, abschüssigen Weg dahin, der seinen Namen kaum mehr verdiente und mehr einer launisch in die Wildnis gerissenen Lücke glich. Es war nur zu verwundern, dass der Wagen nicht barst oder gebrochene Bäume nicht den Weg verrammelten.

Feuchte, moosige Holzbrücken bogen sich, Dornsträucher zückten die Krallen, die Bäume schnitten böse Gesichter, mürrische, nasse Felsen leuchteten im Schein der müden Laterne auf. Kleinlaut zischten die Bäche. Die Krähen wünschten einander endgültig eine gute Nacht.

»Das ist ein ganz verdächtiger Kerl gewesen«, rief der Fuhrknecht zurück. »Ob er uns nicht nachschießt?«

»Hätten wir doch diesem aufdringlichen Menschen nicht gefolgt!« klagte die Sängerin. »Sein Galgengesicht hat so höhnisch gegrinst. Er hat uns jetzt ganz und gar irrgeleitet.«

Der Kapellmeister zweifelte noch. »Welchen Gewinn hätte er von solch einem verschmitzten Spaß?!«

»Nun, nun, wir sind in den böhmischen Wäldern!«

»Hast du die Waldangst bekommen, Silvana?«

»Freund, du weißt doch selber, dass dieses Gebirge einen üblen Ruf genießt! O Gott, wenn jetzt dieser graue, dürre Jäger zu unserem Fuhrmann auf den Bock gestiegen wäre, wenn er, ohne zu fragen, ob es erlaubt sei, ihm die Zügel aus den Händen gerissen hätte – – –! O schrecklich! Ich will es mir lieber nicht ausmalen!«

Der Mond hatte sich unbemerkt erhoben. Er abenteuerte goldenwild durch wirres Geäst, ein feuriges Ungeheuer, lauernd, schielend, fahl. Er schwand und tauchte wiederum auf. Eine heimtückische Absicht lag in seinem Verhalten. Und er hatte doch noch gestern den beiden Reisenden traulich .und wohlwollend gedünkt, als er schier warm über den Frieden des bayerischen Städtleins aufgegangen war.

Schroffer schossen die Berge auf. Auf einem abgeholzten Hang düsterten die Stümpfe wie feindselige Kauerer. Blumen regten sich verängstigt, Farn wehte unruhig. Im Zwitterlicht wurde der Weg immer undeutlicher, verwischter.

»Ich möchte gern singen, dass ich mich nimmer so sehr fürchtete«, sagte das Fräulein. »Aber ich bringe keinen einzigen Ton aus der Kehle.«

Sie fuhren an einem Kreuz vorüber, es war wohl das Denkmal einer verruchten Tat, und dann umschloss sie wieder die Finsternis der Tannen und Buchen, und seltener trat der Mond hervor, sich zu sonnen, und hing dann wie ein riesiger dämonischer Goldklumpen über der schwarzen Waldgasse und blendete die Pferde.

Auf einmal begann der Kapellmeister von einem schwäbischen Räuber zu erzählen, der hatte sich in einen platten Felsen ein Mühlenspiel gerissen und die vorüberziehenden Wanderer gezwungen, mit ihm Mühle zu ziehen. Weh dem, der da verloren hatte!

Und die Sängerin redete von dem berüchtigten Balthassar Krummfinger. »Dieser Unhold zog quer über die Straße einen Draht, und der Draht war nichts anderes als ein Klingelzug, der führte zu seiner Höhle. Und wenn nun nachts ein Reisender an den Draht stieß, so läutete in dem Räuberloch das Glöcklein und gab dem Balthassar ein Zeichen.«

»Und dann kam er gerannt«, setzte der Kapellmeister fort, »kam daher im roten Blutmantel und mit dem langen Messer.« Er wollte scherzen, allein das Grausen schauderte ihm den Nacken herunter.

Also ängstigten sich die beiden mit allerlei Gruselgeschichten, den Blick dabei auf die Irrlicht-orte, auf die verschwommenen Gebüsche und auf die finsteren Türen des Waldes gerichtet, ob sie nicht plötzlich einen gellenden Wildnisteufel ausspien.

Indes saß der Fuhrmann Thomas Treml gebückt auf dem hohen Bock, dass ihm kein Ast ins Gesicht stochere oder ihn gar herunterstreife. Er sah trotz Mond und Laterne oft keine sieben Ellen vor sich. Und weil er fürchtete, gegen einen Baum zu fahren, stieg er schließlich ab und führte die Tiere.

»Ja, Silvana«, sagte der Kapellmeister, »und der Balthassar Krummfinger lauerte in einer hohlen Kiefer, und er jagte die Bäuerin samt dem Milchtopf auf den Baum hinauf und schoss zuerst den Topf und dann das Weib herunter. Fahr Er zu, Tremolo. Vielleicht kommen wir zu dem Ort, wo der Mörder mit der Stange das Menschenblut im Fass umrührt.«

»Schweig! Schweig schnell!« bat sie weinerlich.

»Es gibt doch auch freundliche Märchen. Müssen wir denn gerade jetzt von solch hässlichen Dingen reden? Sieh!« fuhr sie auf, »zielt nicht heimlich ein Glotzauge auf uns? Horch! Huscht dort nicht etwas Verderbliches durch die Stauden?«

Es war nur ein leichter Windstoß gewesen. Aber der Schrecken blieb in der Finsternis. Denn in jeder Finsternis wartet Gefährliches und liegt am Sprung.

Ein Rabe schrie im Schlaf auf.

Nun gerieten sie in einen Waldtobel, und dort glühte ihnen ein düsteres Licht entgegen. Es war ein erleuchtetes Fenster. Ein trübes, einödes Haus. Ein Wirtshaus. Die Pferde wussten es schon und wieherten fröhlich.

Vor dem Tor, darüber ein rostiger Drudenstern hing, wartete der Wirt und leuchtete den Reisenden mit einem Kienbrand entgegen. Er trug einen malerischen Spitzbubenkopf mit verquollenen Auglein, zerquetschter Nase und gelbrotem Bart. Neben ihm stand ein wahres Gräuel von einem Weib, offenbar die Wirtin selber, ein Mannweib mit den Knochen eines Bräuhausgaules, mit den Armen eines Schlächters.

Neben dem Haus wölbte sich ein Düngerhaufen, darauf lag verdächtiges Gedärm und stank.

»Verlockend sieht es da nicht aus«, meinte der Kapellmeister. »Doch wir müssen wohl oder übel hier übernachten.«

Wie geradebrecht taumelte er aus deni Wagen und half der Gefährtin heraus. Dann lief er hinkend um den Wagen herum. »Treml, schaff Er unser Plünderlein ins Haus!«

Ein bejahrter, von der Zeit angefressener Grabstein diente als Auftritt in das Tor. Der Name darauf war schon vertreten und abgeschürft. Der Kapellmeister nahm dem Wirt die Leuchte aus der Hand, senkte sie dicht zu dem Stein nieder, darein ein bleckender, schmaler Totenkopf gemeißelt war, und las: »Ich war nichts und bin nichts. Und du, Lebender, iss, trink und scherze! Doch dann komm!« Fürwahr, eine sehr merkwürdige Einladung in ein Gasthaus!

Der Drudenstern wankte leise im Wind und warnte mit rostigem Laut. Auf der hölzernen Schwelle war deutlich ein Blutfleck zu erkennen.

Der Kapellmeister starrte den Wirt durchdringend an. In dessen Augen flackerte das unruhige Gewissen, und er hatte den Blick verstanden, und er stammelte, und seine raue Stimme scholl wie aus einem Rabenhals: »Ein Roß ist da abgestochen worden. Sonst nichts.«

»So, so! Ausgerechnet auf dem Türstock!« sagte der Gast betreten.

Hierauf kehrte er sich zu der Freundin, die ihn unschlüssig beim Ärmel hielt und ihn zurückziehen zu wollen schien. »Nur keine Bedenken, Karoline! Es hilft uns nichts. Die Hauptsache ist ein sauberer Teller und ein reines Bett. Herbergsvater, haben Sie zwei Kammern für uns und einen Raum für den Fuhrmann?«

Der Wirt dienerte mit hündischer Unterwürfigkeit und nickte, und das Weib mit den plumpen Armen und den breiten, kurzen Henkershänden schleppte schon das Gepäck ins Haus und dann eine Stiege hinauf.

Als die Reisenden die niedrige Schenkstube betraten, schlug es ihnen wie der Geruch einer Bettelherberge entgegen. Von der verräucherten Balkendecke hing eine Laterne nieder, darin ein Unschlittstumpf rußend leuchtete. Die unwirtlichen Wände waren schmutzig. An dem zerkerbten Tisch lümmelte, die Flinte zwischen den Knien, jener schiefe, schwarzbärtige Waldläufer, der ihnen vor einer halben Stunde den Weg gezeigt hatte. Er mochte wohl auf einem kurzen Pirschsteig hierhergekommen sein und den Wagen angemeldet haben. Als die Herrschaften eintraten, sprang er auf, grüßte hämisch und ging.

»Das Haus macht keinen guten Eindruck«, flüsterte die Sängerin.

Der Kapellmeister bat: »Sieh nur nicht zu schwarz, Karoline!«

Sie seufzte: »In welche Welt führst du mich?«

Als er nachsehen wollte, wo der Knecht die Pferde unterbrachte, ertappte er den Wirt und den Jäger, die sich auf dem Flur draußen raunend besprachen. Sie prallten erschrocken auseinander. Widerwärtig höflich geleitete dann der Wirt seinen Gast in den Hof, dort versorgte Treml eben die Tiere in einem burgfest gebauten Stall und sperrte die Tür dazu von außen mit einem Vorhängeschloss ab, das er immer mit sich zu führen pflegte. »Dass mir kein Dieb die schönen Rösser wegreitet!« sagte er.

Dann saßen die drei in der Schenkstube: der Kapellmeister und die Sängerin von peinlicher Ahnung befangen, der Fuhrknecht sich mit einem Stück aufgeblähtem, löcherigem Brot und mit milbigem Käse herumschlagend und das Bier missbilligend, dass er matt und übermächtig fand.

Die Wirtin kratzte sich unter dem roten Kopftuch und fragte mit ihrer rauen Mannesstimme die feinen Gäste nach ihrem Begehr. Sie kochte hernach in der rußigen Küche, deren Tür offenstand, etwas auf einem Dreifuß, brachte in einer bedenklichen Schüssel eine wenig verlockende Suppe und legte zwei blecherne Löffel dazu.

Der Kapellmeister rührte die Suppe nicht an. Das Fräulein kostete misstrauisch und legte sofort wieder den Löffel weg. Es schmeckte abscheulich. »Vielleicht ist es ein Absud von giftigem Lolch, und man will uns damit betäuben und einschläfern«, flüsterte sie dem Freund zu. Er nickte trüb.

Er verschmähte auch das rötliche Bier, das der Wirt auftrug, ohne dass es bestellt worden war. Man mochte Rattengift dareingestreut haben. Rattengift war ja in Herbergen und Mühlen des leidigen Ungeziefers halber genüglich zu finden.

Doch nippte der Kapellmeister spärlich von dem Wein, der in einer verstaubten Flasche plötzlich auf dem Tisch stand, und fand ihn zu seiner Verwunderung überaus köstlich. Aber war ihm zu, trauen?

Die Wirtsleute schienen das Misstrauen der Fremden nicht zu merken oder sich dadurch nicht beleidigt zu fühlen. Sie trugen die Suppe wieder ab und bedienten mit dem Ungenossenen das unheimliche Volk, das sich nach und nach zur Tür herein drückte, auf der Ofenbank und am Katzentisch sich niederließ, die Hüte tief in den Stirnen, oder mit prasselndem Kienspan ein und aus ging.

Sie gebarten sich sehr verdächtig, winkten sich mit wissenden Blicken zu, zuckten mit den Munden, die wie von lauter Flüstern geformt waren, und lauschten zu den vornehmen Gästen hinüber. Den Kerlen war es auf die Stirn geschrieben, dass sie insgeheim in keiner ehrlichen Haut staken, dass sie von Stehlen, Feuerlegen, Raub und Mord und bestenfalls von der Schwärzerei sich nährten. Und alle hatten sie missbildete und wunderlich schreckende Gesichter.

Der eine hatte eine platte Nase, hielt sich krumm und lispelte mit der Zunge.

Ein anderer kam daher, einen überhohen Spitzhut auf dem Kopf, der sagte mit spöttischem Seitenblick auf die Reisenden zur Wirtin: »Kotz grüne Salbe! Je später der Abend, je schöner die Gäste!« Den spitzen Hut trug er mit allem Recht, denn als er ihn einmal lüftete, entblößte sich ein birnförmiger Spitzkopf. Und auch die Lippen hielt er immer ein wenig gespitzt, als wolle er jeden Augenblick einen grellen Pfiff ausstoßen.

Ein dritter, ein finsterer, hinterhältischer Gesell mit einem großen, zweispitzigen Franzosenhut, mit dunkelm Krauskopf und brauner Zigeunerhaut schien der Hauptmann des Gesindels zu sein. Das Geld rumorte ihm im Hosensack, und er fragte den Kapellmeister schroff: »Wohin?« Seine Stimme klang wie eine bemooste, heisere Kniefiedel, sein Blick biss wie der Zahn einer Otter. Der Kapellmeister sah ihn groß an und erwiderte nicht. Da krümmte sich der Rücken des Räubers in einer seltsamen, bedientenhaften Gebärde, und er zog sich hastig zu seinen Spießgesellen zurück.

»Sonderbar, wie altmodisch, ja fast mittelalterlich sich die Leute hier tragen!« meinte einmal die Sängerin. »Es ist, als hätten sie sich die Kleider aus einem Theaterzeughaus geliehen. Ist das die hiesige Landestracht? Hält sich in der entlegenen Gegend das Gewohnte so zäh?«

Die Kerle tranken aus einem weitbauchigen Krug, der von Mund zu Mund ging, und sie redeten nur wenig, doch das, was sie sagten, trug einen geheimen Untersinn, und der Wirt war gewiss ihr verschworener Handreicher und Mithelfer.

Einer war unter ihnen mit gelblichen Augen, welschem Dolchbart und überraschend vorspringender Nase. Und einer mit klugem, spitzfindigem Rattenblick und einem winzigen Kopf, der viel schmäler war als der flachsige Hals. »Wie ähnelt der dem Harfensinger, der gestern in der bayerischen Herberge musiziert hat!« dachte der Kapellmeister. »Ein Gesicht schneidet er wie der erhängte Judas.«

Unter all diesen Rothaarigen, Krummnasigen, Buckligen, Schielern, Stoppelkinnen und Wirrbärten, die wie Leicheneulen da herumsaßen, in der Gesellschaft dieser ausgewählten Bösewichter fiel ein sanftes, bescheidenes, eisgraues Männlein auf, das nickte freundlich und begütigend den Fremden zu, klopfte auch einmal dem Thomas Treml herzlich auf die Schulter und grüßte anständig, ehe es wieder verschwand.

Wie kommt dieser Gerechte unter die Bande? dachte der Kapellmeister. Er war überzeugt, dass er in eine schlau aufgerichtete Falle geraten war, und nur List und unerschütterlich kaltes Blut konnten ihn daraus retten. Und so holte er wie von ungefähr eine Pistole hervor, sah in ihren Lauf hinab, steckte sie dann in den Stiefel und schnitt ein entschlossenes Gesicht. So, nun wussten die Spitzbuben, woran sie waren!

Zugleich aber lüstete es ihn in einem jähen Anfall von Manneseitelkeit, sich vor der schönen, furchtsamen Freundin hervorzutun und ihr zu beweisen, welch ein Löwenheld er war, und darum erhob er sich plötzlich, schritt dreist auf den Spitzkopf los und holte eine Gitarre, die über diesem an der Wand hing, herunter. Und in einer tollen Laune, darüber er sich vorläufig keine Rechenschaft gab, sprang er auf den Tisch, setzte die langen, dünnen Finger wie Geierkrallen auf die Saiten und ließ sie mächtig rauschen. Zum Teufel, welch feines Zupfgeiglein hatte er sich da um den Hals geworfen! Und wie glockenrein sie gestimmt war! Merkwürdig, merkwürdig! Und mit Lust wühlte er in den Saiten.

Da stand er auf dem schwanken Tisch, der zarte Mann, das schmale Gesicht sehr blass, den Blick aber tapfer und voll Feuer. Er stand im dunkeln Rock, die Brustkrause zerknittert, und aus dem hohen Kniestiefel drohte die Pistole. Nun hielt er überlegend inne. Sollte er eines seiner kriegerischen Lieder anheben, durch die klirrend Kampfengel mit stählernen Schwingen flogen?

Doch dann nach einer trunkenen, jagenden Einleitung löste sich mitten in der Gefahr, mitten in der schmählichen Dürftigkeit dieser wüsten Höhle festlich ein neues Lied von seiner Seele, eine Huldigung an die schöne, geliebte Frau, die hier seinem Schutze anvertraut war. Versunken in ihren Anblick, hub er mit wohllautvoller, mannhaft tiefer Stimme an:

»Es glitzern so lustig die Sterne
ins Dunkel des Lebens herein,
sie lachen aus himmlischer Ferne
und kreisen in seligen Reih'n.
Die Erde wird brausend zum Himmel
in bunter und feuriger Pracht,
durchglänzt mit Strahlengewimmel
in fröhlicher, festlicher Nacht.

Doch heller als alle die Sterne
erglänzt der Geliebten Gesicht,
es schwindet die himmlische Ferne
vor ihrem entzückenden Licht.
In schwellender Saiten Getümmel
die Götter winken mir zu.
Was reißt mich von Erde zum Himmel?
O Liebe, o Liebe, nur du!«

Wie der alte Orpheus mit seiner Leier das lechzende Getier gezügelt hatte, so bändigte der Kapellmeister mit seiner hocherglühenden Weise die dumpfen Gesellen um sich, und sie saßen gesittet und wie mit verschönten, edleren Gesichtern, ihre finsteren, hämischen Augen wandelten sich und wurden groß, und sie schwiegen und lauschten.

Als der Sänger geendigt hatte, ließ er das Saitenspiel sinken, griff nach dem Becher und stürzte den hellen Wein hinunter. Und befeuert von seinem Lied und in trotziger Herausforderung schleuderte er das Glas an die Wand, dass die Scherben zurückspritzten.

Die Geliebte aber hatte die Huldigung verstanden, und dankbar neigte sie das anmutige Haupt. Und dann wandte sie sich zu dem Fenster, als wolle sie den tröstlichen Glanz der Sterne draußen und droben empfangen, den der ewige Himmel auch dieser Nacht spendete. Mit einem leisen Aufschrei fuhr sie zurück. Draußen lauerte ein fahles, verzerrtes Gesicht durch die Scheiben.

»Wirtin, verhängen Sie das Fenster!« rief sie.

Mürrisch erwiderte das Weib: »Das ist bei uns nicht der Brauch.« Und sie fegte mit einem Besen die Glasscherben heftig in einen Winkel.

»Wir wollen in unsere Zimmer!« herrschte nun der Kapellmeister den Wirt an.

»Wie Sie befehlen!« sagte dieser.

Er legte höflich einen pergamentenen Bogen vor und bot den Gästen Gansfeder und Tinte, sie sollten sich ausweisen und Namen und Herkunft aufschreiben, die Obrigkeit verlange es also.

Der Kapellmeister warf mit flüchtigen Wellen auf den Bogen hin: Carl Maria von Weber und Caroline Brandt.

Als er, die Stube verlassend, sich noch einmal umblickte, sah er die Bande neugierig sich um das Pergament drängen. Die werden sich wundern, dachte er schadenfroh. Einen verschuldeten Musikanten wollen sie plündern!

Die Kammern der beiden Reisenden befanden sich im obern Stock und waren benachbart.

Vor den Türen nahmen sie Abschied.

»Karlmaria, sehen wir uns noch einmal im Leben?« schluchzte sie.

Er küsste ihr die bebenden Hände. »Fürchte nichts, Karoline! Ich wache die ganze Nacht.«

Als er sich in dem kahlen Schlafzimmer allein wusste, untersuchte er sofort das Türschloss. Es war, wie er vermutet hatte, von innen nicht zu sperren. Auch merkte er der Tür an, dass sie schon einmal gewaltsam aufgesprengt worden war. Er nahm aus seinem Reisesack einen Nachtriegel, schraubte ihn in den Türstock und versicherte sich, dass nun niemand so ohne weiteres in die Kammer eindringen konnte.

Oh, die Türen dieses Hauses seufzten alle, als ob sie sich grässlicher Vorgänge erinnerten, deren Zeugen sie gewesen! Und die Erzählung von dem Pferdeblut unten auf der Schwelle, das war eine handgreifliche Lüge dieses Mordwirtes gewesen! Das war kein Tierblut, das dort eingetrocknet war!

An der Wand hing ein nachgedunkeltes Gemälde, ein heftiges, wie aus dem Rahmen stürzendes, schreckendes, peinliches Bild, das dem Kapellmeister seine missliche Lage recht klarmachte. Die Augenausstechung des jüdischen Riesen Simson!

Auf dem Fensterbrett morschte ein Buch.

Alles war hier feucht. Die gewiss niemals besonnten Betten waren von zweifelhafter Reinlichkeit. Ha, und dort an der Wand der düstere Fleck! Weber erschauderte. War das nicht der Abdruck einer blutigen Hand?

Unfraglich war es: Hier hatte man sich der schlimmsten Nacht zu versehen. Die drunten warteten nur, bis die ermüdeten Fremden schliefen.

Der Kapellmeister legte die alte Reiterpistole auf den Tisch. Er wusste allerdings nicht, ob sie losgehen würde; der Schuss stak schon seit vielen Jahren drin.

Das Fenster war vergittert. Teufel, auch dieser Ausweg verlegt!

Er klopfte Wand und Fußboden nach geheimen Tapeten- und Falltüren ab. Er fand nur eine mit einem Kasten verstellte Tür, die in die Kammer Karolinens führte.

Drüben legte sich die Teuerste wohl nun zur Ruhe. Was werden die düsteren Abmeuchler mit ihr beginnen? Himmel und Hölle, nur nicht daran denken!

Wenn er durchs Fenster ein Notzeichen hinausgäbe? Mit einem Schuss, mit einem Schrei die Felsenlandschaft wachriefe? Doch was hülfe es in diesem Irrwald, in dieser Wüstenei, fern allen guten Menschen?! Hier war alles böse, die Bäume, die Bäche, die Steine, das Gras, der Mondschein. Alles, alles war mit den Bösewichtern einverstanden!

Er hätte klugerweise verlangen sollen, dass der biedere Thomas Treml bei ihm schlafe. Der falsche Wirt hatte dem Fuhrmann das Lager in einem Verschlag am Hof angewiesen. Oh, vielleicht röchelte der Arme schon als das erste Opfer!

Dieses dumpfe Bett! »Darin soll ich erdrosselt werden!« murmelte Weber. Er fühlte schon den unbarmherzigen Würgergriff. Er fühlte schon die drei Zoll kaltes Eisen in der Brust. Den Weg alles Fleisches gehen müssen, ohne sein Leben gerechtfertigt zu haben durch ein großes Werk! In vor-frühem Tod umkommen durch die Hände einer rohen, verständnislosen Rotte! Wie bitter war das! Das Wunder, das er in sich ahnte, würde seine Knospe nimmer aufschließen. Trostlos ließ er sich auf einen Stuhl niederfallen. Er sah schon, wie seine Leiche über die knarrende Treppe in den Keller hinunter geschleift wurde. Er roch Blut.

Unruhig schnellte er empor. Er schlug das Buch auf, das am Fenster morschte. »Monatliche Unterredungen vom Reich der Geister« hieß es am Titelblatt. Also just heute noch ein Gespensterbuch! In seiner Kindheit hatte er aus Freude am Spuk gern solche Geschichten gehört. Aber sollte er nun diese Nacht noch ungeheuerlicher machen, indem er sich jetzt in die grausige Zwielichtwelt dieser Blätter einließ?

Ihm war auf einmal, jemand stehle sich die Treppe herauf. Hatte nicht eine der hölzernen Staffeln gekrächzt?

Eine bedenklich lange Stille gähnte. Jetzt horchte wohl einer draußen.

Hinter dem Kasten klöpfelte es. Eine holde, gedämpfte Stimme bat: »Karlmaria, ich sterbe vor Angst! Lass mich hinüber zu dir!«

Da schoss ihm ein süßer Schauer durchs Blut. Sein Herz orgelte auf. Die Geliebte wollte zu ihm kommen, wollte die Nacht und die Einsamkeit mit ihm teilen! Wollten ihn die Götter angesichts des Todes noch eilends begnaden mit dem tiefsten Glück der Welt?

Er rückte den Kasten zur Seite. »Komm nur, komm, mein armes Klopfgeistlein!«

Karoline, im Nachtmantel und wunderbar fremd in ihrer Blässe und lieblich in ihrer kindlichen

Furcht, sie stürzte auf ihn zu.«Rette mich! Wir sind unter Menschenfressern!”

Er fühlte das weiche, bebende Weib, Gott legte es ihm an die Brust. Er umfasste ihr Haupt, sie zu küssen.

Da – tappte nicht schon wieder der schleichende Schritt draußen? Und wieder war es befremdlich still.

»Er sieht uns durchs Schlüsselloch!« flüsterte die Sängerin und blies die Kerze aus.

Die Dunkelheit, die sonst den Verliebten kühner machte, sie frommte nichts. Der Kapellmeister horchte gespannt zur Tür hin.

Durch eine Klunse goss sich ein schmaler Streif Licht herein. Jemand machte sich an der Schnalle zu schaffen.

»Wer ist draußen?« dröhnte Weber und tastete nach dem Riegel, ihn zurückzuschieben. Ihm wurde vor der eigenen Verwegenheit bang.

Ein schüchternes Stimmlein erwiderte: »Fürchten Sie nichts, Herr von Weber!«

Dem Kapellmeister schlotterten vor Aufregung die Knie gegeneinander. »Du mit deiner Diebslaterne!« schalt er. »Falsch bist du wie Galgenholz. Du willst uns nur in Sicherheit wiegen, dass du uns umso leichter kaltmachen kannst!«

Draußen knarrte der Schritt wieder die Treppe hinunter.

»Ich wage es morgen nicht, in den Spiegel zu schauen«, klagte Karoline. »In dieser Nacht wächst mir das erste graue Haar. Wie dumpf ist diese Stube!«

Weber drückte das verquollene Fenster auf. Durch das eiserne Gitterkreuz schauten die Gefangenen in die stockende Nacht hinaus. Sie horchten unwillkürlich, ob nicht der Notschuss eines überfallenen Wanderers klänge oder der Ruf: »Helft mir!«

Eine Eule läutete.

»Leichenhahn, krähst du nach mir?« murmelte der Kapellmeister. Dann sagte er trüb: »Ich durchschaue alles. Der Harfenist war ihr Ausspäher und Zuträger, der schwarze Jäger die Schleichwache. Der Zigeuner ist der Rädelsführer, der Wirt der Hehler. Jetzt würfeln sie drunten um unsere Kleider. Jetzt spielen sie mit blutfleckigen Karten, und der Mondschein glüht in ihren Pistolenläufen wider. Und die Wirtin, diese Wolfsmutter! Hast du ihre Schlächterhände bemerkt, Karoline?«

Sie erwiderte: »Es ist fürchterlich. Und doch denke ich, diese Leute können doch gar nicht so schlimm sein. In mein Zimmer haben sie einen Nägleinstock gestellt.«

»Sprächest du doch wahr! Aber ich sehe nicht so rosenrot. Sie haben schon lange gewusst, dass wir kommen; ihre Wachen sind auf hohen Bäumen gesessen. Sie warten. Ich erwäge, ob ich nicht einen blinden Schuss zum Fenster hinaus tun soll, damit sie wissen, dass ich misstrauisch wache und mich aufs grimmigste verteidigen will.«

»Karlmaria, ihre Übermacht ist zu groß. Abwehr wäre sinnlos.”

»Soll ich zuschauen, wie sie dich schlachten?« sagte er wild. »Nein! Schützen will ich dich bis zu meinem letzten Tropfen Blut. Ich fürchte mich nur um dich. Oh, deine neunzehn Jahre! Mich können sie bloß töten. Aber dich – – – !«

»Oh, was steht mir bevor?!« schluchzte sie. »Karl, Karl, verlass mich nicht!«

Ihre Tränen fielen auf seine Hände und schmerzten ihn wie Stiche.

Dann sahen sie lange wortlos in den Nachtwald hinaus.

Der Mond schaute starr und prüfend auf den wilden Forst nieder. Glanzberieselte Nebelschwaden schwebten. Die Dämmerung flüsterte Ungewisses. In der Ferne klang es wie von waldverrauschenden Stimmen. Dann flog Wetterleuchten gleich den Fetzen unruhiger Träume.

Einmal hub der Kapellmeister mit veränderter, träumerischer Stimme an: »Es ist eigentlich sehr schön hier. Horch, orgelt dort drüben nicht ein Scheich?«

Dann aber grübelte er wieder: »Ist nicht Gift in dem Wein gewesen? Ich fühle meine Zunge leicht gelähmt. Ach, sterben müssen –«

»Das bildest du dir nur ein«, tröstete sie ihn. »Mach wieder Licht! Die Finsternis könnte die drunten locken.«

Er holte aus ihrem Zimmer die brennende Kerze.

Dann schob er den Kasten wieder an seinen alten Platz und begann, mit jeglichem Hausrat, der ihm zuhanden war, die Tür zu verrammeln.

Sie starrte indes in einen Spiegel. Es war ein Altschweizer Glas mit goldenem Belag, und ein gelbes Bild sah ihr entgegen. »Was macht diese Nacht aus mir?!« flüsterte sie. »Was werden die Prager zu der gelbsüchtigen Sängerin sagen? Pfui, du schlechter Spiegel! Oh, ich bin todmüde!«

Hurtig breitete Weber seinen Mantel über das Bett, und sie sank darauf hin. »Nur heute nicht träumen!« sagte sie. »Meine Base ist infolge eines grässlichen Traumes stumm geworden. Wenn ich nun aufwachte und nimmer singen könnte!«

»Schlaf nur, Silvana! Schlaf sorglos!« sagte er. »Mädchen! Geliebte! Göttin! Ich schütze dich. Ich wehre auch die bösen Träume von dir. Doch du schläfst ja schon. Hast du nicht gehört, was ich jetzt gelobt habe?«

Sie stammelte, schon halb aufgelöst in Schlummer: »Ko – ral – len – hals – band –«

Sie war schon fern von ihm im tiefen Schlaf der Ermüdung.

Er schlug das Gespensterbuch auf und las, sich wach zu halten, die Sage von einem Jäger, der unter dem Segen der Hölle Kugeln goss, deren eine dann, vom Satan gelenkt, seine Braut tötete. Die« seltsame Handlung rührte Weber. Und ähnliche Schreckmärchen der Kindheit erwachten und hatten Gewalt über ihn. Er sah die Burg des Fressers

Oger, im Rauchfang dörrten abgehackte Schenkel, im Kessel sott Menschenfleisch, ein hexisches Weib seimte Gift.

Manchmal schrak der lesende Mann auf. Der Wind geisterte am zerschlagenen Fenster. Schleichlings tappte etwas durch das Haus, schien mit Dietrichen zu klingeln, schien das Türschloss zu versuchen. Wann kommen sie mit der Brechstange? Warum warten sie so quälerisch lange? Wenn nur der Hahn schon schrie!

Einmal erhob sich in der Stallung ein Gestampf. Jetzt holten sie die Pferde! Und der gute Tremolo liegt in einer roten Lache und hat es überstanden!

In der Schenke drunten war es totenstill.

Weber betrachtete das geliebte Weib. Es schlief mit trunkenem Gesicht. Sanft stieg ihre Brust und sank wieder. Ihre Stirn war sorglos und glücklich. Ihr Gesicht wurde immer schöner, ein holder Traum entfaltete sich wohl in ihrer Seele. Ein lieblicher Dämon besprach sich heimlich mit ihr.

Dem Manne sang das Blut. Sollte er sie wecken mit dem Ungestüm des Verliebten? Er kämpfte hart gegen sich selber.

Nein, er durfte sie, die jetzt aller Angst enthoben war, nicht zurückholen in die Schrecken der Nacht.

Vielleicht hatte er nur noch ein Viertelstündlein weit zu seinem Tod. Seltsam, er fürchtete sich nimmer davor. Er dachte auf einmal an sein ungeborenes Werk, das mit ihm getötet werden sollte, und war sehr traurig.

Ein Nachtgewitter zog heran. Blitze brachen aus dem Wolkenabgrund, Wahnsinnstrahlen, irres Gefunkel. Die Scheiben klirrten im schweren Donner. Regen rauschte.

Der Kapellmeister lehnte im Fenster, das Ohr verhorcht in das Dröhnen. Wilder redeten die Donner. Trüb grollte es in dem Bergforst nach.

Morgenlicht weckte ihn. Er staunte, dass er hatte schlafen können. Er staunte, dass er noch lebte.

Glanz und Duft des Waldes wehte herrlich zum Fenster herein, hundert Vögel schlugen bunt durcheinander.

Lächelnd und verschämt sprang Karoline vom Bett auf, rückte selbst den Kasten von ihrer Tür weg und flüchtete in ihre Kammer.

»Nicht das geringste Stücklein ist gestohlen worden!« rief sie herüber, während sie sich ankleidete.

Der Kapellmeister löste fröhlich die Verrammelung vor der Tür auf, dabei fiel ihm ein neues Lied ein, und er pfiff es.

Die unheimliche Wirtin, die Wolfsmutter, brachte zwei Tassen Milch.

Als die beiden sich die Stiege hinunter gewagt hatten., kraulte schon der rossefreundliche Treml den angespannten Tieren die Stirnschöpfe. Sein Gewand roch angenehm nach Heu. Das lungernde Gesindel aber war verschwunden und wie in der neuen Sonne verdunstet, und die Welt war liebevoll und schuldlos.

»Bringe mir die Rechnung, Drudenfuß!” befahl Herr von Weber.

Der Wirt klitterte etwas auf einen knitterigen Zettel. Auf dem Rücken seines Daumens glänzten rötliche Borsten. Wieder kam er mit seinem versperrten, verschmitzten Gesicht dem Kapellmeister verdächtig vor, und dieser war gespannt auf die Schrift des Schurken. Der mochte gewiss wie ein Brandbriefschreiber kritzeln.

Endlich überreichte der Wirt den Zettel. Darauf war eine windschiefe, verzogene, plumpe, riesige Null zu sehen, deren gänzlicher Unwert noch dadurch betont war, dass sie mit einem wuchtigen, vernichtenden Strich durchgestrichen war.

»Was für dummes Zeug treibt Er da?« fuhr Weber auf. »Wir wollen nichts geschenkt. Am wenigsten von Ihm!«

Der Wirt stand stumm und blickte düsterlich darein.

»Verrückte Welt!« wetterte der Kapellmeister. »Nun meinetwegen! Dies aber für den Ehrenmann, der mir die Stiefel gewichst hat!« Er warf einen Taler auf den Tisch.

Noch einmal betrachtete er den Türstein. »Den hast du Schuft aus einem aufgelassenen Friedhof gestohlen!« grüßte er den Wirt zum Abschied.

Karoline saß schon im Wagen, das Gepäck war versorgt. Reiselustig scharrten die ausgeruhten Pferde.

»Jetzt flugs davon, Tremolo!« mahnte Weber.

Die Feuchtheit der Frühe glänzte, der Wald glühte wie grünes Erz. Dünner Nebel löste sich im kräftigen Blau der Luft auf. Der Kuckuck rief sein leichtfertiges Gebet.

Zunächst glitt der Wagen sänftlich auf verwastem Boden hin, bald aber geriet er in tief eingerissene Karrengeleise, schwankte gefährlich und krachte in seinem Grundgefüge. Verfilztes Gebüsch, in dessen Dämmer Pilze scharlachten, randete den Weg, Gebüsch, das anscheinend niemals von Wild und Weidmann durchdrungen worden war. Sie mussten sehr gemach fahren.

Als sie eben um einen steilabgerissenen Felsen bogen, scholl ein stechend schriller Pfiff, und ein Kerl, es war der Spitzhut von gestern, sprang hinter einer Tanne herfür und fiel den Pferden in die Zügel.

Vergebens drosch der Fuhrmann mit dem Peitschenstiel auf das Gespann ein, vergebens fuchtelte der Kapellmeister mit der Pistole herum und schrie: »Fahr er zu, Treml! Presto! Prestissimo!« Die Tiere standen wie an den Boden genagelt, umwimmelt von abenteuerlichen Gestalten, und einer von ihnen, stumpfe Mopsnase und schmutzigrotes Haar, riss den Wagenschlag auf, wackelte mit einem fast türkisch verbogenen Säbel und drohte: »Geld oder Leben!«

Die Weglagerer führten seltsam veraltete Waffen, sie hoben plumpe Kolbenpistolen, spannten Armbrüste mit stählernen Bogen, bäumten schrecklich gestachelte Streitkeulen, zückten Spieße, als wollten sie einen Eber abfangen, und funkelten mit Hirschfängern. Ihre trichterförmigen Hüte waren mit langen Federn nach apenninischer Räubermode geschmückt. Sie tobten wie Unsinnige, wetzten die Messer an den Steinen oder stießen sie in die Bäume und schrien allerlei durcheinander, doch war es stockbayrisch, und Weber verstand nur, dass es ein Geröll von Flüchen war, das da niederging.

Er warf den Schnapphähnen seine Börse zu. »Nehmt das und lasst uns in Frieden!«

Doch nun drängte sich der zigeunerbraune Hauptmann heran und rief: »Das schöne Fräulein muss die Räuberbraut werden!«

Halb ohnmächtig sank Karoline in den Wagen zurück.

Der Kapellmeister drückte vergeblich auf das Zünglein seiner Waffe, sie ging nicht los. »Elender Hund!« schrie er so lange, bis ihm einer das Faustrohr aus der Hand schlug.

In diesem Augenblick äußerster Bedrängnis erschien das zarte, eisgraue Männlein von gestern fern am Steig und winkte heftig mit den Händen.

Sofort stoben die Räuber ins Gebüsch.

Lärmend mit Hals und Horn und Hund tauchte eine Schar grüner Jäger auf.

Ein schlanker Herr, versehen mit dem Adelszeichen einer stolzen Haltung, mit gebieterischer Miene und verachtungsvoller Unterlippe, ritt an den Wagen heran. Seine Augen waren von einem fast unerträglich scharfen Blau, und es wohnte etwas Maßloses darin. »Was geschieht hier?« fragte er.

Der Kapellmeister deutete ins Dickicht. »Räuber!« keuchte er.

»Ihnen nach!« rief der Reiter mit kühner Gebärde seinem Gefolge zu. »Fangt sie! Nagelt sie mit den Ohren an die Bäume!«

Sie ließen die Birschhunde an, die sich sofort heulend in die Wildnis stürzten. Die Jäger rauschten ihnen nach.

»Ich bin der Freiherr Ottokar von Schwarzenbrunn«, sagte der Retter. Er schwang sich aus dem Sattel und half die Ohnmächtige mit Jasminessig besprengen, bis sie wieder zu sich kam.

»Dank, tausendmal Dank, Sie Engel!« rief der Kapellmeister überschwänglich.

Das Geheul der Hunde verstummte wie mit einem Schlag. Und eine wohltuende Ruhe schwebte über den Wäldern.

»Jetzt haben sie sie gefangen!« meinte Weber. »Die Burschen haben weidlich bühnenmäßig ausgesehen, soviel ich in der Aufregung und Eile habe bemerken können. Wie eine wirre Theaterei ist alles vonstattengegangen. Vielleicht sind es verlaufene Soldaten gewesen. Keinen Rübenschnitz mehr hätte ich für mein Leben gegeben.«

Der Freiherr verneigte sich nun lächelnd. »Darf ich die Herrschaften jetzt nach dem überstandenen Schrecken in mein Schloss einladen? Sie müssen sich erholen. Seien Sie einen Tag lang bei mir zu Gast! Dann bringe ich Sie auf die sichere Landstraße.«

»Sie Gütiger!« rief der Kapellmeister. »Sie Helfer zur gelegenen Zeit! Wann endet das Maß der Wohltaten, die Sie über uns Fremdlinge ausgießen?!«

Die Jäger kehrten zurück. Trotz eifriger Verfolgung hatten sie keinen der Verbrecher gefangen. Diese hatten ihre Schlupfwege und waren in der grünen Wüstenei besser daheim als die Forstleute.

Ein hübscher Jägerbursch brachte dem Kapellmeister die geraubte Börse zurück. Er hatte sie auf einem Stein gefunden. Kein Gröschlein darin war abhanden gekommen.

»Kommen Sie in mein Schloss!« wiederholte der Edelmann. »Wir brechen die Jagd ab. Sie sollen die Gegend nicht in schlechtem Andenken behalten!«

»Eine wunderliche Gegend!« lachte der Kapellmeister. »Die Raben schlagen hier einem den Hut vom Kopf, die Wölfe fressen den Schimmel von der Deichsel weg!«

»Also geben Sie mir die Ehre, Herr von Weber!« drängte der Freiherr. »Ich bin Ihr Bewunderer. Ich kenne Ihre treffliche Oper ›Silvana‹.«

»Sie wissen, wer ich bin?!« staunte der Künstler.

Ottokar von Schwarzenbrunn biss sich auf die Lippe. Dann lächelte er: »Sie haben doch vorhin Ihren Namen genannt.«

»Verzeihen Sie, Edelster! In meiner begreiflichen Erregung habe ich dies vergessen. Darf ich Ihnen meine Begleiterin vorstellen? Fräulein Karoline Brandt, eine menschliche Nachtigall, die Darstellerin der Silvana am Frankfurter Theater.«

Der Freiherr küsste ihr ritterlich die Hand. »Sie hätten keine lieblichere Verkörperung dieser Rolle finden können, Meister«, sagte er.

Ein frisches, tapferes Geschmetter hub an. Vier Waldhörner weckten mit ihren jagdlichen Weisen die Wildnis, die fröhlich mit einstimmte. Da sprang der ferne Hirschbock aus seiner Ruhe auf und nahm die Flucht, da duckte sich das birschende Füchslein, da zitterte des Bären herzhaftes Herz.

»Alle Donner, Freiherr!« wunderte sich Weber. »Woher nehmen Sie diese prächtigen Bläser?«

»Meister, unsere Landschaft heißt der Musikantenwinkel, weil hier lauter tüchtige Spielleute gedeihen. Das ist besonders einem alten Musikus zu danken, er kümmert sich seit vielen Jahren in meinem Schlossstädtlein um die liebe Kunst und zieht mir manchen andächtigen Trompeter auf.«

Von den hellen Fanfaren begleitet, fuhr die Kutsche weiter. Der Freiherr zwang sein Pferd hart an die Seite der schönen Sängerin, die, erlöst von ihren Ängsten und mit einigem Stolz auf das Abenteuer, ein munteres, sprühendes Geplauder begann. Der Kapellmeister aber war mit einem Mal sehr verdrießlich gestimmt; es war nicht gerade Eifersucht auf den Retter, was sich in ihm regte, doch meinte er, er selber habe sich in dem Handel nicht ritterlich genug benommen, und fast ärgerte es ihn, dass er nicht eine bescheidene Wunde von dem Überfall davontrug.

Der Weg wurde fahrbarer, die große, geschlossene Wildnis ließ nach, es zeigten sich Felder mit Viehzäunen, sonnige Hutweiden, belebt von grasenden und rastenden Kühen, Einöden voller Gänsegeschrei. Es roch nach Dörfern.

Heumacher ruhten von der Wiesenfron; Menschen mit rotbrauner, sonnensatter Bauernhaut neigten sich ehrfürchtig vor dem Freiherrn und vor dem Fremden; Kinder grüßten, sie kamen aus den Heidelbeeren und hatten sicherlich viel kleinere Mäulchen, als der erste Augenschein vermuten ließ. Beschauliche Gänsehirtinnen hüteten mit der Gerte ihr neugieriges, weißes, weibisches Geflügel.

Gleich sanften Vogelnestern schmiegten sich die Dörfer in den Wald. Schiefe Moosscheuern dufteten, winzige Bauernkirchlein läuteten, Mägde legten im Bleichgärtlein die Wäsche aus, im Rossgarten hüpften die roten Füllen.

Pappeln staken an der breiten Straße, als habe eine Heerschar von Riesen ihre Keulen in die Erde gesteckt und wäre weitergetrampelt.

Immer wieder entschuldigte sich der Freiherr, dass es gerade seine Forste gewesen, darin den Reisenden das widrige Erlebnis zugestoßen war, und er gelobte, nicht eher zu rasten, bis er die Bande gestellt und ihr den verdienten Lohn gegeben habe.

Endlich fuhren sie in ein sommerlich verschlafenes, zierliches Städtlein ein. Die menschenleeren Gassen waren hübsche Einöden voller Gras, auf den Mauern der Gärten hockten Stauden und leuchteten mit ihrem Blühen wie goldene Laternen hernieder. Über den Marktplatz ratternd, wurde der Wagen grimmig geschüttelt und gerüttelt. »Gott gnade uns!« rief der Kapellmeister. »Wir reisen über das Land Katzenkopf.«

Inmitten des Platzes graute das Steinbild des heiligen Johannes, den Schweigefinger streng vor dem Mund und die Spitzen des Chorrockes golden getüncht. Der magere Eisenhahn am Kirchturm stand krumm wie ein Fragezeichen. Ein Kind trieb eine üppig bekränzte Kuh durch die Gassen.

Es schien ein gewerbefrohes Städtlein zu sein, viele verkrauste und farbige Schilder riefen Namen und Handwerk aus. Da bot sich ein bürgerlicher Gastgeb an, dort ein bürgerlicher Leineweber, ein bürgerlicher Bartscherer hatte sein gelbes Becken ausgehängt, und ein anderer suchte seine bürgerliche Nahrung mit der Schneiderei. Jeder Beruf trug hier das redliche und beruhigende Schmuckwort »bürgerlich« vor sich. An der Tafel des bürgerlichen Schusters war ein handfester Reim zu lesen:

»Ich, Meister Adam Ilk,
scheue niemand und lass Gott walten,
ich schmiede neue Schuhe
und flicke auch die alten.«

»Man atmet ordentlich auf, dass man wieder unter ganz ehrlichen Leuten ist«, sagte die Sängerin.

»Gemach!« warf der Freiherr ein. »Nicht jeder denkt so gut von diesem Ort. Der Kaiser Josef II. hat ihn nicht besuchen wollen, weil die hiesigen Bürger als Schleichhändler verrufen waren.”

»Nicht möglich«, meinte Weber. »Diese Häuser schauen doch so bieder aus sich heraus.«

Der Ort schien wie zur Bedienung des Schlosses angelegt, das auf einer mäßigen Anhöhe mit dem erhabenen Hintergrund des Gebirges sich erhob. Und als die Reisenden an der Apotheke »Zum blauen Einhorn« vorbei ein gewundenes, enges Gässlein bergan fuhren, sahen sie den alten Bau vor sich, aus dessen massigen, spitzhütigen Ecktürmen noch der Ungestüm der Vorzeit sprach.

Ein ruhender Löwe hielt das verwitterte Wappen in den Pranken. Waldhin schwang sich ein weiter Ziergarten, zum Teil von Gemäuer begrenzt, das wundersam mit Moos und Glockenblumen bewachsen war, Gemäuer, das seinen wehrhaften Zweck schon längst verloren hatte und nur noch als Träger des maßlos üppigen, dunklen Efeus und einiger grauen Vasen und Büsten seine Berechtigung fand. Vor dem Gittertor, das aus einer Reihe goldspitziger Lanzen bestand, lehnte an einer verstümmelten Bellona die Schildwacht und strickte einen blauen Strumpf. Als der Wächter den Freiherrn daher reiten sah, schulterte er seinen Kuhfuß und stand mit den störchisch wadenlosen Beinen stramm.

Der Wagen hielt vor einem Anbau, der aus der tändelnden Zeit des Rokokos rührte. Rosenlorbeer wuchs dort in grünen Kübeln. Eine breite Treppe teilte und vermählte sich wieder in sich selbst.

Die Wände des Gemaches, das Herrn von Weber angewiesen worden war, waren mit Landschaften aus Ruinenmarmor unruhig geziert. An steifen Geräten blinkte reicher, goldener Beschlag. Eine edle Vase etruskischer Herkunft, Haupt und Rumpf einer steinernen Griechin und anderer altertümlicher Schmuck zeugten von dem gebildeten Geschmack des Sammlers. Breite Fenster wiesen gegen Park und Gebirge.

Ehe der Künstler den löwengelben Mantel abwarf, setzte er sich an den Flügel, den ihm einige Diener im Auftrag des Freiherrn in die Mitte des Zimmers gestellt hatten, ein von drei zarten Säulen getragenes, schwarzschimmerndes, schmales Gerät. Er spielte einen ritterlichen Marsch. Der Flügel erzitterte unter seinen Fingern, die, lang und schmächtig, aus der Berührung mit den Tasten erst ihre leidenschaftliche Kraft zu holen schienen.

Dann streckte er sich auf eine Ruhebank hin und schlief rasch ein. Ihm träumte, ein gespenstisch hagerer Mann stehe im Wipfel eines Hochaltars und geige erschütternd schön; aber plötzlich brach er ohne sichtbare Ursache ab, spuckte auf den

Fiedelbogen und tat drei schneidend fahle, satanisch heisere Striche. Davon erwachte Weber.

Ein hinter einer weißen Atlasmaske vermummter Diener wartete an der Tür und meldete: »Der Freiherr lässt bitten!«

Der Verlarvte schritt auf Zehen voran und öffnete dem Gast die schlanke Flügeltür in einen verschwenderisch ausgestatteten Saal, in dessen Mitte ein Tischlein mit drei Gedecken zugerüstet stand. Der Freiherr Ottokar wartete schon.

Die Sonne schoss mächtig durch die breiten, bis zum Fußboden herab reichenden Fenster herein. Die weißen Türen waren von geschnitzten, vergoldeten Kränzen umrandet; gewaltige Spiegel flammten vom Fries bis zum Sockel nieder, in glimmende Bronze gerahmt, daran Armleuchter angebracht waren. Im Fries waren Rundbilder, daraus die Häupter altgriechischer Götter schauten, mit reichen Fruchtbändern aneinandergeknüpft. An der Decke zwischen üppigem, vergoldetem Stuck stellte ein pomphaftes Gemälde den schwebenden Luftgott dar, umtanzt von unzähligen mit Falterflügeln begnadeten Zephyretten.

In dieser schimmernden Pracht fand sich nun auch Karoline ein. Sie hatte das Reisegewand mit rubinfarbener Seide vertauscht und ihr Haar lieblich gesteckt.

Sie lief von einem Spiegel zum andern und rief ihrem anmutigen Bild zu: »Bist du auch wieder da? Was hast du da drin zu schaffen?«

Sie frohlockte: »Welch ein Gegensatz zu der schmutzigen Räuberhöhle! Freiherr, Sie leben wie im Saal der Seligen!«

»Doch einsam«, erwiderte er.

»Sie können, wenn es Ihnen hier langweilig werden sollte, leicht den Aufenthalt wechseln und die rauschendste Gesellschaft aufsuchen. Sie können uns sogar morgen nach Prag begleiten, Freiherr!«

»So plötzlich wird sich unser großsinniger Wirt zu einer Flucht aus diesem Paradies nicht entschließen können!« sagte Weber in einer leisen Wallung von Eifersucht. Unansehnlich und zierlich nahm er sich neben dem Freiherrn aus, der stolz und hoch war und ernst, wie ein finstergrüner, junger Tannenbaum.

»Sie haben recht, Meister«, entgegnete Ottokar von Schwarzenbrunn. »Ich darf mich nicht so mir nichts dir nichts von hier entfernen. Mein guter Oheim hat mich der verderblichen Wirkung der großen Städte und der fremden Länder einigermaßen zu entziehen gesucht, indem er mich durch einen grausamen Vorbehalt in seinem Testament verpflichtet hat, drei volle Monate des Sommers in diesem entlegenen Schloss da zu verleben. Unterlasse ich dies, so fällt die Herrschaft einem entfernten Verwandten zu. Ich muss nun gehorchen, denn ich werde scharf beobachtet.«

»Diese drei Monate lassen sich aufs unterhaltlichste verbringen«, sagte der Kapellmeister. »Mir würde die Zeit hier nicht lang werden.«

»Was beginne ich hier, Meister? Hie und da einen Dachs hetzen, einen Fuchs aus seiner Röhre stöbern, einen Hirsch schießen! Ist das das Leben? Ich habe hier keinen Menschen. In dem Ort drunten hausen – wie unser Herr Pfarrer zu sagen pflegt – sechshundert Seelen beiderlei Geschlechtes, sie pflanzen Rettich und Petersilie, und nichts stört den Froschfrieden ihres behaglichen Tümpels. Und vor meinem Fenster schwebt das eintönige Bild des Gebirges. Und abends darf ich den Fledermäusen zuschauen, wie sie ihren Bürgermeister wählen. Der Mond sieht hausbacken drein, und die Dorfkater bringen mit vergrämten Stimmen der Schlosskatze eine Nachtmusik.”

»Sie machen mich auf das Städtlein neugierig«, lachte die Sängerin. »Ich liebe solche schrullige Nester. Karlmaria, wir suchen dann die Gassen drunten auf mit den bürgerlichen Menschen!«

»Ersparen Sie sich die Enttäuschung!« wehrte der Freiherr heftig ab. »Drunten finden Sie nichts.«

»Aber die Musikanten?« sagte der Kapellmeister.

»Ach was! Ich zeige Ihnen lieber meinen Park.«

Sie ließen sich auf die dünnbeinigen Sessel nieder, und der verlarvte Diener huschte herein und trug die Speisen auf. Er tat dies sehr flink und gewandt, und dann stellte er sich wartend zur Tür.

»Wie gruselig!« flüsterte die Sängerin. »Ein Nachspiel zu der verflossenen Nacht!«

Weber fragte: »Warum umgeben Sie sich mit diesem Femknecht, Freiherr?«

»Sie sehen, wie geschickt er bedient. Ich bin ihn gewohnt und mag ihn nimmer entbehren. Aber seine traurige und gelangweilte Miene missfällt mir, und darum trägt er die Maske. Stoßen Sie sich nicht an dieser Schrulle!«

»Ich werde ihn bitten, die Maske abzutun«, sagte das Fräulein. »Vielleicht gefällt er mir gerade.« »Er wird Ihnen nicht gehorchen.«

Sie lachte mit ihrer süßen, girrenden Kehle: »Das wollen wir sehen!«

»Ich möchte aber doch in die Stadt hinuntergehen«, begann der Kapellmeister wieder, »ich muss doch die Behörde veranlassen, dass das Räubernest augenblicklich ausgehoben wird.«

»Bemühen Sie sich nicht, Meister!« sagte der Schlossherr. »Das besorge ich selber. Übrigens finden Sie heute weder Bürgermeister noch Schreiber vor. Alle Männer sind auf dem Viehmarkt in einer nachbarlichen Stadt.«

Weber nahm den Faden des früheren Gespräches wieder auf. »In meinem. Zimmer befindet sich ein kostbares Klavier. Die schönsten Dinge schlummern drin. Das böte Ihnen Kurzweil genug für den Sommer, Freiherr.«

»Meine Fertigkeit im Spiel ist gering. Entweder alles oder nichts! Drum lasse ich die Hand von den Tasten. Bin ich dann im Winter in Prag, so höre ich mir gern die neuen Opern an. Leider ist seit Mozarts Tod – einige Italiener ausgenommen – nichts Besonderes geschaffen worden. Alles wirkt so einförmig. Das kommt davon, weil jeder unserer Kompositeure zu viel von den Meistern lernt, die vor ihm gewesen sind. Jeder hat die Wurzel in dem Werk seiner Vorgänger.«

»Wie könnte das anders sein?«

»Jeder gestaltende Künstler sollte bei sich selber anfangen, urschöpferisch, unbeeinflusst von den Farben der anderen. Sein Werk sollte unabhängig sein wie Gottes erste Tat.«

»Das brächte trübe Verwirrung, Freiherr. Niemand würde diese Musik verstehen. Die Kunst muss ein Kind ihrer Zeit sein.«

Der Freiherr schüttelte heftig den Kopf. »Es sind von allem Anfang an böse Fehler gemacht worden. Die Musik ist auf einem Holzweg. Dürre Regelmänner, enge Schulmeister haben die unendliche Klangfülle der Welt zöpfisch gebannt, erbärmlich gezwängt in die zwölf Stufen der Siebentonreihe. Eingegittert haben sie, was fessellos sein soll. Wann kommt der große Befreier?«

Er öffnete eines der breiten Fenster. Das linde Säuseln des Laubes drang herein, das Geräusch eines springenden Wassers, der wiederholte Schrei eines begabten Vogels, das träumerische Rasseln eines fernen Wagens. Der Freiherr deutete mit umfassender Gebärde hinaus. »Da schaffe mir einer mit neuen Mitteln eine Parksinfonie!«

Der Kapellmeister hatte sich erhoben und rannte mit seinem hinkenden Bein im Saal auf und ab. »Ich weiß nicht recht, wo Sie hinaus wollen. Kunst geschieht nur mit den Mitteln der Kunst. Auch die Beschränkung gibt dem Künstler Raum für alle Größe. Innerhalb der Gesetze groß sein, ist wahre Kunst und gilt auch im Leben. Wirr mit Donner und Sturm herum poltern mag nur der wüste Teufel. Ich will klar und einfach sein.«

»Die Zeit wird unsern Streit entscheiden«, sagte der Freiherr. »Weil es nun an besserem gebricht, liebe ich die italienische Oper. Die deutsche ist mir. zu trocken, zu ledern.«

»Hören Sie mir auf mit den Welschen!« zürnte Weber. »Die Welschen machen aus dem Theater einen süßen Guckkasten. Ihre Musik ist dürrer Schirokko, dessen gekünstelte und eintönige Glut bald auskühlen wird. Es ist wahr, der Stich der Tarantel macht die Leute tanzen, aber sie fallen bald erschöpft um.«

»Lauschen Sie dem Belkanto der Amsel draußen!« lachte der Freiherr. »Wozu ist die Kunst da? Doch nur, um das Weibchen anzulocken! Die Italiener haben das eingesehen. Und das ist das Geheimnis ihrer Kraft.«

»Nein, Herr! Die Kunst ist nicht nur da, die Menschen verliebt zu machen. Die deutsche Kunst hat höhere Aufgaben.«

»Welche?«

Der Kapellmeister wusste es aber nicht zu sagen.

Den Nachmittag verbrachten sie in dem weit in die Wildnis vorstoßenden Park, der, ein einsames Kunstwerk, zwischen dem ernsten Waldgebirge und der schlichten Landschaft der bäuerlichen Flur vermittelte. Seine Mitte bildete ein mächtiges Beet, darin das herrschaftliche Wappen, ein auf den Hinterläufen tanzender goldener Hirsch im blauen Feld, in vielen brennenden Blumen kunstreich gebildet war, die mit reizenden Farben und Wohlgerüchen einander überboten. Dieses Beet war zugleich eine blumige Sonnenuhr, darauf eine Säule, gekrönt mit einer auf goldener Kugel schwebenden Fortuna, ihren schmalen Schatten warf. »Jede Stunde im Schatten des Glückes!« rief Karoline entzückt und rannte wie eine liebliche Elfe das lobelienumkantete Rund entlang, landete auf einer beschatteten Steinbank, sprang wieder auf und kniete auf der Erde hin, die hier aus Rosen atmete.

Und da waren Bollwerke aus Lilien, da flackerten langstielige Tulpen, mehr Flammen als Blumen, da züngelten wahre Abenteuer von Blüten, dunkelschlündig glühend: das Herz der Erde loderte darin aus sich selber.

Träumerische Alleen und stille, sandige Reitwege führten zu glatten, grünlichen Teichen, darin Goldfische schwärmten. Auf moosigen Sockeln rasteten muschelbehelmte Meergötzen, steinerne Dreizackschwinger, an ihre Urnen gelehnt. Efeu beschattete den bröckelnden Marmor. Das silberne Bäumlein eines Springbrunnens flüsterte. Delphine spien Wasser.

Ein Schwan starrte regungslos in die stille Flut, verbuhlt in das eigene Bild. Der Kapellmeister rief ihn wach. Da fauchte das weiße Tier ihn feindlich an.

Eine künstliche Felsengruppe mit Brücken und darunter glucksenden Adern und zischenden Wasserfällen, mit Irrgärtlein und Grotten, einer kürzlich erst erbauten Burgruine und lauschenden Steinbildern ergötzte die Gäste: hier schulterte der Riese Atlas die Erdkugel, der kleine Liebesgott ritt einen Kentauren, dort keulte Herkules den lernäischen Wurm nieder, und der Feuerdieb Prometheus wurde von dem Geier heimgesucht. Daphne flüchtete sich, vor der Umarmung des stürmischen Gottes zitternd, in die Gestalt eines Lorbeerbaumes.

Die drei schritten über den sanften Rasen des Edelgartens. Unter ehrwürdigen Bäumen, von Efeu umstrickt, in verschnittenen Lauben zwinkerten unverschämt bocksbärtige Faunsköpfe von den Standsäulen, in Eibenhainen trauerten steinerne, krausköpfige Englein oder rangen täppisch miteinander und prahlten mit ihren stämmigen Schultern, Bäuchlein und Knien. »Ihr süßen Götterchen!« schmeichelte Weber und klopfte einen auf die angenehm gerundete Rückseite.

Ein mit Rädern versehenes Glashaus war zu sehen, das die Gärtner über die fernher stammenden, empfindlichen Fremdlingsblumen schoben, sobald gefährliches Wetter, Hagel oder Nachtfrost drohten.

Sie ruhten an einem mit Stein gefassten Brunnen. Ein empörtes Wappentier lechzte sie an. Schüchtern pisste der Springquell, der stoßende Wind warf die Tropfen sprühend über das Becken hinaus.

»Wahrhaftig, Freiherr, Sie sind undankbar!« rief Weber. »Ihr Besitz ist schön. Ein hesperisches Eiland! Und die schweigsame Wildnis dahinter mit den herrischen Bergen! Oh, heute fühle ich wie noch nie den Zweck des Lebens! Das All erschuf sich den Menschen, um sich durch dessen Seele hindurch an sich selber zu freuen.«

Aus den schweren Forsten herüber blies schwärmerisch ein Waldhorn.

»Mein Leibjäger bläst«, sagte der Freiherr. »Er ist ein verliebter Bursch.«

»Wie herzlich rührt mich immer der Klang des Hornes im Wald«, sprach Weber. »Der Wald erscheint mir als die wahre Wiege der Musik. Mit seiner grünen Wölbung gab er dem ersten Menschenlied den vollen Hall. Hornruf tönte schon zur Urzeit über die Wipfel hin, den Jagdgenossen zum Zeichen. Und ein Waldjäger war es, der das Saitenspiel erfand. Als er einmal den Bogen gegen das bange Wild spannte, hörte er zum ersten Mal die Sehne singen.«

Lange saßen sie in der Kühlung des hauchenden Brunnens. Der Kapellmeister war schweigsam geworden, und die Sängerin kehrte das Gesicht berghin, um den heimlich belagernden Blicken des Schlossherrn zu entgehen.

Karoline begab sich zeitig zur Ruhe, sie wollte sich heute gründlich satt schlafen.

Der Kapellmeister aber wanderte in seinem Gemach auf und ab, ohne Sehnsucht nach Ruhe und das Herz seltsam bedrängt.

Er hörte die Uhr bedächtig ticken. Sie flüsterte: »Die – Zeit – ver – geht, – die – Zeit – ver – geht!« Auf dem Goldgehäuse war in der schrägen Haltung eines Läufers, rennend und fliegend zugleich, Gott Chronos gebildet mit seinem schrecklichen Werkzeug, der Sense.

Weber tat das Fenster auf. Schwarz lagerte das Gebirge. Die Sterne strömten. In der Ortschaft drunten läutete ein Dengelhammer. Ein Mäher rüstete sich für den Morgen, eine Ernte war reif.

Der Künstler fühlte jeden Dengelschlag wie den Schlag seines erwachenden Gewissens. »Und du?« redete es. »Was hämmerst du? Wo erntest du? Was hast du den Tag über vollbracht? Wieder hast du einen Tag, einen vollen, schweren Tag, einen ungeheuren, niemals wiederkehrenden Teil deines Lebens versäumt und vertändelt!«

»Die – Zeit – ver – geht!« lispelte es silbern.

Wunderbar und wehmutvoll durchwob es den Mann. Aus wallendem Gefühl, aus dem Schmerz um die Welt, aus verdämmertem Erlebnis und ungewiss gewordenen Bildern formte es sich zum Klang. Aus tiefer, unendlicher Ahnung kündete sich das künftige Werk an. Er hob den Arm, als wolle er in das Sternbild der Leier greifen.

Was bebte in ihm nach Gestaltung? Ein Gewitter? Eine süße Nachtmusik für sie, die jetzt bereits schlummerte? Eine düstere Sage? Eine Sinfonie, dem schönen Garten gewidmet, der da unten in Rausch und Duft sich aufzulösen schien? Und war das Wonne, was ihn da bedrängte? War es Qual?

Es glomm und tönte, unsichtbare Saiten bebten, Hörner erschollen aus der fernsten Tiefe der Seele, die Wände des Raumes sangen, von den Gestirnen sank es silbern hernieder, von überall her, aus Wesen und Unwirklichkeit flutete die Überfülle auf ihn ein.

Wie das fassen? Wie das festhalten? Es kam. Woher? Es verglitt. Wohin? Es verscholl wieder in Vergessenheit.

Oh, nur nichts vergessen, was in dieser Stunde der Gnade ihm geschenkt wurde!

Aber es war keine Feder da, kein Papier, in flüchtigen Noten das anzudeuten und zu befestigen, was da geheimnisvoll in leuchtendem, lächelndem, schreckendem Wandel an ihm vorübertrieb.

O Angst, o marternde Angst, die klingenden Gesichte zu vergessen! Nein, lieber der schöpferischen Stunde gewaltsam sich entreißen, als sich der Gefahr aussetzen, Kostbarstes zu vergessen und dann in ewiger Reue den Verlust beklagen müssen! Lieber jetzt taub sein gegen das, was von innen und oben kommt! Und schnell hinaus aus diesem zauberhaft klingenden Raum, nur weit weg von der in Tönen atmenden Seele! Ein andermal, ein andermal, gnädiger Gott!

Hinab in das Spießernest! Zu dem bürgerlichen Leineweber! Mit den Zipfelmützen in der Schenke harmlos plaudern über die bedeutungslosen Dinge der Kleinstadt! Mit dem eingeborenen Volk zechen und den andringenden Dämon verscheuchen!

Ein Flüchtling vor sich selber brach der Künstler auf.

Er schlich an der Tür Karolinens vorüber, ihre artigen Schühlein standen davor. »Ihre Elfenschuhe!« flüsterte er und drückte sie heiß ans Herz.

Das Schlosstor war offen. Kühl und ahnungsvoll ruhte der Garten. Weiße Rosen lebten an den Gittern. Die Springwasser schwiegen.

Der Kapellmeister sah zu dem großfensterigen Saal hinauf. Dieser hob sich überhell von dem finstern Leib des Schlosses ab. Wohl an die hundert Wachslichter brannten droben, verhundertfacht in den einander spiegelnden Spiegeln. Einmal schritt der Freiherr an den Fenstern vorüber. Warum gab der Einsame heute sich selber ein Fest?

Weber stieg auf dem rundköpfigen Pflaster das grillendurchzirpte Gässlein hinab. War das eine verschlafene, behaglich abseitige Welt! Der Mond hatte alles Geheimnisvolle, Drohende, Nächtliche verloren. Wie ein einfältiger Apfel hing er über den Dächern, und ein Hund bellte ihn eindringlich an und suchte ihn zu stellen.

Der Nachtwandler strebte dem Marktplatz zu.

Vielleicht gaukelte dort der Heilige gelangweilt mit den sieben Sternen, die sonst seinen bitteren Weltverzichterkopf umkrönten,und er schleuderte sie wie ein Taschenspieler seine Bälle empor und fing sie geschickt wieder der Reihe nach auf, um sie wieder im Bogen aus einer Hand in die andere zu spielen.

Das Rathaus war von einer Öllampe mild angeleuchtet. An seinem Tor klebte ein vergilbter Erlass, er klebte fast schon dreißig Jahre dort. Er lautete: »Es ist von obrigkeitswegen bei einer Strafe von 2 1/2 Kreuzern verboten, hierorts eine Revolution anzuheben.«

Der Mond stand aufgeplustert, breit und spießerisch über dem Rathaus. Er war der Herr der Welt. Er war jetzt so stark, dass die Sterne sich nur ganz schüchtern auf den bodenlosen Himmel herauswagten.

Der Nachtwächter stapfte daher. Er hielt eine brennende Laterne, als wolle er dem Mond zu Hilfe kommen. Den Spieß lehnte er an die Heiligensäule, kniete nieder und brachte dem Sankt Johannes mit hoher Fistelstimme eine erbauliche Weise dar.

»Der Weisheit Glanz und Doktorkranz
zum Domherrn dich erhebet.
Du hast allzeit in Einsamkeit
demütiglich gelebet.
In Keuschheit dir und Reinigkeit
die Engel könnten weichen.
Oh, dass auch ich den Engeln mich
in diesem dürft vergleichen!«

»Ein löblicher Wunsch!« lächelte Weber. »Ich hoffe, er ist auch zur Ehelosigkeit verpflichtet wie die bayerischen Nachtwächter. Welch andächtiger Mann! In der Blüte seiner Tugenden trägt er den Spieß durch diese Nacht. Wohl der Stadt, die seiner Wachsamkeit unterstellt ist!«

Mit derlei stillen Gedanken schlenderte der Kapellmeister in ein baumbeschattetes Nebengässlein, wo er noch eine offene Schenke zu finden hoffte.

Durch das Laub stahl sich ein Mondenstrahl scheu in die Nacht herab. Er suchte etwas. Einen träumenden Stein etwa oder einen schlafenden Steg, ein erloschenes Haus. »Oder gar mich?« flüsterte der Mensch.

Das sanfte Silber des Strahles rührte an einen Ast, durchschnitt den Duft, darin sich der Hauch nachtwacher Blumen mit der süßen Luft mischte, die von nahen Heuschobern ländlich herwehte. Und der Strahl kreuzte endlich einen Geigenton, drang darin ein und wurde warm von der Nähe der Menschen.

Weber trat herzlich bewegt an das Häuslein hin, daraus die Geige klang. In kerzendämmernder Stube spielte, den Rücken gegen das Fenster gewandt, ein kleiner, ältlicher Mann. Er wob allerlei blumige Volkslieder durcheinander, flocht zuweilen auch eine feine Mozartweise darein und geigte oft so kunstreich, dass ein ungeübtes Ohr hätte meinen können, drei Geigen zu hören.

Das Schild an der Mauer verkündete mit großen Lettern: Ignaz Züngenhorn, freiherrlich Schwarzenbrunnscher Notenmaler.

Welch märchenhafter, günstiger Zufall! Hier ist gewiss Notenpapier zu kaufen, zu leihen, zu rauben! Oh, nun ist alles gut! Jetzt brauchte der Künstler sich nimmer vor der Fülle der Gedanken und vor der Schwäche des Gedächtnisses zu fürchten! Nun konnte er die ganze Nacht schaffen, das ruhelose Herz konnte sich erlösen.

Doch als Weber an das Fenster pochen wollte, seine Bitte um Notenpapier vorzutragen, ereignete sich etwas ganz Ungewöhnliches. Das Männlein drinnen geigte Note um Note und haargenau das Lied, das Weber gestern in der Räuberschenke aus dem Stegreif gesungen hatte! Wie ging das zu? War da Hexerei im Spiel? Es hatte doch noch keine Seele, die Galgenbrüder ausgenommen, dieses Lied je gehört.

Ungestüm trommelte er an die Scheiben. »Hallo, Freund, wie kommst du zu meinem Lied?«

Das Licht drinnen erlosch.

»Aufmachen, augenblicklich aufmachen!« lärmte der Kapellmeister. »Aufmachen oder ich schlag das Fenster ein!«

»Ruhe!« scholl es hinter ihm.

Es war der Nächtwächter, er hielt das Laternlein hoch. Ein Paar fuchslederne Handschuhe hatte er an einer Schnur um den Hals befestigt, und die Füchslinge baumelten wie zwei herrenlose Hände in der Luft.

»Lass mich, Vetter Leuchtwurm!« bat Weber. »Ich will mir hier nur einige Blätter Notenpapier ausborgen. Ich vertraue nämlich meinem Gedächtnis nicht und will alles schwarz auf weiß haben.«

»Liri lari!« spottete der Wächter. »Ei, wie sich heutzutage die Diebe und Mörder ausreden! Folg Er mir!«

Der Kapellmeister sah nicht ohne Vergnügen den Mann an, der also kräftig und unbeeinflussbar die Sicherheit des Ortes wahrte. Aber plötzlich drehte sich sein Verstand um sich selber. Herrgott im Himmel! Wo hatte er dieses Gesicht schon gesehen? Diese zerhackte Nase? Diesen fuchsfarbenen Bart? Diese hängenden Schultern? War das nur die blöde Ausgeburt eines überreizten Hirnes? War es ein äffendes Nebelbild?

»Räubersknecht, hab' ich dich!« schrie Weber auf.

Der Wächter duckte sich, als wolle er eilends seine Gestalt ändern, dann schnellte er empor und flüchtete mit hirschhafter Schnelle.

»Haltet ihn!« brüllte der Kapellmeister und setzte ihm in hinkenden Sprüngen nach, die mit Mondschein beklebten Mauern entlang.

Die redliche Stadt musste von diesem Ungeheuer bewahrt werden! Da hat man den Bock über das grüne Kraut gesetzt, auf dass er es bewache! Entlarvt muss der Kerl werden! Die Namen seiner Spießgesellen muss man aus ihm heraus foltern! Alle müssen vor den Richter geheischt werden!

Auf gepaukt muss den Galgenhühnern werden, bis sie bekennen und bereuen!

Der Mond lehnte am Kirchturm wie ein verschlafener Nachtwandler.

Ein behäbiger Mann, der offenbar nach des Tages Mühsal an seinem Dämmerschoppen sich harmlos erlabt hatte und nun heimwärts strebte, sah missbilligend, wie der wachhabende Diener des Gemeinwesens von einem Ortsfremden in die Flucht geschlagen wurde.

»In Ketten muss er gelegt werden!« keuchte der Kapellmeister. »Sie, guter Freund, helfen Sie mir, ihn fangen!«

Doch dieser sichere Bürger war anderer Meinung. Er trat ihm .breit in den Weg und hielt ihn auf. »Wenn Sie unseren bestverdienten, langjährigen Ratsdiener einer Schuld bezichten, so tun Sie das morgen in der Gemeindekanzlei!« sagte er und stand wie eine sperrende Mauer.

Weber schnappte nach Luft. Ja, war denn heute die ganze Welt verrückt geworden? Dieser Mensch da mit dem Dolchbart und der spitzen, jäh vorspringenden Nase –

»Ha, Sie auch? Sie Mitverschworener! Du Wegelagerer!« ächzte der Kapellmeister.

»Sie irren sich«, sagte der andere gelassen. »Ich bin ein eingesessener Bürger. Was beschuldigen Sie mich? Hüten Sie sich vor jeder Bezichtigung! Ich bin der Seifensieder Peter Kalchgraber und gehe ganz in meinem Beruf auf. Ich habe Weib und Kind, bin altständisch gesinnt und kümmere mich um gar nichts weiter.«

»Nein, ich irre mich nicht! Ich kann mich nicht irren! Ihre Nase ist mir unvergesslich!«

Der Beschuldigte verschwand eilends in der Finsternis. Doch seine gemessene Rede hatte den Argwohn Webers einigermaßen erschüttert, und er sah von einer Verfolgung dieses zweiten – der Nachtwächter war schon längst entschlüpft – vorläufig ab. Vielleicht klopfte er mit seinem Verdacht diesmal an die falsche Tür? Aber diese Nase, diese auf Erden einzige Nase?! Je nun, er wollte sehen!

In einem Hintergässlein war ein behäbiges Haus noch erleuchtet. »Zum staubigen Hut« schrieb sich diese Schenke. Dort schienen durstige Seelen sich zu erquicken. Und eben setzte ein nicht übel gesungener Männerchor einmütig ein und verzweigte sich bald in vier Stimmen:

»Hier ruh. ich und ergötze
mich an des Bachs Geschwätze,
der, halb im Busch verhüllt,
still aus dem Felsen quillt.
Horch, wie in blauen Lüften
die Schar der Lerchen singt,
indes auf Blumentriften
das muntre Lämmchen springt!«

Die hohen Stimmen beflissen sich einer wiegenden, haydnisch heiteren Schalmeienweise, die Bässe lagerten gemächlich in geringer Bewegung. Das klang so maienhirtlich und schäferfromm, so wohl-gemeint und biedermännisch und dudelsackfroh, und dieses Lied reiner, unschuldiger Landlust offenbarte die ganze sorglose, unbewölkte Seele eines naturnahen, redlichen Volkes.

Ja, dieses gutmütige Volk muss gewarnt werden vor den reißenden Leuten, die man hier mit öffentlichen Ämtern betraut und mit Waffen nächtens wandeln lässt! Diese Wandler im Schafspelz müssen entlarvt werden, dass sie nicht argen Schaden stiften und andere verderben!

Voll des heiligen Eifers trat der Kapellmeister in die Wirtsstube.

Kaum konnte er sich in dem qualmenden Tabakrauch ein wenig zurechtfinden, sprangen die Gäste von den Bänken auf und entwischten in das Nebenzimmer und flüchteten dort, wie vom Teufel versprengt, durch Türen und Fenster. Auf dem Tisch waren die vollen Bierkrüge umgestoßen worden, noch dampfte eine verlassene Wurst im Kraut, eine Tabakdose lag offen und hatte ihren beizenden Staub erbrochen, ein Hut war zur Erde gefallen und lag zertreten. Es sah aus, als wäre der gerechte Zorn Gottes in ein sündiges Gelage eingebrochen.

Nur die Wirtin, ein breites, fülliges Weib, das Gesicht wie ein saftiger Rotapfel, hatte standgehalten, sie starrte verstört den Gast an und stammelte: »Womit kann ich dienen?«

»Mit nichts, mit gar nichts, Geschätzteste! Aber sagen Sie, was ist denn da los? Warum sind die edlen Skalden davongelaufen? Doch nicht meinetwegen?«

»Die Bierglocke hat schon längst geläutet, Herr. Und da haben die Männer Sie für die Obrigkeit gehalten und haben von ihr nicht ertappt werden wollen zu der verbotenen Stunde.«

»Die Obrigkeit? Meint Sie damit den Nachtwächter? Diesen Straßenräuber? Oder den Herrn Stadtrat Seifensieder, der mich hat umbringen wollen im Wirtshaus ›Zum Drudenstern‹?«

»,Zum Drudenstern‹?« fragte die Wirtin. »Wo ist das?«

»Sie muss doch diese Winkelschenke kennen! Eine Meile von hier liegt sie im Grenzwald. Aber ich werde das alte Spinnennest finden und zerreißen.«

»Es gibt bei uns weit und breit kein Wirtshaus ›Zum Drudenstern‹, behauptete die Frau.

»Alle tausend Donner! Ich kann doch das ganze Zeug nicht geträumt haben!« fluchte der Kapellmeister, machte kehrt und fuhr ergrimmt zur Tür hinaus.

Das Städtlein lag jetzt bedrückt, dumpf, tot, wie ausgemordet und ausgewürgt. Der feige Mond hatte sich irgendwo verschlüpft, er war vielleicht in den Kirchturm zu den Glocken hineingekrochen. Ein wilder Hauch der Unsicherheit wehte durch die Gassen. Schatten drohten. Kein Lichtlein, das einem freundlich zugesprochen hätte, kein Lied und kein Laut. Die Rauchfänge brüteten schwarz auf den Dächern, die erloschenen Fenster schauten feindselig.

Der Kapellmeister atmete hoch auf, als er wieder im Schloss anlangte.

Aber auch die Gänge dünkten ihn voller Drohung, diese Wände voller Jagdbilder, darin Bären und Keiler und Hunde sich im roten Schnee balgten und leidenschaftliche Weidmänner in die Pelze toller Raubtiere hineinspießten. Diese verrückt gedrehten Hörner, diese verkümmerten Geweihe, die mächtigen Abwurfstangen und beinernen Schaufeln der Hirsche, alles schien gespenstisch zu wackeln und aus der Mauer hervorzubrechen. Und um all der Geisterei die Krone aufzusetzen, schlich lautlos der verlarvte Kammerdiener daher, einen dreiarmigen, dreiflammigen Silberleuchter _hochhaltend.

Weber schnob ihn an. »Warum geht Er immer auf den Zehen, Er wandelnder Burggeist? Hat ihm die Natur keine Fersen erschaffen?«

»Halten zu Gnaden, unser gnädiger Herr wünschen kein unnötiges Geräusch«, erwiderte die Maske.

»Stell Er den Leuchter auf die Erde«, befahl Weber.

Der Diener gehorchte.

»Nun nimm die Mummerei herunter! Rasch! Du verdammter Katzbuckler! Rasch! Ich befehle es!«

»Halten zu Gnaden«, stotterte der Diener, »ich darf nicht.«

Da riss ihm Weber mit tückischem Griff die Larve herunter.

Ein entsetztes Gesicht entblößte sich, ein schwarzbraunes Zigeunergesicht. Wahrhaftig, der Krauskopf war es, der Häuptling der Wegelagerer, der Waldschreck! Jetzt quollen ihm die Augen weit und entstellt aus den Höhlen wie einem beschäftigten Dukatendrücker, sein verwegener, frecher Mut war verflogen. Er lehnte sich zerschlagen und zerknirscht an die Wand.

»Du schleicherischer Wurm!« zischte Weber ihn an. »Oh, meine Ahnung hat mich nicht betrogen! Der arme Freiherr! Von lauter Mördern und Meuchlern ist er umringt! Ich werde ihn warnen. Jetzt sofort!«

Er packte den Leuchter und jagte durch die Gänge, durch den Büchersaal, störte die erloschenen Spiegel auf, scheuchte die Schatten aus ihren Nestern, pochte aufs Geratewohl an eine Tür und riss sie auf.

Er stand in einer Waffenkammer. Zwischen strengen Ritterbildern strotzte es wirr von Morgensternen und Dreschkeulen, plumpen, veralteten Gewehren, Schwertern, Eisenhüten und Rasselhemden, rostigen Andenken an das schwedische Unwesen oder gar an den Hussitenrummel.

»Hier ist man gut für einen Krieg vorbereitet«, murmelte der Kapellmeister.

Plötzlich aber hüpfte ihm der Verstand im Zickzack. War er verzaubert? Spielte ihm die Aufregung einen Possen? Bei Gott, dort am Estrich lagen die gefiederten Spitzhüte der gestrigen Räuber! Und dort die alte Stahlarmbrust! Und diese Stachelkolben, diese Spieße, Hirschfänger, Radschlossflinten! Das ganze Rüstzeug der Schnapphälse war in diesem wunderlichen Hamsterloch aufgespeichert.

Der Kapellmeister hielt sich die fiebernden Schläfen. »Ich bin noch jung«, stöhnte er. »Ich will noch nicht ins Narrenhaus!«

Taumelnd fand er sein Schlafzimmer. Taumelnd fiel er ins Bett.

Im Traum hörte er eine unendliche Menge von Tönen, die weder nach oben noch gegen die Tiefe hin eine Grenze hatte, Klänge, die fühlbar, deutbar, sichtbar, farbenverwandt waren, in schwindelnde Abgründe endlos verrollten, in letzte Höhen selig und strahlenhaft fein sich verstiegen, urfremde Schallerscheinungen, die höchsten in kristallenes Blau gekleidet, dann immer zarter werdend und in Weißglanz verfließend, die tiefsten in dunkelm Rot sich wälzend, brauend in tausend Abschattungen von Schwarz. Und der Träumer trat auf diese Töne, die zu körperlichen Staffeln gerannen, und stieg wechselnd in steile Felsentlegenheit empor und in ewige Abgründe hinunter, erschüttert von einer unsäglichen Wonne aller Sinne.

Und dieses tönende Strahlen des Traumes wurde zum klaren Morgenlicht und zum Lied der frühen Vögel und war die junge, taugebadete Welt und weckte den Künstler auf.

»Habe ich diesen schönen Traum auch verdient?« fragte er glücklich.

Er ging in den Park, sprang in einen der schimmernden Weiher, ernannte die Sonne zu seiner Bademagd und ließ sich von ihr trocknen. Das holde Gezüngel der Amsel erquickte ihn. Blumen brannten wie wütend.

Hernach nahm er die Richtung gegen das Städtlein.

Was schierte ihn das Abenteuer von gestern und vorgestern?! Mochte es ungeklärt hinter ihm verwehen und verwesen! Arbeiten wollte er! Schaffen, was ihm der ahnende Traum im Sinnbild gewiesen! Und selig sein in einer Schöpfung! Und vor allem in den Besitz von Notenblättern gelangen!

Am Schlosstor rauchte Thomas Treml inbrünstig seine Pfeife.

»Fahren wir heute, Herr von Weber?«

»Guter Freund, ich weiß es noch nicht.«

Treml deutete mit der Pfeife gegen den Ort. »Lauter lichtscheues Volk da drunten! Die Weiber gehen noch an, sind freimütig. Aber die Mannsbilder! Sie kehren die Köpfe weg, wenn sie einem begegnen, sie halten sich die Tücher vor die Nasen. Seltsamer Brauch! Mich wundert es, dass sie nicht verschleiert gehen wie die Weiber in der Türkei.

Und dabei sind sie sehr neugierig. Man spürt, dass sie durch die Klumsen ihrer Haustüren und durch die Schlüssellöcher den Fremden nachschauen.«

Nachdenklich stieg der Kapellmeister die noch menschenleere Gasse nieder. Sollte dieses verschlafene, windstille Nest wirklich der Brutsumpf einer verbrecherischen Horde sein? Sollten diese friedlichen und so herzlich ansprechenden Häuser eine blutlüsterne, raublechzende Meute entsenden in den einsamen Wald? Aber wie kam das Rüstzeug dieser Verworfenen in das freiherrliche Schloss? O Rätsel über Rätsel!

In dem Flur des Notenschreibers Ignaz Züngenhorn stieß Weber auf das bescheidene, eisgraue Männlein, das ihm in der Schenke ›Zum Drudenstern‹ so angenehm aufgefallen war. Es hatte heute einen lustigen, froschgrünen Rock an und trug sich mit Stecken und Bündel, wie zu längerer Wanderschaft bereit.

»Wieder einer!« sagte der Kapellmeister. Nun verblüffte ihn nichts mehr.

»Ich war nicht dabei!« rief der Kleine im ersten Schrecken.

»Du Lügenflöte, jetzt hast du dich gar verraten! Darum also hast du mein Lied gekannt!«

»Welches Lied?« versuchte Ignaz Züngenhorn zu leugnen. Dann rieb er sich verlegen die Hände. »Eine brenzliche Sache! Eine brenzliche Sache!« murmelte er. Auf seiner Stirn waren fünf waagrechte Falten gezogen wie ein regelrechtes Notennetz, man hätte mit Tinte ein Lied dareinsetzen können, etwa den Tod von Basel oder etwas Fröhlicheres. Und nun stürzte er in die Knie. »Barmherzigkeit!« flehte er. »Bringen Sie mich nicht ins Unglück! Ich bin schuldig und unschuldig. Ich bin der, der Ihnen in der Nacht heimlich durch die Tür den Trost gesteckt hat, dass Sie nichts zu fürchten haben.«

»Das wird sich zeigen«, sagte der Kapellmeister kalt. »Gestehen Sie mir alles! Dann erst verzeihe ich.«

Seufzend richtete sich das Männlein auf und führte den Gast in die Stube. Sie roch sehr fein nach Geigenharz, war mit Fiedeln, Klarinetten und Blech reichlich versehen und wies einen geräumigen Schrank voll handschriftlicher Noten und ein Pult mit Tintenfass und Streusandbüchse auf. Im Fenster grünte stachlig und schrullig ein Topfgärtlein.

Der Notenmaler wand und krümmte sich schmerzlich und rückte schließlich mit der Wahrheit heraus. »Vielleicht wissen Sie, gnädiger Herr, dass unser Freiherr bis zu seinem vierzigsten Jahr jeden Sommer im Schloss Schwarzenbrunn zubringen muss, wenn er nicht die schöne Erbschaft, die Wälder, Glashütten, Sägmühlen, Schaftriften und Jägereien verlieren will?«

»Das weiß ich«, sagte Weber und lehnte sich richterlich ernst an ein himmelblau angestrichenes Klavizimbel.

»Sein Onkel hat dieses so eingerichtet«, fuhr Ignaz Züngenhorn fort, »dass der junge Freiherr wenigstens einen Teil des Jahres sich in der ländlichen Einsamkeit aufhalte und fern der Stadt lebe, die sein unruhiges Blut zu dummen Streichen reize. Aber unser gnädiger Freiherr Ottokar langweilt sich auf dem Erbschloss, es ist ihm droben zu still, und er wünscht sich nichts anderes als eine feine Gesellschaft. Darum zwingt er uns, seine armen, unschuldigen Untertanen, dass wir uns als Räuber verkleiden und vornehme Reisende, die er auskundschaften lässt, überfallen.«

Wie Spinnweben fiel es dem Kapellmeister von den Augen. »Jetzt fange ich langsam an zu begreifen«, murmelte er. »Ist dann die Not der Überfallenen am größten, so reitet Held Ottokar daher und rettet alle und bewirtet sie zu guter Letzt auf seinem Ahnenschloss.«

»Ach ja«, nickte das Männlein. »Und am nächsten Tag begleitet er sie noch ein paar Meilen Weges. Es ist schon der dritte überfall, den er veranstaltet hat. Und wir müssen pfeifen, wie er tanzt. Etliche von uns müssen sich sogar Bärte wachsen lassen, dass sie recht räuberisch ausschauen.«

»Aber das Räuberhaus im Wald?” fragte Weber.

»Künstlich und sachgemäß hergerichtet! Alles künstlich! Auch der Leichenstein vorm Tor.«

»Aber jener Blutfleck?«

»Künstlich, künstlich! Nichts als rote Tinte! Ich habe sie selber gekocht und hingeschüttet.«

»Wenn ich aber einen von euch niedergeknallt hätte? Was dann?«

Der Notenschreiber lächelte leise. »Herr, wir haben gewusst, dass Ihre Pistole nicht losgeht.«

»Am Pranger sollte man euch alle mit Ruten streichen lassen!« brauste der Kapellmeister auf. »Wie können Sie und Ihre bürgerlichen Nachbarn als rechtschaffene Leute sich zu solch einem schlimmen Gegaukel missbrauchen lassen? Wie können Sie harmlose Reisende eine ganze Nacht lang in äußerstem Schrecken halten?«

»Der Freiherr verlangt von uns unbedingten Gehorsam. Wir sind von ihm schon so gedrillt, dass wir alles tun, was er befiehlt. Ein Beispiel: Als sein früherer Kammerdiener auf dem Totenbett lag, bat er mit den letzten Zügen den Freiherrn um die Erlaubnis, dass er sterben dürfe. Ach, der gnädige Herr hat immer eine Grille. Einmal bricht bei ihm der holländische Tulpenwahnsinn aus, da schafft er ganze Heuwagen von teuren Zwiebeln in unsere Stadt, und die ganze Gegend muss von Tulpen brennen. Dann hält er wiederum mit uns eine Schule für Straßenräuber ab. Dann springt er wieder einer hübschen Bauerntochter über die Zäune nach.«

»Warum sträubt ihr euch nicht gegen diesen Dschingis-Khan? Seid ihr alle so knechtselig? Oder geht ihr mit geheimer Lüsternheit auf seine Narrheiten ein?«

»Herr, wie gern möchte ich außer der Musik und meinem gänsekielenen Geschäft nichts von der

Welt wissen! Aber was hilft es uns allen? Ob sich unser Gewissen auch widersetzt; er hat zu befehlen, er ist unsere Obrigkeit, und der Obrigkeit muss man gehorchen, wenn sie auch böse ist. Wir hängen ja alle von ihm ab, der eine hat ein Trümmlein Grund von ihm gepachtet, der andere ist ihm verschuldet, der dritte steht bei ihm in Diensten. Ein Beispiel: Ich bin sein besoldeter Notenschreiber. Er hat die Gewalt. Er zwingt uns stille, alt-gesittete Leute zum Räuberspiel, und niemand darf daheim bleiben, und jeder muss mittun wie bei einer Wolfsjagd. Zwar geht der und jener – wie der Gehilfe des Apothekers – aus sündiger Neigung, also aus freien Stücken, mit, doch das sind Ausnahmen.«

»Und haben die Reisenden denn nie den Überfall angezeigt? Haben sie nie verlangt, dass man den Räubern nachspüre und sie an den Galgen knüpfe?«

»Nein. Die Fremden sind ja eigentlich nie geschädigt worden. Und der Freiherr hat es immer verstanden, seine Gäste zu beschwichtigen. Sie, gnädiger Herr, sind ihm als erster hinter die Schliche gekommen.«

»Sofort will ich ihm meine Meinung gründlich sagen!«

»Verraten Sie mich nicht!« bat Ignaz Züngenhorn. »Und reizen Sie ihn nicht! Er ist alles imstande. Ein Beispiel: Er hat in Prag einen Herrn, bloß weil dieser in die Moldau gespuckt hat, zum

Zweikampf gefordert, und als dieser ausgewichen ist, hat er ihn auf der Nepomuksbrücke gestellt und mit der Hundspeitsche gezwungen, sich mitten in den Rossdreck zu knien und der Moldau abzubitten.«

»Ich fürchte ihn nicht. Also darum sind die edlen Skalden aus dem Wirtshaus geflüchtet! Darum der maskierte Diener! Darum die Waffen droben in der Rumpelkammer! Wie fein ist der Betrug eingefädelt gewesen! Aber ich will alles tun, diesen Unfug abzuschaffen!«

Ignaz Züngenhorn deutete mit einem kläglichen Blick zum Fenster hinaus. »Haben Sie Erbarmen mit denen!«

Draußen zogen mit dumpfer Litanei Wallfahrer vorüber. Wie eine zerknirschte Schar, die um Korn und Gras und Laub betet und um einiges andere, das zur Notdurft eines bescheidenen Wesens gehört und beileibe nicht zum Überfluss und üppigen Segen, also murmelten sie etwas eilig dahin, der Mesner mit dem Kreuz voran.

»Alle Wetter!« rief Weber spöttisch. »Gestern noch verwegene Buschklepper, heute eine gottgefällige Herde von Pilgern! Was soll das?«

»Ich sage es Ihnen unter der Rose«, raschelte das Schreiberlein. »Gestern in später Nacht hat man am Bürgermeisteramt beschlossen, dass alle jene Männer, die an dem Überfall beteiligt gewesen, heute zu Unserer Lieben Frau in den Nesseln wallfahren müssen.«

»Ich verstehe warum«, sagte Weber. »Der dort vorn, er trägt das Kreuz, wer ist das?«

»Das ist der Mesner Franz Xaver Hennenpiegl.”

»Also sogar der züchtige Mesner ist unter den räudigen Schafen! Aber ist er gestern nicht bucklig gewesen?«

»Möglich, dass er sich unter dem Rock einen Buckel ausgepolstert hat.«

»Und wer ist der Andächtler mit dem zottigen Zwirbelbart?«

»Das ist der Schustermeister Adam Ilk, ein weithin geachteter und gottesfürchtiger Handwerker. Wenn er neunundneunzig Paar Schuhe verkauft hat, schenkt er das hundertste immer den Armen. Dazu versteht er die Bassgeige zu spielen wie keiner im Land.«

»Und der Rinaldini mit dem Stecknadelkopf und dem derben Hals und den spitzigen Augen? Ein abgemergelter Wüstling! Ich habe mir ihn gut gemerkt.«

»Das ist der Uhrmacher Michel Cranz. Er lebt in einer ehrbaren Ehe und ist ein erfinderischer Mann. Ein Beispiel: Dreißig Jahre hat er an einem perpetuum mobile gearbeitet.«

»Und hat er es erfunden?«

»Ach nein. Es ist eine Uhr mit Rädern und Schwengel daraus geworden. Aber er ist ein verlässlicher und gefühlvoller Klarinetten.«

Der Zug verschwand hinter einer trägen Staubwolke, sonst hätte der Kapellmeister noch viel gefragt.

Nun ließ er sich einen Stoß Notenpapier geben. Und Ignaz Züngenhorn nötigte ihm auch ein Fläschlein Tinte auf, die er aus schneeweißem Märzenschnee gekocht hatte und die darum niemals schimmelte. »Nehmen Sie diese Frühlingstinte! Es würde mich glücklich machen, wenn Sie etliche Noten damit schrieben. Ja, Herr von Weber, wir haben schon von Ihren Opern ›Silvana‹ und ›Abu Hassan‹ vernommen. Leider kennen wir sie nur vom Hörensagen. Der Freiherr befiehlt nur italienische Musik von uns. Lächeln Sie nicht, berühmter Meister! Sie sollten uns einmal spielen hören. Auch wir machen die Welt schön.«

Er begleitete ehrfürchtig den Künstler durch das Vorgärtlein, darin die Ranken der gilbenden Gurke ringelten, und das mit Stiefmütterchen, Kaiserkronen und gelben Rosen und mit verschnörkelten Wegen traulich versehen war und bewies, dass sich der Musikus auch mit dem unschuldigen Blumen-bau befasste und daran sein bescheidenes Teil Weltglück vermehrte.

Der Kapellmeister stürmte, von Rachegedanken besessen, ins Schloß zurück und ließ sich sofort durch ein Zöflein, das mit kirschrund geschwellten Lippen ihm einen hübschen guten Morgen bot, bei Karoline melden.

Die Sängerin bewohnte ein zierliches, in Weiß und Gold gehaltenes Putzgemach. Es war ein Götzentempelchen, eine Schlafkirche. In seiner Mitte war freistehend das mahagonihölzerne, mit vielen

Säulen geschmückte Bett. Ein hübscher Dreifuß trug das Waschbecken. Auf dem Schrank lispelte eine Spieluhr, gekrönt von einem spielenden Vogelpaar: ein vergoldeter Tauber stand auf seiner Täuberin und küsste sie. Eine Wand war mit einem riesigen Gobelin bespannt, darein ein sinnbildliches Gemälde gewirkt war, das den Traum mit dem roten Mohnkranz schilderte.

Karoline hielt eine perlenbetaute, unbeschreiblich zarte Knospe in der Hand. »Sieh da, Karlmaria, die Rose kam eben zum Fenster hereingeflogen. Ich danke dir.«

»Du irrst dich«, sagte er düster. »Sie ist vom Freiherrn, Wirf sie weg!«

»Sie wegwerfen? Was fällt dir ein? Das wäre eine Todsünde.«

»Karoline, höre zu! Es ist empörend! Genarrt hat er uns! Schlimmsten Unfug hat er mit uns getrieben! Eine volle Nacht hat er uns der grässlichsten Todesangst ausgesetzt! Arglos haben wir seine Gastfreundschaft angenommen!« Und mit fliegenden Worten erzählte er alles.

Betroffen horchte die Sängerin zu, und als sie begriffen hatte, ließ sie sich auf das seidene Bett fallen und fing an, fürchterlich zu lachen.

»Lach nicht, törichtes Kind!« rügte er. »Lass uns lieber nachdenken, wie wir das alles ahnden! Dem Freiherrn muss das Handwerk gelegt werden! Das darf ihm nicht so leicht hingehen! Ich lasse unverweilt einspannen, bereite ihm dann ein siedendes Donnerwetter, das du mit deinen Tränen begleiten kannst, und zeige schließlich sein gefährliches Treiben in Prag an.«

Sie hatte sich von ihrer heftigen Heiterkeit erholt. Mit schelmisch gespitzten Lippen nippte sie den Tau von der Rose und antwortete: »Freund, diese Rache ist mir zu plump. Wir können ihn bissiger treffen.«

Er staunte sie mit dummen, ratlosen Augen an.

»Wie langsam denkst du!« spöttelte sie. Wir bleiben einfach noch ein paar Tage hier, und ich werfe ein Netz um ihn, und wenn er sich gefangen gibt, sage ich zu ihm: ›Nein, erlauchter Räubergraf! Auch ich habe mir einen netten Scherz erlaubt. Schenken Sie mir den schönsten Rosenstrauß aus Ihrem Garten und leben Sie wohl! Wir reisen weiter.‹ So werde ich zu ihm sprechen.«

Die Stirn des Kapellmeisters kräuselte sich. »Du willst mit dem Feuer gaukeln. Ich bin damit nicht ganz einverstanden.«

»Holla, eifersüchtig?« jauchzte sie.

»Ich leugne es nicht. Und glaubst du an ein so leichtes Spiel?«

»Nur sieben Blicke von mir, und er ist abgetan«, prahlte sie. »Und jetzt putze ich mich sehr schön auf.«

»Du eitle Seele! Nein, ich bin damit nicht einverstanden.«

Sie sprühte ihn an: »Du bist nicht mein Vormund. Zwei Tage bleiben wir noch auf Schwarzenbrunn. Und damit Punktum! Rache muss langsam genossen werden. Denke daran, wie ausgesucht er uns geängstigt hat! Mein Dolch muss ihm bis an den Griff im Herzen stecken!«

»Nun, nun«, murmelte Weber.

Die Zofe, drall und mit klatschrosenroten Wangen, brachte auf silberner Platte die Milch.

»Felizia, helfe Sie mir die Rose an die Brust stecken!« sagte die Sängerin. »Wie trägt man sie am schönsten?«

»Die Unschuldigen tragen sie links«, sagte das Mädchen.

Lächelnd befestigte Karoline die Knospe über ihrem Herzen. »Und jetzt hinaus aus diesen Wänden! Wahrhaftig, für dieses zärtliche Zimmer sind die Mauern zu dick!«

»Hier ist der älteste Teil des Schlosses«, schwätzte die Zofe. »In diesem Gemäuer irgendwo hat man einen Schatz vor den Schweden versteckt. Man hat ihn hernach nimmer gefunden. Die frühere Herrschaft hat sogar Bergleute aus dem Erzgebirge holen lassen, die sind mit der Wünschelrute alle Zimmer abgegangen. Doch auch umsonst.«

»Felizia, das ist ja das reinste Märchen! Wenn sich nun heute Nacht die Mauer hier auftut und der Schatz heraus klirrt?! Karlmaria, deine Schulden würden bezahlt.«

»Das Zimmer, wo Ihr Herr Bräutigam wohnt, ist besonders unheimlich«, fuhr die Zofe wichtig fort.

Karoline errötete. »Der Herr von Weber ist nicht mit mir verlobt. Aber erzähle Sie mir auch dieses Gruselmärchen! Und Sie, Herr Kapellmeister, dürfen mir dabei die Hand halten, dass ich mich nicht zu sehr fürchte!«

Felizia erzählte: »Unserem gnädigen Herrn seine Großmutter wohnte als junge Frau in diesem Schloss. Einmal gab sie große Gesellschaft, der Adel der umliegenden Güter war eingeladen, und alles aß und trank und war in . hübscher Laune. Als sie eben auf der Schlossstiege draußen Menuett tanzten, sagte heimlich ein Diener der Freifrau, ein fremder Herr, gar sonderbar anzusehen, befinde sich in dem Marmorzimmer und wolle ihr seine Aufwartung machen. Die Freifrau geht etwas ungern und etwas neugierig aus der frohen Gesellschaft weg. Und im Marmorzimmer trifft sie einen Edelmann, den sie gut kennt; vor wenigen Jahren hat er sich heftig um ihre Hand beworben. Jetzt lehnt er an der Wand, das Gesicht verfallen und wie mit Asche geschminkt, die Schläfen versunken, die Stirn gealtert, doch aufs prächtigste angezogen und mit einem goldenen Degen bewaffnet. Sie erschrickt über sein Aussehen, lässt sich aber nichts anmerken und lacht und sagt: ›O wie reizend verstehen Sie zu überraschen, Baron! Welch guter Einfall von Ihnen, dass Sie aus Prag zu uns gekommen sind!‹ Darauf verneigt er sich höflich und sagt heiser: ›Verzeihen Sie, dass ich Sie im Tanz gestört habe! Ich will Sie nicht länger aufhalten. Ich komme nur, um mich zu verabschieden. Ich bin gerade gestorben.‹ Die Freifrau schmollt: ›Dieser Scherz ist gar nicht artig!‹ Er schüttelt den fahlen Kopf und sagt: ›Es ist kein Scherz. Ich bin unterwegs und will Ihnen zum letzten Mal die weiße Hand küssen.‹ Das Blut erstarrt ihr fast im Leib. Sie spürt seine Lippen wie Eis auf ihren Fingern. Er verneigt sich stumm, schaut sie noch einmal groß und wild an, greift ans Herz und geht rücklings zur Tür hinaus. Und bald hernach erfährt die Freifrau, dass der Edelmann zur selben Stunde, da er sie besucht hat, in Prag an den schwarzen Pocken gestorben ist.«

»Mir graut!« rief Karoline. »Augenblicklich schweig Sie still, Felizia, und zeige sich ein halbes Stündlein nicht vor mir, dass ich mich nicht an den Tod und die Dame erinnere! Du aber, Karlmaria, verriegle heute Nacht dein Zimmer!«

»Ich habe anderes zu tun, als geisternde Liebhaber zu empfangen«, sagte er, und seine Augen waren auf einmal fremd und weltauswärts gekehrt.

Die Zofe knickste zur Tür hinaus.

»Nun will ich das Werk der Rache anheben!« sagte die Sängerin mit heiterem Schwung.

»Räche uns nur nicht zu gründlich!« sagte er eifersüchtig.

»Kommst du nicht mit?«

»Jetzt? Nein! Ich muss jetzt niederschreiben, was mich verstört.«

»Verschieb es auf den Nachmittag, Karlmaria!«

»Glaubst du, die Kunst hat ihre festgelegten Amtsstunden?« sagte er schroff. »Schmieden muss man, solange die Esse brennt!« Er versank in sich, die Augen wurden ihm leer und abwesend, die Stirn verfinsterte sich, den Kopf reckte er empor, ein Erlauscher von Stimmen, die kein anderes irdisches Ohr vernahm. Schon fühlte er sich preisgegeben den geheimnisvollen Geistern, die mit ihm zu schalten begannen, wie es sie beliebte. Ein dunkler Zwang, ein verschleiertes Müssen umfing ihn.

»Du vergisst augenscheinlich, dass ich noch auf der Welt bin«, sagte Karoline beleidigt. »Gut denn! überlass mich dem Schicksal! Die Verantwortung fällt auf dich!«

Schmerzlich sah er ihr, der Verrauschenden, nach. Er wusste sich friedlos.

Aber nur das vollendete Werk konnte ihm den Frieden geben.

Die Rose an der leisen Brust, betrat sie den Park.

»Wo haben Sie unsern Freund gelassen?« fragte der Freiherr.

»Er schreibt eine Sinfonietta zu Dank und Ehren unserem großsinnigen, tapferen Retter«, lächelte sie ihn an.

Sie stand wie die Leib gewordene junge, verführerische Seele dieses Gartens da. Das zartgelbe, mit goldener Stickerei gesäumte, hochgegürtete Kleid floss schlank an ihr nieder, die göttlichen Schultern waren frei.

»Wie freue ich mich Ihrer Nähe!« sagte er. »Nur zu bald heißt es scheiden. Darf ich um die Erlaubnis bitten, Sie eine Strecke Weges bis zur Kreisstadt zu begleiten?«

»Oh, dass wir vor Straßenräubern geschützt sind!« rief sie. »Wie ritterlich fühlen Sie! Aber warum reden Sie vom Abschied? Haben Sie uns so bald schon satt? Freiherr, es fällt mir gar nicht ein, den angenehmen Aufenthalt in diesem himmlischen Sommerschloss so hastig abzubrechen. Sie müssen uns noch einige Tage hier beherbergen! Wir wollen uns bescheiden und still halten und Sie in Ihren gewiß sehr wichtigen Unternehmungen nicht stören.« – Er sah sie ungewiss an.

»Bleiben Sie! Bleiben Sie!« sagte er dann leise.

Sie neigte den weißen Schwanennacken über ein Beet voll pfauenhaft prahlerischer Blumen, die von ihrer Schönheit überzeugt zu sein schienen.

»Sind Sie mit Herrn von Weber verlobt?« kam es spröd aus seinem Mund.

»Noch nicht«, erwiderte sie leichthin. Sie fühlte frohlockend seine Anteilnahme, die sich schon zur Liebe neigte.

Delphinenreiter tauchten aus dem viereckigen Weiher, Silberweiden senkten schwermütig ihr Haar darein. Narziss, der Mädchenjüngling, suchte sein marmorenes Gesicht in dem ruhigen Spiegel. Feierlich trieb der Schwan näher.

Eine ewig grüne, vom Gestade des warmen Mittelmeeres stammende Staude stand in der perlenfarbenen, sonnigen Luft und überschäumte in blendendem Weiß.

Der Garten erfüllte sich mit Lust, weil Karoline ihn durchwanderte.

»Bleiben Sie! Bleiben Sie!« flüsterte Ottokar. Ein Lächeln bildete sich an ihrem Mund und verklärte die Welt.

Sie konnte plötzlich das Geheimnis nimmer wahren. »Hier bleiben?« sagte sie. »Wir haben in dieser Gegend merkwürdige Erfahrungen gesammelt. Werden Sie mich nicht durch Gift beseitigen lassen, Räuberhauptmann?«

»Allwissende!« rief er und fasste ihre Hand. »Ich habe nicht gewusst, dass ein Engel über unser Gebirge fährt. Nie hätte ich es vermocht, Sie zu betrüben. Strafen Sie mich, wie Sie es für gut befinden! Aber bleiben Sie!«

»Bereuen Sie?«

»Ich bereue nichts«, sagte er feurig. »Denn der Handstreich hat Sie in mein Haus gebracht.«

In grenzenloser Ahnung, von tönenden Geistern umflügelt, saß indes der Künstler an dem schwarzen, schmalen Klavier. Eine Landschaft, ein Erlebnis, eine Sage richtete sich klingend in ihm hoch. Von der Gnade überfallen, schauderte ihn wie ein gesegnetes Weib, das das Herz des ersehnten Kindes zum ersten Mal in sich schlagen fühlt. Er hatte der Welt vergessen. Er weilte am Saume der Unendlichkeit, und das ungeheure All erfüllte seine Seele. Was ziellos in ihm gedämmert hatte, formte sich streng und klar.

Dann warf er die Noten auf das Papier. Wohl war es seine Hand, die hier schrieb. Doch was sie niederschrieb, flüsterte ihm ein Dunkler, Unsichtbarer zu. Es glitt aus dem Nichts hervor, es rief .über einen Abgrund herüber, es schwebte unerklärlich aus der schwangeren Nacht seiner Seele. Er war nur eine Schale, die empfing. In seliger Mühelosigkeit schuf er.

Indem er in seine Schöpfung verzückt war, verflog sein Arger, verflog die Angst um die Geliebte, die jetzt allein mit dem anderen Mann durch den Park ging.

Flügelhaft fühlte er sich emporgeragt: er strandete in entlegensten Sternwirbeln, er ertrank in der Ewigkeit.

Die Freundin weckte ihn aus seinem Rausch. »Der Schlossherr lassen zu Tisch bitten«, sang sie lachend.

Er saß in tönender Träumerei, den mageren, allzu langen Hals, die dürftigen, abschüssigen Schultern über das Klavier geneigt, die Miene düster und schmerzlich, die Unterlippe vorgeschoben. Rings verstreut auf Tisch und Bett und Fußboden lagen Blätter, von hastiger Hand bekritzelt.

»Wie siehst du darein?« sagte Karoline. »Fast fürchte ich mich vor dir.«

Er erhob sich und wankte. Stieg er empor? Stürzte er in einen Abgrund? Was war oben und was unten? Er fand sich nicht gleich zurecht.

»Wälder umschreiten mich, Bäche geleiten mich«, summte er.

»Fieberst du?« fragte sie, nahm ihn beim Arm und führte ihn in den Saal.

Weber war heute beim Essen sehr zerstreut. Als die Suppe aufgetragen wurde, griff er zur Gabel. Karoline bemutterte ihn treulich, doch er merkte es nicht. Sie legte ihm den Braten vor und er aß und wusste nicht, was er aß und schätzte das überschwänglich zubereitete Mahl nicht. Das Haupt von der Schale der edeln, geistigen Schläfen gefasst, die Stirn noch totenblass vom Schaffen, die blaugrauen Augen über alle Dinge hinweg schauend, saß er, nur in das Schicksal des keimenden Werkes vertieft.

Der Freiherr bot ihm sein Stammbuch.

Der Kapellmeister warf seinen Namen hinein, karg und flüchtig, ohne ein freundliches Begleitwort.

Karoline spiegelte die blumenhaften Augen in dem Silber einer Fruchtschüssel. »Du bist heute ungenießbar, Karlmaria«, sagte sie.

Sie nahm Buch und Feder aus seinen unschlüssigen Händen, besann sich eine Weile und schrieb dann in schelmischem Eifer.

Weber sah die drei Menschen im traumhaften Widerschein eines Spiegels: die eigene unscheinbare, verlorene Gestalt, die heitere, schöne Freundin mit der verhassten Rose an der Brust, den männlichen, heldisch gebauten Schlossherrn und seine liebeswirren Augen. Und die Eifersucht stieß durch das Dämmer des Rausches, das den Künstler umgab, und sie umklammerte gleich einer saugenden Spinne sein Herz und tat ihm sehr weh. Und schnell beugte er sich über das Stammbuch, zu wissen, was die Geliebte darin dem andern sagte.

Sie hatte eine neckische Federzeichnung vollendet. Amor hockte hoch droben auf einer Waagschale, zu leicht befunden gegen den leichten Falter, der am Rande der andern, tief herabgesunkenen Schale haftete. Und darunter war geschrieben:

»Nie will ich die Freundschaft von mir weisen, lieber leichte Liebe von mir wandern seh'n. Freundschaft ist ein Knotenstock auf Reisen, Lieb' ein Stäbchen zum Spazierengeh'n.«

Der Kapellmeister strahlte. Er war versöhnt. Karoline spielte die Rolle der Rächerin mit abgefeimter Quälkunst. Ruhig konnte er die beiden allein lassen.

»Ich geh zu meiner Arbeit«, sagte er.

Sie bot ihm die Rose. »Nimm sie mit! Du sollst nicht so allein sein.«

Gedankenlos griff er danach und ging und vergaß dabei zu grüßen.

Nachmittags wartete der Freiherr ungeduldig in der Nähe des Pomeranzenhauses.

Karoline kam ohne jede Eile daher. Sie blieb unterwegs oft stehen, nippte mit dem Näslein an einer Rose, versäumte sich bei einer der magdlichen, weißen Birken, beobachtete die Bienen, die an den bunten Blumenkrügen leckten.

Mit einer kleinen Wolke auf der Stirn schritt ihr der Freiherr entgegen. »Sie kommen um eine halbe Stunde später, als wir verabredet haben«, warf er ihr vor.

»Verlangen Sie nicht zu viel von einer Frau!« erwiderte sie lächelnd. »Übrigens habe ich jetzt sehr angenehm geschlafen.«

»Bald sind Sie davon«, klagte er, »und ich muss hier bleiben am äußersten Rand der Welt und ein gedämpftes Leben führen in dem Schloss, das ohne Sie tot ist.« Er trat an den Teich und sah, von Traurigkeit übernommen, wie darin auf zitternder Fläche die Schwanenfurche zerging.

»Freiherr, Sie werden mir nicht nachtrauern. Nicht lange nachtrauern!«

»Glauben Sie mir nicht?«

»Wie soll ich Ihnen nach dem Spiegelgefecht trauen, das Sie mit mir und meinem Freund gespielt haben? Was weiß ich von Ihrem Herzen? Vielleicht ist es so groß, dass ein ganzer Frachtwagen voll junger Mädchen darin umkehren kann. Schauen Sie, wie edel der Schwan dort zieht. Ich möchte ihm ein blaues Band um den Hals binden.«

Eine schwermütige Dogge begleitete lange die beiden Menschen und verlief sich dann.

Ottokar führte die Sängerin in die Irrfelsen, und sie gingen über Steige, die in den Stein gesprengt und mit Geländern gegen den Absturz gesichert waren. Spielerische Brücken schwangen von Fels zu Fels. In einer Grotte hockte ein Götze der Betrachtung und lächelte seinen Nabel an.

Der Freiherr lehnte sich an ein vom Frost zerrissenes, vom Regen zerrilltes Medusenhaupt, das in den Berg eingehauen war. Er trug die Schwermut eines einsamen Gefangenen an sich.

»Sie leiden unter Langeweile«, sagte Karoline unbarmherzig. »Warum beschäftigen Sie sich nicht? Sie hätten doch in der Verwaltung Ihrer Güter viel zu tun. Sie könnten Wildnisse vernichten, Paradiese zaubern, Räuber ausrotten.«

»Arbeit ist nicht mein Beruf. Ich bin nur Krieger. Und was soll ein Mann meines Schlages anheben, nachdem dem großen Napoleon das Schwert aus der Hand geschlagen worden ist?«

»Gott Lob, er sitzt gefesselt auf der Meerinsel!« »Hassen Sie ihn?«

»Ja, als Deutsche«, beteuerte sie.

»Einigen Dank schulden wir Deutschen ihm doch. Er hat uns gelehrt, dass wir ein Vaterland haben. Je nun, der Krieg ist aus. Aber ist es besser geworden, seit die Federfuchser in den Kanzleien herrschen? Napoleon muss wiederkommen. Sein Schwert ist fruchtbar gewesen wie ein Pflug.«

»Befreien Sie ihn!« lächelte Karoline.

»Ach, sie bewachen ihn zu gut! Könnte man ein Tauchboot erfinden, das ihn in der Nacht entführt! Doch ist derlei nur eine müßige Schwärmerei. Und so hänge ich faul wie ein Gliedermann hier zwischen Himmel und Erde und warte, bis etwas an dem Schnürlein zieht und ich wieder Arm und Bein und Seele zuckend verrenken darf.«

Während dieser traurigen Worte hatte sich das geheime, heilige Murmeln schwärmender Bienen erhoben. Karoline vernahm dies zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie horchte verwundert zu.

Dann hub sie silberklar zu singen an:

»Wälder, Felder schweigen still,
und niemand ist, der mit mir reden will.
Alle Flüsse gehen ihren Lauf,
und niemand ist, der mit mir bleibet auf.

Harfenklang und Saitenspiel
hab' ich klingen lassen oft und viel.
Ich hab' es lassen spielen so oft und viel,
dass mir keine Saite mehr schallen will.

Berg und Hügel, auch dieses Tal
schrei'n über mich auch hunderttausendmal.
Froh wollt ich sein, wenn's dir und mir wohl geht,
obschon mein treues Herz in Trauer steht.«

Sie stand ganz umhüllt von dem Lied und war noch schöner geworden.

Als sie geendet hatte, sagte der Freiherr: »Oh, käme doch jetzt der Tod! Der Tod, der Freund des Vergessens!«

»Der Tod?« flüsterte sie. »Nennen Sie dieses Wort nicht! Es klingt hässlich.«

»Es klingt schön.«

»Sie leben doch noch. Und der Tod hat mit dem Leben nichts zu tun.«

»Leben und Tod sind nicht so scharf voneinander getrennt, wie der feige Mensch anzunehmen pflegt.«

»Freiherr, diese Weisheit kommt aus Ihrer Langeweile.«

»Wundert Sie das? Ich sehne mich, Großes zu vollbringen und muss tatenlos sein und im ewigen Trott um mich selber kreisen. Dem Riesen, der die Goldmühle treibt, sind die Augäpfel ausgestochen worden, damit er nicht von dem unaufhörlichen Rundgang rasend werde. Er ist verblödet. Ich aber sehe noch und bin geistig klar und muss im ewigen Göpelring laufen. Wundert es Sie, wenn ich manchmal ausbreche?«

Sie ruhten auf einer Wiese.

Karoline hielt die Hände unter ihrem Kopf gefaltet. Halme berührten schmeichelnd ihre Wangen, küssten ihr das Haar. Schmachtend tat eine wilde, goldne Blume die Lippen auf. Ein Schmetterling hing wie eine um ihr Glück zitternde Seele am Ufer dieser Blüte.

Da begann die Flöte der Verführerin. Karoline sagte: »Wie wunderbar muss es sein, einen Menschen zu lieben!«

»Warum haben Sie mir das Spottgedicht in das Buch geschrieben?« fragte Ottokar.

Ein nebelzarter Regen sprühte und scheuchte die beiden auf.

Sie flüchtete durch das Gras. »Die Füße werden mir feucht. Ich hole mir einen Schnupfen. Die Prager werden die verschnupfte Sängerin auspfeifen!«

Der Freiherr näherte sich ihr mit dem Blick eines Trunkenen. »Ich trage Sie, Fräulein!«

»Das wird Ihnen nicht verwilligt!« wehrte sie ab.

Sie fanden Unterschlupf in einer öden, verwahrlosten Jägerei. Das unbewohnte Haus, darin kein Bild, kein Tisch, kein Bett war, darin die Tünche sich trostlos und hässlich von der Wand löste und die Dielen verfaulten und unter dem Schritt durchbrachen, es nahm sich seltsam aus in dem sorgfältig gepflegten Park.

»Warum lässt man die Mauern da verfallen?« fragte Karoline.

Ottokar erzählte: »Hier wohnte einst ein Jagdschreiber, ein finsterer Mensch, der Sage nach konnte er Blutkugeln gießen, die immer treffen. Mein Ahne besuchte einmal die schöne Frau dieses Menschen. Aber der kam zu früh heim. Der Freiherr zwängte sich, weil er kein anderes Versteck fand, schnell hinter den Ofen. Der misstrauische Ehemann entdeckte ihn, und er schlug und stach wie ein Wahnsinniger mit dem Hirschfänger auf seinen Herrn ein, der sich hinter dem Ofen nicht rühren konnte. Das Weib, das anfangs im Bett zugesehen hatte, lief im Hemd entsetzt durch den verschneiten Park und schrie um Hilfe. Man musste den Ofen abtragen, um die eingezwängte, zu Brei zerhauene Leiche herauszubringen. Seither steht das Haus öde.«

Der Sängerin schauderte. »Oh, ich will dem, der mich freit, immer treu bleiben!«

Niemand war bei dem Künstler, als die leuchtende Rose, die er in ein kristallenes Krüglein gestellt hatte.

Er schrieb mit fieberhafter Wut, als müsse er heute Nacht noch sterben.

Der Regen stieß an das Fenster, die Wolken schrien den Donner aus, die Sonne obsiegte wieder. Weber nahm dies alles nicht wahr. Den Diener, der ihn einmal um seine Befehle fragte, wies er barsch zurück.

Wie eine Blume den niedersinkenden Falter aufnimmt, empfing er den göttlichen Einfall, der aus schicksalhaftem Ungefähr, aus tiefwurzelndem Gesetz, aus der grundlosen Fülle des Daseins kam.

Die Beharrlichkeit, die schönste und wirksamste Tugend des Künstlers, war in ihm.

Endlich übersah er das vollendete Werk. Es ruhte nach dem Kampf in seiner Klarheit, das Gewitter war verdröhnt.

Doch hier klaffte es noch im Gefüge. Hier galt es noch, einen düsteren Bassgang einzusetzen, eine Treppe, die zur Hölle .niederleitete. Hier musste geändert werden. In wildem Stoß, in lustvollem Schmerz brach es aus ihm heraus wie der Schwall der Quelle aus dem dunklen Fels.

Er strich und schrieb aufs Neue.

Ein seidenflügeliges Zieferlein sah ihm zu. Zauberisch gelockt von der eilenden Feder kroch es heran, als wollte es gegen sie kämpfen oder damit spielen. Weber blies die Fliege sänftlich weg, sie irrte ihn. Aber sie kam trotzig wieder.‹ Sollte er sie töten? Sie war so schön in ihrer Schlankheit, in ihrem Glanz. Die schwarzen Äuglein glommen, die wunderbaren Fühler bebten, die grünlich-silbernen Flügel waren schleierzart und durchsichtig. Sollte er dieses geheimnisvolle Lebensgebilde zerstören, diese unschuldige Triebwelt, diese Traumwelt, dem Menschen nie erschlossen? Wer weiß, welche Mühe es Gott gemacht hat, diese geflügelte Nadel zu erfinden? »Lebe!« flüsterte der Künstler zärtlich. »Lebe und wandle und prüfe getrost mein Werk, Tierlein! Ich will warten.«

Er beugte sich zum Fenster hinaus und erinnerte sich, dass es eine Welt gab. Er sah Mauern, die mit Glockenblumen bekleidet waren und darüber ein Mantel aus Efeu floss. Er sah den Garten und die Ferne: blau, blauer, am blauesten reihten sich die

Berge hintereinander. In die Wunschentrücktheit des Schaffenden rief wieder süß das äußere Leben hinein.

Er sah mit dem Opernglas nach der Geliebten aus. In seiner Sehnsucht hätte er gern gerufen: »Komm und sieh, Einzige! Das Werk ist vollendet!«

Greifbar nahe schossen Laub und Ast und Vogelnest in seine Augen, Springwasser, die bunten Inseln der Beete, der abendliche Teich, Steinbild und Eibe, die geordneten Baumreihen, die schwermütige Steifheit beschnittener Hecken. »Schön, schön!« murmelte er. »Aber doch nur Natur in der Schnürbrust!«

Plötzlich war ihm, als ginge er aus Feuer in Eis über. Das Licht draußen dunkelte jäh ab. Setzte sich ein Teufelsriese hohnlachend auf die Sonne?

Karoline saß fern auf einer Bank, und der verhasste Freiherr ergriff eben ihre Hand, und sie weigerte sie ihm nicht.

Weber legte das Glas weg.

Abendsonne fiel in das Zimmer. Die Bilder an den Wänden begannen zu lächeln.

Stumm betrachtete er die Rose. Sie trug ihm plötzlich allen Sinn des Seins, sie war ein tiefes Bild der Welt und ihrer endlosen und – ach! – so schönen Vergänglichkeit.

Er hörte wieder die Uhr stammeln: »Die – Zeit – ver – geht!« Chronos der Senser glüht in der erlöschenden Sonne. Das Leben schießt vorüber, versäumt im einsamen Schaffen. Man erwacht einmal und ist alt. Was wiegt mehr, Kunst oder Leben? Oh, selig der, der beides in einem Trunk genießt!

In der Ecke prunkte der gelbmarmorne Torso der Göttin. Weber sah ihr in die homerisch toten Augen.

O Weib, du alle Weltenwonne, Inbegriff der höchsten Erdenseligkeit, Brunnen aller Freude! O Weib, immer trächtig mit Verrat, treulos dem Mann, der sich seinem Werke widmet! Nie, nie wird ein Weib den Mann verstehen!

Der Künstler sank in sich zusammen. Er weinte auf. Welch ein Schicksal hing über ihm?! Seine Seele war so leicht verwundbar wie die Haut eines Tautropfens.

Draußen neigte sich der Bruderbaum zum Schwesterbaum, verfolgten sich jauchzend die Vögel, küsste der Wind das Gras, reichte ein Mensch dem andern die Hand.

Er allein war verlassen und in letzte Einsamkeit verstoßen. Nichts war sein als das schwermütige Glück, das die Kunst brachte. Was ist Musik? Schmerz, Schmerz, Sehnsucht nur,‹ rätselhaftes Heimweh ohne Ziel!

Niemand war bei ihm. Nur die winzige Fliege dort.

Da lag sein Werk, stumm noch, doch gewärtig des Glanzes der tönenden Werkzeuge. Ein vergrabener Hort, der jeden Augenblick an die Oberfläche dringen und brennen konnte. Aber es tröstete in dieser Stunde nicht.

Wäre es nicht schöner, fern zu sein diesem schweren, fragwürdigen Leben? Das Haupt zu betten auf das Purpurpfühl der Wolke, die jetzt oben abendlich verglimmt? Sterben! Sich dem All vermählen, dem Nichts! Heimkehren zu den Elementen: als stilles Licht, als Wolkenschatten sich gießen über die Wälder! Und nichts mehr zu wissen von dem Schmerz des empfindenden Geschöpfes!

Er sah plötzlich den Tod die rauchende Fackel stürzen.

Er fühlte die sterbende Blume atmen.

Er riss sie aus dem Kristall, warf sie zur Erde und schleuderte sie mit dem Fuß in eine Ecke.

 

Die schon versunkene Sonne ließ die hohen Wolken nachglühen. Dann offenbarte sich der erste Dämmerstern.

Immer noch streiften Karoline und der Freiherr durch den weiten Lustgarten, rasteten, besuchten den Schwan oder gingen einem Vogel nach, der schwärmerisch am Abendzweig schmachtete.

»Ob mein Freund Weber noch immer an seiner Sommermusik arbeitet?« sagte sie.

Ottokar rief unmutig: »Erinnern Sie mich jetzt nicht an ihn!«

Sie sagte ernsthaft: »Ich muss gestehen, Karlmaria ist nicht vorsichtig genug. Köstliches muss man mit Misstrauen hüten. Er überlässt mich Ihnen nun schon den ganzen Tag. Das kränkt mich. Das demütigt das Weib in mir.«

»Karlmaria!« zischte er. »Ein Mann mit einem Weibernamen! Es ist eigentlich eine Schmach!«

»Sagen Sie nichts gegen ihn!« rief sie schroff. »Übrigens macht sich der Tau mit seiner Kühle fühlbar, und ich bin sehr verzärtelt. Es ist am besten, wir gehen nach Hause.«

»Gut!« sagte er und beschloss, sie in die falsche Richtung zu führen.

Sie kamen zu einem gewaltigen Baum, der ein-öd mitten aus hochgrasigem Anger wuchs.

»Ein uralter Apfelbaum!« sagte er.

»Ist das der verbotene Baum im Paradies?« spöttelte sie. »Freiherr, Sie kennen doch die Geschichte von Eva und dem Apfel?«

»Gott hat sich damals als schlechter Seelenkenner eingeführt«, erwiderte er. »Man darf Kindern nicht etwas zeigen und es ihnen dann verbieten.«

Karoline witterte die Drohung, die sich hinter diesen Worten versteckt hielt. Sie fühlte den wildernden Blick, der ihre Schultern überfiel. Sie musste einlenken, sie durfte den heftigen Mann hier nicht länger necken.

Ein bläulich-grüner Funke, der erste Glühkäfer dieser Nacht, flog auf. Sie lief ihm nach. »Werde ich nicht Brandwunden davontragen, wenn ich ihn hasche?« Sie schlug mit den Händen nach ihm und sprang trotz des Taues in eine Wiese hinein. »Ich will und muss mich an dem Leuchtwurm sonnen!«

Plötzlich schrie sie auf. Sie brach die Verfolgung ab und kam hinkend daher. »Das Stöcklein habe ich mir vom Schuh gebrochen! Bitte, bitte, suchen Sie mir es!«

Der Freiherr fischte den verlorenen Absatz aus dem Gras. »Aber wie können Sie jetzt den immerhin weiten Weg zum Schloss gehen?« fragte er.

Und schon hatte er sie ergriffen, er hob sie wie ein leichtes Kind auf und trug sie.

Im Rasen glomm es, in den Lüften funkelte der Irrflug, die schwarzen Stauden waren von den Elfenlichtlein wie Häuser erleuchtet.

Schweigend trug er sie zu einem Pförtlein, das leitete in die Wildnis hinaus, die sich neugiervoll und gewaltig an die Mauern des Parkes drängte. Schon roch das schwüle Moos; ein Rauschduft, sündhaft und verrucht, wehte; liebeslüstern hub ein letzter Vogel an.

Jäh brach hier das gebändigte Gebilde des Gartens ab. Draußen herrschte der wüste Wald, die schroffe Wüste mit gestürztem, faulendem Holz, wucherndem Farn, triefender Feuchtigkeit, sickerndem Wasser, krausen Wurzeln und regellosen, verworfenen Felsblöcken. Draußen wucherte die unwirtliche Wildnis, war die Gefahr des reißenden Tieres, des lechzenden Räubers, des fallenden Baumes, der Verirrung, der geisternden Einsamkeit.

Karoline ahnte: der Park hier war die spielerische Liebelei, der Wald draußen aber die schwere, gewitterige Leidenschaft.

»Wohin bringen Sie mich?« fragte sie bang.

Er drückte sie hart an sich, er küsste ihre herrlichen, laubduftenden Locken. »Oh, deine Arme! Oh, deine schlanken Schwingen!« seufzte er.

»Was faseln Sie da? Lassen Sie mich los! Ich schreie!«

»Ich raube dich. Denn du hast mir schon in einem früheren Leben gehört. Ich erkenne dich wieder. Du musst wieder mein sein!« stammelte er in verliebtem Irrsinn.

»Ich will sofort ins Schloss zurück!« bat sie, befahl sie.

»Lieber sollst du tot sein als einem andern gehören!« Er bedrängte mit seinen Küssen ihr Kleid, ihre Arme.

Sie stieß hart seinen Kopf zurück. »Was fällt Ihnen ein? Bin ich ein willenloses Ding? Noch einmal, geben Sie mich frei!« Aber in ihrer Brust klopfte es toll, das Herz drohte mit ihr durchzugehen.

Sie glitt nieder und lag an seine Brust gefesselt. O Kuss der Küsse!

Die Augen geschlossen, stand sie in Todeswillen. Dämmer war um sie, Dämmer wie von den Lilienwiesen der Unterwelt.

Dieser Mann schien ein Mensch der Vorzeit zu sein, wo nichts geherrscht hatte als der starke, dunkle Trieb. Und der äußerste Urmensch, der den andern um den Besitz des Weibes erschlägt, bäumte sich in ihm und stöhnte: »Ich will den Kapellmeister auf Pistolen fordern. Einer von uns zweien muss weichen!«

Sie erschrak vor der Kraft dieses Willkürmannes, es schauderte ihr die Hüften hinab, und sie fürchtete, bewusstlos zu werden.

Da rang sie sich aus seinem Arm. »Nie darf das geschehen! Er soll nicht durch Sie sterben! Rühren Sie mich nimmer an! Ich gehöre Ihnen nicht. Den Leib darf ein Weib nur verschenken, wenn sie die Seele mitschenkt. Und meine Seele gehört Weber!«

Sie riss sich den andern Schuh vom Fuß, um leichter gehen zu können, und lief in den seidenen Strümpfen dem Schloss zu, das mit den erleuchteten Fenstern aus dem Dunkel drang.

Der Freiherr sah ihr schweigend nach.

Dann stürzte er sich in eine der düsteren Laubnischen und umarmte wild das Steinbild einer Göttin.

Den Künstler fröstelte. Diese breiten Mauern schienen eine jahrhundertalte Kälte in sich zu bergen, und die Schatten des in die Nacht hinüber-gleitenden Abends vermehrten diese Kühle.

Er schellte mit einem silbernen Glöcklein zur Tür hinaus.

Auf der Stelle war die Zofe Felizia da. »Der Kammerdiener Paul ist nicht im Schloss, ich will Sie bedienen«, sagte sie und äugelte ihn verliebt an.

»Heize Sie mir ein, Felizia!«

Schnippisch erwiderte sie: »Ich bin nicht für die grobe Arbeit da. Aber für Sie tue ich alles.«

Während sie Holz brachte und vor dem Kamin kniete, ging er ungestüm auf und ab. Ein gerechter Zorn über die falsche, gefallsüchtige, törichte, launische Geliebte bewegte ihn. Es fehlte wenig, und er hätte den Thomas Treml gerufen, er solle Hals über Kopf einspannen und ihn fortfahren, und Karoline möge dableiben und sehen, wie sie sich zurechtfände. So erbittert war er. Aber dann fürchtete er, er würde in Prag vor Sorge um sie sterben und als Toter mit aschweiß geschminktem Gesicht und gebrochenen Augen zurückkehren müssen in das Waldschloss, um die Treulose noch einmal zu sehen.

Im roten Kamin flackerte das Feuer auf und belebte die Schatten, und es war, die Mauer öffne sich und der feuerige Hort rücke heraus.

Die Zofe schob ein Scheit in den Brand und kicherte.

»Was lacht Sie so albern?« schalt Weber. »Gewiss lacht Sie mich aus!«

»Nein, nein!« beschwor sie ihn. »Ich lache, weil ich eine Neuigkeit von den Küchenmägden gehört habe. Die Männer aus dem Orte drunten sind heute wallfahren gegangen zu Unserer Lieben Frau in den Nesseln. Unterwegs sind sie in einen Wald gekommen, und dort haben sie sich zerstreut und haben süße Beeren suchen wollen. Und auch dem Mesner, der das Kreuz getragen hat, ist lüsterlich geworden, er legt den gekreuzigten Herrgott ins Moos und hebt an zu brocken und zu naschen und kommt dabei immer weiter von dem Kreuz ab. Und wie sie nach einer hübschen Weile wieder weitergehen wollen, da weiß der Mesner nimmer, wohin er den Heiland gebettet hat, und so wild und so eifrig auch die Männer suchen, sie finden und finden den Moosfleck nimmer. Ohne Kreuz sind sie heimgekommen. Jetzt haben sie in der Kirche drunten keinen Herrgott mehr.«

Kaum hatte Felizia diese schwankhafte Begebenheit erzählt, stürzte Karoline erhitzt und aufgeregt zur Tür herein.

»Karlmaria, ich bin schlecht«, sprudelte sie hervor. »Ich verdiene dich nicht. Wir müssen uns trennen!«

Die Zofe horchte mit offenem Mund.

Der Kapellmeister winkte ihr. Da entfernte sie sich schmollend.

»Was ist geschehen?« fragte er nun, und ihm war, ein Toter rede aus ihm. »Wie siehst du aus? Dein Haar ist verworren? Du läufst in Strümpfen?«

»Ich bin deiner nicht wert. Im Garten hat er mich an sich gerissen. Ich fürchte mich sehr vor ihm. Mehr als vor Räubern. Wenn wir noch einen Tag hier bleiben, verliebe ich mich in ihn. Es geschieht ein Unglück. Morgen noch vor der Sonne lass uns abreisen!«

Weber zwang sein brausendes Blut zur Ruhe. »Davonlaufen bei Nacht und Nebel? Nein!«

»Karlmaria, du darfst nimmer von meiner Seite weichen! Ich will ihm überhaupt nicht mehr begegnen!«

Er sah sie verschwommen und unklar wie durch ein bewegtes Wasser hindurch vor sich. »Wie hast du so spät und allein mit ihm gehen können, Karoline? Du weißt doch, dass er zu jeder Tollheit fähig ist!«

»Und du weißt es auch, und doch hast du mich den ganzen Tag mit ihm allein gelassen!«

»Er hat dich an sich gerissen! Und dann, Weib? Was ist dann geschehen? Wes hat sich der Schuft noch erfrecht?« Der Kapellmeister stand bleich wie einer, der vor der Flinte den Gnadenschuss erwartet.

»So schrei doch nicht so! Die Wände hier hören! Nichts, gar nichts weiter ist geschehen! Ich schwöre es. Nur geküsst hat er mich.«

Weber flackerte wie eine Flammenzunge auf. »Das auch noch? Was erlaubt sich der dünkelhafte Narr mit uns? Und du hast dich küssen lassen? Aber jetzt soll er dich auch heiraten! Mit der Pistole in der Hand zwinge ich ihn, dass er dich heiratet!«

Schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht. »Jetzt kommt es wirklich zum Zweikampf! Ich Unglückliche!«

»Fürchtest du für ihn?« rief er quälerisch. »An mir liegt dir ja nichts. Ich glaube es, dass er dir besser gefällt als ich. Er ist stattlich und stark und

verwegen. Ich bin mager und klein, meine linke Hüfte ist schwach, ich hinke wie der lahme Teufel, ich bin ein körperlich anbrüchiger Mensch. Meinetwegen bleib als seine Betthäsin bei ihm! Ich gehe. Ich setze meinen Stab weiter in den Staub. Mein geborstenes, verbranntes, zerstörtes Herz nehme ich mit!«

Sie flog ihm an den Hals. »Karlmaria, ich liebe ja nur dich! Oh, warum habe ich dir das erzählt?! Welch törichte Tugend ist die Wahrheit! Niemals mehr will ich dir die Wahrheit sagen!«

Er schüttelte sie rasch von sich. »Ein sauberer Vorsatz!«

»Dir kann man aber gar nichts recht machen!« jammerte sie. »Oh, ich will jetzt so viel weinen, dass ich später nimmer werde weinen können, auch bei meinem Tod nicht!«

»Ich werde eher sterben als du!« rief er. »Meine Kunst macht aus mir einen kränklichen Stubenhocker. Die andern pflücken die Früchte der Welt. Andere leben, ich bin ein kläglicher Federfuchser. Da schau dir das bekleckste Papier an!«

Sie wurde plötzlich still und sah ihn groß an. »Du lebst in der Tiefe, indes wir andern leeres Spiel treiben an der Oberfläche.«

»Jawohl, ein Spiel treibst du hinter meinem Rücken! Indes ich mich hier ahnungslos über mein Werk beuge, lässt du dich von diesem – diesem – diesem Raubritter küssen. Und so mag auch das Werk, das in dieser Stunde entstanden ist, nicht mehr bestehen! Das Schicksal nehme seinen verfluchten Lauf!« Besinnungslos packte er das Notenbündel und hob es, um es in den prasselnden Kamin zu schleudern.

Aber Karoline war voll warmer Vernunft. »Schluss mit dem Zauber! Das gibt es nicht!« sagte sie einfach und nahm ihm mit fester Gewalt die Handschrift aus den Händen. »Das bleibt jetzt bei mir verwahrt, bis du wieder ruhig bist. Morgen bei Sonnenschein wollen wir alles noch einmal überdenken. Und jetzt gute Nacht!«

Sie ging.

Auf dem Gang wartete der Diener. »Der Freiherr lassen zur Tafel bitten.«

»Sag Er ihm, der Herr von Weber sei nicht ganz wohl, er will in seinem Zimmer speisen. Auch ich lasse mich entschuldigen.«

Weber hatte Karolinen wie ein Wundertier nachgesehen. Nun starrte er betäubt in die Flammen, die jetzt sein Werk hätten verzehren sollen. Er sah sich staunend in dem fremden Prunkzimmer, er sah das weiße Bett aufgeschlagen. Am liebsten hätte er diese Nacht trauernd auf einem Kirchhof verbracht.

Er blickte in die mondbeseelte Nacht hinaus und hinüber zu den mild angeschimmerten Wäldermassen und empor in die schmerzliche Höhle der Ewigkeit, darin groß und gelassen die Sternbilder lebten. –

Karoline war noch in den Kleidern, als die Zofe herein huschte.

»Hat es ein Gewitterlein gegeben?” schwätzte diese. »Man darf den Männern nichts nachsehen. Ich habe heute auch meinem Bräutigam, dem freiherrlichen Leibjäger Konrad, der jetzt Förster wird, den Kopf waschen müssen. Denken Sie nur, gnädiges Fräulein, heut nachmittags ertappe ich ihn in diesem Ihrem Zimmer, wie er vor Ihrem Bett kniet! Sie haben mir ihn abspenstig gemacht.«

Karoline versöhnte sie. »Wir reisen bald, Mädchen. Dann wird alles wieder in seinen natürlichen Lauf eingerenkt. Und jetzt schleich dich zu deinem Schatz und strafe ihn mit Küssen! Doch erst zieh mir die Spieluhr auf, dass ich fröhlicher werde!«

Als die Sängerin im Einschlafen war, dachte sie noch rasch: »Nein, nein! Weber wird den Freiherrn nicht in Stücke hauen. Er ist nicht wie jener Wildbretschreiber. Er ist ein lieber, zarter Knabe, und jeder Schmerz wird ihm schließlich zu Musik und Wohlklang.«

In der Nacht weckte ein merkwürdiges Geräusch sie auf. Tötete sich jetzt der Freiherr vor ihrer Schwelle? Oder der geliebte Künstler?

Vor der Tür meldete sich eine halblaute Stimme. »Silvana, ich habe mich hässlich benommen. Bist du böse?«

»Nein, Karlmaria!« erwiderte sie freundlich. »Nein, du Guter! Aber jetzt schlafe!«

Des Morgens fand Karoline ein mit Kreide unbeholfen gezeichnetes durchpfeiltes Herz außen an ihrer Tür. Das war nicht des Kapellmeisters Handschrift. Das mochte der Leibjäger Konrad verbrochen haben. Sie wischte die verliebte Urkunde mit ihrem Tüchlein weg, dass die Zofe nicht neue Ursache zur Betrübnis fände.

Hernach holte sie den Freund, und sie eilten in den Park, und der war junge Inbrunst der Sonne und Freude der Geschöpfe. Der Tau schwebte in glühenden Funken. Wahnsinnige Massen von Blüten hingen an einem Geländer. Ein Rolltauber murrte. Ein Gimpel tat sich durch meisterhafte Pfiffe hervor. Die Goldamsel trillerte. Wie wunderbar ist das Lied eines Vogels!

Der Truthahn Nebukadnezar zog prunkvoll und grollend auf und schlug rasselnd ein Rad.

Sie begegneten dem Jäger Konrad, der trug den Uhu Samiel zur Krähenhütte. Der teuflische Vogel glotzte mit den Bernsteinaugen die beiden an.

Die Steinbilder ragten still und edel. Auf dem Teich glitt der Schwan heran, den Lilienhals geneigt.

Die Erde war neu und schön.

»Mein Herz ist eine Orgel mit tausend Zungen«, sagte Weber. »Wie froh und ohne Schwere bin ich heute!«

Hinter einer blühenden Hecke umarmte er die Geliebte.

»Du«, drohte sie, »die Ehe mit mir ist ein gefährlicher Krieg!«

»Ich wage es, Karoline Silvana! Mag auch nicht alles ganz windstill verlaufen! Doch freuen wir uns, dass jeder von uns zweien ein rechtes Menschenherz hat!«

Sprachlos und glücklich sahen sie einander an. Alle Gefühle ruhten in holder Schwebe.

Als sie dann den Schuh und das abgebrochene Stöcklein in die Stadt hinunter trugen, sagte der Kapellmeister abschließend: »Fast tut mir der Freiherr leid. Er ist doch so artig zu uns. Lieber Gott, ist es eine Sünde, dass er, verwirrt von deiner Schönheit, sich zu dem Raub einiger Küsse vergessen hat?! Gewiss nicht! Nun aber mag es genug sein!«

Von den Bergen eingefriedet, lag der Ort wie in einer Wiege und schlief noch.

An einem vielverkrausten Eisenarm hing ein Stiefel und zeigte die Werkstätte des Schusters Adam I1k an. Doch war, das Tor dazu noch gesperrt.

»Meister Leichdorn schlummert, müde noch von der Wallfahrt«, sagte Karoline. »Wir wollen den Schuh vor sein Haus stellen und ein wenig durch die Gassen schlendern!«

Und sie fragte einen Mann, der eben aus dem Nachbarhaus trat, die Zipfelmütze über der Stirn: »Bester, wird mir doch der Schuh da nicht gestohlen werden?«

»Das ist ja verboten«, erwiderte nicht gering verwundert über diese Mutmaßung der mit der Nachthaube.

Der Kapellmeister lugte ihm scharf auf die mächtigen, roten Metzgerhände und fragte streng: »Welche Rolle hat er im Drudenfuß geübt?«

Beschämt schlug der Mann die Augen nieder und färbte sich ein wenig rot. »Ich bin die Wirtin gewesen. Nichts für ungut!«

»Und was spielt er? Geige, Blech oder Holz?«

»Die Pauke, gnädiger Herr! Die Pauke!«

»Die Pauke! Recht so! Der Paukenist ist der wichtigste Mann unter den Spielleuten. Schlag er nur zur rechten Zeit und sei er gesegnet!«

Ignaz Züngenhorn jätete schon sein tauiges Hausgärtlein. Die Sängerin bot ihm gnädig die Hand, und er wiegte sich verlegen in den Knien.

»Ach ja, so ein Garten!« seufzte er, weil ihm in seiner Beklemmung nichts anderes einfiel. »Jeden Tag blüht einem darin ein Freudlein auf.«

»Herr Züngenhorn ist kein gewöhnlicher Mensch, liebe Silvana«, sagte Weber.

Da wollte der Notenmaler sich der schönen Frau im hellsten Licht zeigen. »Ich bin in allen Sätteln gerecht«, sagte er. »Unser Freiherr behauptet immer, mich hätten die neun Musen abwechselnd mit ihrer Milch gesäugt. Ich beherrsche alle Instrumente, ich bin Tänzer, Geschichtschreiber, ich verfasse Gedichte zu Hochzeiten und setze sie in angenehme Töne, ich leite die Festlichkeiten unserer Stadt.«

Er klopfte mit dem Knöchlein seines Zeigefingers höflich an den Deckel seiner Tabaksdose, und sie sprang auf. Nachdem er eine Prise genommen hatte, nieste er bescheiden und sagte: »Das Niesen reinigt das Gehirn und stößt Gewölk und Nebel aus, die es trüben.« Schließlich zog er ein buntes baumwollenes Sacktuch, das mit einem Spottbild Napoleons geschmückt war.

»Geschichtschreiber sind Sie auch?« staunte Karoline.

»Ich schreibe ein gelehrtes Buch über die Galgenhübel Böhmens.«

»Und in der liederlichen Kunst des Tanzes sind Sie auch bewandert?«

»Unsere ganze Stadt habe ich in den Opern der Italiener geschult«, prahlte Ignaz Züngenhorn. »Cimarosa, Paisiello, Zingarelli, Cherubini, Spontini, Rossini!« Er sang die welschen Namen wie eine Litanei von den Heiligen Gottes.

»Wohlan«, rief Karoline, »so müssen Sie auch ein deutsches Werk, ein Werk des Herrn von Weber, aus der Taufe heben! Es ist hier in euerm Schloss geschrieben worden.«

»Wie heißt es denn?« fragte Züngenhorn eifrig.

»Es ist noch namenlos«, sagte der Kapellmeister. »Es ist nur ein Vorspiel. Sein Ausmaß ist nicht zu lang.«

Das Notenschreiberlein rieb sich vor Vergnügen die Knie. »Geben Sie mir die Noten, Meister! Wir studieren das Stück ein. Die letzten Proben leiten Sie. Übermorgen führen wir es auf. Sie werden mit uns zufrieden sein! Bei uns musizieren Männlein und Weiblein gleich gut. Sie sollten nur die drei glorreichen Jungfern hören, die Töchter unseres bestverdienten Schulmeisters!«

Der Kapellmeister und die Sängerin gingen dann weiter durch die Grünegrasgasse am Wirtshaus »Zum staubigen Hut« vorbei, und sie entdeckten manche nichtswürdige Stirn, die ihnen vom Wald her bekannt war und heute viel harmloser erschien: hier zwei enggestellte, listige Augen, die ihnen schon einmal lauernd begegnet waren, dort einen Bart, den sie in künstlicher Verwahrlosung gesehen hatten.

In die Greißlerei des Franz Pürzer rief Weber neckisch hinein: »Heda, was kostet eine Diebeslaterne?« Und vor der Apotheke »Zum blauen Einhorn« lehnte der spitzköpfige Gehilfe, den Mantel hochgelb wie Spießglanzschwefel. Er war der, der im Drudenstern mancherlei Reden mit verdecktem Sinn boshaft geführt hatte. Ehe er noch in den halbdunkeln Laden flüchten konnte, grüßte ihn der Kapellmeister: »Kotz grüne Salbe! Schon aus dem Bett, Herr Spitzhut?«

Und als sie am Schulhaus vorübergingen, begossen die drei glorreichen Jungfern mit dem Sprengkrug die dürstenden Blumen im Fenster und spähten nach den Fremden. Sie führten ihre Namen nach den lieblichsten Orgelregistern und hießen Vox angelica, die Engelstimme, Vox coelestis, der Himmelsklang, und Unda maris, die Meerwelle.

Der Schuster Adam Ilk saß bereits auf dem Dreibein, zwischen den Knien Karolinens kleinen Schuh, und fügte mit klugem Hammerschlag das Stöcklein wieder dran.

»Heute haben Sie das Haar sauberer gebürstet als vorgestern, Herr Diavolino, Räuber der Abruzzen«, reizte ihn die Sängerin.

Er hämmerte wahnwitzig schnell auf den Absatz los. »Das letzte Mal, dass ich mitgetan habe!« murrte er.

Eine kolophoniumbereifte Bassgeige beherrschte, drohend an einem Schragen lehnend, die ganze Werkstatt. Weber klopfte ihr wohlgefällig auf den Bauch und zupfte an ihrem Gedärm. Fürwahr, die Musikanten hier führten gediegenes Werkzeug!

Der Freiherr zeigte sich den ganzen Vormittag nicht, er schien nach Art vornehmer Leute leicht beleidigt zu sein. Weber benutzte die Zeit, seine Arbeit zu vervollständigen.

Erst am Mittagstisch fanden sich der Schlossherr und seine Gäste wieder. Er plauderte ganz unbefangen und begegnete den beiden mit ausgesuchter Höflichkeit. Doch sah er heute etwas gealtert aus, die Wangen waren schlaffer, die Augen schwerer, die Stirn zerrissener. Er redete einiges über die Musik Paisiellos, des Lieblings Napoleons, und sagte auf einmal: »Ich möchte gern das Stück hören, das Sie, Herr von Weber, in meinem Schloss geschrieben haben. Wir wollen es festlich aufführen.«

»Und wir wollen, ehe wir von hier Abschied nehmen, miteinander recht herzlich froh sein!« sagte Karoline mit warmem, ruhigem Blick.

Die Schwarzbrunner Musikanten ließen freudig Werkstatt und Laden im Stich und probten unter der Leitung des Ignaz Züngenhorn das neue Stück, und die silberne Feierglocke der Kunst übertönte hold den klappernden Werktag.

Als Karl Maria von Weber dann selber kam, mit einem schmetternden, wirbelnden Tusch willkommen geheißen, und als er die reisige, mit den Waffen der Musik gerüstete Schar musterte, da suchten sich alle, die eines bösen Gewissens waren, einer hinter dem andern zu verstecken. Da lächelte der Meister und sagte: »Ich verzeihe euch alles, nur schlechte Musik nicht.«

Er war überrascht, wie prachtvoll diese abenteuerlichen Spießbürger sich seines Werkes bemächtigt hatten. Sie beherrschten ihr Werkzeug meisterlich. Die drei Schulmeisterstöchter mit den süßen, einfältigen Gänseblümleingesichtern spielten kunstvoll die erste Geige; der geistliche Herr flötete; der Schulmeister, ein Mann mit einer großen, gescheiten Nase, darunter verstohlen ein Restlein Schnupftabak klebte, blies die Posaune wie ein Engel des Jüngsten Gerichtes; der Uhrmacher

Michel Cranz war ein Weltwunder von einem Klarinetter, der schleicherische Kammerdiener Paul ein gottbegnadeter Trompeter; an den Lippen des schmucken Leibjägers Konrad scholl das Waldhorn wie ein grüngoldener Traum; Ignaz Züngenhorn, das Haar wie mit weißem Harzstaub gepudert, meisterte die Bratsche, und der Schuster Adam Ilk strich bedächtig und mit denkerisch gefalteter Stirn die Bassrumpel. Alle, alle dienten sie mit heiligem Eifer, mit Gefühl und Geschick der schönsten der Künste. Der Paukenist aber war ein Großmeister der Musik, unfehlbar und unerschütterlich; er zauberte Gemurmel und anschwellendes und abziehendes Gewitter wie ein Donnergott, so dass Weber begeistert ausrief: »Hört mir die Pauke! Ja, die Pauke ist die Hauptsache! Ich will ein großes Konzert schreiben für die Pauke allein!« Und er sprang den Mann mit den Schlächterhänden an, umarmte und küsste ihn. »Fabelhaft, fabelhaft, du Wundermann! Ich nehme dich mit nach Prag!«

Und alle spielten zum Lobe des Kapellmeisters, eine geschlossene, auf einander eingespielte, freudige Innung, und sie dünkten ihn gar nimmer so hässlich und verschlagen wie damals in dem Waldkrug, sondern ehrbares Volk, mit stillen, entrückten, altmeisterlich frommen Gesichtern.

Und in der gottesfreien Luft sollte sich der schwebende, gleitende Tonleib entfalten, unter offenem Himmel sollte das klingende Eiland schwimmen, nicht eingemauert in einem Saal um Atem ringen. So wollte es der Freiherr haben. Und darum war zur festlichen Aufführung die erhöhte Gartenbühne ausersehen, wo einst von adeligen Liebhabern die Lust- und Tränenspiele alter Dichter gegeben worden waren zwischen Wänden von gestutztem Buchs und vor einem weißen Tempelchen, dessen flache Kuppel von dorischen Säulen getragen wurde.

Ein sonniger blauer Nachmittag lockte die Menschen in den sommerstillen Park. Geputzte Frauen und Mädchen nahmen in dem Halbring des Zuschauerraumes Platz, würdige Bürger fanden sich ein, darunter etliche noch mit Dreispitz, Zopf, Kniehose und Schnallenschuh angetan in urmodischer Art. Junges Volk scherzte und drehte neugierig die Köpfe. Viele hübsche Kinder mit gesunden, lachenden Apfelgesichtern kamen, vom Schulmeister bewacht, daher, und Weber schaute unwillkürlich nach dem roten Rattenfänger aus, der ihnen voraustanze mit der gellen Zwerchpfeife. Die Kinder lagerten sich gesittet auf den Rasen, und der Schulmeister verhieß, dass der Freiherr ihnen Obst und süßes B ackwerk schenken werde, wenn sie sich während des Spieles andächtig verhielten.

Abseits von dem Volk unter dem gewaltigen Bau des alten, einsamen Apfelbaumes verweilten der Freiherr und Karoline Brandt, um in der Entfernung die Musik zusammengefasster genießen zu können.

Auf Befehl Ottokars von Schwarzenbrunn führten die Spielleute zuerst ein italienisches Opernvorspiel auf, ein schillerndes Stück voll zieriger, schmeichelnder Arien, voller Triller und schmachtender Schnörkel und schwül von der Seele des hitzigen Südens. Ignaz Züngenhorn leitete mit feurigen Gebärden dieses Werk.

Karoline war in schwarzen Atlas gekleidet, die feinen Ohren hatte sie mit Perlengehängen blitzend gerüstet. Sie war schön und still.

Das italienische Stück ging zu Ende und verrauschte wie ein wütender Sturzbach. Viele hundert Hände klatschten hitzigen Beifall. Die Lüsternheit nach der sinnlichen Liebkosung durch diese verführerische Musik war gestillt.

»Morgen bin ich wieder allein«, flüsterte der Freiherr der Sängerin zu. »Ich werde hier im Gras liegen und den Geier zu meiner Leber herabrufen. Freudlos wird sich mein Leben verzehren. Oh, wäre es nicht besser, einen rasenden Untergang zu suchen, als das Unerträgliche zu schleppen?«

»Freiherr!« bat sie, mahnte sie ihn.

»Da liegt mein Schloss, ein trauerndes Ungetüm, auf dem Berg«, fuhr er leidenschaftlich fort. »Da liegen meine Wälder, meine Gehöfte. Was habe ich von meinem Reichtum?«

»Sie haben das stolze Gefühl des einsamen Raubvogels«, sagte sie.

Er lachte höhnisch auf. »Oh, wäre ich so weit, dass ich zu den Menschen sagen könnte: ›Lebt wohl und verlötet meinen Sarg recht fest!'«

»Still mit Ihren sieben Torheiten!« gebot sie. »Lassen Sie jetzt den Künstler dort reden!«

Karl Maria von Weber betrat die Freibühne. Der schmalbrüstige, knabenherbe Mann trug einen festlich blauen Frack mit blanken Knöpfen, enge Beinkleider und hohe, reiterliche Stiefel. In die Zipfel des weißen Halstuches waren Blumen gestickt. Er hielt den Kopf lauschend gegen die Schulter geneigt, durch die Brille, die er sich aufgesetzt hatte, leuchteten seine Augen wie zwei Edelsteine. Feierlich sahen die Musiker zu ihm empor, und nun hob er die knospende Rosenrute, die er sich von einem Strauch geschnitten, um sich ihrer als Taktstock zu bedienen.

Ein tauhaftes, farbenfreudiges Strahlen hub an. Es war eine treuherzige, beglückende Weise, darin Engel sanft die Flügel rührten. Steine begannen zu singen, Bäume fragten, Blumen antworteten, verschleiert sauste der Wasserfall. Das Echo scherzte. Der Hirsch schritt, sein Geweih knisterte im Laub und schüttelte den Tau herab. Eine kühne Jagdfanfare schmetterte. Dann rauschte der tiefe Wald auf. Die Geige schwang sich über die tief murrenden Bässe wie holder Gesang der Luft über starre, dunkle Wipfel. Das Abendlied des Einsiedels erscholl. Eine wilde, mondscheintolle Nachtigall schlug darein. Geister schwärmten aus, die Nacht war da. Düster wurde die Landschaft des Tonwerkes.

»Er malt unser Gebirge«, empfand der Freiherr.

Und dann wehte es ihn wieder wie der Duft anderer Planeten an, wie anderweltliches Licht.

Zauberisch angerufen, verließen er und die Sängerin den Schatten des alten Baumes und gingen zögernd immer näher dem Quell des Gewoges zu, dadurch die Lieder lustwandelten wie durch einen wilden Garten. Und auf einmal standen die beiden unter den Kindern, die mit offenen Mäulchen mehr schauten als horchten.

Der Freiherr stand plötzlich in demütiger Gebärde, das Haupt gesenkt und in den geheimnisvollen Wellen, die über ihn hereinbrachen, die tiefen Unterströme des Lebens ahnend, die verschwiegenen Gesänge Gottes.

Und allen, die da lauschten, glühte in dieser Stunde das Leben, es schien ihnen tiefer, heiliger, abenteuerlicher, farbiger, heldischer, süßer. Sie waren fromm ergriffen und enthüllten durch Miene und Bewegung die bewegte Seele. Die einen lächelten entrückt, andere blickten träumerisch, einer faltete vergessen die Hände. Der Atem stockte. Tränen zeugten. Die Menschen verstanden nicht, aber sie empfanden.

Nun ruhte die Finsternis in trägem, totem Orgelpunkt, böse, zuckende Klänge grellten irrlichthaft auf, die Musik schnitt Fratzen. Dann braute es, dumpf schwoll der Donner, breit wogte der Eichensturm heran. Alles war waldhaft verwirrend und dennoch klar. Denn die Form spannte sich um das Bild des Chaos wie ein stählerner Ring. Ein mächtiger Paukenschlag scholl. Hatte der Donnerkeil einen Baum gespaltet? Wie ein Berggewitter dröhnte das Spiel dahin. Das Unsägliche wurde gesagt, das Unerdenkliche gedacht; das dunkle Gefühl öffnete seinen Sinn.

Von höchster Lust besessen, fühlte Weber die Beine nicht mehr unter sich. Er ließ den Leib zurück, er schwebte. Er war in der Verzückung eines Mönches, der Gott schaut. Sein Feuer wurde zu Licht. Das irdisch enge Leben weitete sich ihm ins Grenzenlose, er wuchs rätselhaft und selig über seinen Geist hinaus und wurde ungeheuer, und der ganze Weltraum fand in ihm Platz. In brausender Schöpferlust gebar er das Werk noch einmal.

Mit der schmalen, geistigen Hand hob er beschwörend den Stab. Hochatmend hub im Abgesang der Preis der Schöpfung an, das große Gottlobelied, der ewige Dank für das Leben. Und da war es den schaudernden Lauschern, als blicke Gott durch dieses Werk mit leiblichen Augen hernieder in die Welt.

Das Spiel hatte geendet. Noch stand der Meister mit auf gerecktem Stab wie erstarrt in der Haltung eines Befehlers.

Da geschah das Wunderbare.

Aus der Schlucht eines Gewölkes stieß fahles Licht. Die Wipfel einer nahen Tannengruppe kräuselten wie in sanftem Windwirbel. Weißhäutige Birken gerieten in seltsamen Aufruhr und peitschten die Aste gegen einen unsichtbaren Feind. Dann ein Heulen in den Lüften, ein Lärm, als schrillten tausend wahnwitzige Querpfeifer. Schattengetragen fuhr ein Ungewisses, Übermächtiges heran.

Die Menschen duckten sich, griffen nach den Hüten, erblassten und schauderten. Nur der Künstler blieb aufgerichtet und hielt wie bannend den Stab. Sein Werk war vollendet. Mochte jetzt die Welt zerbrechen!

Die Locken des uralten Apfelbaumes flatterten. Aufgrollte der gemarterte Baum in einem Klang von unheimlicher Schönheit, er tat eine gewaltige Gebärde, drehte sich krachend, hob sich von der Erde auf und flog. Dann brach er zu Boden.

Das luftige Ungeheuer wirbelte über die Rasenfläche davon, zerschellte einen Steg, stürzte ein chinesisches Lusthaus um, wühlte den Weiher auf und warf den Schwan an das Ufer.

Die Windhose hatte mit ihrem tollen Leib auch die Bühne gestreift. Noch wankten die Pulte. Und die Notenblätter wirbelten in den Höhen und wurden über den Wald getrieben, weiß Gott wohin. Der Teufel hatte hereingetappt!

Vorüber war der Spuk. Die Sonne fand sich wieder ein.

Alles sah sich entsetzt an, gelähmt von dem Schrecken.

Erschüttert senkte Karl Maria von Weber den Stab. Er starrte den Raum an, als müsse er noch irgendwie den Glanz des verklungenen Spieles in sich bergen. Wohin hatte es sich aufgelöst? Irgend wo musste es noch schweben, noch nachzittern. War es zu Duft geworden? Hatte es die Blumen dort genährt? Wohin war es gegangen?

Der Freiherr hatte sich als erster wieder ermannt. »Hurtig, sucht die Noten!« rief er. »Wir müssen sie wieder haben.«

Ignaz Züngenhorn setzte wie ein frisches Hündlein einem Blatt nach, das müde vom Himmel herunter flatterte. Er brachte es, das einzige, zurück und reichte es dem Künstler.

Der zerriss es in Fetzen und warf es weg.

»Gott hat mir das Werk aus der Hand gerissen«, sagte er. »Gott will nicht, dass es bestehe.«

»Meister, Sie sind irrsinnig geworden!« rief der Freiherr. »Schreiben Sie diese wunderbare Musik schnell noch einmal nieder, ehe Sie sie vergessen!«

Weber schüttelte leise den Kopf. »Nein! Das Werk soll mit dem Sturm dahin wehen, woher es gekommen.«

»Musikanten«, rief der Schlossherr und nahm den Hut ab, »die Kunst hat einen schweren Verlust erlitten! Stopft die Trompeten! Verhüllt die Trommeln! Trauermarsch!«

Karoline, die gebannt gestanden, als hätten die goldenen Krallen eines Wunderadlers ihr ins Herz geschlagen, sie erkannte das Fremde, das übermenschliche in dem Geliebten, und erschrocken und mit wilden Tränen umarmte sie den Meister.

Abends gab der Freiherr im spiegelnden Kerzensaal den Gästen einen festlichen. Abschied.

Die Tafeldiener hatten zu laufen. Braten, Fisch, Geflügel, Pasteten, Salat, Obst und süße Speisen wurden aufgetragen; auf breitem Teller lag ein Wildsauschädel aufgebahrt, einen goldenen Apfel im Maul; bejahrter, reifer Wein stürzte aus den Flaschen.

Die Musikanten, zum Teil räuberlich ausgestattet mit den altertümlich verwegenen Schwertern und Pistolen, schmausten und tranken und redeten von der Sturmsäule, die in das Fest eingegriffen hatte.

»Das Stück des Herrn von Weber ist so jung gewesen, es hat noch nicht einmal einen Namen gehabt«, bedauerte der Michel Cranz.

»Es ist so gewesen, als hätte es der Wald selber gesungen«, meinte der Schuster Ilk.

Ignaz Züngenhorn aber sagte: »Es ist allzu schön gewesen. Drum hat Gott wollen, dass es die Menschen nur einmal hören.«

Sie kamen von dem Sturm auf allerlei düstergrausige Sagen, sonderlich auf die Wilde Jagd zu sprechen, und wie darin alles Getier der Wildnis schreie und die Geisterrüden jaulten und Feuer aus den Mäulern bellten, und wie irdische Hunde und Menschen, die auf freier Heide unterwegs wären, mit in den Spuk hineingerissen würden, und wie den Entführten über den Wipfeln wilde Stimmen zuriefen: »Heb die Knie! Stoß dich nicht an! Der Hafer hat lange Halme!« Also redeten sie und ließen es sich dabei wohl ergehen.

Der Notenmaler aß abwechselnd eine süße und eine saure Kirsche und sagte dazu: »Das ist das richtige Leben!« Der Apothekergehilfe stocherte wählerisch mit der Gabel auf dem Teller herum, naschte ein gelbes Herzlein aus dem Salat und verschmähte alles andere. Der Paukenist Willibald Hauzenberger wagte nicht zu essen, er griff nur sparsam zu und blieb hungrig. Einmal steckte er heimlich ein Stück weißes Brot ein. Er hatte gewiss die Taschen voller Brosamen.

Hernach tanzten die drei glorreichen Jungfern einen verschlungenen Reihen und sangen zum Zeichen ihrer Gelehrsamkeit ein dreistimmiges Lied, die eine in deutscher Sprache, die andere lateinisch, die dritte griechisch. Dazwischen brachten die Musikanten behaglich vermooste Ländler und Bauernmärsche zutage. Und der Bürgermeister des Städtleins erbat sich untertäniglich die Erlaubnis, eine Rede auf den berühmten Gast zu halten. Doch schon nach wenigen Worten verrannte er sich in eine umständliche Redewendung, suchte sich herauszufitzen, sah sich hilflos um und verunglückte neuerdings in einer Redeblüte. Darauf setzte er sich mit dem Seufzer: »Jetzt kann ich nimmer weiter!« trostlos nieder und ließ einen himmelhoch sich versteigenden, geräuschvollen Tusch die Ehrung vollenden.

Da sprang Herr von Weber auf einen Stuhl, klopfte dreimal an einen Triangel und begann: »Meine lieben Waldräuber! Ihr teuren Spitzbuben! Ihr herrliche Rotte der Streicher und Bläser und Paukenwirbler! Auslese des gottgesegneten Musikantenwinkels! Die ich einst für hämische Meuchelhunde gehalten und an den lichten Galgen und in den Rabenkropf hinein verwünscht habe, heute grüße ich euch als herzliche Zunftgenossen und danke euch für das Fest, das ihr mir bereitet habet! Freunde! Feste sollen Krönungen sein. Aber ich frage mich, ist mein Werk, das ihr jetzt in mir ehret, der Krone wert? Lasst mich demütig sein! Ihr wisst, was geschehen ist. Nicht der fahle Gottseibeiuns hat wider mich geschnaubt. Nein, ein himmlischer Sturm hat eingegriffen. Gott selber hat mir das Werk genommen, zürnend in der Sturmsäule hat er sich geoffenbart und mir gesagt, wie gering ich sei. Das Höchste, das auch über den Göttern hängt, ist das Schicksal. Das Schicksal hat gegen mein Werk entschieden. Noch höre ich den bestürmten Baum brausen, aufsteigen und stürzen. Verflogen sind die Blätter, verspreut in alle Winde, sie schwimmen in fernen Bächen, flattern in den Asten, lösen sich in nie besuchter Waldesfeuchte auf. Nicht zum zweiten Mal schreibe ich dieses Vorspiel nieder. Denn ich fürchte Gott. Wohl weiß ich, dass es gut gewesen ist, und ich sehe es nach manchen Versuchen, die ich gerne auslöschte aus meinem Schaffen, als den wahren Erstling meiner Kunst an. Die Erstgeburt ist nun geopfert. Wahrlich, ich müsste lügen, wollte ich meinen großen Schmerz darüber leugnen. Der Meißler Michelangelo formte ein herrliches Gebilde aus Schnee: ein Sinnbild all seines Tuns ohne Glaube und Heil. Ich aber glaube an mich und an die Welt. Ich glaube an mich, denn in diesen Tagen habe ich mich wie einen Erzschacht durchgraben und reich befunden. Ich glaube an mein Werk, das noch selig in der Unerschaffenheit träumt. Eine neue Kunst sehe ich erblühen. Eine deutsche Kunst! Weg mit dem wollüstigen, weichlichen, welschen Klingklang! Weg mit dem spielerischen Zierwerk, mit Griechentümelei, mit Trillerweibern und Hämlingen und anderem Gerümpel! Allzu sehr lieben wir Deutschen das, was nicht unseres Wesens ist! Ist diese deutsche Verbuhltheit in fremde Art die Torheit eines alternden Volkes? Nein, Deutschland ist jung, und aus seiner eigenen Tiefe steige seine künftige Musik. Fortan schöpfe der Meister fröhlich aus den Quellbächen unserer Berge, aus dem einfältigen Tanz der Bauern, aus dem Lied des Jägers,! Von der singenden Magd am Dorfbrunn lerne er! Er lausche in das Dämmer der Wildnis, in die Schauer der Sage, in das Herz des Volkes! Er schreite hinaus aus dem verzärtelten, verkünstelten Garten in den wilden, gottentsprungenen Wald, in das Abenteuer, ins Ungewisse, in das Zwielicht, darin die verleugneten Geister sich erheben! – Dann sinkt die Krönung auf seine Kunst! – Waldräuber, ich kehre aus euerm traulichen Kreis, aus diesem gastlichen Schloss in die Welt zurück, wo das Gezüngel der Neider, das Geschrill der Spötter, die Lästerung der Abgönner und Verständnislosen wohnt. Das, was mir hier der Sturm entrissen, ist nur ein Vorspiel gewesen. Ich schwöre euch, ihr sollt von mir hören!«

Als Weber so hochgemut endete, lichtete sich sein Auge, und ein herrlicher Strahl schoss heraus.

Der Freiherr umarmte ihn heftig. »Meister«, rief er, »heiligem Sturm sind wir heute begegnet. Was da gestaltlos und dennoch streng gestaltet uns beglückt hat, was sich da so hart gezügelt und so verschwenderisch vergeudet hat, was wie eine stolze Blume unserer Landschaft da entblüht ist, vertraut und verwandt, – o deutsche Musik, heute erst erfühle ich, was nur du allein bist: Seele! Wir haben deine Größe heute erfahren, Meister! Wir ahnen: dir rauscht das edle Laub des Lorbeers!«

»Hoch! Hoch Weber!« riefen da die Geiger und die Pfeifer, rief der Posauner, der Paukner, der Waldhornist, riefen all die redlichen Spielleute und hoben die Waffen wie zum heiligen Streit. Sie umdrängten ihn ehrfürchtig und berührten seine Hände, sein Gewand.

Er trat hastig an das Fenster. Draußen war die gestirnte Nacht, die Schaubühne der Endlosigkeit, und blickte ihn an.

In diesem Getümmel kehrte sich der Freiherr an die Sängerin: »Karoline, auch mir nimmt das Schicksal etwas Köstliches. Oh, wäre ich so weise wie der, den Sie lieben! Denken Sie an mich mit aller Nachsicht, die ein Mensch braucht!«

Dann nahm er Herrn von Weber herzlich beim Arm. »Ich habe mich viel an Ihnen vergangen. Verzeihen Sie mir!«

»Wenn ich glücklich bin, will ich mich Ihrer erinnern.«

»Und morgen reisen Sie und Karoline von hier?! Oh, würde es doch nimmer morgen!« sagte der Freiherr.

»Was wissen wir von morgen?!« lächelte Weber. »Es ist ein märchenhaftes Ungewiss um uns.«

»Und vielleicht führt uns das heitere Stegreifspiel des Lebens wieder zusammen!« tröstete Karoline.

Der Schlossherr zuckte die Achsel.

»Lassen Sie mir Ihr Stammbuch holen!« bat Weber. »Nun weiß ich den rechten Reim für uns beide.«

Und der Kapellmeister schrieb hinein:

»Der Herrgott über mir,
der Teufel unter mir,
ich reise als der dritte
fröhlich in der Mitte!«

Karoline Brandt erhielt zum Abschied von dem Freiherrn ein mit Samt ausgeschlagenes Perlmutterschränklein, darein eine goldene Schere und ein goldener Fingerhut gebettet waren, die künftige Hausfrau an ihr Amt zu erinnern. Dem Künstler schenkte er eine Mandoline, deren Leib aus dem perlmutternen Gehäuse einer köstlich verzierten Irismuschel bestand.

Doch übte er auch heitere Rache, indem er die drei Fräulein Vox angelica, Vox coelestis und Unda maris zu Ehrenjungfrauen bestellte, und sie brachten einen üppigen Blumenkranz, darein der Kapellmeister treten musste, und er wurde nun gefangen in dem Kranz von den Geleitsfräulein durch die Stadt geführt. Es war in der schönen Jahreszeit, wo die Sommersprossen rötlicher und kräftiger im Gesicht sprießen, und die drei waren nicht mehr die Jüngsten, und sie weideten sich an dem wehrlosen Gefangenen mit allem Feuer ihrer verliebten Blicke. Er trug seine Haft mit Würde. Also wurde er, begleitet vom Volke, zu dem Ehrenpförtlein gebracht, das Ignaz Züngenhorn noch eilends mit Stangen, Reisig und Feldblumen am Ausgang des Ortes errichtet und mit einer vergoldeten Leier geziert hatte, die der Kunstfertige selber aus Pappendeckel geschnitten hatte.

Und der Pfarrturm ehrte den scheidenden Meister mit seinem vollen Geläute: da redete die Muttergottesglocke, da schwätzte süß das Magdalenlein, da summte tief der heilige Peter. Und plötzlich verstummte das Bimbam, und aus dem Turmloch stießen vier Jagdhörner hervor und grüßten mit einer herzhaften Fanfare. Das war der letzte Gruß des Freiherrn.

Auf einer steinernen Brücke nahmen sie Abschied. Der Meister und die Sängerin stiegen in den kürbisgelben Wagen. Die drei glorreichen Jungfern sangen:

»Ach Scheiden, ach Meiden, du schneidendes Schwert, hast mir mein jungfrisches Herze versehrt.«

Ein Mautbaum hob sich, Räder rollten. Tücher winkten lange.

Die Landschaft mit ihren Bergen und Hügeln und Tälern lag wie von Gott wollüstig geknetet und geformt. Die Wiesen schäumten von Farben, schwer und schnittreif neigte sich das Korn. In der Luft schwebte es wie Regenbogenstaub. Der Himmel überströmte vor Licht, der Abgrund strahlte.

»Nach Prag, nach Prag«, sang Karoline, »und dann weiter und weiter! Unser Schifflein fährt.«

Ein schwarzsamtener Falter wurde durch die Luft in den Wagen hereingeworfen und blieb an ihrer Brust haften.

Der Kapellmeister küsste ihr die Hand und schaute dann in die schicksalbergende Ferne. »Unser Schifflein fährt«, sagte er, »und der Strom, der uns trägt, wird zu blauer Luft, zu Traum. Ich stehe in der Landschaft deines Lächelns, Karoline, ein glücklicher Mensch. Besonnt mich, ihr heiteren Augen! Leuchtet mir, ehe mich die Schatten des dunkeln Tales bedecken!«

Aus Todesahnung schlug sein Herz launisch in Freude um. Er sah die Welt vor sich, den lieblichen

Schauplatz der Sonne. Er sah die Welt in ihrem wundersamen Wechsel, ein ewiges Kranzgewinde. Er fühlte das Ein- und Aus zahlen, das Schenken und das Erfassen. Und der Himmel war wie ni silbernen Saiten bespannt, und die Erde stieg aus ihrem eigenen Schoß wie eine Lerche auf und klang.

O Leben, du ruhelose Seligkeit! O Leben, Leben, du äußerste Gnade!

Und in holder Angst umarmte der Kapellmeister plötzlich die Geliebte und rief: »Entschwinde mir nicht! Verwandle dich nicht in einen Lorbeerbaum!«

*


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