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Zweites Buch.
Der Sucher

 

Vielen Menschen forschte Altdorfer in die unerforschlichen Augen. Er wanderte weit.

Als er hernach sich in Regensburg niederließ, schuf er für den großen Druckerherrn Johannes Amerbach zu Basel Kupferstiche und Holzschnitte kleinen Maßstabes, er grub mit dem Stichel oder schnitt Heilige, die im Schwang waren, oder ahmte italienische Bildlein nach, die ihm der Zufall in die Hände spielte und die ihm bewegter und sinnlich heiterer schienen, als was an Oberlieferung in der deutschen Heimat zu finden war.

Anfangs wohnte er bei Berthold Furthmayr. Es war kein behagliches Hausen dort. Der Eidam Hennesperg, ein missgünstiger, trockener Gesell, quälte den jungen Menschen, eifersüchtig fürchtete er, er werde ihm den Rest des kargen Verdienstes wegfischen. Judith war verheiratet. Der Meister selber war elend und verschuldet und nimmer fähig, mit den heftig zitternden Fingern seine kaum noch begehrte Kunst zu üben. Er tat nichts mehr als mit dem zahnlosen Mund über seine Armut zu jammern.

Immer wieder sagte er: »Die Kunst hungert und friert. Der Kaiser kümmert sich zu wenig um sie, er zigeunert in der Welt herum und vergeudet seine paar Taler im Krieg. Die reichen Fugger lassen Schnee aus dem hohen Gebirg nach Augsburg schaffen, dass sie im Sommer können Schlitten fahren; aber uns Künstlern gönnen sie keinen Verdienst. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass ich bald ohne Schmerzen sterbe.«

Der Alte greinte und krittelte, wenn ihm ein Blatt seines Taufkindes zu Händen kam. »Deine Bilddrucke, Brecht, sind zaghaft und dünn. Üb dich fleißiger! Du bist genau. Das ist deine einzige Tugend.«

»Wir freuen uns deinetwegen, Brecht, dass du nit noch malst«, pflegte dann Hennesperg hämisch hinzuzufügen.

»Ich bin ein alter, ausgeschaffter Mann!« grämte sich der Meister. »Das Schmalz in mir ist verdorrt. Wär ich etwas anderes worden als ein Briefmaler, ich stünd heut reich und gesund und glücklich da. Was hab ich gewonnen an Gut? Und hab doch so Wunderbares geleistet? Schaut in den Büchern nach!«

Sein schwindendes Kinn bebte, er beherrschte seinen Mund nimmer und nimmer die matten, fortwährend Augen, nimmer den Atem im Hals; »Der Knauser, der Hennesperg, gönnt mir nichts«, hüstelte er. »Wie undankbar ist die Welt! Wie undankbar ist Regensburg!«

Er zuckte zusammen, wenn es drunten ans Tor klopfte. »Ist es der Pranthaler? Der Uberto? Der Mosche Jud? Ich bin vielen schuldig.« Und er rüttelte Altdorfer mit seiner müden Kraft. »Geh hinunter und sag dem Geizhals, der alte Furthmayr ist nit daheim. Sag ihm, ich sei gestorben. Verhungert!«

Altdorfer hielt sich in den freien Stunden, die ihm sein Werk erlaubte, in der Bauhütte Wolfgang Roritzers auf. Der stolze Dommeister hatte zu ihm eine ahnungsvolle Zuneigung gefasst. Er hätte den jungen Mann gern in seine zuchtvolle Schulung genommen, wenn dieser nicht auf Betreiben seines Paten abgelehnt hätte. Furthmayr meinte, vom Steinwerk würden die Hände steinern und taugten nimmer zu dem feinen Geschäft des Zeichnens.

Dennoch drang Altdorfer tief in die Geheimnisse der Bauhütte ein, fasste die Lehren der Mess- und Reißkunst leicht auf und wusste bald, wie man mit dem Zirkel den Stein einteilte und mit dem Meißel gotisches Gezierde, Maßwerk, Fiale, Krabbe, Pfeilerhaupt und Wimperg aus dem ungestalten Sandstein schlug, wie jede einzelne Quader genau berechnet und behauen werden musste, dass sie in der Gemeinschaft der anderen klug sich füge zum Hochbau, und er lernte, wie Richtblei und Wasserwaage gehandhabt werden müssen, dass der Bau unerschütterlich in seinem Grunde stehe.

Eines Abends schritt Altdorfer mit Wolfgang Roritzer durch den Dom.

Der Raum mit dem weihevollen, geheimnisvoll abgeschlossenen Chor, dem hohen Wuchs der gebündelten Pfeiler, den strengen Arkaden, dem steinernen Hochaltar mit den schlanken, sich verjüngenden Türmlein, alles hing in wunderbarem Dämmerschein. Gleich schroffem Fels baute es sich auf, der Stein überwand die Schwere in sich und schoss beflügelt auf und riss das Herz Altdorfers mit sich in Sehnsucht nach dem, was droben über dem Irdischen verborgen schwebt.

Wie die Fenster selig glommen! Können solche Farben nur im durchleuchteten Glas blühen? Nur mit Hilfe des durchscheinenden Lichtes? Nicht auf einer hölzernen Tafel?

Plötzlich war es Altdorfer, als webe um ihn der Atem eines tiefen Waldes; im Kreuzgewölbe droben raunten Geister, rausche es wie belebtes Laub und Sturz junger Ströme, und er glaubte, nun müssten aus den Pfeilern grüne Äste schlagen und Laub grünen und Vögel darin singen und im heiligen Zwielicht Rehe wandeln.

Roritzer mochte dasselbe fühlen, was jetzt Altdorfer so heftig bewegte, denn er sagte: »Wir Deutschen kommen aus dem Wald. Darum soll unsere Kunst waldhaft sein und nit anders.«

»Wie lange baut man an dem Dom, Meister?«

»Weit über zweihundert Jahre ist es her, seit Leo der Thundorfer, der Nachfolger Albertus des Großen, den Bau begonnen. ›Not und Angst!‹ hat sein Fluch gelautet. ›Not und Angst!‹ würde er schreien, wenn er aus seiner Gruft stiege und sähe, dass sein Dom immer noch ohne Wipfel ist.« .

»Auch der Eichwald wächst langsam, Meister.«

»Aber ich ahne, dieser Dom wächst nimmer. Ich hab das dritte Geschoss des Nordturmes erbaut. Dann ist es, aus gewesen. Jetzt muss ich mich an kleine Dinge verlieren, an Zierat, an Brunn und Sakramentshäuslein, und möcht doch das Getürm gegen den Himmel treiben.«

»Meint Ihr, wer kleine Gebilde forme, dem bleibe auch die Seele klein?« fragte Altdorfer nachdenklich und über sich selber trauernd.

Dem eigenen Schicksal zugekehrt, überhörte Roritzer diese Frage. »Oh, dass der Bau eines Domes nit in der Gewalt eines einzigen Meisters, nit in der Frist eines einzigen Lebens liegt! Geschlecht um Geschlecht, Jahrhundert um Jahrhundert muss einander ablösen, Mauern, Pfeiler, Gurten, Wölbung und Turm aufzurichten, die heiligen Gestalten auf die Simse zu stellen, die Altäre zu bauen, das bemalte Glas ins Fenster zu fügen.«

»Das ist gefährlich«, meinte Altdorfer. »Denn jeder Meister will anders bauen.«

»Die Bauhütte wahrt die Einheit des Domes, den Zusammenhang des Baues. In der Bauhütte reicht der verschollene Meister, der den Grundstein gelegt hat, dem letzten, der den Goldhahn abschließend auf die Spitze des Turmes pflanzt, die Hand. Die Kunst muss überliefert werden, und nur vorsichtig darf die Erfahrung weitertasten, auf dass der Geist der Alten sichtbar bleibe. Der ganze Bau muss aus demselben Schöpferwillen steigen, nicht dürfen Fetzen aneinander geflickt werden. Die gläubige Innung der Steinmetze schafft und meißelt und altert an demselben Werk, schluckt Staub und Splitter und stirbt ab und verjüngt sich wieder in den Gesellen. Die Bauhütte belauscht die Jahrhunderte entlang den wachsenden Dom, sie wird seines Sinnes immer tiefer inne, seiner Form immer gewisser, die er seit urher verlangt hat, da seine Quadern noch traumlos geschlafen haben im Felsberg.«

»Wird aber nicht eine andere Baukunst die Euere überwinden und verdrängen, Meister?«

»Wer hat dir den listigen Gedanken eingeblasen? Uberto? Wie betrüglich singt dieser Lockvogel! Trau du dem Welschen! Fremde wollen uns aufzwingen, was unserm Wesen nit angemessen ist.«

»Aber das Schottentor?« sagte Altdorfer. »Die Art seines Baues ist auch von einer anderen verdrängt worden. Weicht im Leben nit eines dem andern?« Er dachte an die Bilder der verderblichen Ungeheuer dieser Pforte, an die erhabene, strenge Kunst, die sich um die Wahrheit der Natur nicht kümmerte.

»Was wir bauen, ist dem Menschen näher als jene Rundkunst. Dort ist der Mensch unter Ungetümen gewandelt. Bei uns darf er sich daheim fühlen im Menschlichen.«

Als Altdorfer tags darauf an den morschen Lehnstuhl trat, darin der kränkelnde Furthmayr ruhte, sagte dieser: »Du kommst zu unbequemer Zeit. Ich sterbe eben.«

»Scherzt nit, lieber Pate!«

»Geist und Witz sind verzündelt. Ich hab mich allzu lange überlebt. Mach mir das nit nach, Brecht! Und mag dein Glück besser grünen als das meine!«

»Was soll ich tun?« fragte der Jüngling ratlos.

»Ehre das Kleine!« flüsterte Furthmayr.

Im Flur drunten hallte es, der Hammer pochte draußen dreimal ans Tor.

»Jetzt holt mich der Tod«, hauchte Furthmayr. »Geh, Brecht, tu ihm freundlich auf! Und – er soll mich nit gar zu wild – anpacken!«

Doch schon rief Hennesperg zur Tür herein: »Der Jud Mosche ist da und begehrt sein Geld.«

Furthmayr kehrte sich stumm zur Wand.

Nach einer Weile suchte Hennesperger Altdorfer in seiner Kammer auf. »Der Alte beißt kein Brot nimmer«, sagte er. Er dachte wohl dabei an das trockene Stücklein Gnadenbrot, das er in den letzten Jahren dem Schwiegervater gewährt hatte.

»Ich will mir eine andere Herberg suchen«, sagte Altdorfer leise.

Hennesperg erwiderte: »Da tust du recht. «

 

Der Dommeister nahm den jungen Freund in sein stolzes Haus in der Malergasse auf. Er lebte einsam: seine Frau Kunigund war jüngst gestorben, mit seinem Sohn Dionys hatte er sich zerworfen. Und so schenkte er Altdorfer alle Liebe, die das eigene Kind nicht zu schätzen wusste.

Altdorfer beobachtete nun oft, wie die Steinmetzen, auf einbeinigen Stühlen sitzend, zirkelten und maßen und meißelten, er ging im Dom ein und aus und las die neben dem Nordtürlein in die Wand gerissene Schrift: »HIE LEIT GERTRUD« und fragte derer Sinn nach.

Als er einmal zuschaute, wie die Steinbilder Christi und der Samariterin auf den mit Kette und schwerfälliger Rolle versehenen Brunnen im Dom hinauf gestellt wurden, fragte ihn Roritzer: »Wie gefällt dir mein Ziehbrunn?«

Statt aller Antwort zeichnete Altdorfer mit der Fußspitze in den Steinstaub des Estrichs die Form eines geschwungenen Beckens.

Der Dommeister verwischte die Zeichnung und grollte: »Nein! Das passt eher in ein welsches Tanzhaus.«

»Der Brunn sollte in der Mitte der Kirche stehen«, meinte Altdorfer. »In seiner breiten Schale, die das hochspringende, lebendige Wasser auffängt, sollten die Kinder Regensburgs getauft werden!«

»Und es plätschert Tag und Nacht im Dom«, spottete Roritzer grimmig. »Ein springend Taufwasser! Was sagen die Pfaffen dazu, du dummes Ketzerlein?!«

Den Dom umwandelnd, wie es der Meister täglich zu halten pflegte, blickte er unwillig zu den unfertigen Türmen empor.

»Das Leben gefällt mir nimmer«, sagte er. »Mönch und Schulmeister drücken das deutsche Wort nieder und wollen es schier ausrotten, als ob es sündig und schändlich wär. Und landfremdes Recht nistet sich bei uns ein. Alles soll werden wie in Rom und bei den Griechen. Was Gott in Deutschland selber grünen lässt, wird plump gescholten und verstoßen. Und drum will auch Regensburg nichts mehr aufwenden für meinen Dom. Gibt es ein edleres Werk zwischen Donau und Alpen?« rief er, und auf die Prunkpforte deutend, wandte er sich an die unsichtbaren Gegner. »Macht uns das nach, ihr Herren!«

Trauernd setzte er fort: »Welschland stößt mit seiner spielenden Kunst in deutsches Land. Die Wackersten unter uns werden irr, und ist doch die welsche Kunst hohl und gleißend von Weltlust und darum gegen Gott gewandt. Albrecht, hüt dich davor! Und bleib treu!«

Damals warf Altdorfer den Gulden, den sein Vater der Stadt Regensburg geschuldet hatte, in den Stock, der die Opfer zur Fortführung des Dombaues aufnahm, und er glaubte, das Vermächtnis so am besten erfüllt zu haben.

 

Sie saßen daheim in einem wuchtig getäfelten, wölbigen Gemach mit breitspurigen Schränken und Schildereien und im matten Grau schimmerndem Zinn an den Wanden. Eine Ampel aus Hirschgehörn brannte. Auf einer Tafel waren die vier gekrönten Steinmetzen abgebildet, die unter dem Römer. Diokletian zu Tod gemartert worden waren und nun in den Bauhütten an der ostbairischen Donau als Schirmherren geehrt wurden.

Wolfgang Roritzer hatte sich heute wegen seines starken Blutes zur Ader lassen, er war matt und verdrossen, zumal er sich wieder mit Dionys zerstritten hatte.

»Mir ist leid, dass du kein Steinmetz wirst, Albrecht«, sagte er. »Die Baukunst ist das edelste Werk auf Erden. Alles vergeht, aber festes Gebäu währt bis zum Jüngsten Tag.«

In sehnsüchtiger Liebe sah er den jungen Mann an, der mit klargeformter Stirn, mit leise gekringeltem, hellem Haar und mit Augen, die forschend und mit geheimem Tiefsinn leuchteten, bei ihm an dem Ahorntisch saß.

»O dass du nit mein Sohn bist! Du bist gläubig, und alle guten Keime ahne ich in dir. Dein Fleiß ist zäh, dein Wille wird einmal hart sein wie bester Stein. Ach, mit mir reißt die Kette der Roritzer ab!«

»Ist doch noch Dionys da«, wandte Altdorfer ein.

Roritzer wehrte verächtlich ab. »Vor mir mein Bruder Mathäus, ein gelehrter Mann, der hat gebaut an dem Nordturm; vor ihm ist gewesen mein Vater Kunrat, der vorgestanden der Straßburger Hütte und dort vollendet hat den Münsterturm; und vor Kunrat ist sein Vater Wenzel Roritzer Dommeister allhier gewesen. Von Osten her ist unser turmfreudiges Geschlecht gekommen, ein Ahne hat zu Prag in die Wände der Kapelle des heiligen Wenzel die Edelsteine eingesetzt. Das Blut der Parler lebt in uns. Mit mir stirbt es ab.«

Er legte die Stirn schwer auf den Tisch und trauerte. »Weh dem Mann, der keinen guten Sohn hat!«

»Weißt du, was Dionys mir heut gesagt hat?« zürnte er dann auf. »Er hat gesagt, was jetzt gebaut sei, das genüge, und der Dom bedürfe überhaupt keiner Türme.«

Wolfgang Roritzer saß da, ein verfallener, gebrochener Mann. »Ich werde den Dom nit vollendet sehen, und du, Albrecht, auch du nit. Deine Enkel erst. Nach hundert Jahren oder noch viel länger! Ach, dass die Türme nit von sich selber hochwachsen wie die Tannen!«

Er schlug jäh in den Tisch. »Der Ungönner und Feinde hab ich genug, des Unverständnisses wird immer mehr. Dass aber mein eigen Fleisch und Blut sich wider mich setzt, das ertrag ich kaum.«

 

Unter dem Vorwand, ein Niello zu kaufen, begab sich Altdorfer zu dem Althändler Uberto Vistosi in dessen Haus am Römling. Er wollte den Mann kennenlernen, der neben den Juden seinen Vater, ihm den Schuldturm androhend, aus Regensburg verscheucht hatte, jenen Sonderling, den Wolfgang Roritzer sprühend hasste und der alles vertrat, was der leidenschaftliche Dommeister verstieß.

In dem Flur, der wie eine Plunderkammer eine Fülle wirrer Dinge barg, empfing der Alte ihn, sich in hündischer Höflichkeit vor ihm verneigend, in dem sorgfältig gekleideten jungen Mann einen reichen Käufer witternd. Er war noch buckliger, noch hässlicher geworden.

Altdorfer sah sich sogleich nach der herrlichen, weißen Göttin um, der er als Knabe einst in verworrener Begeisterung die Zehe geküsst hatte. Sie war nimmer da. Dafür aber leuchtete ein zauberhaft schöner Marmorkopf von einem Kasten nieder.

»Wie diene ich Euch?« fragte Uberto unterwürfig und dabei zu dem Kern des Besuches vorstoßend.

»Ein Niello will ich. Ich bin Albrecht, der Sohn des Buchmalers Ulrich Altdorfer.«

Der Welsche erinnerte sich sofort. Er rieb sich kichernd die Hände, und sein Ton schlug in kecke Vertraulichkeit um. »He, du willst wohl die Schulden deines Vaters mir endlich bezahlen? Was treibt er? Ist er reich worden, der Habenichts? Oder ist er schon zu Staub gefahren?«

Altdorfer schaute verzaubert das lockige, in leichter Schwermut etwas seitlich geneigte Marmorhaupt an. Herrlich war der starre, ungebrochene Götterblick in den weiten, leeren, toten Augen, der wie ins Ewige verloren starrte. Welch edle Blindheit! Welch seherische Blindheit!

»Woher habt Ihr diesen Kopf?«

»Vom Ritter Sattelpogner. Vielleicht ist es Raubgut. Was schert es mich? Ich hab ihn redlich gekauft«, sagte der Welsche leichthin. »Du möchtest ihn haben? Er ist für dich nicht feil, und wenn du mir dein Lebtag als Sklave dienen und mir deine weiße Seele selber dafür geben wolltest.«

Mit den hässlich gekrümmten Fingern strich er verliebt über den Marmor. »Ist es der Knabe Idolino? Ist es der junge König Alessandro? Er stammt aus dem Zeitring der Griechen. Götter altern und sterben. Ein Kunstwerk aber nicht.« Er lachte gell auf, nickte mit dem zerzausten Uhukopf und klatschte sich kindisch übermütig auf das Knie. »Und wenn die Götter tausend Jahre tot gewesen, leben sie wieder auf und ergreifen wieder die Zügel der Welt.«

Er lauerte durch die glimmende Hornbrille Altdorfer an und drehte dabei seinen edelsteinbesetzten Daumenring. Es war alles befremdlich an ihm, wie denn auch der Verlauf seines Lebens ziemlich verborgen war. Er hatte eine sturzhaft dahin purzelnde, stets aufgeregte Art zu sprechen, und er redete deutsch ebenso gewandt und schnell, wie er seine Muttersprache meistern mochte.

»Albretto, wie schön mögen der Rumpf und die Glieder dieses Gottes gewesen sein, den die verdammten Barbaren enthauptet haben! Lern die alte Kunst kennen, Freund! Du willst ja Malerwerden wie dein liederlicher Vater.«

»Woher wisst Ihr das?« wunderte sich Altdorfer. - »Von Furthmayr?«

Der Venezianer zuckte die schiefe Achsel. »Gleichviel! Doch wer Schönes schaffen will, muss erst das Schöne schauen und das unvergleichliche Land, darin es am besten gedeiht.«

»Kommt die Kunst von außen?«

»Durch die Augen! Durch die Augen! Nicht von innen!« rief Uberto beschwörerisch und stelzte dabei in seinem verwitterten gelbgraugrünen Wams mit den dürren Armen. spukhaft fuchtelnd auf und ab. »Du hast noch nie eine Palme, noch nie den Lorbeerbaum geschaut, noch nie! das Meer mit dem hellblauen Wasser, noch nie die verwaiste Marmorsäule, deren Haupt, geschmückt mit dem heiligen Distelblatt im Abend glüht.«

»Ich werde auch nie einen Engel sehen und ihn dennoch zeichnen«, lächelte Altdorfer nicht ohne Spott.

»Geh, du höhnischer Mund, und tritt mir nimmer ins Haus!« schrie da der Welsche. »Du bist nicht der rechte Sohn Ulrichs. Ulrich, mein Freund, ob er mir auch seine Schulden nie bezahlt hat, er hat ein Herz getragen, empfindlich wie der Stein Adular, der schön unter den kühlen Strahlen des Mondes schmilzt. Du aber bist ein Hundesohn! Komm nimmer und verdirb!«

Betreten über den maßlosen Ausbruch des Buckligen verließ Altdorfer den Flur.

Als er aber bald hernach wieder durch den Römling ging, im Köcher seine Bilddrucke, stürzte Uberto, als habe er die ganze Zeit gelauert, aus seinem Tor auf ihn los wie ein Brigant und zerrte den befremdet Widerstrebenden rücksichtslos in sein Haus.

»Was wollt Ihr noch, Uberto? Ihr habt mich beschimpft und vertrieben!«

»Nur aus Liebe, mein Söhnlein, aus reiner Liebe!«

»Lasst mich! Ich bin nit reich genug, Euch den Marmelkopf abzukaufen.«

»Das tut nichts. Aber ich muss jemand haben, dem ich von Italia erzähle. Ich weiß, Albretto, du lachst mich alten Narren nicht aus.«

Sie gelangten in eine kahle, düsterliche Stube, die eine gewaltige Truhe barg. Auf dem Tisch stand ein bronzener Merkurius mit geflügeltem Stülphut und Schlangenstab, die beschwingte Ferse gehoben. Daneben hatte Uberto, seinem Geiz zum Trotz, auf breitem Zinn goldene Südfrüchte und Feigen vorbereitet und ein Glas schweren Weines.

»Albretto«, begann der Welsche, »nicht umsonst wohnst du bei Wolf Roritzer. Du zeichnest Risse von Domen und Kaiserpfalzen und träumst davon. Ich weiß es. Wer aber hübsch träumen will, der muss ein Vorbild geschaut haben. Hast du je eine schöne Stadt gesehen?«

»Ja. Amberg. Und vor allem unser Regensburg.«

»Pfui! Diese wüsten Nester?! Diese Orte, eng und dumpf, ohne Heiterkeit! Wo die Leute auf grauen Türmen hausen, der Heimat der krächzenden Dohlen! Kaum dass ein Endlein Himmel durch den Mauerschlitz in ihre Kammer dringt! Auf kreischenden, halsbrecherischen Stiegen steigen sie hinauf, kommen ohne Kraft, ohne Atem droben in der Stube an. Alles treibt dieses unwirtliche Land in raue, beschwerliche Höhe hinauf. Ja, wenn die Menschen hier Flügel hätten! Aber in Welschland, Albretto, dort baut man geräumig und licht und die Fenster weit, und die neuen Treppen fallen breiter und sanfter nieder zum Meer. Wie plump ist die bairische Burg! Wie anmutig der Palazzo!«

»Mir gefällt Deutschland, wie es ist«, erwiderte Altdorfer. »Doch warum lebt Ihr nit weiträumig und hell und fürstlich? Wie trüb ist diese Stube!«

»Warum? Kann man in Regensburg ein breites Schloss bauen? Einreißen sollte man die Stadt ganz und gar! Und dann: ich bin sehr arm!« Argwöhnisch setzte er sich auf die riesige, eisenbeschlagene Truhe, als fühle er die Ersparnisse und die Edelsteine drin plötzlich vor dem Gast nicht mehr sicher.

»Nach Italia musst du fahren, Albretto. Dort ist die wahre Kunst. Hast du nie ein Bild Mantegnas gesehen?«

Altdorfer, träumerisch in den erzenen Merkurius vertieft, begann wie in einer Zwiesprache mit sich selber: »Und doch sind diese Götter abgedankt worden, wie schön und stark sie auch gewesen!«

»Die Törichten!« schalt der Venezianer. »Allzu viel haben sie sich mit den Irdischen gemein gemacht. Aber jetzt schweben sie wieder aus dem Orkus auf. Die Erde Italias gibt die versunkenen Gestalten, die sie tausend Jahre in ihrem Dunkel treu bewahrt hat, der staunenden Menschheit wieder; die ewige, von Unholden einst verschüttete Marmorwelt taucht wieder auf und befruchtet unsere Zeit. Schon herrschen verjüngt die alten Götter im Südland. Schon warten sie vor den Alpen und rüsten sich zum Übergang. Nein! Sie haben sie schon leicht und leuchtend überflogen!« Gleich einem bannenden Zauberer hob Uberto die Arme. »Albretto, du musst das Land der Götter erfahren! Venezia, das Meerwunder! Wie eine entfaltete Seerose schwebt es auf strahlendem Wasser, perlenfarben schimmert das Meer, das Schiff des Dogen schwelgt mit goldenen Segeln! Albretto, geh hin und lerne dort!«

Er tat mit der leeren Hand eine Gebärde, als verschenke er ein unsichtbares Kleinod.

Altdorfer atmete tief und sehnsüchtig. Dann sagte er kurz: »Ich bleib bei Wolf Roritzer.«

Uberto rang die mageren Hände ineinander. »Der Roritzer! Der Teufel, soll ihm alle steinernen Kreuzrosen vom Dom brechen! Ihr Deutschen mit euern fratzenhaften Kirchen! Lauter grässliche Drachen lümmeln auf den Dächern! Und Schwulst über Schwulst! Eure Hände sind unbeholfen, eure Augen kindisch, langsam ist euer Herz! Und du? Du wirst ein Maler. Wohin wirst du deine Bilder hängen? Eure Kirchen haben keine Wände, nur Pfeiler, nur Fenster, alles ist durchbrochen. Wohin, du Esel, hängst du einmal die Bilder? Die deutschen Maler gehen zugrund. Furthmayr ist verhungert! Dein Vater ist verhungert!«

»Die Altäre bleiben uns, sie halten uns harrend die Flügel hin«, erwiderte Altdorfer still. »Doch, was auch immer Ihr da an einleuchtenden Dingen vorbringet, – wie kann uns Deutschen frommen, was aus dem Schoß der Fremde dringt?«

»Dünkt euch wahres und göttliches Menschentum fremd? Und wenn etwas davon euch fremd scheint, so durchtränket es mit euerm Wesen und fasst es neu in eurer Art! Welch ein Ausweg aus eurer Versteinerung! Die Welt ist der gewohnten Formen satt, sie drängt nach Wechsel. Sie lebt nur, wenn sie sich wandelt.«

»Wer sich allzu heftig zum Neuen bekennt, wird er nit untreu sich selber?«

»Ich hab gehört, Wolf Roritzer liebt dich und möchte dich gern als seinen Nachfolger im Dombau sehen, wenn er einmal erlischt. Er verstößt seinen Sohn Dionys, er verstößt seinen Schüler Erhard Heydenreich. Du bist ihm alles. Ich warne dich. Nimm dich nicht des Domes an! Du erbtest damit eine Sache, die vertan ist. Geh deinen besonderen Weg! Bald wird sich keine Seele mehr um diesen nordisch wüsten, verworrenen Dom kümmern, man wird seine Hässlichkeit erkennen. Auch die Deutschen werden Gott anders schauen.«

»Ihr seid gewiss auch nit gern im Wald?« unterbrach Altdorfer lächelnd den in seinem Hass gegen die Nordlandskunst überwallenden Mann.

»Nein, nein, nein, nein! Mir graut davor. Der Wald ist ungeordnet und fremd und nebelhaft. Ich fürchte ihn. Sprich nicht von ihm. Reden wir von dem neuen, blühenden Welschland! Ach, lockt es dich nicht über die Schneeberge? Wie es den deutschen Krieger gelockt hat nach Raub und Rebe und Goldapfel und dunkelm Weib, so soll es dich an sich ziehen mit seinem silbergrünen Laub, mit dem blauen, warmen Meer, mit der steten Sonne.«

So warb Uberto, und ein tiefes Heimweh nach dieser Schönheit sang in Altdorfer verführerisch auf. Aus dem Schutt erhoben sich die Leiber der Götter und funkelten wie vor Jahrtausenden, da der Mensch vollkommener gewesen als jetzt.

Das bewegliche Männlein wies nun neugierig auf den Köcher, und Altdorfer nahm seine treuherzigen Drucke heraus und zeigte sie ihm.

Der Venezianer kräuselte seine faltige Stirn noch mehr, mit dem Handrücken schlug er missbilligend auf ein Blatt. »Das soll Santo Florian sein? Der tölpelige Kopf eines Bauernknechtes! Die groben Lippen! Die steife, täppische Haltung! So schaut ein Liebling Gottes nicht aus. Nein!«

Altdorfer wehrte sich. »Ihr Welschen wünschet das Glatte, Schmiegsame, Gefällige. Das heißt ihr die wahre Kunst. Ruht aber die Kunst nit in der Ehrlichkeit des Künstlers? Und soll ein Bild nur schöne Zier sein? Hat es nit tieferen Zweck?«

»Dir fehlt die Form, Albretto. Warum das ungeschickte, schwülstige Gefältel am Gewand dieser Madonna? Alles ist ungefüg, wenig angenehm. Doch du bist jung und wirst die Gesetze der Form einst wohl begreifen. Form ist alles. Nur durch die Form dringst du in das Wesen der Dinge. Es gibt keinen andern Weg des Blickes.«

»O doch! Den Weg durch die Seele.«

»Deutsches Hirngespinst!« lachte Uberto. »Alle Kunst beruht auf der gefälligen Form.«

»Die Seele ist mir wohl voll Gestalt, doch ich kann sie nit recht greifen«, sagte Altdorfer nachdenklich. »Und die Gesetze der Form, die Ihr so sehr rühmt, können sie mir helfen? Soll mir die Hilfe nit von innen her kommen?«

Er nahm eine Zeichnung aus dem Köcher, die er mit der Feder schwarz und weiß auf blaugrundiertes Papier hingeworfen hatte. Es war ein Kampfbild. Der uralte Seher Elias, hinter sich die strahlenzuckende, dräuende Sonne, im Flammenwagen, von Raben begleitet, stieß den Speer nach dem Endechrist, über dessen Schulter der verzerrte Mond hing. Daneben ein toter Baum mit hängenden Ästen. Tief drunten erbrannte die Erde vom Blut der Gewaltigen.

»Wo hast du solches gesehen?« murmelte der Venezianer. »Es schreckt unheimlich. Es ist der Nordwald, das Nebelgeschehnis.«.

»Ich hab von einem wilden Heldenlied gehört, vom Untergang der Welt. Die Königin Hemma hat es voreinst zu Regensburg in ein Betbuch geschrieben. Das Bild aber hab ich aus mir selber gehoben.«

Uberto Vistosi säumte lange mit seinem Urteil. Er war fassungslos vor dem Neuen, das er in der Zeichnung ahnte. Endlich zwang er es seinem widerstrebenden Herzen ab: »Ich leugne nicht, es ist fast, als sei ein großes Raubtier mit der Pratze zugefahren. Gewiss, du hast die zwei streitenden Riesen verzeichnet! Doch ist etwas dabei, was mich sehr staunen lässt. Albretto, du musst malen! Die Malerei ist die höchste Kunst.«

Und wie besessen packte er den jungen Mann und schüttelte ihn. »Albretto, du wirst rauben, morden, erdolchen, vergiften, aber noch besser wirst du malen!«

 

»Was hörst du auf den Pfefferminzpapst?! Ist dir sein Wesen nit zuwider, Albrecht?« schalt der Dommeister. »Uberto hat seiner Wucherei willen einmal zu Augsburg barfuß um den Dom gehen müssen, den spitzen Judenhut zur Buße auf dem Kopf. Erhard Heydenreich jagt nicht solchen Zweifeln nach wie du. Ich weiß, der Bucklige spottet, in meinem Haus bauten die Mäuse ihre Löcher mit gebrochenen Bogen, und dass ich den Regenbogen spitz knicken würde, wenn mir die Gewalt Gottes gegeben wär. Aber was erstrebt denn er? Sollen wir in Stuben mit gläsernen Wänden wohnen, wo jeder uns belauscht? Hat er keine Scham?«

»Meister Wolfgang, das Herz in mir ist entzweit«, gestand Altdorfer. »Ich bin mir nit gewiss, ob die erneute Kunst der alten Völker nit auch uns zum Heil gerate.«

»Siehst du meinen Dom zweifelnd an?« sagte Roritzer vorwurfsvoll. »Soll ich mit dem Buckligen um deine Seele raufen?«

»Ach, Meister, dass ich Euch kränke! Aber was soll ich tun, dass mein Weg mich – zu mir führe?«

Der Dommeister schickte ihn in den Totenkeller zu Sankt Emmeram.

In dem hocherhabenen Steinbild der Königin Hemma, das ihre Gruft bedeckte, hatte der unbekannte meisterliche Bildner alle Holdseligkeit des Weibes mit der Strenge und Hoheit einer Fürstin vermählt. Roritzer sagte davon, es sei der schönste deutsche Stein.

Hemma hatte mit dem Schwanenkiel ein wildes Gedicht in ihr Betbuch geschrieben: die Mächte Gottes brausen gegen die Harnischer der Hölle und streiten um die Seelen der Toten; Elias ficht in den Lüften mit dem Endechrist, unter dem Tritt der Hünen versinken die Berge, die Welt brennt, und über dem Feuermeer fährt Gott hin zur Richtstatt und schreit sein Urteil über die Lebenden und die Toten. Nach dem Untergang der Schöpfung aber taucht eine neue, stillere, schönere Welt morgenhaft aus dem Meer. Als die Königin die Schrecken des Jüngsten Tages, den sie nahe gewähnt, niedergeschrieben hatte, entsetzte sie sich so ungeheuerlich darüber, dass sie, vom Schlag gerührt, stumm wurde, zwei Jahre, bevor sie ganz in Gottes schwere, tiefe Finsternis einkehrte.

Nun betrachtete Altdorfer die Steinerne. Die Schwinge des Zeitlosen rührte daran. Das Gefältel des dunkelgrünen Mantels und des blauen Unterkleides war edel gebildet, golden schimmerten Krone, Gürtel und Reichsapfel, das faltenlose adelige Antlitz und die schlanken, vornehmen Hände waren von blasser Fleischfarbe. In der gebundenen Gebärde tiefster Schwermut, den Trauerblick in die raumlose, abgründige Ferne der eigenen Seele gesenkt, ruhte der Stein, dessen Urbild, die Gemahlin König Ludwigs des Deutschen, eine unselige Krankheit schrecklich vererbt hatte dem Sohn und dem Enkel.

Wohin ist das Buch, darin gleich dem Widerhall großartigen Heidentums der Streit der Götter und die Weltzerstörung gesungen wird? Aber die Welt überdauert die Götter in steter Verjüngung, eine selige Insel schwimmt sie in die Ewigkeit hinein.

Erhoben und niedergeschmettert von diesem unerreichbaren Werk deutscher Kunst verließ Altdorfer die Gruft.

Doch nachts träumte er, er fliege über grünlichgläserne Bergesgipfel, und in der Tiefe glänze der blaue Schild des Meeres, Wogen hoben sich gegen einen Fels, darauf ragte ein Münster in nie gekanntem, heiterem Prunk, und Palmen rauschten, und fremde, adelige Tiere umkreisten das Gebäude.

Und Wolfgang Roritzer sandte den Freund zu der Nachtuhr in den Garten zu Sankt Emmeram.

Auf schlanker, achteckiger Säule, deren Haupt voll träumerischen Rankenzierates war, auf schmaler Platte vor einer kreisförmigen Scheibe, an deren Rand die Inschrift lief:

SIDEREOS MOTUS RADIO PERCURRIT ORATUS, war die Gestalt eines Jünglings zu sehen, niedergelassen auf das linke Knie, in der Gebärde nächtlicher Sternenschau, die Augen mit der Hand überschattend, sie voll Schauder schützend vor dem Einbruch des Unendlichen, vor der übermächtigen Lichtfülle des Alls wie vor einer übermächtigen, erschütternden Erkenntnis, die ihn in das Knie gezwungen.

Der Abt Wilhelm von Hirsau, ein forschender Mann, der seine Fragen oft steil zu den Gestirnen gesandt hatte, ein Sterndeuter, soll vor Zeiten dieses Mal geformt und die Rückseite der Scheibe mit geheimen Zeichen beschrieben haben.

Hier war alles, was Uberto Vistosi von einem Kunstwerk verlangte: schlichte Klarheit, leichte, schwebende Anmut voll Ebenmaß. Alles, was hier trug, bekrönte oder an Zierat spielte, der ruhende Sockel, die strebende Säule, die Scheibe, der Knier, alles war in ausgeglichenem Verhältnis zueinander, keines das andere bedrängend oder übertäubend, eines das andere adelnd und hebend, eine unsäglich edle Gemeinschaft von Formen, die der sternenwissende Künstler hier vereinigt hatte. Wie wunderbar entrückt war die Gestalt mit ihrer lauschenden, ewigkeitsbangen Gebärde, mit ihrem staunenden Aufblick in den unbegreiflichen Raum vor das Rund der geheimsinnigen Scheibe hingefügt!

»Gleicht das nit meiner Sehnsucht?« fühlte Altdorfer. »Späh nit auch ich hinauf und hinaus, bis ich vor dem tödlichen Reichtum die geblendeten Augen decken muss?«

Zerbrochen an der Schönheit dieses Gebildes kehrte Altdorfer aus dem stillen Mönchsgarten heim und fühlte, dass er nichts war.

 

Uberto Vistosi verkaufte neben altertümlichen Kunstdingen auch Bisam, Ambra, Zibeth und andere Spezereien, istrischen Süßwein, Schmuck und Zierwaffen, er bereitete in seinen Kellern, die zwei Stockwerke tief in die Erde hinab reichten, aus den Säften waldwilder Kräuter Balsam und übte allerlei Zwielichtgeschäfte, so dass redliche Kaufleute den Handel mit ihm mieden. Zuweilen kehrten bei ihm ortsfremde Männer ein, Jakobsbrüder und Walen, und man munkelte, er sei ein Giftkrämer und beherrsche verbotene Kunst. Neben diesem fragwürdigen Leben bestand seine brennende Teilnahme an den bildenden Künsten.

Als er hörte, dass Wolfgang. Roritzer dem jungen Altdorfer das Buch seines Bruders Mathes »Von der Fialen Gerechtigkeit« zu lesen gegeben, zeigte er ihm sogleich die Pläne südländischer Gebäude, die seine Mittelsmänner über die Alpen gebracht hatten, und lieh ihm die berühmte Schrift des Vitruvius »De arc'bitectura«, darin die Bauregeln des alten Rom aufgezeichnet waren. Diese lockten, ihre Gültigkeit wieder zu erproben und sie mit dem Geist und der Tat der neuen Zeit zu erfüllen.

Altdorfer las darin die Stelle von den Verhältnissen des menschlichen Leibes. Er fragte betroffen, ob denn der Mensch auch ein Werk der Baukunst sei, und ob Schönheit sich in Zahlen ausdrücken lasse.

»Ehe Gott die Welt hervorgerufen, hat er erst müssen die Zahl schaffen. Die Zahl ist überall«, sagte Uberto.

»Ist das auch Zahl, was ich dunkel in der Brust fühle?« »Dumme Frage«, murmelte der Bucklige zwischen den Zähnen.

Dann sagte er, sich zu rächen, mit bösem, stechendem Blick: »Jüngst hab ich deine Weltbrandzeichnung gelobt. Ich wider rufe mich. Du hast allzu viel auf das Blatt gekritzelt. Sei sparsamer! Beschränke dich! Ubermaß verwirrt.«

»Ich hab der Erzählung treu dienen wollen.«

»Du hättest nur zwei Gestalten zeichnen sollen, den von Gott Bestellten und den Feldherrn der Bösen. Das wär genug gewesen. «

»Es mag doch ein gewaltiges Bild sein, wenn die Heerhaufen gegeneinander stoßen.«

»Löse dich vom Überflüssigen, Albretto! Du tüftelst, du kläubelst mir zu viel. Ihr Deutschen liebet peinlich das Ausführliche, wollet einem nichts ersparen und werdet dabei kleinlich und trocken. Und du, vielleicht nimmst du dir deine Vorwürfe zu hoch. Der Esel singt nur darum so schlecht, weil er zu hoch anfängt.«

»Ihr seid grob, Uberto. Doch sagt, habt Ihr schon den Gruft-stein der Königin Hemma gesehen? Lernt ihn kennen und denkt besser von uns Deutschen!«

»Die Hemma? Vor lauter Gebausch und Gefältel sieht man den Leib nicht. Albretto, das Schönste auf Erden ist der nackte Mädchenleib.«

»Wie redet Ihr? Ihr seid alt.«

Der Venezianer kehrte sich nicht an den Vorwurf. »Die Weiber auf den welschen Bildern lächeln am heißesten. Wie kalt sind die Frauen an der Donau!«

Er zog Altdorfer in einen Nebenraum.

Die Sonne zum Fenster herein und ließ ein Gemälde herrlich erschimmern. Es stellte ein antikisches Ereignis dar: Zeus überrumpelte, in Schwanenfedern verhüllt, die badende Leda. Weißrosig blühte die Haut der Nackten, der ganze Leib war wie ein verführerisch weicher Schrei.

»Ist das Schande? Ist das Sünde?« schrie der Bucklige. »Es ist die Einfalt der Natur.«

»Diese Farben!« stammelte Altdorfer. »Welche Kraft des Leuchtens! Woher hat der Maler diese Farben geholt?«

Der Welsche grinste. »Es gibt ein jüdisch Buch, heißt Henoch, drin ist zu lesen, wie ein teuflischer Engel die Menschen lehrt, die Farben zu finden und zu brauchen. Alles Wesen der Farbe ist darin geoffenbart. Wer es durchgründet, der wird ein hoher Meister, und die alten Meister werden vor ihm gering sein.«

»Gibt es ein solches Buch?« fragte Altdorfer gierig und dennoch zweifelnd.

»Es ist an die Sterne gebunden. Hol es dir! – – Nein, Albretto, du brauchst kein Buch Henoch. Geh nach Italia! Dort ist das Licht stärker und festlicher. Hier im Norden fröstelt die Sonne.«

»Die Sonne allein ist mir nit genug, Uberto. Ich liebe auch das Dämmer, ich wandere gern im Nebel und möcht die grauen Wolken nit missen. Das raue Bild unseres Winters ist mir vertraut. «

»Narr, denk an das Meer Italias! Aus Tanz und Schaum und Bläue der Flut ist die Schönheit gestiegen, Frau Venus mit den rötlichen Locken der Venezianerin! Tausendmal schöner als dort die Schwanenbraut!«

In selber Weile, da er das Lob der Heidengöttin sang, erschollen die Glocken Regensburgs, als wollten sie Einsprache erheben.

Der Welsche stopfte die Finger in die Ohren.

»Wie mörderisch poltert und gellt es! Alles ist hier Unmaß. Selbst der Klang. Lernt doch einmal das holde Maß! Lernt es aus der Baukunst der Alten! Darin ist der Geist der weisen, durch das Maß erfassbaren Begrenzung. Nur in der Begrenzung ist der Mensch daheim. Der Schein der Unendlichkeit, der Unermesslichkeit, den eure unwirtlichen Dome tragen, verschüchtert und ängstigt den Menschen. Ich will Wände um mich haben und Zäune. Ich will nicht unter freien Sternen schlafen, nicht bei offenem Fenster, wo ich mit der unheimlichen Weltallsöde verbunden wäre.«

Bei solcher Aussprache fühlten die beiden, wie fern sie einander in ihrem Wesen waren. Dennoch war Altdorfer der einzige in der Stadt, dem der Venezianer seine Freundschaft schenkte, und es betrübte ihn, wenn er gewahrte, dass der junge Künstler seinen wohlwollenden Ratschlägen widerstrebte, und gar mit Wolfgang Roritzer kämpfte er um das Vertrauen Altdorfers wie der tolle Elias gegen seinen Widersacher.

Einmal zeigte er Altdorfer eine köstliche alte Kette und sagte: »Der Boden um Regensburg ist ein einziger römischer Kirchhof. Wenn du ein wenig scharrst, kommen die rötlich-feuchten Scherben der Urnen zutage, und manchmal findest du auch schweren Goldschmuck. Dieses Gold hat die Kirche jetzt eingeschmolzen und umgeformt, sie schmückt sich damit wie ein schwelgerisches Weib, und mit dem alten Heidengold lässt sie die Buchstaben und Bilder in Psaltern und Legenden malen und legt ihre heiligen Bücher in daumendicke Platten aus diesem Gold. Darum schreit auch überall das Heidentum aus der Kirche.«

»Tadelt Ihr das?«

»Nein. Gold ist heilig. Gold ist geronnener Sonnenstoff. Ich liebe den Prunk des Heidentums an der Kirche.«

Er führte nun Altdorfer, nachdem er eine Falltür gehoben hatte, bei Kerzenlicht in einen tiefen Keller hinab, in einen tonnenförmig überwölbten Raum, wohl aus den Römertagen stammend, die Wände berußt. Auf eichenen Gestellen rings, von einer schmalen Esse und einer kaum merklich pendelnden Ampel angeleuchtet, glomm zartes und großbäuchiges, eckiges und gerundetes Glas, schillerten Phiolen aus Grünglas, krummhalsige Retorten, Serpentinen, Cucurbiten, Helme, Rezipienten, philosophische Eier, Dampfkolben, daneben wuchteten gelbliche Mörser, Tiegel und schwerleibige, mächtig verspangte Bücher. Am Estrich häuften sich Vorräte von Zündkohle und Schwefelkies. Ein scharfer, schwefliger Gestank verleidete einem das Atmen.

Altdorfer wunderte sich. »Ihr seid auch ein Meister der hermetischen Kunst?«

»Ich suche den heiligen Karfunkel. Er ist die innerste Seele der Metalle. Ich werde bald Silber brauen. Dem Astralgold bin ich auf der Spur, das besser ist als das reinste Erdengold.«

Er scheuchte mit einem Blasbalg aus der Kohlenglut eine bläuliche Flamme, sie stand wie ein Akanthusblatt und warf

Zungen über sich, die in der Luft verschwebten. »Das ist mein ewiges Licht«, sagte er. »Ich spiele damit wie die Kinder mit den rätselhaften Katzen.«

»Ist Eure chymische Kunst nit betrüglich? Ich sehe etwas Trübes, Teuflisches darin.«

»Ihr Deutschen mit euerm groben Teufel! Den großen, gehörnten Pan verteufelt ihr, die edeln Götter erniedert ihr zu Gespenstern, aus der Venus macht ihr eine Hexenvettel. Nein, der Wunsch nach Gold ist nicht sündig. Gold ist heilig, Gold ist reines, gefrorenes Feuer.«

»Da ist also die ganze Goldkunst nichts anderes, als Feuer gefrieren zu lassen?«

»Gewiss. Doch zuerst muss man lernen, alle Stoffe auseinanderzureißen.«

»Eine Wissenschaft, davor mich widert.«

»Die Kunst des Zerlegens muss erforscht werden. Ich kenne einen, der beherrscht sie bis in ihren tiefsten Grund hinab. Der könnte den großen Karfunkel erzeugen, der Mathes Löffelberger. Aber sein ruhlos Blut jagt ihn von Land zu Land. Wo mag er jetzt sein? Auf den Inseln, die der Genuese entdeckt hat? Er kennt schier alle Leute auf Erden. Ein wunderbarer Mann.«

»Mich kennt er nit«, lächelte Altdorfer.

»Das weißt du nicht, Albretto. Einmal hat er mir an dieser Esse da geholfen, und wie wir dem Geheimnis schon sehr nahe gewesen sind, ist er jäh aufgesprungen und hat gerufen: ›Die Wahrheit reizt mich nicht!‹ und ist auf und davon. Manchmal schickt er mir eine spöttische Botschaft aus Afrika, aus Syrien, Gott weiß woher.«

Da scholl durch die Wand ein dumpfes, drohendes Gebell, ganz aus der Nähe scholl es. »Was ist das?« fragte Altdorfer erschrocken.

»Der Pudel Cerbero!« flüsterte der Venezianer. »Er ist ungeduldig. Er will wissen, wer bei mir ist.«

In einem Winkel des Nebenkellers stand, an eine Halskette gefesselt, ein schwarzer, mähniger Hund und lauerte züngelnd und in böser Neugier Altdorfer an.

»Der Löffelberger hat den Hund damals zurückgelassen. Er ist mir lästig. Aber ich wag es nicht, ihn zu vergiften. Er überwacht mich und wird gewiss einmal seinem Herrn alles verraten, was da gesprochen und gebraut worden ist.«

»Ein unheimlich Tier. Ihm fehlt nur noch der feurige Schlüssel im Maul«, meinte Altdorfer.

»Der Pudel ist genauso unruhig wie der Mathes Löffelberger. Nachts lasse ich ihn von der Kette, da spürt er durch das unterirdische Regensburg. Die Keller und Irrgänge da sind alle miteinander verbunden.«

Sie stiegen wieder an den Tag hinauf und schritten durch Speicher voll fremdvölkischer Waffen, Bücher, Elfenbeinarbeiten und Gewürzen und auch an dem Bild des rasenden Liebesschwanes vorüber. »Alles ist für Geld feil«, sagte Uberto, »nur der Marmorkopf nicht.«

Er steckte Altdorfer ein Buch zu. »Gestern hast du ein griechisch Märlein gelesen, vorgestern eine geistliche Schrift, jetzt leih ich dir ein zuchtloses Fatzbuch. Lies es gründlich!« grinste er. »Nun geh! Ich muss den Pudel füttern.«

Er lief ihm nach. »Da, nimm noch das Niello! Zeichne es getreu nach! Stich es in Kupfer! Schneid es in Holz! Andere es ab! Gewinne in der Nachahmung die Freiheit der Hand!«

Es war ein Bildlein der auf einem Drachen ruhenden Göttin der Klugheit.

 

Die Böhmen hatten sich in die Streitigkeiten der Pfalz gemischt, um daran ihr feistes Mus zu kochen. Sie rumorten im Land herum, zerbrachen mit ihren Geschossen die festen Schlösser, brandschatzten Stadt und Stift, zündeten Getreidekasten und Renthäuser an, stießen die Kirchtore auf und raubten das heilige Gerät, zerrissen böswillig die Fischweiher, suchten die offenen Dörfer heim, daraus sie Vieh und Korn wegschleppten, und taten dem armen Bauernvolk viel Gewalt an.

Kaiser Max lagerte mit Fußknechten und Reitern bei Stadtamhof und auf den Weinhügeln rings. Regensburg hatte seineeilende Hilfe angerufen, als die Hussiten der Stadt bedenklich nahe kamen.

An den Lagerfeuern, in kühler Vorherbstnacht angefacht, sangen die Landsknechte.

 

»Es reiten drei Reiter aus München heraus,
sie reiten gen Straubing vor das feste Haus.
Bernauerin, bist du darinnen?
Und willst du nit gleich dich des Herzogs begeben,
so musst du lassen dein jungfrisches Leben,
ertrinken im Donauwasser!«

 

»Lasst die Märe!« sprach einer nachdenklich. »Lasst uns singen vom Graser Tod!«

»Und sterb ich«, lachte einer keck, »im Himmel erwarten mich die elftausend Maidlein.«

Die Flamme hellte ein düsterbuntes Treiben an. Die Knechte spielten am Brett Wolfsjagen, sie warfen die Würfel, logen von fremden Ländern, brieten Lammfleisch, fluchten, schliefen und schnarchten, lehnten am Spieß und lauerten in die Finsternis.

Einer rückte näher an den Brand hin. »Eine eisige Nacht!« wimmerte er. »Aller bairische Wein erfriert. Ist nit schad. Uns aber sollt der Kaiser ins warme Venezia führen. Wollen nit alleweil bairische Schlehen fressen und hernach Essig brunzen. Gott schenk uns allen den ewigen Fluch!«

»Dass dich die Pest anfress, Rinheimer!« widerstritt ein anderer. »Bairisch Wein mundet lieblich, hat manch wackern Gesellen verdorben mit Leib und Glut!«

»Ich bin Weinbergschütz gewesen bei Wörth«, rief der Ulrich Wunderlein. »Da ist einmal mitten in der Weinlese tiefer Schnee gefallen, die Stöcke und die Trauben dran sind tief verschneit gewesen. Darob haben die Hauer gekläfft und geklagt. Ist dennoch der Wein wohlgeraten und süß, und da man ihn gepresst, haben die Fässer nit gereicht. Wohl, bairisch Wein ist zäh und dauernd wie bairisch Volk!« Er hob den Becher und trank sich zu.

Darauf predigte der Hans Gabiskopf: »Ihr solltet mehr beten und nit so saufen, dass euch der Bauch schlumpert, und nit so prassen und würfeln und widermenschlich schwören! Ihr solltet das Ungeziefer der Trossmenscher wegjagen, ihr Bärenhäuter! Wie in einem Judentanzhaus treibt ihr es! Morgen, wenn ihr den Feind anlauft, ihr Prahler und Prachtscheißer, da zeigt euch!«

»Morgen hören wir den Hussen ihre Trummeln«, sagte der Hundundkatz. »Ist dem Zischka seine Haut darüber gespannt. Sie schreckt uns nimmer.«

»Bei Christi Nagelwunden!« schwur der Rupp Stegreif. »Wir versalzen ihnen die Brühe, mit langen Stangen rühren wir ihnen den Brei. Wir ruhen nit, bis dass wir die Feste Prag im Rauch gen Himmel sprengen!«

»Hab heut schon dem Bruder Barfuß gebeichtet«, murrte der Hans Gabiskopf. »Habt ihr euch um euere Seel gekümmert? Da spielt ihr die großen Hansen und habt doch alle einmal die Säu getrieben!«

Der Prentl störte mit dem Schwert in die Glut und erwiderte: »Beichten soll man unterm freien Himmel und keinem Pfaffen! Also hat mein Gesell, der Atzelberger, gesagt. Wenn er nit gehenkt worden ist, lebt er heut noch.«

»Gabiskopf, warum soll der Landsknecht Wasser saufen, wenn die Pfaffen bechern und Hochmut und alles Scharwerk des Teufels treiben? Gott soll die Faust dreinschmeißen!« meldete sich der Rinheimer.

»O weh, Herr Jesukrist!« klagte der Prentl. »Heut muss einer sich den Himmel mit Geld erkaufen, ein heilig Leben allein genügt nit. Der Ablassmönch stellt seinen Kram auf. Und Pfaffensack hat keinen Boden. Weh, dass mir mein Herr Vater nit Geld und Gut hinterlassen hat!«

»Raub und stiehl!« riet ihm der Gumpauf mit dem rotgelben Bart. »Dann hast du alles.«

Der Gabiskopf rüttelte sein Messer. »Redet ehrfürchtiger von den Pfaffen! Oder der Bock straf mich und –!«

»Du Dümmling, du glaubst alles wie der Köhler im dicken Wald«, verspottete ihn der Prentl.

Der Wein fuhr hoch in den beiden, wie zwei Hähne sprangen sie sich an.

Der Hundundkatz warf sich dazwischen und beschwichtigte sie.

Der Hundundkatz, einst Schiffsknecht auf der Vils, ging jetzt mit dem kalten Spieß und üppig gekleidet, die Ärmel zerschnitten und mit rotem und gelbem Tuch unterlegt, auf dem Kopf ein samtenes Barett. Das Feuer flackerte seine Pracht an und spielte auf der riesigen Trommel neben ihm, die mit dem deutschen Adler geziert war.

»Wie der Vogel gleißt!« meinte einer. »Schier dünkt mich, er tut die Krallen auf und zu.«

»Ich hab mir ihn zu Regensburg von dem Altdorfer malen lassen«, sagte der Hundundkatz stolz.

»Die Regensburger fürchten sich, sie haben Ketten in den Gassen gespannt und die Brücke hart befestigt«, erzählte der Rinheimer. »Wär freilich ein Fraß für die Russen, die Stadt. Sie würden allerlei mitnehmen. Sagt doch das Sprüchlein: ›Der Böhm, wenn er geboren wird, greift gleich um sich!‹«

»Kaiser Max wird mit seinem Eisenschuh dem Teufel auf den Wedel treten«, sagte der Hundundkatz.

Ein grober Wind setzte an, die Plachen der Zelte blähten sich, Stangen wurden gerüttelt, die gereizte Flamme krallte nach den Knechten. Dann wurde es wieder still, und ein Vogel hub nächtlich zu singen an.

Um Mitternacht bliesen Trompeter und Pfeifer zum Aufbruch.

Kaiser Max ritt mit seinen hohen Kriegsfreunden durch das hastig sich rüstende Heer. Ein Heckenreiter hatte gemeldet, der Feind halte sich bei Wenzenbach hinter seiner Wagenburg verschanzt, und darauf hatte der Kriegsrat sogleich beschlossen, ihn zu packen und hinter die böhmischen Grenzsäulen zurückzuwerfen.

Der Kaiser hatte mit der Faust in den Tisch gestoßen: »Fremd Volk hat bei uns nichts zu schaffen. Hüt dich, Deutschland, festes Schloss!«

Herzog Albrecht von Bayern, der gelehrte und weise Fürst, ritt neben dem Kaiser, seiner Leibesfülle wegen saß er in einem welschen Polstersattel. Er deutete auf den Brandsaum am nördlichen Himmel. »Der Hus ist ein gefährlicher Feind. Vor seiner Kriegsbruderschaft sind die Kreuzfahrer fünfmal schimpflich davongelaufen, haben Zelt, Geschütz und Troll im Stich lassen, und die Taborer sind ihnen nach und haben sie mit den Flegeln erdroschen. Ein wildgieriges Volk! Voralters sollen sie die besiegten Feinde lebendig begraben haben, sie haben in den Helmen Erde herzugetragen und den Hügel drüber gewölbt.«

Ungestüm rief der Markgraf Kasimir von Brandenburg: »Sie sollen es sich an dem feisten Boden ihres Landes genügen lassen! Das Unvolk der Wikleflten! Ich hab gehört, sie rauben und teilen, und alles soll bei ihnen gemeinsam sein.«

»Mein waffenfrohes Heer soll sie aus Bayern scheuchen!« sagte Kaiser Max hochgestimmt. »Ich fühl mich stark, und wenn man Sankt Michel und Sankt Jörg zusammenschmiedete, sie könnten mir nit widerstehen!«

Rauflustig fuhr der Wind dahin, das blasse Gewölk glänzte im Mond.

Als sie auf hölzerner Brücke über den düsteren Regenfluss polterten, graute der Morgen, und die Glocken Regensburgs huben fernher ihren ehrwürdigen Gesang an, das Domgeläut mit der brausenden Zwölfbotenglocke, dem Donner der Petersglocke, der hellen Marienglocke, dann die uralten Glocken von Emmeram, die der Schotten, der Minderbrüder, die milderen Nonnenglocken und das tiefe Erz von Sankt Mang am Hof. Der Kaiser nahm das Geläute als günstiges Zeichen.

Gaul und Gurre trabten, vor die plumpen Karrenbüchsen gespannt; hinter dem Streitgeschütz ratterten Wagen, mit Hakenbüchsen, Pulverfässern, Rolleisen und auch mit Spießen beladen für die Schützen, damit dreinzustechen, falls es regnete und sie deswegen nicht feuern könnten. Die Scharen der Fußgängel glichen mit ihren Lanzen riesigen Igeln, sie waren tagelang stillgelegen und ausgeruht und marschierten nun rüstigin den grauen, kühlen Morgen. Uber der Donau schwebten leichte Nebel.

Der Kaiser hielt vor einer verwüsteten Weilerschaft.

Ein Bauer stand müßig vor dem rauchenden Schutt, das Gesicht voller Brandblattern, er hatte vergeblich seine Armut aus den Flammen retten wollen. Neben ihm heulte seine Tochter in zerrissenen Kleidern über ihre Schmach. Ächzend lag ein Knechtlein auf dem Rasen, die Hussiten hatten ihn an allen vieren zusammengeschnürt und in den Brunnen gehängt. Eine gestrählte Katze miaute kläglich im versengten Hausbaum.

Trostlos nickte der Bauer dem Kaiser zu. »Ja, die großen Herren haben ihre Lust am Krieg wie an einer Sauhatz. Aber dem armen Mann nimmt der Wind den Hut.« Er deutete auf seine zerbrochene Hütte.

»Hört ihn an, Max!« sagte Kunz von der Rosen, des Kaisers lustiger Rat.

»Die Herren raufen, und wir Bauern müssen die Wolle dazu hergeben«, klagte der Mann weiter.

Kunz klopfte ihm vom Roß herab auf die Schulter. »Freund, armer Leut Witz gilt nit viel. Schweig still!«

Max starrte in die flammenbrünstigen Frühwolken. »Mit den sanften Kräutlein des Gartens kann man die wilde Welt nit heilen«, sagte er ernst. »Der Arzt Hippokrat lehrt: ›Die letzte Heilszuflucht ruht in den bittersten Dingen: was Arznei nit bessert, bessert das eiserne Messer, und was das Messer nit gutmacht, das heilt das Feuer!‹ Das ist so und wird allzeit so sein.«

Mit strenger Stirn ritt er weiter. Sein Hünenroß trat über einen toten Hussiten hinweg, den hatte eine starke Grasmagd mit der Sichel getötet. Der Wind ging mit bitterem Rauch.

Ein Reiter meldete, das fremde Volk habe an die dreitausend Mann stark am Wenzenberg seinen Tabor aufgeschlagen und wollte es auf die Schlacht ankommen lassen.

Da spannte sich des Kaisers müdes, übernächtiges Gesicht, er war auf einmal frisch wie der erwachte Falke, der jagend in den Höhen kreiste, und rüstiger trieb er sein Roß an. Er lauschte dem knarrenden . Wildnisruf der Elster, er sah einen frühzeitig welken Ahorn in aufgeregter Herbstfarbe prangen.

Unter blutüberronnenem Gewölk war das böhmische Heer aufgestellt. Das Dorf Wenzenbach loderte, und sein brennendes Kirchlein läutete Schrecken, und ferne Notglocken waren von seinem Gellen angesteckt und gaben es weiter ins Land.

Die Hussiten hatten nicht Zeit gefunden, Wälle aufzuschütten oder sich zu vergraben und zu verbauen. Ungefähr einen Büchsenschuß weit vom Wald auf einem Wiesenhügel war die Wagenburg errichtet, kleine Feldgeschiitze lauerten mit drohenden Mäulern heraus.

Max hob spöttisch die Hand und grüßte tschechisch hinüber: »Dobre jitro! Guten Morgen!«

Die deutsche Reiterei ließ die Rösser verschnauben und wartete auf das Fußvolk. Die Ritter gähnten, es fröstelte sie in den kalten Rüstungen. Ungeduldig wünschten sie den Kampf herbei, der ihnen warm machen sollte.

Der grauhaarige Albrecht von Bayern zelterte auf seinem portugalischen Pferd an Max heran. »Seid vorsichtig! Bedenkt, Ihr seid der deutsche König!«

»Soll ich einmal auf der Streu sterben? Oder als gliedsüchtiger Greis im Polsterstuhl?« erwiderte Max herb. Er hatte eine auffallend kostbare Rüstung an, neben dem ledernen Rock des Jägers war ihm Stahl das liebste Kleid.

Markgraf Kasimir von Brandenburg, ein heftiger, fessellos kühner Herr, noch jung, die Lippe beflaumt, redete den Kaiser an? »Ich bitt um die Ehr. Lasst mich und meine Reiter los!«

»Höret, Max, der will von Euch eine Schelle kriegen!« warnte Kunz von der Rosen.

»Seid nit fürwitzig, Brandenburger!« sagte Herzog Albrecht. »Wir wollen die Hilfe des Fußvolkes abwarten!«

»Ich wag es«, eiferte der Jüngling. »Wagen gewinnt.« »Wagen verliert«, widersprach der Alte.

»Gaø zu kühn, gar zu verzagt, beides nit viel erjagt«, entschied der vorlaute Kunz.

»Soll der bäuerische Landsknecht das Feld gewinnen und alle Ehre heimsen und nit mehr der Ritter?!« empörte sich Kasimir. »Ich reit los!«

Wohlgefällig sah der Kaiser in die entrüsteten Flammenaugen des Helden. Ein Verwegener versteht den andern. »Reit zu, und Sankt Jörg geleit dich!« gewährte er.

»Ihr seid ein abenteuerliches Herz, Max!« spottete Kunz. »Wenn es nur an Euerm Willen 1äg, Deutschland wär lauter Gamsgebirg und Bärenwald.«

Kasimir zog sein Schwert und las fromm, was in dem Stahl eingerissen war: »Vater unser, du bist im Himmel und auf Erden. Dein Wille geschehe!« Der Apfelfuchs unter ihm teilte die feurige Unruhe des Herrn, er wieherte ahnend auf und fegte mit dem prunkvoll langen, schimmernden Schweif sich über die Flanke.

Schon brausten die Brandenburger hinter dem Markgrafen übers schrollige Feld. Ihr grobes Geschütz holperte nach.

Fest wie ein Gebirg standen die Böhmen, gedeckt hinter mannshohen Setzschilden, die mit ihren eisernen Spitzen in, den Grund gerammt und miteinander verkettet und verspangt waren, eine Burg. Und Hakenspieße tasteten daraus hervor, die eisernen Lümmel zu empfangen, aus den Sätteln zu reißen und zu erstechen.

Die markgräfliche Reiterei stampfte heran, ein stolzer Haufe.

Ein goldgerüsteter Ritter, anscheinend der Kriegsoberste der Hussiten, schrie jetzt ein fremdes Wort. Da dröhnte ein Donnerschlag, Feuer fuhr aus der böhmischen Mauer. Tiere brachen zusammen, Männer wälzten sich schreiend, Rauch wallte gelblichgrau und stank.

Eben brach die Sonne wie aus einem Krater durch das Gewölke und beleuchtete überhell die taumelnde Landschaft der Schlacht, indes der gesichelte Mond, ein feiger Flüchtling, zum Versinken gewillt am Rand des Waldes säumte.

Wer von den Brandenburgern sich nicht blutend am Boden krümmte, riss den Gaul herum. In wilder Unordnung fluteten sie zurück. Der Markgraf hing todesbleich im Sattel seines rotbespritzten Tieres.

Ehe noch das brandenburgische Geschütz zu orgeln anhob, stürzten die Böhmen schreiend aus der Schildmauer hervor, bemächtigten sich der Feldschlangen, kehrten sie um und lösten sie. Doch hielten sie in der hitzigen Eile zu hoch an, und die Kugeln flogen über den Rennhaufen des Kaisers hinweg in den Wald hinein.

Mit funkelnden, weißgrellen Augen starrten die Hussiten noch eine Weile herüber. Dann zogen sie sich wieder hinter den Zaun ihrer bauchigen Pavesen zurück und sangen ein grelles Lied.

Verwundete hinkten heran, krochen ächzend übers Feld, Sterbende wurden geschleppt. Irrsinnige Rösser bäumten sich. Der Markgraf fluchte den Hussiten hundert Henker auf den Hals.

»Da habt Ihr es, Hans-durch-die-Mauer!« rief ihm Herzog Erich von Braunschweig zu. »Aber wir andern lümmeln dabei und gaffen!«

Kaiser Max blickte dem träg sich zerstreuenden Rauch nach. »Schwefel!« murmelte er. »Schwefel besiegt das gerade, tapfere Schwert. Die alte Zeit ist schöner und redlicher gewesen, da hat es gegolten: Stahl gegen Stahl! Der schwarze Berthold hat mit seinem Pulver die ritterliche Welt zersprengt.«

»Eine lumpige Welt!« grollte der Braunschweiger. »Die Ehre des Schwertes versinkt. Ein matter Krüppel kann von fernher den Helden fällen.«

»Wen man töten will, dem soll man dabei in die Augen schauen«, sagte der Kaiser. »Könnt ich doch allein jetzt den Winkelkrieg im Angesicht der zwei Völker mit dem dort ausfechten!« Er wies mit graugeschientem Arm hinüber nach dem Ritter, dessen Rüstung von Helm und Halsberg herab bis zum Schuh golden in der Sonne glühte.

Und in herrlichem Übermut nahm der Kaiser sein weißes Roß Welf unter den Sporn, sprengte vor und rief dem Goldritter zu: »Pojd sem! Komm her! Gott soll zwischen uns zweien richten!«

Aber die Böhmen schrien »Laszla! Easzla!«, und ihr Befehler zog sich mit lautem Gelächter zurück.

»Unter den Hussiten sind auch deutsche Leut«, meinte der

Braunschweiger verwundert. »Hab einige rufen hören, müssen Pfälzer sein.«

Max erwiderte unwillig: »Ja, wenn man Deutsche verderben will, nimmt man Deutsche dazu.«

In selber Weile quoll unter dem hellen Feldspiel der Schalmeier, Sackpfeifer und Trommler das deutsche Fußvolk in buntgestreifter Pracht mit blanken Handrohren und ragenden Stangen aus den Wäldern. Jörg Frundsberg und Marx Sittich führten es, und unverweilt ordnete sich alles zur Schlacht, die königlichen Truppen und die Hilfsscharen Nürnbergs und Straßburgs in der Mitte, die Reiterei an den Flanken. Schon waren die Hunde der beiden Heere aneinander geraten und heulten.

»Gott gibt uns nit dem Spott der Ketzer preis!« rief der Kaiser den Seinen zu.

Eine kurze Weile lauerten die beiden Scharen einander wägend an.

Dann bewegt sich der mächtige Haufe der Landsknechte, beugt er sich mit sinkenden Stangen wie ein Halmenfeld im Wind, sie knien demütig in schwerer Stunde der Entscheidung hin, schmeißen sich statt der Hostie Erde in den Mund, schmeißen die Scholle hinter sich, sich damit losreißend von der mütterlichen Erde, schnellen wieder aus den Knien hoch und höhnen den Feind an: »Ha ha, Hus! Ketzer! Ketzer!«

Das deutsche Heer schreitet. Voran die Fürsten. Allen voran der Kaiser, blitzend wie ein edles Kleinod, die Pracht der Straußfedern wehend über sich, leuchtendes, reitendes Eisen.

Verwegenes Licht stößt aus dem Wolkenloch, die Welt liegt gespenstisch klar, überklar.

Donnernd schlägt es in die Wagenburg ein. Das erste Stück der kaiserlichen Arkelei ist losgebrannt worden. Max horcht hoch. Er kennt den Laut seiner Geschütze. »Die Wildfrau!« sagt er freudig.

Die Reiter sprengen die Eisenwand an, die Spieße und Haken der Böhmen züngeln ihnen entgegen. Büchsen werden gelöst.

Der Markgraf von Brandenburg schleudert sich aufreizend kühn gegen den Feind, seine Schlappe wettzumachen. Haken reißen ihn vom Roß. Aber die Mauer ist gelockert.

Ein wirres Getümmel braut. Feuer zuckt aus dem Rohr, Sättel krachen, gehetzte Rösser steigen, schnauben den Faum von der Nüster weg, Kämpfende keuchen, Schläge dröhnen, Helmbüsche wehen und sinken. Ein Ritter treibt in dem Strudel, auf seinem hochgehaltenen Schild springt ein silberner Panther zwerch von Ecke zu Ecke. Die Schläge der deutschen Arkelei poltern. Rummbumm! das ist die Wildfrau. Rummbumm! des Teufels Großmutter. Rummbumm! der Mörser Unverzagt. Wie durch den Vorhang eines Traumes tönen die Trommeln und die Pfeifen..

Der Brandenburger wird von seinen Dienern unter dem zuckenden Rollleib hervorgezogen, der Todwunde ist hilflos in seinen Panzer geschnallt.

Mittlerweile ist das Lanzenvolk herangeeilt. Eine emsige, hochborstige Raupe. Die deutschen Knechte jauchzen: »Her, her, Hus!« Ihr Hauptmann Marx Sittich ruft die Böhmen an, wie man den tollen Keiler im Waldmorast stellt: »Walloh, walloh!«

Der Goldritter blitzt auf, ein grimmes Brackenhaupt im Wappen, prasselt gegen den Kaiser los. Ein wildes Schlagen hebt an, klingklang, klingklang, wie in einer Hellebardenschmiede. Einen Augenwink lang schweigt der Kampf, ein Ring bildet sich um die fechtenden Führer.

Ein schwarzer, blasser Kerl zuckt tückisch vor, holt mit dem Streitkolben aus und trifft den Kaiser mit furchtbarem Hieb in den Rücken, dass dieser, von der Wucht des Schlages betäubt, sich aus dem Sattel neigt. Der Atem vergeht ihm.

Erich von Braunschweig, zerhauen und im durchschossenen Arm einen Pfeil, greift nach dem Sinkenden und hält ihn fest.

Bluttrunken bäumt der Goldritter das Schwert gegen den deutschen Kaiser.

Da schwenkt Jörg Frundsberg ungestüm sein Schlachtschwert, den manneslangen Beidenhander mit zwei Griffen, weit hinter seinem Nacken holt der Hauptmann aus und haut zu. Er spaltet den Goldenen in der Hüfte. Die obere Hälfte des Leibes stürzt in den Staub, die untere aber, verhaftet im Sattel und Steigbügel, rast auf dem Roß durch die Kämpfer ins brennende Dorf hinein.

Der Kaiser hat sich wieder ermannt, er reitet aufrecht, seine Augen funkeln grell. Er lobt: »Ein grobes Schwabenstück, Frundsberg!«

Handgemenge. Stangen krachen, Schwerter flackern, Schläge eiserner Fäuste klirren, Kolben dröhnen dumpf. Ein tirolischer Mann jodelt im Kampf hellauf. Einer zuckt mit zerhauenem Knie zu Boden. Leichen klaffen. In einer Furche liegt eine Hand; von ihrer Wurzel weggehauen, krampft sie sich noch um das Messer. Der Landsknecht Hundundkatz reißt sein rotes Schwert aus der Lende des Feindes und hebt es wieder, er trägt dabei eine weiße Blume zwischen den Zähnen.

Spreizbeinig stehen die deutschen Knaben, sie stechen und hauen. Schon ist der eiserne Zaun zersplittert, schon wanken die Massen der Böhmen, ihre Ordnung ist zerstört. Zornig beißen sie die Zähne zusammen, zu viert lehnen sie, Rücken an Rücken, Blut im Blick, Blut im Bart, hauen verzweifelt um sich, der Hass von Volk zu Volk leiht ihnen letzte Kraft. Sie fallen, fremdes Wort, fremden Fluch auf den verzerrten Lippen. Ihre Fahnen sinken.

Der Kaiser kehrte sich aus der endenden Schlacht zu einem Hügel. Das versehrte, aus Weichen und Hals blutende Roß hatte er Kunz von der Rosen übergeben, der es mit einem Strohwisch von Blut und Schweiß rein rieb.

Max kam an der Leiche eines Hussiten vorüber. »Gott geb auch dir sein selig Himmelreich!« sagte er zu ihm.

Er nahm den Helm ab und atmete heftig. Der Rücken schmerzte ihn.

. Da gewahrte er auf einem Hügel einen Mann, der untätig auf einer Trommel saß und ganz verloren in den Anblick des schweren Todesspieles drunten versunken zu sein schien. Die Geschosse gingen mächtig über den Lauscher hin und suchten die Wagenburg. Er merkte nicht die Gefahr. Aus seinem Schuh rann Blut. Er achtete es nicht.

Max erinnerte sich, diesen Mann in der Schlacht gesehen zu haben, wie er einem Böhmen die Keule aus der Hand gerenkt hatte. Er sprach ihn an: »Du solltest an deine Wunde denken. Du blutest stark.«

Der Mann erhob sich. Er war gerade und kräftig gewachsen. Seine blaugrauen Augen, darin es von geheimem Geistesleben brannte, sahen den Kaiser an, und plötzlich packten diese Augen wie Räuber zwingend zu, und es blieb doch etwas Fernes, Abwesendes darin, und es war, sie schauten durch die Dinge hindurch wie gegen ein unerwanderbar weites Ziel.

»Was treibst du da?« fragte Max.

Wortlos deutete der Mann gegen das Ringen der zwei ineinander verbissenen, verrungenen Heere, in den Rauch der Geschütze, in den Staub des aufgewühlten Feldes, in das stachlige Wirrwarr der Stangen, in das schwelende Bild, dahinter das Dorf flammte, bewaldete Höhen dunkelten mit entlegenen Ortschaften, Burgen, Kirchen. Und der Seltsame deutete aufwärts: da fuhr die Sonne schrecklich aus wildzerformtem Gewölk und starrte mit dem Blick eines grausamen Richters ins geblendete Auge nieder. Und Luft und Erde schien vom Flügelschlag apokalyptischer Greife zu erzittern.

Erschüttert sagte der Kaiser: »Noch nie hab ich Himmel und Erde so ungeheuerlich gesehen wie jetzt, da dein Finger darauf weist. Sag, wer bist du?«

»Ich bin Albrecht Altdorfer aus Regensburg.«

»Dein Name sagt mir nichts. Was bist du?«

»Ich bin noch nichts«, erwiderte der Mann leise.

»Kennst du mich?« fragte Max.

Altdorfer nickte. Wie hätte er den deutschen König verkennen können! Dessen feuerblauen Blick, darin alles Abenteuer loderte, dieses helle Sonnenhaar, diese kühne Mannesnase, die Herrengebärde, gelassen trotz der Aufregung der wütenden Schlacht!

Dann besann sich der Maler der ersten Frage des Fürsten und weil er nicht wusste, wie man einen Kaiser anredet, sagte er: »Gewaltiger Herr, ich schaue.«

Das Geschrei der Siegreichen rief Max zur Wagenburg hin. Sie war erkämpft, zerschossen lagen die Räder der Karren. Die Bemannung rannte in das nahe Gehölz. Und auch auf dem wolkenden Feld löste sich der letzte Widerstand der Böhmen in regellose Flucht auf.

Der Kaiser sandte Rennboten nach Regensburg, den glücklichen Ausgang dort zu melden. Gott hatte die Ketzer in unbegreiflicher Langmut gewähren lassen, nun aber lagen ihrer tausend erschlagen, und die Bauern von Wenzendorf rissen schon die Gruben auf, sie zu verscharren. Und der Rest der Eindringlinge wird in den wilden Wäldern verlechzen oder in den Dörfern niedergehauen werden.

Hart aneinander gebunden, wurden die Gefangenen fortgetrieben. Die gefallenen bairischen Edeln überführte man nach Regensburg, sie dort in der Predigerkirche beizusetzen.

Rösser trauerten an den Leichen ihrer Reiter. Kinder kamen und starrten in die schmerzlichen Gesichter der Erschlagenen. Rabenwolken schatteten. Langsam glomm das Dorf nieder.

Schon trabten die Reisigen durch den Wald. Ihre rauhen Lieder schwangen sich ins Laub und verscheuchten die Vögel.

 

»König Rother reitet über See und Land,
hält den eisernen Bart hart in der Hand,
in Erz gekleidet, mit Erz beschuht,
das Hemd aus Draht, aus Stahl den Hut.«

 

Altdorfer träumte, er schlage nahe dem Otweich aus einem Felsen ein Bild, einen Engel der Verkündigung, herrlich von Angesicht, das die Sendung von Gott widerleuchtete, einen Frohbotschafter von höchster Schönheit und Würde der Gestalt, der es anzusehen war, dass sie aus Geist und Willen des Herrn niedergefahren war. Fast hörte man noch das letzte Rauschen seiner Schwingen, und sein scheuer Fuß schien die Erde zum erstenmal zu berühren. Die Arbeit an diesem Steinbild war dem Träumer mit der Schnelle eines Wunders gelungen. Und wie er nun zurücktrat, das vollendete Werk als Einheit gerundet ins Auge zu fassen und sich daran zu freuen, zog sich die geformte Gestalt langsam wieder aus ihrer Bildung zurück in den ungeformten, naturrohen Block. Zuerst die herrischen, strahlenden Züge des Antlitzes verlierend, dann die Gebärde der berichtend ausgestreckten Hände, des niedergleitenden Fußes, des halb noch im Flug geneigten Rumpfes, wurde das Bild ganz in den stumpfen Stein zurückgenommen. Und so äfften die Wünsche Altdorfer, und er erwachte schmerzlich in finsterer Nacht und hörte die Uhren Regensburgs rufen und den Regen vom Dach rinnen.

Uberto Vistosi tadelte ihn oft. »Du bist der säumigste aller Künstler. Du wächst langsamer als eine Kranwitstaude. Andere deines Alters sind schon berühmte Meister. Du hast von deinem Vater eine schlechte Schule genossen.«

Altdorfer war traurig über sich selbst. Nun war er Bürger von Regensburg und hatte noch nichts geschaffen als eine Reihe von Drucken und Holzschnitten, die keines Ruhmes wert waren und wenig Hoffnung für spätere Zeit boten. Wenn er nicht dunkel ahnend gefühlt hätte, dass eine farbige Gestaltenwelt in ihm schlummere, wohl würdig, dass sie geweckt werde, er wäre mit den Landsknechten in den Krieg gelaufen. Oft verglich er seine Arbeiten mit den Holzschnitten, Stichen und Ätzungen Albrecht Dürers, dann wurde er kleinmütig und dachte: »Dürer ist ein Flügelmensch, ich bin ein ohnmächtiger Mann.«

Als er einmal zwei seiner kleinen Drucke, die heilige Barbara und die heilige Katharina, dem Dommeister zeigte, legte dieser sie unwirsch weg und sagte streng: »Was sudelst du da? Das sind zwei Regensburgerinnen, keine heiligen Frauen. Würden nicht Turm und Rad, Kelch und Schwert für ihre Marter zeugen, so wären es die Weiber des Waschenpelz und des Tausendessig aus dem Kuhgäßlein.«

In der Silbernen Kranzgasse traf Altdorfer eine rauschende Frau, die wohl zur Messe gehen mochte. Ihr blaues, den Busen fast freigebendes Kleid war mit goldenen Blitzen bestickt, den Hut hatte sie mit tollen Straußfedérn übervoll geschmückt, im

Arm hielt sie ein boshaft kläffendes Hündlein. Es war Rachild, die Ritterin zu Sattelpogen.

Überrascht von der Begegnung, wusste Altdorfer, sich an den Brief erinnernd, den sie ihm einst übergeben, nichts anderes zu reden als die Frage, ob sie schon den Meister Roritzer gesehen habe.

»Der Roritzer?!« sagte sie verächtlich. »Er hat sich damals nit um uns gekümmert, und wir haben uns selber helfen müssen. Er denkt nur an seinen Dom.«

»Wollt Ihr in die Kirche gehen? Ihr seid zu üppig gekleidet«, warnte Altdorfer lächelnd die schöne Frau.

»Ei, wie scharf Ihr mich beobachtet! Schier wie ein Weib das andere!« gab sie zurück.

»Der Prediger wird schelten!«

»Soll er es wagen! Mein Ritter wird ihm die Zunge herausreißen.«

»Und das Spielhündlein?«

»Das nehm ich mit. Ich muss etwas liebkosen.«

»Einst hat zu Regensburg eine vornehme Frau bei währender Wandlung im Dom ihr Hündlein gestreichelt«, erzählte Altdorfer. »Die Kirche hat ihr bittere Sühne aufgetragen, mit eigener Hand hat sie den Hund erwürgen müssen.«

»Der Sattelpogner schützt mich und mein Liebhündel gegen geistliche und weltliche Gewalt.«

»Ist er so liebreich gegen Euch, was bleibt Ihr nit bei ihm?«

»In Regensburg lebt es sich bunter. Burgen sind Einsiedeleien. Und der Sattelpogner ist nit gern daheim, er stellt lieber mit dem Spieß das hauende Schwein oder plackt seine Bauern. Ich hab die Ode satt. Sie ist arg. Jüngst hat eine Wölfin vor dem Burgtor Junge geworfen.«

»Und Euer Kind? Hab Ihr es schon in die Tiefe fallen lassen?«

»Nein«, lachte sie. »Jetzt reitet es dem Ritter auf dem Knie. Im Sommer soll es bei ihm auf der Burg weilen, im Winter bei mir in der Stadt. Auf Sattelpogen wird es als Bub erzogen, in Regensburg als Maidlein.«

»Da wird ein seltsam Kräutel wachsen«, sagte Altdorfer.

Sie züngelte ihn mit den feuerflammigen Augen an. »Und Ihr? Könnt Ihr schon Schöneres malen als den Teufel?«

Sie rauschte ab und wandte aus der Ferne noch einmal das kühne Frauenhaupt ihm zu.

Altdorfer stichelte das Bild Rachildens auf Kupfer, einmal mit dem Federgesträuß am Hut, ein anderes Mal als Venussin, die von ihrem ungebärdigen Söhnlein gezerrt wird, oder wie sie mit dem Falken ausreitet oder gar, wie sie scherzend mit einem Buhlen im Kornfeld liegt.

Er zeichnete auf bräunlich angelegtem Papier mit feiner Feder und schwarzbrauner Tinte zwei Frauen und überhöhte dann die Zeichnung weiß: die eine Frau war von sanfter Haltung und trug eine Laute, die andere deckte sich mänadisch mit einem Kriegsschild; beide hielten eine Schale mit Äpfeln hoch über sich. Er nannte das Blatt: Eisenhild und Rachild.

Roritzer sah es und murrte: »Das schmeckt welsch. Der Venezianer steht dahinter. Zerreiß das Blatt!«

Uberto äugte es lange an. Dann deutete er auf das Weib mit dem Schild. »Eine wüste Hexe, schwanger vom Teufel! Die Köpfe viel zu klein, wie Äpfelchen sitzen sie auf den Riesenleibern. Und die niedrigen, verschrumpften Stirnen! Und diese platten, bäuerischen Füße! Hast du noch nie ein lebendiges, junges, nacktes Weib gesehen?«

»Es ist eine verzagte, unsichere Kunst«, fuhr der Welsche fort. »Du solltest mit wilderer Kraft zeichnen! Du kennst die Formen des Lebens nicht gut, dir fehlt die fruchtbare Fülle. Laß ab und werde lieber ein Steinhauer, der ewig dieselben trockenen Gebilde auszirkelt und an dem unnützen, veralteten Dom tüftelt, dessen Gebilde keiner mehr versteht.«

»Ich weiß, Uberto, ich hab eine ängstliche zaudernde Hand und ein befangenes Herz. Ich bin immer traurig, wenn ich ein Blatt vollendet hab. Ich hab es mir immer viel schöner geträumt. «

Nun mischte der Bucklige launisch etwas Lob in sein Urteil. »Wohl, es ist allerlei zu bemängeln. Allein die Zeichnung wirkt stark auf mich, und sie ist schwer zu vergessen.«

Schließlich führte er Altdorfer zu einem Kästlein. »Ich behalte mir das Blatt«, sagte er. »Geld gebe ich nicht dafür. Ich hab allerlei Kleinod. Mein Oheim ist Seeräuber gewesen. Wähl dir etwas! Doch nicht unbescheiden!«

In dem Kästlein war ein Gekreuzigter zu sehen, aus dem Hauzahn eines Elefanten geschnitzt und wahrscheinlich von dem Deckel eines Meßbuches gelöst; dann lagen in Karneol geschnittene antikische Köpfe, grünspanene Ketten, derbe Ringe.

Altdorfer nahm einen klaren Silberspiegel, dessen Glas auf einer Lagune bei Venedig geblasen worden war.

»Behalt ihn getrost!« sagte der Welsche. »Ich schaue nie hinein. Meiner Mutter verzeih ich es bis zum Jüngsten Tag nicht, dass sie mich so bucklig und fratzenhaft geboren hat. Wie oft will ich meine Seele von den Fesseln dieses hässlichen Leibes befreien! Ich wage es aber nicht.« Er sagte das sachlich wie etwas Alltägliches.

Altdorfer sah in der Scheibe sein Gesicht unentstellt und rein wie noch nie. Die bauchigen, trüben Spiegel daheim hatten alles verzerrt.

Uberto gab ihm zum Abschied noch ein Bündel mit. »Drin sind Farben. An deinem Blatt habe ich erkannt, dass du malen musst.«

»Was begehrt Ihr für die Farben?«

»Nichts! Doch dein erstes Bild musst du mir zum Kauf anbieten! Aber mal nicht deine finsteren Bäume und nicht deine tölpischen Heiligen! Ich verschaffe dir florentinische Farben. Sie leuchten kräftiger, weil in Italia die Sonne daheim ist. O weh, Deutschland! Wie fürchte ich die tatarische Finsternis des Winters hier!«

»Was bleibt Ihr an der Donau, Ihr griesgrämiges Spinnwebenmännlein, wenn es Euch da nit gefällt?« rief Altdorfer empört.

»Warum? Ich mache Geschäfte.«

Auf dem Heimweg bemerkte Altdorfer die schöne Rachild aus einem Fenster geneigt, in weit ausgeschnittenem Samt, voller Bänder und wulstiger Puffen die langen Ärmel, im Haar einen Kranz feuerroter Blumen, um den Hals eine gleißende Kette. Sie winkte ihm zu.

Fast wäre ihm das Herz durchgegangen. Aber er musste an das Bild der Klugheit denken, die auf dem Drachen sitzt, und er tat, als merke er die Verlockung nicht.

Daheim betrachtete er sich im Spiegel und zeichnete das schattenhafte Wesen darin ab. Das unbärtig gehaltene, versonnene Gesicht mit dem dichten, strähnig es rahmenden Haar war knabenhaft.

»Was für ein Gesicht mag Gott tragen?« dachte er, während er sich zeichnete. »Ist sein Antlitz furchtbar und tödlich, ist es mild und heilsam? Ist es so grell, dass des Beschauers Auge davon versengt wird und erblindet? Ähnelt es dem Menschengesicht? Ist in meinen Zügen etwas von den Zügen Gottes?«

Der größte Meister wäre der, der Gottes wahres Antlitz malen könnte.

Altdorfer betrachtete sich sehr genau.

Vergeblich suchte er in seiner Seele ein Bild Gottes zu formen. An Gott versagt jede Form. Unerreichbar hoch, gestaltlos weilt er über Form und Traum.

 

Es war Abend, und nur wenige Beter knieten im Dom.

Altdorfer gab sich einsam dem schwingenden Zauber der Wölbung hin. Er fühlte hier wieder den Geist des Waldes und der Wipfel, und nur ein Waldvolk konnte solch einen Raum ersinnen aus seiner Sehnsucht in das Unendliche heraus, die Anbetung des Göttlichen bedeutet.

Wie konnte nur der Venezianer den Dom so verleumden?! Doch gilt überall auf Erden der Brauch, die Bauten zu schelten.

Roritzer hatte einmal gesagt, jeder Bauherr solle vor seinen Bau eine Tafel hängen des Inhalts: »Wer bauet auf Straßen und Gassen, soll die Leut reden und die Narren tadeln lassen!«

Altdorfer musste jetzt über die Lehren des Welschen nachdenken. Aber er fühlte: »Keine Regel, kein Zahlengespinst hilft mir. Nicht mit kühlen Formeln beschwörst du das Wunder herauf, wie ein heiserer Hexenmeister vergebens sein Hokuspokus schreit. Sondern es ist eine Zauberkraft im Auge, die die Welt selig gedankenlos durchdringt und an sich nimmt und dann die Seele zwingt, zu gestalten, was die Menschen rührt und entzückt. Das rätselhafte Leben kann wieder nur vom Leben gepackt werden. Nicht wägen, zählen, teilen, zerlegen, nicht peinlich forschen! Nicht der Spruch des erfahrenen Lehrmeisters, nicht ein kluges Formelbuch frommt. Nur aus der wunderbar berührten Seele steigt deine Kunst.«

»Wie fein spinne ich«, sagte er betrübt. »Was hilft es?«

Plötzlich fiel Lärm in die andächtige Stille, er kam summend von fernher, steigerte sich und brach sich draußen laut an den Mauern des Domes. Menschen schrien.

Durch das aufgerissene Südtor taumelte ein Weib herein. Sie rannte zum Altar Stefans des Gesteinigten. Dort brach sie nieder und kreischte: »Hilf! Hilf du!«

Die Zugänge der Kirche wurden sofort von Bewaffneten besetzt.

Ein verbrecherisches Weib, das sich auf dem Weg von der Folter den Schergen entrissen hatte! Jetzt ist sie drei Tage lang gefeit. Dann muss der Bischof sie der Gerechtigkeit ausliefern. Sie ist wohl die Hexe, die in dem Turm Gießhübel liegt.

Altdorfer näherte sich ihr in einem Gemisch von Grauen und Mitleid. Winselnd lag sie vor dem Altar, wie ein wundes Tier in die Höhle geflüchtet.

Der Dom war dunkelrote Düsternis. Kerzenflammen bewegten sich wie verlassene, geängstigte Seelen. Die wenigen Beter hatten hastig den Raum verlassen, dessen Luft nicht mit einer Gabelreiterin zu teilen.

Sie hob zuckend das zerstörte Gesicht. »Liebäugelst du mich schon wieder an, Peinmann?« keuchte sie. »Deute nit auf dein Marterzeug! Freiwillig bekenn ich.«

Altdorfer sah in schwarze, irre Abgrundaugen. Wie Eishauch aus stygischer Kluft wehte es ihn in alter Erinnerung an, und an seiner Lippe formte sich langsam das Wort: »Predewind!«

»Ich will beichten«, fieberte sie. »Du weißt ja alles, Allwissender. Ja, in das Loch zu Predewind bin ich vorgeladen worden, auf rotem Kalb, eine Latern in der Hand, bin ich zu dem Junker Grünhut geritten. O ihr Herren, sprecht mir nit mein bißlein Leben ab! Gebt mich nit dem Peiniger! Ich kann ja nimmer schreien! Ich hab in dem Keller geschrien, dass die Leute droben auf der Gasse mich gehört haben. Gott aber hat mich nit gehört.«

»Susanne Buchnerin! Zusel!« flüsterte Altdorfer, sie zu beruhigen.

»Drohst du dem Folterknecht, Herr Richter, weil er mit mir zu sanft verfährt?! Geh, geh von mir!« Sie gellte in die leidenschaftliche Dämmerung des Domes hinein. Ihr zerrauftes Haar schillerte im versprengten Glanz der Kerzen. »Geh, sonst schleudere ich mich heut nacht auf deine Brust, dass du erstarrst und dein Ende herbeifluchest!«

Altdorfer erkannte, dass er der Fiebernden zur Qual wurde. Schweigend zog er sich zurück.

Die Wächter lehnten mürrisch an ihren Spießen und bewachten das Tor, dass niemand der Hexe zur Flucht verhelfe.

Draußen ging der Doktor Hemmerlein ungeduldig auf und ab, das Barett in der Hand, ein berüchtigter Hexenzwinger, der sich nach gelehrter Sitte Malleolus nannte.

»Altdorfer, Ihr habt mit der Missetäterin geredet?«

Der Richter hatte ein vollkommen nacktes Gesicht, nicht Bart, nicht Braue, nicht Wimper haftete daran, und zwei rotdurchäderte, unbarmherzige Augen drangen weither aus seelenloser, dummer Öde.

»Ein fieberndes Weib liegt drin«,erwiderte Altdorfer. »Man sollt ihr einen Arzt schicken.«

»Ei, hat die Falsche schon Euer Mitleid erlistet? Hütet Euch und werdet nit mitschuldig!«

»Sagt, was hat sie verbrochen?«

»Sie ist schon zu Amberg verdächtig gewesen. Der Teufel, der niemanden zu seinem Heil rät, hat sie nach Regensburg geführt. Die hartnäckige Hexe will mit der vollen Wahrheit nit heraus. Unsere Stadt wird noch schärferes Marterzeug sich beschaffen müssen, das alte zieht nimmer. Die Zauberinnen haben sich daran schon gewöhnt.«

»Was hat sie getan? Hat sie Menschen getötet?«

»Der teuflische Buhlgeist verzerrt ihr das Hirn. Sie bannt Pflüger und Gespann am Acker fest, den Hammer in der Schmiede, den Tänzer auf der Tenne, das Mühlrad unterm Wassersturz, dass jegliches Ding wie im Krampf unbeweglich steht. Mit ihren schwarzen Augen möcht die Bübin selbst den Richter betören. Es ist Zeit, dass sie an den Brandstoß gebunden wird.«

Eine dunkle, klotzige Gestalt stand, von einer Fackel angeschimmert, hinter dem Doktor Malleolus. Der Henker.

Der Doktor quengelte mit seiner verkrächzten, rostigen Stimme weiter: »Manchmal dünkt es mich, Gott sei schon zu alt und hocke podagrisch im Himmel, und die Fröner und Mietlinge der Hölle würden alles Erdreich überwältigen, wenn nit weltlich Gericht nach ihnen griffe und sie ausbrennte wie böses Unkraut.«

»Gute Nacht, Doktor!« sagte Altdorfer und eilte fort.

In jener Nacht zeichnete er einen wilden Hexenritt, Bockreiterinnen mit fliegendem Haar, Hexenring, Roßschädel, Zaubergerät und Molche, berauschte Gebärden, heidnisch kühn. Zottige Böcke mit riesigen Hörnern stiegen in die Luft. Er hielt dieses Blatt geheim.

 

Ein Frauenkloster bestellte bei Altdorfer eine Marterung der heiligen Katharina. Er malte sie, den spitzen Pinsel zeichnerisch wie einen Stift führend, auf ein Lindenbrett.

Zuerst rief er Wolfgang Roritzer vor dieses sein erstes Gemälde.

Ein stattliches Weib in mattrotem Festkleid und mit dem lieblich gerundeten Gesicht eines Kindes kniete gefasst und ohne jede Angst in der Miene und bot den vollen fraulichen Nacken hin, das Schwert zum Hiebe reizend, das in den Händen des kraftvoll sich biegenden Henkers weit ausholte. Aus dem Himmel, der neben dem grünen, wie in klagender Gebärde sich beugenden, verschlossenen Wald in tiefer Bläue strahlte, brach mit lanzenhaft niederstechenden Strahlen ein jähes, gottbeschworenes Unwetter los, ein Zauber aus jähem Licht; dass der bärtige, rotmantelige Hauptmann sich feig duckte, indes seine Knechte schon im weißlichen Hagel des Wetterschlages niedergebrochen waren.

Roritzer sagte: »Der gebeugte Wald ist schön. Aber das schöne Kätherlein tut, als, wolle sie Maienveiglein brocken. Auch die stärkste Heilige fürchtet sich vor dem Schwert. Ihr Mund, ihre Stirn sollten von der Angst gezeichnet sein!«

Altdorfer wehrte sich. »Ihr Glaube macht sie furchtlos.«

»Bei einer Köpfung tät ich mich anders halten«, sagte der Dommeister, »als Armesünder tät ich den Hals länger renken, als Blutrichter das Eisen wuchtiger schmeißen. Aber das wilde Wettergeleucht! Das zuckende Licht aus dem Himmel! Wie bist du unheimlich, Albrecht!«

Als Altdorfer das Gemälde dem Venezianer zeigte, klopfte dieser vor Lust sich auf die Knie, dass der Staub aus den Hosen fuhr.

»Der Henker ist herrlich! Wie verwegen er sich hinüber windet! Welch ein Schwung! Welch eine Kraft! Hei, du hast dem Kerl sein Handwerk gut abgeguckt! Albretto, wir werden dich in Regensburg zum Scharfrichter machen!«

Er umarmte den jungen Meister wie ein von tollen Säften Trunkener. »Nun musst du mir für meinen Hausaltar zwei Flügel malen, den Santo Francesco darauf und den Ironymo in der Einsamkeit! Aber schnell, du fauler Deutscher! Oh, ich bin zwar ein Missgeschöpf, doch weiß ich, was schön ist! Ich bin der Sohn eines Mönches, der hat wunderbar malen können.«

Dann tupfte er mit dürrem Finger auf den Wald. »Das sind keine Bäume, das sind grüne Springquellen, grüne Flammen. Lass den Wald! Du wirst niemals einen rechten Wald malen!«

 

Ein Salzschiffer brachte Altdorfer einen Brief Erhards, darin dieser bat, der Bruder möge doch wieder einmal heimkommen, die Mutter kränkle bedenklich.

Altdorfer hatte schon lange nichts von den Seinen und auch nichts von Eisenhild erfahren, ob auch kein Tag vergangen war, da er nicht ihrer gedacht hätte. Wohl drängte es ihn immer, die Zillenknechte nach dem feinen Silberschmiedskind zu fragen, doch aus Zartheit unterließ er es und wagte er auch keinen Gruß an sie zu senden.

Jetzt lieh er sich rasch das Roß Roritzers aus und ritt nach Amberg.

Die Welt öffnete sich ihm freundlich. Deutschland war ein sonniges Land, mochte auch sein Licht dämmriger und milder sein als anderswo. Und Altdorfer hörte wieder die Hämmer in den Eichenforsten dröhnen und die grüne Vils rauschen und sah die leise dampfenden Wiesen, und je näher er der Stadt kam, desto fröhlicher wurde sein Herz, und er hätte am liebsten seinem Roß Locken in die Mähne brennen lassen und Schellen an die Steigbügel binden, dass er heimklingle wie ein glücklicher Bräutigam.

Zu Amberg ritt er zunächst vor das ärmliche Haus an der Stadtmauer, darin die Seinen einst gewohnt und viel Leid genossen hatten, und er berührte mit dem Fuß ehrfürchtig die morsche Schwelle, darauf kauernd ihm die Mutter den Mond gezeigt hatte, die silbernrunde Insel droben in der Nacht, und die Sterne und die mondbereiften Dächer.

Dann fand er die Seinen in einem angenehmen Haus, dessen Steingaden einen traulichen Fachwerkgiebel trug.

Die Mutter war sehr gealtert. Die Kümmernis der frühen Jahre rächte sich jetzt an ihr: ihr Rücken war vornüber geneigt, dass der Sohn sie nicht einmal umarmen konnte. In die Stirn waren zahllose krumme Falten gerissen, die Augen glotzten trüb, die runzeligen Hände waren von einstiger Plage verstümmelt.

»Brecht, ich bin müd worden«, flüsterte sie erschüttert. »Ich taumle wie eine Winterfliege. Ich hab schwer gelebt. Gottes Wort hat mich allweil getröstet, sonst hätt ich vergehen müssen in meinem Elend.«

»Mutter, jetzt ist alles gut«, tröstete er.

Erhard, ein lebhafter, aufrechter Bursch, packte wie ein Löwe die Hand des Bruders. »Ich will auch ein Maler werden«, grüßte er.

»Deine Pratze ist harteichen«, lachte Altdorfer.

»Von Meißel und Stein!«

Die jüngere Schwester Aurelia war ein munteres, feines Fräulein worden. Magdalena, die Ältere, war hochgeschossen, der schmale Mund war knospenhaft streng geschlossen, sie sah blutleer aus und weiß wie eine kranke Lilie.

Ihr war es wenig lieb, dass das fröhlichfreie Wesen der Geschwister das Haus laut machte, und als Aurelia gar zu singen anhub, verbot sie ihr es. »Aller Lieder Lied ist das Gebet«, sagte sie. »Bete!«

Altdorfer erzählte der Mutter von Wanderung und Alltag und dem Bruder von der berühmten Bauhütte zu Regensburg, und mitten in seinem Bericht wandte er sich an Magdalena: »Was soll mit dir geschehen? Du bist für deine Jahre allzu ernst und verhalten.«

»Ich sehe im Traum oft die Seelen der Verstorbenen auf dem Weg zu Gott«, sagte sie. »Unser Vater ist nie dabei.«

»Schwester, der Vater ist ein redlicher Mann gewesen. Gott wird ihn drüben erkennen und beim Namen nennen und ihn fragen: ›Warum ist dein Töchterlein meiner lieben Welt so abhold!‹«

In geistlichem Hochmut überhörte sie die scherzende Frage. Sie sagte: »Ich will mich zur Klosterfrau weihen lassen und in der Welt leben wie in der Fremde. Mein Haar soll abgeschnitten sein. Beten will ich, fasten, wachen und weinen.«

»Bist du nit glücklich?«

»Ich bin voller Gnaden. Gott pflückt die Gebete von meinem Mund wie rote Rosen.«

»Du allzu junges Schwesterlein, Bind dich nit zu früh! Was weißt du von der Welt?«

»Magdalena soll werden, was sie will!« fuhr die Mutter heftig auf. »Was geht sie dich an, Brecht? Sieben Jahre hast du dich nit um uns gekümmert. Sieben Jahre ist eine ewige Zeit für eine Mutter!« Sie starrte den fremdgewordenen Sohn fast feindselig an.

»Jetzt bin ich bei dir, Mutter«, sagte er sanft.

»Das Glöckel will ich läuten in der kalten Nacht«, hub

Magdalena schwermütig wieder an. »In einer Klause will ich knien und der Welt mich ganz entäußern.«

»Du solltest lieber eines wackeren Mannes Hausfrau werden!« rief nun Altdorfer zornig. »Das ist ein seligeres Amt.«

»Mein Bräutigam ist der weiße Christ, der gefangen steht in der Mandorla.«

Aurelia führte den Bruder auf seinen Wunsch an das Grab des Vaters. Dort in dem stillen Friedhof meißelte er unter

Tränen das Todesjahr in den Stein und die Bitte um die Gnade Gottes.

»Warum bist du gar so lang nit heimkommen?« fragte die Schwester.

»Ich hab lernen müssen und hab dabei euer vergessen«, sagte er.

Sie bestiegen den Berg. Doch sah er diesmal wenig ins Land hinein. »Hast du die Susanne Buchnerin gekannt?«

»Sie ist davon«, erzählte Aurelia. »Sie ist eine Drud gewesen. Sie hat einen Reiter sehr wild gebeten, er soll ihr sein Roß erdrücken lassen. Erst wenn sie ein lebendes Wesen tot-gepreßt habe, höre ihre Qual auf, andere quälen zu müssen. Da ist der Reiter mitleidig worden, er führt sie nachts in den Stall, und wie sie mit dem Roß allein ist, tut sie ihm kein Leides, sie flicht ihm nur Zöpflein in die Mähne. Aber ihre Begier ist ruchbar worden, der Hexenrichter hat ihr nach gefragt, da ist sie fortgezogen. Die Hexenjäger wollen viel Wild stellen. Ich fürchte um Magdalena, sie macht sich verdächtig, weil sie überfromm ist.«

Jetzt wagte Altdorfer die brennende Frage: »Und Eisenhild? Die aus dem Haus des Silberschmiedes?«

»Du erinnerst dich noch ihrer, Bruder? Sie hat einen reichen Kaufmannssohn aus Sulzbach geheiratet.«

Die Augen erdunkelten ihm vor Leid, das Herz setzte ihm aus. »Um Gottes willen, erblinde ich auch?« dachte er.

Er sah auf die Stadt hinab. Er zählte die Türme drunten. Es waren nicht mehr, nicht weniger worden. »Heute lieb, morgen schabab!« rief es in ihm. »Welt, Welt, o Welt!«

Sie stiegen bald wieder nieder und schlenderten durch die alten Gassen. »Jungferngunst, Rosenblatt und Geigenklang ist gar fein und währt nit lang«, reimte sein wundes Herz.

Der Garten vor dem Wingertshofer Tor war verwahrlost, die Wege darin waren vergrast. Das kristallene Brünnlein sprang nimmer.

»Und der Hittenkofler?« fragte er.

»Der ist tot«, erwiderte Aurelia.

»Die Welt verweht«, flüsterte er, und alle Freude der Heimkehr war ihm verloschen. »Ich will nach Italia reisen.«

Sie legte bang den Arm um ihn. »Da sehen wir dich wieder sieben Jahre nit. Italia ist sehr weit.«

Vor dem Tor des Hauses wartete Magdalena. Sie sagte still zu den beiden: »Die Mutter ist gestorben.«

Altdorfer lief erschrocken in die Stube. Da lag die alte Frau auf das Bett gebahrt. Man hatte sie, über eine Truhe gebückt, tot aufgefunden.

»Du bist noch zur rechten Stunde heimkommen, Brecht«, sagte Erhard. »Die Mutter hat noch die Kraft gehabt, zu leben, bis sie dich wiedergesehen hat.«

Altdorfer weilte lange an der Leiche der Frau, die ihn geboren hatte. Sie lag da, als wäre sie meilenfern und durch einen bodenlosen Abgrund von ihm geschieden. Sie ruhte, die leidenschaftliche, die geschäftige Frau. Zu ihren Häupten ein schmächtiges, bebendes Sterbeflämmlein. Das fast sinnlose Gebet einer Muhme summte eintönig.

Altdorfer war traurig wie noch nie im Leben, er wünschte für eine Weile die Stirn auf die blutigen Knie des Schmerzensmannes legen zu dürfen.

Magdalena vergoß keine Träne. Sie war voll feierlicher Fröhlichkeit, als erwarte sie ein hohes Fest. »Es ist gut, dass die Mutter dem Vater näher ist«, sagte sie.

Die Muhme redete aus dem Betwinkel herfür: »Kinder, ihr tut mir leid, aber fürchtet nichts! Es ist für euch gesorgt.« »Beneidet uns!« entgegnete Magdalena. »Wir dürfen leiden.« »Ist das noch Schmerz, was du fühlst?« fragte der Bruder. Sie sagte: »Kann man Lust von Schmerz trennen?«

 

Am Tag des Begräbnisses fiel Nebel ein, und es war ein Licht, wie es auf den grauen Wiesen der Unterwelt sein mochte.

Nachdem Frau Uda neben ihrem Mann beigesetzt war, berieten die Kinder, was mit ihnen geschehen solle. Die Muhme ließ Aurelia nicht von sich, sie wollte sie als künftige Erbin ihres Besitzes um sich haben. Magdalena und Erhard sollten nach Regensburg ziehen.

Noch einmal fragte Altdorfer in tiefer Besorgnis die fromme Schwester: »Willst du ernstlich ins Kloster? Wisse, eine Nonne ist wie schönes Obst, das ungeerntet im Laub vergessen wird!«

Sie entgegnete sanftmütig: »Was soll mir das bunte Spiel der Welt, da ich bei lebendigem Leib Gott schaue?«

Darauf fragte Altdorfer, ihres Schicksals vergessend, in hastiger Gier: »Sag mir, wie siehst du Gott? Wie ist sein Gesicht?«

Schwärmerisch schloss sie die Augen. »Mir sind die Sinne der Seele aufgegangen. Ich schaue ein großes, sehr weißes Licht.«

Da stieß Erhard sie rauh an und rief: »Wach auf, Närrin!« Im Nachlaß der Altdorferin fand man einige Säcke voll dürrer Kräuter. Man warf sie ins Feuer, weil man damit nichts anzufangen wusste.

Wolfgang Roritzer betrachtete die neuen Bildtäfelchen des Freundes.

Der Heiland hing an einem geflügelten Kreuzbalken, aus seinen fünf Blutbrunnen fuhr eine Kraft und teilte sich dem knienden Franziskus mit und zeichnete ihn an den erhobenen Handflächen, an den Füßen und an der Brust mit den geheimnisvollen Wundmalen. Hinter der lichten Gestalt des Heiligen ruhte dunkelhell die Abendlandschaft, Hügel vor einem farbigen Himmel.

»Du hast von Dürer gelernt, Albrecht«, sagte der Dommeister. »Aber der Nürnberger weiß, wie die Falten des Gewandes sich werfen müssen, dass man die Form des Leibes hindurchsieht. Du noch nit. Und die Strahlung von Leib zu Leib hast du nüchtern und grob mit dem Lineal gezogen. Wunde strahlt nit zu Wunde in bindendem Licht zu wunderbarer Vereinigung. Und das Gesicht des durchbohrten Menschen ist leer.«

An dem andern Bild bemängelte er den schwammig gemalten Leib des heiligen Hieronymus. »Und der Löwe da ist kein leibhaftes Tier. Wer wird ihn fürchten?« tadelte er.

Doch das bunte Licht, das Baum und Stein und Wasser und Ferne des Bildes berührte und bedeutsam machte, gefiel ihm sehr.

Auch die Geschwister besichtigten die Tafeln. Während Erhard begeistert seinen Beifall äußerte, betrachtete Magdalena zweiflerisch den heiligen Franziskus und flüsterte: »Wenn mich die Gnade also fünffach blutig durchdränge, wie würde ich mich krümmen und bäumen vor lustvollem Weh!«

Der Venezianer war zufrieden. Er lobte besonders die Farbigkeit und Fülle der Pflanzen und des Hintergrundes. »Sieh da!« lärmte er. »Santo Ironymo kniet vor der Kelheimer Klause an der Donau!«

Aber der junge Meister war unzufrieden.

Sein äußeres Leben hob sich. Seine kleinen Drucke wurden in ganzen Ballen nach Augsburg, Ingolstadt und Frankfurt gesandt und von dort aus weitergeschickt, die bildhungrigen

Menschen kauften sie gern. Und Uberto vertrieb sie nach Welschland.

Erhard trat in die Bauhütte ein. Er fasste leicht auf und wusste sich in alle Sättel zu schicken. Sein heiteres, aufgeschlossenes Wesen erwarb ihm viel Freundschaft.

Ehe Altdorfer die Schwester dem Frauenkloster der heiligen Klara übergab, stellte er ihr zum letztenmal eindringlich vor, wie töricht es sei, eine zu weit über das Menschliche hinausgetriebene Vollkommenheit erwerben zu wollen, Gott habe uns einmal als Menschen geschaffen und verlange nichts Uber-weltliches von uns.

Die Schwester hörte ihm nicht zu. Sie sagte: »Ich will sein wie die heilige Maria aus Magdala. Sie ist nit gleich in den Himmel kommen, aber das Fegfeuer ist ihr ein lieblich Gärt-lein gewesen. Ich will mit den weißen Klosterfrauen schwesterlich leben und unter ihnen einsam sein.«

»Freut dich denn die Welt gar nit? Freut dich nit der singende Vogel? Nit die Blume im Feld?«

»Wie könnt ich mich freuen, solange meine Seele aus der Ewigkeit verbannt ist in die Zeit?«

»Im Kloster lebt es sich nit so himmelsnah, wie du in deiner Einfalt mr-nst«, warnte Altdorfer. »Nonnentum ist ausgeartet. Das Volk x aunt von den Knöchlein verscharrter Nonnenkinder. Auch in die Zelle der Büßerin flackert die Welt hinein.«

Sie sah ihn hochmütig an. »Ich will eine Amsel sein, die in den Ästen des Kreuzes nistet, eine Singerin des Heilandes. Von ihm allein will ich den Trauring nehmen, will ihm Braut und Schwester sein. Selig schaudernd will ich ins Totenhemd schlüpfen und warten und endlich sterben im Kuß des Herrn.«

»Niemánd kennt sein Herz, Schwester. Und das Herz des Menschen ist wandelbar. Du wirst Leides tragen.«

Sie hob die Hände, und die waren so zart, als wären sie unmittelbar aus der Seele gewachsen. »Ohne große Gewalt kann man den Himmel nit erstreiten!«

Da führte er sie zu den Klarissinnen, und der jungfräuliche Konvent dort nahm sie auf.

Damals kam Dionys Roritzer aus Florenz heim, das Gesicht braun und gedunsen von der ungewohnten Sonne des welschen Himmels. Er redete wie ein Berauschter von der neuen Kunst. Wie wunderbar ist es, wenn ein Mensch von einer Reise heimkehrt, brennend noch von dem Erlebnis, erfüllt noch von dem Glück des Schauens, bereichert mit neuen Maßstäben!

»Jetzt dünkt mich der Dom der Roritzer ein volles Narrenwerk«, sagte er zu Altdorfer. »Deutschland meißelt plumpe Rolande und Riesen, Welschland den schönen natürlichen Leib des Menschen!«

Er rühmte das große, freie Leben der südlichen Künstler. »Wir in Deutschland hausen dürftig und eng, ohne rechten Anteil an den flammenden Gütern des Lebens. In Welschland trinkt man den Tag in Schaffen und Genuß wie seinen feuerträchtigen Wein.« Und roll des Oberschwanges verfluchte er die Alpen als Hemmnis der sich weitenden neuen Kunst, und er wünschte, das ganze Gebirge möge geschleift werden.

Dieses Wort aber mißfiel Altdorfer, und er sagte streng: »Gottes Schranken sind weise.«

»Was weißt du Stubenhocker?!« spottete Dionys. Und er pries die herrlichen Farben des Mittelmeeres, seine zauberhafte Spiegelkraft, die durchsichtige Helle, den smaragdenen Abgrund, die zarten Lichtnebel darüber und die duftige Ferne. »Ich bin über das göttliche Wasser gefahren, und mir ist gewesen, ich reise in der Bläue der Seligkeit«, rief er.

Altdorfer fühlte das Heimweh nach der gepriesenen Ferne in sich schwer werden, aber in der Sorge um die Geschwister, die ihn gerade jetzt brauchten, senkte er die Wünsche wie vergeblich erhobene Schwingen.

Er begann eifrig zu arbeiten.

Von der antikischen Schwärmerei des jungen Roritzer getrieben, malte er ein heidnisch heiteres Bild mit Märchenwesen des Altertums, mit Satyrvolk, bockfüßig, gehörnt und knüppelbewehrt und im Besitz weißer, voller Menschenfrauen, mit Felsen und Eichengrün, mit Pappel und Tanne waldfriedlich verbrämt, mit Bergfernen die Sehnsucht aufschürend.

Doch als bereue er seine in heidnischem Gelüst ausblühende Kunst, malte er gleich hernach ein winziges Nachtstück mit der Geburt des vielzarten Kindes. In einem verfallenen Bauernhaus, wie er es einst von den Hussiten zerstört gesehen, kämpft nächtens gegen das durch das zerborstene Dach lauschende hohle Mondscheinlein die Laterne Sankt Josefs, Schnee und bereiftes Gemäuer zwittern. Dahinter düstert ein hoher Giebel, gilbt Gewölk, ragen Berge in rohem, dumpfem Rot. Es wäre ein unheimlich verwirrendes und ängstigendes Bild geworden, wenn nicht die Englein darein purzelten und die reine Frau nicht ihr Kind anbetete.

»Wie wird Uberto dieses Täflein lästern, dein Freund, der alte Bube, den Sümpfen Veneziens entstiegen!« spottete Wolfgang Roritzer.

Zur selben Zeit zeichnete Altdorfer die Angst Christi im Olgarten. Er bestrich das Papier mit einer drohenden bräunlichroten Farbe, zeichnete darauf die wilden Fächer der Bäume, entsetztes Geäst, das trüb sich neigte über den in der Not eines verfolgten Menschen ringenden Heiland, zeichnete die wie dumpfe, leblose Steinbrocken hingestreuten Leiber der schlafenden Freunde, den aus der Tiefe ungestüm hervorbrechenden Fackel- und Hellebardenhaufen der Häscher, voran Judas am Steg, alles nächtlich eingefasst von bösem Gefels und fernen Bergkegeln.

Wolfgang Roritzer erwarb dieses Blatt.

Er reichte Altdorfer die steinschwere Hand. »Ich kann nit sagen, was mich an deiner Arbeit da so wild aufrührt. Ich spür, wie es ist, wenn einen die Mörder holen. Worin liegt die ungeheuere Angst? In dem Gekräusel der Äste? In dem Licht, das diese Kronen, diese Baumsäule. da anglänzt? Und woher quillt dieses Licht? Du bist geheimer Lichtbrunnen kundig.«

Bewundernd und besorgt sah er den jungen Meister an. »Albrecht, bleib das, was du auf dem Blatt bist! Wie hoch schwebt dieser Ölberg über dem Geflunker mit den wilden Waldmännern! – –«

Altdorfer besuchte die unterirdische Werkstätte. Grünes Gift rauchte, die Ampel schwankte und ließ die Schatten wanken, in der Esse flackerte es. Brennender Schwefel stank.

»Siedet Ihr schon die Goldsuppe?« lächelte der Maler.

Wütend rief der Bucklige: »Eine neue Farbe brau ich, dass du deine grünen Wälder hinklecksen kannst!«.

»Was fletscht Ihr mich an?«

»Mit dem Satyrbild bist du der neuen Kunst schon nahe gewesen. Verdammt, und jetzt fällst du in den nordischen Dunst zurück, in die gotische Unart!«

»Euch mißfällt das Ölbergblatt?«

»Du unbeholfener Gauch! Gott kann dir nicht helfen. Immer wieder brichst du in den skythischen Nebel deines Donautales ein, in den trüben, triefenden Wald! Deine Gestalten haben kein Fleisch und kein Blut, sie gehen um wie Gespenster und Druden. Dieser Roritzer verdirbt dich! Eine Schlange hätte man ihm in die Wiege schicken sollen! Ja, in dem Olbergblatt ist wieder das Gefühl für das schöne Maß ins überschwengliche Nichts hinausgeschnellt! Sieh dir den Marmorkopf da droben an! Lern von ihm!«

Der Buddige tobte so heftig, dass der Pudel in der Kammer tückisch zu knurren begann, als wittere er Gefahr für den, der ihm das Brot reichte.

»Den Dom soll man umstoßen, dass kein Stein mehr auf dem andern liegt! Diese verworrenen Eulenklüfte, diese Fledermausherberge!« schmähte Uberto. »Ich beschwöre dich, Albretto, verlier dich nicht in dich selber! Dein inneres Wesen ist dein ärgster Widersacher. Lern von den Alten!«

Altdorfer schwieg, um den Welschen nicht noch mehr zu erbittern. Was hätte auch ein Streit gefruchtet? Der graue Dom war wohl ein deutsches Geheimnis, fremdem Blut unverständlich.

 

Der Dommeister sagte, der Künstler müsse neben dem Schönen und Lieblichen auch das Grauen schauen. »Wie willst du die Qual in das Angesicht des Gekreuzigten reißen, Albrecht, wenn du niemals die Qual eines Menschen geschaut hast? Rüste dein Herz und geh heut in den Folterkeller! Der Doktor Malleolus lässt dich ein.«

»Was sinnt Iir mir an, Meister Wolfgang?« wehrte Altdorfer ab.

»Was dort geschieht, ist nit hold. Pfaffen und Richter tun, als sei das ganze Römische Reich ein Hexenland voll bösen Willens und gottfeindlicher Kräfte. Aber der Maler soll seine Zeit kennen.«

Zur anberaumten Stunde begab sich Altdorfer, von einem Ratsknecht gewiesen, hinab in den Peinkeller. Uble Luft und Fackelgestank schlug ihm entgegen.

Drunten schafften schattenhafte Gestalten. Ein Windlicht brannte im Eisenring und beleuchtete rätselhaftes stachliges Gerät. Das freie Gotteslicht fand hier nicht herab, und an den schweren Mauern zerbrach der Schrei des Menschen ebenso wie an den Herzen der Richter und der Folterer.

Ein nackter Leib hing überlang gedehnt im Zwielicht, die Arme rückwärts gerissen, die Hände an ein Seil geknüpft. Ein Weib in schrecklicher Verrenknis auf einer Rolle aufgezogen.

Aus dem Gitter einer Holzwand brach Licht und blendete in ein entstelltes Gesicht: hinter der Wand lauerte der Richter mit den Schreibern. Eine rostige Stimme stach heraus. Der Doktor Malleolus.

»Die Angeschuldigte möge bekennen, dass sie ihren Mann, den Berthold Buchner aus Amberg, entrückt hat, so dass er nirgends und auf der ganzen Welt nimmer zu finden ist!«

Altdorfer fuhr mit den Händen aufs tiefste betroffen an die Schläfen. Die Susanne Buchnerin!

Eine matte, durch viele Schreie der Qual verdorbene Stimme kreischte: »Ich hab das nit tan. Weiß nichts. Wie könnt ich einen Menschen entrücken? O mein Gott! O mein Gott! Warum lasst ihr mich so arg leiden? Tötet mich!«

»Die Beschuldigte hat bekannt, dass sie Gott und Sonne und Mond und Laub und Gras abgeschworen und verleugnet hat. Sie hat bestätigt, dass sie mit dem feurigen Teufel ihr greulich Werk getrieben hat. Sie möge gleich sagen, an welchem Tag?« fuhr die eiskalte, eintönige Stimme des Richters fort.

»Ist nit wahr, ist nit wahr!« winselte sie kläglich.

»Bekennt! Oder ich lasse Euch sengen! An welchem Tag?« »An dem Tag, da der Mann am Holz tot ist. O weh! Ist nit wahr, was ich sag!«

.»Am Karfreitag also! Und was hast du weiter vollbracht, du bubennärrisches Weib?«

»O weh, den Springtanz hab ich geübt mit dem Liebsten!« »Wer hat dich den unkeuschen Tanz gelehrt?«

»O weh, die Mutter t«

»Wer noch?«

»O weh, der Vater!«

»Wer noch?«

Da schrie die Gepeinigte den unsichtbaren Frager an: »Wer noch? Wer noch? Du, du, du, Herr Urian! Du hast – beim Tanz – den Kessel gehalten!«

»Du teuflisch hinterhältisch Weib!« quäkte die Stimme des Doktor Malleolus. »Deinen Richter willst du der Zauberei beschuldigen?! Wir werden dir zu Bett leuchten! Brennt sie, Knechte!«

Einer hielt eine flackernde Kerze in ihre Achselhöhle. Sie heulte auf wie ein Tier.

»Der Teufel juchzt aus ihr!« rief der Richter. »Sie spürt keinen Schmerz. Sie verstellt sich nur.«

Die röhrende Stimme der Gefolterten wurde wieder menschlich.. »O Maria! O Jesus! Ist kein Erbarmen nimmer da? Ich kann nichts sagen, und wenn ihr mich zerfetzt. O seid ihr denn keine Menschen?«

Volles Licht fiel auf sie. Ihre Augen waren irr herausgepreßt, ihr Rachen war keuchend aufgerissen, ihr Leib ein einziger Wehschrei.

Das Grauen im Nacken, floh Altdorfer.

Er rannte durch die Gassen. Die Häuser, die Türme erschienen ihm wie grausame Ungeheuer. Dass die Welt so dumpf, so unbarmherzig war? Hatte Christus deswegen um sie gelitten? Er betete und war sich doch der Kraftlosigkeit seines Gebetes bewusst. Wild zitterte das Erschaute in ihm nach.

Beim Prebrunner Tor gewann er das Freie. Er wollte Trost suchen bei der Unschuld der Wiesen, bei der Donau.

Die Erde ruhte in versöhnender Schönheit und ahnte nichts von den Gewalttaten, womit die Menschen einander abscheulich begegnen. Die Erde hatte sich einen Strauß der sanften Blumen festlich vor die Brust gesteckt. Eine riesige Linde prangte im warmen Grün ihres jungen, glühenden, durchscheinenden Laubes. Der Ton einer Grille zitterte. Ein beflaumter Same schwebte leicht daher, ohne die Sorge des Suchers, gewiss der führenden Hand des Schicksals. Groß und mild ging die Donau.

Und indes Altdorfer sich träumerisch zur Wiese neigte und abwesenden Geistes Blumen wählte und sie zu einem Kranz vereinigte, erstand in ihm ohne Zusammenhang mit dem Ort, wo er weilte, und mit der Schrecknis des Folterkellers in unerklärlichem Vorgang das Bild einer Waldwand und verdeckte ihm, wie eine Urerinnerung befremdlich vertraut, Welt und Stunde.

An einem Pflock hing der Kahn des Dionys Roritzer. Altdorfer sprang hinein, und bald strebte er mit festem Ruderschlag dem Strom entgegen.

Ein Wels wanderte mit ihm donauaufwärts, der glatte Fisch funkelte im Dämmer des Wassers. Es war ein Tag voll leuchtender Farben, die Sonne berührte alles inniger als sonst.

Strahlen badeten. Kraniche schrien. Der Duft der maienfrischen Felder, der wasserfrohen Weiden wob.

Ein Nachen glitt Altdorfer entgegen und barg seltsame Fracht. Ein älterer Mann in der Tracht eines vornehmen Bürgers steuerte, vor ihm lümmelte ein mächtiger Bär, wohlgekämmt und friedlich, und drei junge Mädchen sangen und lautenierten und glichen mit ihrem gelösten Haar drei Donaufräulein.

Und wie die zwei Schifflein einander begegneten, raffte Altdorfer den Blumenkranz neben sich auf und schleuderte ihn hinüber. Eine von den dreien fing ihn auf und krönte sich damit, und vorüberfahrend kehrte sie sich um, das ährengoldene Haar fiel ihr in schimmernder Welle liber die Schultern, und sie dankte mit einem schönen Lächeln.

Der Maler winkte, und sein Herz schwamm ihr beseligt wie auf einem Blumenblatt nach.

Er landete am binsigen Ufer einer kleinen Bucht und schritt durch das feuchte Glanzgras. Eine Eiche, von dichtem Eppich umschlungen, wuchs dort, und im Dämmer ihrer Krone waberte der Widerschein des funkelnden Wellenspieles. Die Donau, die eben die Altmühl und die Nab in sich getrunken hatte, satt und still, als schliefe sie. Mittäglich brodelte und tanzte die Luft, es war eine panische Stunde, und Altdorfer meinte, jetzt müssten die beschilften Stirnen der Donauwunder emportauchen.

 

Altdorfer malte auf Pergament, was sich ihm damals an der Donau an innerem Gesicht geboten hatte. Eine dunkelgrüne Waldwand mit schattenden Eichenkronen, düsterwilden Stämmen und abenteuerlichem Geäst, das Dunkel mit helleren Tönen gelichtet, das Blätterwerk wie von der Sonne scheu gestreichelt, in mancherlei Abschattung von weißen Lichtern durchquert. Rechts hinter zwei abseits träumenden Stämmen öffnet sich ein waldiges, in der Ferne verblauendes Tal. Eine Stätte tief entlegen in unheimlicher Stille und seltsamem Spätlicht. Der Wald, dahinter die Wildnis ins Endlose ziehen mochte, schien etwas Großartiges, Ungeheuerliches zu erwarten: ritterlichen Überfall, Frauenraub, niederstürzende Engel, aufspringende große Raubtiere, das Einhorn mit dem rasenden Auge, und doch war darin die kühle Gleichgültigkeit der unbeteiligten Natur.

Der Venezianer betrachtete das Gemälde mit kalten Augen und sagte schroff: »Was zeigst du es mir, Albretto, da es noch nicht fertig ist?«

»Es ist fertig«, sagte Altdorfer. »Es kommt nichts mehr dazu.«

Der Welsche sah ihn verdutzt an. »Das ist wieder maniera gotical Das ist barbarisch!«

»Gefällt es Euch nit? So hab ich es empfunden, als ich einmal durch die Wälder gewandert bin.«

»Das ist verworren, verkräuselt, verknäufelt, das ist Schrullerei. Nur du bist imstande, die üble Wüstenei um ihrer selbst willen zu malen! Wo ist da der Mensch? Der Mensch! Der Mensch!

Euere Zunge trägt Dörner. Warum soll man die Natur nit ihr selbst zu Liebe malen? Muss denn dabei immer ein Heiliger von den Heiden geröstet werden?«

»Das kauf ich nicht! Das kauft dir keiner ab!«

»Ich hab es nit gemalt, dass Ihr oder Herr Jedermann es kaufe.«

»Für wen malst du dann, Buffone? Es ist Wahnsinn, menschenleeres Land zu malen. Das hat noch keiner getan. Die Landschaft ist nur das Gefäß der menschlichen Taten. Der Wille des Künstlers sei nur auf die Darstellung des Menschen gerichtet. Was würden die großen Griechen zu diesem Bild sagen?! Ist in ihrer Marmorwelt ein einziger Baum zu sehen?«

»Albrecht Dürer hat einen Rasenfleck gemalt«, verteidigte sich Altdorfer.

»Ja, aber nur als scizza! Er wird eine Madonna in das Gras setzen.«

»Ich bin ein Waldkind. Drum male ich den Wald. Ihr Südländer liebt die Wälder nit, ihr habt sie zerstört. Aber meine Ahnen sind durch die Wildnis geschritten. Wie unsere großen Wasser Donau und Nab und Regen aus den Wäldern stürzen, so bricht auch der deutsche Mensch aus dem Wald, und sein grünes Bild bleibt ihm ewig.«

»Warum hat sich der große Maestro zu mir unwissendem Mann herbemüht«, spottete der Bucklige. »Was wünscht er, da er meinen Rat verschmäht? Ein Pfündlein de auro ultra-marino, den Kittel der Madonna zu färben? Ein Lot terra gialla Oder terra rossa Oder florentinisch Berggrün?« Er verneigte sich in höhnischer Dienstwilligkeit.

Altdorfer rodelte das Pergament zusammen und ging ohne Gruß.

Das schroffe Urteil entrüstete ihn. Warum sollte er die Wildnis just mit Menschen beleben und stören? Redet sie nicht für sich allein genug? Lebt sie nicht mit ihren Lichtern und Schatten, mit ihren wankenden und regungslosen Wipfeln, mit ihrem rauschenden oder stillen Laub, mit ihren verborgenen Vögeln? Ist sie nicht für sich allein Handlung und Geschehen auch ohne den Menschen? Ist ihr Schweigen nicht eine wilde, beredte Sage?

 

Als Wolfgang Roritzer in die Malstube kam, begrüßte Altdorfer ihn mit der Frage, ob er den Kaufmann Sebastian Paumgartner gut kenne.

»Gewiss! Den Tollkopf, der mit dem gezähmten Bären durch die Gassen geht.«

»Er hat drei Töchter?«

Meister Roritzers strenge Stirn hellte sich auf. »Es ist wohl an der Zeit, dass du dir dein Hauswesen gründest«, lächelte er. »Jeder Bürger in Regensburg lässt dir gern seine Tochter.«

»Meint Ihr das wirklich?« fragte Altdorfer kindlich.

»Du bist ein Künstler. Du hast alles, was ein Künstler haben muss: Fleiß, Geduld, Genauigkeit im Handwerk, Treue zum Werk, die Kraft des Vortraumes.«

Roritzers Blick fiel von ungefähr auf die Waldlandschaft. »Etwas Neues?« fragte er.

»Schaut es nit an, Meister Wolfgang! Der Venezianer hat mir die Freude daran vergällt.«

Der Dommeister betrachtete es lange schweigend. Dann sagte er: »Der Welsche vermisst gewiss den Menschen auf diesem Bild. Für dieses eine Mal stimm ich ihm bei. Aber hör nit auf ihn! Er will dich deinem Wesen entfremden. Er hasst dich wie mich. Jüngst hat er bei den Machthabern der Stadt gegen den Dombau gehetzt. Der Bau sei überflüssig! Und er macht mir die alten Freunde abspenstig. In der welschen Taferne trinkt er meinem missratenen Sohn zu. Zum Teufel, ich schlag dem Kerl noch den Buckel ein! Mit einer Rute im Genick soll man ihn aus der Stadt stäupen und ihn verweisen über die vier Wälder! Den Verführer!«

In heftiger Erregung nahm er Abschied.

Doch zwischen Tür und Angel rief er noch einmal zurück: »Albrecht Dürer ist in Regensburg!«

Altdorfer wachte grübelnd die halbe Nacht. Er sann über sein Bild nach. Er bebte vor Glück, den bewunderten Meister aus Nürnberg endlich einmal zu sprechen.

Bei grauendem Morgen kramte er in seinen Entwürfen nach einem Drachenkampf.

Feigen Herzens und sich selber verachtend malte er in das Laubgrün des Waldbildes den weißen, durch leisen Schatten gedämpften Leib eines Schimmels und darauf, blauschillernd gerüstet, Sankt Jörg, nach tödlichem Hieb das Schwert senkend und vorgeneigt gegen das glotzende, im Verenden leicht gähnende Ungeheuer.

Dann betrachtete er, was er lustlos nun dem Bilde zugefügt hatte. Das Abenteuer war fast durchsichtig hingehaucht. Reiter und Drache verschwanden fast, vom Grün der Wildnis überdämmert und darin aufgenommen.

 

Wieder zog es Altdorfer wunderbar zum Prebrunner Tor hinaus, zu der alten Immenlinde. König Pipin hatte sie, nach sagenhafter Uberlieferung, gepflanzt, unter ihrem Schatten hatten die irischen Mönche gerastet, ehe sie sich in Regensburg in des Reiches Mitte niederließen, mit gewaltiger Rede die heidnischen Baiern dem Christus zu erobern; Bruder Berthold hatte hier, auf breitem Ast stehend, vor einer ungeheuern Menge mit flackernder Höllendrohung wider den Neid gepredigt, wider das verbreitetste und ärgste Übel im Volk.

Nun weilten unter dem Immenbaum Sebastian Paumgartner, ein Mann von breitschulteriger deutscher Biederkeit, und das Mädchen, das den Kranz aufgefangen und sich ins Haar gedrückt hatte. Sie stand, von ihrer Schönheit und Jugend wie von einem sanften Schein umflossen.

Die beiden jungen Menschen erkannten sich sogleich wieder.

»Sie ist meine Tochter Anna«, sagte Paumgartner, nachdem er den Maler zu sich herangewinkt hatte. »Sie ist der besondere Liebling Brunos.«

Ihre blutdurchglühten Wangen röteten sich noch tiefer, und sie sagte: »Bruno ist unser Bär.«

»Was haltet Ihr von dem Wetter, Meister Altdorfer?« rief der Alte in guter Laune. »Ein Maler muss ein scharfes Auge für Wind und Wolke haben. Ich hoffe auf einen feinen Weinherbst. Zu Dreikönig hab ich die Sterne durch den Rauchfang gesehen.«

»Ihr habt sicherlich ein hübsches Winzergut?« meinte Altdorfer.

»Ja, bei Wörth. Und auch nahe dem Kloster Weltenburg. Seid Ihr schon einmal auf der Donau in der Schlucht zwischen den weißen Felswänden gefahren? Ein Maler muss das sehen! Habt Ihr übrigens heute den Hexenbrand gesehen?«

»Die Susanne Buchnerin?« fragte der Maler traurig.

Paumgartner nickte. »Wie sie zum Brandstoß geführt worden ist, hat sie gesagt, heut gebe es noch einen schwülen Tag. Und wie das Sünderglöckel anhebt, da lacht sie und reimt: ›Durch höllisch Feuer ist das Glöckel geflossen, mein Schatz, der Teufel, hat es gegossen!‹«

»Sie ist ein armes, verwirrtes Weib gewesen«, sagte Anna.

»Man hat sie an den Eichenpfahl angekettet«, fuhr Paumgartner fort. »Der Schwefel ist angezündet worden, das Pech hat gebrannt. Da hat sie gesungen: ›Wie rot blühn um mich die Rosen!‹ Wie aber die Flamme aus dem trockenen Reisig hochfährt und das Holz ergreift, da bricht die Gekettete wie rasend aus dem Rauch herfür. Der Teufel mag ihr zu solch unmenschlicher Kraft verholfen haben. Sie hat aber nur ein paar Sprünge getan, hernach ist sie gestürzt und dahin gewesen.«

»Die Welt ist unsicher«, sagte Altdorfer, von einer unbestimmten Bangheit ergriffen.

»Ihr habt recht«, stimmte Paumgartner zu. »Und nit einmal das feste Regensburg schützt seine Bürger. Jüngst hat ein Räuber unserer Stadt die Fehde angesagt. Mit dem Messer hat er seinen Brief ans Ostentor geheftet. ›Wisse, Regensburg, ich will dein Feind sein!‹ also hat er darauf geschrieben. Und darunter seinen Namen: Ruppert Holzenfelder, genannt zum wilden Wald.«

»Unser Bär soll mich hüten mit den treuen Tatzen!« sagte das Mädchen.

»Ich hab in Wörth zu tun, wollt Ihr mit uns fahren?« lud Paumgartner den Maler ein.

Dem flügelte das Herz wie einem wilden Vogel, als er Anna ansah. »Gern fahr ich mit!«

Die Donau erfasste das Schifflein und trug es hastig an Regensburg vorbei, unter dem Brückenbogen dahin, durch den Strudel, an den gleichmäßig gebauten Wehrtürmen vorüber.

Rebenhügel, kleine Wälder, freie Wiesen, urbares und dann wieder ödes Geld, der Donau preisgegeben, wenn sie nach wilden Wolkenbrüchen oder im Rausch des Frühlings rasend wurde. Träge, verschilfte Flussarme, tote Rinnsale, Sandbänke, darauf runde Kiesel glänzten, buschige Inseln. Das Bergschloss Donaustauf, wo Albertus in seiner mönchischen Zelle geschrieben, kundig der Weisheit grauer Völker und sich des Gedankens freuend, dass alle Natur Gottes Sinnbild sei.

Indes Paumgartner mit seinem Schiffsknecht über Winzergut, Fisch und Handelschaft redete und über den Wein des Vorjahres schimpfte, der erst zu Sankt Galli gereift war, grober Wein, kaum dass die Bauern ihn saufen, sagte Altdorfer plötzlich wie ein Entrückter heimlich zu Anna: »Aller Welt Königin, des Himmels und der Erde!«

Sie blickte ihn an, maßlos verwirrt.

»Was ich da sage, ist nit Sünde, Kranzfräulein«, flüsterte er.

Sie ließ eine Blume ins Wasser gleiten.

Die Sonne strahlte mächtig den Strom an, und der erwiderte mit gellendem Glanz. Fische zogen drunten in dem samtgrünen Abgrund.

Die innige Landschaft strömte in Altdorfers Herz und wurde Gedicht.

Er redete wenig. Einmal sagte er: »Das stärkste Wort Gottes ist: ›Es werde Licht!‹«

In Wörth begaben sich Paumgartner und sein Knecht in das Städtlein.

Altdorfer und Anna gingen das Ufer entlang. Der Strom rauschte an einem Auwald vorüber und ergoss sich in die Weite und verschimmerte, als münde er in den Himmel.

Ein Hirsch mit weißer Haut und stolz zurückgebäumtem Geweih rann im Wasser dem jenseitigen Gestade zu. Alles ward auf einmal weltfern.

Die beiden jungen Menschen sahen einander an. Ihre Augen funkelten wie die Augen der Götter.

Er sagte: »Ich bin in Eurer Gewalt und Gnade.«

Sie sprach: »Vor vielen hundert Jahren hat Kaiser Karl zu Regensburg zwei Fische mit einer goldenen Kette zusammenbinden lassen und sie dann der Donau zurückgegeben. Die Fergen sehen manchmal noch die beiden schwimmen und die Ketten blinken.«

Er hob die Welle ihres lichten Schläfenhaares, entblößte ihr Ohr und freute sich an dessen lieblicher Form. Dann umarmte er sie. »Schweben wir nit?« fragte er.

Sie antwortete: »Wir stehen fest. Unter uns ist bairischer Grund. «

»Nein! Wir schweben hoch. Horch! Ferner und ferner tönt der Fluss.«

»Es ist wahr, Altdorfer. Was geschieht mit mir?«

Er küsste sie. Er fühlte die Welt stromhaft in sich münden.

»Mir hat von dir geträumt«, sagte er. »Ich hab dich verfolgt. Du bist eine blaue Schwalbe worden, ich hab mich in einen grauen Geier gewandelt. Da bist du schnell eine rote Blume worden, ich aber ein Perlenfalter, an dir zu trinken. Da hast du dich in die Gestalt des reinsten Lichtes geflüchtet, ich aber bin Kristall worden und hab dich gefasst, und so behalt ich dich für immer.«

 

»Der Wald gilt Euch mehr als der Kampf des Ritters«, meinte

Albrecht Dürer, als er das neue Gemälde Altdorfers genüglich betrachtet hatte.

»Ich weiß, Ihr könnt das Gemälde nit loben«, erwiderte Altdorfer, innerlich unsicher.

Der Nürnberger mit dem peinlich gepflegten Bart und Haar, mit den köstlich gewählten Kleidern, der Mann, der die düstere Welt apokalyptischer Gesichte in sich getragen, er hob die schmalfingerige Hand, als zeichne er etwas in der Luft nach.

»Ich tadle das Bild nit«, meinte er nachdenklich. »Ich freilich würde den Heiligen nit so müßig malen. Bei mir müsst er grob zustechen, und der Drache müsst sich scheußlicher ringeln und das Ross beherzter und schroffer aufspringen. Seht, der Leib des Helden sollte gespannter sein, sein Gesicht erregter, ja verzerrt. Seid Ihr denn nie einem Drachen begegnet?! Doch ich tu Euch weh mit meiner Rede.«

»Sagt mir alle Euere Bedenken!« bat Altdorfer.

»Allzu behaglich begegnen sich die drei. Es ist, Sanktjörg frage die glotzende Kröte, wo der Weg nach Schwabelweis gehe. Doch will ich nit scherzen. Die Kunst ist ein groß ernst

Ding. Es ist bei Euch so wie in aller Welt: jeder sieht nur, was in ihm selber ist.«

»Er sieht nur, was er zu sehen wert ist«, sagte Altdorfer bitter.

»Nun lasst Euch auch loben, Altdorfer! Die Farben reimen sich aufs beste und eigentümlichste zueinander. Das Gestänge des Waldes habt Ihr sehr fein durchgezeichnet und mit sonderem Fleiß jedes Reis, jedes Läublein schier mit einem Licht versehen. Wie schwebt das Dunkel im mattgoldenem Laub! Wie ahnungsvoll steht das Gestrüpp! Was mag dahinter noch auf den Menschen lauern. Es ist nit traulich. Vor allem lob ich an Euch: Ihr schaut im Kleinsten das Große. Altdorfer, Ihr seid ein kühner Künstler!«

Da gedachte Altdorfer, wie er just an diesem Bild die Urform verwischt und verleugnet hatte, und er flüsterte: »Nein, ich bin ein feiges Herz!«

Dürer erwiderte: »Ich merke wohl, dass Ihr Reiter und Wurm erst später in das Bild gefügt habt. Zuerst habt Ihr den Wald allein gemalt, hernach habt Ihr Euch vor dem Wagnis wohl entsetzt und Euch zu Besserem besonnen. Ja, der Mensch ist der einzig würdige Stoff der Kunst. Die Landschaft stehe bescheiden hinter ihm wie eine dienende Magd. Gibt es ein herrlicheres Werk als den Menschenleib? Die wunderbar aneinander-gefügten, geordneten Knochen, der Panzer der gewölbten Brust, darunter geschirmt das Herz schlägt, die klugen Wege des Atems, des Blutes, der Nahrung, das Netz der Nerven, der Rahmen der Haut! Und oben als Knauf und Krönung das Haupt, denkend, die Welt aufnehmend mit seinen Sinnen, und im Gesicht das göttliche Auge!«

»Doch Ihr, Meister Dürer, Ihr habt ein Rasenstück gemalt als Welt für sich! Sollen wir denn immer dasselbe bilden? Maria im Rosendorn? Maria an der Spindel? Adam und Eva im Gesträuch? Den langen Christoffel? Oder den am Kreuz verwelkenden Christ? Sollen wir immer in dieselbe Kerbe hauen? Die Kunst braucht Wechsel. Und dann: ist nit alles Geschöpf gleich wichtig und gleich wertvoll? Soll man drum nit alles in gleicher Ehrfurcht malen? Ja, Ihr selber habt vom Wegrand und aus dem Gärtlein der Bauern Euch Klee und Schafgarbe geholt, Wegrich, Schöllkraut, Natternkopf, Akelei und Türkenbund.«

»Das Rasenstück? Ich hab es mit Liebe gemalt, nehm es aber nit gar wichtig«, sagte Dürer. Er wandte sich wieder dem Bild zu. »Jetzt scheint es mir, als hättet Ihr das alles in den Buchstaben eines Legendenbuches hineinmalen wollen. Reiter und Ross benehmen sich wie bei einem steifen, zierlichen Dockenpiel, und alles ist flach wie ein Teppich. Ihr müsst die Gesetze der Tiefe lernen, Freund!«

»Mir helfen die gelehrten Bücher nit«, sagte Altdorfer leise.

Dürer deutete auf einen Baumstamm. »Ei, ei, ein Täflein dort!« lächelte er. »Und darauf Euer Malzeichen! Wie ein vierbeinig Tischlein mit einer kleinen Lade ist es! Wie ein Dach über dem andern säuberlich gebaut. Wie sehr gleicht es meinem Zeichen! Nur ist es feiner gewachsen!«

Altdorfer errötete. »Ich hab Euch in meinem Zeichen nachgeahmt. Ich ehr Euch, weil Ihr mit Stift und Pinsel andächtig und mit höchster Meisterschaft der Natur nachgehet.«

Dürer hörte das gern, und er sah den Regensburger freundlich an. »Nun hab ich allerlei von Eurer Kunst erfahren. Und ich rat Euch als deutscher Mann: geht nit nur durch die Wälder Baierns, schaut auch über die Alpen, wie sie es drüben treiben! Ich wäre noch lange in Venedig blieben, wenn mich nit die Pest verscheucht hätte. Eine rechte Kunst, die in sich selber ruht, wird nit verwirrt durch fremd Wesen, sie wird nur hellsichtiger. Geht nach Welschland, Altdorfer! Ihr wisst nit, was Sonne ist!«

»Gern möcht ich reisen!« sagte der Regensburger.

»Reiset mit Papier und Stift! Klittert schnell ins Büchlein, was Euer Herz ergreift! Denn man vergisst leicht, und ein Bild verdrängt das andere. Betrachtet aufmerksam die Vielfalt der Formen! Seid allem aufgetan, was den Menschen angeht!«

Er packte das Bild wieder mit seinen Feueraugen an. »Bei manchem Mangel, den man Euern jungen Jahren zuschreiben mag, Altdorfer, webt in dem Gemälde da ein Geist, der mich rührt. Es ist eine Sehnsucht drin nach Vollendung. Ihr seid voll innerer Schau. Ihr malet Träume.«

»Ist die Kunst nit Traum, Dürer?«

Der reife Meister sah den werdenden lange an. Altdorfer hatte wenig mit einem Träumer gemein, die Augen ausgenommen. Er war breitschulterig geworden und trug einen lichten Vollbart. Er glich eher einem Landsknecht und Dareinhauer.

»Ja, wir Menschen sind träumerische Wesen«, sagte der

Nürnberger endlich. »Gott helf uns! Seht, was mich zauberhaft zu diesem Bild hinzieht, das ist das Licht. An Euerm Wald da haftet das Urlicht.«

»Was ist das Urlicht?«

»Es ist das Licht gewesen, das Gottes erster Befehl aus dem Abgrund des Nichts herausgerissen hat. Es ist Gottes erster Wille gewesen, der sich im All verkörpert hat. Es ist anders gewesen als das zeitliche, das flüchtige Licht der Sonne und der Gestirne, die wir kennen.«

Nach einer längeren Weile der Betrachtung fügte Dürer hinzu: »Euer Bild ist räumlich klein, doch scheint dieser geheimnisreiche Wald ins Unaufhörliche hinauszuschweifen. Ach, ich hege oft den verruchten Gedanken, all das Wissen um den Raum, die Lehre von den Verhältnissen der Dinge zueinander, sei nit nötig für den Künstler, und die Ahnungswelt in seiner Brust sei für ihn wesentlich.«

Seine Gedanken schwebten abseits, sein Blick wurde sehr fern. »Kann man das Weltall messen? Jede Zahl, die äußerste selbst, die es geben muss, die die Unendlichkeit der Reihe beendet, jene ungeheuerliche Zahl, die nur auf Gottes Stirn steht, und die vielleicht Gott selber ist, kann diese äußerste Zahl versinnbilden und fassen, was da raumhaft und selten nur von den Weltleibern unterbrochen in den uferlosen Abgrund hinausfließt?«

Er schrak aus sich empor, als erwache er aus dem Gewühl eines Fiebers.

»Was frommen Formel und Gesetz, wenn das Werk nit aus der Seele bricht? Kommt, Freund!« sagt er hastig. »Wir wollen Wolf Roritzer besuchen!«

Auf dem Weg zum Dom deutete Dürer mit einem leisen Ruf des Staunens aufwärts. Aus einem Fenster, das durch eine zierliche Säule zwiefach geteilt war, schauten unter dem Rundbogen ein schönes Mädchen und ein Bär heraus.

Altdorfer grüßte hinauf, und sie winkte freundlich. »Sie ist meine Braut«, sagte er.

»Sie ist über alle Maßen lieblich«, erwiderte Dürer. »Freut Euch! Schöne Gestalt hat große Gewalt.«

Wolfgang Roritzer arbeitete in der Bauhütte an einer schmalen Steingestalt. Er arbeitete so versunken, als spüre er mit dem Meißel nach der Seele des Gesteins. Er flüsterte: »Gott, lass mich zu Stein werden, dass ich die Sehnsucht des Steines besser verstehe!«

Als er die beiden Freunde gewahr wurde, begann er wie in blindem Hass auf den Block einzuschlagen, und plötzlich warf er den Meißel weg. »Unfruchtbare Kunst!« murrte er.

Grau und den Mund wie versteinert zusammengepresst stand er in dem Staub seines Werkes, der in der Sonne kringelte.

»Warum so zornig, Meister Wolf?« fragte Dürer.

»Nichts, nichts! Mir hat nachts geträumt, mein Dom brennt. Das quält mich den ganzen Tag. Es ist lächerlich.«

Dürer deutete besinnlich auf eine mächtige Quader, darein die winkligen Zeichen der Dommeister und Steinmetzen gehauen waren, die diesem Bau gedient hatten. »Ach, dass nit einer allein das große Werk des Domes bewältigt! So müssen die Gegenwärtigen dem Plan eines längst Vergrufteten fronen und, in dieser Treue gebunden, dem eigenen Werk entsagen und sich selber vergessen. Der späte Enkel muss schaffen im Geist des Urahnen, ais ob die beiden dieselbe Zeit atmeten.«

»Diese Treue ist schön«, sagte Roritzer.

»Doch wider die Natur. Das Leben will, dass Altes absterbe und Neues werde.«

»Seid Ihr auch dem neuen -Ungeist verfallen, Dürer?«

Dürer erglühte. Er dachte des Werdesturmes, der über die Alpen nordher brauste; er schaute sein Jahrhundert wie eine Woge die meerversunkenen Götter auswühlen und sie heben und steil und herrlich über die Schaumkronen aufrichten. »Wir sollen an das Antikische anknüpfen und uns dabei nit verlieren!« rief er. »Freuen wir uns des steten Wandels! Nordlicht und Südsonne vermählen sich.«

Sie verließen die Hütte und traten vor den ehrwürdig stolzen Leib des Domes.

»Der Bau ist schon weit gediehen«, meinte Dürer.

»Schiffe und Chor, Abseiten und Pforte und viel Zierat sind fertig. Aber jetzt stockt alles. Diese Turmstümpfe da«, rief Roritzer schmerzlich, »werden niemals Wipfel tragen. Der Kran droben wird unbenützt verfaulen. Es wächst nimmer. Ich bin nur ein kläglicher Flicker!«

»Atmet Euch ruhig, Meister Wolf! Ihr seht zu schwarz. Der

Dom muss Türme haben, sonst lagert er allzu schwer.«

»Hinter dem Tor steht ein Opferstock, darein haben die Regensburger dreihundert Jahre lang ihren Zins geworfen, den Bau zu fördern. Jetzt opfert keiner mehr ein Gröschlein.« »Doch die Stadt? Ist sie nit stolz auf ihren Dom?«

»Die Stadt? O weh, sie hat alle Lust an dem Bau verloren! Ihre Seele ist nimmer domhaft. Und sie ist verarmt. Der Bau braucht wie ein Krieg viel Geld. Ja, wenn wir statt reichsunmittelbar zu sein dem Bayer gehörten, da wär es wohl möglich, dass das Turmwerk einmal seine luftigen Kronen kriegte!«

Grollend schritt Roritzer den beiden voran in das Gotteshaus hinein.

Wieder empfand Altdorfer das Wunder dieser Baukunst, die Strenge mit Üppigkeit paarte und unermesslich wuchernde Zier um die harte Grundform des Kreuzes bändigte.

In seine Not verbohrt, fuhr Roritzer fort: »Wie oft sehe ich im Traum die Hochtürme vollendet! Das Licht baut mit an ihnen, und sie tasten aufwärts und zielen ins Unendliche, darin Gott sein Wesen hat. Ach, mein Gott ist in der sehnsüchtigen Ahnung. Eure Griechengötter aber riechen allzu sehr nach Menschentum.«

»Und just darum sind sie der Kunst vertrauter«, fiel Dürer ihm ins Wort. »Das Vergängliche ist rührender als das Ewige. Aber, Meister Wolf, es ist wohl so, dass die Sehnsucht edler adelt als hohe Geburt und des Kaisers Gnade. Bleibet Sehnsuchtsleute, Ihr, Roritzer, und Ihr, Altdorfer!«

»Kann der Künstler ohne die Sehnsucht sein?« spann der Dommeister an seiner Trauer weiter. »Darf er je zufrieden sein? Wenn er ein Werk vollbracht hat, muss er nit seine lahme Kraft verfluchen, die das Inbild der Seele nit erreicht hat?

Muss er nit allzeit starren nach dem Gipfel, der unerreichbar über Eis und Wolken ihn verhöhnt?«

»Ihr seid unglücklich, Meister Wolf. Ihr trauert ob des Wandels in der Kunst und scheltet ihn Untreue. Aber es liegt im Beschluss Gottes, dass alles Verwandlung sei. Gott will in allen Formen geehrt werden. Denkt an die alten rundbogigen Kirchbauten! Wie schwer und schier schwunglos liegen sie an die Erde gedrückt und sind doch voller Weihe und fordern unsere Ehrfurcht.«

»Aber meine Kunst«, rief Roritzer mit stolzem Hochblick, »sie ist schmal und kühn und immer Wagnis. Nur ein starkes Auge, nur ein herzhaftes Herz, ein grundloses Gemüt verträgt ihre Höhe. Die Erde allein hat mir nie genügt.«

Bewusster schaute da Altdorfer in dem steil strebenden Gewölbe, in den jäh sich schwingenden, aneinander zerschellenden Linien der Bogen, in den hohen Stützpfeilern, den langen, edeln Fenstern Gottes Luftkreis scheu mit Erdenwesen sich berühren.

»Wahrhaftig, was unmöglich ist, da ist es gestaltet«, sagte er ergriffen. »Der Stein schleudert von sich, was ihn schwer macht, er entäußert sich wundersam seines Wesens, er fliegt auf, flammt, er wird Seele.«

»Und diese Kunst soll enden?« grollte der Dommeister. »Ja, ja, schüttelt mir nit die Köpfe, ihr zwei! Den Bau am Dom zu Köln hat man eingestellt. Wann kommt mein Dom daran? Die Welt verachtet meine Kunst!«

Er rief das so grimmig, dass Dürer ihm nicht zu erwidern wagte.

 

Als Albrecht Dürer von Regensburg schied, schenkte er Altdorfer seinen Kupferstich mit den schönen Leibern Adams und Evas.

Altdorfer hinwieder gab ihm eine Handzeichnung, darauf Simson den Löwen riss. Auf rostbraunem Papier war die Tat des biblischen Riesen mit Tinte gezeichnet, umringt von Berg, Baum und Gebäu, und weiße Zierlinien kräuselten geheimnisvoll darein wie Spiel des Lichtes, üppig rankendes Geschnörkel mit dunkelm Sinn.

Dürer hielt das Blatt sinnend in der Hand. »Jeder Künstler hat ein anderes Gesetz«, sagte er. »Bei mir ist Klarheit, und ich schaue scharf in die Welt hinein. Ihr dämmert im Gefühl und seid voll nordischen Lichtes. Ich weiß mehr über mich als Ihr über Euch. Ihr schafft unbewusst.«

»Niemals habe ich in der Werkstatt eines tüchtigen Meisters gearbeitet. Das mangelt mir«, sagte der Regensburger.

»Euer Weg ist dennoch gut«, sagte Dürer. »Zuerst seid Ihr im Geleis des Überlieferten gefahren, und jetzt hackt Ihr Euch den eigenen Steig durch die Wildnis. Habt nur Geduld mit Euch selber! Deutschlands Sonne reift die Früchte langsam. Lebt wohl!«

 

Altdorfer sah die Schwester am Redefenster der Nonnenburg wieder, um ihr mitzuteilen, dass er sich mit der Jungfrau Anna Paumgartnerin vermählen werde.

Sie hörte teilnahmslos zu. »Meinen Trauring hab ich von dem Erlöser erhalten«, sagte sie. »Mein Hochzeitsbrot will ich in seine Herzwunde tunken.«

Betrübt verließ er sie. Er hatte vernommen, dass Magdalena stundenlang auf die Decke ihrer Zelle starrte, bis ihr die Gnade kam, die über die Sinne des Menschen hinausging, und sie ein weißes Licht schaute, so stark, dass es keinen Schatten duldete.

Altdorfer gab die Schwester an Gott verloren.

 

In der Schwibbogengasse stieß Altdorfer auf einen riesigen Mann, der, in verwetztes Leder gekleidet, in der einen Hand ein Ritterschwert, in der andern unbeholfen ein rotes Tuch trug. Der Maler suchte sich zu erinnern, wer der Fremde sei. Das verwegene, zerschrammte Gesicht, das feste Kinn, das harte, tückische Auge hatte er schon einmal irgendwo gesehen.

»Was gafft Ihr mich so an?« fragte der Mann grob.

»Herr Siegmund Sattelpogner!« rief Altdorfer. Und er nannte seinen eigenen Namen.

»Ich erinnere mich wohl an Euch«, sagte der Ritter. »Ihr habt Euch in meiner Burgmauer eingeschrieben. Ach, seit jener Zeit hab ich manche Feder lassen müssen! Und Ihr wollt jetzt heiraten?«

»Woher wisst Ihr das?« wunderte sich Altdorfer.

»Rachild hat es erzählt. Heiratet nit, Maler! Besser, Ihr stoßet Eure Hände ins Feuer, denn Ihr rührt ein Weib an.«

»Wie sauer predigt Ihr!« lächelte der Maler.

»Vier Weiber sind mein gewesen. Die erste hab ich die Eichelsau geheißen, weil sie mir reichen Eichwald zugebracht hat. Die zweite hab ich die Grassau genannt, ihre Mitgift war Weide und Wiese. Die dritte, die Schellensau, ist eine närrische Kauzin gewesen. Die letzte ist die Herzsau, weil ich sie am liebsten hab. Da ich die Rachild genommen, hab ich gehofft, ich werde ein himmlisch Leben mit ihr führen, und jetzt sitz ich einsam in meinem Trutzhaus im Wald, der Teufel grinst schadenfroh von der Wand, und ich sauf ihm zu.«

»Und Euere Frau?«

»An den Schandstein soll man sie binden! Ihr werdet wohl wissen, welch üble Gerüchte in der Stadt laufen. Sie mag sich hüten!« Der Ritter stieß das Schwert drohend auf das Pflaster, dass das Feuer daraus sprang.

»Und Euer Kindlein?«

»Wie des Waldgauchs Weib kümmert sie sich nit darum. Sie, die allzeit Verliebte, ist ganz lieblos. Sie denkt nur an ihre Kleiderkammer. Wer kann dieser lüsternen Frau genug tun? Wenn sie badet, ist ihr das lautere Wasser, das aus dem Felsen schießt, kaum gut genug, sie möcht, ich soll ihr den Tau sammeln und damit die Wanne rüsten.«

»Ritter, Ihr übertreibt!«

»Mit ihren Begierden jagt sie mich in alle Gefahr. Ich will mir jetzt einen Ablassbrief kaufen, dass ich zehn Jahre rauben kann und dass Gott dabei die Augen zudrücke. Wie anders kann ich die Mittel aufbringen, die Putznärrin zu befriedigen? Sie denkt an nichts als an ihr Geschmeide. Mein Ahn Erasmus, den Gott selig halte, hat einmal aus Not den Regensburger

Juden den Perlenrock seiner Frau versetzt. Das sollt ich einmal bei meiner Rachild versuchen! Teufel und Pestilenz!«

»Was für ein Tüchlein tragt Ihr da?«

»Aus der Plunderkammer des Walen Uberto hab ich den alten regensburgischen Scharlach da kaufen müssen. Für sie!«

Am Eingang der Gasse wartete Rachild, mit Pfauenbalg und goldenem Tändelwerk geschmückt, die Brauen künstlich geschönt, die Wangen geschminkt, indische Seide krachend vor den Knien und im Arm das verzärtelte Frauenhöndlein.

Sie nahm gierig das Tuch, legte es sich um die Schultern und drehte sich.

Er packte sie grausam beim Handgelenk und zerrte sie mit sich. »Komm mit zur Brücke! Dort wird ein ehebrecherisch Weib in die Donau gestoßen. Schau zu!«

Uberto begrüßte in eifersüchtigem Zorn den Maler in seinem Haus. »Tagelang bist du nimmer zu mir gekommen! Lässt der Roritzer es nimmer zu? Mit Schlangen soll man ihn peitschen, den Hurensohn!«

»Mäßigt Euch!« rief Altdorfer.

»Ich schweige.« Und der Venezianer knickste höhnisch. »Was wünscht der reiche Maler zu kaufen?«

Altdorfer sagte, er wolle ein Schmuckstück für seine Braut erstehen.

Da öffnete Uberto ein geheimes Schränklein. Darin schimmerte und flimmerte ein Hort, ein wirres Gemisch milder und glühender Farben, und die alten hässlichen Finger des Walen, daran die Gier noch nicht gestorben war, wühlten darin.

»Da sieh meinen Teufelströdel!« raunte er. »Alles ist käuflich!«

Eisklare, durchsichtige, unirdisch wirkende Kristalle lagen neben Spieglein, die mit geschnittenen Steinen, Rubinen und Perlen eingefasst waren. Steine brannten wie lebendige Augen. So hell wie dieser mag eine himmlische Seele glänzen, so wie jener düstert die Donau auf ihrem tiefsten Grund. Dieses gelbe Stück ist wie aus der Sonne geträufelt. Manch ungestalteter, edler Stein, die Formung durch den klugen Schleifer erwartend. Ein wirrer Schatz: gefrorener Tau, Sternengut, Regenbogensplitter!

»Der arabische Adamant da«, erklärte Uberto, »ist unbezwingbar; schlägst du darauf, so springt er unzertrümmert unter dem Hammer weg. Hier der Karfunkel, ein indischer Taucher hat ihn aus dem Grundsand des Flusses Pegu geholt! Er brennt so hell, dass nicht Samt und nicht Seide ihn verdecken können. Hier der goldflammige Jazinth aus dem Mohrenland feit dich vor der Pest. Der haselnussgroße Granat da, in Balaguar gefunden, glüht wie der Blick Luzifers. Sieh das Perlenband aus Bengala, die Perle da allein ist fünfzig Weizenkörner schwer! Der Saphir da ist durchsichtiger als die klare Märzenluft. Der Goldsaphir hier mit den goldenen Tüpflein, ein zeylonischer Fund, trägst du ihn, so kann dir kein Gift an; und er stillt den Zorn Gottes. Dieser auengrüne Saphir ist zu Skythia einem grausamen Greif entrissen worden, der ihn in seinem Nest verborgen gehalten; er schärft das Gesicht. Der bleichgrüne Topas da ist auf Topazion, einer finsteren Höhleninsel im Roten Meer, gefunden worden, seine Kraft wächst und schwindet mit dem Mond. Der Onyx da glimmt so herrlich wie der weiße Nagel am Finger deiner Braut, Altdorfer. Wähle nun!«

Der Maler staunte über die Schönheit dieser Steine und über ihre unbeschreiblich glühenden Farben, die von einer aus den Sternen niederwehenden Kraft erzeugt zu sein schienen, und prägte sich ihr Feuer ein in seinen auflauschenden Geist.

Er wählte einen zarten Rosenkranz aus Bernstein, den ein lübischer Drechsler verfertigt hatte.

 

Mit Eichenlaub und Rosen bekränzt, wurden Altdorfer und Anna vor dem Tor der Augustinerkirche getraut.

In der großen Stube des zwiegädigen Hauses des Brautvaters wurde, dem freienden Töchterlein zu Ehren, alles aufgeboten, was von dem Reichtum Paumgartners zeugen konnte. Verwandte und Freunde waren geladen, Ratsleute, weinverständige Domherren und Nachbarn, und die überwürzten Speisen stachelten den Durst auf, und die Zungen wurden freier.

Altdorfer saß still neben der Braut. Er gedachte seines Vaters, dessen Seele er samt ihrer Fehle und ihrem Irrtum in Gottes sanften Händen geborgen wusste, er erinnerte sich der unruhigen, ewig sorgenden Mutter, die ihm die Augen am Waldquell verzaubert hatte. Er dachte des Schwesterleins Imilda. Von seinen Geschwistern nahm nur Erhard an dem Fest teil, der spähte manchmal mit seinem frischen Falkenblick fröhlich zu dem Bruder herüber: morgen sollte er nach Sankt Florian reisen, das Kloster begehrte ihn zum Baumeister.

Wolfgang Roritzer saß verschlossen und einsam wie in öder Wüste unter den lärmenden, tafelnden Leuten und zürnte seinen Sohn an, der, das fleischige Gesicht feuerrot, den ungestümen Wein hinunterschüttete und als erster trunken war.

Dionys unterhielt sich überlaut mit Oswald Geltinger, einem eulenspiegelischen Mann, der dabei ein gewaltiger Esser war und der Sage nach einmal auf einem einzigen Sitz allein eine Sau vom Rüssel bis zum Schwanz verzehrt hatte. Die beiden setzten einem gebratenen Kalbsgereb heftig zu und vergaßen nicht des zwischen Weiß und Gelb schillernden Weines.

Eben behauptete der gelehrte Schulmeister Tibianus, er lerne Hebräisch, auf dass er nach seiner Hinfahrt, die der Himmel noch recht lange hinauszögern wolle, mit Gott unmittelbar und ohne der Vermittlung eines in den Sprachen der Erde bewanderten Engels disputieren könne. Und er rühmte: die edelsten Sprachen der Welt seien Hebräisch, Chaldäisch und Griechisch. Und da ihm Oswald Geltinger die Frage entgegenwarf: »Und Deutsch?« sagte er geringschätzig: »Ei, deutsch redet ja jeder Bauer!«

Dionys ließ sich einen gesalzenen Hering reichen, dass dieser seinen Magen auffrische und ihm wieder Kraft und Gelüst verleihe zu neuem Trunk. »Sauf, Bruder Schlund!« trank er Oswalt Geltinger zu. »Verbrennen soll man dich! In Pfeffer schmeißen!«

»Halt das Maul!« erwiderte Geltinger. »Wenn du zu deinen

weinseligen Äuglein noch den Schädel mit Reblaub gekrönt hättest, du schautest aus wie der heidnische Saufgott.«

Indes neigte sich Paumgartner zu dem bräutlichen Paar. »Du mein zartes Weinreblein Anna! Mein lieber Albrecht! Mögt ihr in einer langen vergnügten Ehe fröhlich beieinander stehen! Und wenn es euch an etwas gebrechen sollte, ihr wisst, der alte Paumgartner lässt sich nit spotten.«

»Glaubt Ihr, Vater, ich lasse Anna wie Albrecht Dürer seine Ehefrau am Jahrmarkt vor dem Dom meine Blätter verkaufen?« lächelte Altdorfer. »Ich fürcht das Leben nit. Weih Sankt Peter hat ein Altarbild von mir bestellt. Meine Mappen sind voller

Drucke. Ich weiß mich um Aufträge zu sorgen. Wir werden nit darben.«

Der Lärm wuchs. Die Stirnen brannten. Scherz und Neckerei schwirrte durch den Saal. Streit setzte leise an.

»Regensburg züchtet zu viel Mönche!« scholl die helle Stimme Geltingers. »Die Beichtväter legen den Sündern mehr Geld als Bußgebete auf. Wir werden bald aufhören zu sündigen!« »Wenn keiner mehr sündigt, wozu bin ich dann noch da?« lachte Leonhard Widmann. »Die Engel brauchen auch keinen Pfarrer und keinen Bischof.«

Dionys Roritzer prellte Geltinger in die Rippen. »Red nit alleweil! Lass mich reden! Ich bin ein Mann, wie es wenige gibt!«

»Ein Vielsauf bist du, ein Multibibus!« erwiderte Geltinger.

»Ein Großmaul, wenn der Wein in deiner Wampe schwappert!«

»Den Dom will ich ausbauen!« flunkerte Dionys. »Eine runde Kuppel setz ich darauf, wie ich es in Welschland gesehen.

Altdorfer, du malst mir das Weinwunder von Kanaan in den Dom, doch nach italienischem Geschmack!«

»Dich sollt man in die Donau senken, einen Mühlstein um den Hals!« schrie der Dommeister, er sprang von der Tafel auf und ging.

Eine Weile verstummte das Fest ob des peinlichen Vorganges.

Dann hub es tosender an.

Oswald Geltinger und Dionys Roritzer wetteten, wer mehr saufen könne. Dem Leonhard Widmann geriet eine Gräte in den unrechten Schlund, er hustete, bis er zum Ersticken blau wurde. Eine der Schwestern Annas sang, vom Wein übermannt, ein unschicklich Lied, das sie wohl von einer Magd gehört hatte:

 

»Hätt ich dich eingelassen,
es wär mir immer eine Schand,
wenn andre Jungfern Kränze tragen,
ein gelb Schleierlein müsst ich haben.«

 

Da winkten die Brautleute einander mit den Augen zu und verließen die Stube.

Vor dem Haus wartete der Wagen.

Als die beiden einstiegen, trat ein ungestümer Bettler vor sie hin, schrecklich zu schauen: im Gesicht schwärte ihm gelbgrüner Grind. Er drohte mit der Faust gegen die Fenster, daraus wilder Sang und Lautenschall und Becherprall niederklang, und sah dann finster die Brautleute an. »Da fresst und sauft ihr, und der arme Lazarus kniet vor der Tür, der magere Mann, und zählt seine Rippen!«

Dem verzaubernden Auge des Neides zu entrinnen, peitschte der Knecht in die Rösser. Aber der Bettler krächzte ihnen nach: »Da fahrt ihr hin mit seidenem Wams und silbernen Knöpfen, und wir armen Leut haben nit einmal eine Rabenfeder am Hut!«

Anna sah mit schwimmenden Augen ihren Mann an. »Was für eine Welt ist das? Was haben wir ihm getan?!«

»Kehr dich nit um!« sagte er. »Das Leben ist vor uns!«

 

Vor dem Prebrunner Tor verließen sie den Wagen und stiegen zur Pipinslinde nieder.

Im vollgrünen Laub sang ein Gottesvogel. Gebärdelos standen die Liebenden einander gegenüber. Der Schatten war süß. Er pflückte von einem tiefhangenden Zweig ein Blatt. Dann sah er die feine Aderung des Läubleins an und verlor sich nachdenklich in die ihm plötzlich rätselhafte Form und fuhr wie liebkosend darüber hin.

Gekränkt störte die junge Frau ihn auf. »Was schaust du das Laub so herzlich an? Ist es dir mehr als ich?«

Er fuhr auf wie aus einem tausendjährigen Traum. Ihm war, als habe er lange in dem Leib des Blattes gehaust, als sei er in dessen Adern geflossen wie ein Fisch im Strom, als sei er das Blatt selber gewesen.

Das Blatt fiel ihm aus den Händen. Ein leichter Windstoß nahm es mit sich fort.

Sein Trauerblick, dem verflatternden Läublein folgend, erschütterte Anna sehr. »Hast du ein Kleinod verloren?« versuchte sie zu scherzen. »Es hängt noch tausendfalt am Baum.« Und sie bot ihm ein anderes Blatt.

Er nahm es sanft zu sich.

Welche Schönheit, welche Größe im Geringen! Welche Macht im Zarten, welcher Wunderbau! Konnte eine Marmelsäule auf den Hügeln Griechenlands köstlicher sein? Wie verstummt doch alle Kunst des Menschen vor der Fülle und dem Ausdruck der reinen Natur!

Im Kahn fuhren sie dann die Donau abwärts gegen Wörth. Anna brachte das Weingut des Vaters dort als Trauschatz mit.

Sie sahen schweigend in den Strom. Donau, geliebte, schenkende, bewirtende Wasserfrau! Wein- und kornumrankte, schöne Göttin! Sie war in der Sonne wie rollendes Gold, fast schmerzte ihr Gleißen. Mild glomm sie, wenn das Erlengehölz des Ufers schwermütig darein schattete.

Wildenten flogen schreckend aus verschilftem Altarm auf. Wolken, weiße Himmelseilande, spiegelten verklärt.

Die beiden Menschen tauchten die Hände in das Wasser und fühlten dessen Kühle in den Adern.

Einmal sagte Anna: »Albrecht, du bist, als wärst du immer in der Ferne.«

Er erwiderte: »Könnt ich von der Wolke droben über Ebene und Alpen niederschauen bis zum Meer!«

Ein jäher Wirbel umwarb mit seiner einschlingenden Flut den Kahn, er schwankte und drehte sich, wie von Geistermacht gepackt, und das Ruder versagte. Ängstlich warf sich Anna an den Hals Altdorfers. »Jetzt sterben wir miteinander!« Doch schon fuhr der Kahn auf besänftigter Welle weiter.

In Wörth schlenderten sie durch das zwischen Wehrtum und Gemächlichkeit zwitternde,. geruhsame Städtlein und empfingen die Grüße und Glückwünsche der Leute. Sie besichtigten Haus und Gut. Der Weingartenhüter geleitete sie und rühmte, die warmen Regengüsse dieses Sommers bekämen dem Rebstock sehr wohl, und die Weintreter würden heuer tanzen und singen im Faß, so reichlich würde die Traube geerntet werden und so berauschend ihr Duft sein.

Aber Altdorfer hungerte nach dem nahen Wald.

Über stummes Moos schritten sie hinein. Der schwermütig trauliche Duft harzigen Holzes empfing sie. Die Bäume glichen aufspringenden. Bächen, sich teilend und ergießend in Astwerk und Gezweig. Feuchte Wurzeln glommen. Schatten schwankten, Strahlen brachen geheimnisreich durch bemoostes Kronicht.

Altdorfer und Anna fassten sich bei den Händen, bogen die Arme hoch und bildeten also eine gotische Tür: goldig schimmernd flog eine Biene hindurch.

Auf dem zerrissenen Fels einer Lichtung ragte die Blume Himmelbrand, ein güldener Speer, ein schlanker Leuchter vor dem Hochaltar der Natur. Herbsüßer Duft weht aus dem Immenkraut. Feuersbrünste des Ginsters schwelten.

Annas lichte Haut blühte, ihr Haar war blondes Geloder, ihr Blick holde Trunkenheit. »Ihr Bäume, warum sinkt ihr nit mit mir in die Knie!« stammelte Altdorfer.

Mit frommen Augen sahen die Blumen die Seligen an. Der Wind rauschte auf. Die Erde hob ihre Stimme und sang.

Eine schiefe Hütte, aus Baumstämmen gefügt, dunkelte im tiefen Wald. Der kleine Steinherd roch nach Rauch, in der Asche glomm es noch.

»Wer haust da?« fragte Anna furchtsam.

Lauernd hing das Laub an den Eschen. Die Kronen der Tannen tönten dunkler, als der Wind wieder strömte.

Die Braut fröstelte. »Gehen wir in die Wiesen hinaus! Der Wald ist wirr. Er horcht mir das Herz leer.«

Der Wald reichte über sumpfiges Gelände bis zum Fluss. Als sie ihn verließen, ging eben die Sonne goldschäumend unter. Der Westhimmel deckte sich mit mildem Grün. Spiegelten sich die Wälder in der ermattenden Wölbung?

Abendlicher Duft wehte von der Donau her. Schon dunkelten die Eichenriesen.

Ein weißer Wildschwan geisterte auf dem Wasser. Schilf regte sich leise.

Am Gestade im zweifelnden Mondlicht stand ein Mann, starr wie ein Baum, eine Wurfaxt im Gürtel, in der Hand ein Schwert.

»Der Räuber Holzenfelder!« flüsterte Anna.

Der Geächtete gewahrte sie nicht. Er pfiff weich, und eine Taube flatterte aus dem Wald, ließ sich auf sein struppiges Haupt nieder und lachte weich wie ein Weib. Er ergriff sie gelind und setzte sie auf sein ausgerecktes Schwert. In sein Spiel vertieft, trat er langsam wieder in die Wildnis zurück.

Silberzeichen drangen aus dem gesteigerten Dunkel. Scheinwürmlein glitzerten im Gras, und sie stoben auf einmal droben hochzeitlich funkelnd durcheinander, und es war, als seien die

Sternbilder irrsinnig geworden. Die kühlere Luft schauderte das Schilf an. Der Strom war öd.

Da umfing Altdorfer die Braut und trug sie, die vor dem unbekannten Geheimnis erzitterte, tief in den Wald hinein. Blaues Traumlicht war in der Welt.

 

Zunächst wohnten Altdorfer und seine liebe Hausfrau in dem Obergeschoss des auf erstaunlich dicken Mauern erbauten, nach welschem Vorbild vielstöckigen Wehrturmes, der dem Haus des Schwiegervaters angefügt war. Unter ihnen war eine Hauskapelle voll Fabelgetier und klotzigen Heiligen, zuhöchst oben

über dem Wohnraum war innerhalb eines Ziegelkranzes das flache Dach.

Von dort aus schaute der Maler oft zu dem Dom hinüber und über das wilde Getürm der Stadt hinweg zur Donau und dem Gebirge. Von dort aus sah er den ungeheuern Prunk des nachtverglühenden Gewölkes, sah er die Nacht, den silbernen Mondpfeil im bläulichschwarzen Haar, hörte er geheimnisvollen Vogelzug in der Finsternis über sich, belauschte er die Sterne, wenn sie todmüd versanken im Schoss der sich erhebenden Frühe. Er sah die schweren, nordgrauen Nebel des Donautales, sah die Wolken gewitterlich in finsteren Schlachtreihen aufziehen, das gewitterlechzende Land im Ungewissen verrauchen oder es fiebern im Föhn. Er sah das sanfte Winterbild der Heimat.

Der sehr lichte Raum, wo sie wohnten, roch nach besonnter Luft, sie weht durch die Rundbogen herein.

Einen Teil der weiten Stube benutzte Altdorfer als Werkstatt, dort waren Tisch und Staffelei und Gestelle mit Zeichenblättern, Pergament, Stiften, Farbtöpfen, Kreiden, Grabsticheln, Schnitzmessern, Reißzeug, Pinseln, Ätznadeln und Brettern aus Linde und Pappel untergebracht, alles von Anna säuberlich geordnet; dort riss er seine Gemälde auf am südlichen Säulenfenster. Sein erstes Ehejahr war eine fruchtbare Zeit.

Aus Dank für die Geborgenheit in dieser Ehe malte er eine Ruhe auf der Flucht, ein freudiges Bild, darauf Mensch und Engel sorglos in der sicheren Nähe des verwandten Gottes spielten. Frau Anna stand lachend und lautenierend neben ihm oder bereitete ihm die Farben zu und leistete die kleinen Dienste, derer der Maler bedarf, und sie sah, wie er den heiteren heidnischen Brunnen malte mit dem festlichen Becken und der Säule, daran die nackten Büblein ihre Kranzgewinde hielten und die den bärtigen Gott Chronos trug samt dem zielenden Liebesgöttlein, eine holde Mahnung, die dahinrauschende Zeit mit süßer Liebe zu verklären. Und Englein schwärmten, pfiffen und geigten und waren wie Zierat, der sich von der Säule lebendig gelöst hatte; näherte sich eines dem andern schelmisch mit der Klistierspritze, so spielte ein drittes mit einem Kätzlein, und das Heilandkind, frohem Heidentum benachbart, neigte sich im Arm der Mutter engelsnackt über die Brunnenschale, darin zu planschen. Maria aber war sehr jung, im roten Kleid mit niedergleitendem Schleier saß sie im Prunksessel, hochstirnig, bräutlich bekränzt, in glücklicher Mutterschaft ganz in das Treiben des Lieblings versunken und des alten Mannes wenig achtend, der sich ihr wie ein unterwürfiger Knecht näherte. Und hinter den goldwarmen Farben dieses Vorganges waren Getürm und Stadt und Bogenfenster und verfallenes Gemäuer und verblaute die liebe Landschaft von Wörth mit der Donau und dem bergigen, mit mancher Bucht versehenen Ufer, verblaute Deutschland in den Fernen. Und abschließend malte Altdorfer ein Täflein an den Fuß des Brunnens und schrieb fromm eine lateinische Widmung darauf, zu deutsch: Albrecht Altdorfer, Maler zu Regensburg, hat dies Geschenk dir, himmlische Maria, zum Heil seiner Seele treuherzig geweiht.

Anna sah zu, wie fleißig und zart seine wunderbare Hand hellgrüne und braune, rostfarbene und graue Tüpfelchen hinsetzte, und sie tanzte vor dem vollendeten Bild und lobte es: »Es ist reich und frei, es ist wie frohe Musik. Albrecht, du solltest Brunnen bauen! Nur das alte Burggerümpel gefällt mir nit.«

Das Bild hing dann mit seinen sonnigen Farben bei den Augustinern, und die Kinder drängten sich dazu und deuteten es lebhaft. Und der Venezianer kam gehuscht und prüfte es mit seinem Dolchblick. Und Roritzer besuchte es und lobte es nicht und tadelte es nicht und sagte nur für sich hin: »Die Seele Altdorfers ist geteilt.«

Sebastian Paumgartner bestellte einen Gekreuzigten. Wieder malte Altdorfer die bläuliche Landschaft mit den Höhen Lerchenhaube und Scheuchenberg, die ihre dunkleren Zungen in die Donau vorstoßen, davor aber in schroffer Düsterheit die Gruppe der drei: das spottbekrönte, finstere Haupt Christi, seinen aufgerissenen, rotrünstigen Leib mit der schrecklichen Seitenwunde, dann die verhüllte Schmerzgestalt der Mutter und den rotmanteligen, windzerzausten Jünger Johannes, dem Beschauer abgewandt, dahinter unruhiges, weißgelbliches Gewölk.

Anna fürchtete sich vor der Grauenmiene des grausam gedornten Hauptes. »Und warum hast du den Jünger abgewandt gemalt?« fragte sie.

»Ich hab nit gewagt, den Schrecken in seinem Gesicht zu schildern.«

Sie maß ihn angstvoll. »Mit wem bin ich verheiratet? Bist du der fröhliche Mann, der das Kränzel geworfen hat?«

Altdorfer bemalte eine große Fichtentafel mit den Bildern der zwei Johannes für das Kloster Sankt Emmeram.

Der blaugekleidete Frohbotschafter, blond und sinnend, den Mund leise geöffnet, die durchscheinende Goldscheibe überm Scheitel, schreibt mit dem Federkiel in das aufgeschlagene Buch, ihm gegenüber der dunkle Täufer, der raue Hans mit dem zottigen, braunen Fell, mit dem flockig weißem Lamm, doch neben beiden mit gleicher Liebe gemalt Blume und struppiger, dorriger Baum, grauer, verschorfter Stumpf, Falter, dumpfes Gewurz. Auf dem Fluss drunten mit lichten, geblähten Segeln eine Kogge, der Himmel grünlichblau und weiß bewölkt.

Er merkte sich aus den Landsknechthaufen, die die Gassen Regensburgs in kühner Bewegung durchrauschten, Fähnriche, Schwertträger, Trommler und Flötner und stach sie in Kupfer und zeichnete Waldmenschen, Marterungen, biblische Taten, einen toten Landsknecht im Wald und den heiligen Andreas mit mächtigem Bart, schier herrgöttisch auf einem Säulenthron rastend.

Als auf den Rebäckern von Winzer bis Wörth hinab die frohen Schreie der Weinzierle verstummt waren und der rote Herbst ins Flusstal drang, zogen Altdorfer und seine Frau hinunter in die wenig hellen, doch häuslicheren Räume des Schwiegervaters.

Und da schwieg plötzlich die Schaffenslust des jungen Meisters. »Ich hab mich ausgeschöpft«, sagte er verzagt zu Anna. Sie ärgerte sich über seine untätig gewordenen Hände, sie richtete ihn auf, spornte ihn an. Er begann ein Bild, einen Stich. Er warf Pinsel und Grabstichel weg. »Ich kann nit mehr!«

Er zwang sich zu dem Bild des Büßers Hieronymus. Eine abgeschundene Birke, braunes Gefels, gelbe Wüste mit trüben Bergen, graue Wolken. Als er fertig war, stöhnte er: »Es ist nichts!«

Durch den Goliathwinkel floh er aus den Gassen, die feucht und dunkel waren von Regen. Von der Brücke sah er der ewigen Wallfahrt der Wellen zu. Gramer Nebel flog, missmutig zog die Sonne sich zurück. Der Nord schnob über die Wälder.

Hernach erhoben sich die Tage wieder in leuchtendem, kühlem Silber. Der Herbst brannte wie ein wildes, sterbendes Herz. In den Höhen wanderten die Schwäne Nordlands, wanderten die Keilrotten wilder Gänse alpenwärts.

Ach, frei sein wie die schwanenweiße Wolke droben! Schwebendes Eiland, niemand verbrieft, von niemandem benutzt, nur sich selber schimmernd auf hohem, ungewissem Weg, bis sie schmerzlos sich löst ins ewige Blau!

Und wieder verdrossene, trübe Tage, mildes, gelbgraues Licht, die Hügel schwermütig auf den Schnee wartend. Bleiern der Strom.

Die Gassen wurden Altdorfer zu eng, die hohen Türme am Watmarkt schienen ihm drückender zusammenzurücken. Er seufzte: »Sonne und Mond jagen einander durch die Zeit. Ich sitze gebunden, und die Welt blüht anderswo ohne mich. Könnt ich die Erde überwandern bis zum Gebirg Finsterstern und hinaus in die Flur des Meeres!«

Der Wald stand nackt, grau das Gras. Die Sonne stritt gegen den nebelrauchenden Sturm und erblindete. Vater Paumgartner zog den Pelz an und freute sich der Martinsgans.

Zinngrau schimmerte der angeschneite Tann. Zwischen weißen Feldern wanderte unterm Eis die Donau. Oft war der Himmel stahlblau und stahlkalt und die Sonne wie eine Silberflamme darein gewirkt. Dann dämmerten die Wochen wieder, und der Tag war eng geklemmt zwischen endlosen Nächten, und alle Farben waren tot.

Altdorfer starrte vom Turm aus einsam empor: leiser Nebel dämpfte den vollen Glanz des Mondes. Oft wieder war das

Nachtgewölbe strahlend klar, die Sterne en im Kreis, das sanfte Liliengestirn des Orion, der beständige Angelstern schimmerten aus der Unendlichkeit hernieder.

Fern fliegen die Adler über das Wintergebirg, fern leuchtet das südblaue Meer. Oh, nur einmal das schöne Ungeheuer schauen!

Im Donautal brach das Eis. Eine verfrühte, irre Lerche, die erste Frühlingsruferin, sang über dem Haidplatz.

Vor den Toren Regensburgs begraste es sich schüchtern. Im Saatkorn regte es sich, träumte es vom Brot. Die ersten fürwitzigen Blumen des Märzes gilbten.

In der Nacht weckten wunderbare Stürme den Mann aus dem Schlaf. Wie herrlich mochten jetzt die fernen Wälder dröhnen!

Eine gute Hand langte im Dunkel nach der seinen. »Albrecht, du schläfst nit?«

Er seufzte.

Da sagte Anna: »Albrecht, du musst wandern!«

 

Schon grünten die Wälder dem Kuckucksruf entgegen. Eine Zille, die gestrecktes Steirereisen nach Regensburg gefrachtet hatte und nun mit Breisgauer Wein wieder talwärts fuhr, nahm Altdorfer mit. Sie fuhren an den reichen Stromklöstern vorüber, an der Straubinger Brücke, wo der Henker die schöne Bernauerin mit der Stange in den Tod gestoßen, am Bogenberg und dem Ländlein Heuwisch, am Natternberg, der abtrünnig dem Gebirg am Südufer trotzte, in der beginnenden Ebene vereinsamt, an Deggendorf, wo der Wein vermautet wurde. Sie begegneten den Zillen der Fugger, mit tirolischem Kupfer belastet, stromaufwärts gezogen von schweren Pinzgauer Rössern.

In Passau bestieg Altdorfer den Jörgenberg, der die ritterliche Last der Burg trug, und sah, wie drunten die großen Flüsse sich einander hingaben.

Er besichtigte die Außenwerke der Stadt, die Wälle, Tore, Türme, die Kirchen und drin das Altarwerk, Orgel, Bilder, Danktafeln und Glocken, er besuchte Klöster und Kapellen, die Häuser der Siechen und der Armen, die Stätten der Verstorbenen, doch auch weltliches Gebäu, Rathaus, Schlösser, Kornspeicher, Salzstadel und Bräuhäuser, Brücken und Brunnen, Gärten und die Lusthäuser darin, die Säulen auf den Marktplätzen, die Gewölbe der Kaufleute und die Stuben der Bürger. Besonders taten es ihm die Altertümer an. Da ragte noch mancher römische Turm am Strom, davon einst Feuerzeichen gegeben worden, nun friedlich übersponnen mit Efeu. Am Scheiblingturm waren die Bilder der stromkundigen Wegherren und Fahrtenschützer Christophor und Nikolaus, der alte Ruland Frueauf hatte sie im Auftrag der Schiffleutzeche hingemalt.

Gern weilte Altdorfer am Ort, der Uferzunge zwischen der Donau und dem Wildwasser Inn, und belauschte das Wesen der drei Flüsse. Der Inn erschien ihm als der weitaus männlichste und mächtigste: fast noch schäumend vom Absturz aus dem Gebirg, tückisch grün und ungestüm schoss er mit kühnem Räuberstoß der mehr steppenhaft trägen Riesin Donau in die Flanke, sie zurückzustauen und sich ihres Bettes zu bemächtigen, und während die beiden um das gewaltige Rinnsal rauften, schlich sich die schwarze Ilz heimlich in die starke Umarmung ein.

Dann reiste die Zille, den Wirbeln, versandeten Schotterbänken, Untiefen und Riffen klug ausweichend, am Jochenstein vorbei durch die Stromschlucht, darin die Donau zwischen Felsen und Wäldern gewaltig gepfrengt war und dann wieder in breiten Schlingen ein seenhaftes Bild bot. Wenn Schiffszoll zu entrichten war oder die Zille aus anderer Ursache verweilte, stieg Altdorfer auf die Höhen hinauf, wo die Schlösser standen, die Stromklause zu sperren, oder er belauschte den Hirsch, der im sanften Uferwasser sich tränkte, wo die Donau die bloßgelegten Wurzeln des Waldes bespülte.

Und dann glitt wieder an dem Maler die mit milden, blonden Farben gesegnete Landschaft vorüber, durch deren Stille zuweilen der Schrei des wachsamen Nauführers schwang.

Manchmal begegnete ihnen ein Schiffszug, der von der Gießhütte zu Stadt Steyr Feldschlangen, lange Büchsen und Fässer mit Eisenkugeln brachte, die wider die Türken gebraucht werden sollten.

Nachts brannte ein Feuer im eisernen Korb am Schiff und spiegelte sich in der unruhigen Flut. Und der alte Nauführer erzählte von den Donaufrauen, die den Schiffer in seiner ewigen Seligkeit gefährden, von lauernden Riffen und Überschwemmungen, vom heiligen Florian, den man in der Enns ertränkt hat, und vom Räuber Holzenfelder, den man heuer mitten in der Donau eingefroren gefunden habe, und nur sein Kopf habe grauenhaft überm Eis herausgeragt.

Als die Stromschlucht endete, tat sich im Süden eine weite Schau auf gegen ferne, in milchigem Duft geisternde Berge: die Alpen.

Zu Linz bestieg Altdorfer ein Floß das böhmerwäldisches Holz führte. Die Donau hatte es eilig, und sie wurde immer grüner, je weiter sie gegen Morgen rann. Das kam von den grünen Flüssen, die von den Alpen her jagten.

Mitten am lichten Tag schlief Altdorfer auf dem ein. Doch ging ihm nichts von der Schau verloren: die Landschaft, die mit Au und Werder und hellen Donauwiesen, mit Dorf und Weilerkirchlein und mit dem Reiher, der regungslos auf schwimmendem Baumstamm fischte, und mit dem schnellenden Fischleib ihm entgegenglitt, sie schimmerte in ihrer holden Entfaltung und in reizendem Wechsel in seinen Traum hinein, und der uralte Flußvater tauchte aus der Tiefe und neigte sich mit seinen meergrünen Augen über den Schläfer.

Die Wasservögel weckten Altdorfer mit ihren schrillen Pfiffen. Da fuhr das eben an dem aus dem Auholz sich erhebenden Inselschloss Spillberg vorbei, vorsichtig die gefährliche Stelle meidend, die die Schiffer den »Saurüssel« hießen, und schon zeigte sich das Prager Schloss, ähnlich einem starken Mautner, der mit seiner Hellebarde den Strom sperrt.

Zu Mauthausen nächtigte er. Jenseits der Donau senkten die Felberstauden schwersinnig ihre Zweige ins Wasser, und im Mondlicht schwärmten im Augehölz die wilden Nachtigallen.

Sie fuhren über den Struden, da rauschte der seichte Fluss wie ein schwerer Regen. Beim Wirbel aber hub das zu tanzen an und blieb an einer rätselhaften Stelle, wie von einem unterirdischen Magnet gehalten, haften. Der Donauteufel kauerte in der Tiefe und lauerte. Die Flößer fluchten und beteten. Da half Sankt Christoffer weiter.

In Sarminstein ländeten sie. Doch am nächsten Morgen war die Luft dick und grau, und der Nebel spann seltsame Gesichte. Da mussten sie stillliegen und nebelfeiern.

Altdorfer zeichnete aus dem Gedächtnis heraus das Tal. Er zeichnete es mit dräuend überhangenden Felsen, die Donau von riesigen Steinen fast verbaut und verblockt. Er streute steiles Getürm und Dachwerk und düstere Spitzfichten darein, schroff emporziehende Weingartenmauern und dunkel gähnende Keller. Ein unruhig drängendes Werk, ungestillt wie seine fragende, ungewisse Seele.

Als das Wetter sich wieder klärte, fuhr Altdorfer mit einem Rennschiff wieder donauaufwärts und kehrte in Sankt Florian ein. Dort besprach er sich mit seinem Bruder Erhard. Und der Abt lud ihn zu sich und bestellte von ihm ein Altarwerk mit dem Leiden Christi. Er willigte schnell und fast gedankenlos ein, nur darauf bedacht, dass durch diesen Auftrag sein Leben für einige Jahre gesichert sei.

Er wollte zum Mondsee reisen, dessen Kloster ihn einmal eingeladen hatte. Beim Abschied bat ihn der Florianer Abt, er möge sich die Wolfgangskirche am Abersee anschauen, darin ein gutes Vorbild für das bestellte Altarwerk zu finden sei.

Auf einer Traunzille fuhr der Maler dem heftigen Fluss entgegen. Zu Lambach lieh er sich ein Ross aus.

Eines Morgens, das unkörperliche, ahnende Licht der ersten Frühe erinnerte noch an die Dämmerung, ritt er aus einem Schluchtwald und erreichte eine Anhöhe, und da schaute er plötzlich durch die glasklar gewordene Luft das ungeheuere Bauwerk der Alpen, darüber nordischer Himmel an den mittelmeerischen grenzt, die Landscheide, dahinter eine andere Welt eine andere Kunst trieb.

Auf jener Anhöhe wuchs eine mächtige Weide. Verunstaltet durch den Kampf gegen tausend und tausend Stürme, bog sie sich mit ihrem struppigen Haupt nieder; ihr Stamm war unten ausgefault und gespalten und stand also wie auf zwei Beinen. Angekrochen von schlangenhaft gewundenen Wurzeln, schien sich das zweibeinige Ungetüm wie in Schmerz zur Erde hinab zu sehnen und Fall und Tod zu wünschen.

Unter dem Baum lungerte ein fahrender Mann, auf der Nase ein paar Sommersprossen und die Schuhe geborsten, und der nannte Altdorfer die Namen der Berge, den zerrissenen Priel, das Sengsengebirg, den Schafberg. Er deutete gegen Mittag. »Dahinter sind noch höhere Berge, die haben den Hut aus silbernem Eis«, sagte er.

Altdorfer stieg aus dem Sattel. Das Ross senkte das schöne, dunkle Haupt und graste. Nun trank der Maler begeisterten Blickes die Welt, die er so weit und so tief noch nie gesehen hatte. Verwegen zackten die Gipfel auf, manche noch in strahlendem Schnee. Die Sonne weilte in ätherner Ferne.

Waren das wirklich Berge aus hartem Stein, mit Moos und knorrigen Wäldern bekleidet und oben nackt, besiedelt mit Steinböcken und räuberischen Geiern? Oder war das alles nur bunt in die Luft gepinselte Farbe und unerwanderbar, und wich es vor einem zurück wie der neckende Regenbogen vor dem Wanderer? Waren diese wolkenblauen Höhen nur Träume, das sehnende Herz zu betrügen?

Was hat sich Gott gedacht, als er die Hände in den Urbrei getaucht hat, diese erhabene Hochwüste zu formen? Gott mag damals noch sehr jung und stürmisch gewesen sein.

Altdorfer ließ sich auf einen gefallenen Baum nieder und zeichnete hastig in sein Klitterbuch, was er da an dem bauenden Willen der Gottheit fand.

Ein Bauer, die Ochsen unter das krumme Prügeljoch gespannt, fuhr vorbei. Er blickte verächtlich auf den Zeichner. »Wozu das Zeug? Was zwingt die Welt? Eier, Korn, Schmalz und Geld!«

»Sei nit so hoffärtig, Bundschuh!« rief der Fahrende ihm zu.

»Es ist prophezeit: ein Mausjahr, ein Wurmjahr, ein Blutjahr. Drei Jahre!«

»Du Gix, wir halten es aus!« rief der Bauer zurück. Schon knallte seine Geißel im Wald.

Auch der Landstreuner trollte sich.

Altdorfer war allein im Anblick der heldischen Hochwelt und sehnte sich in die steinernen Klüfte, die. den Bergen eingerissen waren, und sehnte sich, dort droben im Schatten der zerfetzten Bäume zu rasten und aus den Brunnen die belebende Frische zu trinken.

Den trunkenen Blick wieder aus der Ferne zurückholend, sah er unweit einen Mann im aschfarbenen Röcklein der Armut lagern, und sein Weib badete die Füße in den Blumen und hätschelte ein kleines, halbnacktes Kind. Und sie erhob sich, jung und lieblich und fremdländisch bunt gekleidet, und tanzte um das Kind, das im smaragden durchscheinenden Gras lag und die winzigen Glieder von sich streckte.

Was war das? Flieht Maria ins Ausland? Springt ein Reh aus dem Dickicht, ihnen das Euter zu bieten?

Entzückt trat Altdorfer zu der Gruppe hin. »Wer seid ihr, und woher kommt ihr?«

Mann und Weib sahen sich an und lächelten und blieben stumm. Sie verstanden wohl seine Sprache nicht.

Und plötzlich versorgte sich die Stirn des Weibes, sie nahm das Kind heftig an sich und lief in den Wald, und der Mann mit dem Bündel folgte ihr.

Altdorfer ritt träumerisch zu Tal und ließ dem Ross den Lauf. Seine Seele wanderte zwischen goldenen Bildern, sie formte daran, und sie leuchteten und zerrannen. Er überdachte das Altarwerk, das er schaffen wollte. Er blätterte in Gedanken den noch ungeschaffenen Altar auf wie ein goldenes Bilderbuch.

Honigschwül atmete der Ahorn. Der Rauch eines unbetreuten Meilers wallte, und die Sonne stieß unruhiges Strahlengebälk durch die Fichten und stellte ein heiliges Lichtwunder in den Wald.

Altdorfer ritt durch den Brauttanz fliegender Ameisen und merkte es nicht. Die Schatten wehten ihn ahnungsvoll an, eine wunderbare Fremde war um ihn. Er hätte sich nicht verwundert, wenn ihm jetzt ein nackter Waldmensch, nur ein Bockfell um die Lende, begegnet hätte.

Der Gaul stolperte. Aufschreckend sah sich Altdorfer verritten im tiefen Eibenwald. In der holden Landschaft seiner Träume versunken, hatte er sich in der greifbaren Landschaft verirrt.

Er stieg vom Ross und führte es ein dürres Kiesbett dahin. Es schnob auf. Ein greiser Wolf streifte feig vorbei.

Sie wanderten lange. Kein Waldgänger, kein Köhler war anzutreffen, der Altdorfer beraten hätte. Immer verworrener wurde der Mooswald. Die Hammrote Kuckuckin huschte durch die wilden Kronen.

Es dämmerte, und die Kraft der Augen wurde langsam zuschanden. Der Mond wurde allmächtig und funkelte eine mit Harz über und über verkrustete Tanne an.

Drei Männer lagerten im Moos, im Schlaf hingewölbt wie Hügel. Altdorfer wagte nicht, sie zu wecken.

Die sternennahen Wipfel ragten stumm. Zwischen den Gestirnen brandete das dunkle Nichts.

Ein Brunnen blinkte. Zwielichtrufe erhoben sich sehr fern.

»Wie wunderlich ist meine Reise!« dachte der Verirrte. »Ungewiss, woher ich komme, ungewiss, wohin ich reite. Wo ist mein Ziel? Wer weist mir die rechte Straße? Wer hilft mir aus der Düsternis?«

Der Wald endete. Freier weitete sich der mit seinen feurigen Gestirnen gerüstete Himmel. Den Einsamen schauderte vor dem ungeheueren Weltall.

Aber das Ross stellte seine empfindlichen Ohrlein steil, es sah funkelnden Auges um sich, witterte, schüttelte fröhlich das Haupt, als besänne es sich des Weges, und wieherte.

Da sprang Altdorfer in den Sattel und ließ die Zügel locker. Das Tier fand aus der Ungewissheit heraus.

Ein mit Wolfsdorn umzäuntes Gehöft silberte auf. Ein Einbaum sang mit seinen Wassern. Ein Licht schimmerte. Ein Hund schlug an. Heu roch bittersüß.

Altdorfer pochte mit dem eisernen Türhammer an.

Ein Bauer öffnete die Eichentür, den Brandkien in der einen Hand, den gekerbten Holzriegel als Waffe in der andern. Als er dem Gast ins Gesicht gesehen hatte, ließ er ihn ein.

Der Span flackerte, die starken Rüstbäume an der Decke der Stube warfen schwere Schatten. Ein alter Mann, die Bäuerin und ein Knechtlein waren noch wach. Die Kinder schliefen auf den Bänken ausgestreckt.

»Was gibt es in der Welt draußen?« fragte der Bauer. »Sterne und dunkeln Wald und rauschendes Wasser«, sagte der Maler.

»Was ist mit dem Türken? Das bekümmert uns. O Gott!«

»Der Türk ist weit. Wir sind im sichern Deutschland.«

»Wie lang noch? Ich fürcht, der Türk, der ist hundsneidig und ruht nimmer, eh nit Deutschland das Seelenamt gesungen wird. «

»Warum fürchtest du das?«

»Mein Knecht hat mir einen Heuschreck gebracht, der ist so groß wie ein Waldfink gewesen. Ich selber hab in diesem Winter ein brennend Rad am Himmel gesehen. Was das bedeutet, das werden die erfahren, die es erleben. O Gott!«

Der Greis murmelte: »Der Herrgott droht uns täglich mit seinen Wundern.«

»Im Herbst ist ein Jahr des Schmalzes gewesen. Aber was heuer?« klagte der Bauer. »Krieg und Aufruhr in aller Welt, Kaiser und Landsknecht brauchen Geld. Der arme Mann muss es zahlen.«

»Die Sündflut kommt«, raunte der Alte. »Im Jahr eintausendfünfhundertfünfundzwanzig. Das uralte Eis auf den Kofeln wird zerrinnen, das Wasser wird aus den Alpen stürzen, die Donau schwillt hoch. Sie nimmt die Mühle samt dem Mühlstein mit. Bayernland ersauft. Wir alle ersaufen.«

»Das Leben ist schwer«, seufzte der Einöder. »Und hernach ist uns der harte Tod bestimmt. Und ungewiss ist es, ob ich im Himmel auf der güldenen Truhe sitze und des Teufels spotte, oder ob die arme Seel ganz vom Feuer umbronnen ist.«

Altdorfer schlief nachts im Heu. Das Knechtlein neben ihm schrie oft ängstlich aus seinen Träumen.

 

Der leichte Morgennebel zerstreute sich und gab das große Bild des Gebirges frei.

Altdorfer gewahrte am Weg eine ruhende Schlange. Verschlossen und unergründlich starrte sie ihn an, die Zunge loderte ihr aus dem Rachen. Da erinnerte er sich Imildens. »Du streitest in den Reihen des Teufels!« rief er. Und in altem Hass erschlug er sie.

Gegen Mittag ritt er durch einen Immenwald. Süßer Honigduft wehte ihn an, Bienen flogen wie irrende Goldfunken.

Wahrlich, da summte schon ein zitterndes Wölklein, und ein Mönch mühte sich um den Schwarm, er sprengte eifrig aus einem Schüsslein geweihtes Wasser in den summenden Tanz und suchte sie mit frommen Segen zu bannen. »Estis ancillae Domini, adjuro vos per nomen Domini aeternum, ne fugiatis a filiis hominum!« rief der Bienenvogt. Sein Scheitel glänzte wie ein Spieglein, und ein breiter, sanfter Herrgottsbart bedeckte ihm die Brust. Und weil er sich doch nicht ganz sicher war, ob die rauen Waldbienen sein gelehrtes Latein verstünden, übertrug er es in ein feierliches Deutsch. »Ihr seid die Mägde Gottes; ich beschwör euch durch Gottes ewigen Namen, flieht nit die Söhne der Menschen!« Nun erst begriffen die Honigvöglein, was er begehrte, und willig setzten sie sich an einem bequemen, niedrig hangenden Ast fest, und der Mönch fegte sie mit Hilfe eines Bruders vorsichtig in sein Bienenetz.

Als er merkte, dass ihm der Reisende bei der Arbeit zusah, sagte er freundlich zu ihm: »Reiterlein, hat Euch auch Gottes Wort gebannt? So fang ich Euch und führ Euch nach Mondsee.«

»Bin ich schon auf Klosterboden?« fragte Altdorfer.

»Ja. Und ich bin der Immenmeister Lenkart.«

Der Reiter rief erfreut: »Da seid Ihr Lenhart Schilling, der Schriftkünstler und Buchmaler, den mir der Florianer Abt empfohlen hat?!«

Der Mönch freute sich, den Zunftbruder aus Regensburg zu treffen, dessen Drucke und Holzschnitte ihm bekannt waren, und er führte ihn in das gastliche Seekloster.

Mehr als die Altäre und die bemalten Bücher dort zog Altdorfer die hochgemute Landschaft an, und er blickte vom Garten aus über den gleißenden Riesentürkis des Sees hinüber zu dem Gewände, zu dem himmelsnahen Heiligtum der Gipfel, und Drachenstein und Höllkar, Eibenberg, die schroffe Kienbergwand, der zweigehörnte Schafberg, diese kahlen, erhabenen Gebilde prägten sich tief in sein Gedächtnis.

Auf dem Pult des kunstfrohen Mönches sah er seine kleinen, frommen Bilddrucke, und er fühlte den Frieden der Zelle, darein der See seinen blauen Abschimmer warf.

»Möchtet Ihr nit bei uns weltabseits schaffen?« fragte Lenhart Schilling. »Das Kloster ist still.«

Doch Altdorfer erwiderte: »Euer großes, uraltes Haus ist mir nit heimlich. Darin ist noch nie ein Kind geboren worden.« Und er gedachte seines Weibes Anna.

»Wo Ihr auch lebet, Eure Kunst ist bei Euch«, sagte der Mönch freundlich. »Doch wie seid Ihr Maler worden?«

»Ich bin nit gelehrt«, entgegnete Altdorfer, »hab auch nit in der Werkstatt eines berufenen Meisters gelauscht. Ich bin kaum je außer Landes gewesen. Mein Verstand durchdringt nur langsam die Verhältnisse der Dinge, und vieles ist vor ihm verschlossen. Ich zweifle oft an mir, wenn ich die Natur mit meinen Bildern vergleiche. In mir ist nur Sehnsucht. Aber diese ist mir sehr unklar. Ich weiß nit, was ich will.«

»Ich habe von Euerm Sankt Jörg vor dem Wald viel rühmen hören«, sagte Bruder Lenhart, »und kann mir wohl denken, warum Ihr jetzt durch die Welt reiset. Ihr wollt der Natur ihr Farbengeheimnis entreißen.«

Altdorfer sagte: »Ich suche.«

Sie fuhren von Sankt Gilgen aus im Einbaum über den Abersee. Das tiefgrüne Wasser, die Wälder, die Welt rings, vor Hörnern und Graten verriegelt, das ganze hochkühne Wildland war in eine zauberhafte Klarheit getaucht. Hoch droben ein verstiegenes, letztes Berggehöft, eine Alm hochfern wie im Himmelreich, winzig die Herde darauf. Und Urstille. Nur das Ruder plätscherte gelind.

Bruder Lenhart erzählte: »Wie die heiligen Altväter in Wälder und Wüsten gewohnt, dass sie tiefer dem Göttlichen haben nachsinnen können, so hat auch der Bischof Wolfgang von Regensburg hier einsam geklausnet.«

Der See widerstrahlte kahle, lotrechte Wände und staunenden Wald, und es war, hier in der Wunderstille müsse sich eine Legende vollziehen. Pflanzt nicht Sankt Wolfgang droben auf dem Falkenstein den sandelhölzernen Krummstab ins Moos, dass die goldene Krümme in der Sonne erschimmert? Schöpft er nicht am Wildbrunn den aus Onyx geschnittenen Becher voll und tränkt damit ein Eichhorn?

Und Altdorfers Herz war bei dem Schwarzadler, der unbewegt in den Lüften hing, als hielte Gott ihn an einem feinen, unsichtbaren Faden. Oh, könnte er sich so hoch wie dieser Vogel erschwingen, dass er mit einem einzigen Blick die funkelnden Drillinge der Seen drunten erfassen, dass er über die Felsenbrüstung hinweg Italien sehen könnte! Oh, die ganze Welt von oben wie von Gottes Thronstuhl aus geschlossen in ihrer Ganzheit mit Ebenen und. Höhen, Meeren und Völkern schauen, schauen wie der geflügelte Ikarus, wenn auch vor dem Absturz!

Schweigend griff Altdorfer wieder nach dem Ruder.

Der Mönch fühlte, was ungefähr die Seele seines Gastes bewegte. »Hinter dem Gebirg da ist Windischland, ist Welschland«, sagte er. »In Italia lagern die marmornen Leiber der Dome. Dort im Reich der Schönheit müsst die deutsche Seele einen Ruck tun wie ein Tännlein im Mai.«

In der Uferkirche schimmerte, ein geflügeltes, gekröntes Goldwunder, im Geheimnisdunkel der Altar. Michael Packers.

Im inneren Schrein war das Herzstück des erhabenen Schnitzwerkes zu schauen: Maria, die aus der Hand des thronenden Sohnes und Segners eben die Krone empfangen hat, ins Knie gedrückt von dem übergewaltigen Erlebnis, in zeitloser, unzerstörbarer Schönheit dieses feierlich in sich vergessene Gesicht, dieses leise geneigte, liebliche Frauenhaupt, der ungeheure und sanfte Ernst in der Miene des Kröners, weihevolle, hoch über irdische Gestaltung hinausgehobene Götterbilder, von himmlischem Gesinde bedient und umsungen. Und neben der Krönung, getrennt durch Säulen, Sankt Wolfgang mit dem Kirchlein im Arm und der Mönch Benedictus in naturwahrem, großem Menschentum. Und darüber Baldachin und Ziergetürm mit Kreuz und Gottvater, bewacht von reisigen Heiligen. Und alles unirdisch wundersam verrankt, alles bis in die geringste Einzelheit in sorgfältigstem Handwerk durchgeführt, bis ins letzte Fingerglied, bis in die letzte Kleiderfaltung. Und die Bilder der Altarflügel, Mariä Leid und Freud, Heilandsleben und Wolfgangsmäre, alle Gestalten darin in hellschillernden, satt und leuchtend getönten Gewändern und natürlich vor- und hintereinander geordnet und in die Tiefe gestaffelt, dass der Blick weit in die Hallen und Hintergründe hineingeführt wurde und alles körperhaft lebendig aus der Fläche herausdrängte. Und alles war mit der gleichen Liebe dargestellt, alles als Gestalt gleichberechtigt, der Gottessohn wie die demütige Kuh neben ihm, der geinfelte, goldbekleidete Priester wie der Messingleuchter und die rote Kerze darin, die Täublein im Korb wie der grüne Fluss, die zinnern grauen Hochzeitskrüge wie die Geißel in der Faust des zürnenden Heilands, das Laub, die ferne Steilburg, die Säule und die Stallei an der Stiege, Baugerüst, Gott, Mensch und Teufel, alles war in gleicher Sorgfalt und Ehrfurcht hier abgeschildert.

Aufgewühlt stand Altdorfer vor dieser überweltlichen Kunst. Ein Hauch des Südlandes wehte durch das strenge Gebilde aus deutscher Meisterhand. In diesem Altar ragte ein goldener Wipfel aus dem gärenden Nebel der Zeit.

Der Regensburger schaute in die Tiefe der Flügelbilder. Und ihm war bei dem Anblick dieser Raumkunst, als stürze eine Flamme aus der Höhe und ergreife ihn. Geist entzündete sich an Geist.

Das Geheimnis des Raumes war Altdorfer offenbar geworden.

 

Altdorfer lebte noch einige Tage auf. der Burg der Mönche am Mondsee und zeichnete.

Einmal träumte er nachts: er drang in einen Wald ein, und dort wuchs ein schlanker, hoher Altar wie eine Tanne aus dem Grund, und er, der Träumer, bemalte dessen leere Tafeln mit geheimnisvollen Bildern, wie sie ihm im Wachsein nie geglückt waren, und in den Mittelschrein schnitzte er zauberisch schnell eine erhabene Gottesgestalt; und als er, selig über seine neue Kunst, Pinsel und Schnitzmesser von sich legte und zurücktrat, das vollendete Werk genießend zu betrachten, da flatterte der goldene Altar mit den Flügeln und flog auf zum Himmel. »Er will sich Gott zeigen«, dachte der Träumer.

Des Morgens konnte er sich der Bilder nimmer erinnern.

Und wieder wurde ihm im Anblick des Gebirges inne, wie die unendliche Wesensfülle Gottes die Welt durchdrang, und er sehnte sich, über Brücken von Eis zu schreiten, von den Kanzeln des wildschöpferischen Gottes aus, die noch kein anderer erstiegen, das Land zu erschauen, wo die Palme im blauen Meer ihr bebendes Widerbild findet, und weiter die wolkenarme, gelbe Wüste und die ganze tausendfarbene Welt.

Er gab einem reisenden Mönch einen Brief nach Regensburg mit. »Wisse, liebe Frau, ich Lände Welschland zu. Ich komme lange nit heim«, stand darin geschrieben.

Bruder Lenkart erging sich eben lustwandelnd im Spiel der Ranken und Rotstriche und Goldflächen, das um die Buchstaben eines alten Messbuches, als Altdorfer ihn aufstörte. »Ich will in die Berge und noch weiter. Geht Ihr mit?«

Der Mönch wies scherzend auf die Fülle seines Fleisches. »Die Gemse mag die Schrofen ersteigen. Der Zeidelknecht des Klosters muss daheim die Immen hüten.«

»Ich will in die äußerste Weite!« rief der Maler leidenschaftlich.

»Meister Albrecht, die Welt ist überall weit, auch im engsten und nächsten.«

»Ich vergeh vor Gier. Das Südland muss ich schauen, sonst kann ich nimmer malen.«

»Albrecht, ein großer Helfer ist die Sehnsucht, die sich nit erfüllt!«

»Mönch, du hast leicht weise reden!«

 

Das Ross zurücklassend, nur mit Reisesack und Schwert bebürdet, einem Wahnsinnigen gleich, drang Altdorfer in das verschründete Gebirg ein.

Tagelang wanderte er. Zuweilen wies ihm ein brauner Gemsjäger den Pfad, zuweilen ein wasserköpfiger, lallender Fex. Es war ein Fabelland voll blauer Schatten, voller Berge, firnenbleich und in entrückter Haltung, voll einsiedlerischer Geier und Alpraben, grasender Steinbockherden an den schwindelnd schmalen Simsen, glühender Abende auf den Gipfeln, zerwühlter Wolken. Eiswasser rann nieder und letzte die lechzende Zunge. Tosenden Achen im Geschlücht lauschte das Ohr. Auf den Hochalmen wehten ungekannte Blumen, in Farben sich bekämpfend. Aus neuen Fernen tauchten neue kobaltblaue Höhen, greller Schnee, grünliches Eis.

Manchmal wolkte es aus den Abgründen herauf, der Wind schnob in den Dunst und zerriss ihn und trieb ihn wieder zusammen zu einer weglosen Schleierwelt und verhüllte die kahlen Schrofen. Oft wieder war alles zauberklar, und die Farben waren schneidend nüchtern gegeneinander abgegrenzt.

Altdorfer zeichnete wenig, nur flüchtig eine Bergform, eine verkämpfte Tanne am Felsrand. Das Wesen der Steilheit schrieb sich in seine Seele. Oft bemächtigte sich die Landschaft seiner ganz und ließ ihn erstarren an ihrem Grauen. Oft war ihm, ein Jahrtausend trenne ihn von Regensburg, von Weib und Heim, und das Schweigen der Einsamkeit war so ungeheuer, als sei die Zeit aus dem Raum herausgefallen.

Er wanderte durch wegloses Latschengestrüpp, über scharfes Geröll, über abgefaulte Stege. Seine Haut dampfte, sein Mund keuchte. Lotrechte Wände zwangen ihn immer wieder in die Tiefe zurück.

Nachts auf hohem Pass sahen ihn die Sterne wie Fieberblicke an. Ihn fröstelte in der harten, dünnen Luft. Er war todmüde. Sein Hirn war benommen und voll verrenkter Gedanken und Bilder. Der Schlaf mied ihn, und dennoch träumte ihm immer wieder, er erschlage Ottern.

Wie weit war noch die Meerfürstin Venezia?! Wie unfassbar schwebte der Kranz der Vollkommenheit, danach er hungernd emporgriff! Sein Herz war lahm. Was nutzte es, wenn er sucherisch durch die Welt streunte! Er blieb doch der kleine Kupferstecher, der Verfertiger unbedeutender Bilder, ein bißlein Wald, ein läppisches Lindwürmlein, ein unbeholfener Heiliger!

Am Morgen richtete er sich fiebernd auf.

Der Wind scheuchte die Nebel an die Bergwand. Harte Schritte drangen durch den tragenden Dunst.

Bewaffnete kamen. Hinter ihnen auf schmalem Alpensteig schleppten starke Männer eine Kiste.

»Woher?« redete Altdorfer sie an.

»Aus Venedig.«

»Was tragt ihr da?«

»Ein Bild.«

»Zeigt es mir!«

Sie lachten.

»Zeigt es mir!« brüllte er und schwang sein Schwert.

Ein vornehmer Mann in grauem Pelz trat hervor. Er befahl: »Zeigt es dem Narren!«

Das Bild enthüllte sich.

Es war von tödlicher Schönheit. Es war in rätselhaften Farben gemalt, die Altdorfer noch nie gesehen hatte und deren Namen er nicht wusste.

Ein Adler schrie im Sturm.

Das Bild quoll über seinen verbleichenden Rahmen hinaus, wurde riesenhaft, war auf einmal das umfassende Alpenland selber, – verschleierte sich wieder, als malten Geisterhände eine Wolke drüber.

Die Stimmen, ob auch die Männer noch vor Altdorfer standen, fernten sich, wurden sinnlos, verdämmerten, setzten aus.

Vor seinen Augen wogte es gestaltlos in Farben, türkischrot, sittichgrün, grellblau, golden. Dann fiel der Scharlach eines schweren Vorhangs.

Die Sinne verließen ihn. Er stürzte zu Boden.

 

Das Haus mit dem stattlichen Vierkantturm, das Altdorfer von Georg Regenfuß gekauft hatte, befand sich am Veitsbach nahe dem Kloster der Augustiner.

Der Maler saß in seiner von hellen Brettern überschossenen Werkstube am breiten Tisch und schnitzte in einen Holzstock aus gelbbraunem Buchs das Faltenwerk eines Gewandes. Hier innerhalb des warmen bräunlichen Täferwerkes unter den breiten Eichenschränken, in deren Füllungen Gemsjagd und Bärenhatz flach geschnitten war, ließ sich behaglich schaffen. Am Sims schimmerten zinnerne Prunkteller und Kannen, mit Drachenleibern gehenkelt. Der Ofen, ein zinnenbekröntes Türmlein, ruhte nach der neuen Schweizer Art auf vier mächtigen Tatzen, und von der Kachel sprach einem ein Spruch Mut zu: »Frisch her und dran! Wer sich fürcht, leg Fäustling an!« In dem Meerfrauenleuchter an der Decke staken gelbe Kerzen. Ein unfertiges Bild der Geburt des Heilands lehnte an der Staffelei.

Altdorfer schnitt mit seiner festen, sicheren Hand markige Striche ins Holz, er wusste, wo die Lichter flackern sollten, wo die Dunkelheit lagern musste, und wie das Weiß, darin alle Farben kreisen, mit dem Schwarz zu ringen hatte.

Anna saß in der Nische auf der Truhenbank, den Mund in leichtem Unwillen geschürzt. »Schnitzest du schon wieder?« fragte sie halblaut.

»Ja. Das Urteil des Paris«, lächelte er. »Wärst du dabei gewesen, Schönste, der Prinz hätte dir den Apfel gereicht.«

Doch sie schmollte: »Du solltest weniger schnitzen und zeichnen. Am Kupferstich ist mehr zu verdienen!«

»Die Tochter des Kaufmanns berät mich!« scherzte er. »Denkst du immer an das liebe Nützliche?«

Sie führte die Bücher genau, sie verstand zu rechnen, ohne in Knauserei zu verfallen. Er war ihr dankbar dafür. Diese Ordnung förderte seinen Wohlstand und machte sein Leben sorglos.

»Du bist unstet«, sagte sie. »Du springst vom einen zum andern über. Kaum kannst du den Grabstichel recht handhaben, legst du ihn weg und greifst nach der Atznadel. Hernach wirst du wieder der Nadel überdrüssig, und du hebst zu schnitzeln an. Treib doch das, wozu du dich am besten schickst!«

»Schöner ist das Werden als das Sein«, erwiderte er. »Ach, mit dem Stichel kann ich keine zackigen Felsen, kein gekräuseltes Laub und nit die Ferne des Landes schaffen!«

»In Erz arbeiten ist edler. Der grobe Holzschnitt fügt sich nur für die Bauern«, sprach sie erregt.

»Ist es schlimm, wenn der einfältige, arme Mann ihn liebt? Der Holzschnitt ist gesund wie ein Lied, das auf den Straßen und an den Brunnen gesungen wird. Der Kupferstich wird mir zu klein.« Er deutete auf ein Blatt auf dem Tisch. »Ist der Sanktjörg da nit ein ganzer Kerl? Lebt der Streit da nit lebendiger als auf dem Bild mit dem Waldrand? Grobbairisch sticht er drein, dass ihm der Spieß zerschellt.«

Sie neigte sich über den Holzschnitt, noch nicht gewillt sich überzeugen zu lassen.

Den Speer im Rachen, wälzte sich der gifteuterige lybische Drache und spreitete die Krallen ohnmächtig gegen den Helden. Den Helm mit einem Schwall von Federn ritterlich befiedert, zu Tat und Tod gleichmütig bereit, ritt Sankt Jörg sein lebhaftes Streitross. In den Lüften war die Keilrotte ziehender Vögel und auf unglaublich jähem Berg das Schloss.

»Ist das Burg Prunn?« tadelte Anna. »Du hast sie zu steil angelegt. Wer ersteigt oder erreitet diesen Berg? Oder hausen nur die Käuzlein droben?«

Er sagte: »Das wilde Gebirg soll wie ein Heldenlied zu dem Streit klingen.«

Da fuhr sie sich in Erinnerung mit der schmalen Hand über die Stirn und erzählte: »Was ich träume, ist oft ein Widerbild der gefahrvollen Öde, die du immer wieder schilderst. Heut hat mir geträumt, wir zwei stehen auf einem deiner hochschroffen, harten Gebirge. Und da tut sich vor uns auf einmal ein finsterer, schmaler Schluchtriss auf, und daraus wächst etwas Köstliches, ein güldenes Rätsel, ein Wipfel, blattförmig umgebogen. Ich pflücke es und staune, denn meine Finger sind davon golden worden. Du aber sagst darauf sehr streng, das sei die Spitze eines Turmes, der in dem Bergschrund hineingebaut sei, und ich möge das Kleinod gleich wieder daraufsetzen, sonst versündige ich mich.«

Er hörte ihr zu und schnitzte dabei eine Lichtlilie in den Buchs.

»Kannst du mir den Traum deuten?« fragte sie bang. Und da er schweigend fortfuhr, Licht und Schatten aus dem Holz zu schneiden, seufzte sie tief auf: »Liebst du mich noch? Oder ist dir der Klotz unter deinem Messer teurer als ich?«

»Wie der Berg sein Erz, so fest halt ich dich im Herzen«, sagte er innig. Dann blickte er scheu zu ihr hinüber und redete leise: »Als vorzeiten Meister Liebhart die nördliche Mauer unseres Domes gebaut hat, ist sie trotz aller Sorgfalt und Kunst immer wieder eingestürzt. Verzweifelt, dass sein Werk von Gott t‹it gesegnet wird, hört er einmal nachts die finstere Stimme eines Geistes rufen, die Mauer werde nie errichtet werden, es sei denn, dass ein Mensch aus freien Stücken sich lebendig darunter begraben lasse. Der Ruf wird bald im ganzen Land kundgetan. Doch kein Siecher, kein Trostloser, kein Waislein und kein Armersünder, der zum Hochgerüst getrieben wird, erbietet sich zu dem Opfer. Und Jahr um Jahr verrinnt, der Bau ruht, und die Werkleute zerstreuen sich. Bis sich das junge Weib des Liebhart, das die Trauer ihres Mannes nimmer ertragen kann, dem Werk zuliebe stellt, man möge sie bei lebendigem Atem begraben.«

»Und Meister Liebhart? Hat er das Opfer angenommen?«

»Er hat lange gezögert. Aber der Dom hat es begehrt. Da hat sich Geterud ohne Schrei, ohne Träne unter der Mauer begraben lassen, auf dass die freigewordene Seele das Gebäude stütze und schütze. Und über ihrem Grab steht heut noch ihr Name in die Quader gerissen, ein wunderbares Denkmal.«

Anna stieß aus dem erblichenen Mund hervor: »Ist der Dom deswegen nit verflucht? Soll sein Gemäuer nit zittern, ewig zittern wie das Gras im Feld? Albrecht, und du billigst, dass sie getötet worden ist?«

Rätselhaft sah er sie an. »Gott wird von mir nit begehren, was übermenschlich ist.«

»Du bist mir unheimlich«, weinte sie auf. »Seit du aus den Bergen heim kommen bist, bist du anders.«

»Sind mir dort auf dem Alpenjoch die Männer wirklich begegnet? Oder hab ich alles nur erflebert?« sann Altdorfer. »Als ich in der Bauernstube erwacht bin, hat mir niemand Auskunft geben können. Ich weiß auch nimmer, was auf dem Brett gemalt gewesen. Es hat mich mit seiner Schönheit getroffen wie ein Blitzstrahl. Ich weiß nur, dass ich die Sehnsucht brauche.«

Annas Gesicht stand in Tränen.

 

Ein pluderiger, breiter Landsknecht polterte zur Tür herein, die Ärmel zerzottelt und zerflammt, die Hosen grün und gelb geteilt, den buntgestreiften Strumpf unterm Knie mit grellem Band befestigt, die Schuhe kuhmäulig und geschlitzt, quer vorm Gurt das kurze Katzbalgerschwert, unterm Federhut ein von Schlacht und Raufhandel zerhacktes Gesicht.

»Du, Hundundkatz?« rief Altdorfer. »Du in Regensburg?«

»In des Kaisers Leibwacht dien ich!« rief der Landsknecht und kämmte sich mit klobigen Fingern den Bart. »Ich hab meine Gesellen reden hören, du hättest ein Blatt ins Land fliegen lassen, drauf der Reiter Jörg zu schauen ist.« Sein Geierblick fuhr über den Tisch. »Hei, da ist es!« Er raffte es an sich. »Hoho, wie der Wurm zischt! Sankt Reitersmann, stich zu! Stich zu!«

Er rollte den Holzschnitt zusammen und warf prahlerisch ein Silberstück hin.

»Lass das!« wehrte Altdorfer ab.

»Nimm es getrost! Albrecht, dir ist nit deinesgleichen. Nimm es! Soll mir das Geld im Sparkrug verrosten? Der Kaiser lässt uns nit darben. Ihm stäubt das Geld aus dem Beutel, hoho, wenn er eines hat! Willst du dir ihn nit anschauen, meinen allmächtigen Herrn? Heut reitet er über die Brücke ein.«

 

Auf der Brücke bei der Kapelle, darin der Gekreuzigte sterbend auf Mutter und Freund niederschaute, begrüßte eine hübsche Mummerei den erwählten Kaiser Maximilian: eine Donaufrau mit triefendem Schleier, die eben aus dem schießenden Strom emporgestiegen zu sein schien, brachte ihm einen Lobtrunk dar.

Der Kaiser prangte mit einem goldbekrönten Helm, und sein Schimmel hielt hoffärtig die Nüstern hoch, als wüsste er, dass er das Haupt Deutschlands trug. Drei leichtfertige Fräulein, die ihrer Sitten wegen aus Regensburg verwiesen waren, hielten sich an dem Mantel Maxens und an dem Schweif seines Rosses fest, um in solch fürstlicher Freiung wieder in die Stadt zu gelangen, und der Kaiser ließ sie in guter Laune gewähren.

Die Ratsherren in Marder- und Samtschauben boten dem hohen Gast den Willkommen Regensburgs, das mit Dom und Türmen hinter ihnen dunkelte. Ein mit dem Bild des Reichsadlers geschmückter Traghimmel schwankte heran.

Der Kaiser schwang sich jünglinghaft vom Ross; ob er auch seit frühem Morgen im Sattel saß, er hatte sich doch nicht steif geritten. Er reckte und ranzte sich eint Weile, und plötzlich sprang er, als wolle er seine Schnellkraft und seinen Wagemut versuchen, auf die schmale Brüstung der Brücke und streckte, sich schlank zurückbiegend, das rechte Bein waagrecht über die Donau, so dass der Kammeramtsverweser Hans Schmaller, der ihm eben die Schlüssel der Stadt reichen wollte, vor dem gefährlichen Übermut erblasste und hüstelnd die Stegreifrede

»Recht so!« rief Kunz von der Rosen, des Kaisers lustiger Tischrat. »Was ein rechter Hans ist, muss des Tages neun Streiche tun!«

In dem Wirbel schlüpften die drei Dirnen durch die Menge in die Stadt, und niemand hinderte sie. Alles lugte nach dem kaiserlichen Waghals, der lachend wieder von der Brüstung herniedersprang. Aber als er die gewaltige Schar der Mönche und die gleißenden Platten der Weltgeistlichen gewahrte, die mit den Heiltümern ihrer Kirchen daher wallten, den Gebeinen der Heiligen Erhard, Heimeram und Wolfgang, da winkte er unmutig ab. »Hab mir es doch verbeten! Ich komm heut nit als Kaiser, ich komm als Jäger und reit den Vögeln nach!«

»Stecken wir den Mönchen die drei gelüstigen Fräulein ins Kloster!« riet Kunz. Als er solches sagte, kleckste dem Vorlauten just eine hoch dahinschießende Schwalbe ihren Kot mitten ins Gesicht.

»Das hast du für dein Losmaul, Närrle!« lachte Max schallend.

Er schritt durch das Stadttor. Hinter ihm ritt ein Dutzend stattlicher, ausgeklaubter Knechte, blitzend in ihren Harnischen. Harfenschläger und Pauker huben köstlichen Lärm an, die Schülerlein schwenkten kleine Adlerfahnen, mit tausend Köpfen lugte die Neugier aus den Rundfenstern. Teppiche waren gebreitet wie bunte Gartenbeete, Blumen regneten nieder, Ehrenglocken sangen.

Als der Kaiser vor dem Dom anlangte, vertrat ihm Wolfgang Roritzer den Weg. Al! seinen Stolz überwindend, bat er für sein Werk. »Herr, seht mein unvollendet Gebäu!«

»Ich bin frohen Mutes«, lächelte Max. »Doch fehlt es mir an Geld. Ich kann im Winter kaum Wildheu kaufen für meine Hirsche und Gemsen.«

»Lasst diese Burg Gottes fertig bauen!« drängte Roritzer, kühner werdend. »Führt einen Krieg weniger, dann ist des Geldes genug da!«

»Wolf Roritzer, Ihr seid nit nur ein Meister des Dombaues, lhr meistert auch die Kunst, Ruch Feinde zu schaffen«, erwiderte der Kaiser kühl und schritt an ihm vorbei.

Finster und beschämt, dass er sich gedemütigt hatte, trat Roritzer zurück.

Doktor Stabius, des Kaisers Hofgeschichtsschreiber, Kriegskundiger, Sterngelehrter, Mathematikus und Baumeister, ein allseitiger gründlicher Mann, sagte zu dem Dommeister: »Gebt acht auf Euern Wirbelkopf! Ubrigens wuchert Euere veraltete Baukunst überschwenglich, sie flebert schier. Maßlos ist, was Ihr da vollenden wollt, nebelhaft, ein Nordlandungetüm, das sich in seinem Wirrwarr selber verschlingt. Ich verstehe diese Kunst nit. Sie läuft zu Ende, und wir müssen uns von der Mittelmeerwelt belehren lassen, wie man ruhiger, gemessener und menschlicher baut.«

Und Kunz von der Rosen klopfte Roritzer mitleidig auf die Schulter. »Steinmetz, du bist wenig klug. Wer den großen Herren die Wahrheit auf den Tisch setzt, muss eine süße Brühe dazu kochen. Was baust du denn, du Fotzenhut, und weißt nit, was es kosten tut?«

 

Nachdem der Kaiser im Bischofshof ein Würzbad genommen und sich das leicht ergraute Haar mit einem bleiernen Kamm etwas gedunkelt hatte, ließ er, der den Verkehr mit Künstlern über alles liebte, sich in das Haus Altdorfers führen.

Er fasste den Meister freundlich ins Auge. »Ihr sollt ein saturninischer Mann sein, hat mir Albrecht Dürer verraten. Bin ich Euch nit schon irgendwo begegnet?« Dann fiel sein Blick auf die dem Schrank eingeschnitzte Jagd. »Kein schöner Ding auf Erden als eine Gambs auf der Almenspitz!« pries er.

»Sagt, Meister«, fuhr er lebhaft fort, »ist mein unruhig und kriegerisch Regiment den schönen Künsten günstig oder nit?«

»Kunst steigt wohl nit aus reinem Frieden«, entgegnete der Maler, »ihr Acker ist die Unruh des Herzens.«

»Meister Dürer meint, alle Kunst schlummere heimlich in der Natur, und der Künstler müsse sie herausreißen. Was haltet Ihr davon?«

»Menschlich Unvermögen ist groß, und wie wär auch das hohe Vorbild der Natur voll zu erreichen? Wer vermag es, alle Pracht einer Blume, einer Baumrinde, eines feuchten Felsens zu malen? Das ist mein steter Schmerz.«

»Ihr meint, der Künstler muss haargenau nachschaffen, was seinen Geist reizt?«

»Natur ist göttlich Werk und darum gotthaft. Sie ist ein dunkles Gleichnis. Und darum soll der Maler ehrfürchtig die Welt schildern, wie Gott sie gewollt und erschaffen hat.«

»Und tut Ihr das, Altdorfer?«

»Ich bin des ernsten Willens. Doch drängt sich immer etwas zwischen die Natur und mein Werk. Das ist die sonderliche Seele. Sie will selbstherrlich schalten.«

Der Kaiser näherte sich dem Bild der Geburt Christi, das in stiller Vollendung auf der Staffelei leuchtete. »Ich will Euer Wort an Euerm Werk prüfen«, sagte er. »Schon erkenn ich, dass Ihr das Wirkliche mit dem Wunder mischet.«

Hinter brauner Mauer mit schimmernden Ziegelfugen und unter einem mit wilden Kräutern verwachsenen Balkendach weilen Vater und Mutter bei dem lichten Kind und neben ihnen der Esel und das dunkle Rind mit dem forschenden Tierblick, und hinter der Hütte erhebt sich ein steiler, voller, zauberhaft angeflammter Laubbaum.

»Woher rührt das geheimnisvolle Licht? Wo ist sein Quell? Im Mond? In dem Kind?« fragte der Kaiser betroffen.

In den Lüften vor dem Gewölk hangt unwahrscheinlich nahe der Erde ein greller Riesenball, lichtumkränzt. Aus dem in der Ferne gell und gleißend aufgebrochenen Himmel stößt der Engel der Verkündigung nieder zur Heide der Hirten, und dahinter blaut es und erstrecken sich geahnte Weiten. In der schwarzbläulichgrünen Nacht aber über der Hütte schweben in heiterem Tanz drei Englein, singendes, nacktes Gesindlein mit bunten Schwingen und von Bändern schnörkelig umflattert wie von einem zierlichen Lied.

»Ich bin kein Splitterleinspleißer«, meinte der kaiserliche Beschauer. »Doch seltsam! Oft bin ich nächtens ausgeritten, so aber wie Ihr hab ich den Mondschein nie geschaut. Was verschleiert ihn so sehr, dass er all sein Licht in sich behalten muss?« »Es ist nit der Mond. Es ist Gotteslicht.«

»Das habt Ihr nit für die Kirche gemalt. Ihr betet hier an, was heidnisch ist. Hier gebietet nit das Heilandkind, hier gebietet das Licht.«

»Herr Kaiser, das Licht ist das stärkste Wesen.«

»Wenn die drei freundlichen Kinder nit wie die Schmetterlinge tanzten, Altdorfer, das Bild müsst mich bang, ja sogar fürchtig machen. Die zerfallende Einöde, das ungeheuerlich glimmende Gras, die gleißenden Fugen! Der ungetüme Stern, der grell und dumpf zugleich ist und nit strahlt und den Himmel nit erhellt! Es ist überall eine böse Unruh, eine Irrlichtwelt. Wird das mächtige Licht nit brennend niederstürzen?«

»Herr, nehmt es ais einen Traum zwischen Furcht und Lieblichkeit«, sagte Doktor Stabius.

»Albrecht Dürer malt klarer als Ihr, Altdorfer«, sagte dann der Kaiser. »Sein Geist zwingt andere, ihm nachzuahmen. Euch aber nit. Dürer weiß die Gesetze seiner Kunst, wenn auch nit alle. Welches Gesetz formt Euer Werk?«

»Ich – bin mir dunkel«, sagte Altdorfer, bestürzt über diese Selbsterkenntnis.

»Ich hab albern gefragt«, gestand Max. »Ebenso hält ich fragen können, nach welchem Gesetz sich der Kristall formt. Doch sagt, wollt Ihr mich malen?«

Der Meister sah dem Kaiser voll in das deutschritterliche Gesicht, auf die tapfere Stirn, in die scharfblauen, kriegerischen Augen.

»Euer Bildnis«, sagte er zögernd, »ich glaub, ich vollbring es nit.«

»Dürer vermag es«, redete Stabius. »Er schaut kaum hin und weiß doch alles von einem Gesicht. Seine besondere Kunst ist, dass er das Wahre und Menschliche mit der Würde, die den Herrscher umschwebt, zu verbinden weiß. Er malt den Kaiser als Kaiser.«

»Besinnt Euch, Meister Altdorfer! Die Nachwelt soll wissen, wie heftig meine Nase gewesen ist«, scherzte der Fürst.

Darauf begann der gelehrte Stabius schmeichelnd und ehrlich zugleich: »Welcher große Mann kann sich dem Zauber des Ruhmes entziehen? Sonderlich in unserer Zeit, wo die goldlockigen Götter des Olympos wieder erwachen, die sich trunken geschlafen durch die Jahrtausende. Auch meinem fürstlichen Herrn –«, Stabius verneigte sich ehrfürchtig, »– soll der Ruhm seiner Taten nit vorenthalten sein. Die römischen Triumphhelden sind prunkhaft durch Rom gefahren mit der anschaulich und überzeugend geordneten Beute an Kleinoden, Waffen, Tieren und Gefangenen, sie haben sich ewige Pforten mit den Bildern ihrer Siege errichten lassen, und große Male dauern über ihren Grüften. Auch Euch, mein Kaiser, müssen die Künste feiern!«

Kunz von der Rosen öffnete die festen Lippen seines derbkühnen Gesichtes und lachte: »Dazu gehört Geld. Aber wer leiht es uns? Die Gebrüder Fugger sind misstrauisch worden. Und mein Kaiser ist mehr freigebig als reich. Ach, er lässt sich seinen Triumph bescheiden auf Papier drucken. Das ist billig.«

»Du sprichst die lautere Wahrheit, Närrle«, sagte Max. Und als wolle er das ihm peinlich werdende Gespräch abbrechen, fragte er hastig: »Seid Ihr auch in Italia gewesen, Altdorfer? In Venedig? In der Romanei?«

»Nein, bin nur die Donau abwärts gefahren.«

»Wie Krimhild in die Steppe. Und sonst?«

»Im schroffigen Gebirg mittäglich vom Mondsee bin ich gewandert. Und in unsern Wäldern.«

»Malet mir nur mein frommes Deutschland mit seinem offenen Gesicht!« sagte der Kaiser herzinnig.

Er tappte nach einer Laute, stimmte sie rein, zupfte daran und legte sie unruhig wieder weg. Er blätterte in den Zeichnungen am Tisch, betrachtete den Todessprung des Ritters Curtius, die Anbetung der Könige, den Kindermord zu Bethlehem und meinte hernach: »Ihr entwerfet manch königlich Gebäu, Altdorfer. Schier lugt ein Baumeister voll neuartiger Kunst aus Euern Schildereien.«

»Niemand beauftragt mich, dass ich die Brunnen und Brücken Eueres Reiches ordne«, erwiderte der Meister.

»Ei, ähnelt Ihr meinem Kaiser?« rief Kunz, »wollt Vielerlei und Unmögliches, wollt Eibenbogen mit seidenen Sehnen und Pfeile mit Pfaufedern gefiedert?!«

Betrachtsam fuhr Max fort: »Wie tief führt diese Halle in das Tempelschloss hinein! Wie stolz wölbt sich die Kuppel, darauf der Fackelgott steht! Und diese edle, breite Stiege! Und diese Säule, diese Kranzgewinde! Wahrlich, Ihr und kein anderer müsstet mir mein letztes Schloss entwerfen, wenn ich einmal nimmer reisen und reiten kann und mich – pfui! – in der Sänfte schleppen lassen muss! Aber – ich werde nie rasten. Wie alt seid Ihr, Meister?«

»Zweiunddreißig Jahre. Ich reife sehr langsam.«

»Späte Reife ist umso köstlicher«, sagte Stabius höflich. »Doch um auf unsere frühere Rede zurückzugreifen: Staatsgewalt verstärkt sich, wenn sie sich mit dem sprechenden Bild, dem fliegenden Blatt und dem Buèhdruck verbündet.«

»Aber das Schwert muss griffbereit danebenliegen!« rief Max. Und er nahm eine köstliche Waffe, die in einer Ecke tückisch gefunkelt hatte, und wog sie in den Händen. »Leben wir nit in den wundersamsten Tagen? Es ist, als durchdränge ein fremder, geistiger Stern, ähnlich Eurer nächtlichen Sonne dort auf dem Bild, Altdorfer, unsere Erde. So in der Kunst, so in den Wissenschaften. Und solch vollkommene Waffen wie jetzt sind selbst in der göttlichen Höhlenschmiede des Vulkanus nit gehämmert worden!

»Ja, sie sind vollkommen!« spottete Kunz. »Sonderlich das Blech der Rüstung schließt dicht. Ich bin in einer Ritterschlacht gewesen, da ist keiner gefallen, nur ein Schimmel, und der ist nit durch Schwert und Spieß hin worden, sondern vor lauter Schwäche des Alters.«

»Schweig, du Glitzerhirn!« gebot der Kaiser. Er freute sich über das wehrliche Kleinod, und er las den Spruch darauf: ›Gott hilft mir, weil ich stark bin.‹ »Das ist wahr«, nickte er. »Wir müssen immer gerüstet sein, voraus mit reisigen Buben! Unsere Hellebardenschmieden müssen Tag und Nacht pochen, unsere Gusshütten müssen Scharfmetzen, Karthaunen und Feldschlangen schaffen! Der Mensch muss immer bereit sein, der feindlichen Gewalt ist viel. Und immer wird das Reich der Deutschen gefährdet sein. Was wär die Welt ohne Schwert? Mit meinen schmiedeisernen Knechten zwing ich den Erdkreis!«

Doktor Stabius lächelte fein. »Und doch wollt Ihr, Majestät, den ewigen Frieden bauen im Land durch Euer Gesetz!«

Max atmete tief auf. »Mein Herz, wie bist du? Wünschest dir zwiespältig Streit und Frieden. Doch ehe ich raste, will ich meinen Speer ins welsche Meer schleudern und es verwunden und besiegen!« Er richtete sich glücklich auf. »Ich trage Stahl. Stahl ist mein liebster Rock!«

»Die Herren werden bald das Eisen ausziehen müssen«, widerstritt Stabius. »Es beschwert nur noch und hemmt.«

»Ihr Skribler! Ihr Ofenhocker!« grollte der Kaiser, und dem Zornigen liefen die Halsadern an. »Wenn die Welt des Ritters untergeht, was bleibt noch?«

»Die Stadt!« sagte der Gelehrte.

Als der Kaiser schied, nahm er einen Holzschnitt mit, der Sankt Christoffel darstellte, mit dem Kind belastet und sich mit der Stange wider den Strom stützend.

 

Regensburg bereitete dem festfrohen und prachtgierigen Gast einen von Altdorfer erdachten Schauzug.

Während der Kaiser mit seinem engeren Gefolge im Fenster des Rathauses saß, entfaltete sich drunten in der Gasse ein bunter Kalender, das Jahr zog vorbei in seinen Formen und Gezeiten, in seinen Festen und sonderlichen Heiligen.

Das Vorwort hatte eine dröhnende fahrende Orgel, die aus einer Kirche geholt worden war, und ihr .folgte das rollende Jahr selber, ein selig lächelndes Kind auf einer goldenen Kugel, und dahinter in wunderlichem Gepränge der lange Zug in einzelnen Gestalten und farbigen Gruppen: die gelbhaarige

Pfalzgräfin Genovefa mit der Rehkuh, die drei Könige mit ihrer Mannschaft und einem schwarzen baktrischen Kamel, das markerschütternd brüllte, die Bäuerin Notburgis mit silberner Sichel und dem Ahrenkranz im Haar. Karl der Große mit ungeheuerem Bart grüßte von seinem Thronwagen mit dem Schwert zu dem Säulenfenster hinauf seinen Nachfolger in der Gewalt, Dorothea schleuderte aus ihrem Körblein Rosen empor. Margret zog an seidenem Band ein artiges, langgestrecktes Lindwürmlein auf vier Rädern hinter sich her, doch Korbinian ritt auf einem lebendigen Bären. Hinter moosbärtigen Einsiedlern und nach einer stolz sich steigernden Reihe von Kirchenfürsten, unter ihnen auch Sankt Wolfgang, kam Gottvater selber daher in Goldbrokat, mit greller Tiara wie ein Papst, mit goldener Perücke, goldenem Bart, goldenen Händen, goldener Brust.

»Wollt Ihr noch immer Petri Gestühl besteigen zu Rom?« flüsterte Kunz schelmisch seinem Herrn zu.

Maxens Auge erwachte aus der Trunkenheit der Bilder, es blitzte grellblau, und er reckte begehrlich die Arme aus. »Das weltliche Schwert rechts, das geistliche links!« sagte er.

»Und den Dolch bereit in den Zähnen!« lachte der Tischrat.

»Du Schellennarr!« fuhr der Kaiser ihn an.

Der Schwabe gab es zurück. »Wer ist der größere?«

Die heiligen Reiter ritten auf glänzenden, tänzelnden Rössern daher, die Tiere schüttelten übermütig die funkelnden Schellen der Mähne, ihre Satteldecken waren aus blauem und rotem Damast. Urban trabte vorbei, der Weinzierl mit der Traube, mehr ein rotbackiger Silenus als ein Heiliger, Zeno trug einen zappelnden Donauhecht im Netz, Petrus, der Schutzherr der Stadt, schwenkte das Wappen Regensburgs, die zwei gekreuzten Schlüssel. Maria auf der Flucht ritt im blauen Mantel mit ihrer Docke vorbei, der Altvater leitete züchtig das Eslein. Der Taufer Johannes trat an in kamelener Kutte, der Verräter Judas mit Strick und Beutel in grelles Judengelb gehüllt, den Kinnbart mit Aschenlauge rot gebeizt und aufgekämmt, dass sein hagerer Kopf dem Sichelmond ähnelte. Isidor trieb mit langem Hirtenstab seine Lämmer an, Magdalena prangte in scharlachenem Hurenkleid, die Verführerin und kaum die Büßende. Als Jakobus mit der Kürbisflasche heran-pilgerte, krähte Kunz von der Rosen zu ihm hernieder: »Sankt Jakob mit dem Muschelhut, regnet's nit, ist's Wetter gut!« Und Max neigte sich weit aus dem Fenster, als der Jäger Hubertus mit vergoldetem Federspieß, umkläfft von seiner Meute, geritten kam. Grau und mager huschten die Armenseelen vorbei, gescheucht von dem, der nicht fehlen durfte in dieser teufelsgläubigen Zeit, dem höllischen Mann in roter Weidmannstracht. Ursula winkte mit ihren hübschen Mägden aus dem Segelschiffwagen. Hinter dem Weihnachtsstern trippelten singend die Unschuldigen Kindlein in weißen Hemdlein und mit den Tränenkrügen, schritten zwei schöne, junge Menschen, mit Laub verhüllt, Adam und Eva. Unter den abschließenden Bildern war die Frau Altdorferin in Silberzindel gekleidet zu schauen, schlank und stattlich und stolzen Ganges versinnbildete sie die Stadt Regensburg. Hinter ihr her klirrte eisengeschient der Heidengott Mars mit gewaffneter Schar über das Pflaster, gefolgt von schreckenden Elendsgestalten Bettel, Hunger und Pest und von dem gesensten Tod, der im bleichen Grabtuch daherklapperte, der Hoffart des Herrschers zum Trutz. Kaiser, hüt dich vor leichtsinnigem Krieg und denke, dass du sterblich bist!

Max beschied den Maler Altdorfer zu sich und lud ihn mit bezaubernder Liebenswürdigkeit ein, an der Darstellung seines Triumphzuges mitzuarbeiten. Der Meister sagte nur halb zu und bat, man möge ihn für eine Weile entlassen, er müsse dem Mohrenkönig und dem Herrgott, die er angestrichen hatte, die Farben wieder aus den Gesichtern waschen.

 

Auf dem Haidplatz gab der Rat ein gewaltiges Schauessen.

Vier Köche schleppten eine mit Getürm, Fenstern und Zugbrücke künstlich erbaute Burg aus Marzipan herbei und setzten sie auf den linnenweißen Tisch. Der Schultheiß zerschnitt das süße Bauwerk mit großer Vorsicht: da kauerte ein zierlicher Zwerg drin und schlug die Laute und sang ein ausgelassenes Lied, und ein grauer Hase hüpfte heraus und flüchtete über die weinbeladene Tafel und hüpfte in den Schoss der Frau Altdorferin, und sie schützte ihn vor den Hunden, die aufgeregt die Schlemmerei belagerten.

Der bucklige Zwerg, kaum eine Elle hoch, legte, auf dem Tisch wandelnd, den schönen Frauen das Essen vor und bot den Herren gespitzte Federkiele, dass sie sich damit die Zähne putzten. Dabei betrachtete er selbstgefällig sein klingelndes Geckenröcklein, bis ihm Kunz seinen Teller mit dem gesottenen Rindsfuß in Essig auf den Buckel stellte und ihm drohend befahl, er müsse ihm als Tischlein dienen. »Halt dich, Homunkel!«

Da gab es Wildbret und gebratenen Salmrücken, Kapaun und Fasan, Fleischgalereien, Zitronaten, Datteln, Feigen und Zibeben für die Frauen zum Naschen, Käse, Honigkuchen, Weißbrot und Brezeln und hunderterlei anderes.

»Esst und trinkt, Kaiser!« grüßte Kunz mit erhobenem Weinglas. »Wir zahlen es nit.«

»Es zahlt es das arme Regensburg«, murmelte der Schultheiß in den krausen Bart hinein.

In diesen Stunden schien ein riesiger Blumenkranz über der Stadt zu schweben, überall funkelte das Fest, und alle Armut hielt sich verkrochen und schien abhanden gekommen zu sein. Was rings im Land fürstlich war an Macht, edel an Blut, reich an Grund und Geld, berühmt durch Kunst und Gelehrtheit, hochgestellt im Amt, alle nahmen teil, und das Volk staunte darein und jauchzte.

Auf dem Haidplatz maß sich die Blüte des bairischen Adels in Rennen und Stechen. Der wilde Sattelpogner hatte für sich allein eine volle Wagenladung eschener Speere aus dem Wald mitgebracht.

Die Stadt wimmelte voller Gaukler, Katzenritter führten Schein- und Schaukämpfe auf mit wilden Tieren, Tänzer liefen vorwärts und rückwärts auf dem Seil, knieten verbundenen Auges hoch über den Gassen auf schwankendem Strick, schritten in blecherner Rüstung oder mit schweren Kugeln an den Füßen den hänfenen Steg. Springer und Purzler taten den Affensprung, den Fischsprung durch den Reifen, wagten den Totenfreisprung. Ein wohlabgerichteter Elefant, dem Gerücht nach zweihundert Jahre alt, kurzweilte die entzückten Gaffer. Unter blauem Himmel wurde das feine Spiel von Sankt Jürg und der Königstochter aufgeführt.

Besonders aber gefiel die Stegreifkomödie, darin einer mit einer ganz übermenschlichen künstlichen Nase sich als Kaiser gab und grimmig gespottet wurde über die Herrschsucht der Kirche; ein Harlekin, im Hut die Hasenpfote, verteidigte den ewigen Landfrieden Maxens, und den Beschluss bildete ein Spott-Turnei, wobei die Bresthaften und Uberalteten gegeneinander stritten in ströhernen Helmen und Panzern, auf täppischen Ochsen reitend und mit Krücken und Besenstielen stechend. Man erkannte in dem Spiel alsbald den freimütigen und gefürchteten Mund Kunzens von der Rosen, und mancher der großen Herren, die da lauschten, bekam sein redlich Teil ab, am meisten aber der Kaiser. Einer der Spieler trat sogar vom Gerüst herab und schenkte Max ein vergrüntes, geringes Gröschlein und drängte: »Nimm es! Nimm es nur und heb es treulich auf! Du wirst es noch brauchen, wenn du alles vertan hast!« Max steckte es lachend zu sich und sagte: »So spiegelt sich der Fürst in seinem Narren. Wohl bekomm es mir!«

Doch erreichte auch Kunz sein Lohn: er wurde in einer abseitigen Gasse, als er dort sein Wasser lösen wollte, von gedungenen Knechten überfallen und jämmerlich verprügelt, ob er auch ein aufrechter und kräftiger Mann war.

Die Landsknechte herrschten, sie strotzten in ihren Farben und in der Pracht ihrer toll zerschnittenen Kleider, trugen ihre dreimannshohen Stangen und alles musste ihnen aus dem Weg treten, sie schlemmten, sausten und brausten, hockten mitten in den Gassen und würfelten, sie ritten auf der Stadtmauer, das eine Bein außerhalb Regensburgs, und spielten Brett, sie bedrängten die Mägde oder balgten sich in der Trunkenheit und schlugen sich rünstig.

Einer der Knechte, Hans Kugler, brach nächtens ein Loch in die versperrte Judengasse und plünderte. Und ob auch Kunz von der Rosen riet, man möge nicht viel Aufhebens davon machen und einem Furz keinen Degen umbinden, entschied dennoch das Gericht des erzürnten Kaisers, dass dem Plünderer der Kopf abgehauen werde, den versehrten Stadtfrieden zu sühnen. Da feierte denn Hans Kugler auf offenem Platz das Henkersmahl und lud seine liebsten Gesellen dazu ein und ließ ihnen wie sich Spießvögel und Hühner vorsetzen. Den Wein trank er allein. »Ihr andern kriegt noch genug zu saufen!« tröstete er seine Gäste. Deswegen kam es zwischen ihm und Hundundkatz zu einem lustigen Zweikampf, wobei dieser dem Armensünder einen Kuttelfleck über den Kopf schüttete. Hei, vollauf wurde gelebt bis zum letzten Schnäpperlein am roten Gerüst!

Sich von dem rauschenden Tag zu erholen, zog sich der Kaiser in seine Gemächer in der Malteserburg zurück. Dort waren viele Vogelsteige auf gehangen, und darin hüpften Stieglitze, Zeisige und Ammern und pfiffen und sangen waldfröhlich, und Max, der Vogelsprachekundige, redete in ihrer Sprache zu ihnen. »Zk, zk, zk, du liebes Schwätzerlein!« rief er kindlich. Und er streichelte den uralten Pelikan, der ihn auf seinen Reisen begleitete.

»Flenn nit, du grelles Glöckel!« tröstete er seinen albernen Rat, der ihm den Überfall klagte und seine Beulen vorwies. »Flenn nit! Schau, der reiche Paumgartner hat mir ein elfenbeinern und bernsteinern Schachbrett geschenkt! Spiel mit mir!«

Draußen meldete sich die Regensburger Judenschaft, des Kaisers Kammerknechte, sie wollten sich bedanken, dass der Hans Kugler so abschreckend bestraft worden war. Kunz empfing sie jüdelnd. »Ei, wollt ihr mit uns wieder reden lauter Honigfladen? Waih, der Kaiser hat nit Zeit, es ist just ein Narrenrennen, da muss er sein dabei!«

 

Abends brannte auf den Plätzen Pech feierlich in den Feuerpfannen, und man schritt mit flammendem Windlicht zur Tafel. Max warf in knabenhaft kecker Laune seine Fackel hoch, ais wolle er die Sterne über den Dächern einäschern, und fing wie ein geschickter Gaukler sie wieder auf.

Im teppichverhangenen Ehrensaal des Rathauses wurde wieder üppig getischt, da wurden gebackener Ingwer, eingemachter Koriander, Mandeln, Zuckerteig, mit Früchten und Gewürzen gemischt, und andere Leckerei, die die Süßbäcker Nürnbergs erfunden hatten, herumgereicht. Und alles war trunken von Velteliner, trunken von der Tafelmusik, di von Schwegelbein, Leier und Rotte aufgeführt wurde, trunken vom Dämmerlicht, das die Männer verwegen und die Frauen unbesonnen machte, trunken vom Wohlgeruch der Blumen, die den Saal schmückten.

Vor dem Rathaus spielten Trompeter zum Tanz auf. Der Kaiser selber trat im Hermelinmantel, die Kette mit dem goldenen Lammfell um den Hals, das Barett mit Perlen und weißen Federn geziert, in die Mummerei hinaus, die im bewegten Schein der Fackeln auf und nieder wogte. Schöne Frauen in flammenden Gewändern, in pfaufarbenen Schleiern, darein Sterne, Lilien und Rosen gestickt waren, blickten brennend den Kaiser an. »Alles flammt hier«, sagte er. »Regensburg wird in Flammen aufgehen.«

Eine in grünen, schillernden Brokat gehüllte Frau neigte sich vor ihm. »Tanzt mit mir!« Ihr Gesicht war kühn, im Ohrläppchen glomm eine Perlendolde, ihr nackter Nacken blendete.

Max warf seinen Mantel in die Hände eines Dieners zurück.

Sie tanzten auf blumenverschüttetem Pflaster, ein edelgewachsenes Paar. Eifersucht zückte ihnen nach. Welche Frau auch hätte diesem Fürsten widerstanden, der mit allen Tugenden eines Mannes ausgezeichnet war, dem siegreichen Helden, ausbündig in jedem Ritterspiel, dem verwegenen Jäger, von dem die Alpensage erzählt!

»Wer seid Ihr?« flüsterte er seiner Tanzfrau zu. »Für Euch könnt ich des Fuggers Gut vergeuden!«

»Tut es! Ich nehm es an«, sagte sie und schmiegte sich fest an ihn.

»Deine Augen! Wär ich tot, ich müsst daran wieder erwarmen! Maienfrau, deinetwegen könnt ich allweil in Regensburg bleiben!«

»Wie falsch ist Euer Wort, Ihr fliegender Kaiser, bald da, bald dort!« girrte sie und deutete auf den Wildemannsteppich, der vom Rathaus niederhing, und sie las den Spruch: ›Ich führ einen wilden Mann, wollt Gott, er wär zahm!‹

»Sag mir deinen Namen!« drängte er. »Dass ich dich wieder-finde! Dass ich deiner denken kann!«

»Ich bin Rachild, die Ehefrau des Sattelpogners.«

Er gab sogleich ihre Hände frei. »Des Rechtsbrechers!« sagte er verdrossen.

»Des Rechtsbrechers!« erwiderte sie stolz.

»Den Nachbar befehdet er, das Land wüstet er aus, den Bauern jagt er die letzte Butter vom Brot! Wir werden euer Schloss im Rauch gen Himmel schmeißen!«

»Versucht es!« Sie lächelte wie die Verführung selber.

Der bucklige Zwerg trug einen römischen Kriegsschild auf dem Kopf herbei, drin lag zwischen Feldblumen herrliches Obst verstreut.

Frau Rachild nahm einen der wie blendend bemalten, geflammten Äpfel, biss hinein und bot ihn dem Kaiser. Er schlang ihn fast hinunter.

»Ihr brennender Mann, wie habt Ihr nach der Krone des Papstes begehren können?!« staunte sie. »Wisst Ihr nit, dass seine Kirche das Weib hasst als des Teufels gleißendes Werk?«

»Was schert mich jetzt der Papst? Mir gebieten deine heißen Augen!«

»Ihr gefallt mir, Herr! Wie Ihr das Bein über die Donau gereckt habt! Schwindelt Euch nie?«

»Nein! Ich hab mein Lebtag viel Gemswurz gekaut.«

»Ich möcht Euch sehen als Jäger, verstiegen in der Wand!«

»Da trag ich ein grobes, graugrünes Wams und einen blutroten Brustfleck dazu und eine stählerne Stirnhaube, dass mich die Steine nit verletzen, die herunterfallen. Ich trag ein Horn zu blasen und einen langen Schaft, das Gemstier zu stechen.«

»Habt Ihr mich im Festzug des Jahres heut bemerkt?« unterbrach sie ihn. »Ich bin gespalten gewesen in Heilige und Venusfrau. Als Magdalena bin ich gegangen.«

Droben am Saalfenster ergoss sich Doktor Stabius in haarfeinen Reden und erwog mit den Räten der Stadt manche schwebende Rechtsfrage. Als sein Blick flüchtig zu den Tänzern hinabirrte, hielt er plötzlich inne. »Sieh da, das venenum amoris, der süße Giftpfeil der Liebe hat meinen gnädigen Herrn wieder einmal versehrt!«

»Es wird ihn wenig gefährden!« meinte der alte Lyskirchner. »Einem dreifachen Witwer wie ihm ist das Weib nit seltsam!«

»Ich fürchte, er bindet sich für ein paar Wochen, und wir sollen doch bald in Augsburg sein. Kunz von der Rosen muss helfen!«

Und Kunz sprach drunten den Kaiser an: »Freund, wenn Ihr einst in den Himmel einreitet, wird Sankt Peter flugs die elftausend Maidlein verstecken müssen.«

Empört fuhr Rachild ihn an: »Wer bist du, dass du solch dreister und schaler Possen dich vermissest?«

»Ich bin des Kaisers Stundenglaswender«, sagte er, tupfte ihr hurtig auf die Nasenspitze und verschwand im Gewühl. »Züchtigt ihn, Herr!« rief sie entrüstet.

»Lass ihn mit seinem derben, gesunden Wort! Der Lispler, Schmeichler und Fuchswedler, der Tellerlecker und Bratspießschlecker hab ich übergenug genossen. ›Mir auch ein Günstlein, mir auch ein Gewinstlein, Herr!‹ winseln sie. Kunz Rösel hat mir unverdrossen gedient, hat nichts dafür begehrt. Die Schwäne im Burggraben vor Flämisch-Bruck hätten ihn bald mit den Schnäbeln zu Tod gehackt, als er mich aus dem Gefängnis dort hat befreien wollen. Lass seine Narrenschellen glöckeln!«

Sie schmollte: »Des Fuggers Gut habt Ihr für mich vergeuden wollen, und jetzt versagt Ihr schon bei meinem ersten Wunsch!«

»Und dein zweiter, Abgöttin?«

»Setzt mich morgen als Preis aus dem Sieger im Turnier!« »Warum, Sattelpognerin?«

»Weil Ihr siegen werdet.«

»Verführst du den Kaiser?« raunte er.

Da berührte eine harte, eisige Hand die seine. Eine Gestalt in düsterem Mönchskleid stand vor ihm, vor dem Gesicht eine fletschende Totenmaske. Sie deutete mit dem Finger stumm gegen die Brust des Kaisers, stieß dann hart daran und zog sich schnell in Gewühl und Schatten zurück.

»Was will er von mir?« fragte Max erschüttert.

»Fast glaub ich, es ist der Dommeister gewesen«, sagte Rachild.

Die Stirn des Kaisers wurde grau im Fackellicht. Von Aberglauben gepackt, ernüchtert wandte er sich von der schönen Frau ab.

 

Wenige Tage noch jagte Max in den wilden Donaustauffer Wäldern, er hetzte mit seinem blaufüßigen Würgfalken den Reiher am Strom, er ließ das Rüdenhorn zur Sauhatz blasen und beschlich das Reh mit Stahlbogen, Köcher und Strählen. Und eines Tages war der helle Lärm verrauscht und blieb nichts zurück als Schulden, und die Erinnerung an ein traumhaft prunkendes Abenteuer verwehte, wie der ferne Nachhall des Hiefhorns im tiefen Wald verklingt.

 

Einer der Widersacher des Dombaues war der Kammerer Lyskirchner, ein erfahrener, ehrenwerter Graukopf, hochgeachtet und zugleich heftig angefeindet wegen seiner rücksichtslosen Gerechtigkeit.

Wolfgang Roritzer drängte ihn oft, er möge sich verwenden, dass die Mittel freigemacht würden, den Turmbau fortzuführen. Doch der Alte wies den ungestümen Dränger immer wieder ab, der Bau überschreite das Vermögen der Stadt.

Einmal sagte Lyskirchner grob: »Es geht nit. Was Ihr begehrt, brächte Regensburg an den Bettelstecken.«

Da rief der Dommeister mit drohend verschatteten Augen: »Lyskirchner, Ihr seid mein Feind!«

Der Kammerer aber sagte: »Nein. Erkennt meinen guten Willen! Aber die Stadt ist arm, viel ärmer, als man gemeiniglich glaubt.«

»So soll das Getürm unfertig bleiben? Soll Regensburg das nit leisten, was Freiburg, Ulm und Straßburg vollbracht haben? Schändet das nit unsere stolze Stadt? Ich glaub, Lyskirchner, Ihr allein, der Ihr den Stadtsäckel verwaltet, Ihr verhindert aus reiner Bosheit den Bau!«

Nun wurde auch Lyskirchner heftig. »Wenn ein Bau zwei und ein halbes Jahrhundert dauert, wird man seiner satt.« »Das ist kein Alter für einen Dom!«

»An solchen Türmen ist alleweil zu flicken, ist zu viel Zierat dran. Unnötiger Zierat. Und ich rüge es an Euch auch, dass Ihr in den letzten Jahren statt mit dem festen Kalkstein liederlich mit dem vergänglichen Grünsandstein gebaut habt. Übrigens: stellt ein Notdach auf den Turm! Das genügt!« sagte der Alte hart und ließ den Dommeister stehen.

Das vergaß ihm der stolze Roritzer nie. »Lyskirchner, Ihr habt mich beleidigt. Ich räche es. Und entgeht Ihr mir im Leben, mit der Fackel in der Faust such ich Euch in den letzten Schründen der Hölle. Ich hasse Euch mit allem Hass, der in der Menschenseele Raum hat. Und glaubt mir, er hat viel Raum!«

Unruhige Zeiten brachen aus, die Handwerker wollten teilnehmen an dem Stadtregiment, sie rotteten sich mit den Inwohnern und mit allerlei lichtscheuem Volk zusammen, die Männer schwätzten in den Trinkstuben ärger als die Weiber auf den Waschbrücken, die Verleumdung hob den Natternkopf, und als den Unzufriedenen gewährt wurde, in die Stadtrechnung einzusehen, bezichtigten sie den alten Lyskirchner einer untreuen Hand.

Der Dommeister, der sonst immer in hochmütiger Vereinsamung gelebt hatte, warf sich zum Führer der Aufrührer auf.

Er schrie dem Lyskirchner, der nun schon lange nimmer die Geschäfte der Stadt führte, ins Gesicht: »Wie hat sich das Blättlein gewendet! Das Geld für den Dombau hast du mir verweigert! Die Stadt sei zu arm. Aber zum Stehlen ist genug Geld dagewesen! Du Dieb!«

Der vor Alter weichmütige, halb erblindete Mann hub zu weinen an und verschwor sich, er habe der Stadt in äußerster

Treue gedient und ihr nie in ungerechter Weise auch nur einen Groschen abwendig gemacht. Doch weil einige unklare Stellen in der Stadtrechnung von seinen Feinden herausgetüftelt worden waren, führten sie ihn in den Marterkeller, und dort wurde der weißhaarige Mann mit den eisernen Fragezeichen peinlich befragt, der rote Meister schraubte, reckte und sengte ihn eine volle, wilde Woche hindurch, bis er bekannte, was unwahr war, dass er Gelder unterschlagen habe.

Am Tag der Kirchweih zu Sankt Peter läutete ihm das Blutglöckel zum Hochgericht. Der Pöbel begleitete ihn und schalt ihn einen treulosen Mann. »Es ist kein Amtlein so gering, man kann den Galgen damit verdienen«, sagte der Oswalt Geltinger in bösem Spott.

»Man glaubt nit, was ein Mensch dem andern antun kann!« stöhnte der Lyskirchner. Und im Angesicht des Todes widerrief er das erpresste Geständnis. »O Welt, die Lüge ist dein Gewand!« rief er aus.

Er wurde wie ein Dieb gehenkt.

 

Wolfgang Roritzer führte den aufrührerischen Haufen vom

Fischmarkt her vors Rathaus.

Die burgfesten Häuser des Stadtadels waren gesperrt, die Mönche riegelten hastig ihre ummauerten Klosterhöfe ab, die Tore des Bischofshofes schlossen sich, und die Judenschaft hatte mit ihrer feinen Witterung schon längst ihre Schätze in den Kellern versteckt und, den Einbruch der aufgehetzten Massen fürchtend, ihren Stadtteil verrammelt.

Im Fackelbrand schwärmte der Anhang Roritzers, die Bruderschaft der Steinmetze und die unzufriedenen Handwerker, auf dem Ratsplatz, Hämmer auf den Schultern, mit Stangen und Schwertern wie zu Totschlag gerüstet. Lärmend schürten sie ein Feuer auf, das rauchte wild und loderte die Mauern an, und die Spitzen der Hellebarden glommen. Volk mengte sich darunter, das sonst im Dunkel lebte und das man wenig kannte: es war lüstern nach Verwirrung, darin es seine Gier nach der

Habe der anderen zu stillen hoffte, denen es besser ging als ihnen. Und Weiber zeterten und drohten, wie ja gewöhnlich bei Aufläufen die Frauen sich besessener gebärden ais die Männer.

Des Kaisers vertrauter Rat und Stadthauptmann Thomas Fux von Schneeberg stand, schwarzsamten angetan und des Reiches goldenen Adlerschmuck vor der Brust, am Fenster des oberen Geschosses des Rathauses, hinter ihm der kaiserlich gesinnte Stadtrat.

Drunten schüttelten sie die Waffen, schrien sie: »Dankt beizeiten ab, ihr großen Herren! Ihr bringt Regensburg um!«

Des Hauptmanns scharfe Stimme schnitt durch das flackernde Dämmer. »Wolf Roritzer! Warum führt Ihr das Volk her? Fasst Euch kurz!«

»Ja, wir wollen die Zeit nit mit höflichen Anreden verschwenden!« schrie der Dommeister zurück. »Thomas Fux, hundertmal ist Euch unser gerechtes Anliegen schon vorgebracht worden. Ihr habt nit gehört. Drum nochmals: die alten Freiheitsbriefe und Rechtsbücher müssen fortan offen ausgestellt werden, dass jeder darein schauen kann! Über das Vermögen der Stadt soll genaue Rechnung abgelegt werden, über die kargen Einnahmen, über die vergeudeten Gelder! Wir wollen mittun und den gemeinen Säckel besser verwalten! Und nit nur die Geschlechter allein sollen im Rat Recht und Stimme haben, sondern auch die gemeine Bürgerschaft, der ihr immer das Maul schaffet!«

»Ja«, höhnte Thomas Fux, »der flüchtige, tolle Pofel soll herrschen, der einen alten, blinden, der höchsten Ehren werten Mann hat hängen lassen!«

»Es tut uns leid, dass die Unschuld Lyskirchners zu spät offenbar geworden ist«, sagte der Dommeister. »Künftighin soll nimmer so hitzig gehandelt werden! Doch was wir wollen, ist dennoch recht und billig. Zunächst müssen die lateinischen Briefe von redlichen Männern in einfältiges Deutsch übertragen werden: jedermann soll sie lesen und verstehen können! Ihr Herren habt sie falsch ausgelegt. Die Leut wollen wissen, wie sie dran sind. Ihr sagt, die Stadt sei trostlos verarmt, sei ein Bettelweib. Wir glauben das nit. Wir wollen uns des mit unsern eigenen, unbestechlichen Augen vergewissern!«

»Sprecht Ihr da nit für Euch selber, Roritzer? Für Euern Dom? Hütet Euern Hals!«

Unbeirrt redete Roritzer: »Habt Ihr aber recht und ist der Stadtbeutel leer, wer ist an solcher Misswirtschaft schuld?«

Da brüllte die Menge auf: »Der Rat! Und der Fux! Der Fux! Tausend Gulden muss die Stadt dem Fux geben! Die arme Stadt! Wir! Wir!«

»Und wenn Regensburg ins Elend gefahren ist, wer hat es geduldet? Wer hat es nit verhindert? Warum hat man den Nürnbergern nft kräftig gewehrt, die unsern Handel abgebrochen, andere Straßen gebaut und Fracht und Kaufmannszug an sich gerissen haben? Warum schaut man faul zu, wie die Wiener unsere Zillen festhalten, und wie der Kaiser gegen alles Recht uns den Fux da als Hauptmann aufzwingt?!«

»Der Fux! Der Fux!« tobte das Volk. »Tausend Gulden kostet der uns im Jahr!«

»Haltet das Maul!« empörte sich der Hauptmann. »Ich bin da, euern Übermut zu dämpfen. Und Ihr, Roritzer, Ihr Feuerbrand, wollt Ihr den Kaiser schmähen?«

»Das will ich nit. Aber der Kaiser weiß nit, wie es uns geht. Würde ihm die Wahrheit gesagt, er tät uns gern entlasten und Euch, Fux, zum Teufel jagen!«

Johlender Beifall lohnte das derbe Wort. Die Flamme prasselte hoch wie eine aufrührische Seele.

»Und ihr andern Herren da droben, ihr steckt mit dem Fux unter derselben Tuchent, treibt mit ihm eitel Schein und Lug, druckt mit ihm die Freiheit nieder, wollt dabei gewinnen und euch bei Reichtum und Macht halten auf Unkosten des Volkes. Ihr lasset die Klöster und die Geistlichkeit, die sich doch nur um die Lehre Gottes kümmern sollen und reich genug sind, ihr lasst sie allerlei Gewerb treiben und Wein schenken und schädigt damit bitter die zünftigen Leut. Das Umgeld habt ihr erhöht, habt nit die Gemeinde darum gefragt, wie es doch Recht und Brauch sein soll in unserer Stadt. Die Juden aber lasst ihr wuchern. Oh, das Volk weiß alles und merkt es sich gut!«

»Roritzer«, brauste der Hauptmann, »Ihr solltet als Dommeister ein Mann des Maßes sein. Ihr könnt als Mensch nit Maß halten. Das wird Euch verderben!«

»Ich fürcht Euere Drohung nit, hab nur das Gute und Rechte vor!«

»Ihr habt vor, dem Kaiser untreu zu werden und das reichsfreie Regensburg dem Bayer zu verkaufen!«

Roritzer widersprach nicht. Er rief nur: »Wir wollen nit, dass der Kaiser als Habsburger in unsere Reichsfreiheit greife. Dann lieber der Bayer!«

»Also gesteht Ihr Euern argen Willen zu?«

»Droht nur, Herr Thomas Fux! Ihr steht da droben gegen das verbriefte Recht. Geht! Geht schnell aus Regensburg!«

Feuerige Stimmen zuckten empor, wirr schrie es durcheinander.

»Das Volk hat einen Magen wie eine Zehentscheuer und nichts zu fressen. Hundsmager sind wir vor lauter Armut! Gott geb euch Herren die Blattern!«

»Und die Pfaffen und Mönche! Die geschorene Rotte! Samt den Kutten sollt man sie braten!«

Neben Roritzer stand Meister Hans Loy, der den englischen Gruß geschnitzt hatte für die Rosenkrone der Jakobskirche zu Straubing. Der ballte die feste Schnitzerfaust gegen die Herren droben und rief: »He, bald zieht euch der Teufel durch sein feurig Nadelöhr!«

Und eine gellende Stimme stach über all den Wirbel hinaus: »Fux, denk an den Lyskirchner! Der hat auch die Stadtrechnung nit vorweisen wollen!«

»Wolf Roritzer!« schrie der Hauptmann nieder. »Ihr seid verantwortlich. Ihr habt die Leut schwierig gemacht! Haltet das Gesindel im Zaum! Sorgt, dass es wieder zurückkriecht in seine Höhlen! Und zeigt Euch nimmer da, wenn Ihr nit einen Kopf zuviel habt!«

Das Volk heulte auf über den Schimpf. Mit den Stangen schlugen sie gegen das Tor. »Haut sie nieder! Stecht sie tot!« Ein Pfeil stak plötzlich droben im Gemäuer hart neben dem Fenster.

Die Herren droben zogen sich hastig zurück.

»Nit mit Gewalt, ihr lieben Leut!« beschwichtigte Roritzer die Menge. »Blut darf nit rinnen! Unser Recht muss sich von selber aus seiner Reinheit. heraus durchsetzen! Und dem Fux wird der Hochmut gründlich gelegt werden! Geht heim! Ich will mit dem Kaiser selber reden. Ich will nach Augsburg reiten.«

Die Zünfte zogen gehorsam ab. Aber das dunkle Volk lungerte noch lange murrend an dem niedersinkenden Feuer, enttäuscht in seiner Gier, sich an den Herren zu rächen, die es verachteten.

 

In selber Nacht noch suchte Altdorfer den Dommeister auf. Er fand ihn in der Bauhütte in zornigem Gespräch mit Dionys, seinem Sohn.

Dionys hatte in der vergangenen Nacht mit andern bübischen Männern vor den Mauern der Nonnen zotige Gassenhauer gesungen, und die Nachtwächter hatten sich seiner kaum erwehren können. Des Morgens hatte Altdorfer ihn gefangen sitzen sehen im Narrenkäfig vor dem Rathaus, grün im Gesicht wie eine Pfaffenbirne, bis an die Stirn beschmutzt, die Kleider besudelt, ein Weib hatte über ihn den Unflattopf zum Fenster ausgeleert.

Vater und Sohn stritten vor dem Maler weiter.

»Mit den Zwangsriemen sollt man dich binden!« sagte der Dommeister. »Wie leid tut es mir, dass Roritzerblut mit dem Gesindel umzieht!«

»Ihr haltet es doch selber mit dem Pofelvolk, Vater! Dem betrügerischen Metzger habt Ihr gern geglaubt, der den Lyskirchner angezeigt hat! Dem verrufenen Metzger! Von Wölfen angefressenes Fleisch und finnige Säue hat er ausgeschlachtet und feilgeboten!«

»Ja, ich hab ihm geglaubt!« sagte der Vater, und unter seiner

Braue drohte das alte Löwenauge. »Es ist oft so: wo das Recht nit hilft, muss das Unrecht dran. Ich hab dem Lyskirchner geschadet, weil er sich an dem Domwerk vergangen hat. Und wir sind nit im Paradeis, wo kein Geschöpf das andere beleidigt. Die Welt ist hart. Und du kümmere dich mehr um deine Arbeit! Und halt dich bescheidener!«

»Was geht mich Euer Dom an?« murrte Dionys. »In Eurer Seele sind lauter Strebepfeiler, Wimperge, Dachreiter und Chimären, nur die Einsicht ist nit drin, dass niemand mehr den veralteten Kram schauen will.«

»Weh, dass von allen meinen Kindern du allein, der Unwürdigste, mir geblieben ist! Wie siehst du meinem Bruder Matthäus ähnlich, der die Geheimnisse der Bauhütte, die wir von den Prager Junkern übernommen, verraten hat!«

»Ich bin anders, ich bin lebendiger. Mein Oheim hat dürre Formeln geschrieben.«

»Er hat lieber Bücher gedruckt als gebaut. Und an den Türmen hat er schludrig gearbeitet, nit gewissenhaft, nit adelig wie mein Vater. Es ist gut, dass Matthäus früh gestorben ist. Er hat dem Vater Konrad viel Sorge gebracht. Doch nit solches Leid wie du mir! Matthäus hat bei allem an unsere Kunst geglaubt.«

»Salbadert Ihr schon wieder wie ein Siechentröster?« spottete der Sohn. »Ich mag Eure Kunst nit. Ihr Stündlein hat geschlagen. Sie wird durch anderes abgelöst. Form und Formel sind veränderlich. Lassen wir den Dom, den Steinhaufen, wie er liegt und steht, und rennen wir davon!«

Der Vater dampfte vor Wut, er hob die Hand, als wolle er den Sohn ins Gesicht schlagen. »Du störriges Hirn! Red nur so weiter! Und mach mir Schand! Verschlemm und verbuhl deine Zeit! Aber komm mir nimmer in die Hütte!«

»Euer Herz ist verknöchert, Euer Aug trüb gegen das neue Werden. Ihr könnt nimmer mit!« sagte Dionys, er zuckte gleichgültig mit der Achsel und ging, ein grobes Landsknechtslied pfeifend, in die Nacht hinaus.

»Du hast mein Leid vernommen, Albrecht«, sagte der Dommeister, und das einzige Mal in seinem Leben enthüllte er vor dem Freund sein tieferes menschliches Gesicht. »Ach, ein biß-lein Herzensruh braucht man doch auch bei seinem Werk!«

»Mit mir bricht die Kette der Roritzer ab«, fuhr er bitter fort. »Mein Sohn schlägt aus der Art. Ihm fehlt das fromme Feuer. Er ist ein Spötter. Und er ist krank: die Liebe ist ihm zum Gift geworden. Wem übergeb ich das Domwerk, wenn ich sterbe? Ach, ist mein Leben nit sinnlos gewesen?«

Jetzt hakte Altdorfer ein. »Ihr lebt noch lange, Meister, wenn Ihr Euch weniger gefährdet. Ich weiß, man will die Stadt mit kaiserlichem Volk füllen und Euch dann fangen. Ich bitt Euch, mengt Euch nimmer in die äußeren Händel! Denkt an den Dom!«

»Just um des Domes willen muss ich das Stadtregiment stürzen! Soll ich mich müßig meinem Schicksal ergeben? Der Rat Regensburgs lässt mich im Stich, die Krane stehen verwaist, meine Steinmetzen laufen in andere Länder, unsere Bauhütte geht zugrund, und der Dom der Väter bleibt Stückwerk.«

»Er wird vollendet«, sagte Altdorfer gläubig.

»Ich zweifle daran. Hätt ich die Kraft des heiligen Wolfgang, dem der Satan beim Kirchbau hat fronen müssen! Die ganze Hölle könnt ich aufbieten! Was liegt mir noch an dem Heil meiner Seele?!« glühte Roritzer. »Das unfertige Getürm schreit zum Himmel. Wär unser Volk noch ehrfürchtig wie einst, es müsst sich aufraffen und mir helfen, müsst mir die Steine brechen aus dem Berg, ohne Lohn, wie auch ich schon manches Jahr ungelohnt diene und mein Vermögen zusetze. Und es müssten die hochbürtigen Ritter und Edelfrauen wie williges Zugtier das Holz zum Gerüst schleifen, und Abt, Bischof, Herzog und Kaiser sollten die stolzen Nacken beugen unter der Last der Bausteine, sollten die Winden drehen, dass das Kalk-schaff hochgezogen werde. Der Dom wär es würdig.«

»Wenn tausend Arbeiter zu gleicher Weil schafften wie bei den Pharaonen, müsst der Bau bald fertig sein«, nickte Altdorfer. »Mit Zwang könnt ich es leicht vollenden.«

»Vielleicht lässt sich alles noch in Ruhe schlichten. Seid nit so jäh, Wolf Roritzer! Fordert nit den Blitz gegen Euch heraus!« »Rührt dich mein trübes Schicksal?« sagte Roritzer.

Und er öffnete jäh einen riesigen Plan, auf Pergamentstücken gezeichnet, die mit ledernen Bändern aneinander befestigt waren, darauf war der Aufriss der Portalseite des Domes getuscht, doch überkrönt nur von einem einzigen Turm, der, in den Himmel zielend wie ein Pfeil, nach obenhin immer durchsichtiger wurde und sich schließlich fast auflöste.

Roritzer kniete daneben hin. »Und das da soll totes Pergament bleiben? Nein, ich will erzwingen, dass der Bayer Regensburg gewinnt! Ich will es mit ihm wagen. Er ist reicher als der streunende Kaiser, der im Reich herumspringt wie der Teufel im Buch Hiob. Der bayrische Herzog wird mich mit Mitteln versehen, dass ich weiterbauen kann. Doch zuerst muss ich mich der Stadt selber bemächtigen.«

Altdorfer trat erschrocken vor ihm zurück. »Ihr seid irrsinnig worden. Ihr rennt dem Tod in den Spieß!«

Roritzer deutete auf das Pergament. »Schau her! So soll der Turm einmal ins Unendliche schießen. Welche Lieblichkeit des Zierats! Welche erfinderische, welche gestaltende Kraft darin! Ein Wunder! Ein siegreicher Wurf! Der Einturm ist in seiner Einsamkeit vornehmer, ohne Genossen ragt er, einmalig, kühn! Sieh, wie ihn ein eiskalter Verstand errechnet, ein glühender Glaube erträumt hat!«

»Welch edelste Verjüngung! Welch herrliche Höhe!« staunte Altdorfer. »Würde der Dom solchergestalt hochgeführt werden, er müsste an verwegener Pracht alles Gebäude der Erde übertreffen!«

»Mein Vater Konrad, der das Portal mit dem Baldachin geschaffen, der eigenwilligste, unruhigste Roritzer, der hat diesen Plan heimlich gezeichnet. Der zweitürmige Gedanke ist ihm zu nüchtern gewesen.«

»Wie aber wollt Ihr den Entwurf verwirklichen, Meister Wolfgang? Das ist unmöglich. Dazu müsstet Ihr von den schon fertigen Turmstümpfen je zwei Stockwerke wieder abreißen, die Arbeit von gewiss fünfzig Jahren zunichtemachen, um den Einturm in der Mitte dem Plan gemäß aufzurichten.«

»Was ist unmöglich?« rief der Besessene. »Den Einturm will ich als höchstes Wahrzeichen der altdeutschen Kunst mitten in Regensburg hinpflanzen, wenn es schon in Gottes rätselhaftem Rat beschlossen ist, dass diese große Kunst absterbe. Und deswegen will ich mich der Stadt bemächtigen, und sei es mit Gewalt und Totschlag! Und deswegen ist der Lyskirchner schuldlos gehenkt worden!«

Altdorfer schauderte vor dem Dämon dieses wilden Künstlers zurück.

»Jeder Bau ist ein Abenteuer, und sein Ausgang ist ungewiss«, sagte er nach einer Weile des Besinnens. »Aber, wird der Turm da nit allzuhoch? Wird der Unterbau seine Last ertragen? Ist sein Maß nit übermenschlich? Wird er sich nit zum Sturz neigen?«

»Es ist alles genau berechnet, Last und Gegendruck. Doch, Albrecht, ich lall es aufs Äußerste ankommen. Ich wag alles!«

»Aber – das Geld? Wird es aufgebracht werden können?«

»Noch ist der fromme Glaube der alten Zeit nit ganz erloschen. Mein Werk soll ihn wieder hochfachen. Die ganze Christenheit will ich aufrufen, will Gold sammeln, wie man es jetzt durch den Ablass gewinnt, meine Prediger werden unter Androhung der Hölle werben, den Kaiser werde ich zwingen. Der Turm muss sich recken, und wenn seinetwegen Kriege geführt werden müssten!«

Ein Ausdruck fremder Besessenheit haftete an dem Mund des Dommeisters, blass im Mondlicht leuchtete die Stirn, dahinter das mit gewaltigen Plänen überschwängerte Hirn arbeitete.

Dann brach aber Roritzer zusammen. »Mein Sohn versteht mich nit«, flüsterte er tieftraurig. »Er darf nit mein Nachfolger sein. Ich müsst fürchten, dass er den Plan verschändet mit welscher Unart. Und Heydenreich, mein Schüler, ist ein platter Nüchterling. Oh, hätt ich einen Mann, auf den ich vertrauen könnt wie auf eine steinerne Burg! Albrecht«, rief er jäh, »du liebst doch wie ich alles, was ragt, Bäume, Berge, Türme! Sag! du hast doch einmal Dome bauen wollen?«

Schwermütig entgegnete Altdorfer: »Bauen ist die edelste Kunst. Während die Farben der Gemälde verblassen und bröckeln, vergeht die Baukunst nit, soweit menschlich Werk unvergänglich sein kann. Bauen ist heut noch mein Traum. Ich möcht auf den Gipfeln Sternwarten bauen, dem Unendlichen benachbart, und Leuchttürme über den Wäldern, dass sie den Weg finden, die heim wollen. Ich träume, Säulen von Bergkristall und Achat wachsen um mich auf, Brunnen runden sich aus geflecktem Pantherstein, elfenbeinerne, siebenschiffige Kirchen trag ich in der Hand. Meine Rathäuser funkeln mit kupfernen vergoldeten Dachziegeln. Ganze Nächte bau ich mit Senkblei, Winkelhaken, Kelle, und des Morgens verlacht mich mein Weib. In neuer, nie geschauter Art bau ich eine heitere Stadt auf einer Donauinsel, mit den Sternen offenen Hallen, den guten Geistern zu eigen, mit Rundhallen für den Tanz des Volkes, mit weiten Fenstern, dadurch das Licht, in breiter Fülle einströmt und die Herzen freudig stimmt.«

»Ich hab mich in dir geirrt«, sagte Roritzer jäh verfinstert. »Bei dir tritt die alte, teuere Kunst zurück, du bist ein Mensch der Wiedererwachung.«

»Zwischen zwei Welten bin ich gestellt, das fühl ich«, redete Altdorfer leise. »Gott, mach mich nit zwiespältig in mir!«

Der Dommeister unterbrach ihn rau: »Geh! Auch dir mangelt die Ehrfurcht. Deine Kunst ist überfremdet. Du bist ein neuer Mensch.«

 

Kaiserliche Söldner besetzten die Tore Regensburgs.

Wolfgang Roritzer mied sein Haus, darin er sich nimmer sicher wusste, und hielt sich heimlich im Bischofshof oder in Dom und Bauhütte auf, die eine Freiung waren. Seine Anhänger waren geflüchtet oder still geworden. Der Hauptmann Thomas Fux von Schneeberg forderte den Bischof auf, den aufrührerischen Meister aus der Freistatt zu stoßen oder auszuliefern. Der Bischof weigerte sich.

Um den Dom war es nächtlich einsam. Halb behauenes Steinwerk lagerte verworren, als seien Baumeister, Parlierer und Gesellen von der schwarzen Pest hingerafft worden. Droben am Nordturm reckte sich ein Kran über den Abgrund wie der drohende Arm des Schicksals.

Der Dommeister saß einsam im Schein der Hornlaterne in der Bauhütte auf einem Block grünlichen Sandsteins, er hörte den Turmkauz klagen, er dachte nach, wie sein Anhang ihm die handgelobte Treue gebrochen und von ihm abgefallen war.

Was knirschte draußen im Steingesplitter? Hatte nicht verstohlen eine Waffe geklirrt?

Eine Fackelschar harrte vor der aufgerissenen Tür. Düster funkelte das Rüstzeug. Einer fragte: »Seid Ihr der Roritzer, der Steinmeißel?«

Der Meister trat ihm entgegen. »Ihr dürft mich nit nehmen! Die Stätte da freit mich.«

Doch sie banden ihn und führten ihn hinaus.

Sterngewölbte Frühsommernacht. Der Mond überfiel den Dom so jäh, dass er erblasste.

 

Der Weibel und Weise! des Aufruhrs, der Feuerspeier Roritzer sollte mit dem Tod gezüchtigt werden, nachdem er auf der Folter sich als Verräter am Reich bekannt hatte.

Altdorfer fand den von seinen schwärmerischen Wahngebilden hintergangenen Mann im unterirdischen Gewölb auf faulendem Stroh liegen, fand den einst glühenden, hoffärtigen Mann zerbrochen und abgezehrt im blutschmutzigen, vergrindeten Hemd.

»Ich hab dich beleidigt und von mir gestoßen, Albrecht, und du kommst zu mir?« flüsterte der Bleiche.

»Vertraut! Sie dürfen einen Meister wie Euch nit verderben. Der Doktor Stabius ist Euer Fürsprech; der Kaiser, der Freund der schönen Künste, wird Euch begnadigen.«

»Der Kaiser ist nit barmherzig«, sagte Roritzer. »Alle haben mich vergessen. Mein Sohn singt vielleicht jetzt ein lustig Weinliedlein. Ich klag meine Not der leeren Mauer. Nur der Welsche

Uberto hat mir eine Frucht geschickt, ich glaub, aus hämischer Freude. Ich hab sie weggeworfen, ob mich auch sehr dürstet.«

In einem Winkel schimmerte eine herrliche Goldorange aus dem Schmutz.

»Was hat man Euch getan!« rief Altdorfer schmerzlich.

»Mir ist das geschehen, was einst mir zur Lust der Lyskirchner hat leiden müssen. Die Schindknechte haben mir den Leib zerdehnt. Ich hab meine Tat nit verleugnet. Fünfzig Regensburger haben das Leben lassen in dem Aufruhr, den ich angezettelt hab. Das wird mir nit geschenkt.« Und der Dommeister hob die zermarterten Arme gegen den Himmel. »Vater unser, schau her! Bin ich noch ein Mensch? Der du bist im Himmel, sieh dein Ebenbild Wolfgang Roritzer! So haben deine Menschen meine Hände zugerichtet, die zwei Hände, die mein Lebtag nur zu deinem Preis geschaffen!«

»Vielleicht ist schon die Gnade unterwegs«, tröstete der Maler.

»Mir ist nit um mein Leben. Seinem Schicksal entrinnt keiner. Um mein unvollendet Steinwerk ist mir leid. Keiner, keiner wird sich des Domes annehmen, wenn ich – nimmer bin!« Und als Altdorfer dagegen Einspruch erheben wollte, rief er laut: »Auch du nit! Du bist daheim in den Fernen deiner Seele, du bist zu anderem Werk gesendet. Ich bin der Letzte, der die alten Lehren der Bauhütte ehrt!«

»Gott wird immer bei Euerm Dom sein!« sagte Altdorfer.

Roritzer schüttelte den Kopf. »Bäume wachsen von selber, Türme nit. Und lebt Gott noch? Haben nit grauenhafte Engel seinen Thron zertrümmert und ihn erdrosselt? Oh, alles geht zugrund!«

»Untergang ist Aufgang, Meister Roritzer. Wandel ist Leben. Lasst die alte Welt absterben! Sterben ist Raum geben. So ist Tod und Geburt eins.«

Der Todgeweihte sah Altdorfer lange sinnend an. »Du bist anders als ich, Albrecht. Kunst ist ein göttlich Lehen. Verwalte es edel und nach dem Ruf deines Gewissens! O mein Dom! Wer den ersten Riss dazu entworfen, niemand weiß es. Niemand weiß den Namen des ersten Dommeisters. Aber die ihm in seinem Amt gefolgt sind, sind ihm treu geblieben. Meister Ludewig, Meister Friedrich, Meister Albrecht, Heinrich der Zehentner, Liebhart der Minner, Heinrich der Dürrstettner, Meister Andre, Wenzel Roritzer, mein leiblicher Ahn, Konrad, mein Vater, Matthäus, mein Bruder, und der, der da im Elend liegt, ich – der Letzte! Denn nach mir kommt keiner mehr. Wir haben in Stein geträumt, die Mauern hoch geführt, den Raum überwölbt, hundert Jahre sind die Roritzer am Werk gewesen. Und der, dem nach mir zum Schein der Bau überantwortet wird, der wird zwei klägliche, hässliche Nothelme über die Türme setzen, und das ist das Ende. Ein Stumpf! Gute Nacht, mein Dom!«

»Und wenn der Dom auch Stückwerk bleiben sollt, er bleibt dennoch ein ewig Denkmal deutscher Beharrlichkeit«, sagte Altdorfer ernst, »das in der Eintracht der Meister, die sich dienend untergeordnet einem Gesetz, durch die Jahrhunderte heraufgeführt worden ist mit unverzagtem Willen und gläubigem Herzen. Und wenn die Welt heute den Dom missachtet und seiner vergisst – oh, was bedeuten Jahrhunderte gegen die Ewigkeit des Schönen?! –, immer wieder wird das unfertige Gebild einen großen Menschen reizen und bedrängen, dass er es zu Ende bringe.«

»Du junger Träumer, du kennst die Menschen nit, du kennst nur dich! Die Welt ist anders worden: Gemeinsinn ist zerstoben, Treue gestorben, alles streitet wider einander. Betracht unsere Zeit! Alle ordnende Macht, wo ist sie? Der Kaiser ein verschwärmter Abenteurer! Der Mönch, der Gottes Gnade verkauft! Gott ist davon.«

»Nein!« eiferte Altdorfer. »Ich glaub an Gott, der älter ist als die Ewigkeit und jünger ist als der Augenblick da, der uns vereint. Er ist der höchste Held, dem leeren Abgrund hat er die Welt abgetrotzt, er hat den holden Schall aus dem stummen Nichts geholt und das Licht und die Farben aus der Nacht herausgewühlt!«

»Aber dann ist ihm die Schöpfung aus den Händen geglitten, und nun steht er außerhalb der Welt und muss müßig zuschauen«, murmelte der Dommeister kummervoll.

»Gott und die Welt sind eins, und mag sich auch tausendmal der Teufel dazwischen drängen. Weltseele und Weltleib soll kein Gedanke auseinanderreißen! Meister Wolfgang, an uns allen webt Gottes wissender Wille. Gott leidet in Euch, so wahr er in seiner Sonne auf uns niederleuchtet!«

Roritzer verstand dieses Wort nicht. Er flüsterte: »Deutschland liebt jetzt welsch Gebild mehr als das harte Werk seiner Söhne. Ich sterb zur rechten Zeit mit meinem Werk.«

»Sie dürfen Euch nit töten! Wo ist ein Mensch, der niemals geirrt hat? Das Volk liebt Euch!«

»Die Bierzäpfler! Die Heringer! Die Pfaidler! Wer kann dem Pofel recht tuò?« wehrte Roritzer mit entsagender Gebärde ab.

»Unsere Zeit ist wie eine böse, verworrene Landschaft«, fuhr der Maler fort. »Wir wollen streiten, dass ein neues, gutes Licht darein leuchte! Unser Kampf soll ordnen! Wir stellen uns vor Gottes Blick. Ihr werdet Euern Turm vollenden, und mit seiner Höhe werdet Ihr die Menschen hinaufheben!«

»Ich werde vergessen sein. Keine Grabplatte wird meinen Namen melden«, weissagte düster der Meister. »Mein Werk wird verachtet zerfallen in einer entfremdeten Welt.«

»Ihr werdet immer sein, Roritzer. Nichts kann dem Leben entrinnen!«

Aber der Dommeister verzagte. Er raunte kläglich: »Mich friert nachts. Man schickt mir nit meinen Pelz, dass ich mich vor der Kälte decke. Der Frost lässt mich nit schlafen. Oh, wir armen Menschen! Wir tragen ewigen Fluch.«

»Und ewige Verheißung, Roritzer«, sagte Altdorfer erschüttert. »Ich will den Rat bitten, dass man Euch milder behandle.«

 

Auf bekränztem Schiff fuhr an den Maienufern, fuhr an Regensburg vorüber Maria, die Enkelin des Kaisers, die Braut des ungarischen Königs. Schalmeien und Pauken und heiterer Sang der Gespielinnen tönten.

An der Weinlände löste ein Mann eilends ein Boot und ruderte mit wilder Kraft auf das klingende Brautschiff zu.

Die Königstochter stand buntgekränzelt am blumigen Bord, zart und mädchenhaft, ein lächelndes Kind noch, und sah fragend auf den Ruderer nieder. Sie war noch etwas erhitzt vom Blindekuhspiel.

»Prinzessin!« schrie der Mann. »Gnade für Wolf Roritzer! Er ist ein großer Künstler. Er darf nit sterben. Er darf die Schmach des Henkertodes nit erleiden! Mit ihm stürbe eine Welt!«

Die Braut griff sich erschrocken an die Brust. »Wer ist der da drunten? Wer ist der Wolf Roritzer?«

Ein vornehm gekleideter; dunkler Herr trat schnell zu ihr hin und redete auf sie ein. Thomas Fux.

Noch einmal schrie Altdorfer um Gnade.

Das Schiff fuhr vorüber.

 

Als die Schergen den Dommeister holten, zog er ein Messer, das er versteckt bei sich getragen hatte, und drohte, jeden zu erstechen, der ihn angreife. Sie erwiderten ihm, sie wollten ihm etliche Henkersknechte in den Keller herunterschicken. Da ergab er sich.

Man ließ ihn im Dom schnell beichten und das Sakrament nehmen.

Er sah empor zu den aufdrängenden, ewig sehnsüchtigen Bogen, zu dem Werk der kühnen Wölber, das sich noch nicht geschlossen hatte. Er sah die Quadern, einer jeden hatte der Schweiß und die Sorgfalt des Steinmetzes gegolten. Er sah den erhabenen Raum, dunkeldurchglüht die farbigen Fenster an der Stirn des Chores, hier in seligem Dämmerschein, dort in wildester Leuchtkraft flammend. Ein Vierteljahrtausend hatte den Dom nicht vollenden können, dessen Grundfeste in frohlockendem Beginn gelegt worden, an dem hundert Jahre in entzücktem Glauben und wieder hundert Jahre in selbstvergessener Hingabe an die Überlieferung und an den Gedanken des Urmeisters beharrlich geschafft hatten. Nun standen die grauen

Gerüste leer. Nun war der Bau gefährdet mit seinem letzten Meister. Und war doch alles, was da geplant und getan worden, jeder Meißelschlag, zu Gottes Ehren gewesen!

Die Stimme des Priesters hallte durch den einsamen Raum: »Gott, der du voller Erbarmnis teilnimmst an dem Weg deiner Geschöpfe –!«

Roritzer drückte die Augen zu, als grinse ihn die fleischlose Fratze des Todes an. Grübelnd über sein Schicksal, fand er keinen Sinn darin. O Wahn der Zeit, o Ewigkeit!

Müde schlich er zu dem halbvollendeten Sakramentshäuslein, seinem letzten Gebilde, dort lag noch von gestern her sein Werkzeug. Und er meißelte mit matten Händen sein Steinmetzzeichen, das Kreuz mit dem schrägwinkelig gebrochenen Fuß, in den kelchartigen Stein. Dann lehnte er flüchtig die brennende, schwindlige Stirn an dessen Kühle.

Von Bewaffneten, die in gleißenden Harnischen gewacht hatten, wurde in finsterem Gepränge der vornehme Mann in langem, düsterem Leidmantel zum Haupttor hinausgeführt. Hinter ihm der Bildschnitzer Loy, den heute das gleiche Los treffen sollte.

Sanft berührte Roritzer die wunderbare Torsäule und stieg die Stufen hinab.

Noch einmal wandte er sich und schaute den Dom vom Sockel bis zum Eicheltürmlein, die baldachinstolze, unirdisch schwärmerische Vorhalle, das Getürm, daran seine Sippe mit männlicher Inbrunst geschaffen, und er erkannte daran nochmals den berechnenden Geist und das dunkle Feuer der Seelen, die hier am Werk gewesen, die Kunst des einen von herb verhaltener Art, des anderen Anteil anmutig bewegt, reicher entfaltet in eigenwilligem Schmuck, das steinerne Laubwerk, das Radfenster, dessen Gedanke das kreisende Licht war, die schmalen, aufflammenden Gestalten, doch das Ganze eine ergreifende Einheit und trotz der Vielfalt der Erbauer ohne jeden Sprung.

Und in einem verklärten Gesicht sah er jäh den Dom gekrönt mit durchbrochenen, lichtatmenden Steinhelmen und vollbracht, was die verwegenen Baumeister geträumt hatten.

Emporschreckend stöhnte Roritzer auf, als sei er an die

Eiserne Jungfrau gefesselt. Er sah die fahle Stirn seines Sohnes Dionys.

Im Westen der Stadt stieg schweres, schwarzgeballtes Gewölk auf. Grellgelb leuchtete die Sonne.

Der Gassentross gaffte in gemeiner Schaulust und hub an zu grölen: »O du armer Judas, was hast du getan?«

Ein herbes Gottesbild ragte an dem Weg, den Roritzer ging, der Gekreuzigte im grimmen Vorwurf emporblickend, als wolle er den verzerrten Mund aufreißen und zu dem himmlischen Vater schreien: »Warum hast du mich für dieses Gesindel geopfert?«

Die bretterne Bühne vor dem Rathaus war mit schwarzen Tüchern ausgeschlagen. Der Richter brach den Stab. Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf!

Der Kaiser hatte auf den Anruf um Gnade geschwiegen. Der Tod war unabwendbar.

Der Henker, der Rotkopf, die Lippen wulstig, trat mit seinem furchtbaren Geschirr heran. »Verzeiht, Meister Roritzer! Und klagt mich dort drüben nit an, wohin Ihr jetzt kommt! Ich muss es tun.«

»Hau schnell zu, Hund, und ich segne dich!« raunte der Dommeister.

Doch noch einmal sah er den ungekrönten Dom wie in Blutdunst verschleiert vor sich, und er stammelte, die Stirn von Verzweiflung gezeichnet und seine vornehme Haltung verlierend: »Mein Werk ist nit fertig. Lasst mich leben!«

Das Volk drunten, es waren auch Juden dabei, die den Meister nicht mochten, die Schar, fürchtend, um das grausame Schaustück gebracht zu werden, schrie auf: »Hau ihn nieder, Henker! Schlag zu, schlag zu!«

Der Peinmann sprach: »Kniet nieder, Roritzer! Rüstet das Genick! Reckt den Hals her! Es hilft nichts.«

Da ließ er sich in die Knie und faltete die Hände. Der Blutmann schob ihm das Haar aus dem Nacken.

Aus der Menge scholl ein Ruf: »Schont ihn! Bedenket seine Kunst, ihr Richter! Bedenkt, was Ihr tötet! Der Dom stirbt mit ihm!«

Das Volk tobte: »Wer schreit da? Der Altdorfer ist es! Der Maler! Packt ihn! Haut auch dem Altdorfer den Schädel ab! Putzt den Roritzer weg! Der Schelm hat verdient, dass man ihm hundert Hälse abschlage! Nieder mit dem Bösewicht! Nieder mit dem Altdorfer!«

»Erst seid ihr alle mit mir gegangen«, grollte Roritzer in das Getümmel hinunter. »Ihr bellt immer mit dem Stärkeren.«

Er sah das erhobene Schwert des Blutrichters funkeln, zum Schlag bereit. Er stieß ein Gebet hervor: »Sankt Wolfgang, rette mich vor meinen Feinden! Halt ihn! Bind ihn!«

Da war der im Schwung ausholende Arm des Henkers plötzlich wie gelähmt. Aber er durchbrach den Bann. In seiner Erregung fiel ihm der Hieb zu tief, er traf nur die Schulter.

Blutend raffte sich Wolfgang Roritzer auf. Nach misslungener Hinrichtung hat Gnade zu walten.

Aber das Volk brüllte, kreischte, toste, Mann wie Weib: »Nieder! Nieder mit ihm! Haut ihm die Krallen ab! Nehmt ihm den Schädel!«

Er wollte sprechen. Er sagte heiser: »Der Altdorfer soll – soll den Dom –.« Einen Augenblick lang war es, er wolle dem Peinling das Schwert entreißen, wolle auf den blutlüsternen Pöbel einhauen. Dann spie er aus.

Als Stehenden traf ihn das Eisen.

Nun schlossen wohl die heiligen Bilder im Dom entsetzt die Augen. Ein Rumpf ohne Haupt, das war jetzt der hohe Meister Wolfgang Roritzer.

Seine Steinmetzen hüllten den Leichnam in ein Tuch, sie bargen ihn samt dem Kopf schleunigst in einem Sarg. Altdorfer half mit. Ihm war, als blicke das Haupt ihn durch die zugefallenen dünnen Lider tief an.

Ein alter Parlierer betete: »Ich hoff, Gott hat sein Seel.« Hans Loy stieg die Stufen empor. »Nur wacker her!« sagte er zu dem roten Mann.

Jetzt erhob sich das Gewitter, das lange in der Ferne gemurrt hatte, in den engen Gassen krachte leidenschaftlich der Widerhall, die Wolken finsterten nieder, die Stadt lag in einem unheimlichen gelblichgrauen Dämmer. Das Volk flüsterte, von Furcht bewegt: »Jetzt fährt der Roritzer in die Höll!«

Jene Nacht war voller Schrecken.

Ein Wolkenbruch schüttete sich nieder. Die hochgeschwollenen Flüsse stürzten sich wie Raubtiere auf die Donau, Altmühl, Laber, Nab, Regen. Waren ihre Quellen rasend geworden? Von den Felsenufern wurden mächtige Blöcke weggerissen und auf die Felder gewälzt, Mühlen verschlammt und zerstört, man fand hernach die Mühlsteine nimmer. Von den Hügeln führte das Unwasser Stücke der Weingärten, Erde und Stöcke und Kelter herunter, Bottiche und Geschirr schaukelten in der schlammfarbenen, erwilderten Donau, Stege, entführte Fähren, Tierleichen; entwurzelte Bäume kreiselten, stießen an die Brücke. Ein Sturm brauste, wie aus den Schwingen besessener Engel geschüttet.

Beim Kloster Prüfening. trat der Heerstrom hoch übers Gestade, Ross und Rinder ertranken im Stall an den Ketten.

An der steinernen Brücke brannte eine Strommühle. Flammend drehte sich das große Rad, es tauchte ins Wasser, erlosch, tauchte empor, von neuem Feuer gepackt, drehte sich feierlich flammend, erlosch wieder, flammte wieder auf. Auf einmal stand es still.

Besonders arg ging das Wetter über den Friedhof zu Niedermünster nieder, der Hagel erschlug die Dohlen, die dort in den Bäumen Schutz gesucht hatten. Rauften wirklich Gott und Teufel mit Schwertern um die Seele des Gerichteten?

Vor dem Prebrunner Tor stürzte der Sturm die uralte Pipinslinde.

Mit windzerwehtem, regenfeuchtem Mantel kehrte Altdorfer aus jener Nacht heim. Bei künstlichem Licht entwarf er die Gefangennahme Christi für das Florianer Altarwerk.

Er hörte, wie der Regen draußen eintönig vom Dach dreuschte und dachte daran, wie ihn die eigene Seele befremdete, die ihm gespalten schien. Wie versöhne ich Stoff und Geist? Wie das Vergängliche und das Ewige? Das Begrenzte mit dem Schrankenlosen?

 


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