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Auf der Landstraße von Deutschbrod nach Prag rasselte ein behaglicher, quittengelber Wagen. Das scheckige Handross und des graue, gestriemte Sattelross griffen fröhlich aus, und ein sanftes Wölklein Staub quoll unter Rad und Hufen auf, schwebte golden und löste sich, ehe es der Wind über die Wiesen führte, die den Weg blumig begleiteten, gegen den Wald, der in sommerlichem Schweigen grünte, weil die Zunft der Amseln und der Kuckucke darin schon längst versungen hatte.

Der Schwager am Bock schwang spielerisch die Peitsche, ohne dass er je die Haut der willigen Tiere verletzt hätte. Er war ein Meister des taktmäßigen Knalls, seine Geißel konnte fast singen. Und um den berühmten Reisenden in der Kalesche zu ergötzen, betete er: »Heiliger Blasius, steh mir bei, dass ich mein Posthorn blase frei wohl über Berg und Tal!« und schmetterte hernach sein Lied frisch vom Blech.

Der kaiserlich-königliche Hofkammerkompositor Wolfgang Amadeus Mozart kam mit seiner Frau und seinem Schüler Franz Xaver Süßmayer, einem trotz seiner jungen Jahre etwas schulsteifen, zurückhaltenden Mann, von Wien her gereist.

Mozarts schmale, stubenfarbene Wangen hatten sich leicht gerötet. Seit er den mährischen Boden verlassen hatte und durch die böhmischen Gaue fuhr, war er in bester Laune. Er liebte Böhmer sehr: er war dieser Stätte seiner stärksten Erfolge immer dankbar zugeneigt, und die Anmut der milden, unschuldigen Gegend beglückte und stillte sein unruhiges Herz.

Das lederne Dächlein des Wagens war nur halb aufgespannt; es sollte einigen Schatten werfen und dennoch den Ausblick nicht behindern.

Über der Welt glühte die Flamme des hohen Sommers. Es war ein außergewöhnliches, ja fast störrisches Jahr, das jede bäuerliche Erfahrung und Berechnung umgestoßen hatte: bis tief in den Mai hinein hatte eine märzhafte Kälte alles Wachstum streng gehemmt, und so hatte sich die Ernte heuer ganz beträchtlich verspätet. Nun aber trugen die Äcker schwer und schenkten, und das Land glich einem jungen, mütterlichen Weib, das aus übervollen, drängenden Brüsten verschwenderisch seine Milch verspritzt. Der Weizen schimmerte in braungoldener Reife, das fahle Korn wankte dem Schnitt entgegen. Mancherorten standen die Getreideboden in unübersehbaren Zeilen hügelauf und hügelnieder erbaut. Und der Sommer schrie mächtig ins Dorf hinein: »Bauer, halt den Sack auf!«

Wie köstlich blau war das Wetter! Und wie reicht an freundlichem Wechsel war das, woran der Wagen vorüberglitt! Da blinkte ein behäbiges Schlösslein weiß aus dem Dunkel seines Parkes, und vom Balkon winkte eine einsame, schöne Frau. Und da waren Schweizereien und Baumschulen zu schauen, Jägerhäuser, still zufriedene Gehöfte und Dörfer, hinter Schlehengebüsch listig verduckt, ernste Pestsäulen, niedere Berge, gerüstet mit dämmrigen Wäldern oder zuweilen auch mit einer verödeten Burg, aus deren Resten waghalsige Föhrenstauden wuchsen. Feldüber läutete ein zartes Liebfrauenglöcklein, und die Straße schwang sich über eine bemooste Brücke, von deren bröckelnder Brustmauer der Heilige die Wanderschaft des Baches segnete. Eine Mühle toste.

»Prag braucht Brot«, nickte der Kapellmeister. »Die Krönung wird hübsch ein paar tausend Fremde in die Stadt locken.«

Sie überholten einen Landstreicher. Die Haut schwarzbraun, die Knie schorfig, schlenderte er auf spindeldürren Beinen, schwang den verdornten Stecken und pfiff sich selber zum Wanderschritt.

»Wohin?« rief er den Reisenden zu.

»Mozart erwiderte: »Auch nach Prag!«

»Nehmt euch dort fein in ach!«

»Warum?«

»Die Prager Mädel, die Kuttenberger Rösser und die Ratsherren von Preloutsch sind nichts wert!«

»Dank schön, du Ratsherr von der Straße! Wir wolle uns danach einrichten.« Und Mozart grüßte: »Und jetzt gutes Glück, bares Geld und hübsches Wetter!«

Sie überholten Fuhrwerke mit Fässern, die in dem warmen Znaimer Weingelände gefüllt worden waren. Prag wird dürsten. Sie überholten Ochsentreiber mit ihrer gefleckten Herde. Prag braucht Fleisch. Ein buntes, täppisches Kälblein mit geblümelter Stirn hüpfte eine Weile neben der Kutsche einher.

Allerlei ungewisses Volk belebte die Straße und wallte nach der Krönungsstadt, während des Festes dort dem Bettel oder einem anderen einträglichen Geschäft nachzuhängen.

Ein zigeunerhafter Kerl zog einen Bären an einer Kette hinter sich her, und seine zerlumpte Sippe führte kleine Handtrommeln, Pfeifen und Dudelsack mit sich.

Der Tatzbär richtete sich riesig auf und brummte und hub seinen plumpen Wackeltanz an. Da hatte der Schwager zu tun, die entsetzt den alten Todfeind ahnenden und sich bäumenden Pferde wieder in geruhigen Gang zu zwingen.

Die Straße senkte sich steil. Eine Steinsäule mit dem Bild des Hemmschuhes mahnte den Fuhrmann. Auf der Säule droben hockte ein buckliger Mensch, die rostrote Joppe geflickt, und raspelte auf einer Kindergeige einen hurtigen Tanz.

»Da sitzt einer, der mehr Zeit als Geld hat«, seufzte der Kapellmeister. »Mir fehlt beides.« Er warf dem Fiedler eine Münze zu. Sie blitzte im Flug silbern auf.

Die zuckenden, spinnenhaften Finger des Musikanten hielten im Spiel inne. Er stieg lässig den Sockel herunter, hob das Geld auf, kehrte es misstrauisch um und steckte es ein.

Frau Konstanze rührte sich im Schatten der Kalesche. »Wolfgang, verbrösle nicht so geschwind unser Geld! Ein Silberstück ist zu viel. Kupfer hätt' es auch getan.«

»Ach, lass mich nur, lieber Schatz! Ich bin heut so wohlauf. Ich fühl' mich so gesund wie der Fisch im Wasser. Böhmen heilt mich. Böhmen wirkt auf mich wie eine gute, linde Arznei.«

»Aber ein Kreuzer wär' genug gewesen!« beharrte sie. »Du verdirbst die Leut' mit deiner Freigiebigkeit.«

Konstanze zog sich wieder in den Schatten der Kaleschen zurück, der Luft und der Sonne auszuweichen: sie wollte nicht mit dörflich gebräunter Haut in der feinen, blassen Gesellschaft Prags unangenehm auffallen.

Der Hemmschuh am Rad knirschte bergab.

»Hierzulande scheint alles zu musizieren«, spöttelte sie.

Mozart nickte: »Es heißt nicht umsonst, wen ein Böhm' geboren wird, greift er gleich nach der Trompete.«

Unter einem Eichbaum lümmelten zwei Waldhornisten und ein Klarinetter. Ihre Heimat mochte fern im Osten liegen, das Kleeblatt war ganz fremdländisch angetan.

»Woher?« wollte der neugierige Kapellmeister wissen.

»Aus Siebenbürgen. Wir wollen in Prag Tafelmusik machen.«

»Potz Musikanten und kein Ende!« rief Mozart. »In Prag werden aus jeder Dachluke, aus jedem Rauchfang, aus jedem Kellerloch Flöten und Trombonen und Oboen blasen. Das wird ein Gedudel werden!«

Franz Xaver Sußmayer murrte: »Sie hoffen alle, der neue König wird die Gassen mit Talern pflastern.«

»O weh!« klagte Mozart. »Die neue Herrschaft ist genauso filzig wie die vergangene. Wir Musikanten haben nicht allzu viel zu erwarten.«

»Man lässt gar zu viel Gesindel auf den Straßen streifen«, greinte Süßmayer. »Die Behörde sollte schärfer zugreifen. Das Land wird unsicher.

»Druckt dich der Brotneid, Xaver?« neckte Mozart ihn.

»Solch weglauerndes Geschmeiß sollte man wurzweg austilgen!« sagte hartnäckig der Schüler. »Sie schänden das Ansehen der ehrbaren Musiker.«

»Leben und leben lassen, lieber Sauermayer! Sei kein harter Richter! Lass ruhig unsern Herrgott gewähren! Er will seine Welt recht bunt haben. Gelt, Stanzel?«

Ein mit Baumstämmen beladenes Fuhrwesen kam ihnen den steilen Berg entgegen. Die Pferde boten alle ihre Kräfte auf, die Überlast weiter zu fördern, aber wie heftig sie sich auch ins Gestränge legten, der Wagen stockte. Ihre von Schweiß triefenden Felle zuckten unter den Geißelhieben, und der unbarmherzige Schrei des Knechtes verfluchte sie und ihre müden Hufe.

Das leidenschaftlich rohe Gebrüll des Fuhrmanns erregte Mozart aufs Äußerste. »Du grober Lackel!« fuhr er ihn an. »Wirst du gleich aufhören, die Rösser zu martern!«

Schon war er im Begriff, aus der Kutsche zu springen und das misshandelte Geschöpf zu verteidigen. Doch Konstanze hielt ihn am Ärmel fest. »Bleib, bleib! Der Mensch schlägt dich ja in seiner Wut nieder!«

Im selben Augenblick gelang es den Pferden, die Fuhre wieder zu erziehen. Sie knarrte schwerfällig bergan, und der Knecht verstummte mit bösem, schillerndem Blick.

Mozart wies auf die abschüssige, steinige, mit tausend und tausend Fuhrmannsflüchen gepflasterte und mit dem Blut gepeitschter Tiere besprengte Straße. »Ein Martermal sollt' man daher stellen und darauf die Widmung: ›Dem geschundenen Ross!‹ Und darunter die Frage: ›Ist es noch eine Ehre, ein Mensch zu sein?'«

Er saß lange schweigsam, die Zähne in die schmale Unterlippe gedrückt.

Sie rumpelten über eine Brücke, darauf ein heiliger Griesgramus, den rostigen Strahlenkreis schiefmürrisch über dem Scheitel, die Wacht hielt, und gelangten vor eine einschichtige Schmiede. An dem Huf des gestriemten Pferdes klapperte es. Nacktarmig trat der Rußmeister aus seiner feurigen Höhle, das Eisen zu befestigen.

Indessen krochen der Kapellmeister und sein Schüler ganz verknittert aus der Kutsche. Sie wollten ein Stück Weges vorauslaufen, die eingerosteten Glieder schlenkern und sich von dem schmerzenden Sitzen etwas erholen.

Aus den Wiesen tauchte ein Gegrill und Geschrill. Blumen bewirteten die trunkenen Bienen. Oben im blauen Abgrund des Himmels waren die Wolken wie weiße, liebliche Ufer.

»Ich will die Oper in neapolitanischer Art schreiben«, sagte Mozart aus seinen Gedanken heraus. »Es bleibt mir ja nichts anderes übrig.«

Die beiden Männer schritten im staubigen Gras neben der Straße dahin. Ferne blinkte ein heiteres Dorf. Die Landschaft der Tschechen lagerte sanft und trächtig. Hier war feister Ackergrund, hier war die Heimat üppiger Ammen.

»Die Erde ist so heiß wie ein frisch aus dem Backofen gerissener Brotlaib«, staunte der Kapellmeister.

Süßmayer suchte ängstlich den Steig vor sich ab. »Heuer sollen sich auf dem platten Land viele giftige Schlangen zeigen«, flüsterte er.

Eine Magd kam mit einem steinernen Krug daher, sie hatte wohl aus einem schattigen Flurbrunnen geschöpft. Sie trug einen faustdicken, gelben Doppelzopf.

Mozart vertrat ihr den Weg. »Schöne Feldgöttin, ein Musikant ist allweil durstig!«

Die junge Slawin drohte ihn an. Sie hatte eine gesunde, breite, braune Stirn, sie war weißzähnig und flankenstark, und mit einem Stoß ihres frischen Leibes hätte sie den zierlichen, gezöpfelten Herrn leicht zu Boden schleudern können.

»Holla, Vorsicht vor den strotzenden Töchtern dieses Landes!« warnte der Kapellmeister sich selber. »Ach, sie versteht mich nicht, sie ist stockböhmisch!« Und nun machte er mit einer deutlichen Gebärde sich verständlich. »Lass mich trinken, Drahomira!«

Sie bot ihm lachend den Krug, darauf Garbe, Sichel und Schnitterhut abgebildet waren, und er trank in langem Zug.

Veratmend reichte er dann seinem Gefährten den Trank. »Böhmen schmeckt süß«, sagte er.

Er fasste das Mädchen zärtlich an dem vollen Arm. »Du bist wohl eine gute Zauberin, eine Freundin den Menschen, die da im Korn wohnt?«

Süßmayer starrte inzwischen eine hübsche Weile weltvergessen auf die strammen, gebräunten Waden des jungen Weibes. Dann aber riss er sich gewaltsam empor. Was fiel da dem Meister ein? Schickte sich das, auf offener Straße eine wildfremde Jungfer zu tätscheln?

Süßmayer räusperte sich.

Mozart aber rief übermütig: »Weißt du auch, reizende Zerlinetta, wen du eben hast trinken lassen? Ich bin der Prinz Trazom von Kobernogel. Und du, Xaver, schau dir getrost die Trutschel da an und schlag die scheinheiligen Augen nicht nieder! Gelt, das ist ein fester Kerl, rotwangig wie eine Bauernmuttergottes, pausbackig vorn und hinten! Ja, die böhmischen Menscher!« Er schnalzte mit der Zunge wie ein Feinschmecker.

Süßmayer kratzte sich verlegen das Ohrläppchen.

»Was schneidest du ein Gesicht wie ein verknittertes Protokoll?« fuhr Mozart ihn an. »Bist du weiberneidisch, du Duckmauser, du Heimlicher? Was luchsest du har mit deinen unflätigen Ohren? Willst du mich gar meiner Frau Stanzel verraten?«

Der Schüler errötete und kehrte sich ab.

Jetzt umarmte der Meister hastig und warm die Magd, als wolle er in ihr das ganze geliebte Land umfassen. Sie lachte und entrang sich ihm mit müheloser Gebärde und ging heiter und sich öfters nach dem wunderlichen Wegelagerer umblickend feldeinwärts.

»Xaver, ist es dir nicht auch in der Herzgrube rebellisch worden?« entschuldigte sich Mozart. »Gaff mich nicht so an! Ich bin einmal so und nicht anders. Mein Vater hat mich nicht aus Heiligenholz geschnitzt. Oh, die Welt freut mich, und ich freu' mich, dass ich auf der Welt bin!«

Der blasse Mann atmete tief mit seiner schmalen Brust.

Müder, schläfriger taumelte der Wind über die Ähren. Mäher rasteten unter einer Ulme und genossen den Mittag. Sie grüßten mit frommem, untertänigem Gruß die Fremden. Ein lebhafter Bach sammelte sich in einem Weiher, und in dessen ruhigem Silberauge waren eine feierlich getragene Baumkrone und das Gewölk darüber gespiegelt.

Süßmayer hatte sich eine protzige gelbe Blume angesteckt und blickte sich nun in die Weite und Breite um. »Eine lustige Gegend, blond, offen und angenehm!« gestand er. »Ich habe mir Böhmen erheblich anders eingebildet: düster, voll schwarzer Wolken, voll scharfer Gebirge und bedenklicher Hohlwege. Da hat doch der Meister Hus und sein aufgeschürtes Volk gehaust! Und der Ritter Zischka! Und unlängst hab' ich vom Herzog Wlastislaw gelesen, der hat geschworen, alle Deutschen männlichen Geschlechtes auszurotten und den säugenden deutschen Müttern Hunde in die Brust zu legen. Ist das nicht schrecklich?«

»Nachbarvölker verschwärzen einander gern, Xaver. Das sind alles vergangene Fabeln. Glaubst du, dass die Taborer und Horebiten und alle die andern Morgensternbrüder heut noch mit Flegeln und Keulen herumrennen und uns Herren Reisenden erschlagen? Und dass sie die Mönchen in gepichte Fässer stecken und die Pfaffen am Bratspieß drehen?«

»Es ist doch befremdlich, Meister, wenn man auf einmal mitten in einem Land ist, dessen Zunge man nicht versteht!«

»Xaver, wir sind doch nicht in Kauderwelschland! Horch, die Trillerin droben in der Luft ist ganz verständlich, und die Kirchenglocken singen ein klares Deutsch genauso wie die böhmischen Geigen und Hörner. Und in allen Städten sitzt ein deutsches Bürgertum. Besonders in Prag.«

Und Mozart begann überschwänglich das Lob des Landes. »Wie eine aufgebrochene Rose hat Gott Böhmen auf die Erde hingelegt. Böhmen ist ein gnadenvoller Garten, starke Berge umzäunen und schützen es, und es ist durchädert von regelmäßig und klug angeordneten Flüssen. Seine Bäche schwemmen Goldkörner, seine Wälder geben festes Hol, seine Felder gesundes Brot. Es gibt kein reineres und lichteres Glas auf der Welt als das aus den böhmischen Hütten. Und gar die Musik! In Böhmen wachsen die herrlichsten Bläser. Gott stellt seine himmlische Hofkapelle aus lauter böhmischen Musikanten zusammen.«

Mozart stand wie verzückt und hielt die hohle Hand von sich, als wolle er das Tirili der Lerche auffangen, die über ihm schwebte wie der Heilige Geist über dem schaudernden Täufling und sich so das Blaue vom Himmel herunter trillern.

Der Reisewagen rollte heran.

Schleunig pflückte Mozart ein Büschelein Blumen. »Für Konstanze!« murmelte er. »Ich mache Reu' und Leid!«

Sie fuhren weiter an Wald und Weiler und schilfigem Weiher, an Brettschneiden und Mautbäumen und abgedankten Wallfahrtskirchen vorüber. Die aufklärerische Zeit hatte daraus die einfältigen Gelöbnistafeln entfernt und die Herrgottstritte im nahen Fels mit Pulver wegsprengen lassen.

Ein leiser, kühlender Wind stäubte Mozart den Puder aus dem dichten Haar.

Konstanze hob das neckische Näslein und seufzte: »Mir tut schon alles weh von dem ewigen Fahren!«

»Wart nur, Stanzl!« tröstete er. »Künftig reisen wir mit der Windkutsche, die der Herr Montglofier erfunden hat.«

»Du träumst ganz nett«, meinte sie schnippisch. »Aber leider taugen Träume nicht zu Grundmauern.«

Eine Horde barfüßiger, grellbunt gekittelter Jungmägde trabte vorbei, Kraft in den derben Armen, Schalkheit im braunen und blauen Blick. Blitz, was für saftige Dinger waren das! Mozart kehrte sich heimlich nach ihnen um.

Doch die Gattin ertappte ihn dabei und funkelte ihn mit ihren kleine, schwarzen Augen misstrauisch an.

»Es sind wahrscheinlich Wallfahrerinnen«, sagte er, Konstanze zu beschwichtigen. »Sie wandern weit und wollen einem uralten Muttergottesbild die Füße küssen. Das ist ihnen wichtiger als die Krönung.«

Die weiß durch das Ernteland schwingende Straße verfolgend, setzte er träumerisch fort: »Vor zwei Wochen ist denselben Weg da die böhmische Krone nach Prag heimgefahren worden. Aus der Schatzkammer der Wiener Burg hat man sie geholt, die so lange entfremdet gewesen ist. Der Kaiser Leopold gibt sie dem sehnsüchtigen Volk Böhmens zurück, dass e sie aufbewahre in der edelsteinernen Kapelle am Hradschin. Zwölf Schimmel ziehen den silberumrahmten, gläsernen Wagen, darauf fährt die Krone durchs Land. Um sie herum liegen Zepter, Goldapfel, Mantel, Gürtel und Stola und alle die Zeichen der Gewalt. Die Krone reist über die Donau, sie reist über das mährische Gebirg. Sie übernachtet in geweihten Kapellen. Sie fährt und schimmert in ihren köstlichen Kleinoden und goldenem Schmiedewerk. Die Glocken stürmen ihr entgegen, aus den Kirchtoren treten die Priester und segnen sie, aus den Rathäusern kommen die Bürger mit entblößten Häuptern, die Bauern warten ehrfürchtig am Eingang der Dörfer, ihre Weiber knien hin und bekreuzigen sich, als würde der Leib Gottes daher getragen; die Kinder streuen Blumen und staunen und ahnen. Und wo die Krone reist, dort schauert es durch das böhmische Korn, dort rauschen die Wälder feierlicher mit ihren Tannen und tausendjährigen Eichen. Die Krone kehrt heim! Die Krone kehrt heim! Sie fährt die graue Brücke über die Moldau, über den Herzstrom des Landes. Das Volk jubelt. Die Krone! Die Krone! Geheimnisvoll glänzt das Gerät, das auf den Stirnen der alten Könige gesessen ist. Es zieht ein in den Dom des heiligen Veit.«

»Meister, Sie irren sich!« sagte Süßmayer wichtig. »Die Krone ist nicht offen im Wagen nach Prag geschafft worden, wie Sie vermuten. Nach meinem bescheidenen Wissen hat man sie – gottlob! – sorgfältig und unter Beisein mehrerer Zeugen in einen festen Staatskoffer verpackt und versiegelt.«

Entzaubert starrte Mozart seinen Schüler an. »Xaver! Du kahler, du nüchterner Schuft! Untersteh dich noch einmal und straf deinen Lehrer Lügen! Uns so einen trockenen Gesellen will ich beauftragen, dass er mir die Singgespräche zu meiner neuen Oper komponiert?« fuhr der Kapellmeister fort. »Was schaust du mich an wie der leibhafte Palmesel? Jawohl, darum nehm' ich dich nach Prag mit. Nicht nur, dass du mir beim Spielen die Blätter umwendest.«

»Welche Ehre für mich, Herr Hofkapellmeister! Welche große Ehre!« stammelte Süßmayer beglückt. »Aber ist es auch wirklich wahr? Belieben Sie nicht zu spaßen?«

»Meiner Seel'! Du setzest die Reden in der Art, wie es üblich ist, in Noten und schreibst die Cembaloschläge dazu. Du hast ja gelernt, wie das gemacht wird. Ich allein bring' doch in den drei Wochen die große Arbeit nicht fertig.«

»Ich danke, ich danke tausendmal!« rief Süßmayer so feurig, als es sein etwas langweiliges Geblüt zuließ, und er gebärdete sich, als wolle er die Hand seines Meisters küssen. »Ich werde mich bemühen, Ihre Art haargetreu nachzuahmen und sowohl Sie als auch die geschätzte Prager Öffentlichkeit zufriedenzustellen.«

Sein sonst so bequemes und gemächliches Herz schlug befremdlich wild. Oh, welch ein Glück, im Schatten der Flügel des weltberühmten Mozart zu schaffen, neben ihm genannt zu werden, von seiner Kraft mit empor gerafft zu werden!

»Ja, mach nur alles recht mozärtlich!« nickte der Meister freundlich.

Die mittägliche Schärfe der Sonne hatte sich gemäßigt, und die Reisenden senkten das Halbdach hinab, so dass der Blick freier und umfangender über die Gegend schweben konnte.

Mozart behagte diese Bauernlandschaft wohl. Ihm waren sonnige und gepflegte Gärten am vertrautesten, doch liebt er auch heitere und nicht übermäßig bebuschte Grasflächen, darauf die Tiere des Hauses weilten und weideten und Menschen lustwandelten oder mit leichter Arbeit beschäftigt waren. Und in diesem Sinne sagte er nun: »Wär' ich nur der Herr von Böhmen, ich würde aus meinem Reich einen einzigen Garten machen!«

Nach diesem schon halb geträumten Gedanken lehnte er sich im Wagen zurück und schlief schnell ein.

Selig schwamm die Landschaft mit Dorf und Tier und Baum vorüber, sie überfloss von Licht, die Luft schien einen feinen, flimmernden Goldstaub zu tragen, und der Himmel mit seinen schüchternen, glücklich sich auflösenden Milchwölklein glich einer blauen, zärtlichen Porzellanmalerei.

Mozart spitzte im Traum die Lippen und pfiff. Es war nur ein geflüstertes Pfeifen, aber die geübten Ohren seiner Begleiter nahmen es gleich wahr.

»Er spinnt an der Oper«, sagte Konstanze. »Er kann nicht rasten.«

»Dass er sich Tag und Nacht plagt! Bei seinem Genie könnte er sich doch mehr Erholung gönnen«, meinte Süßmayer. »Der Herr Kapellmeister treibt es zu arg.«

Sie zuckte die schmale Achsel. »Ich weiß nicht. Mozart behauptet immer, es gebe kein faules Genie, und wer etwas könne, sei fleißig.«

Der Schüler hatte behutsam nach einer Kapsel gegriffen, die neben dem Schläfer lag, und ein kleines, noch unbescheidenes Notenblatt herausgeholt. Er zeichnete mit jagender Schrift auf, was der Meister im Traume pfiff, und murrte dabei: »Dem gönnt es Gott, und er wird im Schlaf reich.«

Mozart schien sehr lebhaft zu träumen. Er begann seltsame Gebärden auszuführen: seine Finger tanzten, er spreizte und krümmte sie und bewegte sie wie zu einem Triller, er schlug sie auf seine Knie nieder, als spiele er auf einem Kielflügel. Und schließlich warf er die Arme auf und benahm sich derart ungestüm, dass Konstanze fürchtete, er werde sich selber aus der Kutsche schleudern. Sie umschlang ihn und hielt ihn fest.

Unter dieser Berührung fuhren ihm die Augen weit auf. Er fand sich unter offenem Himmel reisen, ein würziger Wald hüllte die Straße in den Duft seines Laubes und dämmerte darüber hin, und ferne lockte ein Dompfaff seine Pfäffin.

»Was hat mir jetzt geträumt?« raunte Mozart. »Wie schad', ich hab' es vergessen!«

Jetzt merkte er die Arme seiner Frau schützend um sich geschlungen. »Stanzel, Stanzel!« schmeichelte er. »Wenn ich dich anschau', fällt mir ein lustiger Tanz ein. Wär' ich der Vogel dort, ich tät allweil nur ›Stanzel!‹ schreien.«

Der Wald wurde tiefer. Es war eine unwirtliche Stille, eine scheue, lauernde Verworrenheit zwischen den feuchtblinkenden Stämmen, die Mozart unheimlich war, und er hätte sich sicherlich gefürchtet, wenn er hier mit Moos, Dickicht und Felsen allein sich befunden hätte an dieser Stätte, wo es knisterte und knackte und raschelte, als schlichen Geister umher, und er hätte in seiner ängstlichen Beklemmung wohl dann und wann mit dem zierlichen Degen hinein ins Buschwerk gestochert, um sich vor sich selber als den tapferen Mann zu bestätigen.

Doch dort lief ein Vogel eine Buche herunter, suchte in den Rissen der Rinde und putzte sich artig den dünnen Schnabel.

»O schau, schau, Wolfgang!« rief Konstanze entzückt. »Kopfunter hupfte das Viecherl! So was hab' ich mein Lebtag noch nicht gesehen!«

Rote, schwarze und braune Eichkatzen huschten über den Weg und jagten stammaufwärts, und eine schaukelte im Geäst, lugte mit menschenklugem Auge herunter und wartete mit den Pfoten so drollig auf, dass Mozart, verliebt in die Anmut dieses Geschöpfes, es gern auf den Schoß genommen und gestreichelt hätte.

Aber Konstanze hob warnend den Finger. »Horch! Was ist das jetzt gewesen? Seien wir still! Vielleicht ein Räuber hinter den Stauden?«

»Meine liebe Hausfrau!« beruhigte er sie.

Süßmayer riss eine doppelläufige Pistole aus der Tasche, er mochte sie dort weiß Gott wie lange schon vorbereitet gehalten haben und hielt sie jetzt düster entschlossen zwischen seinen Knien.

»Um Himmels willen, Xaver, du richtest ein Unglück an!« schrie Mozart.

Süßmayer erwiderte dumpf: »Sie ist nicht geladen!«

Grauveraltete Felsen drohten, ein Häher lachte, ein Reh trat schmalfüßig auf eine kleine Lichtung heraus.

Jetzt senkte sich neben der Straße eine steinige, mit Brombeersträuchern überwucherte Hutweide ziemlich jäh in die Tiefe. Süßmayer verlegte klüglich das Gewicht seines Leibes auf den bergseitigen Teil der Kutsche. Er war noch wenig gereist und nahm die Gefahren weit wichtiger, als sie wirklich waren.

»Man hat die Wiener Straße der Krönung zuliebe überall ausgebessert. Warum hat man es just hier unterlassen, ein festes Geländer anzubringen?« nörgelte er. »Soll ich mir in diesem Teufelsgraben den Hals brechen?«

Er zielte mit dem Pistol in das Grün hinab, als wolle er drunten die unsichtbare Gefahr erschrecken oder totschießen.

»Piff, paff!« rief Konstanze.

»Käme doch gleich ein Räuber, dass wir uns an seinem enttäuschten Gesichte belustigen könnten!« scherzte Mozart. »Was könnt' er uns wegnehmen? Leeres Notenpapier und dein Schminkkästlein, Stanzel!«

»Aber meine feinen Kleider im Koffer!« jammerte sie. »Mal nur den Teufel nicht an die Wand!«

Süßmayer richtete sich auf und rief dem Schwager zu: »Sie hören Sie! Ist die Gegend da gefährlich?«

Der am Bock drehte sich schmunzelnd um. Er deutete mit der Peitsche über den Wald hin. »Gewiss! Dort drüben sind drei ganz schreckliche Dörfer. In dem ersten kriegt ein Bettelmann, und wenn er sich auch den ganzen Tag schindet und plagt, nicht mehr als einen Kreuzer; in dem andern Dorf wollen ihm die Leute den Kreuzer wieder abbetteln, aber er gibt ihn nicht her; im dritten Dorf kommen die Bauern mit Drischeln und Stecken gelaufen, schlagen ihn tot und nehmen ihm den Kreuzer weg.«

»Hau in die Rösser ein, Schwager!« rief Mozart übermütig. »Die Bauern sollen uns unsere Armut nicht wegnehmen.«

Dann verfinsterte sich seine Stirn. »Da spotte ich über mich selber! Jawohl, ich bring' es zu nichts! Der Obernschreiber Salieri und sein Klüngel herrschen in Wien. Für mich ist kein Platz dort. Ich sterb' einmal im Armenpfründhaus.«

»Schäm dich!« rief Konstanze. »Wie redest du wieder?!«

»Ist es nicht so?« fragte er bitter. »Stecken wir nicht bis über den Hals in Schulden? Bin ich mehr als ein Bettelmusikant?«

»Nein!« sagte sie entschieden. »Du schreibst dem böhmischen König die Krönungsoper!«

»Meiner Seel', das hätt ich heut schier vergessen!« rief er, und um jähen Umschwung des Gefühles kramte er in einer abgeschabten Ledertasche und förderte eine italienische Handschrift ans Licht, an deren Stirn in verzierter Schrift zu lesen war: La clemenza di Tito. Die Güte des Tutus.

»Der Herr Hofdichter Metastasio hat ein bisslein langweilig gereimt«, meinte er. »Der Daponte hätte das Buch gerissener geschrieben. Nun, wir werden ja sehen!«

Er blätterte das Heft auf. Sein Gesicht war mit einem Male ernst und fern. Die Stirn faltete sich, der Blick wurde trauervoll, der feine Mund verzerrte sich leicht. Dann schloss er die Augen, als wolle er mit dem Aufklang seiner Seele ganz allein sein. Und Ton und Wort verschmolzen in eines, und er summte durch die kaum geöffneten Lippen:

»Deh, se piacer mit vuio,
lascia i sospetti tuoi!
Non mi stancar con questo molesto dubitar.
impegna as serbar fede.
Chi sempre inganni aspetta, alletta ad ingannar!«

Eine Krähe flog gemach über die Wipfel und krähte. Der Meister hob den glimmenden Blick. »Stör mich nicht!« zürnte er.

Er tastete nach dem kleinen Notenblatt, das Süßmayer neben sich hingelegt hatte, und breitete es sich über die Knie, um die neue Arie hinzuklittern.

Doch zog er staunend die Brauen hoch. Auf dem Blatt war das Larghetto, das ihm eingefallen war, schon in seinem Grundriss von der Hand Süßmayers aufgezeichnet.

»Bin ich verhext?« rief Mozart. »Was ist das? Treibt der leidige Teufel sein Gaukelwerk mit mir? Wo hast du das gestibitzt, Xaver? Das ist doch von mir!«

»Sie haben es im Traum gepfiffen«, sagte der Schüler.

»O du unendlicher Schlingel! So weit hast du es also schon gebracht, dass du einen Schlafenden ausraubst!«

Schon aber war der Meister wieder tief in sich vergraben. Im holprigen Wagen warf er die Arie noch einmal vollkommener aufs Papier und setzte mit flüchtigen Zeichen die Geigen und das Blech darunter, wurde glühend und sang zuweilen mit seiner hohen, schwachen Stimme, oder er schwieg, den Kopf lauernd in den Nacken zurückgelehnt, und aus seinen Augen, die jetzt für die Welt tot waren, drang eine in rätselhafte Fernen verlorene Seele.

»Genug!« sagte er dann laut. »Das Lieb ist bis aufs letzte Tüpferl in mir fertig. Abends in der Herberg' schreib' ich alle sauber nieder.«

Er bot seiner Frau das Blatt. »Da, lies! Wie gefällt es dir?«

Sie warf einen flüchtigen und fast feindseligen Blick darauf und reichte es wortlos an Süßmayer weiter.

»Himmlisch, himmlisch!« lobte dieser begeistert. »Und wie schwelgerisch, ausgeschmückt! Glücklich der Mund, der das singen darf!« Und er versuchte mit seinem rasselnden Bass die Zierweise.

»Und wer soll dies Arie singen?« fragte Konstanze scharf.

»Vitellia, die Feindin des Kaisers Titus.«

Ihre kohlschwarzen Augen stachen. »Und dabei denkst du wohl an die Frau Josepha Duschek, deine Freundin?«

Er lächelte und sang: »Chi sempre inganni aspetta, alletta ad ingannar!« Und er wiederholte noch einmal die Weise und unterlegte ihr dabei die deutschen Worte: »Durch Misstrauen andre kränken, reizt leicht sie zum Betrug!«

Doch gleich küsste er zärtlich versöhnt der Eifersüchtigen die kindliche, überzierliche Hand. Ihr weiter Reisehut warf einen Schatten wie einen süßen Schleier über ihr Gesicht, und das sah mit seinem leisen Schmollen allerliebst aus.

»Der Anfang ist gemacht«, sagte Mozart. »Es ist ein Kunststück, in kaum drei Wochen eine fertige Oper hinzuschmeißen! Die Prager hätte sie früher bestellen sollen. Ach, seine Frucht soll langsam reifen! Zehn Rosenkränze bet' ich zum Prager Jesukindlein, wenn alles gut ausgeht!«

»Prag wartet mit dem Lorbeerzweig auf Sie!« rief Süßmayer noch im Nachgenuss der neugeschaffenen Arie.

Über die Stirn des Meisters zuckte es verdrossen. »Wenn nur der Salieri nicht dort wär'! Der pfiffige Italiener möcht' mich am liebsten auch aus Prag hinaus beißen, wie er es in Wien versucht. Vergiften möcht' er mich, der signor calfatto! Und gar der Leopold Kozeluch! Wie mag der in Prag gegen mich schüren! Freilich, ins Gesicht räuchert der Kozeluch mir seine Lobsprüche, er ist aber ein aufgelegter Spitzbub und arbeitet hinterrücks gegen mich. Der Neid schaut dem windigen Klimperer zu allen Knopflöchern heraus!«

»Sie sind doch etwas zu argwöhnisch«, warf Süßmayer ein. »Es ist nicht gar so schlimm.«

»Du Stockesel, was brodelst du? Ich kenn' die Welt. An dem Salieri seiner lauwarmen Musik hat der Kaiser Josef – Gott hab' ihn bei sich! – einen Narren gefressen gehabt. Zu mir hat er nach der ersten Aufführung meines ›Figaro‹ nur gesagt: ›Viel zu fein für unsere Ohren und viel zu viel Noten!'«

»Ärger' dich nicht!« bat Konstanze. »Du zuckst schon wieder mit dem ganzen Gesicht. Mein Gott, der Kaiser hat halt was sagen müssen. Es fällt auch einem Kaiser nicht alleweil was Gescheites und Richtiges ein. Es ist nur so eine Redensart gewesen. Nimm doch nicht alles gar so genau!«

Er hörte nicht auf sie. »Es ist schon einmal so«, sagte er. »Alle Habsburger zahlen mit sparsamer Gnade. Und der Kaiser Josef hat sich lieber den Kasperl in der Leopoldstadt angehört als meine schönsten Opern. Er ist samt seinem guten Herzen doch nur ein Knicker gewesen.«

»Er hat in seinen letzten Jahren viel Sorgen gehabt«, sagte Konstanze. »Da hat er nicht an Geigen und Flöten denken können.«

Mozart fuhr fort: »Wie der ›Figaro‹ zum ersten Mal gegeben worden ist, da hätt' ich geschworen, jetzt ist die härteste Nuss aufgebissen. Ja, einen Schmarren! Die Not ist geblieben. Und gerad so nach dem ›Don Giovanni'! Und gerad so nach ›Cosi fan tutte'! Ich kann musizieren wie ein Engel im Himmel, mir hilft doch nichts aus dem Elend heraus. Es ist so schrecklich wie in einem Traum, wo man wandert und wandert und schon zum Sterben müd' ist und man doch nicht vom Fleck kommt. Ja, wenn der Salieri nicht wär' mit seinem Ellbogen! Er sagt zu mir: ›Geh weg und lass mich dran! Ich bin der Mann, der's besser kann.‹ Zu Boden möcht' mich der Salieri treten, wenn er könnt'. Ach, ich kann gehen, wo ich will: überall hab' ich einen Stein im Schuh.«

Der Wald hatte sich verloren, und das Land lag wieder bühelwellig und freundlich geöffnet. Ein beglückend schlichtes Haus, wohl eine Försterei, stand in einer Wiese, sein Dach war traulich vermoost. Unter einem kugelrunden Apfelbaum verwitterte ein Betstock.

»Die Landschaft ist so weich«, lächelte Konstanze, »sie passt zu meiner Frisur.«

Süßmayer zog den Mund schief. »Ich wäre mir zu gut für diese Gegend.«

»Gefällt sie Ihnen nicht, Herr Xaver? Sie ist doch schön!«

»Ach was, die schönste Landschaft sieht man doch in der Oper!«

Von der Unschuld der bäuerlichen Erde gerührt, in unbestimmter Sehnsucht blickte Mozart nach der vorbeigleitenden Försterei zurück. »Wär' doch das Haus dort mein!« seufzte er. »Mein Lebtag reise ich wie ein Zigeuner hin und her. Hier für immer hausen dürfen, fern von meinem Feinden, dort in dem grünen Lusthäusel meine Lieder und Sinfonien schreiben dürfen: Gott, wär' das schön!«

»Das wär' nicht gut für uns!« widersprach Konstanze. »Du brauchst die große Stadt, du brauchst Wien. Unsere Heimat muss das Theater sein.«

»Dieses Wien!« brauste er hoch. »Dort haust die Gleichgültigkeit, dort schießt der Neid ins Kraut. Hör mir auf von den Wienern und ihrem Kaiser! Wenn ich einmal sterb', Wien soll meine Gebeine nicht haben!«

Er gab sich plötzlich einen Ruck. »Aber, zum Teufel, warum raunze ich die liebe Welt an und vergälle mir den Tag? Ich hab' keinen Grund zur Verzagnis. Gott nährt den Raben im Wald und vergisst auch meiner nicht.«

»Ja, Wolfgang, und der ›Titus‹ wird uns in Prag das Glück bringen!«

»Ja, Stanzel, und lass uns glauben und vertrauen und schnell ein paar spanische Schlösser in die Wolken bauen! Im Herbst werd' ich Domorgler zu Sankt Stefan, und du, Xaver, ziehst mir die Bälge.«

Er drückte seine Freu herzlich an sich und begann, schimmernde Entwürfe für das kommende Leben aufzureißen, und während er lachte und plauderte, gestaltete sich in ihm abseits der Welt, darin er mit seinen lustigen Reden aufzugehen schien, traumhaft die neue Musik.

Und er verstummte wieder und horchte in sich hinein. In seiner Seele wallte es und gestaltete es sich aus dem Nichts und ordnete es sich. Schwermütig-zierliche Weisen stiege wie Blumen aus der satten Krume eines Gartens, wurde begrüßt oder verstoßen, ballten sich wieder in neuer, edlerer Form, schmiegten sich in Sinn und Gefühl der Dichtung ein und ergriffen tanzend das Wort. Verstiegen in seine Schöpfung, verlor Mozart seine Umgebung, die Welt um ihn wurde unwirklich und sprch nur wie ein entlegener, schattenhafter Ton seine Sinne an.

Und so gewahrte er auch nicht, wie ein kühles, von einer Wolke herrührendes Dämmer sich über die Gefilde legte und diese augenblicklich öde und menschenlos waren, und wie statt des tragenden Ackers eine wüst verwucherte, von Stangen umhegte Stelle an der Straße lag, wahrscheinlich ein Aasgarten, ein Hundefriedhof oder gar eine abgekommene Galgenstätte, und daneben ein umgestoßenes Marterl, dem der eine Kreuzarm fehlte.

Mozart kam erst wieder zu sich, als der Wagen mit einem schütternden Ruck hielt.

Die Pferde standen wie eingewurzelt, sie spitzten die Ohren, schnoben und zitterten. Doch war nichts vorhanden, was das ängstliche Benehmen des Gespannes gerechtfertigt hätte. Der Schwager fluchte und schrie die Tiere rau an. Er schnalzte mit der Peitsche. Umsonst, die Pferde bebten und standen.

Sumpfig starr dehnte sich die Au, keine Binse bewegte sich. Und doch trieb der Wind auf der Straße eine fahle Staubsäule auf, ließ sie tanzen und stieß sie dann verächtlich in eine trübe Lache. Und es war auf einmal wie Nebelfinsternis in den Lüften, und die Sonne drang blass wie Mondlicht durch.

Und jetzt bäumten sich die Pferde wie vor einer furchtbaren Erscheinung zurück, die Mähnen sträubten sich, die Nüstern bebten ihnen an den rückgewandten Häuptern. Der Kutscher aber riss verstört den Dreispitz vom Kopf und duckte sich.

»Was soll der Unfug?« rief Mozart.

Der Schwager winkte beschwörend ab. Mit schneidender Stimme fing er zu beten an. »Vaterunser, der du bist im Himmel als auch auf Erden!«

Eine ungeheuerliche Fremdheit wob über die Erde hin. Alles war in schweren, kahlen, drohenden Herbst getaucht. Und etwas näherte sich unsichtbar, ungreifbar, nur in dunkler Ahnung erfühlbar und wehte wie eisiger Nebelschauer vorüber.

Ein nie gekannter Schmerz frostete durch Mozarts Blut. Er griff an sein Herz, als wolle er es von einem Stich schützen.

Dann brach die Sonne wieder in ihrer alten, sommerlichen Gewalt und Pracht durch. Und alsbald zogen die Tiere wieder an, der Kutscher bedeckte den grauen Kopf, und die Kalesche fuhr an der unheimlichen Stelle vorüber.

»Was ist das gewesen?« fragte Mozart.

In den Zügen des Kutschers malte sich noch ein Grauen ab. Er dämpfte seine Frage. »Haben die Herrschaften es gesehen?«

»Was? Was?«

Der Kutscher wischte sich mit dem Ärmel den kalten Schweiß von der Stirn. »Ein Leichenzug ist vor und vorüber. Quer durch die Flur.«

»Er hat am helllichten Tag geträumt«, sagte Süßmayer unwillig.

»Ich hab' es genau gesehen«, behauptete der Mann. »Und die Rösser auch. Ein schwarzer Sarg, die Rappen mit schwarzen Federbüschen, ein verlarvter Fuhrmann! Hinterher der Geistliche, die Beter und einer, der mit den Knochenfingern die Trommel geschlagen hat. Ich hab' es ganz genau gesehen.«

»Lächerlich!« rief Mozart. »Das hätten wir auch merken müssen! Gespenster flattern nicht so mir nichts, dir nichts herum. Und Geister gibt es nicht. Die gibt es höchstens in der Oper. Gelt, Xaver?«

Der Kutscher wehrt sich erregt. »Es gibt noch ganz andere Dinge auf der Welt! Ich hab' allerlei erlebt. Einmal in der Nacht bin ich durch die Manhardberge gefahren. Da ist mein Fuhrwerk angefroren. Die Rösser ziehen wie verrückt, die Räder aber stehen steif und still und rühren sich nicht vom Fleck. Da greif' ich in der Wut nach einer Axt und hat' die erstbeste Radspeiche durch. Gleich rollt der Wagen weiter. Und in der nämlichen Weile hat sich der Schmied von Nadelbrunn beim Tanzen die Füße gebrochen. Er ist der Anbanner gewesen, der mir den Fuß ins Wagenrad gestellt hat.«

Also erzählte der Kutscher und kehrte sich dann beleidigt wieder seinen träumerisch trabenden Pferden zu.

Konstanze drückte ihren schmächtigen Leib wie eine verängstigte Katze in die Ecke der Kutsche.

Süßmayer aber prahlte, er sei ein starker Geist und lasse sich weder von Gespenstern noch von Druden einschüchtern, und er rügte den Staat, dass er noch immer viel zu wenig für die breite Aufklärung unternehme; aus dem Spind der Richter seinen zwar die Hexenakten verschwunden, aber das gemeine Volk sei noch immer von dumpfem Hexenwahn befangen, und man müsse den Glauben der Leute nachdrücklich von dem bösen Wust befreien.

»Jedenfalls ist die Geschichte vorhin recht merkwürdig gewesen«, sagte Mozart. »Hat der Schwager wirklich Augen für das Unsichtbare? Erkennen die Tiere einen, der für den nahen Tod bestimmt ist? Ist das eine Andeutung gewesen? Mich selber hat dabei einen Herzschlag lang ein arges Gefühl gepackt.«

Konstanze gewahrte, wie grau und verfallen sein Gesicht auf einmal war. »Geh, du Narr!« schalt sie ihn erschrocken. »Jetzt wirst du gleich den ganzen Unsinn glauben. Ich hab' ein schönes Kreuz mit dir!«

»Nein, nein!« raffte er sich zusammen. »Ich will nichts glauben, als dass ich in Böhmen wieder ganz gesund werde.«

Er heiterte sich gleich wieder auf. Und als Süßmayer sich über die vielen unnützen Seitensteige rechts und links von der Straße zu ärgern begann, weil sie einem nützlichen und vernünftigen Feldbau den Boden entzogen, da unterbrach ihn der Kapellmeister fröhlich: »Lass nur gut sein! Es nimmt sich ganz malerisch aus, und die Welt ist noch große genug.«

Ein dralles Türmlein grüßte über die Dächer eines Marktfleckens herüber, der einen für eine Salzburger Zunge unaussprechlichen Namen führte, und der Schwager vergaß der ihm angetanen Kränkung und erzählte, wie einmal vor grauen Zeiten der Kaiser Karl der Vierte durch diesen Ort geritten sei und, von Heißhunger ergriffen, für sich und sein Jagdgefolge schleunig einen Imbiss begehrt habe. Darauf habe der damalige Bürgermeister Kagelwind flugs alle Säue des Fleckens zusammentreiben und ihnen Ohren und Schwänze abschneiden und diese hernach auf leckere Art zubereiten lassen. Die Jäger ließen sich, was ihnen da vorgetischt wurde, gar wohl munden. Der Kaiser meinte dann, es sei eine ganz wunderliche Mahlzeit gewesen. »Herr Kaiser«, sagte darauf der Bürgermeister, »ich hab' Euch so schnell und mit so geringen Kosten nicht anders bewirten können. Hätte ich die Säue erst abstechen und das Fleisch aushacken lassen, das hätte zu lange gedauert. Und schließlich haben Eure willigen Untertanen ihr Vieh behalten können und keinen Schaden erlitten.«

»Ein witziger Mann!« rief Mozart und klatschte in die Hände. »Ein glücklicher Einfall! Und vielleicht sind den Säuen zu guter Letzt auch noch die Ohren und Schwänze nachgewachsen!«

Von unglaublich struppigen und menschenfeindlichen Kötern empfange und ausdauernd verfolgt, fuhren sie durch den Ort. Pfützen spritzten auf, Gänse flüchteten, erregt sich verwahrend, vor dem Wagen. Ein mächtiges Schwein, vorn schwarz und hinten blond, badete mitten am Weg und musste umgangen werden. Der Schwager berichtete, wegen des grundlosen Kotes habe heuer hierorts der Fronleichnamszug abgesagt werden müssen.

Von dem Turm fiel ein langweiliges, bequemes Geläute.

»Mehr Feuer! Vivace, vivace!« rief Mozart den Glocken zu. »An dem Satan sollt ihr euch rächen und ihm seine argen Wetter zerbrechen!«

»Mir ist so ölig im Magen«, klagte Konstanze. »Wollen wir nicht in dem Ort da ein bisslein rasten?«

»Ja, liebe Mozartin. Es müssen ohnedies die Rösser gewechselt werden. Ein Schluck Zwetschgengeist richtet dich wieder auf.«

Hier war eine geruhige, etwas verschlafene Nebenwelt. Altertümliche Menschen belebten sie. Auf den Türschwellen hockten die alten Weiber und hoben neugierig die Augen von den roten Strickstrümpfen. Nur der betrunkene Stadtwächter brachte einige Regung in diese Abgeschiedenheit, indem er, den Säbel zwischen den Beinen, einigen unartigen Buben, die ihn auf einem Schubkarren zum Rathaus schafften, mit schnarrender Stimme Zucht predigte. Ein Erwachsener, vielleicht ein Nachfahre des besonnenen Bürgermeister Kagelwind, legte sich vergebliche ins Zeug, die Ehre der Obrigkeit zu retten. Es gab ein helles Hallo.

Die Reisenden hielten unter einem geschmiedeten Schild, darauf der zwiegeschänzte Löwe Böhmens sich bäumte. Die rundliche Herbergsmutter knickste vor dem Tor, und Konstanze hüpfte aus dem Wagen, eine knabenschlanke Frau, und streckte sich und kostete vorsichtig von dem gebrannten Wasser. Es schmeckte höllenscharf. Doch stürzte sie es tapfer hinunter.

»Liebe Wirtin, kriegt man bei Euch gesulzte Sauschwänze?« neckte Mozart.

Die freundliche Miene der Frau verlor sich, und ein Gewitter stand zwischen ihren gelben Brauen.

»Dass du auch jedem ein Klämpflein anhängen musst!« zankte Konstanze. »Du schaffst dir damit überall Feinde. Nehmen Sie es uns nicht übel, Frau Wirtin!«

»Ich weiß nicht, woher ich meine schnelle Zunge hab'«, sagte der Kapellmeister. »Mein Vater ist doch ein schwerfälliger Mann gewesen.«

Konstanze ließ sich in der niederen Stube Milch und Brot geben, und der Kutscher reichte der Kellnerin, einer überzeitigen Jungfer, seinen Bierkrug, und sie nippte schämig davon.

Mozart und sein Schüler aber zogen aus, den Ort zu entdecken.

Vor der Kirche, mitten in einer Vierung übermächtig dicker Linden, erhob sich er steinerne Sankt Nepomuk der Schweiger, den grauen Finger vor dem Mund, und der Pfarrer, ein derber, rotwangiger Greis, hielt dort die nachmittägliche Andacht ab. »Ich küsse und verehre und preise deine unverwesliche Zunge«, betete er zu dem Heiligen hinauf. »Gib, dass ich rede, was zu reden ist, und dass ich verschweige, was zu verschweigen ist!«

Bäuerliche Männer drehten murmelnd die runden Hüte, fromm knieten die Weiber auf dem Rasen, das kräftige Rot ihrer Kopftücher brannte. Kinder zwitscherten. Und die Stimme des Volkes tönte in einem verwitterten, einfältigen Lied:

»Weil du die Beicht'
ganz ungescheucht
dem König nicht gestanden,
Die sein Ehebraut
dir anvertraut,
hast du den Tod ausg'standen.«

Das rotdunkle Kirchendach war von den Störchen und den Tauben weidlich verunflatet, trotzdem dass droben ein Turmhahn seines wachtbar-beschaulichen Amtes waltete.

Im Friedhof grasten die falben Kühe des Pfarrherrn.

Die beiden Reisenden öffneten das zimtbraune Tor und betraten das Kirchenschiff.

Freundlich stürzte das Licht durch die Fenster. Die von nackten, feisten Purzelenglein umwitterten Altarbilder waren in heiteren Farben gemalt und wirkten freudig, und selbst die Märtyrer schienen hier von Mutwillen besessen zu sein und mitten in der Peinigung lachen oder gar tanzen zu wollen. Von der Wölbung schmunzelte Gottvater aus seinem Allmachtsbart urgemütlich herunter, und aus den Nischen sahen wohlwollend etliche böhmische Winkelheilige. Es war ein anheimelnder Raum, und Mozart besann sich, ob er nicht ein recht lustiges Gebet wisse, denn ein ernstes dünkte ihn hier nicht recht am Platz.

Der hemdärmelige Mesner, der eben den Opferstock schreiend blau angestrichen hatte, ihn den Kirchgängern augenfälliger und genießbarer zu machen, fragte die Fremdlinge, ob sie auch zur Krönung reisten, und begann dann, den neuen Kaiser Leopold auf Kosten seines Vorgängers weitschweifig zu loben. »Jetzt darf ich wieder mit den Glocken den Donner beschwören«, schwätzte er. »Der Kaiser Josef hat das Wettergeläut verboten, weil es den Blitz anzieht. Der Leopold erlaubt es. jetzt verdiene ich mir wieder den Läutpfennig. Es ist ein heidnisches Zeitalter gewesen; die neungescheiten Herren haben die schönsten Feiertage abgeschafft; sie haben aus den Kapellen die alten Heiligen gestoßen und obdachlos gemacht, und die Buben sind darauf Schlitten gefahren. Der Wallfahrer hat nimmer die ewige Zunge des heiligen Johannes küssen dürfen. Die Klöster hat man zu Soldatenhäusern gemacht. Wie wird der Kaiser Josef das alles jetzt vor dem himmlischen Gericht verantworten?«

»Hoffen wir das Schönste!« lächelte Mozart. »Der Kaiser wird vor Gott schon das rechteWort finden.«

Der Mesner führte die beiden vor ein stattliches Heilandkreuz. »Der Herrgott ist aus lauter Gold«, erklärte er. »Aber wir haben ihn vor dem Krieg schwarz angestrichen, dass die Preußen das Gold nicht merken und ihn nicht mitnehmen. Jetzt wollen wir ihn wieder sauber waschen. Die Kriege haben aufgehört, der neue Kaiser erlaubt sie nimmer.«

»Schön, schön!« schnitt der Kapellmeister ihm die Rede ab. »Aber was ist es mit der Orgel? Darf man darauf spielen?«

»O Herr, sie zieht zu wenig Wind und geht darum recht schläfrig.«

»Daran mag der Herr Kantor schuld sein. Ist er nicht gichtisch? Lassen Sie mich das Werk einmal angreifen!«

Sie begaben sich die dunkle Chorstiege, in deren Gehäuse ein zersprungenes Bild der musizierenden Cäcilia hing, hinauf zur Orgel.

Der Mesner trat alsbald die mit dicken Marmorsteinen belasteten Bälge, und sie setzten sich trotz des schweren Gewichtes sanft und ohne zu knarren nieder.

Entgegen dem abgünstigen Urteil des Kirchdieners war die Orgel ein reiches uns liebliches Werk, mit Flöten- und Geigenstimmen, mit Gemshorn, Bassett, Quintentönen, Bordunbässen, Sordune, Gamba Schnarrwerk und Glockenspiel kunstvoll ausgestattet. Und Mozarts wählerische und wissende Finger schlugen die langen, ebenhölzernen und die kurzen weißbeinernen Tasten, und Süßmayer bediente auf das leise Geheiß des Meisters hin die Stimmzüge, und er koppelte und verstärkte und linderte das Geklänge, und jetzt riss er gar den Dulzian heraus, und die Orgel schalmeite schmelzend und unerhört süß, und das Pfarrvolk hatte sich drunten eingeschlichen und lauschte wunderbar betroffen dem fremden Orgler.

Das Spiel hüpfte leichtfüßig in drolligen Sechsachteln dahin, und die Glöcklein klingelten mit silbernem Gelächter drein.

»Ein Muttergottes-Menuett!« meinte Süßmayer.

Aber der Meister setzte gewaltiger ein. In kühnem Tonwandel baute er über sich einen Dom aus brausendem Klang, gewittergroß brach es hervor und doch in ernster Anmut gebunden, ein erhabenes Lob der Ewigkeit, eine grenzenlose Hingabe in den Willen der bestimmenden Weisheit, ein strahlender Gesang der Liebe, erbaut auf der schlichten Grundfeste der Weise, die unter den altertümlichen Linden draußen eben erschollen war, nur tausendfach veredelt und zu Geist erhöht. Und was der Meister spielte, war zugleich ein Torlied, den Eingang in das geliebte Böhmen zu feiern, und die breite, blonde Landschaft schwang ernteschwer darin, und Schicksal und Ahnung hielten sich schwesterlich umschlungen. Die Engel an der Chorbrüstung schienen mit Pauken und Trompeten, mit Celesta und Triangel in die mächtige Intrade einzudringen und in Wonne zu beben.

Löste sich nicht einer der geflüchteten Knaben dort von dem Goldaltar? Flatterte er nicht trunken durch den klangverklärten Raum zur Orgel herüber?

Mozart erhob sich und schloss den Deckel über der Tastung.

»Genug«, sagte er.

Der Mesner schlüfte daher. »Das heißt gespielt!« staunte er. »Das hat geglänzt wie der Turm von Pardubitz!«

Und dann bat er um ein bescheidenes Trinkgelt.

 

Im abendlichen Westen hing eine schmale, langgedehnte Wolke, eine brennende Nehrung vor der Unendlichkeit. Der Himmel färbte sich grün und rosig und grau. Schneller rannten die Pferde, sie witterten Rast und Raufe.

Aus den Wiesen stieg der Duft der Dämmerung, die Teiche erblassten, eine Glocke sang den Gruß des Engels Gabriel. Die Erde vergaß ihre Irdischheit und wandte sich den aufblühenden Gestirnen zu.

»Die Tage werden kürzer«, sagte Mozart halblaut. »Bald herbstet es, und der Reif hängt am Schlehdorn.«

Er versank in sich und träumte von den riesigen Orgeln Flanderns, die er als Kind gespielt hatte.

*

Sie stiegen in dem vornehmsten Gasthaus einer behaglichen und sauberen Landstadt ab, das den österreichischen Adler im Schild führte.

Ihr Hunger war gesegnet. Mozart ließ sich eilends eine Suppe mit Griesnockerln auftragen, ein echt böhmisches Essen, wie er behauptete, und eine Teller Veroneser Wurst und blühweises Brot dazu. Konstanze freute sich an einem mit Quark belegten und mit Rosinen gezierten Kuchen und zuckerte sich den Wein, der von dem Hügel Melnik stammte, wo der Moldaufluss an die Elbe prallt. Süßmayer aß eine einheimische Art mit Zwetschgenmus gefüllter Dalken, und er setzte sich so, dass er gleichzeitig das Treiben in der Küche beobachten konnte. »Die Kuchen backt man hierzulande fast so groß wie Pflugräder«, murmelte er, leckte sich den Rest der Latwerge säuberlich von den Lippen und bestellte ein egerisches Sauerbrunnwasser.

Am Stammtisch hatten sich die Ansehnlichkeiten des Ortes eingefunden. Es waren samt und sonders wohlerzogene Leute, der Würde ihrer Berufe und Geschäfte bewusst, und sie unterhielten sich halblaut über die großen Dinge, die Staat und Zeit betrafen.

Sonderlich führte ein verrosteter Rentamtsbeamter das Wort, und er sagte mit ziemlichem Ausdruck: »In wenigen Wochen wird Kaiser Leopold der vorausgeschickten Krone nachfolgen. Gewohnt, billige Wünsche der Völker, die seinen Händen anvertraut sind, zu achten, hat er eingewilligt, sich förmlich zum böhmischen König krönen zu lassen.« Er sprach dies so fließend, als lese er es aus der Prager Oberpostamtszeitung vor.

»Da wird ein Platzregen von goldenen Kreuzern, Ringen, Uhren und Tabaksdosen niedergehen«, lächelte der Apotheker.

»Natürlich nur auf die großen Herren«, sagte bissig und mit einem unwilligen Blick auf die Fremden der Kaufmann. »Uns Untere, das wirkliche Volk, lässt man zur Huldigung und Krönung gar nicht dazu.

 

Die Mozartischen Eheleute erhielten ein anheimelndes Schlafzimmer, das in chinesischer Art mit den Bildern fliegender Phönixe tapeziert war. Der Kapellmeister war damit zufrieden. Nur ein Kupferstich an der Wand, Jean Jacques Rousseau in armenischer Tracht darstellend, missfiel ihm. Er konnte diesen Vorreiter der französischen Empörung nicht leiden.

»Der Rousseau, der schlechte Mensch, und der Erzspitzbub Voltaire haben mit unserm Herrgott Schindluder getrieben«, murrte er. »Und darin besteht ihre ganze Berühmtheit.«

»Ach, lass das!« meinte Konstanze leichthin. »Viel wichtiger ist, dass die Kammer rein gehalten ist und wir kein Wanzenöl gebrauchen müssen.«

Sie saß schon im Alkoven am Rand des breiten Bettes und zog sich die winzigen Stöckelschuhe aus. »So hilf mir doch, Wolfgang!« rief sie weinerlich. »Oh, meine gemarterten Füße! Ich bin ganz zerbrochen von der Reise. Zwei Tage dauert sie schon!«

Mozart nahm den Sticke vom Nagel und lehnte ihn mit dem Gesicht an die Wand. »So, daher gehörst du!«

»Spring nicht so feindselig mit dem Bild um!« tadelte sie. »Der echte Christ soll nicht nur seine Feinde, sondern auch die Feinde Gottes lieben!«

»Das bring' ich nicht zusammen«, sagte er.

Sie rannte in Strümpfen, aus deren Löchern die rosigen Zehen quollen, im Zimmer auf und ab, riss einen Koffer auf, wühlte planlos in der Wäsche und warf dann Kleider und Schnürleib ab und ließ alles unordentlich auf dem Fußboden verstreut liegen.

Als sie ins Bett kroch, fragte sie: »Du, hörst du, wie viel Geld haben wir eigentlich mitgenommen?«

»Lass mich in Ruh!« erwiderte er. »Was versteh' ich vom Geld?!«

Gähnend gab sie sich mit dieser Antwort zufrieden.

»Bist du nicht müd'?« fragte sie weiter.

Er antwortete mit einem leise gesummten Lied, das sie noch nie gehört hatte, und dabei legte er sich auf dem schmalen Wandtischlein Tinte, Feder und Notenpapier zurecht. In den Leuchtern des darüber angebrachten Spiegels brannten zwei Wachslichte, in deren Gesellschaft wollte er die im Reisewagen entworfene Arie und einen Reitermarsch ausführen.

»Du willst heut noch schreiben?« sagte sie. »Lass es gehen! Und komm zu mir!«

»Du hast leicht reden«, murmelte er. Und schon knirschte die Gansfeder über das raue Papier.

Schmollend kehrte sie sich zur Mauer.

Nach einer Weile seufzte sie: »Und morgen Abend sind wir in Prag!«

»Ja, morgen leuchtet und der goldene Turmknopf von Sankt Veit«, sagte er, doch nur halb bei der Sache.

Sie richtete sich im Bett auf und blinzelte zu dem in seiner Arbeit versunkenen Mann hinüber und sagte unvermittelt: »Du, die Duschekin soll es mit dem Grafen Clam halten.«

Er zuckte zusammen. »Davon weiß ich nichts. Es geht mich auch nichts an. Und dich aus nicht.«

»Aber ihr Mann tut mir leid. Er ist ein feiner, angenehmer Herr.«

Mozart kratzte ungestüm ein Bündel Sechzehntelnoten hin und schwieg.

»Die Duschekin ist falsch«, begann Konstanze wieder. »Ich trau' ihr nicht.«

»Stanzel, sie ist ein anständiger Mensch. Alleweil hat sie mir gut wollen. Wie die Wiener mich haben fallen lassen, hat sie in Prag alles darangesetzt, mich dort hochzubringen. Und dass der ›Don Giovanni‹ so durchgeschlagen hat, das verdank' ich zum größten Teil ihr.«

»Sooo? Bisher hab' ich geglaubt, den ›Don Giovanni‹ hast du geschrieben und nicht sie!«

»Das ist richtig«, sagte er kurz und arbeitete weiter.

Wieder nach einer geräumigen Weile – er hatte gehofft, sie schliefe schon – fing sie an: »Lieber wär' es mir, wir wohnten in Prag in der Nähe des Theaters, als draußen vor den Toren in der Duschekischen Einsiedelei!«

»Warum? Es ist doch so schön und so still in dem Schlössel Bertramka! Und ich brauch' vor allem Ruhe zu meiner Arbeit.«

»Die Bertramka liegt aber ziemlich abseits. Es ist nicht angenehm in der Nacht, so weit hinaus zu gehen. Und dann die kühle Nachtluft! Du kränkelst. Dass sich dein Zustand nur nicht verschlimmert!«

»Sei ohne Sorgen! Freund Duschek hat Rösser und eine Kalesche. Übrigens können wir uns manchmal auch eine Lohnkutsche gönnen. Ich krieg' ja zweihundert Dukaten für den ›Titus‹ .«

Konstanze zeichnete gereizt in der Luft die Umrisse der Fabelvögel an der Tapete nach. »Der sächsische Kurfürst hat die Duschekin malen lassen und ihr dann das Bild geschenkt«, sagte sie. »Es soll einen sehr teuern Rahmen haben. Der Anton Graff hat sie gemalt. Er soll ihr sehr geschmeichelt haben.«

»Ich kenn' das Bild nicht. Aber, zum Teufel, woher weißt du das alles so genau?«

»Warum hat ihr der Kurfürst das teure Geschenk gemacht?« lauerte Konstanze.

»Das ist ganz leicht zu beantworten. Er hat sie erfreuen wollen. Wie ja auch sie die Welt mit ihrem schönen Gesang erfreut.«

»Hast du ihr nicht auch einmal etwas geschenkt, Wolfgang?«

»Was fragst du mich? Du weißt es ja. Jawohl, ein Lied hab' ich ihr gewidmet. Es ist schon ziemlich lange her.«

»Ich weiß es, Wolfgang. Das Lied heißt: ›Bella mia fiamma, addio!‹ Meine schöne Flamme, leb wohl! Für mich hast du noch nie eine so brennende Arie geschrieben.«

»Du bist ja keine Sängerin.«

»Aha, du hast die Arie also nur für ihre Kehle geschrieben, nicht für ihr Herz? Aber einen Ring trägt sie von dir. Und du wirst sie wieder wie eine Göttin behandeln.«

»Schau, schau! Eifersüchtig!« lachte er grimmig. »Lauter Tratscherei, weißt du!«

»So schrei doch nicht so laut! Nebenan schlafen doch auch Leut'. Du regst dich ganz unnötig auf. Ich begreif' dich nicht.«

»Ich schrei' nicht. Du schreist. Du regst dich auf. Und ist alles doch nur Tratsch, Tratsch, Tratsch. Die Josepha Duschek, deren bewährte Freundschaft ich sehr hoch schätze, ist nicht nur eine sehr schöne, sondern auch eine sehr hochgesinnte Frau. Und sie ist eine große Künstlerin. Was die neidische Welt hinter ihr zischelt, das geht mich nichts an. Übrigens hat ein jeder Mensch seine Fehler.«

Sie maß ihn mit stolzem Blick. »Aha, jetzt willst du mir vorwerfen, dass ich mir einmal von einem jungen Mann hab' die Waden messen lassen. Aber das ist in Gesellschaft geschehen. In einer anständigen Gesellschaft. Und damals bin ich noch nicht deine Frau gewesen.«

»Ich hab' dich jetzt daran erinnern wollen. Aber im Brautstand bist du damals schon gewesen.«

»Ich weiß, an dieser unglücklichen Sache wirst du dein Lebtag zehren und mich damit niederhalten wollen. Und ich werde still sein müssen, wenn du dich in Prag mit deinen Sängerinne wie mit einem Serail umgibst.«

»Das will ich auch tun!« rief er, erbost über ihre Eifersucht. »Es ist schon spät, Madame. Wollen wir das Duettino nicht schließen?«

Sie schwieg trotzig.

Und auch er starrte vertrotzt und untätig auf das Papier. Alle Lust zum Schaffen hatte sie ihm genommen, die Flügel hatte sie ihm wieder einmal gerupft, die ihm emporheben wollten in das schmerzlich-süße Reich seiner Kunst. Er saß stumpf.

Eine Turmuhr schlug unendlich langsam und kündete die zehnte Stunde. Ein Wächter blies träg sein Horn. In diesem Ort ging alles gemächlich vonstatten. Man schien hier über eine Ewigkeit zu verfügen.

Ich soll eilen und tue nichts, dachte Mozart trüb.

Da meldete sich von der Bettnische her ein tiefer, friedlicher Atem. Konstanze schlief. Gott sei es geflötet und gepaukt! Ihr Herz war also nicht verletzt. Morgen wird sie vergessen haben und wieder lachen. Dank dir, lieber Gott, dass du ihr ein so frohes, unbefangenes, blitzschnell verzeihendes Gemüt geschenkt hast! Neben ihr lässt es sich lustig leben. Welche andere würde zu mit grillenhaftem Künstler so gut passen wie sie?

Gerührt schlich er zu der Schlafenden hin und betrachtete sie. Sie lag im Halblicht, das zierliche Köpflein von einer zarten Spitzenhaube umrahmt, das Gesicht im Traum aufgelöst, unschuldig, freundlich und hübsch.

»Die Mutter meiner Kinder!« flüsterte er dankbar. »Ach, manchmal tut sie mir recht leid!«

Er zeichnete segnend drei Kreuze über sie.

Dann flüsterte er verliebt: »Mein Gloriett!«

In dieser Nacht schrieb er lange. Wundervolle Klangfolgen schwebten durch seine schenkend geöffnete, friedevolle Seele.

Um Mitternacht wurde er aufgestört. Er sah zum Fenster auf den Marktplatz hinunter. Drunten am Brunnen versammelten sich die Wächter und fingen ein frommes böhmisches Lied an. Es waren vier sangeslustige Männer, und sie wussten die Stimmen wirkungsvoll zu teilen. Einer schlug mit dem Spieß den Takt, und sein Hund heulte ergriffen auf. Vom Kirchturm blinzelte ein zages, gelbes Lichtlein, der Türmer droben hielt die Feuerwacht. Und über dem Ganzen hing der Mond gleich einem altsilbernen Apfel.

Spät löschte Mozart die tief herab geschmolzenen Kerzen. Seine Stirn war heiß vom nächtlichen Schaffen.

Er legte sich behutsam an die Seite seines Weibes, sie nicht zu wecken. Einen ganz zarten Kuss hauchte er auf ihre Hand. Wie sorglos sie atmete, die Leichtherzige! Sie war noch so jung und hatte ihm doch schon sechs Kinder geboren. Zwei davon lebten. Zwei Knaben.

Sein Herz verdüsterte sich, alle Lebensnot, all sein bittere, nutzloser Kampf fiel ihm wieder ein. »Nein!« knirschte er. »Meine Buben dürfen keine Musikanten werden! Sie sollen einmal als Beamte, als Kaufleute oder Geistliche ihr gesichertes Brot haben. Ich will es verhindern, dass sie je eine Geige, eine Taste angreifen!«

Er horchte hoch. Klang es nicht gedämpft durch das schlafende Haus? Aus einem Dachstübchen hernieder? Ein Spinettino war es. Es untermalte die Stimme des Mannes.

Es klang: »Non piu andrai.«

»Hallo, da singt einer aus meinem ›Figaro'!« lächelte Mozart.

Bis in dieses weltverlassene böhmische Nest stieß seine Musik vor. Sie klang über die ganze Erde und entzückte jeden, der ein Menschenherz in sich trug. Vielleicht drang sie auch durch das Gewimmel der Sterne und beglückte Gott.

Mit heiteren Gefühlen schlief Mozart ein.

Und der holde Dämon erhob sich in seinem Traum und wirkte weiter an dem ewigen Teppich seiner Klänge.

*

Nichts Mautbares?« forschte der Zöllner am Rosstor zu Prag.

Mozart hielt ihm mutwillig eine Notenrolle hin.

Süßmayer sagte laut und stolz: »Wir sind die Kompositoren der Krönungsoper!«

Der Wagen rollte den abhängigen Rossmarkt hinunter.

»Der Kleine, Schmächtige also ist der Mozart gewesen«, brummte der Torschreiber. »Der steckt in keiner gesunden Haut.«

Die drei fuhren über das höckerige Pflaster der verwitterten, verrußten Altstadt: Mozart schweigsam in der Erinnerung an Tage höchsten Künstlererfolges, Konstanze lernlustig die geputzten Frauen musternd und sich mit ihnen vergleichend; Süßmayer aber enttäuscht, denn er hatte sich die legendäre Stadt in ein alpenhaft zerrissenes Weingebirge gebettet vorgestellt. Er fing erst zu staunen an, als die Kalesche vor der Moldau anlangte.

Hier hielten ritterliche Türme Wacht vor der steinernen Riesin, der Königin aller Brücken, die in felsenhaften Bogen von Ufer zu Ufer über den breiten, schwer ziehenden Strom Böhmens wölbte. Laubige Inseln ruhten im Arm der Moldau. Und jenseits über grünrostiger Kuppel und spitzigen Kirchtürmen und dunkeln Dächern stieg beherrschend die weitläufige Burg Hradschin mit dem steilen Dom auf, und darüber schwamm weich und bräunlich das Abendgewölk.

Mozart wies auf die Brücke. »Das ist ein immerwährendes Werk«, sagte er so stolz, als habe er diesen wuchtigen Steinbau mit eigener Hand aufgerichtet.

Von der Brüstung der Brücke starrten wetterdunkle Gruppen von Heiligen mit wehenden Gewändern nieder. Die Muttergottes blühte aus einer Wolkensäule, und die Flammender Verklärung züngelten wie Goldschwerter von ihr aus; Thomas der Aquiner hielt kniend ein steinernes Buch zu ihr empor, darein die Lettern gehauen standen: »Bene seripsisti!« Du bist gut geschrieben!

Jäh ergriffen ahmte Mozart die Gebärde des Heiligen nach, er hob flehend die Rolle, darin die Anfänge der neuen Oper aufgezeichnet waren, zu der Himmlischen auf und ließ sie demütig wieder sinken.

Dann ragte der ausgespannte Christus in der Verlassenheit seines Sterbens. Zu Füßen des Kreuzes am Gipfel Golgatha spreizte ein Rabe die Flügel, ein Schwert im Schnabel führend, und eine Schlange umringelte gräulich einen Totenschädel.

Mozart bekreuzte sich. Er dachte: In den Tagen, da man den König krönt, sollte man dem Heiland dort den Dorn von den Schläfen nehmen!

Sie fuhren langsam die Allee der steinernen Bilder entlang. Da hielt der Lilienmann Sankt Joseph bedachtsam das Kind; da graute die heilige Selbtritt, das Töchterlein Maria mit drei Rosen in der Hand; Franz Xaver bäumte das Kreuz hoch, federngeschmückte Heiden trugen ihn, ein Japonese, ein Mohr, ein Indianer; auf lorbeerumkränzter Erdkugel prangte hochmütig der Jesuit Ignatius, die vier Weltteile, die sein Gedanke erobert hatte, umgaben ihn in der Gestalt gewaltiger Frauen, und Tierhäupter aller Gebreiten, Elefant, Löwe, Rind und Kamel, brachen aus dem Stein; auf die Leiber schmerzlich gekrümmter Ketzer tretend, schwang Sankt Norbert die Monstranz, und ein Englein flatterte wie ein neckischer Schmetterling um sein Haupt. Der Domherr Johannes Nepomuk war mit Kreuz und Palmzweig bewaffnet, fünf Sterne schwebten um sein Barett.

»Da hat König Wenzel der Wütende von seinen Henkern den heiligen Mann ins Wasser stoßen lassen, weil er so standhaft das Beichtgeheimnis verfochten hat«, erzählte Mozart. »Aber komm, Xaver, und lass uns den Rest der Brücke zu Fuß gehen! Es ist gar schön da.«

Die zwei Männer stiegen aus dem Wagen und beugten sich über die Brüstung und sahen drunten das Wasser an den breiten Pfeilern rauschend sich brechen.

Man baute eben an einer Schiffbrücke: den allzu lebhaften Verkehr an dem nahen Fest voraussehend, wollte man damit die alte Steinerne entlasten. Das Wehr murrt mild, und Flößer glitten darüber, und das Wasser schäumte ihnen bis ans Knie. Geräumige Plätten förderten Pferde und Fuhrwerke über den Strom. Am Gestade warfen Fischer ihre Angeln aus.

»Was sagen Sie zu dem Dom dort droben?« fragte Süßmayer.

Die Gotteshäuser der Gotik, in deren steilen Bau Ordnung und Wirrsal sich wunderlich umschlangen, waren Mozarts Empfinden fremd, sie erinnerten ihn an zerrissene Berge mit wüsten Riffen und unterspülten Felsen; ihm behagte mehr die buhlerisch anmutige, spielerisch mühelose Bauart, die, aus Frankreich hergeweht, zum Prunk der Welt, zum Fest der Menschheit ersonnen zu sein schien.

Uns so sagte er: »Ich versteh' das altmodische Geschnörkel wirklich nicht. Alles strebt in allzu heftiger, ja in übertriebener Wut aufwärts. Der Zierat ist mir zu hitzig, zu aufgepeitscht, zu schlecht geordnet. Schau nur hin! der Dom ist nicht fertig. die eigenen Bauleute haben die Lust daran verloren und sind davongelaufen.«

Ein Fremder, der neben ihnen in den Strom hinab gestarrt hatte, mischte sich ungestüm ins Gespräch. »Meine Herren, der Dom ist sehr schön und klar gegliedert. Sein Stein will in die Höhe, er ist von diesem Willen besessen, er flammt, brandet und wirft sich voller Kraft aufwärts. Dieser große Domleib ist geflügelt, ist unsinnlich, ist geistig wie Musik. Dieser Dom ist ein Felsenzeuge der wahren deutschen Seele. Was verstehen die kleinen Geister davon?«

Der also leidenschaftlich sich des gotischen Gebäudes annahm, war ein stattlicher Mann mit schroffer Nase, tiefglühenden Augen und einer Blatternarbe auf der breiten, vom Schlapphut halb beschatteten Stirn. Ungepudert rollte ihm das lange Haar auf die Schultern nieder. Er stemmte seinen Knotenstock ins Pflaster uns stützte sich darauf.

Die freimütige Belehrung kränkte Mozart. »Sie haben recht«, sagte er. »Was versteh' ich von der Baumeisterei?! Mein Vater hat mich nichts anderes lernen lassen als fiedeln und klimpern.«

»Herr Soundso«, ermannte sich nun auch Süßmayer, »wenn Sie wüssten, wen Sie vor sich haben, würden Sie sich geziemender benehmen.«

Der Fremde fragte spöttische: »Mit wem habe ich die Ehre?«

Der Schüler stellte stolz die Hand in die Hüfte: »Ich bin Süßmayer, der Mitarbeiter des berühmten Mozart, und da ist der Meister selber.«

Der Fremde verneigte sich höhnische. »Ihr unterwürfigster Diener, Herr von Süßmayer!«

Er betrachtete den Kapellmeister. »So also schaut Mozart aus? Etwas klein. Und ich habe Sie mir immer als Ungeheuer, mindestens so groß wie den Dom dort droben, vorgestellt. Gut, dass ich Sie treff! Ich frage Sie: Warum komponieren Sie bei Ihrer unstreitig gewaltigen Kunst so ein römisches Gerümpelwerk wie den ›Titus‹ ? Diesen abgeschmackten, ausgeleierten Galimathias des faden Skirblers Metastasio? Gewiss ist es eine Kastratenoper. Die Männer singen höher als die Weiber. Die Männer trillern! Pfui! Und dieser welschen Kapaunerei wird Deutschland wieder zujubeln!«

»Reden Sie höflicher mit uns!« unterbrach ihn Süßmayer.

»Nehmen Sie eine Dolchspitze voller Rattengift zu sich, Herr Mitarbeiter, das beruhigt Sie!« erwiderte der Fremde grob. »Und Sie, Herr Mozart, ich bitte, nehmen Sie mich als den, der ich bin, als den Wilden, den Irokesen! Ich verachte die Verkünstelungen unserer Zeit, die das Gebüsch im Garten zu einer traurigen Hämlingshorde verschneidet und die immer noch so zimperlich und zierlich fühlen will, wie man es vor hundert Jahren gepflogen hat. Die Welt ist kein Hirtenspiel mehr. Denken Sie an den Umsturz in Paris! Wir werden noch unsere Wunder erleben. Diese Welt aus Seide, Puder, Schminke, Zopf und Porzellan wird in Scherben gehen, weggefegt wird das geckische Wortgekräusel unserer Gesellschaft werden, weggefegt diese Natur, deren Unschuld erlogen ist!«

»Warum predigen Sie das mir?« fragte Mozart betreten.

»Weil auch Sie schuld an diesen Zuständen sind. Und weil auch Sie die Welt mit dem Verstand retten wollen. Sie denken sich alles so leicht wie in einer Oper. Einer pfeift die Schalmei, und sofort brechen die schaurigen und bedrohlichen Pappendeckelfelsen zusammen und versinken, die unholden Drachen fliehen, die Bösewichter kriechen gebessert zu Kreuz, ein harmloses Ländlein Arkadien mit niedlichen Hügeln und einem blökenden Lämmlein darauf taucht auf, und Männlein und Weiblein fassen sich zu einem Ringelreihen an den Fingern, und der liebe Gott klatscht beifällig in die Hände. Nein, Herr Kapellmeister, auch Ihre schönen Geigen und Bratschen helfen nichts. Sie und die Heerscharen, zu denen Sie gehören, tanzen das letzte Menuett. Leben Sie wohl! Ich verlasse das schiffbrüchige Europa und ziehe mich in die Bengalei zu den Tigern zurück.«

Er stapfte ohne Gruß davon.

»Ein ungepolsterter Kerl! Ein Deutschtümer!« schalt Süßmayer.

»Eine spitzbogige Seele!« meinte Mozart. »Gewiss, ein Narr! Aber ein sinnreicher! Es ist, als wüsst' er etwas von meiner ›Zauberflöte'. Er hat mich unruhig gemacht.«

»Kennen Sie den dort mit den hohen Stiefeln und dem breiten Überfallkragen?« fragte Süßmayer einen bürgerlich aussehenden Mann, der dem Gespräch zugehorcht hatte.

»Freilich. Das ist der Freiherr Karl von Freienturn.«

»Ein wenig verrückt, nicht wahr?«

»Schon möglich«, schmunzelte der Mann. »Obzwar man von dem früheren Verlauf seines Lebens in Prag hier wenig weiß. Er ist viel auf Reisen gewesen. Im vergangenen Jahr hat er mit dem Zusammenbruch der Amsterdamer Bank den größten Teil seines Vermögens verloren.«

»Der Herr Baron wird auch den Rest seines Reichtums nicht halten«, sagte Süßmayer prophetisch.

»Schon möglich, Herr. Zur Leichenfeier seines Vaters hat er aus dem Brunnen seines Erbschlosses Tinte rinnen lassen.«

»Da haben wir es ja«, frohlockte Süßmayer.

Dunkler glitt der Fluss unter den Jochen hin. Es dämmerte. Die Steinbilder schienen sich leidenschaftlicher zu biegen und abenteuerlichere Dinge zu unternehmen als der heilige Vinzenz, der eine Leiche aus dem Sarg schreckte und einen Besessenen beschwor, oder Prokopius, der den Satan niedertrat. Und Judas Thaddäus lauerte mit der Keule auf seinem Sims wie ein Brückenräuber, Augustinus hielt sein brennendes Herz in der Hand, der Heiland griff vom Martergerüst nieder nach der Nonne Luitgardis, Sankt Veit ließ sich den Fuß von einem hässlichen Löwen lecken, und gefangene Christen rangen vergebens die Hände aus der Kerkergrube, die ein grausamer Türke mit seinem Bluthund bewachte.

Hinter dem Bogen der Kleinseiter Brückentürme gesellten sich die beiden Männer wieder zu Konstanze in die wartende Kutsche.

Doch wurde Süßmayer bald am dritten Malteserplatz vor einem grellgelben Haus abgesetzt, darauf das Bild eines ungetümen Walfisches gemalt war, aus dessen Rachen noch die Füße des jüdischen Sehers Jonas ragten. Frau Duschek hatte dem jungen Mann hier bei der Witwe Barbara Wawrousch ein Obdach und ein sauberes weißes Bett gemietet.

Mozart und Konstanze aber fuhren durch das Aujezder Tor wieder aus der Stadt ins freie Land hinaus. Rückgewandt sahen sie die Brotmauer Kaiser Karls aus dem Grün des felsigen Laurenziberges grauen und darunter die Festungswerke Prags, und dann reisten sie an dem vergeuderisch angelegten, sommerlich duftenden Gräflich Buquoischen Park und den spärlichen Wirtschaften des Dorfes Smichow vorüber. Herden wurden heimgetrieben, und im Zwielicht schimmerte das Fell einer weißen Kuh. Und dann zweigt die Kalesche von der Pilsner Straße ab und fuhr über Bach und Brücklein eine dichtbelaubte Kastanienreihe aufwärts und hielt endlich vor dem Tor einer Mauer, die Haus und Gehöft Bertramka umfriedete.

Als Mozart das freundliche, im Abend versinkende, erinnerunggeweihte Schlösslein wiedersah, übermannte ihn das Gefühl warmer Dankbarkeit. Er winkte zu den grünverhüllten Gesimsen, zu den weinumarmten Fenstern hinauf, daraus schon ein feiner goldener Lichtschein fiel. Dort droben hatte er seinen ›Don Giovanni‹ vollendet.

Josepha Duschek, die Hausfrau selber, öffnete mit einem Freudenschrei das Tor. Sie leuchtete die Gäste mit einem silbernen Dreifaltigkeitsleuchter an, daran hohe Kerzen mit ihren flackernden Lichtseelen wipfelten.

Entzückt rief sie ihren Gatten. »Franz! Franz! So komm doch! Er ist da! Sie sind da!«

Die Kalesche fuhr in den Hof ein, der von Haus, Wirtschaftsgebäude und einem dunkelnden Garten umgeben war.

Mit steifen Gliedern aus dem Wagen kriechend, rief Konstanze: »Schau mich nicht an, Josepha, ich bitt' dich! Ich bin ganz zerrupft und staubig. Drei Tage im Wagen! Oh, schrecklich!«

»Aber du lebst noch«, lachte Josepha und hielt ihr die offenen Arme entgegen.

An ihren Fingern funkelte es. Einer der Ringe, der dünne Goldreif mit den vier in Stein geschnittenen Engelsköpfen, war Mozarts Geschenk. Oh, Konstanze sah scharf, sie hatte den Blick eines jagenden Habichts.

Mit wütender Gebärde umarmte sie die Sängerin.

»O weh, das schmerzt ja!« klagte Josepha. »Welches Feuer hat Mozarts Frau!«

Franz Duschek eilte die Treppe herunter, so schnell es sein hinkendes Bein zuließ. »Endlich, endlich!« rief er.

»Wie geht es deinen Kindern, Konstanze?« fragte Josepha.

»Halt mich nicht für eine gewissenlose Mutter, weil ich die Kleinen verlassen hab'! Aber ich kann doch den kranken Mann nicht allein so weit reisen lassen!« flüsterte Frau Mozart.

»Steht es um ihn denn gar so schlimm, wie man gehört hat?«

Aber schon kam der Kapellmeister selber und küsste seiner schönen Wirtin die Hand. Sie war stattlicher und größer und von vornehmerer Gestalt als Konstanze. Seit er ihr das letzte Mal begegnet war, war sie fraulicher und voller geworden.

Auch sie forschte ihn an. Sie erschrak vor seinem blassen, verfallenen Gesicht. Sie wollte etwas Banges reden, unterdrückte es aber und brachte nur hervor: »Kommt, kommt und ruht euch aus! Die Reise hat euch hergenommen.«

Franz Duschek umarmte den Freund wie ein Vater den lange entbehrten Sohn. Er war ein Künstler mit seinen weltmännischen Formen, die er sich im Verkehr mit dem böhmischen Hochadel angeeignet hatte, dessen geliebter Klavierlehrer er war.

Das Gepäck der Sorge einer jungen Magd überlassend, stiegen sie die Vortreppe hinauf, die sich vom Laubengang her in zwei Armen öffnete, als könne sie sich nicht genugtun im Empfang von Gästen.

»Uns hungert!« lärmte Mozart fröhlich. »Kriegen wir Gefrorenes mit Jasminkrapfen? Oder ein Kapaundel mit einem scharfen Semmelkren, der wie ein gezuckertes Fegfeuer brennt? Oder einen kalten Prager Schinken und gebackene Seifenblasen dazu?«

Lachend verschwanden die Frauen in den Zimmern.

»Hast du die Oper schon angefangen?« fragte Duschek.

»Ihr Prager habt sie weidlich spät bestellt, ich muss jetzt Hals über Kopf daran schreiben. Die Arbeit an der ›Zauberflöte' hab' ich unterbrechen müssen. Aber was macht euer Weinberg?«

»Die Rebe wird heuer ganz ergiebig. Doch dass ich nicht vergesse, der Direktor Guardsoni hat dir heute schon nachfragen lassen.«

»Ach, diese Titusoper! Sie ist eine bestellte Ware. Sie lenkt mich ab, der Kunst so zu dienen, wie ich gern wollte. Das Herz ist nicht ganz dabei. Doch was nutzt es? Ich muss als kaiserlich-königlicher Vergnügungsmeister tun, was mir angeschafft wird. Und ich muss verdienen. Ich hab' zwei Kinder, die wollen essen und im Winter eine geheizte Stube haben. Eh ich alt werde, muss ich mein Schäfchen ins Grüne gebracht haben.«

Duschek tröstete: »Du wirst dich schon in die Oper finden und deine Lust daran haben. Der Beginn eines Kunstwerkes ist gewöhnlich mit dunkelm Widerstand geladen.«

»Man wünscht von mir eine ernste Oper mit einer Hof- und Staatsaktion. In meinen jungen Jahren hätte mich eine solche Sache sehr gefreut, aber jetzt hat sich mein Geschmack geändert. Bestellte Ware! Und die Kunst ist doch etwas, was Gottes Tat in den sechs Urtagen ähnelt, etwas Einmaliges, Neues, aus dem Nichts gerissen, aus sich selber flammend. Ich muss jetzt eine ungeliebte Arbeit tun, ein bloßes Prunk- und Schaustück schreiben, und nicht für die Menschheit, sondern nur für die Küche eines hochmögenden Herrn.«

»Zum Vergnügen des erhabenen Hauptes unseres Staates!« erinnerte Duschek den unwilligen Künstler.

Sie traten in die für die Gäste bestimmten und diesen schon von früher her vertrauten beiden Zimmer.

In dem einen stand das Spinett auf seinen schlanken drei Beinen und harrte wie ein gezähmtes Reh. An den Wänden waren noch die grünen Tapeten mit den roten Rosen und den blauen Winden, und Mozarts bezopfter Kopf hing dort, als Schattenriss auf Elfenbein gemalt. Wachslichter schimmerten. Auf dem marmorumrahmten Kamin schwätzte eine leichtfertige alabasterne Säulenuhr. Blumen waren von einem edeln Krug umfasst, und ihr Duft erfüllte den festlichen Raum.

Gerührt lief der Kapellmeister die Zimmer auf und ab. Es war hier so heimwohnlich. Und in diesen Räumen, an jenem Tisch dort, hatte er Tage seligster Schaffenseinsamkeit genossen und die unbeschreibliche Freude über in glücklich sich rundendes, unsterbliches Werk. Hier sollte auch sein ›Titus‹ wachsen und reifen. Gott, segne noch einmal mit deiner Gnade dieses Obdach!

In den Spiegeln, die zwischen den Fenstern in die Wand eingelassen waren, wanderte Mozarts schmales, blasses Abbild mit. Von seiner Unruhe aus dem Schlaf geschreckt, flatterte ein kanarisches Zeislein ängstlich im Bauer auf.

Er öffnete der milden Nachtluft das Fenster. Er hörte, wie die Kutsche, die nach Prag zurückfuhr, in der Ferne verrollte. Er war glücklich.

Konstanze ordnet sich vor dem Spiegel flüchtig das Haar. »Schlampig bin ich frisiert wie das Schoßhündel der Frau von Trattner«, jammerte sie.

Josepha Duschek stand neben ihr, und plötzlich sahen die beiden ihre Bilder nebeneinander in der klaren Scheibe: Konstanze, abgespannt, die Wangen entfärbt und etwas verfallen, das Näslein schnippisch, die Augen vor Müdheit verkniffen, den Mund leise verunstaltet von einem Zug frauenhaften Neides, den Hals mager, das Kleid billig und verknittert, und daneben Josepha, wie zu einem hohen Fest geschmückt, Perlen um den edeln Nacken, die Augen groß, dunkelfeurig und klug, die Nase schmal und gerade, den Mund schwellend üppig, das volle Kinn voll lockender Anmut, das gewellte Haar auf die gebieterischen Schultern niederfließend, die stolze Gestalt beherrscht und doch die Erregung über die Ankunft des berühmten Freundes nicht verhehlend. Eine Weltdame auf dem Gipfel ihrer Schönheit.

Ein fast körperlicher Schmerz stieß Konstanze von dem Spiegel zurück. Sie hob die Nase in niederträchtigem Hochmut. »Josepha, diese Perlen hab' ich noch nie an dir gesehen«, zischte sie. »Sie sind wohl auch ein Geschenk aus Dresden?«

Die Sängerin fühlte den Giftstachel dieser Frage. »Es ist ein alter Erbschmuck, er stammt von der Großmutter«, sagte sie herb. »Doch jetzt lassen wir euch eine Weile allein. In einer halben Stunde läuten wir zum Nachtmahl.«

Als sich das Ehepaar Duschek entfernt hatte, begann Mozart traurig: »Stanzel, Stanzel, wie benimmst du dich gegen unsere guten Freunde?«

»Wie abgefeimt frisiert diese Frau ist!« erwiderte sie erbost. »Sie kann leicht schöner sein als ich. Sechs Kinder hab' ich gebären müssen. Sie hat keins. Sie braucht nichts zu tun, als sich zu pflegen. Ihr geht es besser als mir, sie hat alles und kann sich alles gönnen. Wie ungleich ist die Welt verteilt!«

»Stanzel, auf etwas mehr oder weniger Schönheit kommt es bei einer verheirateten Frau ja gar nicht an. Gütig sein, das ist am wichtigsten.«

»Du gestehst also, dass sie viel schöner ist als ich? Oh, ich Unglücksfrau!« sagte sie weinerlich. »Wenn ich einmal sterbe, du vergönnst mir den Himmel von Herzen.«

»Was plauscht du da zusammen? Sei doch nicht kindisch!« suchte er sie zu beruhigen.

»Lass mich, lass mich!« schrie sie und warf sich auf einen Sessel, die Hände vor das erzürnte Gesicht legend.

»Langsam, Konstanze! Nicht so wild! Du schlägst der Pauke ein Loch!«

»Ich bin wie abgeschlagen! Lass mich gehen, oder ich stelle was an, was mich nachher reuen wird! Oh, am liebsten wär' ich wieder daheim in der Rauensteingasse in unserm Elend!«

»Stanzel, so nimm doch Rücksicht! Du machst mich mit deinem unbändigen Wesen ganz wirbelig.«

»Du bist die Unruh! Du richtest mich zugrund! Alleweil zuckst du mit dem Gesicht. Keine andere Frau würde es bei dir aushalten. Warum hab' ich dich geheiratet? Ich hätt' einen älteren, gesetzteren Mann nehmen sollen, einen wie den Franz Duschek!«

Er küsste sie auf die gerümpfte Stirn, ihren Ungestüm zu stillen.

Aber sie wehrte sich. »Behalt dir deine oberflächlichen, mitleidigen Küsse! Behalt sie dir! Ich brauch' sie nicht.«

Da ergrimmte er. »Zum Teufel! In der Stimmung, darein du einen bringst, kann man nicht küssen wie ein brennender Liebhaber. Ich bin ein abgeplagter, gequälter Mensch!«

»Wärst du nur mit Josepha allein, gleich würdest du glühen wie ein Schürhaken, den man ins Feuer legt. Aber weh dir, wenn ich dich mit ihr erwische! Ich würde sie auf Pistolen fordern!«

»Aber Stanzel, du bist doch sonst nicht so eifersüchtig!«

»Aber auf die Duschekin! Wenn die ihre falschen Krallen nach einem Mann ausstreckt, so gehört er ihr mit Haut und Haar.«

Er sagte nun in eindringlichem Schmerz: »Was treibst du denn mit mir? Schau, ich bin heut so froh! Alles in dem Haus da erinnert mich an eine wunderbare Zeit und ermutigt mich für die Zukunft. Unter dem Dach da soll ich die neue Oper schreiben. Stanzel, sie so lieb, halt dich zurück und kränke Josepha nimmer! Sie verdient es nicht. Und gedulde dich mit mir! Ich weiß ja, unsere Ehe ist ein bisslein stürmisch, und ich bin schuld daran. Aber sie wird stiller sein, wenn wir zwei Hitzköpfe älter sein werden. Sie wird glücklich sein im Abendrot.«

Ihr vertrotztes Gesicht sänftigte sich leise.

»Was für einen Unsinn bildest du dir ein?!« fuhr er heiterer fort. »Wenn du nicht gleich lustiger dreinschaust, du Bagatellerl, so zieh' ich dich an deines spitzigen Nase!« Und er griff ihr unter die Achseln, sie zu kitzeln.

Versöhnt packte sie seinen Zopf und lachte: »O du salzburgischer Hanswurst du!«

Und sie richtete sich entschlossen auf. »Und just mach' ich mit jetzt so schön, wie ich noch nie gewesen bin!«

 

Wie Hochzeiter geschmückt, schwebten die zwei Gäste in das Esszimmer. Er trug einen grünen Seidenfrack und eine reichgestickte, lichte Weste, und sie sah verführerisch aus und trug Rosen an der Brust und eine Silberpfeil in dem dunkeln, kunstvoll getürmten Haar.

Das geräumige Zimmer, darin sich das gesellige Leben des Hauses abspielte, hatte weiße, mit duftigen Kreidemalereine behangene Wände, an der Decke waren Fruchtkränze aus Stuck angebracht, und ein kostbarer Kronleuchter hing nieder, mit Kerzen reich besteckt, im Schmuckschrank blinkten Silber und Porzellan meißnerischer und chinesischer Herkunft, kleine Kunsterzbilder funkelten auf den Wandtischlein, der Spind war gefüllt mit dichterischen Büchern und Weltweisheitswerken. Eine Flügeltür war in den Garten aufgetan.

»Wir wohnen hier Wand an Wand mit der Natur«, sagte Duschek, »und auch unseren Tieren wollen wir nahe sein. Weißt du noch, Wolfgang, dass unter und im Haus der Pferde- und der Kuhstall eingebaut sind?«

Mozart bewunderte das lebensgroß und in schwärmerischen Farben gemalte Bildnis Josephas. Jener Geist gelassenen Seelenadels schwebte darum, der diese Freu auch im Leben umgab, und es war zu erkennen, mit welcher Lust der Meister Anton Graff seiner angenehmen Aufgabe sich gewidmet hatte.

Der Tisch war reich gedeckt, und Mozart sprach den Speisen eifrig zu und war voll des Lobes über die Prager Küche. Konstanze aber aß spärlich und war sehr einsilbig.

»Wie werden heut ausgezeichnet schlafen«, sagte Duschek zu ihr.

Sie streifte mit flüchtigem Blick das Bildnis der schönen Sängerin. »Mich schmerzt der Kopf«, seufzte sie.

»Morgen ist alle wieder in Ordnung. Und wenn nicht, so schicken wir Sie ins Kuchelbad. Wir bringen Sie in einem Kahn hin. Das Bad ist gut gegen Kopfleiden. Freilich ...«, lächelte Duschek, »soll es auch die Fruchtbarkeit der Frauen bewirken.«

»Ich danke, ich danke!« winkte sie hastig ab. »Bei uns besorgt das Wolfgang selber. Und für heuer hab' ich schon genug davon.«

Sie griff nach den Händen des Gatten, sie zu fesseln, zu beruhigen und zu tadeln, denn sie zerbröselten eben gedankenlos ein Stück Kuchen.

Eine Katze schlich zur Gartentür herein und sprang ohne weitere Umstände sofort Mozart auf den Schoß. Sie war ein prachtvolles, graues, großhäuptiges Tier mit wildkatzenhaft buschigem Schwanz und überaus milden, goldenen Augen.

»Willst du herunter, Kleopatra!« schalt Duschek. »Willst du herunter, du lästiger Kater!«

»Er spürt, dass ich allem Viehzeug wohlgeneigt bin«, sagte der Kapellmeister und strich über den flaumweichen Pelz des Tieres und kraulte es hinter den Ohren, und es ließ träg und huldvoll den Schmeichler gewähren. »Doch warum hat der Kater einen Weibernamen? Wollt ihr damit sein Geschlecht verhüllen?«

»Wir besitzen ihn noch nicht lange. Weil wir ihn anfangs für ein Fräulein gehalten haben und weil seine Nase so gar nichts Ägyptisches hat, tauften wir ihn nach jener verbuhlten Königin. Später stellte die Gräfin Hatzfeld fest, dass dem Tier unrecht getan worden war. Doch hörte er schon auf den klangvollen Namen Kleopatra, und so behielten wir diesen bei.«

Die junge Magd wartete auf und brachte Wein.

Als sie sich entfernt hatte, meinte Konstanze: »Ihr habt ein neues Mädchen. Ein hübsches Ding!«

»Sie ist aus der Gegend von Pisek«, erwiderte Josepha. »Sie ersetzt mir hier sehr geschickt die Zofe, die ich in Prag gelassen habe. Die Anna ist ein Dorfveilchen, treu, willig und ehrlich. Sie spricht auch leidlich deutsch.«

»Ehrlich auch?« neckte Mozart. »Von den Böhmen wird doch erzählt, dass sie sogar dem heiligen Petrus den Mantel gestohlen haben, darauf er am Ölberg gelegen ist.«

Duschek bot ihm lächelnd die goldene Dose, und der Kapellmeister ließ seine Nase vorsichtig von dem linden spanischen Tabak nippen.

»Wenn man einen Menschen gut behandelt, ist er gut«, sprach Duschek. »Die alte Gräfin Clam hat einmal gesagt, man soll sich mit seinen Bedienten nicht gemein machen, aber ihnen gütig begegnen wie unglücklichen Verwandten.«

»Wir reden von Dienstboten!« mahnte Josepha scherzend.

»Welch heilige Ruh' ist in euerm Haus!« sagte Mozart. »Seid glücklich, dass ihr diesen verwunschenen Winkel erworben habt!«

»Ja, wir freuen uns dieses lautlosen Lustortes. Besonders jetzt, wo der Trubel der Krönungstage anhebt«, entgegnete Josepha. »Dann wird es Herbst, und der Beruf meines Mannes ruft uns wieder in die Stadt zurück. Aber wir leben auch in der dumpfigen Zeltnergasse zufrieden. Umgibt uns doch ein bescheidenes und zufriedenes Volk! Ach, wohin werden die Pariser Rebellen ihr armes Vaterland noch bringen?!«

»Die Fackel steckt in der Faust des Wahnsinns«, sagte Duschek ernst. »Jetzt, wo das trotzige Volk der Ottomanen sich beruhigt, scheinen die Franzosen Europa in den Krieg stürzen zu wollen.«

»Unser gnädiger Kaiser wird es verhindern!« rief Josepha. »Nur kein Krieg! Ein Krieg ist für den Künstler schlimm. Wo Mars daher stampft, flüchten die Musen.«

»Nun, auch der Friede versündigt sich zuweilen hart an der Kunst!« warf Duschek ein. »Die großartigen Kunstsammlungen Kaiser Rudolfs des Zweiten am Hradschin sind vor wenigen Jahren frevelhaft und dummköpfisch zerstreut worden und in die Hände unwürdiger Schacherer gefallen. Und erst vor Kurzem hat man im Hirschgraben den marmornen Kopf des Ilioneus gefunden, irgendein barbarischer Lakai mag ihn von der Burg in die Schlucht hinuntergeworfen haben, und aus diesem herrlichen Haupt sind Stockknöpfe gedreht worden. Leider habe ich von diesem Fund zu spät erfahren, um das Unheil verhindern zu können.«

Mozart sagte betrübt: »Wie arg spielt doch die Welt den großen Werken der Künstler mit!«

»Wolfgang, du lässt deine ›Zauberflöte‹ in Wien aufführen? Warum nicht bei uns?« fragte Josepha. »Prag bringt dir doch immer Glück!«

»Das gibt der Direktor Schikaneder nicht zu«, sagte Konstanze schroff.

Von der Schönheit ihrer vollkommen gebildeten Hände wissend, legte sie diese so oft wie möglich unauffällig zur Schau aus, indem sie bald mit dem Weinglas spielte, bald eine Blume zerpflückte und deren Blätter herzförmig auf den Tisch hin ordnete.

»Wir hoffen, die ›Zaubeflöte‹ hat eine lebendige Handlung«, sagte Duschek. »Von dem Titusbuch lässt sich das leider nicht behaupten. Sein Dichter Metastasio hat niemals aus den frischen Adern des echten Lebens getrunken, seine Kunst mit ihrer schlotterigen Weisheit mutet greisenhaft an. Es ist schade, dass der neue Kaiser den Daponte davongejagt hat. Der Daponte ist zwar ein widerlicher, verlogener Mensch gewesen, aber er hat die Bedürfnisse eines lebendigen Theaters gekannt und immer berücksichtigt.«

Mozart entgegnete: »Ich muss den Mangel des Buches ersetzten, indem ich die Musik zum ›Titus‹ so hinreißend schaffe, dass man dabei die wirklich etwas saftlose Dichtung vergisst.«

»Gewiss wird auch die Ausstattung, die mit königlichem Aufwand hergestellt werden soll, zu deinem unausbleiblichen Erfolg beitragen«, meinte Duschek.

»Auch der Schikaneder wird sich mit der ›Zauberflöte' nicht spotten lassen«, sagte der Kapellmeister. »Der Reifrock der Prinzessin Pamina wird ein Viertel der Bühne ausfüllen, und im Park des Zauberers Sarastro soll die Wunderblume Mergliniosa leibhaft blühen, die sonst nur in den Gärten der peruanischen Inkas zu finden gewesen ist. Künstliche Wolken werden über den Himmel laufen.«

»Vielleicht gar noch ein Luftballon?« spöttelte der geistvolle ältliche Mund Duscheks. »Nur nicht zu viel des Guten!«

Mozart fuhr in kindlicher Lust an diesen glänzenden Dingen fort: »Der Wagen Sarastros wird von sechs Löwen gezogen werden, er ist ganz aus Glas und trägt ein Glockenspiel aus Porzellan am Dach. Ich will die zierlichste Musik dazu erfinden. Holla, ich hab' sie schon!«

Den eingeschlummerten Kater von sich schüttelnd, sprang er auf und rannte in sein Zimmer hinüber, um drüben am Spinett den lieblichen Einfall sogleich erklingen zu lassen.

»Halt, hat, du Windwirbel!« rief ihm Konstanze nach.

Im Flur rannte er an die Magd an. Einen Augenblick lang fühlte er ihren mauerhaft festen Leib und die jungen Brüste.

»Verzeihung!« murmelte er und lief vorüber.

Der Dreifaltigkeitsleuchter brannte noch auf dem Tisch, und darunter lagen Schreibzeug und Papier verlockend vorbereitet.

Mozart kleckste fröhlich den Einfall hin. Er erinnerte sich der Glöckleinorgel in der böhmischen Dorfkirche und pfiff und wiegte ausgelassen den Kopf. Ei, das war ja etwas unglaublich Hübsches! Der Schikaneder wird die Ohren aufreißen!

Eben als er den letzten Notenkopf hingetupft hatte, trat Josepha ein.

»Ich muss mich um meinen stürmischen Gast kümmern«, sagte sie. »Ist die Tinte nicht zu dick? Ich habe sie mit Salesler Wein verdünnt.«

»Du Gute!« dankte er. »Und sei meiner Stanzel nicht bös! Sie meint es niemals so, wie es bei ihr herauskommt. Sie überlegt nicht, sie fühlt nur.«

»Ich nehme es ihr nichtübel, Wolfgang. Sie ist von der langen Fahrt überreizt. Morgen wird sie schon besser gelaunt sein. Und dann – mit dir hat es eine Frau bestimmt nicht leicht. Ich habe heute übrigens eine gründliche Erfahrung gemacht: niemals sollen zwei Frauen zur selben Zeit in denselben Spiegel schauen.«

»Ich bin viel schuld«, nickte er reuig. »Wenn die Stanzel einen gelasseneren Mann hätte, sie wär' das artigste Ding. Leider bin ich nicht der, der ein junges Weib zur Hausfrau erziehen kann.«

»Wolfgang, darf ich mit dir über dein Leben sprechen? Du siehst schlecht aus. Gewiss, du arbeitest angestrengt und wohl auch in übertriebener und ungesunder Weise. Aber du sollst auch mit dem tollen Schikaneder und seiner Sippschaft einen wilden Wandel führen, Zechgelage halten bis zum Hahnenschrei früh und noch allerlei anderes vollbringen, was dir nicht guttun kann. Verzeih, ich bin sonst keine Sittenpredigerin, aber ich sorge mich um deine Gesundheit.«

»Wer hat mich so sauber ausgerichtet?«

»Der Leopold Kozeluch hat es erzählt. Er ist jetzt in Prag.«

»Der Lump!« fuhr Mozart auf. »Ich will ihn nicht gerad' einen zünftigen Lügner und Ehrabschneider heißen, aber er ist nimmer weit davon. Der soll mir noch einmal kommen mit seiner buckelnden Höflichkeit! Glaubst du ihm denn? Glaubst du dieser gefährlichen Zunge alles?«

»Wolfgang, ich habe ihm gedroht, dass ich seine Krönungskantate nicht singe, wenn er sich noch einmal die geringste üble Nachrede über die erlaubt.«

»Was, du willst den langweiligen, hölzernen Psalm singen, den er zusammengeschustert hat? Du willst seine Pofelware mit Glanz versehen? Mit deiner glorreichen Stimme meinem gemeinsten Feind siegen helfen?«

»Ich singe unserm König zu Ehren und der Prager Gesellschaft zuliebe. Ich brauche die Prager, und auch deinetwegen. Wolfgang, sei nicht kleinlich!«

Er aber rief außer sich: »Was für Tugenden begehrst du von mir? Ich bin doch auch nur ein Mensch! Ein Mensch bin ich, ein Mensch, ein gequälter, gehetzter Mensch! Was hat man mir schon alles angetan! Wie viel Prügel haben mir der Salieri und der Kozeluch schon ins Rad gesteckt! Wenn die zwei länger dazu Zeit gehabt hätten, sie hätten meine Krönungsoper hintertrieben. Dass das Unverständnis immer ärger gegen mein Werk kreischt, die zwei haben das auf dem Gewissen!«

Grell schrie er es heraus, und unter dem Zorn seiner Stimme löste eine große, reife Rose in der Vase ihren blutdunkeln Blätterkranz auf zu zerfiel.

Josepha legte ihre ruhige Hand auf die zitternde des Künstlers. »Freund! Mögen auch immer die Feinde dir nicht gut wollen, schuld an dem Unverständnis, darüber du klagst, sind sie nicht. Schuld daran ist nur der rätselhafte Geist, der dich auf Wege führt, die der Welt fremd sind. Du hebst in deiner Musik alte Gesetze auf und zerstörst sie, du gründest neue. Und daraus wird dir Heil und Fluch.«

»Wie könnte ich anders handeln?« erwiderte er. »Ist doch nirgends Ruhe, ist doch alle in ewiger Wandlung begriffen und nichts abgeschlossen. Immer gleich bleibt doch nur Gott.«

»Und vielleicht ändert sich auch dieser mit seiner Welt«, flüsterte Josepha.

Mozart wagte nicht, darauf etwas zu erwidern.

Nach einem langen, schmerzlichen Atemzug legte er die Arie, die er gestern in der Kleinstadt ausgeschrieben hatte, auf das Spinett.

»Eine Arie, der Römerin Vitellia. Singe sie!«

Josepha überflog hastig die Worte und die empfindsame Weise. Schnell hatte sie beides erfasst.

Er begann das knappe Vorspiel. Und ihre weite, glühende Stimme entfaltete die Schwingen.

Wie leicht stieg ihr Gesang empor, wie weich sank er in die samtene Tiefe hinab, wie lange schwebte er auf endlosem Atem! Wie stark und geschmeidig war der Klang, wie traumleise und mit welcher Süße umhüllt! In der heißen, sprechenden Erregung ihres Gefühles hellte sich der Sinn des Wortes zu äußerster Klarheit auf.

»Deh, si piacer mi vuio,
lascia i sospetti tuio!
Non mi stancar con questo molesto dibitar.«

Sie ließ die unwillkürlich vor das Herz gepressten Hände sinken. Das Lied war aus.

»Bello, bello, molto bello!« jubelte Mozart, noch in der Sprache der Arie befangen, und er riss ihre Hände an sich. »O du Wunder!«

»Wer Wunder hören will, muss zu dir kommen«, sagte sie erbleichend.

Konstanze und Duschek hatten draußen vor der Tür gelauscht. Nun drangen sie herein, und Frau Mozart umarmte stürmisch die Sängerin, die Spannung ihrer kleinen Seele löste sich in wohltuenden Tränen, und sie schluchzte: »Du, du hilfst meinem Mann!«

Die vier Menschen ließen sich jetzt auf den Stühlen und dem zierlichen Polstersofa im Glück schenkender und empfangender Freundschaft nieder, redeten von den Vorkommnissen der Tage, da sie einander fern gewesen, und fühlten sich doppelt herzlich einander nahe.

Und wieder landete das Gespräch an dem Schaffen des wunderbaren Meisters. Franz Duschek gelüstete es, den Vorhang der Zukunft um ein Zipfelchen zurückzuschieben und in die Werkstätte des schöpferischen Geistes hineinzuhorchen, den er mit seiner feinen Empfindung für alle echte Kunst aufs Höchste verehrte, und darum fragte er: »Und was wirst du nach dem ›Titus‹ und nach der ›Zauberflöte‹ beginnen? Ein Tanzspiel der Götter im Olymp? Ein gefühlvolles Lachspiel? Eine Liebesoper?«

»Keines von dem allen«, sagte Mozart, »sondern ein Totenlied.«

»Sieh da, du Weltkind?« staunte Duschek.

Mozarts weiße Finger spielten unruhig über dem Samt des Lehnstuhles. »Lasst mich erzählen, Freunde! Vor einigen Wochen, Konstanze war gerade mit den Kindern bei der Großmutter, saß ich allein daheim und schrieb an einem Konzertstück. Es regnete draußen, der Tag war trüb, die Stube noch düsterer als sonst. Auf einmal fuhr es mit wie ein eisiger Lufthauch übers Genick. Ich drehte mich um. Die Tür war offen, und auf der Schwelle stand ein langer, unglaublich magerer Mensch, das Gesicht eingetrocknet und fast ohne Fleisch, die Augen tief im Kopf versunken und ausgeglüht und traurig. Sein Mantel war erdgrau, sein weitscheibiger Hut zerfranst. Einen langen Stecken trug er, als ob er von weit her gekommen wäre. Wie Nebel drang er in die Stube herein, und sie wurde grau von ihm. er roch wie nach Moder. Blitzsakrament! dachte ich, was für ein seltsamer Gast sucht dich da heim? Er redete nicht, er hielt mir nur einen Brief mit einem schwarzen Rand hin. Meine Hände zitterten, als ich das Siegel brach. Eine dünne, hohe, drohende Schrift sprang mir entgegen. Zuerst die üblichen Schmeicheleien. Hernach fragte mich der Schreiber, ob ich ihm eine Totenmesse komponieren möchte, was sie koste und wann sie fertig sein werde. Der Brief war mit einem Fragezeichen unterschrieben. Mir wurde ganz unheimlich ums Herz. Der Fremde stand wie eine graue Spinnwebe vor mir und grinste. Ich fragte ihn, ob er selber es sei, der das Requiem bestelle. Er schüttelte stumm den Kopf. Er wartete. In meinem Hirn wirbelte es wie von hundert Pauken. Und ich atmete auf, als die Stanzel unerwartet zeitig mit den Kindern heimkam.«

»Und hast du den Auftrag angenommen?« fragte Josepha.

»Ja. Meine Frau hat mir zugeredet. Ich soll hundert Dukaten dafür bekommen, hat sie mir gesagt. Wir haben ja das Geld so notwendig gebraucht, die Gläubiger haben mir das Haus gestürmt.«

»An drei Sachen auf einmal schreiben, ist etwas zu viel«, meinte Duschek, »ein Werk verwirrt das andere.«

»Der Mozart hat nur fünfzig Dukaten verlangt«, sagte Konstanze ärgerlich. »Hundert und noch mehr hättest du verlangen sollen! Du lässt dich immer wieder zum Schaden deiner Familie ausbeuten.«

Mozart seufzte. »Ich kann nicht handeln, ich bin kein Greißler. Fünfzig Dukaten sind schließlich auch ein hübsches Geld. Und dann hat es mich gefreut, dass ich wieder einmal was für die Kirche schreiben soll. Kirchenmusik ist die höchste Musik, weil sie zu Gottes Preis ersonnen und geübt wird, weil sie den Himmel grüßt und ihn mit frommen Händen bittet und weil sie um den Tod des Heilands trauert. Und dann hab' ich mir gedacht: die Menschen verstehen meine Musik nimmer, aber der dort droben kennt sich darin gewisse aus.«

»Mozart, wir wissen, was die Welt an dir hat!« rief Josepha warm.

»Ja, du und Franz Duschek. Die andern aber nicht. Und so sagte ich halt dem Herrn, der hinter dem Fragezeichen stand, zu. Und der dürre Bote huschte davon. Und ich und die Stanzel schauten uns an, als hätten wir etwas recht Dummes geträumt. Aber der Brief lag weiß auf dem Tisch. Am andern Tag kam der Graue wieder, er zählte mit der knöchernen Hand das Geld hart auf den Tisch hin und gab mir wieder ein Handschreiben, darin stand, ich möge mich beschleunigen, aber ich sollte mich nicht bemühen, dem Besteller nachzuforschen, das sei verlorene Müh'.«

»Und hast du schon etwas von dem Requiem entworfen?« fragte Duschek.

»Nein. Aber es rumort schon in mir.«

»Und denkt euch«, sagte Konstanze, »wie wir vor drei Tagen in Wien in den Reisewagen steigen, zupft mich einer am Ärmel. Der graue Bote steht zu meinem Schrecken vor mir und fragt mit seiner blechernen, eintönigen Stimme: ›Wohin? Wohin? Und was ist es mit dem Requiem?' Und der Wolfgang sagt ihm: ›Sie, Ihr Herr soll sich gedulden! Die Oper für den Kaiser geht voraus. In vier Wochen bin ich wieder daheim, und da fang' ich gleich die Totenmusik an.‹ Und hernach hat der Wolfgang noch gesagt: ›Ich hätt' ja Ihren Herrn gern benachrichtigt, aber wie kann ich das? Ich weiß ja nicht, wie er heißt und wo er wohnt.‹ Der Bote nickt, und im Hui ist er verschwunden. Mich hat es über die Haut geschaudert. Es ist gerad so, als ob der Unheimliche und alleweil auf den Fersen wär'.«

»Seltsam!« wunderte sich Duschek. »Eine ganz nebelhafte Sache!«

Josepha flüsterte: »Wer mag den Auftrag gegeben haben?«

Sie sah Mozarts grünlich blasses, krankes Gesicht, sie sah Konstanzes kleine Augen auf einmal geistergroß aufgerissen.

Die Säulenuhr tickte hastig, und doch wob eine beklemmende Stille, und selbst des Hausrates schien sich eine merkwürdige Verstörung bemächtigt zu haben, die Malerei auf der Wandverkleidung verzerrte sich, und die Kerzen flackerten, wie vom Hauch eines Gespenstes beunruhigt.

Diese peinlich lastende Stimmung zu bannen, scherzte Duschek: »Im Fausthaus drüben am Viemarkt soll jüngst der Urian sich aus dem Dachloch heraus geneigt haben, angezogen mit einer grünen Schürze wie ein Apothekergehilfe, ein scharlachenes Barett mit einer gelben Feder am Kopf und mit zwei Augen, so groß wie Brillen. Und neben ihm hat Doktor Fausti Hund Prästigiar mit der Zunge auf die Leute herunter gelechzt.«

Niemand lachte über das sagenhafte Gerücht. Es klang gar nicht scherzhaft.

»Unsere Zeit lehnt das Übersinnliche ab«, sagte Josepha. »Und doch fühlen wir manchmal eine unerklärliche Furcht, deren Ursprung nicht in dieser Welt zu suchen ist.«

Mozart hatte sich erhoben. Er spähte in die schieferblaue Nacht hinaus. Nachtblumen dufteten drohend zum Fenster herein. Ein schweres Schweigen orgelte ihn an. Sein Geist war weit, weit entrückt, dorthin, wo die Fremde ihre Heimat hat.

Und auch Franz Duschek umwitterte die Gewalt finsterer Ahnungen, und er sagte zu dem Freund: »Wir schweben in dem Beschluss des allmächtigen Gottes. In seinem Jahrtausendkalender steht auch unsere kurze Zeit beschrieben.«

Es sollte ein Trost sein. Aber er tröstete nicht.

Konstanze huschelte sich in ihrer Ecke zusammen, als fröre sie. »Die Einöde da macht bang«, sagte sie. »Wenn ich da leben müsst', ich würde trübsinnig, ich müsst' wie ein Kartäuser stündlich an den Tod denken. Und drunten hinter dem Hügel ist der Friedhof, wo die Prager früher die Verpesteten eingescharrt haben!«

»Stanzel, red nicht so!« flüsterte Mozart.

Aber sie schrie in hemmungsloser Angst auf: »Wie finster das Fenster lauert! Mach es zu, mach es zu, Wolfgang! Der graue Bote beugt sich herein!«

Etwas unsäglich Wildes dämmerte die vier Menschen an.

Tönte von fern ein Gespensterschrei?

Mozart schloss hastig das Fenster.

 

*

Mozart träumte, das Spiel einer Kirchenorgel dränge gedämpft und fromm durch die Mauern, und es öffne sich auf einmal eine Wand des Zimmers, und ein Garten mit seinen runden, bunten Beeten und traulichen Gebüschen flösse bis an den Fuß des Lagers herein, und Blumen wucherten über die Bettdecke, und der Wind bewegte ihre nachsinnlichen Köpflein, und hübsche Feldtiere huschten winzig durch die Halme, und Flieder blühte, als sei bläuliches Gewölk in dem fließenden Garten gelandet, und aus der Brust des Träumers spross eine schlanke Staude, darin regte sich ein Vogel, der blies gar bemühsamlich sein blaues Kröpflein auf und bog sein Zünglein und flötete und trillerte so emsig und eindringlich, bis Mozart daran erwachte und gewahrte, dass der Kanari ihn mit seinem Morgenlied geweckt hatte.

Der Kapellmeister betete nach seiner Gewohnheit drei Vaterunser und legte sein künstlerisches Tagewerk der himmlischen Orglerin Cäcilia zu Füßen und empfahl sich dem Schutz des Bischofs Wolfgang, der mit der blanken, langstieligen Rodeaxt wehrhaft unter den Heiligen Gottes steht.

Dann sprang er mit jähem Ruck aus dem Bett. »Morgenstund' trägt Brot im Mund«, hatte sein Vater Leopold gelehrt.

Im Hof krähte lange anhaltend der Hahn, und er schien gewillt, seinem Ruf einen grämlichen Hämlingstriller anzufügen.

Der Kater Kleopatra miaute draußen vor der Tür, und als Mozart ihn einließ, sprang das Tier auf das Fensterbrett und wälzte sich, der frühen Sonne schmeichelnd, ließ sich den Pelz wärmen und leckte sich ihn sauber.

Mozart wusch und kämmte sich, wobei ihm eine leichtsinnige Musik mit winkenden, blauen Notenfähnlein durch den Kopf hüpfte. Dann begab er sich zu den Rosen, die aus der Vase heraus flammten, küsste sie gelind und beehrte die schönste darunter mit höflicher Ansprache. »Geputzt bist du wie meine Stanzel am Sonntag. Ach, könntest du nur auch singen!«

Er schüttete dem Vogel frisches Wasser in das Nürschlein und pfiff ihm etwas Funkelnagelneues vor. »Ei, das hab' ich ganz klug erdacht, das darf ich nicht vergessen!« nahm er sich vor. Der Kanari spitzte sein Göschlein und tat, als wolle er alles haargenau nachzwitscher, doch kam dabei etwas wesentlich anderes zutage. »Jeder nach seiner Weise!« nickte Mozart wohlwollend.

Konstanze räkelte sich im Bett und raunzte: »Warum lärmst du so arg? Oh, dass ich den Herrn Frühauf hab' heiraten müssen!«

Er setzte sich an den Rand ihres Bettes. »Verzage nicht, Pamina, und binde deinem Tamino das Zopfband! Ich fühl' mich heut so wohl wie schon lange nimmer. Das tut die Prager Luft.«

Nach dem eilig eingenommenen Frühstück lief Mozart die Stiege in den begrasten Hof hinunter. Dort war schon der Hahn mit seinem Harem versammelt, ein ganzer Kerl vom Kamm bis zum Sporn, vom Schnabel bis zum Bürzel ohne Furcht und Tadel, und seiner Mannheit bewusst, schritt er stolz auf und ab, rot wie ein Henkerritter, herausfordernd und eifersüchtig. Im Stall brummten die Kühe, der Tauber gurrte am Dach. Ein hochfahrender Truthahn kauderte unwillig, als der Kapellmeister ihn bat: »Geh, Truder, schlag mir ein Rad!«

Wollüstig schmiegte sich der Pfirsichbaum an die Wand des Hauses, seine Früchte waren leise gebräunt wie die Haut der Magd Anna, die jetzt den Meister freundlich grüßte. Sie streute dem herbeistürzenden Geflügel das Futter vor. Blank und prächtig stand sie da wie ein bäuerlicher Glaskasten. Mozart dachte: Den Mund hat sie wie eine Amarelle rot, doch mag er süßer schmecken.

Ein Mann, mit mancherlei Flechtwerk abenteuerlich beladen, trat zur Hoftür herein. En Körbelmacher aus dem Städtlein Königsaal, wo die vielen Weiden an der Moldau wucherten. Die Magd fertigte ihn gleich ab. »Heut kommst du umsonst. Wir können dir doch nicht jede Woche deine Ware abkaufen. So viel Körbe werden bei uns nicht zerrissen.«

Bettelnd wandte er sich an Mozart. »So nehmen Sie mir etwas ab, gnädiger Herr! Ich hab' elf Kinder daheim.«

»Du fruchtbarer Mann, was fang' ich mit einem Korb an?« rief der Kapellmeister.

»Kaufen Sie, kaufen Sie getrost! Ich werde Sie im Preis gewiss nicht überhalten. Kaufen Sie! Dreißig Jahre werden Sie mich meiner gern erinnern. Die Moldauweiden sind besonders zäh.« Um die Güte seines Erzeugnisses zu beweisen, stützte er sich mit den Händen auf den Rand eines Korbes, überschwang sich und stand hernach eine Weile kopfunter darauf, die gestreckten Beine steif über sich. »Nun, ist der Korb nicht wie aus Eisendraht geflochten?« rief er.

»Was nützt mir das Zeug da in der Fremde?« sagte Mozart. Aber schon händigte er dem Körbler das Geld ein, raffte den Korb an sich und brachte ihn eilends Konstanzen, die eben am Spiegeltischlein ihr braunes Haar durch den Kamm rinnen ließ.

»Ein Geschenk, Stanzel! Eine Morgengabe! Darin sollst du die Herzen, die in Prag deinetwegen brechen werden, nach Wien heimtragen!«

Sie rang die Hände. »Um Gottes Christi willen! Was bringst denn du wieder daher? So was ganz Untaugliches kaufen! Da wird das Geld für das Requiem bald hin sein!«

»Geld muss angebracht werden, sonst ist es wertlos«, lehrte er. »Was liegt an den paar Groschen? Nach dem ›Titus‹ werde ich herrlich verdienen, das Geld wird mir unter den Händen wachsen wie dem Fabelkönig Midas.«

»Treib nur deinen Schlendrian weiter, und du wirst sehen, wohin wir kommen«, zankte sie. Aber sie war schon versöhnt und roch vergnügt an den Weidenruten, darin noch der Saft des Stromufers lebendig zu kreisen schien, und sie trug dann wie ein Grünzeugmädel den Korb in der Beuge ihres schmalen Armes und tänzelte durch die Stube. –

Als Mozart hernach mit einem Bündel Notenblättern in den tauigen Garten trat, dort in der Frische des Morgens sein Tagwerk zu beginnen, wartete an der Glastür ein weißhaariges, schiefachseliges Männlein auf ihn. Es hatte etwas papieren Raschelndes an sich, als es sich ehrfürchtig verneigte und über sich Auskunft gab: »Der Herr Direktor Guardasoni schickt mich her. Ich bin der Kopist. Ich heiße leider Josef Zwirtschek.«

»Das tut nichts«, erwiderte Mozart freundlich und schob dem Alten einen Gartensessel hin. »Sie kommen zeitig aus Prag. Setzen Sie sich doch!«

»Für mich ist die Erde auch gut«, sagte das Papiermännlein bescheiden, und er ließ sich auf dem Rasen nieder, zog die Knie an sich und machte sich so wenig geräumig als möglich.

»Sie wollen also die lästige Abschreiberei verrichten, verdienstvoller Freund? Ich gebe Ihnen vorläufig eine Arie und einen Reitermarsch mit. Morgen dann mehr.«

»Und das Vorspiel? Das machen Sie wohl wieder erst am Tag vor der Aufführung?« sagte Zwirtschek vorwurfsvoll. »Das ist etwas spät für den Abschreiber.«

»Sie scheinen meine menschlichen Gebrechen zu kennen«, lächelte der Kapellmeister.

»Ich kenne aber auch Ihre großartigen Opern«, prahlte der Kleine. Er schnellte vom Rasen auf, warf sich in die Brust und sang so fein und schneidend wie eine Mücke:

Vienni tra i lasci miei
stringi mi o cara ben!
Anima mia tu sei,
ti vo morir nel' sen.«

»Sie haben einen zwirnfeinen, hohen Tremulant und girren sehr verliebt«, lobte Mozart. »Aber das Lied, das Sie da gesungen haben, ist aus der Oper ›Cosa rara‹ von Martini und nicht von mir.«

Zwirtschek ließ sich nicht irremachen. »Mein Lebtag hab' ich mit der Kunst zu schaffen gehabt. Ich habe die Spinette der ganzen Kleinseite gestimmt. Ich habe gar das Klavierspiel gelehrt. Lange Zeit bin ich Balgentreter in der Pfarrkirche zu Sankt Nikolai gewesen. Soll ich Ihnen vorrechnen, wie viel Geviertklafter Luft ich im Dienst der edeln Musik schon verdrängt habe?«

»Ein anderes Mal, Geschätzter!« sagte der Kapellmeister. Und er übergab ihm die beiden Opernstücke und sah zu, wie Zwirtschek, von dem kalikutischen Gockel verfolgt, flüchtend die Hoftür gewann und sie schnell hinter sich zuschlug.

Der Ziergarten lag etwas über dem Hof erhöht und davon durch ein steinernes Geländer geschieden. Auf einer ebenen, mäßig großen Fläche waren Blumen angebaut, Flamme an Flamme, die heiße, buhlerische Rose, die kühle Lilie und dann in buntem Gezüngel Tuberosen, Päonien, Jonquillen, Kaiserkronen und viele andere einfältige oder abgefeimte Blüten. Die Erde war hier wie ein Brautbett bereitet. Inmitten der Beete kniete, aus Porzellan gebacken, das Flügelkind Amor und zielte von seinem Steinsockel auf die Magd Anna, die unter den Blumen stand wie unter Ihresgleichen.

Weil sie ein so sonnenheiteres Gesicht hatte, schien alles Wesen dieses Gartens so trefflich zu gedeihen, den sie neben dem betagten Gärtner zu betreuen hatte.

Sie schnitt Blumen für die Vasen des Hauses ab und summte ein Lied vor sich hin.

»Auf der Prager Brücke
wächst ein Rosmarin.«

Mozart schlenderte einen aus Latten gezimmerten, laubgrünen Wandelgang entlang den Garten hinan, der auf dem gelinden, gequem zu ersteigenden Abhang wohnlich und im Geist der behäbigen, bürgerlichen Landschaft angelegt war. Unter altwürdigen, väterlich wohlgesinnten Bäumen lud eine Kosebank zu heimlichem Geplauder ein; eine schlanke, efeuumrankte Säule war mit einer Urne bekrönt, daraus rote Hängeblumen flatterten; träge Goldfische glommen in einem winzigen Weiher, und darüber schwebte, ein Zierstück, von der Moldau herauf verirrt, die stahlgleißende Nadel einer Libelle. Da grünte in holder, doch wohlberechneter Unregelmäßigkeit verstreut Gebüsch voll arkadischen Friedens, als warte es, mit seinem bescheidenen Schatten einen flötenden Schäfer zu kühlen. Und Obstbäume tasteten über den ansteigenden Lustpfad, und die milchfröhlichen Stämme jugendlicher Birken glänzten. In gezackten, bedachtsam beschnittenen Hecken waren niedliche Liebesnischen mit Tisch und Bänklein angebracht, oder es lauschte aus dem dichten Grün das weiße Steinbild der Göttin dieser Gartenheimat, oder es schreckte aus der laubigen Stille einer Baumgruppe der gehörnte Waldgötze Satyros, oder eine Griechin führte schlankfingerig die Doppelflöte an den Mund, oder es bockte ein ungeschlachtes Faunlein mit einem Widder, oder es geschah sonst irgendein anderer harmloser Unfug.

Über einer grasigen Kegelbahn wölbte sich ein Apfelbaum, er war alt und mochte schon mehr als hundertmal geblüht haben. Es war seine Art, dass er einen Herbst überreich trug und dann immer einige Jahre im Fruchten ausruhte. Mozart schmeichelte ihm über die raue Rinde. »Baum, erinnerst du dich an mich, wie ich an dich erinnere?«

Verstohlen huschte das Licht durch die Lücken der Krone und wob darin ein goldgrünes Dämmer. Ein Vogel redete liedhaft mit sich selber.

Mozart naschte ein paar Johannisträublein und trat zu einem Rundbeet, das barg einen Ziehbrunnen in sich, darum Blumen mit hübschen ziegelglühenden Köpfen einen Dreiviertelkreis schlossen. Dort auf der Steinplatte warf der Kapellmeister seinen kleinen Einfall auf das Papier.

Der Kater Kleopatra war ihm nachgeschlichen und lugte ihm andächtig zu. Er hatte die feine Zunge wie ein Rosenblatt aus dem Maul hängen.

»Willst du im Garten da einen Kuckuck haschen, du reißendes Getier?« fragte Mozart ihn. Und dann trillerte er ihm ins Ohr: »Der Vogelfänger ist du ja!«

Er trank aus dem zinnernen Brunnenkrüglein und ließ dann auch die zarte, gierige Rosenblattzunge sich laben an dem frischen Wasser des Hügels.

Weiter droben floss das Lustgehege in einen Weingarten über.

Vor vierhundert Jahren hatte Kaiser Karl das köstliche Reis aus Burgund nach Böhmen gebracht und welsche Rebmeister ins Land berufen, und diese hatten misstrauisch in die herbe Luft geschnüffelt und die kühlere Sonne geringschätzig beguckt, und dennoch hatte der kaiserliche Herr verwegen in die Hügel um Prag und an der Elbe den Zweig des Südens geimpft, und sein Vertrauen in die Erde der Heimat hatte sich gelohnt.

Hinter dem Bollwerk umrankter Weinpfähle erreichte Mozart den Gipfel der Anhöhe, und ihm öffnete sich eine mächtige, eindrucksvolle Schau hinüber zu der düstern, schroffen Hochburg Wyschehrad und über das hinter schleierndem Dunst wie in weite Ferne geschobene Getürm der drei Städte bis zu Schloss und Dom. Der glänzende Fluss drang in Prag ein und verschwand im graulichen Häusergewimmel, das durch starke und drohende Festungsmauern gebändigt wurde. Im Tal vor dem Hügel aber rauchten in den Dörfern Smichow und Kochirsch die Rauchfänge der strohgedeckten Hütten, und ernst und weltabgewandt ruhte dort der alte Friedhof, und darüber trällerte rastlos eine morgentrunkene Lerche.

Mozart hörte ihr eine Weile aufmerksam zu. Denn kein Meister ist so gut, er kann doch noch von einem andern lernen. Aber dann rief er dem Vogel zu: »Lass es genug sein! Du dichtest dich ja zu Tod!«

Ja, da war man nun wieder einmal in der gelassenen, gottgefälligen Prager Landschaft! Sie weitete sich südlich der Stadt wie ein wohlweislich überlegtes, zierlich gemaltes Bild, die Bäume und Baumgassen und kleine Gehölze verständig und maßvoll verteilt, dass man vergnüglichen Schatten gewinne und doch das Licht der freudigen Sonne nicht allzu heftig gedämpft werde. Ebene und Bühel, Weinberg und Lustgarten, Feld, Dorf, Sommerschloss und Kloster vereinigten sich in reizendem Wechsel, und diese gepflegte, anmutig gezähmte Erde erquickte und stillte Mozarts launisches Gemüt, und weil er dem Wesen der Welt nur in Klangbildern nahe kam, so dachte er, wenn er Gott wäre, hätte er die Landschaft hier als flötende Hirtenmusik erschaffen. Und ihm fiel plötzlich seine Heimat ein, die rauen Zinnen und Tauern des Salzburgischen Bistums, die furchtbaren silbernen Eishörner der Alpen, die in ihrer Wildheit ihm immer peinlich und unverständlich gewesen waren. Erschrocken stieß er diese Erinnerung von sich.

Doch auch die Stadt Prag dort drüben gefiel ihm nicht, und er wünschte nicht, in ihrem Mauern zu wohnen, trotzdem dass er ihr herzlich dankbar war für den hohen Erfolg, den er darin gefunden hatte, und für die Freundschaft ihrer Menschen. Ihre Gotik berührte ihn fremd, und die altertümlichen Gassen dünkten ihn geradezu hässlich, ob er dies auch niemals laut äußerte, denn er wollte mit dieser Ansicht niemand und besonders die Einheimischen nicht kränken, die das Verwirrte und Rauchige ihres Aufenthaltes liebten, weil sie daran gewöhnt waren. Doch wenn man etwas von dem hochtürmigen Gebilde zurücktrat und es wie ein geschlossenes Bild genoss, da klang die Stadt mit der menschlich weichen Umlandschaft traumhaft zusammen zu einer wohltuend ausgeglichenen Einheit.

Und so stand Mozart, dämmernd das Glück dieser befriedeten Gegend empfangend, die kurze Zeit, die sein rastloser Geist ihn säumen und träumen ließ, in wesenloser Ruhe, und er flüsterte: »Die Erde da hat mich gern.«

Auf dem Gipfel des Weinhügels hatte Franz Duschek ein mit einem freundlich lackierten Tischlein und bunten, leichten Sesseln eingerichtetes Gartenhaus, das mit seinen großen Glasfenstern lustig nach allen Weltrichtungen Lugaus hielt. Dort hatte einst in dem reichen Geburtsjahr der Oper ›Don Giovanni‹ Josepha den Kapellmeister scherzend eingesperrt und so lange gefangen gehalten, bis er das Lied »Bella mia fiamma, addio!« geschrieben hatte.

In diesem Lusthaus ließ Mozart sich nieder, und sich in sich selber sammelnd, verlor er bald das Gefühl des Bodens unter seinen Füßen, und in seiner Seele begann wieder das geheimnisvolle, strömende Werden und erfasste ihn und schwemmte ihn mit sich fort, und ihm war, als glitte er über eine unauslotbare, doch bis auf den letzten, im Unendlichen drunten sich verlierenden Grund kristallklare Tiefe hinweg. Er rauschte rätselvoll seelenaus und seelenein und aus den Abgründen der Erde herauf und aus den schwindelnden Höhen des Himmels hernieder, und das lustig geisternde Rätsel ordnete sich zu Gebilde des Menschen, und Gott nickte wohlgefällig und setzte selber ein in den Klang der Urdinge und blies die siebenfache Flöte.

Ein Schatten goss sich über das Notenblatt, und Mozart hob das weltferne, verzauberte Gesicht. Er wusste anfangs nicht gleich, wo er sich befände, und er wähnte, er sitze in dem Salettel des Herrn Schikaneder in Wien.

Dann aber, sich zurechtfindend, erkannte er den beleibten Herrn, der da vom schnellen Aufstieg fettig schnaufend in das Lusthaus hereinstürzte und Mozart mit neapolitanischer Glut an seine Brust riss und schrie: »Viva grande Mozart!«

Es war Domenico Guardasoni, der Leiter des Nationaltheaters, und er war gekommen, dem berühmten Kompositor auf die Finger zu schauen, ob er auch beflissen sei, die Festoper rechtzeitig zu vollenden.

Um den wie verrückt um ihn herumtanzenden und gleich einem gefangenen Hecht herumschlagenden Mann zu beruhigen, bat der Kapellmeister ihn zunächst, sich in einen der Stühle zu bequemen. Und Guardasoni setzte sich und sprang sofort wieder auf, trocknete sich mit dem quastenbehangenen Schnupftuch Stirn, Schläfen und Hals vom Schweiß und girrte in einem Gemisch von Welsch und Deutsch: »Warum so einsam, Maestro Amadeo? Warum wie ein Eremit auf dem Gipfel des Vesuvio zurückgezogen? Wissen Sie nicht, dass der Beruf der Einsiedler von Kaiser Josef durch ein Hofdekret aufgehoben worden ist?«

Mozart gewahrte jetzt, dass er hemdärmelig vor dem Direktor saß, und er wollte rasch in den Rock schlüpfen. Doch Guardasoni wusste das mit starkem Arm zu verhindern. »Lassen Sie das, Maestro! Bei geistigem Schaffen soll es der Leib so bequem wie möglich haben. Sie tun mir ja sehr leid, dass Sie just in den Hundstagen, wo die Mondsüchtigen auf die Dächer klettern, mit der Oper sich herumschlagen müssen. Übrigens: der Kaiser wünscht, dass Sie am 2. September ihm Ihren ›Don Giovanni‹ vorreiten. Fuoco di Sant Elmo, es ist nicht leicht gewesen, es durchzusetzen, dass man Ihnen die Krönungsoper anvertraut hat. Mein süßer Landsmann Salieri scheint heftig dagegen gekämpft zu haben. Verzeihen Sie das meinem Vaterland Italia!«

»Ich weiß, Sie sind mir gut, und ich danke Ihnen dafür«, sagte Mozart. »Ich will mir die größte Mühe geben, meine Gönner zu befriedigen und meine Feinde zu beschämen.«

»Wie weit sind sie mit dem ›Tito'? Arbeiten Sie nur recht schnell! Presto, prestissimo! Es ist hoch an der Zeit. Und schreiben Sie für meine Sängerinnen recht dankbare Rollen! Da ist die Marchetti, die hat drei Oktaven in der schneeweißen Kehle. Sie singt rührender als ein sterbender Schwan. Da ist die Signora Bedini. Lassen Sie das Herz daheim, wenn Sie zu ihr gehen! Sie ist eine teuflische Tarantel; wen sie sticht, der tanzt sich tot. Eine Erzzauberin! Sie wird uns den Kaiser verführen. An dem Orchester werden sie Ihre Freude haben. Doch Sie kennen es ja schon von früher her. Wie weit sind Sie also mit dem ›Tito'?«

Mit der Neugier des Südländers neigte sich Guardasoni über die Blätter, die den Tisch bedeckten. »Schreiben Sie die Oper nur nicht zu heikel und zerbrechlich fein! Lieber mit etwas grober Wirkung! Sie verstehen mich. Unter uns gesagt, die beiden Majestäten – wenn auch der Kaiser Cello und Klavier spielt – sind nicht musikalisch.«

Eine schillernde Pfaufliege kroch über das Papier. Mozart scheuchte sie mit unwilliger Gebärde weg.

Der Italiener sprudelte weiter: »Ein Buch von Daponte wäre mir, aufrichtig gestanden, tausendmal willkommener gewesen als diese laue Tugenddichtung des Metastasio. Der Daponte weiß, was den Kompositor und was die Gaffer packt. Er hat Kerle und Weiber von Fleisch und Blut auf die Bretter gestellt, er hat hinreißende Szenen ausgeheckt, Wortstreit, Eifersucht, Gespensterei, Krach, Totschlag, vor allem aber amore, amore! Und wie hat er es verstanden, all diese schönen Dinge auszunützen?!«

»Der Daponte hat die Menschen verachtet«, sagte Mozart. »Der Metastasio hat sie kaum gekannt.«

»Bravo! Und darum sind die Geschöpfe Metastasios leere Larven, wollen Sie damit sagen, Maestro Amadeo! Ja, seine Dichtung ist ein Bett aus kaltem Marmor, sie wärmt nicht, sie macht nicht heiß. Aber sie ist höfisch und schmeichelt, und darum gefällt sie den hohen Herrschaften immer wieder. Der Kaiser wird sich in der ganz unglaublichen Großmut des Römers Tito wiederfinden. Schreiben Sie nur die Musik auch so höfisch, Mozart!«

»Sie meinen also, diesmal sei das wichtigste Gesetz der Kunst der Geschmack eines unmusikalischen Fürsten und seiner Frau?« fragte Mozart spöttisch und hub schrill den Marseiller Marsch zu pfeifen an.

Guardasoni hielt sich die Ohren zu. »Madonna mia! Hören Sie auf, Sie Empörer, Sie Meuterer, Sie capobrigante!«

»Ich lasse mir in der Kunst von niemand befehlen!«

Der Direktor legt die fleischige Hand beschwörend aufs Herz. »Gott sei davor! Das will ich nicht, amico simpatissimo!«

»Hören Sie zu, Guardasoni! Einer meiner Bekannten, er lebt in einem rheinischen Ort, hat sich kleine Orgeln bauen lassen, und damit spielt er den Vögeln vor, die er gefangen hält. Er will, die Nachtigall, die Drossel, der Grasmückenkönig und der Kuckuck sollen diesen Orgeln nachahmen und kunstmäßig singen lernen. Sie singen ihm zu ungeordnet.«

»Capisco, capisco!« lachte der Neapolitaner. »Es wird diesem einfältigen Narren nicht gelingen. Ich will den göttlichen Mozart durchaus nicht schulmeistern. Wer dürfte sich das erlauben? Aber verzeihen Sie, von Ihren letzten Quartetten und Sinfonien munkelt man – man! Es ist beileibe nicht mein Urteil! – munkelt man also, dass sie etwas verworren, vielleicht etwas gekünstelt oder – besser gesagt! – etwas unherkömmlich seien, sie kämen nicht dem Bedürfnis unserer Zeit entgegen ...«

»Soll ich mich etwa wiederholen?« unterbrach ihn Mozart. »Ein ganzer Kerl wiederholt sich nicht. Und es ist mein Recht, dem Neuen, was ich erlebe, auch eine neue Form zu geben!«

»Lassen Sie mich ausreden, Maestro! Ihre neuen Werke also entsprechen nimmer dem allgemeinen Verständnis. Die befremdlichen Akkorde und Missklänge darin –, kurzum, man kann Ihnen nimmer so folgen wie früher, man schätzt Sie nimmer so wie einst, Sie sind nimmer der vergötterte Liebling ...«

Mozart sagte schroff: »Ich bin nicht da, die Leute zu kurzweilen und zu belustigen. Ich bin kein Hanswurst. Lieber im Taglohn Holz hacken, als mir in meiner Kunst etwas vorschreiben lassen. Ich habe nur meinem Gewissen zu gehorchen. Ich schreibe, wie ich muss, und wenn mich auch die ganze Welt verlässt!«

»Das ist ja alles recht löblich. Aber wenn ich eine Bitte wagen darf, carissimo, komponieren Sie nur für diesen einen Fall, für diese eine Oper etwas verständlicher! Ich flehe Sie an, schicken Sie sich nur ein klein wenig in die Wünsche jener Menschen, die die ererbten Formen schätzen und nicht darüber hinaus wollen! Glauben Sie mir, diese Menschen sind weitaus in der Mehrzahl! Ich bitte Sie auf beiden Knien, befleißigen Sie sich nur für dies eine Mal noch einer schönen Deutlichkeit!«

»Aha, Guardasoni, Sie wollen mir noch vor dem Aufflug die Schwungfedern auszupfen! Sie wünschen von mir eine abgegriffene, lauwarme Musik. Da haben Sie die rechte Tür verfehlt. Da müssen Sie zu dem Salieri laufen und zu seinem Spießgesellen Kozeluch! Die schreiben auf kaiserlichen Befehl jede Scheißmusik!«

»Aber, aber, aber, Maestro Amadeo! Ich will ja nichts anderes, als dass Sie – wie ich – von der vollen Gunst der beiden Majestäten übersonnt werden! Umstürzlerisches würde uns beiden auf jeden Fall schaden. Der Kaiser hat an der Pariser Revolution genug!«

Mozart erwiderte langsam: »Ich kann, was ich schaffe, nicht mit den Gründen des Verstandes verteidigen, weil meine Musik ja nicht aus dem Verstand kommt. Aber darüber, was ich tun oder lassen soll, darüber entscheide ich allein. Wenn der Künstler durch den Anruf Gottes geleitet wird, ist er nicht an verrostete Regeln gebunden. Kunst ist Verhängnis. Ich muss geschehen lassen, was an mir geschieht. Aber, Herr Direktor, fürchten Sie nichts! Ich schlage diesmal gewiss nicht über die Stränge. Der ›Titus‹ erhitzt mich nicht so wie einst der ›Don Giovanni'. Ich werde mich diesmal bemühen, herkömmlich zu schreiben. Aber dann, bei der ›Zauberflöte‹ darf mir kein Tod und kein Teufel ins Handwerk pfuschen!«

»Maestro Amadeo, ist es wahr, dass sie eine deutsch Oper schreiben wollen? Und wird das die ›Zauberflöte‹ sein?«

»Jedes Volk hat seine Oper. Warum sollen just wir Deutschen keine haben? Lässt sich deutsch weniger gut singen als französisch oder englisch?«

»Amico simpatissimo, ich warne Sie! Fordern Sie die ewigen Götter nicht heraus! Versuchen Sie nicht Unmögliches! Opern können nur italienisch gesungen werden.«

»Ja, und der deutsche Hausmichel sitzt davor, schneidet ein dummes Gesicht und versteht kein Wörtlein von dem Zeugs!«

Sie arbeiten aber für den Hof und für den Adel und für die gebildeten Stände! Ihre Musik taugt doch nicht für den Pöbel!«

»Meine Kunst soll für jeden sein, der ihr das Herz auftut.«

»Eine Redensart, eine bloße Redensart! Mozart, Sie lassen sich in ein wahnsinniges Unternehmen ein. Sie schädigen sich damit, Sie bringen sich damit um. Der Spott wird Sie treffen. Sagen Sie mir, wer in aller Welt verlangt nach einer deutschen Oper?! Sie verraten damit Ihre eigene Mutter. Denn ohne Italien wäre kein Mozart. Ihre Musik stammt aus Italien!«

»Aber das Gefühl darin ist deutsch.«

»Das Gefühl? Was heißt Gefühl?« stammelte Guardasoni verständnislos. Aber dann schwur er feurig: »Fuoco di Sant Elmo! Italia ist die Mutter aller Künste! Ohne uns Italiener gäbe es keine Musik auf der Welt!«

Mozart sah ihn groß an und schwieg.

»Aber warum streiten wir da?« rief der Direktor. »Ihr ›Tito‹ wird den Kaiser begeistern. Es wird wieder ein Riesenerfolg, die neue Oper wird den ›Don Giovanni‹ in den Schatten stellen. Aber jetzt schnell zurück nach Prag! Im Hof drunten wartet mein Pferd und in der Stadt der Bühnenmaler. Addio!«

Er presste den Kapellmeister wie ein Mörder sein Opfer an sich, schwenkte den Hut und rannte talwärts.

Mozart sah ihm mit gerunzelter Stirne nach. Er sah, wie der Neapolitaner vor dem Brunnen haltmachte, die ziegelrot schreienden Blumen lüstern betrachtete, dann mit diebischer Gebärde eine pflückte, sie zwischen die Zähne stecke und weiterrannte.

Der Kapellmeister hatte sich von dem widerlichen Eindruck, den dieser geschmeidige Allerweltsfreund mit seinem Geschwätz und seinen Warnungen hinterlassen hatte, schnell wieder befreit. Doch kaum war er wieder in seine Arbeit vertieft, klopfte es ans Fenste.

Er blickte nicht auf. »Verflucht!« schrie er. »Ich hab' meine Zeit nicht gestohlen!«

Süßmayers schüchterne Stimme meldete sich: »Herr Kapellmeister, ich hoffe, Sie nicht zu belästigen.«

»Ah, du bist es, Xaver? Hast du doch zu mir herausgefunden?«

Der Schüler blickte von dem Gartenhaus bewundernd in das Land hinab, wo die Moldau sich in die Stadt bohrte und die Türme fast wesenlos im Dunst des Sommers ragten. Die Ordnung der schnurgerade angelegten Alleen tat seinen Augen wohl. Er seufzte: »Da ist es aber schön!«

»Der Duschek sollt' nur noch ein Echo mit einer angenehmen Altstimme her verpflanzen, dann wär' die Gegend fehlerlos«, scherzte der Meister. »Aber was treibt dich so früh zu mir her, Xaver?«

Der junge Mann öffnete eine Notenrolle und verneigte sich linkisch. »Ich hab' schon ein paar Seccorezitativer zur Oper fertiggebracht und bilde mir ein, Ihren Stil so ziemlich getroffen zu haben.«

Mozart nahm die Arbeit aufmerksam durch. Die Gespräche waren nach der zeitläufigen Mode nicht überwältigend, doch mit ganz hübschem Geschick gesetzt, und der Meister nickte befriedigt, er strich nur da ein Weniges durch, flickte dort ein paar Noten ein oder änderte geringfügig an den Akkorden des Kielflügels, darauf sich der Sprechgesang stützen sollte. Dazwischen lobte er: »Du hast einen Blitzeifer, Xaver. Du hat dir rechte Müh' genommen. Und sogar meine Schrift hast du erschrecklich genau nachgeahmt!«

Süßmayer zuckte bei jedem Federstrich, bei jeder Änderung, die Mozart an seiner Arbeit vornahm, zusammen, das waren Degenstiche für ihn. Aber das Lob ließ seien Wangen erbrennen.

»Herr Kapellmeister«, stotterte er, »erlauben Sie! Eine unziemliche, eine dreiste Frage! Wird aus mir auch einmal so einer – wie der Haydn? Oder wie der Bach, der lutherische Musikant? Oder gar – wie Sie?«

Mozart tippte auf die Arbeit. »Nach dem da lässt sich noch nichts voraussagen. Eine brave Sache, halt noch ein bisslein schulfüchsisch. Das Abc hängt dir noch aus der Schösseltasche heraus. Die Regeln, die dir eingetrichtert worden sind, hast du gewissenhaft befolgt. Und das muss auch ein jeder anfangs tun, der ein sattelfester Musikant werden will.«

»Ich will mich recht anstrengen, dass ich einmal genau so komponiere wie Sie, Herr Kapellmeister.«

»Oho, Herr Lehrbub, da gerätst du auf den Holzweg! Nur in der Kunst nichts nachmachen! Der Salieri tut das auch, und das ist sein Unglück. Wie der Meister Gluck sich barzt und wie er rülpst und wie der farzt, so möcht' es auch der Saliieri machen. Es gerät ihm dabei manches ganz nett, ich leugne es nicht, aber in dreißig Jahren wird sich kein Teufel mehr um seinen Absud scheren. Und gar der Leopold Kozeluch! Der hat viel Fertigkeit und geschwinde Finger, und die Regeln beherrscht er besser als seine Vorbilder, die sie geschaffen haben, aber in seiner Musik ist kein eigener Ton und glimmt kein Fünklein Gefühl, kein Quintel Herz. es sind trostlose Stümper, die dem Meister nachhumpeln und von seinen Abfällen leben. Sie können sich nicht lange halten.«

»Ich machte halt gern das Gesetz kennen, nach dem eine Musik gefallen muss.«

Mozart wurde bitter. »Das Gesetz ist sehr einfach. Schreib nichts Außergewöhnliches! Dann gibt dir jeder Biedermann seine Tochter unbedenklich zur Ehe, dann kannst du ohne Sorge ums Brot schlafen und dir hinten Jahresringe ansitzen.«

»Sie spaßen mit mir, und ich möchte doch etwas Gediegenes von Ihnen lernen!« sagte Süßmayer vorwurfsvoll.

»Xaver«, sagte Mozart ernst, »der eigenen Zeit zu gefallen, ist gar nicht so schwer. Dir wird das gelingen. Und wenn du dich damit begnügst, wirst du glücklich sein. Lern nur recht fleißig, und lass dich es nicht verdrießen! Was in dem Holz steckt, das muss auch herauswachsen. Aber das Letzte, das Schönste, was Himmel und Hölle zugleich ist, das kann einem nur Gott allein geben. Das wahre Ingenium blüht ohne Lehrer und ohne Schule.«

Süßmayer meinte zaghaft: »Das kann ich mir gar nicht vorstellen.«

»Da ist dir nicht zu helfen, Xaver! Jetzt aber – nantiputanti! – schau, dass du verschwindest. Ich darf die Zeit nicht verplempern. Lass dir drunten im Haus von der böhmischen Andula ein Häferl Kaffee geben! Aber zwick sie mir nicht in den Arm!«

»Habe ich Ihnen je zu solchen Mutmaßungen Anlass gegeben?« sagte Süßmayer leicht beleidigt.

»Nein, Sankt Sauermayer, wirklich nicht! Behüt dich Gott! Hallo, noch eins! Wiewohnt es sich im ›Walfisch'?«

»Es ist eine ruhige Unterkunft. Die Frau Wawrousch, meine Herbergsmutter, freilich, die ist ein bisslein wunderlich. Vor ihrem Bett im Ohrenstuhl sitzt schon seit zehn Jahren das Wachsbild ihres verewigten Mannes. Bei meiner Ankunft gestern hat sie es noch mit Zärtlichkeiten überschüttet. Beim Nachtmahl aber hat sie mir schon angedeutet, wenn ich den Ohrenstuhl benützen wolle, würde sie den Wächsernen für einige Zeit in einer Truhe im Keller unterbringen. Der selige, angeblich an Brustwassersucht verstorbene Herkulian Wawrousch, gewesener Lebzelter, verfolgt mich jetzt von seinem Sessel aus vorwurfsvoll mit seinen blauen, gläsernen Augen. Es fällt mir schwer, diesem Blick unerschüttert standzuhlten.«

»Da stehst du jetzt wie der Ochs vor der Pauke«, lachte Mozart. »Hat die Wittib Geld?«

»Das Haus gehört ihr«, sagte Süßmayer nachdenklich. »Aber sie ist schon eine übertragene Frau.«

»Xaver, wenn das Glück aus den Wolken fällt, fällt es auf einen Dummen. Überwinde deine angeborene Blödheit und greif zu! Nimm die Wittib samt ihrem Kochlöffelgesicht! Sonst bereust du es einmal! Ich sage dir: die Musik trägt nichts ein! Mach es dem Mozart nicht nach. Der wird einmal als armer Bratelgeiger enden!«

Der Schüler sah seinen Meister betroffen an. Vor Verlegenheit staubte er seinen Hut ab.

Dann sagte er, dem ihm peinlich werdenden Gespräch eine andere Richtung zu geben: »Der Stadler ist auch schon in Prag. Der Klarinettist mit der brennenden Gurgel. Auf der Gasse hab' ich ihn getroffen. Ich hab' ihm schnell ausweichen wollen, aber er hat mich schon gesehen gehabt.«

»Der Stadler wird in meiner Oper blasen, ich will darin eine schwierige Klarinettenstelle anbringen.«

»Er will sich von Ihnen Geld ausborgen.«

»Der Lump! Dasmal kommt er umsonst. Ich lass mich von ihm nimmer ausbeuteln. Mein Herz ist steinern. So, Xaver, jetzt geh und friss eine Latwerge, wenn du keine Öffnung hast! Und dem seligen Lebzelter Wawrousch richte mein Beileid aus!«

Aus der Tiefe des Gartens lockte die Stimme Konstanzens. »Manderl!«

Mozart erwiderte, ihren Ruf in Färbung und Höhe wie ein getreues Echo nachahmend: »Weiberl!«

»Komm herunter!« rief sie.

»Annamirl, Zuckerschnürl! Warum denn?«

»Mittag ist es. Der Kalbsschlägel ist schon gebraten.«

»Was, schon Mittag?« murmelte Mozart verdutzt.

Von fern her begannen die Glocken Prags ihr wunderbar verworrenes Geläute.

Mozart lief in den Garten hinunter.

Süßmayer folgte ihm langsam. Er verweilte vor dem Bilde einer Sphinx, die das Gesicht und die Haartracht einer modischen Dame hatte. Ohne dass hier die geringste Ähnlichkeit den Anlass dazu gegeben hätte, musste er an die Frau Wawrousch denken.

Konstanze jagte ihrem Gatten so flink entgegen, als hätte sie Flügel an den Füßen.

Und dann brachen die beiden Hand in Hand wie zwei wilde Kinder durch das entsetzt auseinanderstiebende Geflügel des Hofes. Eine weiße Kuh mit braunen Brillen um die Augen glotzte verwundert das ausgelassene Paar an.

Das Haus lachte verliebt aus den blanken Fenstern heraus.

Mozart und Frau Mozartin hielten vor der zweigeteilten Treppe. Sie ließen einander los, er stieg rechts hinauf, sie links. Betrübt kehrte sich eines nach dem andern um. Sie winkten einander scheidend zu. Sie seufzte: »Bella mia fiamma, addio!« Er sang: »Ach, ich habe sie verloren, all mein Glück ist nun dahin!«

Doch wo die Treppen oben sich wieder vereinten, fielen auch die zwei Menschen wie nach langer, trennender Meerfahrt und dem Besuch entlegener Inseln einander in die aufgetanen Arme.

»Dein auf ewig!« sang Mozart.

»Dein auf ewig!« sang Konstanze.

*

Mozart ging mit Süßmayer über den Kohlmarkt durch die Stände der Kräutler und Grünverkäufer. Er hatte eben im Theater sich die Künstler angesehen und ihre Stimmen angehört, um in der neuen Oper ihren Eigenarten gerecht zu werden, soweit es die Kunst zuließ. »Arien anmessen«, hieß er das etwas schneidermäßig. Das Orchester war wie immer verlässlich und zur höchsten Leistung fähig.

Der Tenor Baglioni wird den Titus singen. Ein Mann von vornehmster Haltung, Gang und Gebärde adelig, die Stimme eines römischen Weltherrschers würdig. Baglioni hat vor vier Jahren, als hier auf derselben Bühne die Oper »Don Giovanni« aus der Taufe gehoben worden ist, unter großem Beifall den Ottavio gespielt.

Maria Marchetti-Fantozzi trägt die weibliche Hauptrolle, sie singt die Verschwörerin Vitella. Eine blutjunge Freu, kürzlich von Mailand hergekommen, erst vierundzwanzig Jahre alt und doch schon eine berühmte Stimme. Sie singt voll und groß, betont wunderbar und weiß mit der unverfälschten Wahrheit der Natur dem äußersten Schmerz eine würdige Gestalt zu geben und zu Tränen zu erschüttern. Sie ist schön und hochgewachsen, ihre vollen Marmorschultern, ihr stolzer Mund, ihr beherrschendes Auge verleihen ihr einen Zug übermenschlicher Erhabenheit.

Ansonst war Mozart von der Marchetti nicht angenehm berührt. Sie hatte sich ihm gegenüber sehr kühl benommen, fast eisig, als ob sie kein Südlandsblut in der Ader führe. Mit spöttisch geschürzten Lippen hatte sie auf den lebhaften Kopositor herabgeschaut, sie war wohl überrascht, dass der berühmte Mann nicht den Leib eines Riesen trug. Vielleicht war er ihr wie eine niedliche Nippsache erschienen. Dieser Gedanke war Mozart nur schwer erträglich. Die Form, die ihm die Erde gegeben hatte, sollte niemand verhöhnen!

Auch hatte Frau Marchetti die Arie der Vitella getadelt, sie sei trocken und gefühlsarm und käme ihr wie eine harmlose Atemübung vor. »Warten Sie nur«, hatte darauf Mozart ihr gedroht, »ich schreib' Ihnen noch eine andere Arie an den Hals. Daran sollen Sie zu beißen haben!« »Je härter, je lieber!« hatte die hochmütige Frau darauf erwidert.

Herr Campi, ein schwelgerischer, kehlfertiger Bariton, wird den Publio spielen, die Perini den Selsto, die Antonini die Servilia, zwei Frauenstimmen voll sinnlicher Pracht. Woher kam es, dass just diesen welschen Menschen so viel Wohllaut geschenkt war? Formte ihre wollüstige klangvolle Sprache die Gaumen so glücklich?

Dann ist die Bedini, eine mit allen Reizen einer Liebesgöttin gerüstetes Mädchen, schillernd schön wie ein Pfauenspiegel. Ein wahrer Leckerbissen! Wie entzückend wird sie die Hosenrolle des Annio kleiden! Wie heiß hat sie Mozart angeglüht und wie verführerisch ihn gebeten, die ihr zugedachten und noch ungeborenen Arien mit den verwegensten halsbrecherischen Läufen und Trillern zu schmücken! Die Natur hat ihr eine Schönheit zugewiesen, die die Männer trunken macht und zu den tollsten Streichen treibt, und Gott hätte ihretwegen des Himmels und der Teufel der Hölle vergessen können, und der Mensch Mozart hätte sich in stürmischer Entflammung am liebsten gleich ihr zu Füßen geworfen. Doch hatte er sich rechtzeitig seiner Konstanze erinnert, die hatte ihm heute beim Abschied nachgedroht: »Wolferl, fein anständig bleiben! Treu sein und nicht aushin grasen, die Lieb' ist zart wie ein' Seifenblasen!«

Was hilft das? An der Bedini müssen die gründlichsten Vorsätze scheitern. Und Mozart erinnerte sich jetzt in aufwallendem Zorn, dass ihn der Tenor Baglioni in ihrer Gegenwart mit der rücksichtslosen Frage begrüßt hatte: »Meister Amadeo, Sie sehen stark gealtert aus! Was fehlt Ihnen?« Es ist ein gemeines Kunststück gewisser eifersüchtiger Ränkeschmiede, einem andern mit solch scheinbarer Teilnahme bei den angebeteten Wesen alles zu verderben.

Im blauen Frack mit vergoldeten Knöpfen, in Kniehosen von Nanking, die Strümpfe schneeweiß, die Schuhe mit blitzenden Schnallen geschlossen, schritt Mozart mit seinem Schüler über den Altstädter Ring. Vorsichtig wich er den Pferden aus, denn er fürchtete diese großen, unberechenbaren Tiere.

Die besonnten Türme der Teinkirche zackten hoch. Vor der schlanken Frauensäule dröhnten zwei Waldhörner, und eine Klarinette schwegelte. Die siebenbürgischen Wanderer brachten der Himmelskönigin ihr Ständchen.

Aus kühlen Schwibbogen tretend, betrachteten Mozart und Süßmayer die kunstvolle Rathausuhr. Der Heiland hielt mit den zwölf Aposteln seinen Umgang, der Hahn krähte, der Tod winkte glöckelnd dem Geizhals, und der hielt den Geldbeutel umkrampft und schüttelte den Kopf.

Das sonst behagliche und wenig geschäftige Bild des inneren Prag war erregterem Leben gewichen; das Krönungsfest war schon seinen Schein voraus.

Die Pflasterer besserten und ebneten die Gassen, dass die Pferde des einziehenden Königs nicht über die gefährlichen Katzenköpfe stolperten. Dachrinnen, die frech über die Gassen herein hingen, gewillt, die im Regen Lustwandelnden mit ihrem Erguss zu verstören, wurden abgebrochen und ganz nahe den Mauern angebracht. König Leopold sollte die Fürsorge der Stadtobersten loben. Von den Häusern wurde uralter, ehrwürdiger Schmutz weggefegt, ihre Stirnflächen wurden gefärbelt und verjüngt. Neue Lampen wurden an den Gassenecken befestigt. Aus Maueranschlägen war zu erfahren, dass man aus Prag kein Unschlitt ausführen dürfe; das Fest verlangte unzählige Kerzen.

Kostbare Karossen rasselten, fremde Herrschaften saßen darin, Lakaien in Scharlach und Himmelblau standen paarweise hinten auf dem Tritt, Läufer rannten voraus und gellten die Menge an, Platz zu machen. Hausbeamte des Adels, Heiducken in reich verbrämter Tracht, neugieriges Bürgervolk, geschäftige Juden wimmelten durcheinander, Metzgerknechte trieben Schweine, Ochsen und Kälber, Bauern brachten in ihren Karren gemästetes Geflügel, slowakische Mausfallenhändler klirrten mit ihrer drahtenen Ware. In den Läden prunkten rotes Fleisch und weißer Speck, mächtig ausladende Würste und braunkrustiger Leberkäse. Vor den Bäckereinen wurden stäubende Säcke abgeladen. Der Bauch der überfüllten Stadt wollte in den kommenden Tagen viel einschlingen. Über das Pflaster wurden Fässer und Ballen auf Schlittenkufen in die Tore der Handelshäuser geschafft. Hafer wurde eingelagert, die Pferde der Fremden zu sättigen.

Auf dem Kleinen Ring gewahrte Mozart den Korbflechter aus Königsaal, und dieser erkannte gleichfalls seine Kundschaft wieder, und er stellte sich mitten im Trubel im Handstand auf einen seiner Körbe, das lustige Werbekunststück wiederholend, und zappelte mit den Beinen.

Der Kapellmeister erstand in dem Laden eines Puppenkrämers zwei rotbackige hölzerne Docken. »Für die Stanzel, dass sie ihre zwei verlassenen Kinder nicht so hart entbehrt«, sagte er zu Süßmayer.

An der Ecke der Jesuitergasse kauerte eine greise Bettlerin, sie hatte eine kleine, mit messingenen Saiten bezogene Spitzharfe und zupfte daraus ein ganz leises, im Gassenlärm untergehendes Lied. Sie hielt während des Spieles die Harfe dicht ans Ohr und lächelte weltentrückt.

»Das Weib hat es nicht recht im Hirn«, meinte Süßmayer.

Doch Mozart war von dem Tun der Irrsinnigen gerührt. »Sie spielt nur für sich und verlangt kaum, dass sie bezahlt oder belobt werde.«

Es begann schon zu dämmern, als die beiden über die Brücke schritten. Ein rotes, etwas gedunsenes Weingesicht rief sie an: »Hallo, der Mozart und sein Apostel! Schamster Diener!«

»Was treiben Sie da, Stadler?« fragte der Kapellmeister.

»Gerad' hab' ich dem heiligen Nepomuk zu Ehren ein Schnaderhüpfel singen wollen!« Und der Klarinettist brüllte mit seinem verwüsteten Bass zu dem Heiligen hinauf: »O statua gentilissima del gran commendatore! Wohin übrigens meine Herren?«

»Zum Kaffesieder Steinitz hinüber ins Sachsenhaus.«

»Schenkt er ein starkes Gesöff aus? ›Schlechten Kaffee brauen ist die finsterste Sünde!‹ sagt der Türke. Ich schließe mich den Herrschaften an.«

Sie begaben sich in das von Gästen gepfropft volle Kaffeehaus in der Brückengasse, und alsbald dampfte vor ihnen das schwarze Getränk.

»Wollen wir dicht Billard spielen, Mozart?« fragte Stadler.

Der Meister lehnte es ab. »Ich bin zu abgespannt«, sagte er und trommelte mit den Fingern einen Marsch auf dem Tisch.

Süßmayer winkte heimlich dem Klarinetter: »Lassen Sie ihn! In ihm geht jetzt eine türkische Musik vor.«

Am benachbarten Tisch horchten mehrere Fremde, der Aussprache nach Preußen, einem Manne zu, der, mit dem Rücken gegen Mozart gekehrt, mit heiserer Stimme einen Vortag zu halten schien. Und eben war ein Name gefallen, der den Kapellmeister aus seiner Zerstreutheit weckte und ihn aufhorchen ließ.

»Von dem Daponte lässt er sich die Texte machen«, sagte der Heisere. »Von dem Daponte, der wie ein Zigeuner fremde Kinder stiehlt und für die eigenen ausgibt. Den ›Figaro‹ hat er dem Beaumarchais gestohlen, den ›Don Giovanni‹ dem Berbeti, den Metastasio hat er ausgeschlachtet.«

»Der Daponte ist doch ein Pfarrer?« fragte einer der Zuhörer.

»Ein verlogener Venezianer ist er mit spitzigem Hut und welschem Gemauschel, das kein redlicher Mensch versteht!«

»Und Mozart? Ist er schon in Prag?«

»Ich weiß nicht, warum meine Prager Landsleute so in diesen Mozart verliebt sind. Seine Musik ist doch keinen blauen Teufel wert! Ein Geschwindschreiber ist er, das gebe ich zu. Aber darin liegt doch die wahre Kunst nicht. Dem Salierin will er den Rang ablaufen, haha! Das wird ihm nicht gelingen. Und außerdem sind noch andere da, die auch etwas können. Die Herren werden bald Gelegenheit finden, meine wohlbelobte Kunst zu hören.«

»Sie überraschen und mit Ihrem harten Urteil«, sagte einer der preußischen Gäste.

»Herr von Kleist«, erwidert der Heisere gewichtig, »ich wiederholde es ausdrücklich: der Mozart lasst den Italienern nach, aber er erreicht sie nicht, und wenn er sich noch so sehr in die Höhe reckt. Er schaut übrigens aus wie ein kleiner Schneidergesell.«

»Seine körperliche Unzulänglichkeit beweist nichts gegen seine Kunst«, lächelte der Angesprochene. »Wir haben in Berlin turmhohe Grenadiere, und sie können nicht das schlichteste Lied nachpfeifen. Die Länge allein tut es nicht. Unser König Fritz war ein kurzer Herr und doch ein prachtvoller Flötist, und seine Märsche fahren einen in die Knochen. Ich für meinen Teil schätze Mozart sehr und halte seinen ›Don Giovanni‹ für ein alle italienischen Opern hoch überragendes Werk.«

»Dieses Gruselstück?! Aber, Herr von Kleist! Es ist eine einzige Unkeuschheit, ein Brunftlied! In Wien ist es durchgekracht. Nur den Prager Pfahlbürgern kann so etwas gefallen. Ein steinerner Reiter nickt zur Mitternacht auf dem Friedhof mit dem Kopf! Huhu! Wen in unserer fortgeschrittenen Zeit ergreift noch so eine wüste Gespensterei?«

»Wie mögen Sie die ›Hochzeit des Figaro' beurteilen?« fragte der Fremde.

»Man hat den Mozart weit überschätzt, Herr von Kleist. Das hört aber jetzt langsam auf. Der Mozart hat früh angefangen, als kleiner Kackinsnest ist er schon in Rom, Paris und London berühmt gewesen. Aber die Natur ist gerecht: was früh reift, fault bald. Der Mozart altert schon in seiner Kunst. Hören Sie nur ein wenig auf die öffentliche Meinung hin! So steht es um die frühreifen Kinder: was sie tun und plappern, ist den Alten abgelauscht, es ist nichts dahinter, es ist äußerlich und unecht. Die inneren Voraussetzungen dazu fehlen. Solche Wunderkinder sind schnell verbraucht, wenn sie älter werden. Geben Sie acht, meine Herren, der Mozart bringt nichts mehr zustande. Ich wette schon mit dem ›Titus‹ wird es schief gehen.«

»Ich zweifle sehr an Ihrer Weissagung«, entgegnete von Kleist, »und wenn wirklich irgendetwas schief gehen sollte, so ist nur Mozarts Erkrankung daran schuld.«

»Und warum ist er krank?!« höhnte der Heisere. »Wegen seiner Saufmetten mit dem Schikaneder! Und auch in seinen Vermögensverhältnissen ist er schon auf dem Hund. Er ist ein bekannter leichtsinniger Schuldenmacher. Ja, Borgen und Schmausen endet mit Grausen! Und seine Frau?! Bedenken Sie, schon die Kosten seiner Hochzeitsgasterei haben die Mitgift seiner Braut erheblich überstiegen! Er hat nichts gehabt, sie hat nichts gehabt! Null und Null, zählen Sie das zusammen, meine Herren! Nichts als Schulden sind da. Seine Konstanze ist eine rechte Schlampe.«

Bis jetzt hatte Mozart beherrscht, wenn auch mit brennender Stirne zugehört. Nun zitterten ihm die Hände, die Zunge zuckte ihm, und er richtete sich auf. »Dem will ich jetzt ein Gloria blasen!« murmelte er.

Stadler fragte: »Wer ist denn der Klachel dort, der sich so ausschleimt?«

»In mir dreht sich alles um«, sagte Süßmayer. »Wenn seine Stimme nicht so rau wäre, müsste ich annehmen, es sei der ...«

Der Heisere stand auf und warf das Geld für die Zeche auf den Tisch. »Ich muss gehen. Nächstens mehr! Der Mozart wohnt bei der Duschekin, die bekanntlich ein Verhältnis mit dem Grafen Clam hat. Wahrscheinlich ist der Mozart auch ein Liebhaber von ihr. Seine Dreistheit ist ja unbeschreiblich. Sie willen, er hat sich gegen seinen früheren Brotherrn, den Erzbischof von Salzburg, freche benommen, und da hat ihn der Graf Arco, der erzbischöfliche Stallmeister, mit einem Fußtritt hinausgeschmissen!«

Mit einem Zornschrei wollte sich Mozart auf den Schmäher werfen. Doch schon war ein langer Mensch blitzschnell von einem Nebentisch aufgesprungen, und der trat jetzt mit einem wuchtigen Tritt den Heiseren in den Hintern.

Wankend unter dem groben Stoß drehte sich dieser um.

Da sagte der Lange höflich zu ihm: »Ach, entschuldigen Sie! Mir ist ein unangenehmer Irrtum unterlaufen. Ich bin der Freiherr Karl von Freienturn und bin selbstverständlich bereit, Ihnen mit der Waffe jede Genugtuung zu geben. Verzeihen Sie! Ich habe Sie für den berühmten Hofkapellmeister Salierin gehalten.«

»O bitte, bitte, bitte, Sie erweisen mir zu viel Ehre!« stammelte der Getretene, und er verneigte sich bedientenhaft, den Rücken hoch, die Arme hängend, ein süßliches Lächeln an dem Mund.

Im selben Augenblick gewahrt er Mozart.

Und Mozart sah in zwei nüchterne, traumlose, feige Augen, in ein wohlbekanntes, verhasstes Gesicht.

Leopold Kozeluch!

Kozeluch glotzte ihn mit blödem, quellendem Blick an. Dann riss er seinen Hut an sich und flüchtete, seine Gesellschaft, die den Sinn dieses sich hastig abrollenden Geschehnisses nicht begriff, in Verlegenheit zurücklassend.

Mozart reichte seinem Rächer die Hand. Er hatte in ihm den Sonderling erkannt, dem er jüngst auf der Brücke begegnet war. »Ich danke Ihnen, dass Sie den Ehrabschneider gezüchtigt haben!«

»Eine Kleinigkeit!« lachte der Freiherr.

Ekel an den Lippen, drängte der Kapellmeister: »Freunde, gehen wir! Ich vertrag' die Luft hier nicht, die der Kerl mit seinen Beschimpfungen vergiftet hat.«

Als sie in die Nacht hinaustraten, bat der Freiherr: »Darf ich Sie in eine kleine bürgerliche Wirtschaft führen, Herr Kapellmeister?«

»Ja, gehen wir! Ich will meine Wut hinunterschwemmen. Oh, dieser Kozeluch! Und so einen Menschen lässt man die Krönungskantate schreiben!«

Der Freiherr zog die Brauen misstrauisch zusammen. »Verneiden Sie es ihm?«

»Zu Tod müsst' ich mich schämen, wenn ich diesen Kerl beneidete, der so knieweich wie ein Semmelbäck komponiert! Aber soll ich nicht aufbegehren, wenn er mir den guten Ruf und die Lust zur Arbeit nehmen will und die Ehre meiner Freunde schmälert?«

»Warum hasst er Sie?«

»Aus Neid. Und weil ich mit meinem Urteil über seine dürren, schwunglosen Einfälle nicht hinterm Zaun gehalten habe. Und weil ich mir verbeten habe, dass er hinterrücks über den alten Haydn schimpft.«

»Nun, der hat das Seine abgekriegt!« brummte Stadler. »Mag ihm der Hintere brennen bis zum Jüngsten Gericht!«

Karl von Freienturn führt die drei in eine niedere, gewölbte, verqualmte Schenke in der Aujezder Gasse.

An den einzigen Tisch saßen einige Kleinseitner Bürger und rauchten ihre Pfeifen. Sie alle schienen den Freiherrn gut zu kennen, und rückten zusammen, den fremden Gästen Platz zu machen. Und der Wirt fragte geschäftig, womit er den Herrschaften aufwarten könne.

»Nur nicht mit Wasser!« murrte Stadler. »Das macht blaue Därme.«

Die Kellnerin, ein Mädchen mit einem anspruchslosen, flachen Gesichtlein, setzte den Herren ein rötliches Bier vor.

Indes die Bürger ein Gespräch über die gefährlichen Weltläufte fortsetzten, flüsterte Stadler dem Kapellmeister zu: »Sie werden mit der Oper ein Viechsgeld verdienen!«

»Es ist nicht übertrieben viel«, wich Mozart aus, »und ich kann es brauchen. Die vielen Schulden! Ein Loch muss man aufreißen und damit das andere zustopfen. Sie kennen ja meine Verhältnisse. Ich hab' Geld bei Wucherern aufgenommen. Ich hab' vor ein paar Wochen unser ganzes Silber versetzen müssen, dass wir haben leben können.«

»Aber jetzt geht es Ihnen doch nicht schlecht, Mozart. Sie sind ja verschwenderisch fein angezogen.«

»Soll ich wie eine zerrupfte Vogelscheuche herumlaufen? Übrigens, Stadler, was ich Sie hab' fragen wollen: werden Sie die Prager nicht mit einem Klarinettenkonzert erfreuen?«

»Davon ein anderes Mal«, erwiderte Stadler, und er sprang nun mitten ins Zeug: »Um mich steht es windig, geschätzter Freund. Mein Geldsack ist ruchlos öd. Der dicke Guardasoni hat mir heut den Vorschuss verweigert, obzwar ich ihn kniefällig darum angefleht habe. Ich bin in größter Verlegenheit.«

»Der Guadrasoni kennt Ihren Leichtsinn. Sie verjuxen alles!«

»Was?« lachte der Klarinetter. »Der Mozart schimpft einen andern einen Liedrian?!«

»Nennen Sie mich nicht so laut beim Namen!«

»Gut, Herr Trazom! Doch hören Sie! Ich hab' alle tauglichen Mittel versucht, dass ich zu Geld komme. Vormittags hab' ich den Heiratsvermittler in der Plattnerstraße aufgesucht und dort eine Braut mit neunzig Jahren und zehntausend Talern bestellt. Leider ist diese Ware wegen ihrer Beliebtheit vergriffen gewesen. An wen soll ich mich jetzt wenden? Ich bin in Prag fremd. Herr Trazom, es hilft Ihnen nichts, Sie Großherziger müssen mir beispringen!«

Mozart wehrte sich noch. »Der Süßmayer wohnt bei einer reichen, heiratstollen Wittib. Nehmen Sie die und lassen Sie mich in Frieden!«

Stadler lächelte säuerlich. »Ich danke für den guten Rat. Aber ich brauch' das Geld auf der Stelle, ich hab' keinen Knopf mehr im Sack. Ich kann nicht warten, bis bei der Krönung die Taler ins Volk geschmissen werden. Herr Kapellmeister, ich rufe Ihr bewährtes Herz an!«

»Wie viel brauche Sie also, Sie nichtsnutziger Lump?«

»Wie vielhaben Sie bei sich, edler Mann?«

»Zwanzig Gulden, glaub' ich. Ich hab' sie nicht nachgezählt. Meine Frau hat sie mir mitgegeben.«

»So leihen Sie mir vorläufig achtzehn gute und genehme Gulden! Ich kann ja in ein paar Tagen wieder vorsprechen.«

Süßmayer stieß den Meister missbilligend an. »Zu gut ist andern Leuten der Narr!« mahnte er.

Aber schon nestelte Mozart heimlich unter dem Tisch und steckte Stadler das Geld zu.

Dieser flüsterte: »Der Guardasoni hat mir verraten, Sie kriegen zweihundert Dukaten für die Oper. Ein Schundlohn! So zahlt man einen Tagwerker! Man sollte Ihnen für den ›Titus‹ den Weg von Prag nach Wien mit Goldstücken pflastern!«

Er schob das Geld gelassen in den Sack und pfiff dazu den Ambrosianischen Lobgesang.

»Sie sagen aber gar nicht, wenn Sie mir die Schuld bezahlen werden«, meinte Mozart schüchtern.

»Keine Angst, ich bin Kavalier!« tröstete Stadler. »Ich zahle das Geld ruckweise zurück, wenn wir wieder in Wien sind. Und dem Süßmayer schnapp' ich die Witwe weg, und ich heirat' sie, und wenn sie blind und bucklet ist und aus dem Maul stinkt wie ein Häusel!«

Und damit war der Handel abgetan.

»Preisen wir und glücklich, dass wir jetzt nicht in Parin sitzen?« Also ließ sich Herr Johann Schultz vernehmen, der Eigentümer des Hauses ›Zur güldenen Schelle‹ an der Schlossstiege, ein dickleibiger Mann, das Fett schlotterte ihm im Genick. »In Paris ist alles verkauft und verraten«, fuhr er fort. »Die Blutfahne hängt vor dem Rathaus, die Altäre sind umgestürzt, das Laster ist obenauf. Die reichen Leute sind arm geworden, die wohlhabenden gehen jetzt betteln. Hunderttausend sind umgebracht worden, und Millionen haben davonlaufen müssen. Die Hetzer haben das gemeine Volk in den Gassen angezündet. Keiner traut dem andern. Keiner ist seines Besitzes sicher.«

»Jawohl, in Frankreich sind Unruhen unter den Schustergesellen ausgebrochen«, spottete der Freiherr. »Es ist ihnen zu gut gegangen. Wär' ich ihr König, mit der Karbatsche hätt‹ ich die Rebellen in ihre Löcher zurückgetrieben!«

Der Huterer Pistl, ihm gehörte das Haus ›Zum Butterbrot‹ im Prokopigässlein, ein gewiegter Politikus, warf ein: »Die französischen Könige sind selber schuld an dem Unglück. Sie haben den Unterrock übers Volk herrschen lassen, und wenn sie alt und zittrig worden sind, haben sie bei der Maintenon den Betbruder gespielt oder für die Dubarry Pasteten gebacken, statt sich um die Wohlfahrt ihrer Untertanen zu kümmern.«

Der Hausbesitzer Johann Werndle von den ›Drei Herzen‹ kratzte sich die dicke Nase. »Ich will mich gewiss auch nicht in Gedanken der schändlichen Empörung teilhaftig machen. Wir können mit unseren Kaisern zufrieden sein, sie sind gerecht und gescheit und meinen es gut. Aber das unterdrückte Volk der Franzosen ist zu verstehen, wenn es sich mit Gewalt die Freiheit erobern will.«

»Freiheit? Ein albernes Wort! In Paris geschieht nichts anderes, als dass sich andere zum Fresstrog drängen!« meldete sich die hämische Stimme des Altwarenhändlers Simon Wewerka. Eine schwarzwollene, schäbige Perücke auf dem Kopf, die Nase krumm und schneidend wie ein Türkensäbel, den Mund ohne roten Lippensaum, hockte er büßerhaft vor einem leeren Krug.

»Der Wewerka ist der ärgste Geizhals von Prag«, erklärte der Riemer Andreas Tränker laut den Fremden. »Er schindet den armen Leuten den Zins von der Seele. Dafür ist er mit sich selber gestraft. Er hat grausig viel Geld und genießt nichts, er ist reich und hat nichts.«

»Noch ein Seidel, Herr Wawerka?« fragte die Kellnerin.

Er schüttelte düster den Geierkopf. »Nein! Leckerbissen tun dem Geldbeutel weh.«

»Die Hauptsache ist, dass unser böhmisches Land gedeiht«, kannegießerte der Hausbesitzer Schultz und strich sich das dreigestufte Kinn. »Wir haben einen vortrefflichen Herrscher.«

»Jawohl, ein gedeihliches Land lässt sich höher besteuern«, krächzte der Geizhals.

»Gott erhalte uns den Frieden!« sagte der Wachszieher Emmerich.

»Ich fürchte, es geht gegen die Franzosen«, unkte der Schneidermeister Dellinger von den ›Drei Wildenten‹ in der Dominikanergasse. »Die Pariser haben dem Kaiser seine Schwester und seinen Schwager eingesperrt. Es spricht sich herum, dass einige tausend Säbel angefertigt werden, die mit Quecksilber gefüllt sind, damit sie besser die Köpfe spalten. Der Merkurius gibt bekanntlich neue Kraft.

»Das ist nur ein wildes Gerücht, ein Ofenbankgeschwätz«, meinte der Huterer Pistl.

Der Seifensieder Pompejus starrte mürrisch seinen goldenen Petschierring an. »Wartet nur, es kommt noch dicker! Der türkische Rossschweif wedelt bald wieder gegen Österreich, die dänische und die schwedische Flotte liegen segelfertig in den Häfen, Russland befestigt seine finnischen Grenzen. Warum? frage ich. Warum? Der Preuß' wird uns zu Wasser und zu Land den Frieden absagen. Mit den wohlfeilen Zeiten wird es bald aus sein.«

»Der Preuß' soll nur kommen, wir sägen ihm die Hörner weg«, rief kühn um sich blickend der Perückenmacher Sebastian Lauderer.

»Überlassen wie das dem neuen Kaiser!« sagte Johann Werndle. »Er wird alles zu unserem Besten verwalten.«

»Neuer Kaiser, neues Geld, neue Steuern, neue Sorgen!« litaneite Simon Wewerka höhnisch. »Ja, es wird überall Friede sein, und auf jeder Wiese bläst ein Hirt die Schalmei.«

Der Geigen- und Lautenmacher Karl Hellmer vom ›Güldenen Pelikan‹ am Aujezd, ein Mann mit einer überaus lustig geschwungenen Nase, einem winzigen, verschmitzten Mund und spitzbübisch zwinkernden Augen, fragte den Uhrmacher Anton Kollin: »Nun, wie weit bist du mit deiner Erfindung?«

»Spotte nicht!« ermahnte ihn der Huterer. »Ein englischer Balbierer hat sich auch mit dem Perpetuum mobile beschäftige und hat vor zwei Jahren die Spinnmaschine erfunden.«

»Ich habe die Spinnmaschine surren hören«, sagte der Freiherr ernst. »Ihr Geräusch ist mir unheimlich gewesen, es hat mich irgendwie an den Jüngsten Tag erinnert. Sie wird viele regsame Hände verdrängen und untätig machen. Viele Leute werden hungern müssen, weil ein Halbnarr spekuliert hat. Wenn die Menschheit nur einen Funken Voraussicht hätte, würde sie die Maschinen totschlagen und auch die, die sie erfinden.«

»Fortschritt muss sein«, warf Werndle ein.

Der Uhrmacher sagte bedächtig: »Man verlacht uns Uhrmacher, weil wir es mit winzigen Rädlein zu tun haben und sie ordnen müssen. Und doch hat just einer aus unserer Zunft es ausgezirkelt, dass man große Schiffe mit Dampf übers Weltmeer treiben kann. Jetzt wird bald alles geschwinder gehen.«

»Ja, der Teufel hat es eilig«, spottete der Freiherr. »Bald wird sich die Erde doppelt so schnell um die Sonne drehen.«

»Das Adagio und der Dreivierteltakt werden abgeschafft werden«, lächelte Mozart. »Man wird nur noch agitato und presto molto erlauben.« Er sagte dieses mit klugen Augen, und doch war etwas Abwesendes, war Ferne und Traum darin, und er summte plötzlich ganz unvermittelt den Anfang eines Liedes vor sich hin: »S'altro che lacrime ...«

Süßmayer sagte heimlich zu Stadler: »Merken Sie das auch? Mozart hat zwei Gehirne, das eine lebt und redet mit uns, während das andere gleichzeitig für sich in aller Stille musiziert.«

Der Uhrmacher begann nun von dem mechanischen Theater der Herren Pierre und Degabriel zu schwärmen, das im Haus ›Zur eisernen Tür' eingerichtet war, und von den wunderwürdigen Maschinenmenschen dort, die sich nach dem Willen der Zuschauer bewegen und auf die vorgelegten Fragen verständig antworten. Auch gebe es dort allerlei magnetische Kunststücke zu schauen, und besonders ergötzlich sie eine Vorstellung, wo der Sonnenaufgang im Wald mit stufenweise vorrückender Dämmerung und da erwachende Leben mit größter Naturtreue vorgetäuscht werde. Anton Kollin schloss: »Wenn zu diesem Morgenbild mit den erwachenden Vögeln, grasenden Rehen und streifenden Jägern jetzt noch der Mozart eine Musik schriebe, wäre das Weltwunder fertig.«

»Ein neuer Auftrag!« lachte der Kapellmeister seinem Schüler zu, aufs Angenehmste berührt von dem Wunsch des einfachen Mannes.

»Der Schnürleib ist auch so ein Fortschritt der Menschheit«, rief der Freiherr, auf die eigeengten Hüften der Kellnerin deutend. »Zum Teufel, die Brüste der Weiber sind nicht da, dass sie geschnürt werden, sonder dass sie Kinder tränken!« Und in hochtrabendem, spöttisch übertriebenem Tonfall begann er vorzutragen:

»Weh euch, ihr welschen Nationen,
wenn Habsucht eure Schwüre bricht!
Selbst uns're Frau'n sind Amazonen,
gepanzert schreiten sie und schonen
da Kind im Mutterleibe nicht!«

»Er Fluch unserer Zeit ist, das sie zu wenig einfach ist«, fuhr Karl von Freienturn fort. »Weg mit Samt und Seide! Weg auch mit der verweichlichenden Wolle! Leinen genügt, das im Land gesponnen wird.«

»Die Weiber haben zu viel an!« rief Stadler. »Nehmt die Madam Pompadour zum Vorbild, ihr Hemd hat in einem Puderdöslein Platz gehabt.«

»Gut«, sagte die Kellnerin schnippisch, »wir werden uns nach den Wünschen der Männer richten und so wenig wie möglich anziehen!«

»Bravo, Jungfer Pumpernella!« jauchzte der Klarinetter und patschte sie hurtig auf das gerundete Fleisch.

»Das ziemt sich nicht, Herr!« schmollte sie.

»Ja, Herr Stadler, Sie führen sich schlecht auf«, rügte nun auch Süßmayer.

Das allgemeine Gespräch hatte sich dem künftigen Träger der böhmischen Krone und dem vor der Tür stehenden Fest zugewandt.

»Unter uns gesagt«, meinte der Hutmacher Pistl, »der Kaiser Josef ist – bei all dem Guten, das wir ihm verdanken und auch dankbar anerkennen – ein alles übereilender Herr gewesen, ein unruhiger Kopf und kein glücklicher Feldherr in dem menschenfresserischen Krieg gegen die Türken. Sein Bruder Leopold, unser neuer Fürst, hat viel Überstürztes schnell wieder abgeschafft und gutgemacht. Er ist vorsichtiger. Als Großherzog von Toskana hat er gelernt, wie man mit Menschen umgeht. Schon hat er uns Böhmen die alte Krone zurückerstattet. Auch die verbotenen Zunftfahnen hat er uns wieder erlaubt. Er wird unsere so lange vernachlässigte Stadt wieder in Schwung bringen. Die letzten Habsburger haben alles, was bei uns wertvoll gewesen ist, nach Wien verschleppt, alle böhmische Landeskraft, unsere Reichtümer und Andenken und auch unsere besten Leute. Das hört jetzt auf.«

»Der neue Kaiser ist gut«, stimmte der Wachszieher bei. »An den Altären darf man wieder so viel Kerzen anzünden, als man will. Der sparsame Josef hat die Lichtlein abgezählt.«

»Der neue Kaiser will helfen«, sagte der Hausherr der ›Güldenen Schelle'. »Er will täglich sechs Stunden lang droben im Schloss die Bittsteller anhören.«

»Keine angenehme Arbeit!« bemerkte der Schneider Dellinger. »Er muss allen Blödsinn anhören, unberechtigte Klagen, ärgerliche Verbohrtheit, langweilige Vorträge, und für jeden muss er ein Wort wissen, das befriedigt.«

Zur Tür tastete sich ein Harfenist herein, der sich durch sein ehrwürdiges Silberhaar empfahl, und setzte sich sogleich an ein wackeliges Katzentischlein, das für ihn vorbereitet zu sein schien. Er stimmte die Saiten und horchte dem Geplauder der Gäste zu. Er war blind.

Der Uhrmacher redete von dem Luftschiffer Blanchard, der sich dem König zu Ehren mit seinem Ballon in die Wolken schwingen werde.

Doch Johann Schulz nörgelte: »Lauter Abenteurer und Schwindler stellen sich ein. Man wird sich vor Taschendieben hüten müssen! Gewiss sucht auch der Weiberhecht Casanova wieder unsere Stadt heim. Sperren wir unsere Weiber und Töchter vor ihm ein! Wollte Gott, das ganze Spektakel wäre schon ohne Schaden vorüber!«

»Ich freue mich über die Abwechslung«, sagte der Geigenmacher. »Käuze sind mir immer willkommen. Obzwar auch in Prag aus sich selber heraus allerlei beachtliche Narrheit schießt. So hat jüngst der Graf Waldstein seinen Zwerg mit einer gewaltigen Wanne zum Bäcker Nedoma um eine Semmel geschickt.«

»Die großen Herren werden oft von wunderlichen Grillen gekitzelt«, klatschte der Schneider Dellinger. »Ein hoher Landesbeamter, der in meiner Nachbarschaft wohnt – sein Name ist mir leider ausgefallen«, blinzelte er vielsagend, »dem ist seine Gnädige zu wenig daheim geblieben. Jüngst ist sie wieder den ganzen Tag aus gewesen und erst spät nach Mitternacht zurückgekommen. Und ihr Kutscher ist mit dem Wagen vor dem Haus auf und ab gefahren und hat das Tor nicht gefunden. Der Herr Gemahl hat es untertags ihr zum Possen schnell zumauern lassen. Das ist ein Spaß für die Nachbarschaft gewesen!«

Die Plaudernden wurden still, denn der Blinde hub angenehm zu harfen an. Er spielte das Menuett aus dem ›Don Giovanni'.

Der Uhrmacher Kollin flüsterte: Wie schön das klingt! Man wird förmlich ein besserer Mensch, wenn man zuhört.«

Der Geigenmacher Hellmer aber sagte laut: »Der Mozart ist der größte Musikant, den jemals der Herrgott hat wachsen lassen!«

Süßmayer stieß beglückt seinen Meister an. Und Mozart lächelte in wunderbarer Freude, dass er von diesen unbekannten Menschen geliebt wurde.

Als der Blinde die Harfe an die Wand lehnte, nahm Stadler einen Gulden aus der Tasche, beguckte ihn vorn und hinten und sprach ihn an: »Du blanker Wandersmann, gehst du so bald wieder von mir?« Und er warf ihn geschickt in den Hut des Harfners.

Simon Wewerka seufzte bei diesem Vorgang ihm unverständlicher Freigebigkeit schmerzlich auf. Doch fasste er sich und nickte Stadler traurig zu: »Nur so fort! Sie bringen Geld unter die Leute.«

Der Klarinetter krauste die Stirn in heuchlerisch weltweise Falten und reimte:

»Es ist kein Taler so blank und rot,
er weicht von dir bei deinem Tod.«

»Machen Se doch in den Krönungstagen seine Geschäftcher?« jüdelte der Geigenbauer den Geizhals an.

Der Huterer lenkte das Gespräch wieder auf die großen Ereignisse des Festes. »Der Salieri wird auch im Hradschin musizieren. Er soll ein verbissener Italiener sein.«

»Die welschen Leute verdrängen die unsern«, klagte der Riemer, »und wir unterstützen sie noch dabei, weil uns gewöhnlich das Fremde lieber ist als das Eigene.«

»Schließlich muss in der ärgsten Not, wie aus der Weltgeschichte zu lernen ist, doch immer wieder ein Deutscher herhalten«, sagte der Uhrmacher.

Der Freiherr nickte lebhaft und erzählte: »Ich war in Gibraltar, eben als die Spanier die Festung belagerten. Sie taten mit ihren schwimmenden Batterien den Engländern viel Schaden und hätten die Stadt sicherlich eingenommen, wenn sie nicht mit glühenden Kugeln abgewehrt worden wären. Aber dieser Widerstand war matt, denn es dauerte immer lange, ehe solch eine Kugel im Ofen glühend wurde. Da dachte sich ein deutscher Nagelschmiedgesell, der bei den Engländern diente, einen besonderen Ofen aus. Er ließ eine geräumige Vierung aufmauern, unten kleine Türen, die den Luftzug förderten, darüber einen breiten Rost von Eisenstangen anbringen, worauf man zweihundert Kugeln auf einmal legen konnte. Man heizte nun mit Steinkohle, und außerdem warf man noch Holz auf die Kugeln, dass es brenne, und so konnte man schon in einer kurzen Stunde die glühenden Kugeln mit Eisenlöffeln in die Kanonen schaufeln. Und jetzt scholl Schuss auf Schuss, und die spanischen Schiffe brannten, und der Feind musste sich zurückziehen. So hat ein deutscher Handwerksgesell der englischen Krone Gibraltar gerettet. Der Mann heißt Schwäckendieck, ist aus Hoya gebürtig und ist hernach in dem vormals Hardenbergschen und jetzt Sydowschen Regiment gestanden.«

Während Karl von Freienturn also erzählte, begab sich Mozart traumwandlerisch und von seinen Gedanken bedrängt, zu einem Spinett, das verstaubt und verlassen in einem Winkel der Schenke dämmerte, und begann gedämpft zu spielen. Die Bürger, dem spannenden Bericht der Freiherrn hingegeben, achteten nicht darauf, Stadler machte der Kellnerin einen kecken Liebesantrag, und Süßmayer grübelte über eine neue Wendung in seiner Arbeit an den Singgesprächen nach. Und so spielte Mozart ganz für sich allein, ohne auf Hörerschaft zu rechnen, und es sprudelte und kicherte wie ein Wiesenbächlein wirbelnd lebendig unter seinen Fingern hervor, und als es recht übermütig klang, bog er plötzlich in eine düstere Tonart aus, und es formte sich ein schmerzlicher Tanz daraus.

Der Hafner stand plötzlich neben ihm. »O spielen Sie weiter!« bettelte er. »O hören Sie nimmer auf!«

Da fing der Meister eine neue, trostvolle und gläubige Weise an, sie stieg wie ein milder Stern aus seinem Mitleid auf, und er schenkte diesen Stern dem blinden Mann neben sich, und Licht drang selig in dessen Nacht.

Nun verstummten auch die anderen Gäste und reckten die Hälse und staunten den Fremden an, der mit einer fast teuflischen Fertigkeit jetzt Töne aus dem Spinett hexte, die kein Mensch je darin vermutet hätte.

In dieser Weile beklommenen Lauschens stolperte ein schiefschultriges, betrunkenes Männlein in die Schenkstube. Es war so dünn, als ob es durch eine Flöte gezogen worden wäre. Es hob staunend den Zeigefinger, und daran haftete ein Tintenfleck. Es war der Abschreiber Josef Zwirtschek.

»Da musiziert ein Engel«, stotterte er.

Seine glasigen Augen erkannten den Mann am Spinett, und er rief: »Das ist ja der Mozart!«

Der Ruf schlug wie ein Blitz in die kleine Gesellschaft ein. Wachszieher, Huterer und Seifensieder, Geigenmacher und Perückner, Schneider, Riemer und Uhrmacher sprangen wundersam bestürzt auf. Welches Ereignis! Der weltberufene Mozart unter ihnen!

»Ist es möglich? Ist es wahr?« jubelte der Geigenmacher.

Der Perückner rang die Hände. »Mein Gott, in einem so kleinen Kopf geht so Großes vonstatten!«

»Der Mozart ist da! Der Mozart!« lärmte es.

Die geringen, unbekannten Bürger umdrängten ihn, suchten seine Hände zu fassen, zu schütteln und waren außer sich.

»Welche Ehre für meine Stube!« rief der Wirt entzückt. »Herr Hofkapellmeister, bitte, setzen Sie sich obenan an den Tisch!«

Er rannte in sein Weinkämmerlein, die älteste, köstlichste Flasche zu holen.

»Oh, könnte ich jetzt nur noch einmal sehen!« sagte der Hafner. Tränen füllten ihm die erloschenen Augen, und seien müden Knie bebten. Scheu betastete er das Samtgewand des Meisters, seine Schultern, seine Brust, seinen Zopf. »Das also sind seine Hände, seine Finger!« murmelte er staunend. »Und das ist sein Ohr! Oh, dieses Ohr, das bei lebendigem Leib in den Himmel hineinhorchen darf! O gnadenreiches Ohr!«

In tiefster Ergriffenheit bot er Mozart die armselige Harfe. »Ich bitte, greifen Sie sie an! Sie soll geweiht sein!«

Mozart rauschte gewährend mit der Hand durch die Saiten, und es schauerte süß und fremd durch sie wie erster Frühlingssturm im noch entlaubten Baum.

Nun reichte der Wirt dem Meister ein edles Glas mit goldenem Lippenrand und gefüllt mit böhmischem Wein.

»Stoßen Sie mit uns an!« lärmte es freudig ringsum.

Mozart schwenkte lustig das Glas. »Vivat zur Rechten und vivat zur Linken! Hoch leben alle, die jetzt mit mir trinken!«

Die Stube füllte sich jäh mit neuen Gästen, es war ein frohes Getümmel, ein jeder wollte das salzburgische Weltwunder ganz von der Nähe sehen.

Ein junger Mensch stellte sich Mozart vor. »Göttlicher Meister, hören Sie mich an! Ich bin Ignaz Zarabara und muss Tüten drehen, indes ich zu einem bedeutenden Sänger berufen wäre. ich bin in Gefahr, einmal unbeachtet zu sterben. Ich bitte, helfen Sie mir schleunig!«

Er hub mit süßlichem Tenor eine empfindsame Arie an.

Der Freiherr unterbrach ihn, indem er mit mächtiger Kehle das Lied vom General Laudon brüllte, und die ganze Schenkstube stimmte mit ein.

»Wein her!« übergellte Stadler den Gesang. »Ein Muskantenhals ist ein Abgrund. Füllt ihn! Füllt ihn!«

Er ließ seine Gulden traben und wollte mit Gewalt für die allgemeine Zeche aufkommen.

Ein Dichterling erkletterte den Tisch, fuchtelte mit einem langen Zettel und las davon ein selbstverfertigtes Gedicht herunter:

»Gute Böhmen, euer Herz ist bieder,
euer König liebt euch väterlich.
Lasset auf die Knie euch stündlich nieder,
fleht zum ew'gen Himmel inniglich,
dass er eure Stimme höre,
Leopoldens Tage mehre!
Ach, es ist so gut und wonnevoll,
eines Königs Zepter küssen,
der da weiß das Wehe und das Wohl
ganzer Völker zu versüßen!
O Leopold, du bist dazu erkoren.
Ein jeder Untertan wird gleichsam neu geboren.
Bleib deinen Böhmen immer hold,
du allgelieber Leipold!«

Die Gäste klirrten begeistert mit den Gläsern. »Hoch unser König!« riefen sie.

»Eine unübertreffliche Ode!« rief der Freiherr. »Die muss der Kozeluch in Musik setzen!«

Der Seifensieder Pompejus fasste Mozart beim Rockknopf. »Ich habe Ihr ›Steinernes Grabmal‹ gehört, Herr Kapellmeister. In mir zittert heute noch alles, wenn ich daran zurückdenke. Sie sollten bei uns in Prag bleiben! Wir wären glücklich!«

Karl von Freienturn bot dem Meister die Bruderschaft an. »Halten Sie mich nicht für einen gescheiterten Geschäftsmann!« sprudelte er. »Ich habe auch anderes genossen. Gesotten bin ich worden und dann gegerbt und gewalkt, abgeledert bin ich worden und wieder neu bezogen und mit allen Salben bestrichen worden. Zehnmal hat man mich niedergeschlagen, und elfmal bin ich wieder auf die Füße gesprungen. Krieg, Plünderung, Mord und Tod, Feinde und besonders Freunde, die der Teufel spicken mag, hab' ich erlebt und Fraß und Hunger, Durst und Rausch und Himmel und Hölle durcheinander!«

»Komm an mein Herz, du Weltkerl!« rief Mozart und trank ihm zu.

»Ich würde mich ja nicht an die herangewagt haben, wenn wir uns nicht schon so lange kennten«, sagte der Freiherr. »Als ich vor dreitausend Jahren im Luftballon zwischen dem Abendstern und den Aldebaran kreuzte, stiegst du zu mir in die Gondel.«

Mitten in der festlichen Freude, die durch die Stube schwang, hatte sich Josef Zwirtschek in seinem trunkenen Jammer still an dem Tischlein des Harfners niedergelassen. Der Taumel rings schien ihn nicht zu erreichen, und er schüttelte ununterbrochen den Kopf, als lehne er alles ab, was die Welt dachte und versuchte.

»Heut spinnt der Zwirtschek wieder«, meinte der Seifensider. »Im Rausch wird er immer größenwahnsinnig.«

Es war eine stadtbekannte Gewohnheit des kleinen Notenschreibers, in den Schenken der Kleinseite seinen Tod zu betrachten und in gewaltig aufgebauten Testamenten das Zeitliche zu ordnen, sein Erbe zu nennen und die Erben aufzurufen.

»Was ist es mit deinem letzten Willen, Pepi?« forderte ihn der Geigenmacher Hellmer heraus.

Der Kleine winkte feierlich den Wirt herbei. Der stellte ihm zwei hohe flackernde Wachslichter hin und bereitete Tinte, Feder und einen Bogen gelbliches Papier vor, und Hellmer musste das Amt des Schreibers übernehmen.

Mit unerschütterlichem Ernst verordnete nun der Kopist: »Bedenkend, das ich, Josephus Zwirtschek, geheimer Herr aller Großherren, aus dem Willen des Allmächtigen wie jeder andere Mensch sterblich und der Stunde meines tödlichen Abganges aus dieser verweslichen Welt nicht kundig bin, treffe ich hiermit wohlweislich und rechtzeitig nachstehende Verfügungen über meine Habschaft. Erstens: ich vermache den Dom des heiligen Veit samt der darin aufbewahrten böhmischen Krone Seiner Majestät dem kaiserlich-königlichen Hofkammerkompositeur Wolfgang Amadeus Mozart. Zweitens: ich vermache seinem hochgeschätzten Gehilfen Franz Xaver Süßmayer die Moldau samt der darüber laufenden steinernen Brücke.«

»Die böhmische Krone ist für meinen Schädel zu groß«, meinte Mozart.

»Nicht doch«, lachte der Freiherr. »Der Reif lässt sich so verengern und erweitern, dass er für eine jede Stirn passt.«

»Was fang' ich mit der Brücke an?« murmelte Süßmayer. Doch war er entzückt von diesem ehrenden Strahl, der von dem Glanz des Meisters nun auf ihn übergesprungen war.

Nachdem Zwirtschek noch eine Reihe großartiger Schenkungen erlassen hatte, unterfertigte er die Urkunde mit unsicheren Schnörkeln, doch mit entschlossen zusammengepresstem Mund und schrieb: »Joseph Zwirtschek, Kaiser des Aufgangs und des Untergangs.« Die ansehnlichsten der Gäste mussten sich als Zeugen und Bürgen unterzeichnen. Hierauf drehte der Geigenbauer aus einem Handtuch einen Turban und krönte damit der vergeuderischen Erblasser, und dieser saß wie ein fremder Wüstenscheich und sagte herablassend: »Ich danke allen für Ihre Begeisterung.«

Die Laune der Nachtschwärmer wurde ausgelassen. Einer begann zu tanzen, den vollen Bierkrug auf dem Kopf tragend.

Der Wachszieher glotzte Stadler betroffen an. »Herrgott, können Sie saufen. Sie saufen das große Raudnitzer Fass leer!«

Der Klarinetter erwiderte salbungsvoll: »Der Herr hat in seiner unerforschlichen Gnade mich, seinen Knecht, gewürdigt, täglich zwanzig Maß Wein ohne leiblichen und seelischen Schaden zu genießen, indes du, Wachszieher, von deinen Lastern schon längst einen Bruch wie ein Posaunenbläser davongetragen hast!«

»Herr Kapellmeister, es ist spät«, mahnte Süßmayer. »Gehen wir! Morgen müssen wir klar sein für die Arbeit.«

Doch Stadler trat die Ermahnung polternd nieder. »Hüte dich vor dem Schweiße, denn alle Eile ist des Teufels Werk! Also lehrt der alte Türke Mohammed.«

»Sie schwätzen einen Plunder zusammen«, ärgerte sich Süßmayer.

Jetzt stimmte der Harfenist ein schwermütig verliebtes böhmisches Lied n. »Ännelein, goldenes!« sang er leise dazu, und augenblicklich war es, als schwebe der reine Duft breiter goldener Felder und einsamer Moldauwiesen durch die Stube.

Und dann spielte der Blinde einen derben Tanz, wie ihn die Flößerin dem Wirtshaus zu Podskal trampeln.

Mozart nestelte sich schnell den Rock auf, packte tanzwütig die Kellnerin um die Mitte und hüpfte mit ihr im Dreischritt dahin. Aber er ließ sie bald wieder los und zankte: »Du tanztest nur mit den Füßen. Dein Leib ist hölzern.«

Süßmayer ließ mürrisch die Nase hängen, ihn verdross es, dass der verehrte Lehrer seine Würde so wenig wahrte und sich so bubenhaft überschlug.

»Xaverl, du machst Nasenlöcher wie ein Pinzgauer Ross«, neckte Mozart ich. »Warum bist du so grantig?«

»Ich ärgere mich über Verschiedenes.«

»O, du übelnehmerischer Mensch, o du schiefmäuliger Tazzelwurm!« rief Mozart und tat einen Pfiff wie ein Vogellocker. Gahcd!

Josef Zwirtschek war erschöpft über seinem ungeheuerlichen Testament eingeschlafen. Der blinde Harfner ließ die Arme hängen. Er war ein uralter Mann, ein ehrwürdiges Überbleibsel. In seiner Gebärde war mehr Müdheit als Ruhe.

Die Kleinseitner Bürger empfahlen sich einer nach dem andern von Mozart. Sie mussten in aller Frühe wieder in Werkstatt und Gewölbe stehen. Die Schenke leerte sich allmählich.

Nur Stadler lärmte unentwegt. Er küsste der Schenkdirne die Hand, und das gab einen schnalzenden Knall. »Wein her!« grölte er. »Wein! Wein! Als Soldat in Ungarn hab' ich nur Wasser trinken dürfen, mit einem Tropfen Essig vermischt, und das will ich jetzt an dem Wein räschen!«

Der Althändler Simon Wewerka war trotz der vorgerückten Stunde noch da. Er rückte näher an Mozart heran, und dieser betrachtete mit Schauder und Lust den schäbig angezogenen, spukhaft dürren Geizhals, von dem das Gerücht ging, er habe auf dem Friedhof während des Begräbnisses des eigenen Vaters ein Gesetzbüchlein über die Erbfolge studiert.

»Der wunderliche Herrgottsvogel da gäb' eine herrliche komische Arie!« flüsterte Mozart dem Freiherrn zu.

Wewerka leitete mit einer seltsam aufdringlichen Frage das Gespräch ein. »Herr Hofkapellmeister, was komponieren Sie jetzt?«

In seiner Keuschheit als Schaffender verwundet, erwiderte Mozart schroff:

»Sagen Sie mir zuerst, mit wem Sie heute Nacht ins Bett steigen!«

»Sie sind ein kitzlicher Herr«, grinste der Alte. »Man darf Sie nur mit einer Stange von Weitem angreifen. Werden Sie es mir auch übelnehmen, wenn ich mich erdreiste, Sie um ein Freibillett zum Besuch einer beliebigen Oper von Ihnen zu bitten? Mein Geschäft ist in der letzten Zeit stark abgeflaut, so dass ich keinen Kreuzer unnötig aufwenden darf. Und ich möchte doch eines Ihrer Werke hören. Man redet so viel davon, und ich liebe die Musik leidenschaftlich.«

»Du bettelst um eine Freikarte«, rief der Geigenmacher ergrimmt. »Und du selber gönnst keinem Bettler vor deiner Tür ein Herrgottsbröslein. Schäm dich! Drei Häuser hat dieser Allerleutfeind in Prag, und er bettelt um ein Billett!«

»Meine Häuser verzinsen sich nicht!« wehrte sich der Geizige. »Im Gegenteil! Die Kosten der Ausbesserung überschreiten die Einnahmen. Ich zahle drauf.«

»Verfallen lässt du die Häuser, du Geldfresser! Keines besserst du aus!«

»Herr Mozart«, setzt Wewerka wieder an, »wenn Sie schon meinem bescheidenen Wunsch abschlagen, so müssen Sie mich doch einmal in meinem Gewölb aufsuchen. Kaufen Sie bei mir etwas für Ihre Frau! Alten Schmuck! Oder altes schönes Geschirr!«

»Geschirr, ja das könnt' ich brauchen. Meine Stanzel schlägt viel zusammen.«

»Freund Wewerka«, sagte der Freiherr beißend, »der Sie durchdrungen sind von dem Wert greifbarer Dinge, besonders geprägten und unverrostbaren Metalles! Sie kaufen altes Gerümpel zusammen. Ich kann Ihnen für Ihre höchsteigenen Zwecke aus meinem Besitz eine behaglich eingerichtete Familiengruft billig abgeben. Sie ist geräumig genug, dass Sie Ihren Nachlass mit sich dort hinunternehmen.«

»Mein Geld nehme ich selbstverständlich einmal mit«, sagte Wewerka.

»Das ist doch nicht recht möglich«, zweifelte Mozart.

»Oh, es werden sich schon Mittel und Wege dazu finden. Soll ich mein Geld etwa fremden Leuten zurücklassen?«

Karl von Freienturn fragte: »Haben Sie nicht Angst, es könnte an dem Ort, wo Sie sich einst aufhalten müssen, schmelzen?«

Wewerka starrte den Freiherrn bestürzt an. Er rieb sich die knickerischen Knie, als fröre ihn. Doch fasste er sich rasch wieder und meinte leichthin: »Ach was, ich liebe mein Geld auch geschmolzen!«

»Mit Erlaubnis!« sagte Stadler und rülpste. »Herr Wewerka, dass Sie Ihr Geld nicht ins Grab mitnehmen, dafür wird schon Ihre Leichenwäscherin sorgen. Leihen Sie darum lieber einem hoffnungsvollen Musiker einen geringen Teil Ihres Vermögens! Mein Dank wird Sie bis zur letzten Stunde verfolgen!«

Wewerka maß ihn mit eisigem Blick. »Wer einem andern Geld leiht, der kauft sich damit einen Todfeind«, sagte er.

»Du Laus im Barte Gottes!« fluchte der Klarinetter.

»Herr Kapellmeister, gehen wir!« drängte Süßmayer.

»Du hast recht«, sagte Mozart, »ich muss heim.«

Sie brachen auf.

Stadler verneigte sich vor dem schnarchenden, turbangekrönten Kopisten. »Verehrter Wohltäter! In der schmeichelhaften Hoffnung, Sie vielleicht doch noch einmal in diesem Jammertal der Erde wiederzusehen: leben Sie wohl!«

Die Nacht war klar und angenehm, ein leichter Sprengregen hatte die Gassen abgekühlt. Eine Gassenlampe brannte matt und mutterseelenallein.

Die späte Gesellschaft zerstreute sich lärmend.

Der Geigenmacher Hellmer steckte seinen winzigen Uhrschlüssel in das gewaltige Schloss seines Haustores.

Der Harfner tastete sich schattenhaft die Häuser entlang.

Ein Nachtwächter trat aus dem Schatten.

»Sie geschworener Fledermauszähler, was schauen Sie mich so vorwurfsvoll an?« rief Stadler. »Ich bin kaiserlicher Beamter, und als solchem muss mir doch erlaubt sein, das heimlich zu verrichten, was das Männlein Piss zu Brüssel öffentlich und in allen Ehren tut!«

»Mozart, du bist müd«, sagte der Freiherr. »Ich will einen Lohnkutscher wecken.«

»Ich gehe zu Fuß heim. Die Nacht wird mich erfrischen.«

»So begleite ich dich.«

Der Wachtsoldat öffnete den beiden das Aujezder Tor, und sie waren im freien Land.

In der lautlosen Einsamkeit meldete sich das empörte Herz des Meisters. »Wie eine Zecke hängt dieser Kozeluch an mir!« zürnte er. »Wie rette ich mich vor ihm? Er beneidet mich, weil ich schon als Kind berühmt gewesen bin. Oh, ich wünsche niemandem das Leben eines Wunderkindes!«

Alle Schmach und Demütigung vergangener Tage fiel ihm ein. Böses trug er in sein Herz verkrallt; ungeahndet war bisher der fürchterliche Schimpf geblieben, den er durch den Grafen Arco erlitten hatte. In wilder Wallung zog er den zierlichen Stoßdegen und zückte ihn, als wolle er jemand ins Herz treffen.

»Wen ermordest du jetzt?« fragte der Freiherr. »Du fühlst dich elend und solltest doch der Glücklichste im Land sein. Um uns alle ist der trübe, stickige Dunst unserer täglichen Geschäfte gebreitet, dich umwebt immer der holde goldene Schein deiner Kunst.«

Mozart warf den Degen in die Scheide zurück. »Du redest wahr. Ich bin undankbar gegen mein Geschick.« Und laut rief er zu dem Friedhof hinüber, der mit schwarzen Baumwipfeln aus der zweifelhaften Nacht düsterte: »Derweil du mir noch zu schaden glaubst, Kozeluch, sitze ich schon längst auf deinem Leichenstein und lache dich aus und kratze dir auf der Fiedel einen spöttischen Tanz!«

Schweigend schritten sie dann durch die mondlichtgetränkte Landschaft. Die Straße glomm bleich, seligkühl strich die Luft über die heißen Stirnen und beschwichtigte sie.

Mozart blickte auf. Er fühlte plötzlich die Musik in dem gewaltigen, stillen Schwung der Gestirne, sie vermählte sich aus dem All herüber seiner Seele, und er ahnte dunkel den weisen Übereinklang alles Seins in Raum und Ewigkeit, und Quellen neuer Schöpfung rauschen in ihm auf.

Und von den Sternen nieder lenke sich seine Liebe zu der rührenden ländlichen Erde. Sie schlief und träumte und wartete auf die Menschen des künftigen Tages, die sie mit ihrer treuen Mühe pflegten.

»Wie unschuldig ist hier alles!« seufzte Mozart.

Karl von Freienturn aber sagte, er glaube nicht an die Unschuld der Erde hier, er verwerfe die gezähmte Landschaft. Und er begann von einer ungebrochenen Natur mit abweisenden feindlichen Felsen und tollen, weglosen Wildnissen zu schwärmen, darin sich Jaguare zum Ansprung ducken und böse Schlangen schillern, darin die Brunnen noch uneingefangen quellen und nach Herzenslust sich verströmen. Und er eröffnete dem Freund seinen Plan, ein Schiff zu rüsten und nach Amerika zu segeln und dort im Arkansasfluss den smaragdenen Felsen, davon die Sagen der Indianer und der spanischen Abenteurer träumen, zu entdecken und darauf zu wohnen. Und dann beschloss er wieder, ein Jahr lang als Landstreicher Italien und Griechenland zu durchwandern, um ein anderes Leben zu kosten. Ein gesichertes, allem Zufall enthobenes Dasein ekle ihn an.

Von dem Dorf Koschirsch her bellte ein aufgestörter Wachthund.

»Schweig!« rief ihm der Freiherr zu. »du bist nur ein Hund, ich aber bin ein Mensch!«

Als das Tier darauf verstummte, lachte er grimmig: »Das knechtische Vieh hat mich ernst genommen. Wenn es wüsste, wie kläglich es um uns Menschen steht! Gott hat sechs Tage lang mit Lehm an dem Menschen herum gepatzt, und doch ist sein Mensch nur Pfuschwerk geworden. Der Mensch ist das einzige, was Gott misslungen ist.«

Auf einer Brücke, darunter der Bach mit leisem, verschlafenem Rauschen dahinglitt, verabschiedeten sich die Freunde.

»Ich will im Weidengebüsch an der Moldau übernachten. Oder auf einem Floß, das sich sanft auf dem Wasser wiegt«, sagte der Freiherr. Er reichte dem Kapellmeister ein kleines Bündel. »Die Docken für deine Frau!«

»Wahrhaftig, darauf hätt' ich fast vergessen!«

Der Freiherr verscholl in der Nacht.

Ein Mann von Saft und Kraft, Kühnheit, hohem Willen und stolzen Gaben des Geistes, weltgewandt, edel! Doch sein Gemüt war zerrissen, sein Weg unklar. Er wusste mit sich nichts anzufangen. »Bin ich nicht tausendmal glücklicher als er?« verglich Mozart. »In mich hat Gott einen klaren Plan gelegt.«

Er wanderte durch die Allee, und sein langsamer Schritt war der einzige Laut dieser lautlosen Nacht.

Als er vor der Mauer der Bertramka die Glocke ziehen wollte, öffnete sich ihm das Törlein wie von selber. Die junge Magd stand da und grüßte freundlich.

»Du schläft noch nicht, Andula? Hast du auf mich gewartet?«

Sie nickte wortlos.

Auf den Zehen schlich er sich in das Zimmer und bettete die beiden Puppen links und rechts neben die schlafende Konstanze.

*

Sein kurzer Schlaf war voll wüster Träume.

Er wurde von vier Hämlingen in einer Sänfte zum Nationaltheater getragen und verlor dabei auf unerklärliche Weise seinen seidenen, mit einem smaragdenen Halbmond geschmückten Turban. Vor dem Theater angelangt, fand er zu seinem Schrecken dort das Tor und alle anderen Einlässe vermauert. Und weil er wusste, dass der Kaiser ihn erwartete, ließ er eilends eine Leiter an das Gebäude anlehnen und klomm nun die morschen, knacksenden Sprossen hinauf, und je länger er kletterte, umso länger wurde die Leiter und schien ins Endlose zu reichen, und dazu fing sie noch ganz bedrohlich zu wackeln an. Endlich kam Mozart zu einer engen, schmutzigen Mauerkluft und schlüpfte dadurch mühselig in den Saal hinein. Drunten lauerte die festlich wimmelnde Menge schon Kopf an Kopf zu ihm herauf, und er musste auf einem schmalen Balken zur Bühne hinüber turnen. Es fiel ihm in der schwindelnden Höhe nicht leicht. Unterwegs aber wurde ihm klar, dass die Zuschauer drunten von ihm ein aufregendes Seiltänzerstück erwarteten, und er hub an, mit Rumpf und Gliedern wunderliche Gebärden und Verrenkungen auszuführen, wie er sie im wachen Zustand nie gewagt hätte. Gleichzeitig hörte er, wie zu seinem nebelhaften Gehabe eine tobende, ohrenzerbrechende Musik losging, und er sah drunten den verhöckerten Notenschreiber Zwirtschek am Kielflügel die Krönungsoper leiten, angetan mit einem chinesischen Goldbrokatmantel, der mit Drachen, Wolkenbändern, Lotosranken und fliegenden Phönixen schwülstig bestickt war, und mit einem riesigen, grünlich phosphoreszierenden Ordensstern auf dem Bauch. Er ritt auf einem Schaukelpferd. Unter den Musikanten gewahrte Mozart die bürgerlichen Gäste aus der kleinen Schenke: der Altwarenkrämer Simon Wewerka schwang eine grelle Rassel; der Geigenbauer Hellmer schraubte sein Bein ab, es war aus Holz und hatte unzählige kleine Löcher, und er flötete darauf, und die Flöte kreischte schrill. Stadler aber saß betrunken in der Loge zwischen Kaiser und Kaiserin, seine Klarinette näselte aufdringlich, und dann klang sie wie verschnupft, und schließlich gellte sie, dass es nimmer zu ertragen war, das Lied vom General Laudon. Und entsetzt über diese seelenzersägenden Ohrengräuel winkte Mozart dem Kopisten Zwirtschek zu: »Genug! Genug!« und stürzte halbtot von dem Unrat dieses Lärmes kopfüber in die Tiefe.

Da erwachte er.

Es tagte schon.

Mit beiden Beinen sprang er aus dem Bett. Auf dem Tisch waren die Notenblätter aufgelegt, und die stolze, ergreifende Stimme der Marchetti sang aus seinem Herzen. Er schleuderte die Noten hin wie ein anderer einen wohldurchdachten Brief hinwirft. Er fand in sich schon alles genau verzeichnet und brauchte es nur abzuschreiben.

Konstanze dehnte sich im Nebenzimmer unter der Decke.

»Wolfgang, gestern bist du wieder lange ausgeblieben!« greinte sie.

Er erwiderte etwas gedrückt: »Verleiten hab' ich mich lassen. Die halbe Nacht hab' ich durchschwirbelt. Es ist ja recht lustig gewesen, aber jetzt reut es mich.«

»Wer ist denn alles dabei gewesen?«

»Der Süßmayer ...«

»Schau, schau, fängt der auch schon an?! Und wernoch?«

»Der Stadler.«

»So? Der Stadler? Hast du dich wieder von ihm anplauschen lassen? Wie viel hat er sich von dir ausgeborgt?«

Mozart runzelte die Stirn und dachte nach. Dann seufzte er: »Ich weiß es nimmer. Aber der Xaver wird es sich gemerkt haben.«

»Das triffst du, anderen Leuten die Schuh flicken und deine eigenen von den Mäusen zusammenfressen lassen«, greinte sie. »Aber das schwör' ich: der Stadler, der saugende Schmarotzer, der darf mir nimmer ins Haus. Verkehr nur weiter mit solchen guten Freunderln, dann ...«

Mit einem Schrei hellsten Entzückens unterbrach sie sich: »Zwei Docken! U jegus, zwei Docken hast du mir mitgebracht! Gelt's Gott, Wolferl! Du bist lieb. Komm schnell her und lass dir das Zöpferl flechten!«

Er lief zu ihr hin und küsste ihr zärtlich das Grüblein im Genick.

Trällernd steckte sie die Füße aus dem Bett. »Und heut fahr' ich in die Stadt. Ich will mir Prag anschauen, wie es sich für den Kaiser herausputzt. Und in der Bethlehemskirche soll ein kleiner Sarg sein, drin liegt eines von den Kindern, die der Herodes hat umbringen lassen.«

»Sei vorsichtig, Stanzel!« warnte er. »In den Gassen sind jetzt viele Mädchenfänger. Hüte deinen Mund, dass ihn kein Unbefugter busselt! Ich will hoffen, dass sich dein Schutzengel zur rechten Zeit räuspert.«

Ihr schwarzer Blick funkelte. »Hüten nur Sie Ihre kecken Augen, Don Mozart!«

Nach dem Frühstück, als Konstanze und Frau Duschek im duftigen Sommerstaat und in feinen, winzigen Schuhen schon die Kutsche bestiegen hatten, nach Prag zu fahren, sprang die Mozartin in einer liebevoll ängstlichen Regung noch einmal heraus und umarmte ihren Mann, küsste ihn und rief: »Wie blass du heut wieder bist! Du darfst mir nimmer so arg lumpen! Leb wohl! Leb wohl!«

 

Als Mozart dann am Spinett die zweite große Arie der Vitella ertönen ließ, die er eben vollendet hatte, drang ein Schwarm blanker Falter durchs Fenster in das Zimmer, wie von der Musik heran gebannt. Rochen sie die Töne? Der Meister saß in dem Wirbel dieser beseelten sommerlichen Flocken und spielte.

Plötzlich sah er die Magd Anna in der Tür stehen. Sie hatte ihm zugehorcht. Nun ergossen sich ihre Wangen mit einem tiefen Rot, als sei sie auf übler Tat ertappt worden.

»Wie hübsch du erröten kannst!« sagte Mozart.

Sie reichte ihm auf zinnenem Teller einen Brief.

Seine Hände zitterten, als er den Umschlag aufriss. Wer schrieb ihm da? Mahnte ihn wieder der schauerlich geheimnisvolle Besteller des Requiems?

Er winkte dem Mädchen, sich zu entfernen.

Ein berauschender Wohlduft wehte aus dem Brief. Er war italienisch abgefasst. In hellblauer Tinte lud eine tändelnde Frauenschrift den Kapellmeister für einhalb zehn Uhr nachts zum Salettel oben am Gipfel des Weinberges Bertramka zu einem Stelldichein ein. Die Unterschrift fehlte.

Ist dieser Brief ein Betrug? Hat der düstere Mahner sich diese hellblaue Maske vorgebunden?

Nein, nein, diese Zeilen da hat ein junges Weib verfasst, und ein himmlisches Abenteuer winkt!

Der Kater Kleopatra, der eine Weile mit dem Pfötchen nach den Schmetterlingen geschlagen hatte, die ihn umneckt hatten, sprang jetzt mit geschmeidigem Schwung auf den Tisch. Mozart packte ihn schnell, dass er das Tintenfass nicht umstürze und die noch feuchten Noten nicht verwische. Da biss ihn das Tier spielerisch mit den zarten Zähnen. »Wart nur, du tückischer Kozeluch!« sagte er und versetzte ihm einen leichten Klaps. Das verwöhnte Wesen sah ihn mit den grünen Nachtaugen verdutzt an, seufzte dann und schritt gleich wieder weltfern durch die Stube.

Mozart aber rannte in selbiger Unruhe auf den Hügel hinauf, durch den der Glanz der Blumen, unter dem heimlich übergrünten Laubgang. Das Herz im Leib schlug ihm aus wie ein übermütiges Rösslein, und der Brief in seiner Tasche schien Feuer gefangen zu haben.

Er küsste das Knie der alabasternen Göttin Venus, die in einer verschnittenen Buchsbaumhecke schlohweiß erschimmerte.

Er drohte, an die spröde Marchetti denkend, einer prächtigen, voll erblühten Rose: »Hoffärtige, vergiss nicht, dass du übermorgen welkst!«

Er berührte glücklich eine Knospe. Wie hat Gott sich nur so etwas Wunderbares ausdenken können! Und in einem so kleinen Ding! Wie schön ist die Bedini! Ihr Auge hat das gleißende Braun einer Kastanie, die frisch aus der eben zersprengten Hülle lugt.

Wie schön ist das Leben! Es ist wie eine süße Frucht.

Er stieg auf den Gipfel des Weinberges und sah das milde Bild der Landschaft vor sich und die träumerisch verschleierte Stadt. In Sehnsucht hielt er die Arme der Ferne entgegen.

Drunten im Garten hob der alte Gärtner eine Pflanze mit gewaltigen Wurzelballen aus dem Boden und trug sie wie ein Priester sorgsam und ehrfürchtig durch die Beete.

Mittags kehrte Konstanze allein heim. Die Arme überreich mit köstlichen Rosen einer fremden Zucht gefüllt, trug sie einen dionysischen Sommer in das Zimmer herein.

»Woher bringst du diesen Schatz?« fragte Mozart eifersüchtig.

Sie zwitscherte, sie habe am Heimweg den Gräflich Buquoischen Lustgarten angeloffen stehen sehen, und da habe sie die Gier angewandelt, ein bisslein darin herumzuschnüffeln, und wie sie dort zwischen den feurigen Beeten und den blühenden Stauden herumgeirrt sei und keine Menschenseele angetroffen habe, habe sie gedacht, es sein dort alles gestorben, Graf und Gräfin und Gärtner, und die verlassenen Blumen hätten sie gedauert, und sie habe sich nicht helfen können und habe die feinsten Rosen des fremden Gartens abschneiden und mitnehmen müssen.

Nun schleppten die Einbrecherin und ihr gewissenloser Hehler singend Krüge und Gläser herbei und füllten sie mit dem süßen Raub, und das ganze Haus duftete nach dem Paradies.

»Wenn ich aber jetzt wegen Diebstahls in den Turm auf dem Hradschin geworfen werde?« fragte sie.

Er griff nach einer Laute, ließ die Saiten zirpen und sang mit weinerlich verstellter Stimme:

»Hinter einem Eisengitter
liegt mein Herz und seufzt so bitter.
Komm nur schnell und zünd ein Licht,
eh es mir vor Schmerz verbricht!«

Es war Abend, und die Sonne verabschiedete sich eben. Da ließ sich Konstanze, auf dem niedern Ast eines Baumes sitzend, von dem sanft anschwellenden Abendwind wiegen und sah dem Kater zu, der mit lang ausgreifenden Schritten auf der Gartenmauer lustwandelte, eine kleine Docke wie eine Maus im Maul.

»Wie dick der Kater wird!« sagte Konstanze. »Setzt er schon den Winterspeck an?«

Mozart stand an dem abendlich verblichenen Weiher. Nach der ununterbrochenen Arbeit dieses Tages befand er sich in einem Zustand angenehmer Leere, er dachte und fühlte nichts und atmete nur wie ein dunkler, unwissender Baum.

Im Haus drunten schlug Josepha einen herrlichen Triller an. Die späte Lerche, die hoch überm Garten im scheidenden Licht badete, schien davon betroffen und beschämt in ihrem Sonnenlied innezuhalten.

Wie klar und kunstvol dieser Triller auch durch die Stille heraufdrang, so fasste doch Mozart ein heftiger Widerwille, über dessen Ursache er sich keine Rechenschaft geben konnte. sang doch die geliebte Freundin!

Die Zähne in die Lippen grabend, ging er dem Triller nach.

Josepha Duschek hatte die kurze Abwesenheit der Gäste benutzt, um in deren Zimmer am Spinett eine Arie zu versuchen. Sie sang und begleitete sich dazu.

»Sieh, an deiner Vatermilde
weidet sich der Untertan.
Es umschwebt der Edeln Schlösser
und des Bürgers frohe Werkstatt
und des Landmanns kleine Hütte
selige Zufriedenheit.
Alle Herzen segnen,
alle Zungen preisen
Leopold, das Muster guter Fürsten.
Alle bringen
mit der Wonne süßer Tränen
ihm des Dankes Opfer dar.«

»Kriecherisches Gefasel, um nichts besser als das, was der Reimerling gestern hergesagt hat, als er auf den Tisch gestiegen ist!« knirschte Mozart.

Er brach stürmisch in das Zimmer ein.

»Das also ist die Krönungskantate des Herrn Kozeluch!« polterte er. »Und du willst sie der Welt genießbar machen! Diese Gedudel mit deiner Stimme singen, heißt einen Dreck auf seidenem Polster tragen.«

»Mozart!« rief Josepha betreten. Ihre Elfenbeinhand lag erschrocken auf den ebenholzenen Tasten.

»Leder, Blech, leeres Stroh ist diese Stück! Eine hohle Dunstblase! Ein Ausbruch höchster Unbedeutsamkeit! Ein knechtisches Machwerk!«

Sie erwiderte: »Kozeluch ist kein Götterliebling wie du, das weiß ich. Aber du verurteilst zu schnell. Du bist zu schroff.«

»Josepha! Entweder alles oder nichts! Kunst oder Unkunst! Ein Mittelding gibt es da nicht. Ja, spürst du denn nicht, dass das alles ein jämmerlich ertüftelter Schund ist? Glaub doch nicht, das ich nur darum so schlimm urteile, weil er mein Feind ist!«

Er dachte daran, wie Kozeluch die Künstlerin verleumdet hatte, die jetzt mit der Schönheit und dem Ausdruck ihrer Stimme seinem schwächlichen Werk den Sieg erringen wollte, vergessen machen wollte, dass alles nur hohle Wendung und Formel war, dahinter kein Gefühl seine Flamme erhob.

»Dieser gefährliche Zuträger!« rief Mozart außer sich. »Alle Niedertracht der Welt steckt in ihm! Weg mit dem schulfuchsigen, geschwollenen Pofel! O du armes verhunztes Papier!« Ergrimmt schleuderte er das Werk seines Feindes auf die Erde, dass die Blätter flogen.

Er riss aus einem Stoß Noten seine neue Arie der Vitella und legte si barsch auf das Spinett. »Das hast du zu singen und nichts anderes!«

Mit großen, unwilligen Augen überflog sie die Schrift. Dabei sagte sie leise: »Du solltest dich mäßigen! Wäre dir eine so grobe, gewalttätige Verwerfung lieb?«

»Vergleichst du mich mit diesem Stümper? Ich messe meine Kunst an den größten Meistern, und sie besteht!« sagte er stolz.

»Doch wer von der Gnade Gottes so sichtbar gezeichnet ist wie du, Wolfgang, der soll mit den anderen milder ins Gericht gehen!«

»Du hast rech!« rief Mozart in wildem Selbstspott. »Ich bin begnadet, mit schenkt der Herr alles im Schlaf, ich bin sein Schoßhündlein! Josepha, weißt du denn nicht, wie fleißig ich bin, wie mühselig ich die Nächte durchackere, wie ich den Schlaf entbehre, wie ich die Einfälle, die ohne mein Zutun unbegreiflich in mir entstehen, mit schmerzlicher Überlegung ordne, ausführe und ausbaue?! Nein, nein, nein, Gott macht es Mozart nicht so leicht, wie ihr Oberflächlichen es euch denkt!«

Erschrocken über den qualvollen Ton seiner Stimme, betroffen von dem kranken Zucken, das seinen Mund immer wieder entstellend verriss, sagte sie: »Ich habe dir nicht weh tun wollen.«

Sie erhob sich und strich ihm mit einer mütterlichen, sorgenden Gebärde über das Haar und lächelte: »Most, wann gärst du aus?«

»Nie!« entgegnete er. »Wandlung und Werden ist Schmerz. Aber Gott geht mit dem Werdenden. Und Gott wird mit dem Werdenden. Und wehe dem, der erstarrt! Freundin, ich bin mir selber so rätselhaft! Ich erschrecke oft vor mir, weil ich keinen Plan in mir sehe, wie ihn ein rechter Baumeister haben soll. Alles in mir ist wie Zufall. Ich bin ein Kind des Augenblicks. Ich werde irgendwie getrieben. Ich weiß nicht, wohin ich will«

»Vielleicht geht gerade der am sichersten, der den Weg nicht sieht. Vielleicht kommt der am weitesten, der sein Ziel nicht kennt. Lass dich von deinem Dämmer führen, Mozart!«

»Du tröstest wunderbar, Josepha.«

Er setzte sich an das Spinett und deutete auf seine Arie.

Und sie sang.

Halb sprechend, halb schwebend in liedhaftem Schwung begann sie: »Ecco il punto, o Vitellia!«

Die große, wildblütige Bösewichterin Vitellia bereut. Sie bereut, den geliebten Sextus aus der Rachsucht ihres Herzens in Untat und Verzweiflung getrieben zu haben. Soll sie ihn, den sie zum Verrat an seinem Freund, dem Kaiser, aufgeschürt hat und der nun als Verbrecher sterben soll, so sie ihn verleugnen im Arm des Herrschers, der sie eben zum Weib begehrt hat? ihre Qual brenn in einem erschütternden Schrei auf: »Ah, mi vedrei sempre Sesto d' intorno!« Und der stürmische Wirwarr der Empfindungen läutert sich zu edelm Verzicht auf die stolzen Träume, und die Knie der beleidigten Majestät will sie umschlingen, ihren Frevel will sie bekennen und trauernd für immer verzichten auf Liebe und Thron.

Mit kurzem Vorspiel leitete Mozart den langsamen Satz ein.

»Non più di fiori va gehe catene
diccenda Imene ad intrecciar.
Stretta fra barbare
apre ritorte
veggo la Morte
ver me avanzar.«

In goldenen Strähnen rauschte die Begleitung. Und Josepha sang dieses Lied der Trauer über die verschwundene Hoffnung auf ein seliges Eheglück, einer Wehmut, die durchsprengt war von den Schrecken eines drohend überhangenden Todes.

Josepha sang, wie das Meerwunder vom umschäumenden Riff herab dem Irrfahrer mochte gesungen haben, ihn zu betören. Bebend ergriff ihre Stimme die Tiefe und beseelte sie mit unerhörtem Wohllaut, sie schwebte in verklärter Süße auf und erstürmte feuerschön die gipfelnde Höhe. Der Schrei der schmerzlichsten, zerrissensten Leidenschaft war noch in Anmut gebrochen, wie es die Kunst des Meisters wollte.

Die Arie war zu Ende.

War ein erhabenes Feuer erloschen?

Der Künstler und die Sängerin standen schweigend einander gegenüber.

Sie war wie die zum Menschenleib gewordene Musik

»Mozart«, sagte sie, »du wirst am Krönungstag siegen! Du wirst der sein, der die Krone empfängt, und nicht der König. Auf dir wird der höchste Glanz des Festes liegen!«

Dem Meister orgelte das entfesselte Herz mit gewaltigem, holdem Ton, und die eben erloschene Weise rauschte in ihm noch einmal auf mit Worten jauchzenden Verlangens. In dem Lächeln dieser Frau sah er alle Wonne dieser Welt blühen, und in der Doppelseligkeit der Kunst und der Liebe warf er sich vor ihr nieder und umfing ihre Knie.

»Welt, du bist mir geschaffen zu Glück und Leid!« rief er.

»Lass mich!« bat sie.

»Was entziehst du dich mir, Josepha? Dieser schöne Augenblick, soll er nicht bleiben?«

»Wolfgang, ich will wie ein ganz reiner Ton durch dein Leben klingen!«

»Geliebte, bleib! Ach, was ist denn bleibend, wenn nicht diese Liebe?«

»Dein Werk.«

Sie befreite sich von ihm und griff in die Rosen einer Vase, die heißen Adern der Hände zu kühlen.

»Ich liebe dich, ich liebe dich!« beschwor er sie. »Ich liebe dich!«

»Lass mich, Freund! Was uns aneinander bindet, darf nur traumhaft sein wie die Musik.«

Sie verließ das Zimmer.

Er setzte sich auf das Fensterbrett und starrte trotzig in die verfinsterte Welt hinaus.

Draußen klang der Lärm der verliebten Nachtgrillen wie spottende, silberne Hämmerlein.

 

Stumm wie ein beleidigter Knabe saß der Kapellmeister beim Nachtmahl zwischen den beiden Frauen. Franz Duschek war noch nicht heimgekommen.

»Warum isst du nichts?« fragte Konstanze ihn. »Ist dir nicht gut? Hast du dich wieder einmal überarbeitet?«

»Sorg dich nicht um mich!« erwiderte er kurz.

Er ging in den dunkel gewordenen Garten hinaus.

Nachtlilien dämmerten, sie warteten wie sehnsüchtige Bräute auf den Mond. Die Vögel schliefen mit satten Schnäbeln im Laub. Über den geschorenen Rasen bewegte sich ein feister Igel wie ein winziger wandernder Hügel. Die weißen Götzen leuchteten.

Mozart stand lange, voller Zorn gegen sich und die schöne Hausfrau und gegen die ganze Welt, auf der Höhe des Weinberges. Gleichgültig sah er die rötlich-matten Lichter der fernen Stadt blinken. Über ihm hingen ungeschaut die Perlenschüre der Sternbilder. Stumme Blitze zuckten sanft.

Aber jetzt stieg den Hang aus der Richtung des alten Friedhofes ein Flämmlein herauf. Es war eine Laterne, die einer dunkeln und anscheinend vermummten Gestalt voranleuchtete. Jetzt umschwebte sie einen wilden Strauch, jetzt wurde sie geschwungen. Kam jetzt das Wesen, das ihn zum Stelldichein geladen hatte? War es schon so spät? Oder näherte sich dort ein gespenstisches Pestweiblein?

Wilder Aberglaube flatterte mit Eulenflügeln auf. Schattengötter raunten.

Mozart wartete mit verhaltenem Atem. Die Hand tastete vergebens nach dem Degengriff. Er war unbewaffnet.

Eine Grille läutete wie ein helles Glöcklein. »Flieh, flieh!« läutete es.

Behänder näherte sich die Laterne. Jetzt schwebte sie schnurgerade auf den Kapellmeister zu.

»Guten Abend!« flötete eine weiche, welsche Stimme.

»Signorina Bedini?« staunte Mozart. »Sie?«

»Meine Kutsche wartet unter auf der Straße. Ich bin vor einer Weile schon einmal da heroben gewesen, und Sie kalter, saumseliger Deutscher sind nicht gekommen. Halb tot hab' ich mich gewartet.«

»Verzeihung! Es ist aber gewiss noch nicht halb zehn Uhr.«

»Eine Frau kommt nie genau. Sehr selten kommt sie früher. Sie sollten da zu schätzen wissen!«

Sie stellte die Laterne ins Gras. Ihr Gesicht war dabei abenteuerlich angestrahlt: der Mund war voll und schwül und ein wenig lasterhaft, das Auge heiß und verschleiert. Wie die geheimnisvolle Braut im Hohenlied Salomons, die über steile Anhöhen durch Dorn und Büsche dringt, den Bräutigam zu suchen, war sie gekommen.

Sie führte ihre kleine Hand hoch an die Brust, und es war nun, als läge dort ein Lilienblatt. »Ja, da bin ich«, girrte sie. »Bedauern Sie mich! Denn ich werde dafür einmal in der Hölle auf weißglühendem Rost tanzen. O Maestro Amadeo, ich denke immer an Sie!«

Rauschhaft wehte es aus dem tiefen Garten herauf. Die Nacht schien ganz andere, schwerere Düfte aus den Schlünden der Blumen zu holen als der vergangene Tag. Ein Glühwurm begann sein verliebtes Leuchtspiel. Funken irrten im Gras, taumelten um die Weinstöcke, und auf einmal wimmelte über den beiden Menschen eine ganze Milchstraße von Leuchtwesen.

»Zu mir also ist die Donella gekommen!« rief Mozart.

Sie lachte: »Zu Amadeo!«

O dieses Flötenlachen!

Er umarmte sie liebeswild, und sie stöhnte vor Schmerz auf.

»Liebe tut weh«, raunte sie. »Küssen Sie mich, Maestro! Küssen Sie mich!«

In süßer Betäubung hielt er den jungen, geschmeidigen Leib des Mädchens umschlungen. Mochte ihn die Eisfrau dort in dem Haus drunten zurückstoßen, hier schlug es ihm lichterloh entgegen!

Die Bedini riss sich aus seinem Arm. Sie tat ein paar koboldische Tanzschritte. Sie tänzelte um die Laterne herum wie ein Falter um das gefährdende Licht.

Mozart erhaschte sie an einer wilden Locke, die sich aus ihrer Kapuze ringelte. »Gelt, damit fängst du die Männer ein?«

»Sie sollen ein Gelehrter im Küssen sein, heißt es, Maestro Amadeo.«

»Dein Kuss klingt wie eine Silberschelle«, lobte er. »Ich will eine Sinfonie über deine Küsse schreiben!«

»Ja, Amadeo, und für die Oper ›Tito‹ müssen Sie mir eine wilde, tollkühne Arie bauen. ›Tu fosti traditor e degno di morte.« Die Leute sollen verrückt werden, wenn ich das singe! Doch was blinkt dort so weiß?« deutete sie in das Gartental hinab.

»Nichts Böses! Nur ein Götterbild! Amor der Bogenschütze. Lach nicht so laut, Geliebte! Die Götter schlafen. Wecken wir sie nicht auf!«

»Amadeo«, drängte sie, »Sie müssen diese Nacht noch, noch glühend von mir, meine Arie schreiben! Die Marchetti, die Perine, die Antonini, alle, alle sollen vor Neid vergilben!«

»O du Dulzflöte!« schwärmte er. »Alles, was du willst, kriegst du von mir. Schau, wie selig gestirnt der Himmel ist! Mir ist, als hörte ich die Moldau ziehen. Oh, morgen will ich über den Fluss zu den Türmen hinüber rufen, in deren Schatten du wohnst! Ich will eine goldene Saite über die Moldau spannen und darüber tanzen zu dir. Und die Saite wird unter meinem Tanz ein Liebeslied singen.«

Sie klatschte in die Hände. »Sie sprechen gar zierlich. Sprechen Sie weiter!«

Er küsste sie wieder und wieder. »Der Dichter Anakreon ist an einer Rosine erstickt. Hoffentlich sterbe ich nicht an dir. Und ob auch! Schau, der Himmelswagen senkt sich nieder! Steigen wir schnell ein! Schon wehen den Rössern der Götter die silbernen Mähnen.«

»Bleiben wir noch ein wenig auf der Erde!« lachte sie. »Und wie werden Sie meine Arie schreiben, Amadeo? Vergessen Sie nicht, zum Schluss einen sehr hohen, lang anhaltenden Ton zu setzen! Und Triller, Triller, Triller! Und jagen Sie die Melodie hinauf und hinunter, stelle Sie Gipfel und Abgrund nebeneinander! Vertrauen Sie meinem jungen Atem! Ich muss eine dankbarere Rolle kriegen als die Anchulina Perini! Denken Sie sich, diese Schlange hat es durchgesetzt, dass sie bei der Krönungsoper dem Kaiser vorsingen darf!«

Ein peinliches Gefühl kletterte sich plötzlich an Mozart. »Mädchen, bist du nur gekommen, um von mir eine stürmische Arie zu erfeilschen? Angelst du nach mir, damit du die Leute von dir reden machst und damit ein jeder dann die Bedini sehen will? Du Falsche! Mein Herz fällt mir von den Sternen in die Brennnesseln herunter.« Und ernster fügte er hinzu: »Mein Werk hat nicht den Zweck, dass eine schöne Frau eine Unterlage findet, ihre Stimme zu entfalten.«

Sie wühlte sich schwül in seine Arme. »Amadeo, schreiben Sie mir das Schönste und Glühendste, was Sie in sich haben! Und ich will singen, wie noch nie ein Weib gesungen hat.«

Er hörte sie nicht, er starrte an ihr vorüber. »Dort unten – am Friedhof, – was für ein wildes Licht – ist das?« schauderte er.

Es blinkte irr auf. Es verlosch und glomm wieder und wanderte.

»Was geht das Licht uns an?« sagte die Bedini unwillig. »Es ist wohl der Totengräber. Er mag es eilig haben, weil er nächtlich schafft.«

Mozart fröstelte es. Wie nahe sind doch Tod und Leben beieinander! Und warum sendet gerade jetzt der unheimliche Ort sein Zeichen herauf? Wer schwenkt dort das Licht? Besucht eine arme brennende Seele aus dem Fegfeuer die Erde wieder? Oder – mahnt der graue Bote an die Totenmesse? Ist er wie ein zorniger Schatten dem Meister hierher in diese glückliche Einöde nachgeschlichen?

Die Sängerin gewahrte nicht, dass seine schwärmerisch verliebte Stimmung in eine unsägliche Angst vor etwas Rätselhaftem umgeschlagen war. »Amadeo«, lockte sie, »ich habe Sie für verwegener gehalten. Ist ihre Kunst anders als Ihr Herz? Sind Sie nicht selber das Urbild des Don Giovanni? Sind Sie nicht der Verführer, der Genießer, der Frauenfresser?«

»Ich bin wohl nicht der, für den Sie mich halten«, murmelte er.

Und plötzlich stierte er sie mit wildem Misstrauen an. War das immer lächelnde Gesicht dieses Weibes nicht eine täuschende Maske? Was steckte dahinter? Tod und Teufel, was steckte dahinter?!! Hass und Verwesung? Und wer schickte sie her? Salieri, der Feind? Oder gar der – o furchtbarer Gedanken! – der Düstermantel, der dort drunten mit der Laterne fuchtelt an dem aufgeschaufelten Grab?!

»Was ist Ihnen?« fragte die Bedini. »Was ziehen Sie die Hand von mir? Woran denken Sie? Sie sind unhöflich. Sie beleidigen mich!«

Sie war für ihn nimmer da. Er starrte nur auf den Leichenacker hinunter. »Wer winkt mir – dort?« stammelte er. »Soll ich – schon – hin?«

Eine würgende Angst übermannte ihn so gewaltig, dass er das erglühte Weib von sich stieß und in blinder Flucht den Garten hinab stürmte. Ihm war, nur der Friede des erleuchteten Hauses könne ihn schützen gegen die finsteren Geister, die sich seiner bemächtigen wollten.

Das Herz flatterte ihm wie irrsinnig in der Brust. Er wartete lange vor der Tür, bis er sich erholt hatte.

Konstanze spielte eben mit Franz Duschek Domino. Sie zankte ein wenig, dass Wolfgang in der etwas kühlen Nacht den Weinberg hinauf laufe und sich einschwitze, und dann legte sie, mit aller Aufmerksamkeit wieder dem Spiel zugekehrt, ihre Steine aus.

Mozart zog sich in sein Arbeitszimmer zurück.

Josepha folgte ihm.

»Sei nicht böse!« bat sie.

Er fand keine Worte. Die Seele war ihm verworren von Liebe, von Trauer über unerklärlichen Verlust, von fremder Furcht. Grenzenlos weit ins Ungewisse hinaus war der Ring seiner Gefühle gespannt. Blass und gebrochen saß er am Spinett. Das sonst so lebhafte Auge war trüb und schwer.

»Wolfgang, du solltest ein mehr gesammeltes Leben führen!« sagte sie. Er dauerte sie sehr.

»Wie kann ich das? Und was kümmert es dich, wie es mit mir endet?!«

»Schone dich! Schone dein Herz!«

Träumerisch berührte er die Tasten.

Der Klang rief ihn auf.

Er spielte. Und das Wesenlose wurde Wesen, das Unfassbare wurde Gebild.

Zuerst tänzelte es wie spielerisches, kindliches Leid. Der Mai dachte sich allerlei innige, herzfreudige Blumen aus, der Sommer prunkte festlich schwer, geisterhaftes Herbstsonnenlicht brach hervor, und der Wind schauderte müde durch das letzte Laub. Die Zeit gerann zu Klang. Töne wurden zur Dämmerung, und Nachtlerchen sangen ihren mondsilbernen Ruf darein. Aber was da der erbebenden Luft des kleinen Raumes wob, war nicht eitler Abklatsch der Natur, sondern alles war aus der Regung einer fühlenden, mit rätselhaften Widersprüchen beladenen Menschenseele geboren. Und so knüpfte sich ausgelassener Tanz an dämonische Trauer und hinreißende Schwermut an weltfröhliches Getümmel, und alle Windsbräute der Frühlings huschten durch das Spiel, und danach war es, als müsse ein Lied vor lauter Herzleid verbluten, aber es war gleich wieder heiter und rege. Und dann erhob es sich wie mit der erhabenen Schwinge eines hohen Engels, und das Flammentum einer mächtigen Seele brach auf. Purpurn ballten sich die Harmonien. Eine Fackel schleuderte ihr Licht in bodenlose Tiefen hinab und störte ihre Unergründlichkeit auf, ewige Geheimnisse drohten sich zu enthüllen und verschleierten sich wieder streng. Und dann scholl wieder die holde Klage des tödlich schönen, des nie zu erfüllenden Lebens, der Wonnegesang der Liebenden, das verirrte Schmerzgestammel des Verwundeten, die süße Bitterkeit eines ratlosen Herzens.

Mozart saß vertaucht in den dunkeln Schöpfungsvorgang, die Brust von den Schauern der Verzückung durchronnen. Er saß ein wenig vorgeneigt, sein Haupt schien geisterhaft umflammt, seine kranke Stirn widerleuchtete von dem Glanz einer anderen Welt.

Josepha stützte sich auf die Lehen eines Stuhles. Sie fühlte sich in die Wirbel dieses tönenden Feuers gerissen. Einen Augenblick lang war ihr, jetzt werde ihr das Rätsel des Urschaffens offenbar, und sie ahnte das Geheimnis der letzten, tiefsten Quelle und das Dämmer im höchsten Abgrund. Enthüllte sich jetzt nicht todbringend in schrecklichem Wunder, was an letztem Sinn hinter den schwebenden Wänden der Musik sich verbarg?

Der lauschenden Frau zitterten die Knie. Wahrhaftig, diese Musik war der schwingende Atem Gottes. Gott widerhallte in diesem Menschen. Gott redete durch diesen Mann.

Der Künstler wurde kühner. Groß wie die Moldau wallte sein Gedicht vorbei. Kein Maß galt mehr, in überschwellender Fülle drängte es. Es kam und schwand. Es frohlockte wie ein ewiger Brunnen: »Niemand schöpft mich leer!« Und fremde, nie vernommene Klangsäulen türmten sich und waren in ihrer Fremdheit wie der Urvorstoß eines neuen Geistes. Und das Spiel weitete und vertiefte sich immer gewaltiger, als wolle der Meister den ganzen Weltlauf von uran bis zur äußersten Aufhör hineinzwängen in sein Werk. Aber plötzlich stürzte der unerhört gebäumte Überschwang ab, und alle Leidenschaft der Melodie und die kühnwilde Harmonik wichen einer starren, schwarzen, eisig drohenden Weise.

»Dies irae!« bebte es von den Lippen Josephas. Und in ahnungsvollem Entsetzen schaute sie die Geister der Kunst und des Todes gleichzeitig mit ihren stolzen Flügeln über den Meister schatten.

Mozart vollendete die zürnende Weise nicht. Von Grauen vor der eigenen Kunst gepackt, brach er ab.

Es war, als zerspringe eine Laute mitten im Spiel.

Aus Josephas Augen stürzten die Tränen. »Mozart, woher das alles?«

»Was hat du?« fragte er erstaunt.

Im Rausch der verzauberten Seele stammelte sie: »Ich kann es nicht sagen.«

Er sprach zu sich selber, als wolle er eine bange Stimme in sich verscheuchen: »Ich fürchte mich nicht. Mein Leben wohnt noch in der Zukunft.«

Sie verstand nicht, was er meinte. Sie sagte nur: »Mozart, in der Kunst kann der Mensch das, was Gott kann.«

»Nein, nein«, widersprach er.

Dann begann er grüblerisch: »So viel ist noch in mir. Ich fürchte, ich werde mit meiner vielen unausgeführten Musik zu Grube fahren, und sie wird mich unter der Erde nicht rasten lassen, und ich werde umgehen müssen als feuriges Gespenst.«

Ermattet und krumm kauerte er auf dem Sessel, das Gesicht grünlich-fahl.

Er spürte etwas über seine Hand krabbeln. Es war ein winziger Muttergotteskäfer. Er mochte schon auf der Hand gesessen sein, als sie noch spielte.

Jenseits des offenen Fensters wartete silbertrunken die Nacht, und ihre Seele horchte bang herein.

Mozart liebte das tiefe Schweigen nach verklungenem Spiel. Es stillte selig das noch vom Aufruhr des Schaffens erregte Herz.

»Was ist in dir vorgegangen?« fragte Josepha. »Ich fürchte um dich. In dir ist ein unirdisches Feuer. Ich fürchte, es zehrt deinen Leib auf.«

»Um mich hat sich niemand zu fürchten!«

Er stützte die Stirn, die uralt zu sein schien wie ein Stück Felsen, und sich voll wieder in die Wirklichkeit zurückfindend, sagte er traurig: »Gott verwebt mein Werk in diese Zeit, aber die Zeit versteht es nicht.«

»Unsere Zeit ist zu eng für dich. Du bist nicht für sie da. Du stehst darüber. Du bist für ...«

»Für die Ewigkeit«, hatte sie sagen wollen. Aber Ehrfurcht vor dem ungeheuren Wort hieß sie schweigen.

Sie konnte nur flüstern: »Du machst die Welt unwirklich. Du machst die schwebende noch schwebender. Du spielst mit der Welt. Worein willst du sie verzaubern?«

Und dann verstand sie, dass das, was eben hier in erschütternder Kunst getönt hatte, verschollen war für immer, und dass nichts diese erhabene Tonlandschaft zurückrief ins Dasein und die Menschheit damit heilig, niederschleudere und erhebe. Es war vorüber.

Und auf einmal wurde ihr das eherne Gesetz der Vergänglichkeit schrecklich klar, und verzweifelt fasste sie Mozarts Hände, als wolle sie ihn damit festbinden an das Leben, und sie schluchzte: »Ich fürchte, deine Kunst nimmt dich von der Erde!«

*

Konstanze schnitt Gänsekiele für den Schreibtisch ihres Mannes zu und trällerte wie ein sorgloses Kind mit ihrem kleinen, angenehmen, etwas verwelkten Sopran, indes Josepha die zerstreuten Blätter der Krönungskantate zusammenklaubte, die seit gestern Abend auf dem Fußboden zerstreut lagen.

»Konstanze«, fragte sie, »meinst du nicht auch, dass Wolfgang zu angestrengt arbeitet?«

Frau Mozart nickte. »Er arbeitet eigentlich ohne aufzuhören. Sein Gehirn musiziert immer, auch im Schlaf. Denk dir nur, er hat sogar während meiner ersten Entbindung komponiert. Ein Menuett.«

»Während deiner Entbindung?!«

»Er würde auch komponieren, während ich stürbe. Das ist er imstande. Er schafft immer. Und wenn er sich noch so verständig mit mir unterhält, so spür' ich doch immer, dass er sich dabei innerlich mit ganz anderen, ganz abseitigen Dingen beschäftigt. Das ist mir unheimlich.«

»Franz meint, dass Wolfgang besonders in diesen Tagen die Arbeit auf Kosten seiner Gesundheit übertreibe.«

Konstanze erwiderte: »Er steht mit seiner Oper auf und legt sich mit ihr nieder. Das ist richtig. Es muss halt so sein. Der Kaiser kommt, und da muss der Mozart den ›Titus‹ fertig haben. Er plagt sich wirklich sehr. Aber mein Trost ist, dass er mit Lust arbeitet. Er vergisst dabei aufs Essen und auf Weib und Kind und auf die ganze Welt.«

»Er vergisst dabei auch, dass er krank ist, Konstanze. Er schaut oft leichenblass aus.«

Die Mozartin zuckte die Achseln. »Es wird schon wieder besser werden, wenn einmal die Krönung vorüber ist. Ich rede ihm ja oft zu, er soll sich schonen. Aber es hilft nichts.«

»Er soll sich einmal tüchtig erholen, ein Wildbad aufsuchen und im Sonnenschein herumlungern. Vor allem aber sollte er nimmer so leichtsinnig jeden Auftrag annehmen. Er muss dann gewöhnlich hetzen, dass er fertig wird, und die Nächte hernehmen. Er ist ein rechter Nachtmensch geworden.«

»Ja, der Wolfgang überrechnet niemals die Zeit. Und die Aufträge nimmt er an, weil wir das Geld so bitter brauchen.«

»Geht es denn bei euch gar so knapp zu?«

»Gewiss! Bei den schäbigen achthundert Gulden, die uns der Kaiser gibt! Und im vorigen Jahr hat der Mozart nur zwei Schüler gehabt. Man wirft meinem guten Mann vor, dass er alles verschleckt und mit leichten Weibern vertut. Das ist aber erlogen. Er muss alte Schulden abzahlen, und das reißt uns immer wieder in neue. Was er verdient hat, hat er an mir verarzneien müssen, meine Badekur hat schweres Geld gekostet. Die vielen Geburten haben mich krank gemacht. Es ist richtig, dass sich der Wolfgang in Geschäften nicht auskennt, er wird viel betrogen und von Wucherern ausgeplündert oder komme anderswie zu Schaden. Aber das wir das Geld verschlemmen, ds ist nicht wahr. Wir essen zu Mittag oft nichts als ein ärmliches Rindfleisch, ein halbes Pfund, und oft haben wir im Winter in der Stube getanzt, dass wir uns erwärmt und an der Feuerung gespart haben. Der Schwiegervater, der mich nie hat leiden mögen, der hat mich allerweil beschuldigt, dass ich daheim nicht zur Hausfrau erzogen worden bin und dass ich von einem schlampigen Zigeunergesindel herstamme. ›Schlumperhans und Schlumpergretel haben zusamm' geheiratet', das ist sein ewiger Spruch gewesen. Und dem Wolfgang hat er geraten, er soll mich wieder meiner Mutter zurückschicken. ›Sie ist zu nichts, sie kann nicht hausen', hatte er ihm sagen lassen. Ich tue, was ich kann!«

»Armut allein wäre ja sonst kein Unheil«, warf Josepha ein, »aber ...«

»Damit wollen alle Reichen die Armen trösten«, unterbrach Konstanze sie scharf. »Sollen es nur einmal die anderen versuchen, was es heißt, von der Hand in den Mund leben! Der Leopold Mozart, mein Herr Schwiegerpapa, der alte Raunzer, der hat mir einmal sagen lassen – mit mir selber hat er ja nie geredet, ich bin ihm zu schlecht gewesen – sagen hat er mir lassen: ›Arm wird nur der, der nicht rechnen kann!' Als ob ich etwas dafür könnte! Wenn ich den Wolfgang aus den Augen lasse, verkauft er seine schönste Musik für einen Schund. Andere werden damit reich. Er schenkt seine Sonaten her. Ja, die Lumpen stehlen ihm sogar seine Arbeiten, sie lassen sie stechen, ohne dass er davon weiß.«

Während Konstanze so klagte, achtete sie nicht auf ihre Stirn, und diese wurde ältlich und voll tiefer Falten, und die Frau trug auf einmal einen armen Sorgenkopf, und der sonst so zierliche Hals sah mager aus, und die Schultern waren eckig und dürftig.

Josepha merkte das und sagte in tiefem Mitleid: »Wir, seine Freunde, müssen trachten, dass er in ruhige, gesicherte Verhältnisse kommt. Ich hoffe, die Krönungstage werden das glücklich entscheiden. Er muss aus der Enge heraus!«

»Glaubst du am Ende gar, ich lasse ihm zu wenig Freiheit?« fragte Konstanze feindlich. Und in ihrer Verbitterung fuhr sie fort: »Wenn ich nicht dabei bin, soll er von mir aus tun, was er will. Ich wär' ja gern genug daheim in Wien geblieben. Aber ich kann doch den zerstreuten und kranken Mann nicht mit dem Süßmayer allein reisen lassen! Der Xaver ist ihm ja keine Hilfe, der ist ungeschickt und steif wie ein preußischer Ladstock.«

»Niemand hat etwas gegen dich, Konstanze!« beruhigte Josepha die erregte Frau. »Die Frauen so bedeutender Männer leben schwerer als solche mit Dutzendmännern. Mozart ist launisch und leichtsinnig. Ich weiß, du bist klug genug, seine kleinen menschlichen Schwächen zu verstehen und darüber hinwegzusehen. Aber ich denke jetzt an seine Gesundheit.«

»Glaubst du, er ist gefährlich krank?« fragte Konstanze erschrocken. Und dann brauste das zarte Geschöpf auf, das Gesicht vor Wut weiß und entstellt: »Vielleicht beschuldigt man mich auch, dass ich mich zu wenig um seine Gesundheit gekümmert hab'! Beim himmlischen Herrgott, schuld ist sein Vater! Der hat ihn rücksichtslos ausgenützt. Den alten Mozart hat der Geldteufel geritten, und dumm und eitel ist er auch gewesen. Das schwache Kind hat er gezwungen, dass es Nach für Nacht in fremden Städten vor den Leuten gespielt hat, und nebenher hat es auch noch Sprachen lernen und Sonaten schreiben müssen. Den Leib hat der arme Wolferl alleweil in sein Staatskleid eingezwängt gehabt, und er hat sich nicht wie andere Kinder frisch bewegen dürfen. Durch die halbe Welt hat der Alte sein mattes, schwächliches Büberl gezerrt im schlechten Reisewagen, in Regen, Schnee, Hitze und Meersturm, und so hat sich der Wolfgang frühzeitig den Keim zu seiner jetzigen Krankheit geholt. Einen kranken Mann hab' ich in die Ehe übernommen!«

»Der alte Mozart ist tot«, sagte Josepha ruhig. »Wir dürfen ihn nicht so hart verurteilen. Vergessen wir nicht, was wir ihm zu danken haben! Er hat alles vorbereitet, dass sein Sohn ein mächtiger Künstler werde. Ohne seine Mühsal und Sorge hätte die Welt in Wolfgang Amadeus nicht den großen Meister. Der alte Mozart ist sich seiner Verantwortung bewusst gewesen, mit aller Klugheit hat er den Knaben und den schwierigen Jüngling geleitet, er hat ihm diese einzigartige Ausbildung gegeben, die Voraussetzung der Meisterschaft. Sein Wolfgang ist ihm alles gewesen, für ihn hat er gelebt.«

Überreizt und schrill schrie Konstanze, dass es im Spinett böse widerklirrte: »Wenn der Wolfgang jetzt stirbt, so hat ihn sein Vater umgebracht! Er hat unsere Ehe hintertreiben wollen, er hat mich ein Luder geschimpft. Und ich bin doch tausendmal besser zu Wolfgang, als der Alte jemals gewesen ist! Er hat seinen Sohn so ausgeschunden, dass dieser schon in der Kindheit langsam hat zu sterben angefangen. Aber der Wolfgang darf nicht sterben! Er darf nicht sterben! Er ist ja noch jung!«

Weinend fiel sie Josepha um den Hals. »Was tät denn aus mir werden? Was gilt denn eine Frau ohne Mann? Nichts, gar nichts!«

*

Mozart beugte sich über das Steingeländer zum Hof hinunter.

Drunten planschte eine alte Freu, in einer Wanne seifte sie Wäsche und rieb sie eifrig auf einer Rumpel und wand sie aus. Ihr narbiges Gesicht war mit Schweiß bedeckt.

Als sie den feinen Herrn, von dem sie wusste, dass er die schönst Musik im Land ersann, auf sich herunter gucken sah, wurde ihr dünner, eingefallener Mund schelmisch, sie hielt in dem Geplätscher inne und sang kichernd:

»Als ich noch jung war,
als ich noch ein zartes, hübsches, nettes Fräulein war,
hatten mich alle sehr, sehr lieb.«

»Nun, gar so alt seid Ihr noch nicht, Mutter«, lachte Mozart. »Man merkt Euch nichts an.«

»O doch, gnädiger Herr! Seit dreißig Jahren hab' ich keinen Zahn mehr im Mund.«

»O weh!«

»Das soll Ihnen nicht leid tun. Ich hab' trotzdem noch nie eine Brotrinde fortgeworfen, und wenn sie noch so hart gewesen ist. Mit dem Messer hab' ich sie dünn geschnitten, und im Mund hab' ich sie weich werden lassen, bis sie mürb geworden ist.« Sie kicherte vor Glück, dass es ihr gelungen war, das harte Brot zu überlisten.

»Habt Ihr auch Kinder, Mutter?«

»Wie können Sie so fragen?« wunderte sie sich. »Ihrer elf leben.«

»Ein ziemlicher Haufe! Da habt Ihr Euch wohl sehr rühren müssen, die vielen Mäuler zu füttern?«

»Ach was!« rief sie und schlug klatschend ein nasses Wäschestück in den Korb. »Bei uns daheim wird immer gelacht. Und wie einmal im Haus gar nichts zu essen gewesen ist, da ist es besonders lustig gewesen.«

Wie unbekümmert und fröhlich hier eine große Armut getragen wurde! Wie diese alte Wäscherin sie als ganz nebensächlich betrachtete und dabei sich und den Ihren das Herz heiter und warm erhielt! Man sollte sein Leben auch so einstallen!

Ach Gott! dachte Mozart, und es wurde ihm so frei ums Gemüt, wen ich auch zuweilen raunze, gar so bitter unglücklich macht mich mein bisslein Armut auch nicht!

Die Magd Anna kauerte, die Beete auskrautend, halbhinter hohen Blumen versteckt, und die Sangeslust der alten Wäscherin regte sie an, und sie rundete die Lippen und begann ein weiches slawisches Lied.

Mozart trat auf sie zu. »Sag mir auf Deutsch, was du da gesungen hast!«

Sie richtete sich auf und stand demütig vor ihm. Ihr Mund war von einer sonderbaren Schwermut verschönt, die wohl von der einstigen Einsamkeit auf weiten Wiesen und an eintönig rauschenden Wassern herrührte, darüber selbst das rege Lied der Lerche wie süßer Gram erklang.

Dass eines groben Bauern Tochter gar so schön sein kann! Dachte Mozart.

Sie übersetzte langsam die Worte des Volksliedes:

»Berg, o Berg, wie hoch du bist!
Liebster mein, wie fern du bist!
Hinter Wälder, die uns scheiden,
Liebe schwebet zwischen beiden
und sie welkt, bis sie verdorrt ist.
Keinen Trost gibt auf der Welt es,
keinen Trost gibt es zu finden,
keinen mehr für mich zu finden!«

»Wo lernt man solche Lieder, Andula?«

»Im Dorf daheim, gnädiger Herr.«

»Im Wirtshaus von den jungen Burschen? Oder abends beim Röhrbrunn?«

»Ich hab' das Lied bei einer Hochzeit gehört, gnädiger Herr. Es ist im Frühling gewesen, im Birkenmonat. Die Braut hat es gesungen. Sie ist neben dem Bräutigam gesessen wie ein junges Enkelkind neben dem grauen Großvater. Sie hat geweint, der Bräutigam hat geflucht. Ach, was steht einem Menschen noch alles bevor?«

Das Mädchen griff nach einem Rechen, den begrasten Weg auszuharken.

Mozart setzte sich auf eine sonnige Bank und hörte eine Weile einem grünen Vogel zu, der zu schüchtern ein krauses, empfindsames Lied vortrug.

Dann klitterte er hastig die Stimmen des Schlusschores des ersten Aufzuges in ein Heft.

*

Lauter Hudlerei hat man mit dem Pack!« sagte Mozart verärgert zu Stadler. »Der Signor Campi ist mit seiner Arie unzufrieden, sie ist ihm zu wenig wirkungsvoll. Er hat mir ein sauberes Getös gemacht, in seiner Aufregung hat er mich des Meuchelmordes und der Brandstiftung bezichtigt. Und der Guardasoni hat ihm mit seinen erkünstelten Zornausbrüchen erwidert. Die Fraisen könnt' man kriegen!«

»Und die Streicher? Und die Bläser? He?« fragte Stadler.

»Die sind mein Trost. Lauter ausgeklaubte Leut'! Aber die Weiber! Die Weiber! Die Anonioni mit ihrem ewigen Lampenfieber! Sie hat mir vorgeweint, sie fürchtet, dass sie vor der Aufführung des ›Titus‹ heiser wird. ›Stellt der Teufel meiner Oper ein Bein?‹ hab' ich sie angefaucht. ›Sie müssen gesund bleiben! Merken Sie sich das! Und nehmen Sie Feigensaft und Mandelöl ein!«

Und Mozart dachte daran, wie die Bedini heute ihre samtenen, trägen und etwas tückischen Augen ungnädig von ihm abgewandt hatte. Sie trug ihm das wunderliche Nachtstück am Weinberg Bertramka nach, und die Arie, die ihr der Kapellmeister geschrieben hatte, versöhnte sie durchaus nicht. »Sie sind mir ein sauberer Ritter!« hatte sie ihn angeschnaubt. Es war nur ein Glück, dass sie sich schon wieder mit einem Wiener Adelsmann getröstet hatte. Das lenkte sie von ihren Racheplänen ab.

Die stolze Marchetti aber war von der neuen großen Arie der Vitella begeistert, huldvoll hatte sie Mozart ihre schmale Hand zum Kuss überlassen.

»Lassen Sie den Ärger fahren, Meister!« riet Stadler. »Suchen wir lieber den Weinkeller im Tempelgässlein auf und leeren wir dort ein Glas zum Wohl der Christenheit und uns zum eigenen Frommen! Oder wollen wir in der ›Blauen Traub‹ Kaffee trinken? Oder putzen wir im Mausloch beim Invalidenhaus ein paar Kegel weg? Dort zapft man ein düsteres Bier. Ach, wie unmenschlich heiß ist heut der Tag!«

»Ich hab' keine Zeit, mein Lieber. Die Oper brennt mir an den Fingern.«

Durch die Gassen schlendernd, den Hut in der Hand, sahen die beiden, wie allerorten Ehrenbogen und Schaugerüste aufgeschlagen wurden, Pforten wurden mit grünem Reisig umhüllt, und Zimmerleute hämmerten. In dem Getümmel ergingen sich behaglich gespreizte Bürger und kecke Fremde, vor denen die heimischen Jungfern die sittsamen Augen senkten, Stutzer und behäbige Geistliche, Modedamen und gezierte Bürgermädchen. Die grellen Herrschaftsröcke der Bedienten leuchteten. Im Prunktor des Palastes Clam-Gallas stand ein riesiger Hüter und blickte verächtlich auf die Vorübergehenden herunter.

Prachtvoll gefärbte Kutschen, die Räder glänzend im bunten Lack, fuhren dahin; die anmutigen Beine der Pferde tanzten über das Pflaster, ihre Eisen schlugen Feuer daraus.

»Man sollte die Hufeisen derart abstimmen, dass sie sängen wie etwa ein Glockenspiel«, meinte Mozart.

Doch Stadler nährte Gedanken, die himmelweit von den blauen Plänen seines Begleiters entfernt waren. »Ich teile die Menschen in zwei Gruppen ein«, holte er aus, »erstens in solche, denen ich Geld schulde, und zweitens in andere, denen ich vorläufig nichts schuldig bin. Welche Summe haben Sie bei mir stehen, geschätzter Kapellmeister?«

»Ich hab' keine Ahnung. Meine Frau wird es ins Büchel geschrieben haben.«

»Es dürften ungefähr lausige zweihundertneunzig Gulden sein. leihen Sie mir noch zehn dazu! Auf die kommt es auch nimmer an. Und die Summe wird runder und leichter im Gedächtnis zu halten sein. Bedenken Sie schließlich, ich hab' heut noch gar nichts im Magen als einen Salzwecken!«

Hilflos zog Mozart die Börse und schüttete sie dem Klarinetter in die Hände. »Da, friss, du Lumpus Pumpus!«

»So, und jetzt gehen wir zum Steinitz Billard spielen!« sagte Stadler.

»Ich muss zum Süßmayer«, wich Mozart aus. »Er hat sich schon ein paar Tage nicht bei mir gezeigt. Ich muss nachfragen, wie weit er mit der Arbeit ist.«

»Gestern hab' ich den Xaver im ›Walfisch‹ besucht«, sagte Stadler. »Ich hab' mir die Wawrouschin angeschaut. Bemalt ist sie wie das höllische Feuer. Und einen Augenaufschlag hat sie! Gott bewahre einen davor! Und einen mäßigen, geistlosen Wein hat sie mir in den Hals genötigt! Ich bin schleunig davon!«

In einem engen Gässlein begegneten sie einem Reiter, der die Beine derart spreizte, dass er die ganze Breite sperrte und die Leute vor ihm in die Haustüren flüchten mussten.

»Heut bin ich der Herr von Prag«, rief er Mozart übermütig zu. Es war Karl von Freienturn.

Ein ballspielendes Kind stieß in seinem verlorenen Eifer gegen Mozart und stürzte zu Boden. Weinerlich verzog es den Mund zu einem Pfännlein.

Der Kapellmeister hob es auf und spottete ihn nach: »Ai, ai, ai, drei Küh im Stall und keine Wischele Heu!« Diesen Spruch hatte er vor Jahren von seinem Augsburger Bäslein gelernt.

Das Kind sah ihn verwundert an und lächelte dann unter den groß herunter perlenden Tränen.

An der Säule des heiligen Wenzel vor dem Altstädter Brückenturm geigte schlecht und recht ein kahler, gierig darein schauender Mensch. Er nahm die Doppelgriffe wenig rein, dazu schlug sein dürres Weib eintönig den Triangel, und das klang seltsam falsch zu dem Gefiedel. Doch machte gerade dieser Missklang die Leute auf das Paar aufmerksam.

»Geben Sie uns auch etwas!« rief sie.

Mozart wühlte vergebens in der Tasche nach Geld.

»Lassen Sie das!« sagte Stadler großmütig. »Ich bestreite das aus meinem Beutel.

Er reichte der Bettlerin ein Kupferstück.

»Wär' ich eine runde Jungfer, Sie würden mir gewiss mehr schenken!« zeterte sie ihm nach.

Das Wehr grollte, die Moldau gleißte.

Vor dem Steinbild der heiligen Luitgardis kniete ein Irrsinniger und schrie sein verworrenes Gebet.

Trotz aller guten Vorsätze ließ sich Mozart in die Kaffeestube des Herrn Steinitz ziehen.

Die beiden tragen gleich an das Billard.

Der Kapellmeister spielte sehr zerstreut, und die Kugeln schienen dies zu merken, sie folgten seinen Stößen nicht. Er ging unruhig um den Tisch herum und summte vor sich hin.

»Was brummen Sie da fortwährend? Geben Sie lieber auf das Spielacht!« mahnte Stadler.

»Hm, hm, hm, hm, hm, hm!« summte Mozart. »Papageno darf nicht reden, er hat ein Schloss vorm Mund.«

Er nahm ein Heft aus der Tasche, lugte hinein, nickte und summte und pfiff, steckte das Heft wieder ein und griff unbeteiligt nach dem Stecken, die Kugel zu stoßen. Seine Gedanken waren jetzt nur Gesang und schrullige Sprünge des Fagotts. Schließlich setzte er sich an seinen Tisch, schrieb und ließ Stadler mit sich selber spielen.

Dieser beglich bald gelangweilt seine Zeche und empfahl sich. »Mit Ihnen ist heut nichts zu wollen, Mozart«, murrte er. »Ich verschwind' wie der Wind. Mich dürstet, und mit Kaffee hat noch keiner eine Feuersbrunst gelöscht.«

Als Mozart nach einer geraumen Weile aus dem Dämmer seines Schaffens wieder zu sich kam, sah er, wie am Nebentisch eben der Geierkopf Simon Wewerkas von der Kaiserlischen Reichsoberpostamtszeitung sich hob.

Der Geizhals nickte dem Kapellmeister zu. »Immer fleißig? Recht soe!«

»Man muss verdienen«, sagte Mozart spöttisch.

Wewerka deutete mit dem Handrücken auf die Zeitung. »Ich suche mir aus den geschäftlichen Anzeigen die Feilbietungen heraus. Sonst erfährt man nur Trübseliges. In Frankreich gibt man statt Gold- und Silbermünze nur noch Papier her! Aus Glockenspeise und altem Kupfergeschirr macht man jetzt dort Geld! Schrecklich! Und für Prag verordnet die Behörde allgemeine Freude und Festjubel. Ich bin nicht dafür. Feste fördern den Müßiggang und verderben den notwendigen Sparsinn. In der Krönungswoche wird viel Geld für Unnützes hinausgeschmissen werden. Für Feuerwerk, Aufputz der Häuser, Theater und Musik. Ach, entschuldigen Sie, Herr Kapellmeister!«

»Sie halten als die Musik für überflüssig?«

»Eigentlich ja. Ein Ton ist ein Nichts. Er kitzelt eine Weile das Ohr, und dann ist er futsch, und es bleibt einem nichts in den Händen. Trotzdem liebe ich, wie ich Ihnen schon einmal versichert hatte, sonderbarerweise die Musik sehr.

»Nach Ihrer Meinung, Herr Wewerka, ist also mein ganzes Tun nur müßiger Zeitvertreib und Unfug, und meine Opern sind nutzlose Kritzelei und verhallender Lärm.«

»Und doch würde ich nichts lieber tun, Herr Kapellmeister, als Ihre Musik anhören, wenn es mir meine Mittel erlaubten, die gering sind.«

Wewerka kratzte sich die Stirn, und da rührte sich die Wolle seiner Perücke hinten im Haarbeutel. Er sprang auf ein weniger verfängliches Gespräch über. »Prag wird in den nächsten Tagen vor lauter Fremden zu eng sein«, sagte er. »Ich hätte wohl einige eingerichtete Zimmer zu vermieten. Aber kann man bei einem so außergewöhnlichen Anlass jemand trauen? Weiß man, ob man nicht an einen Spitzbuben gerät, der einen ausstiehlt?«

»Misstrauen Sie den Menschen so sehr?«

»Ich kenne sie. Ich will nichts von meinen sauren Ersparnissen verlieren. Es ist ratsam, für die ungewisse Zeit, die uns bevorsteht, gerüstet zu sein. Eine böse Lust bläst von Frankreich her. Man kann den Kreuzer nicht genug drehen und wenden, ehe man ihn hergibt.«

»Ich versteh' nicht, dass einer so – so sparsam sein kann wie Sie!«

»Sagen Sie getrost: geizig! Mich beleidigt dieser Ausdruck nicht.«

»Sie strafen sich doch selber mit Ihrem Geiz, Herr Wewerka. Das Leben verrinnt, und Sie haben nichts davon.«

»Herr, wenn Sie wüssten, welches Vergnügen, welche Wollust der Geiz bietet!«

»Ihr Laster macht Sie den Menschen verhasst.«

»Ja, die Leute lieben mich nicht, weil ich ihnen zu gescheit bin. Was liegt mir daran?«

»Und fürchten Sie nicht die Strafe Gottes?«

»Haben Sie in Ihrem Leben erfahren, dass Gott jene belohnt, die es verdienen? Übrigens: Gott ist doch nur Menschenwerk. Die Menschen verfertigen sich Götter je nach Bedarf und schaffen sie gelegentlich wieder ab.«

»Sie scheinen wenig Religion zu haben.«

»Was ist die Religion? Ein bloßes Geschäft!«

»Nicht für alle!« empörte sich Mozart.

»Aber für die meisten!« beharrt der Geizhals. »Lassen Sie sich ein lustiges Geschichtlein erzählen, das den Vorteil der Wahrheit hat! Ich könnte Ihnen eine Stadt nennen, dort drohen die evangelischen Kirchkinder katholische zu werden, wenn der Herr Pastor von ihnen die Kirchensteuer eintreiben will, und die Katholiken schwören, schnurstracks zu den Ketzern überzulaufen, im Fall, dass Seine Hochwürden der Herr Pfarrer auf den Zehent besteht.«

»Das hat mit wahrer Religion nichts zu tun, Herr Wewerka.«

»Religion? Bah, man redet von Gott, weil es eine alte verrostete Gewohnheit ist. Unsere Zeit versucht das Dasein Gottes philosophisch zu beweisen und beweist dadurch nur, dass man sich von Gott schon himmelweit entfernt hat und den Weg zu ihm nimmer findet.«

»Ich gebe zu, dass ich einen Geistlichen eine Stunde lang hab' predigen hören, ohne dass er auch nur ein einziges Mal den Namen Gottes genannt hätte. Und ich kenne auch Priester, die das Kreuz nimmer zeichnen wollen. Aber das beweist nichts gegen die Religion.«

»Ach, wenn es sich bloß um das Kreuz handelte! Was hat das Kreuz noch mit der heutigen Welt zu schaffen? Es ist doch nur das Denkmal einer längst vergangenen, für uns belanglosen und noch dazu sagenhaften Hinrichtung in einer abseitigen Gegend!«

»Wie reden Sie?« rief Mozart entsetzt.

Simon Wewerka fuhr unbeirrt fort: »Dass man nimmer an Gott glauben will, das rührt daher, weil Gott rückständig geworden ist. Wir Menschen, trotzdem dass er uns an die schlechteste seiner Welten geklebt hat, wir sind schon viel weiter als er. Und Gott – immer vorausgesetzt, dass es einen gibt –, Gott hat sich selber verlassen, wie die jüngste Geschichte Frankreichs bezeugt. Gott ist selber gottlos geworden.«

»Sie verfluchter Kerl!« brauste der Kapellmeister auf.

»Nur zu!« grinste der Alte. »Ich will den berühmten Mozart mit offenen Nüstern genießen, wie wild er sich auch gebärden mag! Ich weiß, meine Reden beleidigen Ihr frommes Gemüt. Und Sie wundern sich wohl, dass ein einfacher Mann wie ich, ein Krämer, der mit Plunder handelt, über so große Fragen zu reden wagt. Ich lese viel. Ich bin ein rechter Büchermann. Das Lesen ausgeborgter Bücher gehört zu den edelsten und billigsten Vergnügungen. Was sehen Sie mich so streitbar an? Sie wollen jetzt gewiss mit mir wetten, dass die Seele unsterblich ist. Herr, ich wette niemals.«

Wewerka hockte wie ein böser Weiser, seine glaubenslosen Augen ergrünten grell, und es schien ihm Spaß zu machen, Mozart zu quälen. Er sagte: »Es ist verwunderlich, dass das Christentum mit seinem verwesten Herzen noch immer auf Erden spukt. Aber gewiss nimmer lang. Die Zeit Luthers hat die Kirche abgemurkst, unsere Aufklärung tut Jesum Chrstum ab, und das nächste Jahrhundert wird Gott verscharren.«

»Sie Schrecklicher, Sie glauben an nichts mehr!«

»Meine Seele ist leer. Und so nichts ist, kann auch Gott nicht hindringen. Gott ist übrigens doch nur ein kahler Gedanke, ein Hirngespinst, das die Furcht der Feiglinge gesponnen hat.«

»Nein!« rief Mozart heftig. »Gott lebe und ist gegenwärtig und uns Menschen ganz nahe. Ich fühle das immer wieder. Und Sie glauben an gar nichts? So sagen Sie mir, warum sie leben? Warum lebt der Mensch?«

»Der Mensch ist da, um zu denken.«

»Das Denken kann nicht unser höchstes, letztes Ziel sein! Nicht nur mit meiner Erkenntnis will ich mir die Welt erklären, tausendmal mehr noch mit meinem Gefühl! Doch hören wir auf mit diesem Gesums! Ich krieg' Kopfweh.«

»Sie brauchen sich ja nicht nach meiner Weisheit zu richten, Herr Kapellmeister! Ich bin ja nur ein Geizhals. Das haben Ihnen meine Bekannte – Freunde hab' ich gottlob nicht – deutlich genug gesagt. Was außerhalb meiner Haut ist, geht mich nichts an. Jeder für sich! Und damit basta!«

»Ich könnte Ihr Leben nicht ertragen, Herr Wewerka!«

»Soll ich mich wegen meiner Anschauungen umbringen? Ich habe mich selber viel zu lieb, als das ich mir etwas antun könnte.«

Mozart erwiderte nimmer. Seine Augen hatten plötzlich wieder den fernen, außerirdischen Ausdruck gewonnen, und er tastete nach seinen Notenblättern, ergriff seinen Hut und ging ohne Gruß davon.

Wewerka schüttelte den Kopf. »Man vertut mit seiner Klugrednerei die teure Zeit«, brummte er.

Er winkte dem Kellner und öffnete gramvoll seinen rehledernen Beutel. »Das Geld rinnt einem weg«, sagte er.

»Sie haben eine kleine Schale getrunken, Ihr Freund drei«, rechnete der Kellner.

»Warum soll ich für andere berappen?« regte Wewerka sich auf. »Seit wann ist dies Sitte?«

»Ihr Freund ist davon, ohne zu bezahlen.«

»Kennen Sie ihn?«

»Nein. Ich bin erst vor Kurzem hier aufgenommen worden.«

»Wie können Sie sich dann erdreisten, den Herrn meinen Freund zu nennen? Ich habe ihn heut zum ersten Mal in meinem Leben gesehen. Ich kenne ihn nicht. Ich zahle nicht mehr als meine Schale!«

 

Mozart tastete sich im Haus ›Zum Walfisch‹ die hölzerne Spindeltreppe empor, vorüber an dem zimperlichen Seelenlichtlein, das vor einer schwarzen Madonna flackerte. Er klopfte an die Tür der Witwe Wawrousch.

Süßmayer öffnete.

»Xaver, du im Bauch de Walfisches Begrabener, lebst du noch?« rief Mozart. »Und arbeitest du oder lotterst du auf dem Lustbett? Woher hast du diesen paradiesisch geblümten Schlafrock? Den hab' ich noch nie an dir gesehen!«

»Der stammt aus den Kleidern des verstorbenen Hausherrn«, sagte Süßmayer errötend.

Er führte seinen Lehrer durch eine reich ausgestattete, blanke Küche, eine Rüstkammer hausfraulichen Gerätes. Auf den Brettern reihten sich zahlreiche zinnerner Schüsseln und Teller, und an einem Magnet hing ein Bund mit unglaublich vielen Schlüsseln.

In Süßmayers Zimmer deckten Notenblätter den beklecksten Tisch, und mitten darunter lag ein von Kaiser Josef abgeschafftes Gebetbuch mit dem Titel »Geistlicher Pistolenschuss wider das Herz des wahren christgläubigen Menschen«. Man merkte, Süßmayer rief bei seiner Arbeit auch den Beistand des Himmels an und ließ nichts unversucht.

Auf dem dunkelgrün lackierten englischen Fortepiano wölbte sich ein frisch gebackener, wohlriecheder Gugelhupf. Zierliche Küpferchen mit empfindsamen und verliebten Darstellungen unterbrache das schwülstige Tapetenmuster und erzählten auch die Legende des heiligen Welzelslaus, der eigenhändig Hostien gebacken und mit eigenen Füßen den Wein für den Kelch des Priesters gekeltert war. Und ein messingener Chinese war als Uhr eingerichtet, und sein langer, steifer Zopf pendelte gleichmäßig hin und her.

Mozart prüfte zunächst die weitläufige Arbeit seines Schülers. »Ganz ohne Tadel gemacht!« lobte er. »Ja, oft findet auch eine blinde Sau eine Eichel.«

»Ich gebe mir alle schuldige Mühe«, sagte Süßmayer mit hochroten Ohren. »Und die Dichtung Metastasios begeistert mich. Alles drin ist so edel. Der ›Titus‹ wird immer wieder komponiert werden.«

»Bei der nächsten Krönung wird man die Musik dazu bei Herrn Franz Xaver Süßmayer bestellen«, spottete Mozart. Und mit einem bedeutsamen Seitenblick auf den Gugelhupf fügte er hinzu: »Du lebst als Junggesell hier in ständiger Gefahr. Sei fest und widerstehe der Versuchung!«

Als Süßmayer sich jetzt anschickte, gegen diesen Anwurf sich zu verwahren und auf sein höheren Dingen verschworenes Herz hinzuweisen, rauschte die nachgelassene Witwe des seinerzeitigen Lebzelters Herkulian Wawrousch herein, eine mächtige Frau, die das Übermaß ihrer Formen kaum mehr zu bändigen vermochte. In der Schnürbrust ein ammenüppiger, herausfordernd gehobener Busen, darüber das dreifach gestufte Kinn, darüber das in Schmachten und Wohlwollen zerfließende Gesicht, die Blatternarben von heftiger Schminke übertüncht, und zu oberst ein altmodisches, himmelstürmendes Haargebäude: so trat sie auf wie in einer Oper.

»Oh, der Herr Hofkapellmeister!« flötete sie und knickste mädchenhaft.

»Ich küss' die Hand«, lachte Mozart.

»O bitte, die Ehre ist ganz meinerseits«, erwiderte sie gewählt. »O bitte, bitte, kommen Sie doch in mein Plauderzimmer!«

In der Kammer der Frau Barbara Wawrousch saß neben dem verwitweten Bett der wächserne Gatte wie ein Märchenheld im glitzernden, schillernden, blauen und silbergebrämten Rokokogewand, mit prachtvoll strammen Waden, frisch gepuderter Perücke und glotzenden Glasaugen, in der Hand ein verwelktes Sträußlein Vergissmeinnicht.

Die Witwe stellte Mozart den Wachsmann wie einen Lebenden vor. »Das ist mein Seliger! Er ist sehr verliebt gewesen, mein Aderlassblut zu schlucken. Heutzutage sind die Männer nimmer so feurig. Der Selige hat mir oft am Klavier vorgespielt, er hat so feine Seufzerchen in sein Spiel geflickt. Und wann führen Sie Ihren ›Titus‹ auf, Herr Hofkapellmeister? Nur keine Angst, nur keine Angst! Der Xaver hilft Ihnen schon.«

Süßmayer erbleichte bei der traulichen Erwähnung seines Taufnamens. Und ihm war, ein Vorhang sei zurückgezogen worden, und grelles Licht beleuchte nun seine Blöße.

Mozart musste sich auf das schwelgerisch gepolstert Sofa neben der Witwe niederlassen, und Süßmayer saß dem Wächsernen gegenüber, der aufmerksam an der Unterhaltung teilzunehmen schien, die fast ausschließlich von der Hausfrau bestritten wurde.

Das Bild des vergangenen Gatten hing in überladenem Goldrahmen schwarzumflort über dem Bett und in Schattenrissen und Elfenbeinbildlein mehr oder minder kenntlich an den vier Wänden. Es war schön, als Toter so oft gefeiert zu werden.

Zwei träge Goldfische umschwammen einander in einem kugeligen Gefäß. Darüber schimmerte die weiße Büste eines jünglinghaften Griechengottes. Auf ein Glas war der verzweifelte Reuf geschliffen:

»Alles, alles paaret sich,
ich allein bleib' überig!«

Widerwillig trug Frau Barbara den öden Stand der Witwe, und sie machte durchaus kein Hehl, dass sie ihn mit dem Brautstand zu vertauschen wünsche, und sie redete mit himmelnden Augen von dem einstigen Ehemann, von dem unwürdigen Leben aller ledigen Männer im Allgemeinen, und wie gut es einmal einer bei ihr, der erfahrenen Frau und Hausbesitzerin, haben werde, und sie genoss, in sinnigen Erinnerungen kramend, mehrmals das sehr angenehme Gefühl des Weines.

»Ich habe es meinem Ersten« – sie sagte das so, als wäre sie schon im Besitz eines Zweiten –, »meinem Ersten nie verneidet, wenn er sich abends in würdiger Gesellschaft bei einem Glas Wein erholt hat. Doch hat er die Abende meistens daheim verbracht und mir seine Arien vorgesungen. Oh, seine amouröse Stimme ist nimmer!« weinte sie. »Aber auch Sie, Herr Hofkapellmeister, schauen nicht gut aus. Sie scheinen es in der Leber zu haben. Nehmen Sie Rosmarintee, das ist förderlich und reinigt den Magen! Versäumen Sie nur Ihre Krankheit nicht, bis es zu spät wird! Vielleicht haben Sie Hunger? Ich wärme Ihnen etwas auf. Ich habe noch ein saftiges Stück Kalbsbrust!« Sie begleitete dieses Angebot mit einem unwiderstehlichen Blick und einer sehr anschaulichen Gebärde, indem sie die hohlen Hände in der Höhe ihres Busens rasch hin und her bewegte.

Ehe Mozart dagegen Einspruch erheben konnte, war sie in die Küche abgeschwebt.

»So ist sie«, flüsterte Süßmayer. »Ihr einziger Fehler ist, dass sie sich vor dem Ledigbleiben fürchtet.«

»Ein Gaul von einem Weib! Dick und warm wie ein Backofen!« staunte Mozart ihr nach. »Man geht um sie herum wie ein Küfer um das Fass. Und bemalt ist sie wie eine Berchtesgadner Docke. Auf ihren Podex könnte man die ganze Weltkarte hinzeichnen. Xaver, bekreuzige und segne dich vor ihr! Ich seh' dich schon als Zweiten in Wachs dort finden.«

»Wie soll ich mich benehmen?« stöhnte Süßmayer.

»Rede ihr ein, die erste Ehe sei von Gott, die zweite vom Teufel! Schicke ihr einen Kapuziner, dass er helfe, die Begier des heftigen Fleisches zu dämpfen! Du hast es schwer, Xaver!«

 

Als Mozart, betäubt von der geschwätzigen Gastlichkeit der Witwe, das Haus verließ, ließ es sich Frau Wawrousch nicht nehmen, ihn auf die Gasse hinunter zu begleiten, und nun füllte sie die Haustür, die Hände wie eine bäuerische Köchin in den Hüften, und sah ihm siegreich nach.

Der Geist des Meisters aber spann jetzt an dem Einfall weiter, der während des Billardspieles in ihm erwacht war, und in seiner Versunkenheit gewahrte er nicht, dass er die Stadt längst im Rücken hatte, und als er auf einmal bewusst um sich blickte, fand er sich auf einem schmalen Fußsteig am Ufer der Moldau.

Hier war es durchaus ländlich. Auf grauen, kropfig plumpen Weidenstrümpfen entfaltete sich silberiges Laub. Ein Knecht schwemmte ein milchweißes Pferd. Ein Mann fischte. In dem ruhenden, seichten Wasser einer kleinen Bucht, die sich der Fluss gehöhlt hatte, schweiften Weiber allerhand Weißzeug und sangen in launischer Art, bald säumend, bald eilend, ein slawisches Wassermannslied.

Flößer fuhren träumerisch vorüber. Wie glücklich mochten diese Männer leben! Sie kamen aus Gebirgen und Wäldern daher, darin die Stämme einst gegrünt und gerauscht hatten, die jetzt mit Weidenbändern aneinander gestrickt gegen Norden schwammen. Über Stromschnellen und durch schallende Schluchten reisten diese braunen Fergen und vorüber an den wasserfrohen Erlen und an vergessenen Dörfern und verschlafenen Städtlein und grasenden Wiesentieren, und nichts störte sie in ihrem träumerischen Geschäft als dann und wann ein Lied, das sich schwermütig vom Ufer löste.

Die Flut wallte leise. Schuppige, grünliche Leiber schossen durch die Tiefe, andere Fische schwebten regungslos. Wie das mächtige Wasser stetig dahinging und doch unvergänglich war!

Mozart näherte sich den Menschen. Er wollte den Knecht fragen, wie das milchweiße Pferd heiße, und den Fischer, wie viele Jahre er schon an dem Fluss fische, und von den Flößern hätte er gern erfahren, wie weit sie die Moldau an einem Tag trüge.

Die Menschen beschäftigten den Geist Mozarts mehr als die in sich verschlossene, stumme Natur. Wie öde wäre selbst diese glücklich gebildete Landschaft, wenn nicht das Völklein hier seine Wäsche schletterte, die Pferde wüsche und die Flöße betreute! Ein Paradies ohne Menschen ist kein Paradies mehr, und Gott hat seinen Lustgarten zerstört, indem er die Menschen daraus vertrieben hat.

Eine der Wäscherinnen richtete sich aus ihrer gebückten Arbeit auf und fasste den einsamen Wanderer scharf ins Auge. »Auch so ein Wiener Nichtstuer!« sagte sie verächtlich. Sie sagte dies zuerst in der Zunge des inneren Landes, wie die Bauern redeten. Mozart kannte nur wenige Worte der tschechischen Sprache, und sie dünkte ihn, der das schmeichelnde Welsch gewohnt war, rau und widerspenstig, trotzdem dass sie ihn, vom Volkslied getragen, in ihrer Fremdheit merkwürdig ergriff.

Die Wäscherin wiederholte ihre Worte noch einmal deutsch, um den Fremden zu treffen und zu beleidigen.

Mozart erinnerte sich, dieses Weib mit dem verkniffenen Hexengesicht und den fast übermännlich starken, nackten Ringerarmen schon irgendwo gesehen zu haben. Wahrhaftig sie ähnelte der kumänischen Sibylle in den Fresken der Sixtina zu Rom!

»Was will Sie von mir, gute Frau?« fragte Mozart.

Sie keifte: »Wie viel Geld werdet ihr Wiener auf der Burg vertun, und wir armes Volk haben nichts davon!«

Er suchte sie zu beschwichtigen. »Der Kaiser wird Silbergeld auf die Gasse werfen!«

»Eine nichtsnutzige Verschwendung!« greinte sie. »Müßiggänger, die nichts zu tun haben, als Maulaffen feilzuhalten, werden das Geld einstecken. Früher ist man sparsamer gewesen. Unsere tschechischen Herzöge haben nach der Krönung Haselkerne aus dem Nussgärtlein zu Staditz ins Volk gestreut, und das Volk hat sich darüber mehr gefreut, als wenn heute der hohn deutsche Herr aus Wien uns Geld und Silber vorschmeißt. Schließlich müssen wir Niederen doch alles wieder mit unserem Schweiß und unserem Geld bezahlen.«

»Es gibt Leute, denen es niemand recht tun kann«, lächelte Mozart.

»Ja, ich bin ein verbittertes Weib«, gab sie zu. »In meiner Jugend bin ich lustiger gewesen. Aber ich habe einen Musikanten geheiratet, und alle Musikanten sind Lumpen.«

»Gute Frau, ich bin auch ein Musikant.«

»Ihr Vater hätte Sie auch was Besseres lernen lassen sollen!«

Da konnte sich Mozart nimmer halten, und er herrschte sie an: »Ihr Mann ist sicherlich ein seelenguter Kerl. Und Sie ist gewohnt, von jedem nur das Schlechte zu erzählen.«

Die riesige kumänische Hexe maß den Kapellmeister von oben herab. »Kleine Leute werden leicht zornig«, sagte sie. Und dann reckte sie sich noch höher und sag in die Richtung des getürmten Hradschins und stand wie eine Angreiferin. »Unsere Krone ist wieder in Prag!« rief sie.

Mozart wusste mit diesen Worten nichts anzufangen, er verstand das Gefühl nicht, dem sie entsprungen waren; er wusste nichts von der funkengleich unter der Asche glimmenden Sehnsucht der Tschechen, wieder aus den kleinen, gedrückten Verhältnissen herauszuwachsen und die Herrschaft über die Länder zu gewinnen, die einst der böhmischen Krone botmäßig gewesen. Und wenn Mozart auch dieses Gefühl verstanden hätte, er hätte es doch niemals in der armen, struppigen Taglöhnerin vermutet.

Sein Blick griff über die parkhafte Landschaft, die sich langsam in den Frieden des sinkenden Tages begab. Fern zog ein Hirte mit seiner Herde dem Dorfe zu. Es war alle wie sanfte Musik.

Eine Frau raffte die Wäsche auf, die sie zur Bleiche ausgelegt hatte, drückte sie in einen Korb und lud ihn auf den Rücken. Neben ihr stand ein wimperschwarzes Mädchen, die Brust und den einen Arm unter einem bunten Tuch verhüllt. Mozart fiel die unendliche und entsagende Trauer in ihrem jungen Gesicht auf.

»Warum ist das Kind so traurig?« fragte er die Kumänische.

»Ihre Mutter dort, die Ludmilla, hat einer andern den Bräutigam weggenommen, und die Verlassene ist hernach dort droben beim Wassermannstein vor den Augen der anderen in die Moldau gesprungen. Die Ludmilla hat gesehen, wie der Arm der Ertrinkenden bis zum Ellbogen wie drohend aus dem Wasser geragt ist. Die Ludmilla hat dann das schöne Kind dort zur Welt gebracht, aber ihm fehlt der rechte Unterarm.«

Schaudernd vor den wilden, unbegreiflichen Zusammenhängen des Lebens, schritt Mozart stromaufwärts.

Er kam zu einem großen Irrblock. Das war wohl jener Wassermannstein, und darauf mochte sich der Moldaugeist sonnen und sich das algengelockte Haar und den triefenden, grünen Bart trocknen, wenn er aus seiner kühlen Tiefe heraufstieg. Vielleicht kauerte der menschenräuberische Unhold hier irgendwo im dicken Weidicht? Oder stierte er gierig auch dem Abgrund herauf?

Auf dem Stein rastete ein Herr in der dunklen Tracht eines Geistlichen und schrieb. Als er den Fremden kommen hörte, hielt er inne und hob den Kopf. Seine Züge waren mild und angenehm, es waren die stillen, vergeistigten Züge eines Gelehrten und Denkers. Und jetzt huschte ein leichtes, freudiges Staunen darüber. Und er grüßte ehrerbietig: »Guten Abend, Herr Kapellmeister!«

»Guten Abend, hochwürdiger Herr! Sie kennen mich?«

»Wer würde nicht den vergötterten Liebling Prags kennen?« sagte der am Sten und erhob sich. Ich bin der Abbé Dobrowsky, vormals Jesuit.«

»Sie lassen sich hier wohl die Sonntagspredigt von der Moldau einflüstern?« scherzte Mozart. »Werden Sie von Sankt Peter und seinen Fischknechten predigen?«

»Man könnte die Predigt an eine Legende knüpfen, die in meinem Volk lebendig ist«, lächelte der Geistliche. »Der heilige Adalbert versprach einem Fährmann das Himmelreich, wenn er ihn über die Moldau schaffe. Der Fährmann aber meinte: ›Gib mir einen Groschen, der ist mir lieber!‹ Und er entriss dem Heiligen, der in seiner Armut die Überfahrt nicht bezahlen konnte, die Schuhe. Doch habe ich es diesmal, Herr Kapellmeister, nicht mit dem Wort Gottes und seiner Auslegung zu tun, sondern ich übersetze die Rede des böhmischen Oberstburggrafen, welche dieser entworfen hat und dem Kaiser vortragen soll. Ich übersetze die Rede aus dem Deutsch in die tschechische Landsprache. Die hohen Beamten Prags verstehen leider diese zu wenig.«

»Ich sehe, Hochwürden, auf Ihren Blättern auch ein paar Noten hingemalt. Wird der Oberstburggraf dem Kaiser etwa auch ein Ständchen bringen?«

»Ich habe vorhin eine Weise aufgezeichnet, die die Wäscherinnen gesungen haben. Man muss schnell die Reste unseres tschechischen Volkstums sammeln, denn es wird bald von der Erde vergehen wie andere Völker, die verschollen sind.« In seinem knabenfeinen, friedevollen Gesicht malte sich eine tiefe Schwermut. »Mein Volk stirbt ab«, flüsterte er. »Man wird ihm bald einen grünen Apfel in die Hand geben, wie es die slawischen Vorfahren mit ihren Toten getan haben.«

Mozart sah ihn ratlos an. Dann sagte er verlegen: »Sie haben sich einen hübschen, einsamen Platz zu Ihrer Arbeit gewählt.«

Dobrowsky deutete über den Strom hinüber. »Dort steigt die Burg- und Kirchenstadt Wyschehrad an, wo in alter Zeit die Fürstin Libuscha ihre Zaubergärten gepflanzt und Gericht gehalten hat, und wo der Herr Horymir, um dem Henker zu entrinnen, sein Pferd Schemik zum Sprung über die breite Moldau gezwungen hat. Auf diesem Steinblick da will das Volk heute noch die eingeprägte Hufspur des landenden Pferdes erkennen. Herr Kapellmeister, wenn Sie ein Böhme wären, müssten Sie die Wundersagen meines Volkes als Opern setzen!«

»Opern! Opern! Opern!« rief Mozart. »Ich habe mit den zweien genug zu schaffen, die ich versprochen habe.«

»Ach ja, Sie müssen als Deutscher nur italienische Opern schreiben!« sagte Dobrowsky herb.

»Ich bin kein Welschling«, verteidigte sich Mozart. »Ich will mit meiner Arbeit dem ganzen deutschen Volk Ehre machen. Aber ich muss von meiner Kunst leben! Und dem Wiener Hof ist seit jeher der italienische Gesang lieber gewesen.«

»Auch dem Kaiser Josef? Einem deutschen Fürsten? Das kann ich nicht verstehen.«

»Wir müssen das entschuldigen. Wie weit auch Josefs Pläne der langsamen Menschheit vorausgejagt sind, so ist er doch auch nur wie wir anderen alle ein Sohn seiner Zeit gewesen. Er hat mich nicht begriffen. Aber doch denke ich mit Verehrung an ihn. Er hat der Welt helfen wollen. Aber Sie haben zu tun, hochwürdiger Herr, und ich darf Sie nicht weiter stören. Ich will Ihnen nur noch sagen, dass das, was Sie an mir mit Unwillen vermissen, schon vollendet in mir liegt: eine deutsche Oper.«

»Ihr Volk ist glücklich«, erwiderte der Tscheche leise.

 

Als Mozart nach seiner Heimkunft in die Bertramka seiner Gattin erzählte, wie er sich einsam an der Moldau ergangen habe, klagte sie, es habe ihm, dem Unachtsamen, Zerstreuten, fortwährend mit sich selber Beschäftigten und darum Weltblinden in der Nähe des Wassers leicht ein Unfall zustoßen können.

»Zank nicht mit mir!« bat er. »Ich hab' bei dem Spaziergang ein Quintett für die › ›Zauberflöte' ausgedacht.«

Noch glühend davon, rief er die Freunde herbei und spielte ihnen das neue Stück vor: das Gewinsel des stummen Kuckucksfängers Papageno und die daneben einher laufende Stimme des Fagotts, die Tröstungsweise des Prinzen Tamino und den begnadigenden Spruch der drei Feen:

»Bekämen doch die Lügner alle
ein solches Schloss vor ihren Mund,
statt Hass, Verleumdung, schwarzer Galle
bestünde Lieb' und Bruderbund.«

Und die drei Frauen reihen Tamino die goldene Flöte, das zauberwirkende Geschenk der Königin der Nacht, und beauftragen ihn, unverweilt mit seinem gefiederten Diener nach der Burg Sarastros zu ziehen, und sie geben dem furchtsamen Papageno ein Glockenspiel und nehmen Abschied.

Es war ein seliger Kranz von Gesängen, bald einfältig und schelmisch befangen, bald in Anmut holdselig gewiegt, bald sich erhebend in feierlichem Aufschwung, ein himmlisches Ausstrahlen und Vergeuden, und doch alles mit schlichten, volkstümlich klaren Kunstmitteln gestaltet. Und der wie über einen Märchenzaun herüber blühenden Weise:

»Silberglöckchen, Zauberflöten
sind zu euerm Schutz vonnöten!«

Folgte das zwischen Schalkheit und Geheimnis schwebende, wechselnd von den Männern und den Frauen getragenen, in Verklärung gelöste Andante, das in waldhaft verhallenden Horntönen sich verlor.

»Das ist deutsch!« rief Franz Duschek hingerissen. »Das ist noch nie auf der Welt gewesen! Mozart, du öffnest der deutschen Kunst ein neues Tor!« Und dann drängte er ängstlich: »Schreib es auf! Schreib es auf!«

»Sei unbesorgt, Franz! Ich vergesse keinen Ton davon.«

»Wolfgang, wenn aber ...« Duschek verstummte mitten in der Rede.

Mozart sagte betreten: »Du willst mach mahnen: ›Wenn dir aber etwas Menschliches zustößt!‹ So ungefähr umschreibt man ein gewisses hässliches Wort. Schaue ich den wie ein Schwerkranker aus? Ihr alle drei seht mich so seltsam an. Was habt ihr? Ich fühl' mich doch schon einige Tage so wohl und ohne Schmerzen!«

»Franz meint, dir könne ein zufälliges Unglück geschehen«, sagte Josepha. »Du wagst dich so nah an den Fluss und kannst nicht schwimmen!«

»Du tust, als wolltest du mir etwas ausreden«, sagte der Kapellmeister misstrauisch. »Ich gebe ja zu, dass nichts unmöglich ist. Den Organisten Adlgasser hat der Schlag im Dom getroffen, während er gerade die Worte des Credos: ›Passus et sepultus est!‹ begleitet hat. Aber ihr möget glauben, was ihr wollt«, brüllte Mozart, alle Beherrschung verlierend, plötzlich auf, »ich sag' euch nur: ich hab' jetzt keine Zeit zu sterben!«

Trotzig trat er an den Schreibtisch. Dort lag der Text zum ›Titus‹ aufgeschlagen.

»Wolfgang, du arbeitest gar zu viel!« mahnte Konstanze schüchtern.

Des Sinnes seiner Antwort nicht bewusst, sagte er: »Ich muss mich beeilen.«

Seine Miene entdüsterte sich, sein Auge verlor den zornigen Glanz und wurde still und fern. Von weit herüber wehte es und rührte an sein inneres Ohr. Und er griff nach der Feder:

»Ah grazie si rendano al sommo fattor,
che in Tito de trono salvo so splendor.«

Die innere Stimme aber wurde immer gewaltiger, brausender, herrischer. Ihm wurde auf einmal angst davor. Welcher Unbekannte hauste in seiner Seele? Welcher Dämon reckte sich in ihm auf?

Er zwang sich, an seine Kinder zu denken, an Konstanze, um diese rotdüstere, übermächtige Stimme aus sich zu verscheuchen, diese Rätselhafte, das ihn einsam machte und ihn trennte von der holden Welt.

Er fürchtete sich vor sich selber.

»Stanzel!« flüsterte er bang.

Sie war noch in dem Zimmer. Wie eine mitleidige Ärztin strich sie ihm über die zuckenden Wangen, über die Brauen, die sich immer wieder hoben und senkten, über die gefaltete Stirn, sie zu glätten, und aus dem armen, ahnungsvollen Leib die dunkle Unruhe zu verbannen. »Was hast du denn, Wolferl? Du mein guter Narr! Sei schön stad! Ich bin ja bei dir!«

Er presste ihre Hand. »Du! Ein Mensch ist bei mir! Stanzel, bleib, bleib! Bei dir ist mir so heimlich – wie in einer verschneiten Mühle. Bleib! Nein, geh! Ich muss mich beeilen.«

Mit feuchten Augen schlich sie hinaus.

Draußen sagte sie zu den Freunden: »Seid gut zu Wolfgang! Wer kennt sich in ihm aus? Er ist leicht böse und gleich wieder lieb. Er ist ein rechtes Kind.«

»Ich glaube das nicht«, flüsterte Josepha. »Er kommt mir wie der Spielball eines verborgenen Geistes vor. Er folgt anderen Gesetzen als wir.«

*

Der Kaiser übernachtete nordhalb der Mauern Prags in dem Schloss Lieben. Er war von Pillnitz her gekommen, dort hatte er sich mit dem sächsischen Kurfürsten und mit dem König von Preußen ein Stelldichein gegeben.

Im Saal, wo Spiegel silbern sich in Spiegel wiederfand und der Prunk der Staatsgewänder mit soldatischen Trachten verwirrend zusammenklang, wurde Kaiser Leopold mit seiner Gemahlin und seinen ältesten Söhnen von den höchsten Behörden der böhmischen Kronländer und von dem Prager Bürgermeister feierlich begrüßt.

Der Kaiser hatte veranlasst, dass die beiden Thronsessel, die anfangs unter dem schwer und wuchtig niederhängenden Kronleuchter gestanden waren, an die Wand gerückt wurden. Seine Gemahlin hatte gefürchtet, die kristallene Pracht könne sich von der Decke lösen und herabfallen und sie erschlagen. Es war eine ständige Wahnvorstellung dieser Frau, und sie wäre um keinen Preis im Theater unter einem Luster gesessen, und ihr war sogar die freie, unbewölkte Nacht schrecklich, weil doch einmal einer der Sterne droben auf die Erde herabstürzen könnte.

Der Oberstburggraf von Böhmen, Heinrich Graf von Rottenhan, ein geschmeidiger Hofmann, begrüßte den Kaiser und sagte, dass das erhabene Geschehnis der Krönung die Herzen des treuen böhmischen Volkes mit den freudigsten Erwartungen erfülle, und dass er und seine Beamten sich kein größeres Glück wünschten, als in den ihnen anvertrauten Ämtern den Beifall eines so weisen und gütigen Herrschers zu verdienen.

Der Kaiser, obwohl von den Krönungsfesten in Frankfurt und Pressburg her bis zum Überdruss gewohnt, mit solch glitzernden Ansprachen bewirtet und geehrt zu werden, erhob sich wie in freudiger Erregung vom Stuhl, dankte huldvoll und versprach mit einer von der Reise etwas belegten Stimme, dass er jede Bemühung unterstützen werden, die das gemeinsame Wohl aller Einwohner bezwecke und besonders den Fleiß und die guten Sitten fördere.

Hernach holte der mährische Landeshauptmann mit seiner Rede weit aus. »Allerdurchlauchtigster, großmächtigster römischer Kaiser zu Germanien, König zu Ungarn, Böheim und Galizien, Erzherzog zu Österreich, Markgraf zu Mähren!« Er machte Miene, die rauschende Schleppe des endlosen Titels voll aufzurollen, doch ein ungeduldiges Zwinkern an der Wimper des Herrschers bewog ihn, sich diese zu versagen. Und nun setzte er mit tönendem Schwung fort: »Eure Kaiserliche Majestät beseligen durch Ihre glückliche Ankunft die Herzen Ihrer Vasallen mit der heißesten Lust, und das Markgrafentum Mähren findet in der unverbrüchlichen Treue gegen seinen Beherrscher einen Bürgen dieser Empfindung. Welch ein Glück, einem Fürsten, der seine Größe, seine Macht, seine Schätze nur in den Herzen seines Volkes sucht, ehrfürchtig beteuern zu dürfen, dass diese Herzen ganz Ihm offenstehen, ganz von Ihm erfüllt, ganz Sein sind! Aus meiner Herzensfülle, die kein irdischer Ausdruck darzustellen vermag, geruhen Sie, edelster Monarch, die Stimme jener treu gehorsamsten Länder, deren Wohl Sie von Tag zu Tag neu befestigen, die Stimme Mährens und Schlesiens zu erhören, die hier heilig geloben, mit allen andern kaiserlichen Ländern an Ergebenheit, Treue und Gehorsam unablässig zu wetteifern und sich also der Huld und Vaterliebe Leopolds des Gütigen nicht unwert zu zeigen.«

Der Kaiser verneigte sich und versicherte, er nehme die Bereitheit der mährischen und schlesischen Stände, ihm die feierliche Erbhuldigung zu leisten, als einen neuen Beweis hin, dass diese von seinem aufrichtigen Willen überzeugt seien, dass er keine Mühe sparen werde, den beiden Landschaften jenen blühenden Aufschwung zu verschaffen, dessen sie fähig seine.

Nun verneigte sich er Prager Bürgermeister aufs Tiefste. »Allergnädigster Kaiser, König und Herr! Der gegenwärtige getreue Stadtmagistrat von Prag, erfreut, seinen König so nahe vor den Toren der Hauptstadt verehren zu dürfen, vereinigt seine Wünsche mit denen des ganzen Königreiches, dass der erlauchte Fürst noch lange lebe, dem wir alle dereinst Frieden und Überfluss und alle Freuden bürgerlicher Glückseligkeit zu verdanken erhoffen.« Der Bürgermeister, aus einer anfänglich unfreien Stimmung in Feuer geratend, verschluckte sich vor Eifer und musste in seiner Ansprache innehalten. Doch erholte er sich schnell wieder und fuhr fort: »Der Rat von Prag wird, durchdrungen von Ehrfurcht und Unterwürfigkeit, an den Toren die Schlüssel der Stadt überreichen und bei jeder Gelegenheit beweisen, dass er die unverletzliche Treue und den steten Gehorsam gegen den König für den stärksten Grundpfeiler der bürgerlichen Wohlfahrt und für die heiligste seiner Pflichten hält.«

Darauf erwiderte der Kaiser, er vertraue dem Magistrat seiner böhmischen Hauptstadt, dass dieser sich jederzeit bestrebe, die Gerechtigkeit zu handhaben, jedermann vor Unrecht zu schützen und durch Gehorsam gegen die Gesetze und durch kluge Führung Sicherheit und Ordnung zu erhalten.

Noch einmal winkte Leopold gnädig, und der feierliche Empfang war beendet.

*

Morgen kommt der Kaiser nach Prag«, sagte Konstanze. »Und in einer Woche wird er gekrönt.«

»Am Krönungstag wird mein ›Titus‹ aufgeführt«, erwiderte Mozart. »Da muss ich damit fertig sein, und wenn ich die ganze Zeit ohne Schlaf bleiben müsst'!«

»So arg darfst du es mir nicht treiben, Wolfgang! Dein Gehirn muss doch auch rasten. Du zerstörst dich, und die Leute werden mir daran die Schuld geben.«

»Es hilft nichts, ich muss jetzt ununterbrochen in de Strängen ziehen. Dem neuen Kaiser wird es, so glaub' ich, sehr zuwider sein, dass er nach dem bodenlosen Gerede, das über ihn geht, sich auch noch eine ernste Oper anhören muss. Er tut mir eigentlich leid. Aber wenn es wahr ist, dass er in Wien ein Opernhaus bauen will, darin die Logen auch zum Kartenspielen eingerichtet sind, blitzsackerment! Und wenn ich dran denk', dass dann einer während der schönsten Musik mit seinem Trumpf auf den Tisch hin haut, – dann möcht' ich am liebsten die ganze Arbeit für den Kaiser da hinschmeißen und sie nimmer anrühren.«

Konstanze stellt eine Kanne schwarzen Kaffee hin, Zucker und Löffel und eine hübsche Schale, darauf singende Meerfrauen gemalt waren. »Ereifer' dich nicht, Mann! So war darf der Kaiser nicht tun!«

»Vielleicht wär' ihm nach der Krönung ein leichtes Ballett lieber?« grübelte Mozart. »Ich fürcht', der

›Titus‹ fällt ab. In der Oper ist fast gar nicht von Liebe die Rede. Und du weißt, meine Stärke ist gerad in der Liebe.«

»Aber geh, hör auf! Der Kaiser wird doch an seinem Ehrentag nicht so einen Schmarren begehren wie das Schauspiel ›Der Haushahn', das sie einmal am Kärntner Tor gespielt haben.«

»Damals hat es der Herr Rautenstrauch verstanden, mit seinem Faschingsstück die lieben Wiener einzufangen. Die Schauspieler sind als Hähne und Hennen auf der Bühne herum getrippelt, haben mit den Federschwänzen gewackelt, haben gekräht und gegackert und gescharrt und geschweinigelt. Zum Speiben! Aber das Haus ist wochenlang bummvoll gewesen. Ja, wo was freut die Leut'!«

»Wann wird das Glück einmal bei uns einkehren?« fragte Konstanze.

Er zuckte befremdet auf. »Wir sind doch glücklich«, sagte er.

»Nein, nein! Wer seine Armut spürt, ist nicht glücklich. Die Duschkin hat alles, was eine Frau sich wünschen kann. Heut hab' ich sie in ihrem Perlenkästlein kramen sehen. Wie wenig Schmuck hab' ich dagegen! Wir zwei, Wolfgang, müssen allweil zuschauen, wie reich unsere Umgebung lebt, und haben nichts davon wie das leere Verlangen. Bei uns hupfen die Mäuse im Kuchelschrank herum mit Tränen in den Augen.«

Er seufzte: »Anderen kommt das Glück ohne ihr Zutun, ich muss es halt durch meinen Fleiß ersetzen. Heut will ich den Chor ›Che del ciel, che degli Dei‹ und den Schlussgesang des Titus und das zweite Finale schreiben. Es wird tief in die Nacht hinein dauern. Ich muss die Oper fertigbringen, sonst schreit die ganze Welt, dass ich unfähig bin, und der Kaiser entzieht mir sein bisslein Gnade. ›Herrengunst und Nägelewein riechen über Nacht aus!‹ hat mein Vater immer gesagt.«

»Übertreib nur nichts!« bat Konstanze. »Nicht, dass ich dich wieder vor dem Spinett auf der Erde schlafen find'!«

Sie stand zögernd in der Tür.

»Nun? Dir zittert noch etwas auf der Zunge, Stanzel.«

»Wolfgang, ich hab' in deiner Brieftasche nachgeschaut. Es ist kein Kreuzer mehr drin.«

»Dem Stadler hab' ich wieder Geld borgen müssen, dem armen Teufel. Für mich brauch' ich ja nichts.«

»Der Mensch bringt dich gewissenlos um alles. Kannst du dir denn gar nicht vor ihm helfen?«

»Er lebt halt auch gern gut. Wie wir zwei.«

»Ein Schuft ist er, ein Betrüger! Samt seiner heuchlerischen Klarinette!«

»Er ist nur leichtlebig. Glaub mir es! Du weißt, ich beobacht' die Menschen scharf.«

»Du kennst sie trotzdem nicht.«

»Jetzt geh schlafen und stör mich nimmer!« sagte er unfreundlich.

Sie sah ihn trüb an, wünschte eine gute Nacht und ging.

Mozart arbeitete heute in dem Gesellschaftszimmer, dessen breite Glastür in den Garten hinaus geöffnet stand. Er und Konstanze waren allein im Haus, denn Herr und Frau Duschek wollten die festliche Woche in ihrer Stadtwohnung verbringen.

Der Kapellmeister schrieb zuerst das Vorspiel des Chores, dann warf er die hohen Stimmen und die Bässe aufs Papier. Dieses Andante maestose sollt gebethaft klingen im Gedenken an die Götter, die den Kaiser liebten und von ihren Sternenstühlen aus den gefährdeten Titus beschützt hatten, und dunkel sollte darin noch das Entsetzen über den Frevler nachzittern, der die Mordwaffe gegen den gütigsten der Herrscher gezückt hatte. Es entstand ein strenger, schlichter, durch viele Vorhalte herb gemachter Satz, der auch vor dem Altar des Christengottes hätte gesungen werden können. Feierlich gemessen schritt das Geleite der Bläser und der Streicher nebenher, selbständig entwickelt und geheime Klage verhüllend.

Der Meister arbeitete schnell, und ihm war, als leite eine unsichtbare Gewalt ihm die Hand. Ich kann nicht irren, ich werde ja geführt, dachte er, und sein Herz war voll fröhlicher Sicherheit.

Während des Schreibens fiel ihm auf einmal der Kopist Josef Zwiertschek ein, der jetzt in einer dürftigen Kammer wohl bei einem Groschenlicht Notenköpfe malte und sorgfältig die Stimmen der Oper ausschrief.

Und Mozart erhob sich und betrachtete die gewählte Pracht dieses Raumes.

Der Kronleuchter funkelte träumerisch, ein Delphinreiter aus Porzellan glänzte. Vornehm dämmerte der sanft geschweifte, modische Hausrat. Blumen starrten aus alabasterner Vase. Auf dem Schrank tickte eine tempelhaft gebaute Säulenuhr, ihr Zeiger war ein goldener Pfeil. Auf dem rehbeinigen Spinett, das Mozart sich aus seiner Stube hatte herüberschaffen lassen, war Matthisons Elegie auf den Trümmern einer Burg aufgeschlagen, und daneben lag das Buhlbüchlein Boccaccios. Casanova hatte es einst hier vergessen.

Mozart betrachtete das Bild Josephas, das über dem Sofa hing, bis ihm das Herz im kühnen Aufsprung eines Liedes erbebte. »Dies Bildnis ist bezaubernd schön!« Er stieg auf den Diwan, stand einen Augenblick Stirn gegen Stirn mit dem Gemälde und küsste dann darauf die geliebten Lippen.

Hochatmend schritt er durch das Zimmer.

Jetzt hieß es, die Gefühlswoge zu vertonen, die sich in Titus erhebt. Der verratene Herrscher überwindet sich selber, er verzeiht dem todeswürdigen Verbrecher und lässt ihm die Fesseln lösen; seine Güte ist größer als die Untreue der andern. Wie soll nun seine Seele singen? Wie spricht ein hoher Mut in solch außergewöhnlicher, überwältigender Lebenslage?

Wäre Kaiser Leopold unter ähnlichen Umständen sich ebenso großsinnig benehmen?

Mozart schüttelte den Kopf. Hier dünkte ihn in der Dichtung Metastasios etwas nicht ganz lebensecht.

Das Spinett schlief. Eine Saite regte sich verloren darin. Wovon träumte sie?

Er tat in die offene Gartentür.

Die Nacht draußen war ohne Mond. Im matten Sternglanz widerleuchteten die weißen Blumen.

Er horchte.

Eine abgründige Stille lagerte auf dem Hügel.

Er horchte, als wolle er die Welt aushorchen bis auf ihren letzten Grund.

Die schönste Musik ist doch das tiefe Schweigen, dachte er.

Dann fingen fern und träg die Uhren der Stadt an zu schlagen. Eine um die andere. Sie hätten wohl gern geschlafen.

Ein Wagen knarrte unwirsch die Straße herauf, die sich hinter der Gartenmauer hinzog. Der rötlich-müde Schein einer Fuhrmannslaterne verschwebte.

Wohin zog dieses Gefährt in der Nacht?

Jetzt war wieder alles lautlos versunken wie vorher. Kein Laub, kein Halm regte sich. Die Gartengeister schlummerten.

Die Gestirne ehrten Gott mit ihrem stillen, ewigen Tanz.

Geheimnisvoll bereichert kehrte Mozart zu seiner Arbeit zurück. Neue, innere Quellen hatten sich ihm aufgetan. Es brauste dunkel durch sein Haupt.

Morgen kommt der Kaiser!

Der Kapellmeister arbeitet bei einem Lichtschild. Auf silbernem Gestell und in silbergeschmiedetem Rahmen war eine durchleuchtete Porzellanplatte angebracht, darin bald tiefer, bald flacher die Gestalt eines jungen, nachsinnenden und die Leier spielenden Mädchens heraus geschliffen war, so dass es sich fast körperlich heraushob in dem gesänftigten Licht zweier dahinter brennenden Kerzen. Er schrieb. Es gab kein Verweilen. Er musste hasten.

Er hob die heiße Stirn. Es mochte nun schon sehr spät geworden sein.

Das Bildnis Josephas an der Wand verschwamm vor seinem ermattenden Blick. Die Lider waren ihm auf einmal schwer. Oh, jetzt schlafen zu dürfen, lange zu schlafen! Welch ein Glück wäre das!

Konstanze kam auf den Zehen in das Zimmer.

»Was zum Kuckuck willst du schon wieder?« fuhr er sie an. »Siehst du nicht, dass ich arbeite?«

»Kannst du nicht ein bisslein aussetzen, wenn deine Frau kommt?«

»Ja, glaubst du, das hängt von mir ab? Glaubst du, ich kann mit dem Komponieren aufhören und anfangen, wann ich mag? Das überfällt mich und tut mit mir, was es will.«

»Mir ist eingefallen, dass die Gartentür offen ist. Du wirst dich in der Nachtluft verkühlen, Wolfgang.«

»Lass sie nur offen und sei unbesorgt!« Er küsste sie dankbar auf die Nasenspitze. »Die Kühle tut mir gut. Und jetzt leg dich wieder nieder, Kind!«

Sie streichelte seine Stirn. »Wie deine Haut heiß ist! Nur eine halbe Stunde solltest du schlafen!«

»Ich will schaffen und nicht schlafen! Mein Vater hat immer gesagt, der Künstler soll fleißig sein!«

»Ach was, dein Vater! Dein Gesicht zuckt schon wieder, und ich fürchte mich davor. Wolfgang, dein Eifer hat etwas Frevles an sich. Die Nacht gehört dem Schlaf.«

»Mich treibt es, mich zwingt es. Ich kann nichts dafür. Und ich muss das Finale heute noch abschließen! Morgen kommt der Kaiser! Willst du den neuen Chor hören?«

Er spielte, und das leidvolle Stück hallte gespenstisch in der leeren Nacht.

Er ließ die Hände sinken.

»Stanzel, halt mich wach! Ich muss noch schreiben. Erzähl mir etwas! Erzähl mir was recht Trauriges!«

»Es ist ja schon Mitternacht vorüber«, wandte sie ein.

Er begab sich zu dem Tisch und tunkte die Feder ein.

Da begann sie: »Es war einmal ein schönes Grafenfräulein, und sie stieg ins Tal hinunter und wollte sich in der Donau die weißen Hände noch weißer waschen. Und wie sie sich über das Wasser neigte und sich über ihr Bild freute, das mit dem aufgerollten goldenen Haar drin schwebte, und wie sie vor Lust den Arm ausreckte und dem Abbild wie einer Schwester die Hand geben wollte, da fing auf einmal das Bild zu schwimmen an und schwamm unter den grünen Uferweiden langsam davon. Oh, wie erschrak da das arme Fräulein! Und sie schrie laut auf und rannte dem Bild nach und wollte es fangen. Aber der schöne Schatten schwamm schon weit. Und in der Donau spiegelten sich die weißen Wolken und die blaue Luft und die stillen Köpfe der Bäume, und alles fand drin sein Widerbild, nur das Grafenkind nimmer. Da lief sie weinend heim zu ihrem großen Wandspiegel. Aber auch der blieb leer, als ob sie gar nicht davor stünde.«

»Wolfgang«, unterbrach Konstanze ihr Märchen, »du schreibst ja und hörst nicht zu, und ich erzähle den tauben Wänden.«

»Nein, nein! Ich weiß jedes Wort, was du gesagt hast. Erzähl nur weiter!«

»Das Abbild schwamm derweil dahin, und die Fische und die Ufervögel wunderten sich darüber, und die Fergen erschraken davor, und die Fischer warfen ihre Netze danach aus, und der Wald hielt vor lauter Staunen in seinem Rauschen ein. Da war aber ein junger Rittersmann, der ließ sich eben mit seinem Ross auf einer Plätte über den Fluss setzen. Der sah das Bild und meinte zuerst, es sein die Leiche einer feinen Jungfrau. Aber wie sie ganz nahe an das Schiff herankam, sah er ihre blauen Augen lebendig offen und ihren Mund rot und fröhlich lachen, und schnell griff er nach ihr und wollte sie haben, und wenn sie auch eine seelenlose arge Donaufrau wäre, die ihm nichts als Unglück brächte. Und wie er sie packte, da zerrann das Bild, und etwas Feuchtes wickelte sich wie die Haut einer Schlange um seinen Arm. Er traute sich nicht, es von sich zu streifen. Er ließ sich länden und ritt schnell in seine Burg heim. Und wie er in den Saal kam, wo ein hoher, schmaler Spiegel hing, da löste sich das seltsame, kühle Band von seinem Am, und in dem Spiegel stand auf einmal das Bild des schönen Fräuleins und lachte glücklich heraus. Und der Ritter verliebte sich darein und wollte sie an seine Brust ziehen, aber seine Hände stießen an das tote Glas, und sie bleib drin und er heraußen. Da wurde er sehr traurig und vergaß Vater und Mutter und Jagd und Wald und Kampf und Ehre und schaute den ganzen lieben Tag immer nur sehnlich da unbewegte, fremde Bild an und war betrübt über alle Maßen.«

»Und ist er zu ihr ins Glas hineingegangen und auch zum Bild geworden?« fragte Mozart von seiner Arbeit her.

»Gedulde dich nur! Und einmal kam ein Geiger des Weges daher, keiner kannte ihn, obwohl es jedem war, als sei er ihm schon irgendwo begegnet, und er hatte eine schwarze Kutte an und eine schwarze Larve vor dem Gesicht. Er stellte sich vor den Spiegel und geigte ein banges Lied, und das war so bang, wie man es auf der Welt noch nie gehört hatte. Und das Bild im Spiegel rührte sich auf einmal, es hob die Hand und legte sie vors Herz, als müsse es dieses vor dem Spiel beschützen. Schnell wollte der Ritter den finstern Fremden vom Spiegel wegstoßen, aber der Spielmann strich einen hohen, schillernden Ton, und da knisterte die silberne Scheibe, und sie sprang von oben bis unten entzwei, das Bild verrauchte drin, und das zerrissene Glas war leer. Der Fremde ging zum Tor hinaus. Aber in einem fernen Grafenschloss lag zur selben Stunde ein junges Fräulein in der Truhe, und hundert Kerzen brannten um sie, der das Herz zersprungen war.«

»Wunderbar!« seufzte der Kapellmeister auf. »Und am Sarg der schönen Jungfrau hat man die Totenmesse von Mozart gesungen.«

»Du hast alleweil geschrieben, Wolfgang, derweil ich erzählt hab'.«

»Stanzel, du meine Herzarznei, dein Märchen hat mich wieder frisch gemacht und mir den Schlaf vertrieben. Jetzt ist die Rede des Titus fertig. Schnell wie ein Blitzschlag ist es vonstattengegangen. Und jetzt bin ich im Schwung. Aber du sollst schlafen! Du tust mir ja so leid.«

Er küsste sie glücklich.

Doch jäh schwang sein Mut wider in ahnende Schwermut um. »Was küss' ich dich? Was halt' ich dich? Es geht doch alles vorüber!«

»Du bist in der letzten Zeit so sonderbar«, sagte sie betroffen. »Was hast du?«

Er drängte sie sanft in den Flur hinaus. »Geh nur, geh schlafen!«

Wieder saß er zeitvergessen, und seine Feder knirschte.

»Schaffen! Schaffen, solange ich atme! Einmal kehrt der verlarvte Geiger bei mir ein. Dann muss ich eine volle Ewigkeit schweigen. Ach, in meiner Seele ist noch so viel Musik! Und ich möchte sie, ehe ich abberufen werde, den Menschen schenken, dass sie sich daran freuen.«

Ein Hund störte ihn auf. Der mochte sich in einem Gehöft zu Kochirsch losgerissen haben. Eine nachschleifende Kette klirrte. Das Tier witterte über die Gartenmauer hinweg den wachenden Menschen, und dessen nächtliches Treiben schien es mit Verdacht zu erfüllen, denn es bellte grimmig und anhaltend.

Ungeduldig hielt der Meister inne. Der Ablauf seiner Einfälle stockte; was schwebend sich ihm näherte, drohte sich wieder zu verflüchtigen. Knebelte denn niemand den geräuschvollen Feind draußen?

Er sah sich mit irren Augen nach einer Pistole um.

Das Gebell verstummte. Es ging in ein böses Knurren über. Dann klirrte die Kette immer ferner, bis sie schwieg.

Wieder wälzte sich durch Mozarts Seele brauend jene trächtige Finsternis, daraus die neue Schöpfung sich aufrichtet.

Das Finale! Der Verräter Sextus bereut sein Verbrechen, und Titus vergibt ihm.

Dieser Titus! In der ganzen Oper tut er nichts anderes als immer wieder verzeihen, übermenschlich verzeihen. Würde doch dieser Ausbund von Güte nur ein einziges Mal wie ein irdischer Mensch hassen oder fluche, wo es am Platz ist!

Vitellia, Servilia und Annio sollen ihre Stimmen zum Preis der Großmütigen vereinen. »Oh generoso, oh grande!« Und hernach soll der volle Chor gewaltig die Bitte zu den Göttern rufen, sie mögen die geheiligten Tage des Herrschers noch lange beschirmen.

»Eterini Die, vegliate su i sacri giorni suio,
a Roma in lui serbate sa sua felicità!«

Das muss wie das aufsteigende Gebet eines ganzen Volkes erschallen!

Götter, erhaltet das Glück Roms! Das heißt, in unser Fest übersetzt, Gott möge das Haus Österreichs schützen, dachte Mozart. Da schreib' ich den Triumph des Kaisers Leopold, der mich nie anders als mit beleidigender Geringschätzung behandelt hat. Was bin ich ihm? Nur ein armseliger Notenquetscher! Und diesem meinen Verächter muss ich dienen und um lächerlichen Lohn für ihn schuften Nacht für Nacht und meinem Leib den Schlaf stehlen!

In Groll und Selbstverhöhnung riss es ihn empor, und er verneigte sich vor der Gartentür, die schwarzoffen in die helle Wand geschnitten stand, und er rief laut: »Majestät, darf sich Ihr Knecht Mozart unterwinden, in ersterbender Untertänigkeit diese Oper zu Ihren Füßen zu legen, dass Ihre Majestät sich daran die Schuh' abputzen?!«

Da wehte es groß und schattenhaft aus der Nacht herein.

Mozart prallte zurück. Was hatte er mit seinem tollen Geschwätz entfesselt?

Ein grauer, mächtiger Vogel flog irr und lautlos durch den Raum. Er bedrohte mit den düsteren Schwingen die erschrocken flackernden Kerzen. Er streifte an den Kronleuchter, dass dessen Kristalle leise baumelten. Welch ein Besuch!

Jetzt ließ sich der Kauz auf dem Tisch nieder und glühte mit wildem Nachtauge den Meister an und nickte und sperrte den krummen Schnabel auf.

In Mozart erwachte aller Aberglaube seines Volkes. Das war der Vogel Komm-mit! Was suchte der Unheimliche hier?

Er tastete nach dem Degen. Er fand nur einen Fidelbogen. Damit fiel er wie ein Fechter gegen den Totenvogel aus. »Fort, fort, Gespenst! Ich bin noch nicht reif!«

Der struppige Gast wehte wieder in die Finsternis hinaus.

Das Heft, darin die Dichtung Metastasios geschrieben stand, war hässlich beschmutzt.

Auf einmal war die Standuhr, die den ganzen Abend ungehört gegangen war, vernehmbar und tickte immer eindringlicher und quälender und fast warnend. Sollte Mozart sie nicht abstellen? Je länger er ihr lauschte, desto furchtbarer wurde ihm ihr eintöniges, regelmäßiges, stechendes Geräusch. Sie schien immer jagender, immer atemloser zu laufen. Sie war eine tückische, mörderische Uhr, und Mozart hätte für sie kein lustiges zirpendes Tänzlein erfinden mögen.

Der Trauerduft schwüler, sterbender Blumen in der Vase wob.

Draußen im Garten knarrte ein Alt. Klammerte lauern der Totenvogel daran?

Der Kapellmeister sah seinen riesigen, unruhigen Schatten an der Decke gebrochen. Er hörte die Ketten der Tiere im Stall unter sich läuten. Ein Pferd wieherte gedämpft.

Ein Gefühl banger, schwerster Einsamkeit übermannte ihn. Ihm war, er stünde mit einsamer Fahne, von seinem Heer verlassen, auf öder Steppe. Wer half ihm? Wo war Zuspruch, wo Rat und Rettung?

Er nahm die Leuchte und schlich hinüber in das Zimmer Konstanzes.

Sie lag im Schlaf gelöst. Die Falltürlein ihrer schwarzen Augen waren zu, ihr Gesicht war von einem angenehmen Traum freundlich geformt. Sorglos schlief sie.

Auf ihrem Bett ruhte in sich verrollt der Kater Kleopatra. Er erwachte und blinzelte vorwurfsvoll den Mann und das Licht an.

Drohender wuchs die Einsamkeit um Mozart auf. Er war ganz allein in der grenzenlosen Welt. Alles andere: der schlummernde Leib dieses Weibes, das als seine Gattin galt, diese Katze hier, alles war unwirklich und bestand nicht. Alles war nur Spuk. Er war allein.

Wie ein Ausgeplünderter kehrte er zu seiner Arbeit zurück.

Da lag das besudelte Heft.

Ein stiller Hass gegen diese Dichtung glomm in ihm. Aus nebelhaftem Argwohn dämmerte es ihm wie Erkenntnis.

Atmete dieses Buch, darauf er seine Oper baute, atmete es Leben? Die Sprache darin, war sie nicht zu geschmeidig, war sie nicht überlastet mit zierlichen Wendungen und geistvollen Redeblüten und kunstvollen Gleichnissen? Waren diese Gefühlsergüsse nicht einer blassen Überlegung entsprungen, war die Empfindung hier nicht geheuchelt? Die Güte des Titus bildete die treibende Grundkraft des Buches, eine unwahrscheinliche Güte, eine in ihrer Überstiegenheit verlogene Tugend. Und diese Güte war nicht ein so starker Urtrieb wie etwa die Liebe von Mann und Weib, sie war schon eine müde Überfeinerung. Und die Gestalten, denen Mozart seine Gesänge auf die Lippen legte, waren sie mehr als blutlose Schatten? Wehe, waren sie nicht verstaubtes Gips?!

Er fühlte, wie ihm diese Gestaltenwelt von jeher spröde widerstanden hatte. Ja, alle waren sie hohler Dunst, dieser Titus, diese Vitella, dieser Sextus, von dem höfischen Schreiberling Metastasio glitzernd aufgeflittert und zum Schwätzen gebracht, einem erlauchten Herrn zu schmeicheln. War es möglich, diesem gekünstelten, fahlen Schattenchor die Wärme des wahren Lebens in die Brust zu hauchen?

Mozart gingen die Augen auf. Oh, dieses Buch war nur eitler Wortschwall, selbstgefällig und kalt gemacht, es war nur Geklingel und Gebimmel, nur Papier, Papier! Eine Totgeburt war es, und kein Gott konnte es beleben!

Von dieser Erkenntnis aufs Äußerste bestürzt, wanderte der Kapellmeister um den Tisch herum. »Da hab' ich mir was Sauberes eingebrockt!« klagte er. »Der ›Titus‹ kann nicht gelingen. Ich glaub' nimmer an ihn. Oh, hätt' ich nie danach gegriffen! Der Auftrag hat mir geschmeichelt. O mein verdammter Ehrgeiz! O meine dreimal verfluchte Armut, die mich zwingt, schäbige Brotkunst zu treiben und mich hinzugeben um des Geldes willen, das ich herzlich verachte! Das ganze Buch ist lügenhaftes Gerümpel, und nicht ein Funke wahres Gefühl steckt drin! Vor zehn Jahren, wo ich noch blutjung und dumm gewesen bin, ja, da hätt' mich so was noch gepackt. Aber heut?! Hol der Teufel den Metastasio aus dem Fegfeuer und brat ihn dort, wo die Hölle am saftigsten ist!«

Eine Erbitterung kehrte sich gegen die Prager Freunde, gegen die Grafen Thun, Canal de Malabaila und Pachta, gegen Josepha Duschek, gegen den Direktor Guardasoni. Durch deren Einfluss war ihm dieses Machwerk aufgenötigt worden. Gewiss, sie hatten es gut gemeint! Aber sie hatten ihn in die tiefste Not des Künstlers hinein gehetzt. An ein unzulängliches Buch musste er sich verschwenden! Nicht in der Welt ist schlimmer, als ungeliebte Arbeit tun müssen!

Doch man begehrte diesmal von ihm ja nicht Leben, sondern nur Gepränge. Er sollte diesmal nicht ein Werk schaffen, das in Herrlichkeit und Kraft n sich selber schwang und bestand. Diese Oper sollte nur dienerisch die Verbrämung eines Festes sein.

»Für einen einzigen Abend, für einen einzigen Gaumen arbeit' ich da!« murmelte er. »Oh, dass ich mich gebunden hab'!« Ihn fasste ein Ekel vor sich selber.

Aber was half alle Erkenntnis, alle Wut, aller Abscheu? Er musste die Zähne zusammenbeißen und den Auftrag ausführen!

Er zerkrampfte die Feder in der Hand und wartete auf den herrlichen Anruf des Dunkels seiner Seele.

Doch es schwieg.

Ächzend schleuderte er die Feder von sich. »Gott hat mich verlassen! Mir fällt nichts mehr ein!«

Da regte sich draußen im Kies des Gartens wie vorsichtiger Schritt.

Mozart richtete sich auf. Menschenangst packte ich, beklemmend, drosselnd. Die Angst der Nachteinsamkeit. Schnell wollte er die Gartentür zuschlagen und verriegeln. Doch seine Knie versagten. Das Blut in der Ader stand ihm still.

Der Sand knirscht lauter.

Das Sommerhaus lag so einöd und wie zu einem Überfall geschaffen. Kam ein Räuber? Ein Mörder? War der graue Vogel sein Vorbote gewesen? Sandet ein neidischer Feind, sandte Salieri seinen gedungenen Diener aus? Näherte sich ein Überirdischer, den es verdross, dass der Mensch frevelnd die wilde Schwelle der Mitternacht überschritten hatte?

Eishauch wehte über Mozarts Nacken.

Es war Anna, die zögernd aus dem Garten hereintrat.

Gott sei gedankt! Das Blut begann wieder durch Herz und Ader zu wallen, der erloschene Atem setzte wieder ein.

»Was willst du so spät?« fuhr Mozart die Magd an.

»Ich habe Sie stöhnen hören, gnädiger Herr. Ich habe gemeint, Sie seien krank.«

»He, du willst wohl ein Abenteuer erleben?« rief er.

Sie verstand diese Frage nicht. Mit weiten, mondsanften Augen, mit den Augen der Unschuld stand das Kind des Dorfes vor ihm, gewillt zu helfen. Die derben, abgearbeiteten Hände faltete sie verlegen über die Brust.

»Verzeihen Sie, ich habe wirklich geglaubt, es tut Ihnen was weh.«

»Was weißt du, was unsereinen schmerzt?!«

Sie hatte den milden, leise trauernden Blick eines Rehes. »Sie arbeiten oft die ganze Nacht, gnädiger Herr, und sind allein«, sagte sie. »Sie sind so blass. Das Herz weint mir um Sie.«

»Du verstehst doch nichts von mir!« rief er.

»Gnädiger Herr, wenn ich Sie spielen höre, ist mir immer, Gott spielt mit meiner Seele.«

So seltsam redete sie, und sie stammte doch aus einer geringen Bauernhütte, und ihre Hand war grob von der Arbeit an Erde und Vieh; sie kam vom Melkschemel her, von Sense und Garbe und dunkler Scheuer und vom Backofen, daraus sie die riesigen braunen Laibe hob. Sie duftete nicht wie eine lockende Zofe nach der köstlichen Seife der Herrin, sondern nach dem gemähten Gras der Wiese.

Verzaubert näherte sich Mozart diesem schönen, starken Geschöpf, seine feinen, durch die Musik vergeistigten Finger ergriffen die lastenden Bauernhände. Sie ließ sich willenlos küssen.

O holde Flamme des Lebens!

Und dann erwiderte sie seine leise, müde Liebkosung mit einem lodernden, übermächtigen Kuss, wie Mozart ihn sein Lebtag noch nie empfangen hatte. So küsste die Erde selber, die große Natur. Ein zweiter solcher Kuss musste töten!

Erschrocken schob er sie von sich.

»Geh gleich, Andula!« drängte er. »Meine Frau, wenn sie erwacht, – wenn sie kommt und dich findet – in der Nacht – allein mit mir ...«

Sie ging.

Ihr Schritt verscholl.

Mozart neigte sich wieder über sein Werk.

Er schielte zu der Uhr hinüber. Der goldene Pfeil daran war weitergerückt.

»Gott kann warten, er ist ewig«, murmelte er. »Der Mensch muss eilen. Ich will tun, was möglich ist.«

In dieser Nacht schrieb er ohne Hoffnung, ohne Freude.

Der Hahn krähte. Er hörte ihn nicht. Er hörte nicht die verschleierten Glocken der fernen Türme den werdenden Tag verkünden. Er gewahrte nicht den Morgenstern und nicht die Leuchtwolke, die der Sonne voraussegelte.

 

Eine Kutsche rollte dumpf in den Hof ein.

Jemand berührte leicht die Schulter des vertieften Meisters. Es war Franz Duschek.

»So zeitig wieder am Werk?« fragte er. »Du siehst angegriffen aus. Du verbrennst an der Glut des Eifers.

»Was hältst du von meinem ›Titus‹ , Franz?«

Duschek las aufmerksam, was Mozart in dieser Nacht geschrieben hatte.

»Ein sehr wirkungsvoller Schluss!« lobte er. »Die Oper, soweit ich sie heute schon überblicke, wird zünden. Die wesentlichsten Teile darin sind dir wunderbar gelungen, anderes wieder ist dem Geschmack unserer Zeit vornehm und aufs Glücklichste angepasst. Freilich: an dem ›Don Giovanni‹ darf sich der ›Titus‹ nicht messen. Lauter große Würfe erlauben die Götter selbst ihrem liebten Liebling nicht. Und vielleicht bedeutet dieses Werk nur kurze Rast und Atemholen vor neuem, ungeheurem Aufstieg.«

»Du bist also mit der Oper nicht ganz einverstanden?« lauerte der Kapellmeister.

»Aufrichtig gestanden, erscheint sie mir etwas zu rasch gebacken. Horaz sagt, man solle jedes geistige Erzeugnis neun Jahre lang ruhen lassen, ehe man es veröffentlicht. So viel Weile ist uns Spätzeitmenschen leider nimmer gewährt. Und übrigens wird sich Hozaz selber nicht genau nach seinem Spruch gerichtet haben. Aber dein ›Titus‹ ist noch immer großartig genug und zeigt die Pranke seines Schöpfers. Besonders das Finale. Ende gut, alles gut!«

»Duschek, du tröstest mich.«

»Ich wünsche nur, Freund, du schliefest länger. Schlaf verjüngt und hält jung. Doch zur Sache! Josepha schickt mich mit dem Wagen her, dich und Frau Konstanze abzuholen. Ihr sollt euch mit uns an dem Einzug des Kaisers freuen. Seit einem halben Jahrhundert hat Prag kein solches Schauspiel erlebt, wie es sich heute entfalten wird. Und gar der Zustrom an Fremden! Gestern bin ich übrigens Herrn Salieri begegnet.«

»Hat er wieder tüchtig geprahlt? Hat er mich wieder verrissen?«

»Durchaus nicht! Doch rüste dich, Wolfgang! Wir wollen bald fahren.«

»Konstanze liegt noch in den Federn. Ich wecke sie. Mich selber musst du entschuldigen. Ich bleibe daheim, ich muss arbeiten.«

*

Dem einziehenden Kaiser flog ein guter Ruf voraus. In den fünfzehn Jahren, da er als Großherzog Toskana beherrschte, hatte er alle Zeichen eines klugen und wohlwollenden Fürsten geäußert. Er hatte sein Land von den Heimsuchungen des Hungers, der Pest und der Entvölkerung befreit. In den futterarmen Gegenden, wo das Vieh nur das dritte Laub der Maulbeerbäume zu fressen bekommen hatte, hatte er die Wiesen derart vermehren lassen, dass dort bald jede Spanne Erde Frucht trug. Die Sümpfe der Landschaft Maremma, die so ungesund gewesen, dass dort schier kein einziger Mensch fünfzig Jahre alt geworden war, hatte er austrocknen und das Gestade des durch seine Überschwemmungen berüchtigten Ombrone erhöhen und die Pappelweiden befestigen lassen, und so wurden die Lüfte Toskanas gesünder. Und Leopold hatte feste Straßen über den Apennin gebaut, er hatte seine Schifffahrt durch Verträge vor den Seeräubern gesichert. Die Verwaltung seines Staates hatte er weise geordnet, die betrügerischen, die groben und die unfähigen Beamten davongejagt, die Zölle auf die Lebensmittel aufgehoben, dem Handel volle Freiheit gegeben, die Brandmarkung und das grausame Schiffziehen der Sträflinge abgeschafft. Den bildenden Künsten hold, hatte er die erhabene und rührende Gruppe der Niobe und ihrer unseligen Kinder aus dem medizäischen Schloss in Rom nach seiner Hauptstadt Florenz führen und die beschädigten Teile daran verständig ersetzen lassen. Toskana, das Land des Marmors, des Alabasters, des Porphyrs, des Silbers, des Weines, der Seide, es war unter der milden und festen Hand Leopolds wunderbar aufgeblüht. In ihm hatte sich das Blut der hausfraulichen Kaiserin Maria Theresia nicht verleugnet.

Auch als Nachfolger seines edeln und stürmischen Bruders auf dem deutschen Thron hatte Leopold sich gut angelassen: er hatte den türkischen Krieg beendigt und den Aufruhr in den Niederlanden besänftigt, und die vornehme Nachgiebigkeit und Gelassenheit seines Wesens versprach seinen Völkern und ganz Europa einen dauerhaften Frieden auch angesichts der Wetterwand, die von Frankreich her aufstieg.

Die Freude der Prager und des böhmischen Volkes, das jetzt die graue Hauptstadt belebte und überfüllte, war darum echt, zumal da Leopold auch die Maßnahmen seines Bruders Josef gegen die ständische Verfassung zurückgenommen und die alten Freiheiten wieder erneuert hatte. Man hoffte überall, das von den Habsburgern so lange vernachlässigte böhmische Vaterland werde wieder mit Fleiß und Sorgfalt gehegt werden, und wie der Luxemburger Karl einst gesagt hatte, Prag sei sein Augapfel, so werde es auch forthin wieder gehalten werden.

In den hundert Türmen der in der Sonne glühenden Stadt huben die Glocken festlich zu stürmen an, auf der Burg Wyschehrad und auf den Wällen Prags löste man die schweren Geschütze, und es war ein Donnern und Brausen und Gellen in den Lüften, als der Kaiser in die vor Erwartung zitternde Stadt einfuhr.

Der Bürgermeister Andreas Steiner, hinter sich die Vertreter der Bürgerschaft in der Haltung tiefster Unterworfenheit, begrüßte am Spitteltor den Herrscher mit dem Wunsch, Gott möge das Erzhaus Österreich bis ans Ende der Welt in seiner erhabenen Macht erhalten. Er bot dem kaiserlichen Gast auf silberner Tasse die vergoldeten Stadtschlüssel, und Leopold berührte sie flüchtig mit zwei Fingern und fast wie in forschender Gebärde, als wolle er wissen, ob sie sich kalt oder warm anfühlten, und überließ sie dann, mit seinem schmalen Kopf gnädig nickend, dem Stadtrat zur weiteren Verfügung.

Es glich einem mächtigen Brautzug, der zur Vermählung reist, was da durch die menschengefüllten, unter endlosen Freudenrufen erbrausenden Gassen zog. Voran der Erbhof-, Land- und Reichsgeneralpostmeister Fürst von Paar im sechsrossigen Reisewagen, hinter ihm her die schneidig blasenden Postillone. Dann trabten kaiserliche und bürgerliche Reiterei, diese mit streitbaren schwarzgelben Federbüschen und mit Karabinern, dann Trompeter und Paukenschläger, die Pferde mit roten, silbergeschmückten Prachtdecken, und ständische Mitglieder im Feldprunk. Hernach fuhren die Ritter, Prälaten, Bischöfe und Herren in Vier- und Sechsspännern daher, je nach ihrem Rang, und hierauf die wappenfunkelnden, von strotzend betresster Dienerschaft umschwärmten Karossen des böhmischen Hochadels, voran der Oberstburggraf Heinrich Graf von Rottenhan, dann die alten Geschlechter Clary-Aldringen, Kinsky, Auersperg, Nostitz, Lobkowitz, Lichtenstein, Schwarzenberg, Thun, Clam-Gallas, Czernin, Colloredo, Chotek, Kolowrat, Desfours, Sternberg und der Erzbischof von Olmütz. Die Kutscher saßen mit ihren weitgreifenden Peitschen schwindelnd hoch am Bock, und es trabte und trabte endlos hintereinander, und die edeln Pferde fegten mit ihren langen Schweifen fast die Erde. Hinter dem Adel zog der Hofstaat auf, Bereiter, Lakaien, Kammerherren, der Oberstallmeister Fürst Dietrichstein, die reitenden Herolde in altertümlicher Amtstracht und mit aufrecht gehaltenen Stäben.

Dann aber kam in gedecktem, von sechs elfenbeinhellen Rossen gezogenem Leibwagen, das Glas der Seitenfenster herabgelassen, fanfarenbegrüßt der Kaiser gefahren, ihm zur Linken seine Gemahlin, die spanische Königstochter Maria Luise. Der Kaiser trug das blonde Haar glatt gekämmt und an der Schläfe in einer Locke aufgerollt, er blickte bald mit seinem in leichter Erregung geröteten Gesicht und den großen, hellblauen Augen ernst darein, bald schürzte er die vollen Lippen zu einem leutseligen Lächeln, besonders wenn er dem Gruß des Volkes dankte. Seine Nase war etwas aufgebogen und kurzweilig, doch die Stirn edel gewölbt und feierlich und wie zum Tragen einer Krone gebildet. Die Kaiserin nahm sich neben ihm unbedeutend und schwächlich aus. Sie war eine Frau, die vierzehn Kinder geboren hatte.

Den kaiserlichen Wagen begleiteten barhäuptig der Bürgermeister und der Rat der Stadt, und ihm schlossen sich der Befehliger der Prager Festung, berittene Edelknaben mit ihren Hofmeistern, die Arzierenleibwache mit Hornisten und Sattelpaukern, die königlich-ungarische Garde, die Wagen mit den Hofdamen an und zuletzt eine blitzendes, klirrendes Reitergeschwader.

Das Pflaster der Gassen war mit einem Teppich von grünen Kalmushalmen bedeckt und mit Blumen verhüllt, die auf böhmischen Wiesen gepflückt worden waren, und besteckt mit den Birken böhmischer Haine. Der Weg, den der Zug nehmen musste, war mit Ehrenpforten und Gewinden überreich geschmückt, und es fehlte nur noch, dass die Prager in ihrer Begeisterung Sonne und Mond bekränzt hätten. Dragoner ritten auf und nieder, die Gaffer in Zucht zu halten, doch bot sich nirgends ein Anlass zum Einschreiten: das Volk wartete bescheiden und ruhig.

Der Ruf: »Er kommt! Er lebe hoch!« schwoll heran und brandete die Häuser empor, wo er in den üppig belagerten Fenstern seinen Widerhall fand. Rundhut und Dreispitz wurden geschwenkt, Musikbanden tobten, und frohe Bewegung wellte durch Volk, als sein künftiger König daher fuhr. Junge Mädchen streuten Sträußlein, Kränze flatterten aus den Fenstern, damastene Zunftfahnen senkten sich. In langen Reihen harrten die Innungen. Weiß und grün gekleidete Schulkinder, die kleinen voran, hinter ihnen die größeren, von ihren Schulmeistern behütet, frohlockten hell. Soldaten leisteten die Ehrenbezeigung. Die Ältesten der Judenschaft in kostbaren Staatskleidern verbeugten sich ehrerbietig, eine Anrede an den Kaiser war ihnen verwehrt. Die Waisenhäuser und die Anstalt der Taubstummen hatten ihre Zöglinge aufgestellt. Einfältiges Bauernvolk glotzte den Herrscher an, von dem sie die Legende wussten, dass er seinen Namenszug mit goldener Tinte male und mit Diamantensand bestreue und dass seine Frau einen goldenen und einen silbernen Schuh trage. Ein alter, schlohweißer Mann tat weinend einen Fußfall.

An der Ecke der Zeltnergasse und des Altstädter Ringes trug das Ehrentor die Inschrift: »Nulla salus bello. Pacem te poscimus omnes!« »Kein Heil durch den Krieg. Wir alle fordern den Frieden!« sagte der Kaiser und machte lächelnd seine Gemahlin auf diesen Spruch aufmerksam. Er schien mit seinem freundlichen Lächeln dem Volke menschlich näher als der staatskühle, äußerlich schroffe und in seinen Entschlüssen oft unbegreifliche Josef.

Unter dieser blumenleuchtenden Pforte hielt der Wagen des Herrschers, und die Abgesandten der Universität traten näher, und der Rector magnificus Johann Diesbach sprach mit dünner, klarer Stimme den Kaiser lateinisch an: »Augustissime, invictissime, glorissime imperator, rex ac domine clementissime!« Er feierte ihn in wissenschaftlich umständlicher Weise als den Beglücker Hetruriens und begrüßte den Mann, der die erhabenen Pflichten eines Vaters des Vaterlandes übernehmen sollte. Leopold hörte ihm aufmerksam zu. Er hatte eine Vorliebe für alles Gelehrte – schon als Kind hatten ihn darum seine Geschwister mit dem Namen ›der Doktor‹ gehänselt –, und es war ihm anzumerken, welche Lust es ihm war, in dieser Sprache zu reden.

Eine Bande begann auf dem Balkon des Rathauses gewalttätig zu pauken und zu trompeten.

Auf dem Ring prangte Zopf an Zopf eine unüberwindliche Mauer von Grenadieren mit hohen, steilen Mützen und auch bürgerliches Fußvolk in englischnachtschattenfarbenen, goldtressengebrämten Röcken, die Kragen strohgelb, die Flinten im linken Arm liegend, an den Hüften winzige Patronentaschen wie Kinderspielzeug; doch die schwarzen Federbüsche auf den Hüten gaben diesen kleinbürgerlichen Söhnen des Kriegsgottes den gewünschten drohenden Anstrich. Auch die Männer des Handelsstandes waren soldatisch einheitlich gekleidet, die Röcke rot, die Achseln goldbespangt, Weste und Hose aus schwarzem Atlas, die Strümpfe weißseiden; ein zierlicher Degen war ihre Wehr. Von der Einhornapotheke an, davor der Gott der Heilung mit seinem Natternstab geschnitzt stand, reihten sich die Geschmeidler, die Glaser und die Postamentierer, die Gold- und Silberdrahtzieher, die Kürschner, die Klempner und die Huterer aneinander und wedelten kräftig mit den kleinen, weißen, blauen, roten, grünen und gelben Seidenfähnlein, daran die goldenen Quasten aufgeregt baumelten. Ein unerbittlicher Stadtsoldat scheuchte grämlich die Spatzen, die sich mit klirrendem Lärm eben an dem frisch gefallenen Rossmist zu ergötzen gedachten.

An den Säulen der Heiligen, an den Brunnengittern klammerten die Neugierigen, sie drängten sich unter den Schwibbogen. Aus den Kirchtüren strömten die lateinischen Schüler und sangen. Mütter hoben ihre Kleinen hoch. Selbst die Steingestalten auf den Dächern schienen sich gefährlich weit vorzubeugen.

Alles war mitgerissen von dem Wirbel des mächtigen Festes, einer entzündete sich an dem Schrei des andern, die Massen brausten. Ein entzücktes Volk legte dem Herrscher sein Herz hin.

Der Kaiser freute sich über diesen Empfang, und er nickte immer wieder freundlich den Untertanen zu, und das Grüblein an seinem Kinn lächelte.

Er sprach zum Fenster hinaus: »Herr Bürgermeister, haben denn die vielen tausend Fremden auch ein Obdach bekommen?«

»Gewiss, Majestät.«

»Auch die Armen?«

»Die schlafen in den Kreuzgängen der Klöster, manche auch auf abgelegenen Plätzen.«

»Friert es da die Leute nicht?«

»Nein, Majestät. Das Pflaster dort wird übertags von der starken Sonne so erhitzt, dass es auch zur Nacht nicht auskühlt, und es ist wie ein warmes Bett. Auch hat der Kalendermann Euer Majestät zu Ehren lauter angenehmes Wetter bestellt.«

»Es sind gar zu viel Menschen hier beisammen«, meinte der Kaiser. »Hoffentlich entsteht keine Seuche.«

Von der Kleinen Jesuitergasse bis zum Altstädter Brückenturm hatten sich die schwarzgrauen Brüder des heiligen Dominikus, die dunkelbraunen Franziskaner, mit dem Strich gegürtet, die Barmherzigen Bürder, die bärtigen Väter Kapuziner und die Geistlichen des ritterlichen Kreuzherrenordens aufgestellt.

»Ich staune, wie viel Kutten mein hochseliger Bruder noch am Leben hat lassen!« sagte der Kaiser zu dem Bürgermeister.

Er fuhr über die Brücke. Die kupfergrüne Kuppel zu Sankt Nikolaus wölbte sich über das braune Dachwerk der Kleinseite. Droben lagerte breit die Burg, daraus einst die grimmigen Protestanten die Statthalter des Kaisers zum Fenster hinausgeworfen hatten. Aus der Burg wuchs der unvollendete Dom, der Wartturm Gottes am Hradschin, darin die Krone leuchtend ihres Trägers harrte.

»Einst sind die Türme des Hradschins mit goldenen Dächern gedeckt gewesen«, sagte der Kaiser zu seiner Gemahlin.

Die Räder knirschten in dem weißen Sand, womit die Brücke beschüttet war. Die Steinbilder glitten vorüber: die himmlische Schmerzensfrau zwischen den trauernden Engeln und den Löwen, die ihr als Schildhalter dienten; der Gekreuzigte, die Heiligen.

Festlich brauste das Wehr. Auf den Inseln wehten die böhmischen Fahnen, lustige Böller wurden abgebrannt. Auf der Moldau kreuzten buntgeschmückte Schiffe. Stief nicht der alte Stromgott herauf, dem neuen Herrn zu huldigen?

Und drüben im Stadtteil unterhalb der Burg wieder Zunft an Zunft, Steinmetzen, Schäffler, Sporner, Schwertfeger, Blechschmiede, Gelbgießer und Weißgerber, daran gereiht die Malteserritter, die Augustiner, die weißen Mönche von Strahow, und dann Kürassiere und dann bürgerliche Scharfschützen und Studenten und Menschen und Menschen, winkende Hände, jubelnde Munde, glänzende Augen.

Der Zug langte auf dem Hradschin an.

Drunten lärmte die hocherregte Stadt und schickte Musik und Geläut und das brandende Geräusch der Gassen herauf. Aber Strom und Getürm schienen davon unberührt ihr stilles, gelassenes Leben zu führen, und darüber schimmerten zarte, silberträchtige Wolken.

Der Kaiser fuhr in den Burghof ein.

Felsenfest und geheimnisvoll ragte der alte Dom.

Vor der Adalbertskapelle harrten, in der Gebärde der Ehrfurcht erstarrt, die Besitzer des Goldenen Vlieses und die Ritte, die mit den Großkreuzen des Marientheresien- und des Stephansordens ausgezeichnet waren, dann die obersten Landesbeamten, die Geheimen Räte und Kämmerer und die Generale.

Der Oberstburggraf bewillkommnete den Kaiser mit einer tschechischen Rede.

Der Kaiser hörte aufmerksam zu, nickte mehrmals bedeutsam und erwiderte deutsch, sinnvoll auf die Begrüßung eingehend, obwohl er davon kein Wort verstanden hatte.

Er stieg mit seiner Gemahlin aus und begab sich zur Kapelle. Der Hofstaat folgte ihm

Aus dem Tor trat ihm der greise Erzbischof mit Stab und hoher Infel entgegen, über dem Purpur des Kardinalskleides den goldgleißenden Vespermantel. Um ihn scharten sich wie eine ehrwürdige, vom Himmel hernieder befehligte Gesandtschaft Gottes in der Pracht ihrer Kirchengewänder die Dompröpste, die Landbischöfe, die geinfelten Prälaten und der Erzbischof von Olmütz.

Ein köstlicher Baldachin warf seinen Schatten über den Kaiser.

Die Müdheit seiner überjährten Kräfte überwindend, grüßte der uralte, halbblinde Erzbischof den Fürsten mit dem Segen seiner zitternden Hände und bot ihm ein goldenes Kreuz.

Leopold kniete auf rotsamtenem Polster und küsste demütig das Kreuz.

Dann betrat er den Dom.

Trompeten und Pauken lärmten feierlich. Vom Chor hernieder schwebte der Wechselgesang: »Ecce, mitto angelum!« Siehe, ich sende einen Engel!

Der Kaiser sank vor dem Altar hin.

*

Mozart war den ganzen Tag über an seiner Arbeit gehangen. Die fernen Glockenstürme und der in seine Einsamkeit dringende Hall der von den Schanzen krachenden Schüsse hatten ihn nicht abgelenkt.

Spät abends kam Konstanze brennend von dem einzigen Ereignis des kaiserlichen Einzuges heim und versuche übersprudelnd das Unbeschreibliche zu beschreiben.

Er hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, sagte einige flüchtige Worte und schrieb weiter.

Sie begab sich bald zur Ruhe.

Der Zeiger war schon weit über Mitternacht hinaus, da legte er sich ein Stündlein in dem Zimmer, wo er arbeitete, auf den Diwan hin. Vom künstlerischen Schaffen aufgewühlt, fand er lange keinen Schlaf. Er arbeitete in ihm weiter.

Plötzlich fuhr er in die Höhe.

Er hatte also doch geschlafen.

Er roch den Gestank erloschener Kerzen. Es war finster um ihn. nur die Messingklinke an der Tür glomm. Wer hatte sie glühend gemacht?

Aber was hatte ihn aus dem wohltätigen Schlaf geweckt? Hatte ihn nicht eben jemand wild auf den Mund geküsst? Mit eisigem, bösem Kuss, davon ihm noch jetzt der Mund fror? Wer küsste einen Schläfer so schrecklich in der Finsternis?

Oder hatte ihn der dumpfe Schmerz in seinem Leib aufgeschreckt? Jener Schmerz, der sich so oft geheimnisvoll in ihm fühlbar machte und den der Arzt nicht bestimmen konnte?

Er richtete sich mühsam auf und suchte sich zu erinnern, wo er war.

Horch! Hatte jetzt nicht einer heimlich an das Fenster dort geklopft, das mit schwachem, ungewissem Schein in dieses Gelass hereindämmerte?!

Wer hatte geklopft? Ein Unsichtbarer? Wie war sein Gesicht? Was begehrte er in dieser angsterfüllten Nacht?

Zu dumm! Was quälte er sich da? Sein überanstrengtes Gehör hatte sich wieder einmal getäuscht. Eine lächerliche Furcht narrte ihn, spiegelt ihm Geräusche vor, die in Wirklichkeit nicht bestanden.

Vielleicht fiebert mich? dachte er. Ich merke, meine Gedanken sind nicht in Ordnung, sie jagen in Vierundsechzigstelnoten. Wenn es licht wird, lass ich den Arzt rufen. Er muss mir Fiebermittel verordnen. Ich muss noch acht Tage lang das Hirn ganz klar haben.

Er rächte sich, dass er nächtelang nicht geschlafen hatte.

Der Schlaf nährt wie dunkle, mütterliche Ackererde den Geist. Das wache Leben senkt seine Wurzeln in den Schlaf und trinkt und kräftigt sich daran.

»Herr Doktor, ich muss gesund sein!« flüsterte Mozart, und das Flüstern macht seinen trockenen, schwer gewordenen Lippen eine seltsame Mühe. »Ich muss gesund sein, weil ich dem Kaiser die Oper zeigen muss!«

Eine blecherne, öde Stimme drang aus dem finsteren Nichts. »Zum Teufel, Kapellmeister, Ihnen fehlt nichts! Sie werden hundert Jahre alt und noch hundert Opern schreiben. Aber Sie dürfen mit Ihrer Gesundheit nicht so wüsten! Sie leben unvernünftig! Arbeiten Sie weniger! Sorgen sie sich weniger! Essen Sie besser! Sollich Ihnen ein trockenes Schweißbad verschreiben?«

Etwas Düsteres, Wolkenhaftes schwebte über dem Träumer.

»Sie elender Medikaster!« schalt Mozart. »Mich fiebert! Mich dürstet! So helfen Sie mir doch! Warum sind Sie denn gekommen?!«

»Was fehlt Ihnen also, Mozart?«

»Das will ich ja von Ihnen wissen! Vielleicht hab' ich die Brustabzehrung. Weiß der Teufel, was ich hab'! Ich hab' mich nie um meinen Leib gekümmert. So rufen Sie doch meine Frau! Oder geben Sie mir schnell etwas zu trinken!«

Der dunkle Arzt griff in die Finsternis und holte ein volles Glas daraus hervor.

»Da, trinken Sie!« befahl er.

Mozart goss es hinab. Es schmeckte wie Limonade. »O wie kühl! O wie gut! Nur ein wenig süßlich. Dank, Dank! Aber es hat nichts genützt. Jetzt dürstet mich doppelt. Haben Sie mich Meerwasser trinken lassen?«

Vielleicht sind Sie doch schwindsüchtig, Mozart? Oder haben Sie ein Nierenleiden?«

»Verdammter Menschenflicker, was wollen Sie mir einreden? Mir fehlt nichts. Gar nichts. Gar nichts. Nur die Finger schmerzen mich von der leidigen Schreiberei.«

Die Stimme kam wie ein nächtlich anschleichendes Tier näher. »Seien Sie unbesorgt! Es ist kein Herzgift. Herzgift würde Sie augenblicklich töten: man wankt drei Schritte und ist hin. Es scheint vielmehr aqua toffana zu sein. Das wirkt sehr langsam, und man merkt es dem Vergifteten nicht an.«

»Ich vergiftet? Sie treiben einen dummen Spaß mit mir, Herr Doktor! Mich fiebert nur leicht. Ich bin sonst gesund. Lassen Sie mich noch einmal trinken, und dann will ich aufstehen und weiterschreiben! Geben Sie mir den Kelch! So! Ich danke Ihnen!«

Sie haben keine Ursache, mir zu danken. Hehehe!«

Mozart starrte den Arzt betroffen an. Was meckert er so hämisch? Was fletscht er die breiten, weißen, im Dunkel fast phosphorisierenden Zähne?

Entsetzlich! Es war ja gar nicht der Arzt. Es war Antonio Salieri, sein ewiger Erbfeind, der da unter der Maske eines Helfers und Heilers nächtlich in die Krankenstube sich eingeschlichen hatte.

»Oh, was haben Sie mir zu trinken gegeben, Salieri?« stöhnte Mozart.

»Spüren Sie noch immer nichts auf der Zunge? Keinen Totengeschmack?« fragte der Italiener höflich.

»Ja, mein Mund ist so merkwürdig bitter. Etwas zerfrisst mir den Schlund. Es tobt mir im Magen. Mein Blut eitert. Um Gottes willen, Sie haben mich vergiftet!«

»Gewiss! Ich räume Sie aus dem Weg, Sie Potztausendkerl. Sie sind mir schon lange unbequem. Addio! Sterben Sie wohl!«

»Sie Verfluchter, wollen Sie mich hier allein wie ein Vieh verrecken lassen? Bedenken Sie, was Sie tun! Sind Sie ein Christ? O Salieri, schaffen Sie ein Gegengift her! Retten Sie mich! Retten Sie mich!«

»Versprechen Sie mir erst, Amadeo, dass Sie keine Oper mehr schreiben!«

»Wie können Sie so etwas von mir begehren? Nimmer, nimmer!«

»Dann addio! Ich muss ins Schloss zum Bankett. Der Kaiser will die Tafelmusik hören.«

Salieri zerfloss in der Nacht.

»Mörder! Mörder!« gellte Mozart ihm nach.

Er fühlte jetzt deutlich, wie sein Blut gegen das Gift ankämpfte. Wehe, trotz seiner Kunst, trotz der Werke, die unvollendet auf ihn warteten, musste er sterben!

»Du hohes Prager Schloss!« fieberte er. »Droben im Saal leuchten hundert und hundert Fenster. Sie schwelgen und tafeln und tanzen, und ich liege verlassen in der dürren Wüste und verschmachte wie der arme Lazarus. Salieri!« bettelte er. »Wo bist du? Versteck dich nicht! Ich weiß, du bist noch da und schaust mir zu. Ich bitt dich, ruf die Stanzel, dass sie mir hilft!«

Die Stanzel! Welchen Namen hatte sein taumelnder Geist da gefunden? Stanzel! Ach, das war ja seine Frau!

Er dachte, wenn er sich jetzt ihr Bild vorstelle, müsse sie dasein und ihm das Fieber von der Stirn wischen mit einem kühlen Tüchlein. Aber wie sehr er sich auch abmarterte, er konnte sich nicht erinnern, wie sie aussah. Und er war doch schon so lange mit ihr verheiratet! Hatte sie die Augen grün wie Schilf oder kirschenschwarz? War sie groß wie eine Riesin? Oder war ihr Kopf kleinwinzig wie ein Notenköpflein? Hatte sie überhaupt Menschengestalt? Ach, sei es wie immer, wenn sie nur käme! Wenn sie nur bei ihm wäre, ehe er gestorben war!

Horch! Was flüsterte da aus der blinden Nacht? Was fiedelte dort hinter dem Vorhang?

Tot sein! dachte es in Mozart. Mein Werk wächst nimmer weiter. Nicht Neugier, nicht Hass und Gunst begleiten mir Weg und Erfolg. Ich bin vergangen. Was jetzt in mir noch an Musik blüht, es wird mit meinem Leib verscharrt werden, und es kann nimmer aus der Tiefe heraus wie ein Baum, es stirbt mit mir ab. Oh, warum darf ich nicht weiterleben und schenken? Meine Seele weiß noch so viel Klang und Tanz und Lied.

Auf einmal wurde er inne, dass jemand schon lange auf ihn einredete, eine einförmige, starre Geisterstimme, und düsterer, gedämpfter Posaunenschall war ihr unterlegt.

Sie sprach: »Du brennst, Mensch! Und darum musst du verbrennen! Das Leben ist des Todes wegen da.«

Schon wieder ein Feind! Mozart sprang von seinem Lager auf. Er fühlte den Griff seines Degens in der Faust. Blindlings stach er in das Dunkel, er stocherte in die Winkel und hinter die Vorhänge. Er musste diese Stimme erstechen.

Aber sie höhnte von der Decke herab: »Das Leben ist des Todes wegen da!«

Ermattet sank er auf das Sofa zurück.

»Umsonst! Ich muss sterben. Mein Schicksal bricht ab. Ich darf mich nicht vollenden.«

Eine Flöte fing bezwingend schön und weich zu singen an, von unsichtbarem Mund durchhaucht. Ihr Ton verweilte nur kurze Zeit, dann zog er in den Garten hinaus und weiter und weiter und wurde ganz bang und leise und erstarb.

Schatten flossen. Das einzige Licht in dem Raum ging von dem gelblichen Notenpapier aus, das auf dem Tisch ausgebreitet lag.

Sechs schwarzgekleidete Männer umringten Mozart. Sie schleiften die langen Rockschöße wie Schleppen auf der Erde hinter sich her. Mit verwischten Gesichtern beschauten sie den Kranken.

»Was soll die Mummerei?« versuchte Mozart zu scherzen. »Ist heute die Allernarrennacht?«

Doch dann nickte er trauernd: »Ich weiß es. Die Flamme verflackert, das Herz kaltet ab. Ich habe zu stark gelebt, ich muss jetzt lange rasten. Stört meinen Schlaf nicht! Verlötet meinen Sarg gut! Begrabt mich tief, ihr Totenbeschauer!«

Einer der Leichenträger, ein hagerer, grauer Mann, leuchtete Mozart mit der angerußten Laterne an. »Sie dürfen sich nicht so listig Ihren Verpflichtungen entziehen, Herr Sterbender!« sagte er. »Ich ersuche Sie dringend, schreiben Sie mir vorher noch schnell das Requiem! Ich habe bezahlt, ich muss es haben!«

»Quälen Sie mich nicht!« bat Mozart. »Sie sehen doch, wie es um mich steht. Ich kann nichts mehr schreiben. Ich bin eine abgelaufene Spieluhr. Vergraben Sie mich schleunig und vergessen Sie mich, wie es der Welt Brauch ist!«

»Herr Hofmusikant, da, nehmen Sie diese Pfauenfeder und schreiben Sie mir das Lied vom Tod!« drängte der Graue. »Und malen Sie einen hübschen Tanz darein! Ich gebe Ihnen die Feder unter die Erde mit!«

Die sechs Männer ergriffen Mozart, und er fühlte sich gelähmt, und wehrlos ließ er sich in die bretterne Truhe legen.

»Wohlan, ich schicke mich drein! Begrabt mich! Aber gebt ihm zuerst die Bastonade!«

»Wem?« fragte der Graue.

»Wem anders als dem Sudler Metastasio!«

Die Männer hoben die kalkweißen, glimmenden Hände und hoben einen dumpfen, murrenden Gesang an. »Passus et sepultus est.«

Der Graue hatte einen wundersamen, erschütternd schönen Orgelbass, und er tauchte damit in unerhörte Abgründe hinab, und es war kaum glaublich, dass eine Menschenstimme so tief und zugleich so klar singen konnte.

»Du singst wie der Engel«, murmelte Mozart. »Singe weiter! Du singst wie ein Erzengel!«

»Ich bin der Tod.«

»Spiegelfechterei! Du bist nur der, den der schwarze Graf zu mir geschickt hat.«

»Sie haben vollkommen recht. Ich bin Graf Kozeluch selber und bin der einzige auf Erden, der Ihre Musik aushält, wie ich meine Ohren mit Eisen ausgepolstert habe. überdies bin ich ein Genie.«

»Herr Kozeluch«, bat Mozart, »lassen Sie mich in Frieden enden! Und gehen Sie nach meinem Ableben zu Herrn Steinitz, der die Kaffeegerechtigkeit bei der Brücke hat. Melden Sie ihm, meine Witwe Konstanze werde gern die Zeche ordnen, die ich jüngst bei ihm zu zahlen vergessen habe!«

»Herr Steinitz weiß alles, er hält Sie für einen Betrüger und gemeinen Zechpreller. Außerdem will ich Ihnen ein ungünstiges Zeitungsurteil über Ihren ›Titus‹ zeigen. Ich habe es eigens für Sie abgeschrieben. Da, lesen Sie!«

Der Schatten hielt ihm ein Blatt hin.

Irgendwo brach ein Lärm los, als übten Eulen und Turmkäuze im Verein mit brünstigen Katzen eine kleine Nachtmusik. So mochte man vorzeiten in der Mette den armen Judas besungen haben.

Mozart zerknüllte ungelesen den Zettel und schleuderte ihn zu Boden. »Mag Ihnen das hämische Geschmier das Herz stärken, Kozeluch!« rief er.

Und er stieg aus dem Sarg und schritt zur Gartentür hinaus und stand mitten in einem silbernen Mondscheinsaal vor dem riesigen, von bleichen Zinnbündeln funkelnden Leib einer Orgel.

Von einer mächtigen Neugier bezwungen, näherte er sich den grellen Tasten, und er meinte, die Riesin müsse schon das Requiem tönen, das ungeboren noch unter dem Estrich seine Seele ruhte.

Aber ein mörderlich große, breitschultriger Türhüter, ein Kerl mit kleinem, plattem Kinn und schrägen Augen, reckte seinen Stab zwischen Mozart und der Orgel. »Zurück!« befahl er grob. »Hier darf hundert Jahre nicht gespielt werden!«

»Lass Er Sein Tollhäuslergeschwätz!« fuhr Mozart ihn an. »Hier an der Orgel bin ich der Herr. Geh weg, Knecht!«

Der klotzige Lakai höhnte auf ihn herunter: »Prahl nicht, Mozart! Was ist denn dein Vater gewesen? Auch nur Kammerdiener beim Salzburger Erzbischof, der dich heut noch für einen Taugenichts hält.«

Der Kapellmeister schwieg, um den Lakaien nicht zu reizen. Er fürchtete, der unheimliche Kerl wisse noch mehr und werde rundbrüstig heraus sagen, dass der kaiserliche Kammerkompositor Wolfgang Amadeus Mozart einst am Salzburger Hof dem Küchenmeister untergeordnet gewesen sei, weil seine Kunst bloß als Tafelmusik die schmausende Herrschaft ergötzt hatte, und dass der junge Amadeus mit dem Hausgesinde am selben Tisch habe essen müssen und dass die Kuchelbuben mit niederträchtigen und boshaften Späßen ihn geneckt hatten, den feinen Weltmann, den in seiner Wunderkindheit die große Kaiserin geküsst und den Seine Heiligkeit der Papst mit dem Orden vom Goldenen Sporn zum Ritter erhoben hatte.

Der Mond meuterte: er brodelte auf einmal wie eine Blase, und es war kenntlich, dass er nicht mehr am Himmel haftete, sondern irgendwie in den Saal herein geraten war.

Und die Orgel öffnete sich wie eine breite Flügeltür, und heraus trat eine stolze, drohende Gestalt, den gleißenden Krummstab in der hochgereckten Hand, das harte Gesicht erhellt von dem Messingklumpen des Mondes. Dieser Mann mit den gefürchteten, grauen, geierhaften Jägeraugen, davon das linke böse blinzelte, dieser Mann mit dem unerbittlich strengen Mund, – um Gottes willen, wer war das?

Erzittere, banges Herz! Heute noch und immer wieder, bis du einst erlöschest, dringt er dir in deine wehrlosen Träume nach, dich aufzuschrecken, dich zu erinnern, dich zu peinigen: der Erzbischof von Salzburg, der Priester Colloredo!

Und Mozart stand wie ein zum Tod Verurteilter vor ihm und flüsterte: »Ich bin Ihro Gnaden demütigst untertäniger Diener!«

Der Gewaltige aber beugte sich über den Tisch, setzte seinen Namen auf ein Pergament und kratzte hastig und scharf einen zackigen Schnörkel darunter, als wolle er einen Blitzstrahl hinreißen, und hob dann sein verdüstertes Schicksalsgesicht und zischte: »Scher Er sich weg, Bursch! Er ist entlassen!«

Und Mozart sah sich plötzlich in einem kahlen Gehölz im wüsten Mondlicht stehen. Und ihn fror.

Da erwachte er aus dem Traum.

Er lag angekleidet auf dem Sofa.

Konstanze lehnte in der Tür und lachte: »Steh auf, du Schlafratz!«

Er erhob sich mit dumpfem, brausendem Hirn. Sein Zopf löste sich, das Haarband glitt herunter. Er tat ein paar unsichere Schritte.

»Mir wird – anders«, murmelte er.

Dann taumelte er in den schwarz kreiselnden Schlund einer Ohnmacht.

Totenblass und regungslos lag er auf dem Teppich.

Konstanze meinte, er sterbe. »Meine Kinder! Meine Kinder!« schrie sie.

Sie lief hinaus, ein Riechfläschlein zu holen.

*

Als der zierliche Mann mit flinken Schritten die Musikerbühne betrat, um von dort aus dem Kielflügel die Aufführung seiner Oper ›Don Giovanni‹ zu leiten, erhob sich im Saal ein mächtiger Gruß. Der Name Mozart wurde freudig gerufen, die Versammelten klatschten begeistert, die Bläser winkten, und die Streicher klopften mit den Bogen auf die Notenpulte. Der Kaiser, der eben in der Loge erschienen war, winkte dem Meister mehrmals mit dem Hut zu.

Der kleine Kapellmeister sah in seinem grünen, gestickten Samtrock mit den Spitzenmanschetten jünglinghaft und sehr gewinnend aus. Er verneigte sich mehrmals wie ein artiges, gewandtes Kind.

Dann brach das Vorspiel aus seinem dräuenden Geistertor.

Die Menge folgte bald schaudernd, bald belustigt dem Spiel. Die malerische Pracht der Hintergründe und Seitenstücke, das blinkende, südlich abenteuerliche Schauwerk, die schillernden Gewänder, die Zärtlichkeit der Verliebten, das spaßhaft feige Treiben Leporellos, die Frevel des kühnen, reuelosen Bösewichtes und seine Höllenfahrt, vor allem die bald heitere, bald wie von überirdischem Atem unheimlich durchgeisterte Musik hielt alle in Bann.

Die Schauspieler waren herrlich. Besonders der Sänger Campi, ein verwegen schöner Mann mit Rabenbrauen und edler, schmaler Nase, der mit seinen bald pantherhaft geschmeidigen, bald lässig edelmännischen Gebärden und seiner betörend dunkeln Stimme den Helden gab. Und als der vermessene Wüstling schließlich vom Flammenstrudel hingerafft wurde und der Vorhang fiel, da tobte der Saal vor endlosem, heftigem Beifall, als wollte er eine sofortige Wiederholung der Oper erzwingen, und Mozart wurde unzählige Male hervorgerufen.

Er war glückselig.

Konstanze flog ihm an die Brust. »Mein Wunderbub!« rief sie.

Er lachte: »Merk dir das, Stanzel! In den Krönungstagen wird es doch nur dein Wolfgang sein, der den Vogel abschießt!«

Und während jenseits des Vorhanges der Wolkenbruch des Beifalls langsam nachließ, drängte sich der Hofkapellmeister Salieri an Mozart heran, ihn zu beglückwünschen. Mit seinen widerlich weichen Händen fasste er die des glücklichen Nebenbuhlers, und seine braunen, geistvollen und angenehmen Augen blinkten. »Grandioso!« rief er und fügte einige überladene Schmeicheleine dazu.

Wenn der jetzt heuchelt, so heuchelt er wunderbar, dachte Mozart, und er dankte mit höflicher Zurückhaltung.

Er traute Salieri nicht, er liebte dessen Musik nicht. Er sah in ihm einen eiskalten, nur auf den Verstand lauschenden Halbkünstler, der nicht aus dem großen, fruchtbaren Dämmer der Gefühle heraus bildete, in dem nicht der wilde, belebende Feuerstrom des Schaffens war, der während seiner Schaffensstunden niemals aufgewühlt, ergrimmt, zu Tränen gezwungen war, niemals in verzehrender Arbeitswut die Nächte schlaflos verbrachte und in Fieberkämpfen mit sich selber rang. Salieri teilte sich sein Tagwerk vernünftig ein, er berechnete vorsichtig alles, was er schrieb, er passte sich den Forderungen seiner Zeit aufs Klügste an, war dabei gesund und von immer gleichgestimmter, beherrschter Laune, er vergaß sich niemals in Spott und Zorn wie Mozart und war darum überall beliebt. In seiner Kunst hatte er es nicht auf Wahrheit, sondern vielmehr auf die Wirkung abgesehen. Und damit war er erfolgreich.

Und gewiss! Salierin hatte sich auch jetzt ganz in der Gewalt, und es war ihm nicht anzumerken, dass der Neid sein ehrsüchtiges Herz andämmerte. Er lächelte wie ein Freund.

Und doch konnte sich dieser Giftmischer nicht enthalten, in den Freudenbecher Mozarts einen widrigen Tropfen zu mengen.

»Ihre Oper ist großartig«, wiederholte er. »Sie ist so großartig, dass ich fast fürchte, Ihr ›Tito‹ wird hinter ihr zurückbleiben müssen.«

»Wir werden ja sehen«, erwiderte Mozart.

»Ich wünsche nur«, fuhr Salieri fort, »die eisigen Deutschen hier sollten sich an der Glut Ihrer Kunst heftiger erwärmen und größeren Beifall spenden. Man jubelt Ihnen immer noch zu wenig zu.«

»ich als eisiger Deutscher bin mit dem Erfolg heute sehr zufrieden«, sagte Mozart.

»Der Kaiser hat mich eben angesprochen«, sagte Salieri. »Er sprach wörtlich: ›Es ist fast zu schön, was Mozart komponiert, es betäubt die Seele und wirft sie nieder. Sonst wüsste ich keinen Fehler an ihm.‹ So urteilt Seine Majestät. Sie können darauf stolz sein.«

»Der Kaiser wiederholt damit fast genau die Worte seines Vorgängers«, erwiderte Mozart. »Er scheint keine eigene Ansicht über mein Werk zu haben.«

Konstanze stieß ihn mit dem Ellbogen heimlich an, er möge sich nicht zu einem unbedachten Wort hinreißen lassen, das dann an Allerhöchster Stelle hinterbracht werden könne.

»Wie viel zahlen Ihnen die Prager für den ›Tito'? Ist es einem Berufsgenossen erlaubt, danach zu fragen?« sagte Salieri.

»Es ist kein Geheimnis. Zweihundert Dukaten.«

»Hm«, meinte der Italiener. »Recht so! Ehre und Lohn machen die Diener treu.«

»Es ist zu viel und zu wenig«, sagte Mozart. »Die Musik ist eine Kunst voll göttlicher Unnützigkeit. Wer vermag ihren Wert richtig einzuschätzen? Und kann Geld den Schöpfer jemals voll belohnen?«

»Seien wir nicht undankbar!« mahnte Salieri höflich und empfahl sich.

»Er hat mich also nicht erdolcht«, sagte Mozart zu seiner Frau. »Ich hab' erwartet, dass er mir einen Rosenstrauß mit vergifteten Dornen in die Hand drückt. Ich halte ihn zu allem fähig.«

»Du siehst doch etwas zu argwöhnisch!« meinte Konstanze.

Das Glück Mozarts war leicht getrübt, weil der Kaiser ihn nach der so überaus wohl gelungenen Aufführung nicht zu sich hatte rufen lassen, um ihm ein huldvolles Wort zu sagen.

»Der Kaiser ist übermüdet«, tröstete Konstanze. »Nach der Krönungsoper wird er dir gewiss danken und viel Schönes sagen.«

Von dem Direktor Guardasoni mit überschwänglichen Freundschaftsschwüren verfolgt, begaben sich die beiden ins Freie. Menschen, noch erregt von der Kraft des Meisterwerkes, Wagen und Pferde füllten den Platz um das Theater bis weit hinein in die Eisengasse. Lakaien führten ihre Herrschaften mit rauchenden Stangelfackeln zu den Karossen.

»Das ist ein Gewusel!« freute sich Konstanze. »Und nach dem ›Titus‹ wird es noch ärger sein.«

Mozart fühlte plötzlich ein leises Stechen im Nacken. Er kehrte sich hastig um. Da blickte er in ein Menschengesicht, darin Neid, Hass, Wut und Ohnmacht zu einer einzigen hässlichen Maske erstarrt waren: Leopold Kozeluch!

Mochte er Gift und Galle schäumen! Mochte er sterben vor Hass!

Als Mozart und seine Frau einen Wagen bestiegen, um in den Palast Clam-Gallas zu fahren, wohin sie eingeladen waren, redete sie ein alter Herr in italienischer Sprache an. Er sah merkwürdig aus mit seinem abgetragenen, matten und manchmal fratzenhaft verzerrten Gesicht, mit seinen schlotternden Waden und der stutzerhaften, doch längst aus der Mode gekommenen Tracht.

»Lassen Sie mich mitfahren, Maestro!« bat er. »Ich erkenne an dem Wappen des Wagens, zu wem Sie geladen sind. Graf Clam wird sich eine Ehre machen, neben Ihnen noch eine zweite Weltberühmtheit seinen Gästen vorführen zu könen.«

»Ich kenne Sie nicht«, sagte der Kapellmeister erstaunt.

»Sie kenne mich nimmer?« krächzte der Fremde. »Habe ich mich in den letzten vier Jahren so zu meinen Gunsten verändert? Ober bin ich schäbiger geworden? Es wäre kein Wunder. Ich sitze in dem gottverlassenen böhmischen Nest Dux und nage in einem verspinnwebten Schloss an dem Gnadenknochen, den mir der Graf Waldstein hingeworfen hat. Ich bin dienstwilligster Bewunderer Giovanni Giacomo Casanova.«

Ohne auf eine Einladung zu warten, nahm der Alte dem Ehepaar gegenüber Platz.

»Mein Leben ist das eines abgedankten Hundes«, fuhr er geschwätzig fort, indes der Wagen langsam durch die Eisengasse fuhr. »Ich bewache moderige Schmöker, ich werde täglich von den Knechten des Grafen, die meine Sprache nicht verstehen und mich als Narren betrachten, zu Ausbrüchen des Zornes gereizt, die einen alten Mann wie mich nur umso lächerlicher machen. Ich bin sehr unglücklich.«

In einer Gebärde altmodischer Ritterlichkeit neigte er sich über die Hand Konstanzes. »Sie haben das Glück, mir zu gefallen, gnädige Frau«, plapperte er mit seiner kreischenden, verdorbenen Stimme. »Aber fürchten Sie nichts! Meine magnetischen Kräfte haben mich bereits verlassen. Ich unterhalte mit den Frauen, die mich einst geliebt haben, nur noch einen Briefwechsel. Doch Sie, Maestro, Sie sind jetzt große Mode. Europa spricht von Ihnen wie einst von mir. Ich beglückwünsche Sie.«

»Was machen Sie in Prag, Casanova?«

»Noch einmal habe ich die Oper hören wollen, Maestro, dazu Ihnen mein verliebtes Leben das Vorbild gewesen ist. Betrachten Sie mich nicht so mitleidig! Ja, Sie haben recht: der ungestüme Liebesbettler, der verrufene Genießer ist morsch geworden, ihm fehlen die Zähne zum Biss, und nimmer würzt er wie einst seine Tage mit den Abenteuern des Fleisches. Immer häufiger suchen mich Anfälle von Keuschheit heim. Warum wird man alt? Ja, Maestro, einmal noch, zum letzten Mal in seinem Leben will Casanova in der großen Welt untertauchen, und wo fände er eine günstigere Gelegenheit dazu als bei der Krönung eines Königs?!«

»Sie wollen sich also noch einmal verlieben?« neckte Konstanze ihn.

Casanova seufzte. »Ich fürchte, die Kraft des Genießens ist mir abhanden gekommen, schöne Frau. Ich bin alt, und meine Laster sind mit mir ermüdet. Es fällt mir jetzt leicht, wie ein Heiliger zu wandeln. Bald werde ich wieder so fromm sein wie in meinen jungen Jahren, wo ich mir einen Diener gemietet habe, der in der Karwoche an meiner Statt hat fasten müssen. Mein letztes Vergnügen ist, mein wechselvolles Leben zu beschreiben und der Nachwelt zu hinterlassen.«

Wahrhaftig, der gefährliche Verführer war welk und zahnlos geworden, und man musste sehr aufpassen, wenn man sein Gezischel verstehen wollte.

»Sie haben Ihre Zeit voll genossen«, sagte Mozart mit einer kleinen Anwandlung von Neid. »Der Künstler muss sich an den inneren Bildern vergnügen.«

»Auch ich bin ein hervorragender Künstler gewesen«, prahlte der Alte.

»Und was ist Ihre Kunst gewesen?« fragte Konstanze.

»Kühnheit bei den Frauen und hernach Verschwiegenheit.«

Sie lachte: »Fangen Sie als Alter nur nicht zu schnattern an!«

Unbeirrt fuhr er fort: »Meine Kunst hat geheißen: ›Lebe für diese Stunde und nicht für die nächste!‹ Sie, Maestro, besitzen den Ehrgeiz, nach Ihrem Tod leben zu wollen.«

Mozart erwiderte nichts. Die erleuchteten Häuser, die belebten Gassen glitten unbemerkt an ihm vorüber. Sein Blick war fern.

»Lassen Sie meinen Mann«, sagte Kostanze. »Er horcht schon wieder mit den Augen, und da ist er nicht zu sprechen.«

»Der höchste Zweck des Menschen ist, dass er angenehm lebe«, begann Casanova in belehrendem Ton. »Es sollten Lebensschulen errichtet werden, darin gelehrt wird, wie man gut isst und trinkt und fröhlich über alle Sorge und Mühsal hinweg flattert. Die größte Lebensfreude ist der Überfluss. Auch der Überfluss an Frauen.«

Er neigte sich zu Konstanze hin und wagte eine kleine Zote.

Sie kicherte: »Schau, schau, der alte Schlamm brodelt noch ein bisslein!« Der Erfolg des Gatten hatte sie in eine übermütige Stimmung versetzt, wozu sie übrigens von Natur aus neigte.

Nun suchte sie der Alte zu unterhalten, indem er sie mit der Blendlaterne seines erfahrenen Witzes angrellte, und er erzählte ihr sein Beobachtungen während der Aufführung der Oper und riffelte Schauspieler und Zuschauer durch seine schonungslosen Kamm und schonte selbst die Würde der Majestäten nicht. Als eine leere Hofkutsche vorbeifuhr, brachte er davon ein Hoch aus. Oder er blickte auf die Uhr und sagte: »Seine Kaiserliche Majestät haben sich jetzt zu Bett begeben, und eben tragen die Großen des Reiches, der Obersthofmarschall und die Oberstbettmeisterin voran, mit Würde den Allerhöchsten Nachttopf in die Kammer des Kaisers.«

»Beleidigen Sie nicht den Herrscher!« rief Konstanze ihm zu. »Und reden Sie säuberlicher vor mir!«

Schon donnerte der Wagen durch das von halbnackten Steinriesen bewachte Tor des Palastes. Hochgepuderte, reichbetresste und beklunkerte Diener empfingen die Gäste, silberne Handleuchter mit hohen Kerzen tragend, und geleiteten sie das mit Bildern der Griechengötter köstlich geschmückte Stiegenhaus empor und durch die Flucht prunkvoller Räume, darin zierliche Mahagnimöbel mit den geschwungenen Beinen zu tänzeln und zu knicksen schienen, in einen strahlenden Saal.

Hier war feinste Entfaltung adeligen Genusses einer schillernden, spielerischen Zeit. Auf festlicher Tafel und widergespiegelt von üppig umrahmten Spiegeln war zu Schau gestellt, was in Glas- und Silberkammer, besonders aber in den Porzellanschreinen an erlesenem Gerät geborgen gewesen. Da prangten anmutige Gruppen, mit Blumenkränzen gefesselt, schäkernde Pärchen mit Korb und Hirtenstab oder, arkadisch verträumt, weißflockige Lämmer kraulend, eine schäferlich heitere, neckische, unbeschwerte Reisrockwelt, und daneben, ebenfalls verniedlicht und schreckenlos, die Gestalten des alten Heldentums: Herkules, der löwenhautbedeckte Keulenriese; Theseus, den Prokrustes bezwingend; Giganten, mit brennenden Eichen den Himmel stürmend, und raufende Zentauren. Und diese bald als mächtiger Tafelaufsatz, bald als zartes Schaustück getöpferte Welt spielte lebendig in das kerzenschimmernde Fest hinein und schien an dem geistglitzernden, prickelnden, tändelnden und zuweilen auch versteckt schlüpfrigen Geplauder teilzunehmen. Von den Wänden leuchteten Bilder in brünstig schwelenden Farben, an der Decke und über den Türen waren Liebeshändel der Götter gemalt.

Braten und Gebäckkamen aus einer überfeinerten Küche; Kaffee, Tee und Schokolade wurden aufgetragen, Edelwein in funkelndem Kristall. Eine ausgezeichnete Kapelle, aus livrierten Dienern besehend, spielte Waldhorn Hoboe und Geige, wie man es in Böhmen liebte. Eine ganz erlesene Gesellschaft hatte sich zu Ehren des berühmten und geliebten Kompositors versammelt.

Mozart bewegte sich unbefangen in dieser köstlichen Umgebung, deren Glanz und Fülle seinem ärmlichen Heim fehlte. Seit seiner Kindheit war er an einen solch reichen Rahmen des Lebens gewöhnt. Er setzte behutsam die türkisblaue Sevrestasse an die Lippen.

Der Graf Clam betrachtete kennerhaft und andächtig das märchenhaft geschliffene Venezianerglas in seiner Hand und hob, es grüßend gegen Mozart. »Dieser Becher ist wie Ihr Werk, klar und heiter!« Er stellte den Kristall wieder hin. »Eines meiner besten Stücke!« meinte er. »Aber wir sollen böhmische Erzeugnissen bevorzugen.«

Casanova, der nicht von Konstanzes Seite gewichen war, schob ihr eine Vase mit porzellanenen Rosen hin, die mit einem schwülen, süßen Riechstoff versetzt waren. »Der Duft schmerzt. Nehmen Sie Ihr Köpflein in acht, Signora!« warnte er. »Lieben Sie das Porzellan auch so sehr wie ich! Welch zärtlicher geistiger Stoff! Es ist eine Weltschande, dass man früher mit dieser feinsten aller Erden nichts anderes hat getan als Perücken bestäubt! Was zaubern jetzt unsere großen Töpfer daraus!«

Seine verdorrten Lippen schlürften überlaut die Schokolade. Als die zitterigen Hände die Schale absetzten, beschwepperte er sich die Weste.

Ein junger Musiker, ansonst der Büchsenspanner des Grafen Clam, geigte mit weichem Feuer einen südländischen Tanz.

»Sein Bogen ist mit einer Locke der göttlichen Sängerin Todi bezogen«, wispelte Casanova.

Die Herrin des Hauses forderte jetzt Mozart mit schmeichelhafter Bitte auf, das Fest mit seinem Spiel unvergesslich zu machen.

Der Kapellmeister ließ sich am Stutzflügel nieder, und sofort schwebte sein schwärmerisches Spiel durch den verstummten Saal. Seien feinen, bläulich-blassen Hände schimmerten, und es war eine Augenweide, ihren anmutigen Gebärden zu folgen. Er begann mit einer vorfrühlingshaft schüchternen Weise, und sie huschte wie ein zages, schlankes Windspiel, und sie wuchs in vollgriffiger Wucht und wurde zum Sturmspiel. Und der lodernde Künstler war seiner Umwelt entrückt und saß einsam. Auf der Tafel seiner Stirn malte sich sein Spiel mit ab, sie verdüsterte und entwölkte sich wieder, strahlte verklärt und zuckte leidvoll. Unbewusst goss er alle Gewalten seiner Seele in diese Klänge.

Als er für einen kurzen Augenblick aus seiner Verzücktheit sich aufrichtete, sah er unter den Zuhörern ein junges Mädchen. Ihre dunkeln Brauen berührten einander leicht über der Nasenwurzel, ihre Augen erinnerten an ungestümen Wein, ihr Mund war ergreifend kindlich, der Hals schmal, die Haut ein blasser Perlenglanz.

Da wurde sein Spiel ein süßes Beschwören, dass er selber davor erschrak und sich zuflüsterte: »Was hast du, du geräuschvolles Herz? Du verrätst dich.«

Musik ist tönende Finsternis, sie ist nicht zu deuten und darum alldeutig; sie verhüllt ewig ihren Inhalt und lässt darum alles ahnen und ruft wach, was der angesprochenen Seele am nächsten liegt. Diese Kunst, die selber gestaltlos ist, weckt geliebte und gehasste Gestalten und scheucht Gefühle auf, die tief unter dem Bewusstsein ihren geheimen Schlaf gefeiert haben.

Und betroffen von der Musik Mozarts, träumte ein jeder der Lauscher den ihm gemäßen Traum.

Der Graf Waldstein hörte die Jagdhörner rufen in den Forsten des Erzgebirges, mit seinen lechzenden Hunden war er auf der Fährte des hochgekrönten Hirsches. Karl von Freienturn erinnerte sich, wie er unter dem grauen Feldherrn Laudon gegen Belgrad Sturm gelaufen war. Graf Cala-Malabaila, der außerhalb des Rosstores den Botanischen Garten angelegt hatte, sah Palmen über sich schatten und ungeheure, schneeweiße Blumen auf einem tropischen Sumpf schwimmen, und in einer der Blüten sah er eine der jungen Damen der Gesellschaft hier stehen und tanzen.

Konstanze Mozart war in ein dürftiges Stüblein versetzt, und sie kauerte mit zwei lieben Knaben auf dem zerschlissenen Teppich, der jüngste schlief und lächelte dabei, als werde er im Traum von einem Engel liebkost, und sie hörte aus dem Spiel ihres Gatten ein kleines Wiegenlied summen.

Das Mädchen mit den Drudenbrauen, das von Mozart unverwandt angeblickt wurde, fühlte die Erde von ihren Fersen zurücksinken, und sie wanderte über Regenbogen und andere überidische Brücken und sprang von Wolke zu Wolke immer höher.

Die junge Gräfin Pachta sah verschwärmten Auges Mozart mit einer goldenen Leier vor sich knien und zu ihr aufbeten.

Die Gräfin Clam flüsterte: »Ich habe nicht gewusst, welche herrliche Seele in unserm Klavier verborgen ist.«

»Woran mag Mozart jetzt denken?« fragte sich die Gräfin Nostitz. »Spielt er ein schuldloses Blumenlied, wobei man sich einen Hut aus Veilchen oder Rosen flicht? Ist es ein Gebet? Ist es ein Bekenntnis der Sünden? Ist es Trauer oder Lust?«

Casanova flüsterte Frau Mozart ins Ohr: »Ihr Mann vergiftet. Ich habe unter dem Einfluss seiner Musik eben schnell in Gedanken alle Verbrechen vollbracht, deren ein Mensch fähig ist. Was für ein ungezügeltes Herz mag Maestro Amadeo in sich tragen! Hören Sie, zu welchem Traum er mich eben zwingt! Ich liege zwischen einer Nonne und einer Dirne.«

»Pfui, ich würde mich schämen, solches zu träumen!« verwies Konstanze ihn. »Wenn Mozart Ihr abscheuliches Geschwätz hörte, er würde sogleich sein Spiel abbrechen.«

»Musik ist das Brot der Seele«, sagte die Gräfin Thun.

Mit einer leidenschaftlich gestammelten Weise hatte der Kapellmeister unerwartet geendet.

»Warum so kurz? Warum hören Sie so bald auf?« klagte die Gräfin Clam.

»Ich kann nicht mehr«, murmelte er.

Die Gräfin Pachta eilte stürmisch auf ihn zu. »Meister, wo Sie sind, da ist Götterluft!« rief sie und legte ihm, ehe er es verhindern konnte, unter dem Beifall der Gäste einen Lorbeerkranz um die Stirn.

Er nahm ihn hastig wieder herunter und hielt ihn unschlüssig in der Hand. Er mochte gefühlt haben, wie lächerlich sein Zöpflein aus dem Ehrenkranz gelugt hatte. »Nicht, nicht!« bat er. »In Prag darf nur der König gekrönt werden!«

»Sie sollen ihn aber tragen!« trotzte die Gräfin. »Denn Ihre Kunst steigt über alles Königtum der Erde zum Göttlichen.«

Er küsste ihr die Hand.

Sie hatte ein überraschend edles Gesicht, doch eine allzu durchsichtige Haut, magere Arme und eien vernachlässigte Haltung.

»Wenn Siespielen, Mozart, entleibt sich der Leib und wird reiner Geist«, fuhr sie überschwänglich fort. »Ihr Werk steht ebengleich mit den anderen Großtaten der Menschheit, neben den Schlachten Hannibals und Alexanders, neben der Wasserleitung Roms und den Pyramiden, neben den Bildern Raffaels, neben der Bibel.«

Mozart betrachtete die Schwärmerin, die im Schein ihrer Perlen vor ihm stand. Dieses Haupt mit der hohen, geistigen Stirn sollte keinen Rumpf bekrönen, dachte er. Es sollte frei in der Luft schweben oder wie ein auf eine Münze geprägtes Haupt sich selber genügen.

»Meister!« rief sie. »Tausend Kerzen werden einst Tag und Nacht auf Ihrer Gruft brennen. Ihr Leib wird nicht verwesen, und die Völker werden einst zu Ihrer Stätte wallfahren. In tausend Jahren wird man Sie als Lichtgott verehren. Ihr Name wird noch bestehen, wenn Gott längst einen andern führen wird!«

Mozart wehrte errötend ab: »Ach, was gilt der Mensch nach hundert Jahren.«

Um die Nasenflügel des Grafen Waldstein zuckte ein böser Witz, doch unterdrückte er ihn. Er sprach zu dem Freiherrn von Freienturn: »Meine Bauern sagen, nach hundert Jahren werfen sie mit unseren Knochen die Holzäpfel von den Bäumen.«

»Mozart, Sie sind der Sinn der Welt«, fuhr die Gräfin Pachta fort. »Sie beglücken die Zeit und den Raum.«

»Ihr Lob greift zu hoch«, sagte er erschrocken.

»Mozart, Sie haben mit Ihrem Spiel eine Seele zertreten«, flüsterte sie.

Die Gräfin Canal-Malabaila setzte sich formvollendet auf einen der schwellenden Stühle und winkte dem Künstler mit dem Fächer, sich neben sie niederzulassen. Die schlanke, schmalköpfige Dame sah ihn durch die Stielbrille scharf an.

Sie war geistig sehr beweglich, kannte alle neuen Bücher und alle zeitgenössische Musik und war auch sonst in allen Sätteln gerecht; so beschäftigte sie sich voller Lust und Verständnis mit den jüngsten Entdeckungen der Elektrizität und Chemie, sie wusste viel von dem Bau des Tierleibes und war in den Einrichtungen der Pflanzen wohlbewandert, sie konnte über Staatskunst, Religion und Philosophie in gleich kluger Art sprechen.

Jetzt deutete sie auf den Grafen Pachta, der eine steife, langweilige Sonate auf dem Flügel vortrug. »Mein Schwiegersohn findet kein Ende«, sagte sie. »Er spielt ein eigenes Erzeugnis.«

»Ein langer Darm!« urteilte Mozart kühn.

Die Gräfin nickte lächelnd.

Dann begann sie: »Als echte Tochter unserer neugierigen Zeit frage ich Sie, Mozart, was haben Sie mit Ihrem Spiel vorhin sagen wollen? Haben Sie damit irgendein Bild gemalt? Und welches? Oder haben Sie die Legende einer leidenschaftlichen Heiligen erzählt?«

»Meine Musik beschreibt nicht und malt nicht«, sagte er erstaunt. »Sie gibt nichts anderes als sich selber.«

»Ich weiß«, fuhr die Gräfin Canal-Malabaila fort, »dass die Musik, dem geahnten göttlichen Wesen ähnelt, umrisslos und stofflos und fast außerräumlich ist, dass sie nicht das grobe Gewand des Irdischen trägt und, eine glitzernde Freundin, des plump nach ihr tappenden Verstandes spottet. Aber irgendwie ist sie doch eine Sache, irgendwo ist sie doch in der Welt verankert und von einer Ursache abhängig. Bei Ihnen, Mozart, spielt sich jedes Erlebnis in merkwürdig berauschenden und erfreuenden Tonreihen ab. Beichten Sie mir, als welchem Gefühl dringt Ihre Kunst? Aus Liebe und Sinnentum? Ich mag nicht glauben, dass Sie kalt und abwägend schaffen. Es sieht nicht danach aus. Feuer muss sich an Feuer entzünden.«

Mozarts offenes Herz verschloss sich. Diese verwegene, geistvolle Frau wollte, wohl aus eitel weiblicher Neugier, den Schleier von dem Urgründigen heben, das er selbst als Geheimnis ehrte und unberührt ließ.

»Eine dornige Frage, Gräfin«, sagte er herb. »Wer den Künstler kennenlernen will, muss sich in sein Werk begeben. Aber die Tiefe ist dunkel, und man fühlt nur und soll nicht erkennen.«

Die Gräfin forschte hartnäckig weiter. »Sie sind doch kein Baum, der sich über das eigene Wesen klar sein kann. Sie sind ein kluger, denkender Mensch. Darum besinnen Sie sich und antworten Sie mir! Schaffen Sie aus Ehrgeiz? Aus Verlangen nach Macht? Aus Gewinngier? Oder schaffen Sie nur, dass wir Frauen Sie bewundern und anbeten wie eine klingende Memnonssäule? Ohne Ursache tut man doch nichts!«

»Die Ursachen, die Sie da nennen, Gräfin, treffen nur zum Teil zu. Im Grunde weiß ich nicht, warum ich schaffe. Ich bin mir selber dunkel.«

Die Gräfin Clam führte jenes junge Mädchen, dem Mozart sein schwärmerisches Spiel vorhin gewidmet hatte, an der Hand heran. »Meine Nichte Maria Theresia will den Meister kennenlernen.«

Die rosige Stimme Casanovas klang herüber. Er erzählte: »In Florenz lernte ich einen reichen Seidenhändler kennen, einen wahren Musiknarren, der verlangte, dass jeder singend mit ihm rede. Seine Bedienten mussten singend seine Befehle entgegennehmen, sein Schreiber musste ihm die Zeitungen und Geschäftsbriefe vorsingen, die Köchin sang in der Küche, die Wäscherin an der Wanne, im Stall sang der Knecht die Pferde an. Wer von diesem Mann etwas begehrte, der musste ihm seinen Wunsch vorsingen.«

»Und wie hat da Ihr Liedlein gelautet, Casanova?« spöttelte Konstanze.

Die Gräfin Clam sagte zu Mozart: »Meine Nichte Maria Theresia wäre überglücklich, wenn sie, von Ihnen begleitet, Ihre Arie ›Mia speranza adorata!‹ vortragen dürfte!«

»Mit Freuden!«rief er.

Das gräfliche Fräulein lehnte am Flügel vor Mozart und sang. Ihre Stimme war wunderbar schwebend und unschuldig und flimmerte wie ein perlmutterner Falter durch den Saal. Aber ihr Gesicht verzerrte sich während des Singens und sah unschön aus. Nur die Augen wurden ihr herrlicher, sie verloren ihren seltsamen Ungestüm und waren sucherisch in die Höhe gerichtet.

Als der Beifall der Zuhörer verschollen war, sagte Mozart zu der Sängerin: »Sie haben Ihre ganze Seele dieser Arie gegeben, Komtesse. Ich habe Ihre Stimme aber schon einmal gehört, nur ist sie damals voller, reifer, sinnlicher gewesen.«

»Wir haben uns aber doch noch nie gesehen!« wunderte sich das Mädchen.

»Ich hörte Ihre Stimme, als ich in meiner Kindheit einmal in dem heidnischen Land Neapel von Sorrent aus übers Gebirge nach Amalfi reiste. Dort zeigte man mir die kleinen Inseln Ligalli, die Eilande der Sirenen, daran der Irrfahrer Odysseus nicht zu landen gewagt hatte. Und mir war, als wehe übers Meer herüber ein unsäglich süßer Gesang in einer mir fremden, zauberhaften Sprache. Und heute noch sehne ich mich heimlich nach jenen beiden Inseln, als warte dort etwas Wunderbares auf mich, was sonst nirgendwo auf Erden zu finden ist.«

Maria Theresia fragte: »Sind es Meerwesen gewesen, Fisch und Weib zugleich, die Ihnen da gesungen haben? Und haben sie Ihnen Ihre große Zukunft geweissagt? Ich erinnere mich leider nicht, dabei gewesen zu sein.«

Casanova trippelte mit greisigen Schrittlein über das nussbaumhölzerne Täfelwerk des Fußbodens heran. »Maestro«, rief er, »Ihr Erlebnis ist nur ein simbolo: die Gewalt und der Zauber meiner Muttersprache ist es gewesen, die Mozart dort zum ersten Mal gelockt hat und ihn jetzt für ewig festhält.«

»Nicht für ewig!« lächelte der Kapellmeister. »Und es ist auch nicht Italienisch gewesen, denn das hätte ich ja verstanden, und wohl auch nicht Griechisch. Es ist eine ganz fremde, von Menschen nicht gesprochene Sprache gewesen, vielleicht die Sprache des Meeres selber. Nein, Casanova, das Italienische ist mir über geworden. Und ich will nach dem ›Titus‹ nie mehr eine welsche Oper schreiben.«

»Wohl nur noch deutsche Opern?« höhnte der alte Glücksritter. »Das ist unmöglich. Die deutsche Sprache passt als Schlachtgebrüll, doch eignet sie sich nicht für den Gesang der Liebenden.«

»Sie irren sich, Herr!« mischte sich Karl von Freienturn schroff ins Gespräch. »Ich mache Ihnen den Vorwurf der Unwissenheit. Sie haben nie Mozarts deutsches Lied vom Veilchen und der Schnitterin gehört! Das ist tausendmal zarter in der Empfindung als euer welsches Gewinsel.«

Casanova zog sich, eine böse Antwort verbeißend, zu Frau Mozart zurück.

Die mächtige Italienernase stach weit aus dem verfallenen Gesicht, der Wüstling war welk geworden und hässlich. Aber er trug seine Hässlichkeit prahlerisch zur Schau.

Im Hinterhalt der bauchigen Flaschen, die von den Dienern herbeigeschafft wurden, lauerten gefährliche Weine. Und Konstanzes Zünglein war schon übermütig gelockert, und sie überlegte nimmer, was sie schwätzte.

»Ich glaub', ich hab' einen Schwips«, gestand sie Casanova.

»Das kleidet Sie reizend«, erwiderte er und starrte frech auf ihre Brust.

Sie bemerkte dies und ordnete halb gefallsüchtig, halb verschämt das schleierfeine Busentuch.

»Ihr Blick ist voll schöner Sünde«, girrte er.

Sie verschanzte ihr errötendes Gesicht hinter dem Fächer. »Mein Mann kommt!« warnte sie.

»O nein! Mozart ist eben mit einer sehr gefühlssüchtigen Dame im Gespräch.«

»Sie ist klüger als schön«, lachte Konstanze. »Da wird sie wenig Glück bei ihm haben.«

»Jawohl, eine schöne Seele, getrübt durch einen reizlosen Leib. Doch, gnädige Frau, aus der Musik Ihres Gatten schließe ich, dass er Ihnen nicht treu ist.«

»Das geht Sie nichts an, Sie Schmähvogel! Was mir an ihm nicht gefällt, das will ich ihm schon austreiben!«

Casanova beugte sich näher zu ihr hin. »Rächen Sie sich an ihm! Oh, ich wittere in Ihnen eine entzückende Verderbtheit! Wie glänzen ihre Schultern!«

»Plappern Sie nicht! Und hüten Sie sich! Mein Mann ist sehr eifersüchtig.«

»Was kann meine Kühnheit an Folgen nach sich ziehen außer einem Zweikampf oder einer Ohrfeige von weicher Hand? Beides bin ich gewohnt. Und beides hat mich in meinen Erfolgen nie gehindert. Ein Zweikampf des alten Casanova mit dem berühmten Mozart! Das würde unsere Zeit erschütten. Das würd meinem Ruf nur nützen. Gewiss, es muss etwas geschehen, sonst vergisst man mich!«

Der alte Geck spreizte die morschen Waden, klirre kriegerisch mit dem Degen und ließ die pechschwarzen Augen funkeln. »Ich will die ganze edle Gesellschaft hier herausfordern. Ich lege das Strumpfband einer in diesem Kreis anwesenden Damen auf den Tisch, das sie mir in einer lustigen Zeit einmal geschenkt hat.«

»Was fällt Ihnen ein?! Sie sind betrunken!«

Er grinste. »Fürchten Sie mich schon? Nehmen Sie rasch mein Herz und beißen Sie darein, oder tun sie damit, was Sie wollen!«

»O nein, mein Herr! Ihr Herz ist mir schon zu verbraucht. Vergnügen Sie sich anderswo! Mir graust vor Ihnen!«

Konstanze schnellte empor und verließ ihn.

Er saß dort mit vergrämtem, eingestürztem, etwas geiferndem Mund und glotzte ihr blöd nach.

Graf Canal-Malabaila hatte diesen Vorgang halb und halb belauscht, doch nicht voll begriffen. »Noch immer scheint man diesen abgedankten menschlichen Hahn dort zu vergöttern«, sagte er zu Karl von Freuenturn.

Der Freiherr sprühte auf: »Hier wird der Gastlichkeit zu viel getan. Man sollte nicht erlauben, dass sich ein Kerl wie Casanova hier eindrängt! Man sollte ihn eher in Eisen schlagen und den Mist aus den Gassen kehren lassen, eine Tafel um den Hals mit dem Schimpf: ›Schmutziger Verführer'!«

Casanova hörte diese unwilligen und beleidigenden Worte und wusste, dass sie auf ihn gemünzt waren; aber sie ließen ihn kalt.

Man hatte die Tafel längst verlassen und sich in den prachtstrotzenden Seitengemächern zu zweien zerstreut oder bildete, von Neigung oder vom Gesprächsstoff zusammengeführt, kleine Gruppen. Weitherzige, weltmännische Geistliche und geschmeidige Edelleute huldigten den schönen Frauen, Scherze schwirrten hin und zurück, Fächer spielten, verliebte Augen grüßten einander. Hier flitterte der Schnack höflich gedrechselter Rede, dort sprach ein Schöngeist über Theater und Kunst und berauschte sich an seiner gepflegten Sprache, boshafte Histörchen flatterten auf, und zuweilen ergab sich auch ein tiefsinniges Gespräch.

Die Gräfin Clam erzählte, dass sie zu Ehren der Krönung fünf Mädchen zur Hochzeit aussteuere, und da habe gestern sich eine junge Näherin bei ihr gemeldet und sie gebeten, sie in die Zahl der Bräute aufzunehmen; auf die Frage, wer ihr Bräutigam sei, habe sie ganz überrascht erwidert, sie habe noch keinen und sei der Meinung gewesen, die Gräfin werde auch dafür sorgen. Dem herrschaftlichen Koch, der Zeuge dieses seltsamen Ansuchens war, habe das Benehmen der Näherin so gefallen, dass er sie nun heiraten wolle.

In einer Fensternische schlug das Gespräch in Klatsch um. Man erwähnte eine bekannte Schauspielerin, die sich rühmen konnte, an die fünftausend Liebhaber besessen zu haben, über die sie peinlich genau Buch geführt hatte; nun hatte sie sich mit einem hochbetagten Tanzmeister verlobt.

»Ein weiblicher Casanova!« lachte man.

»Haben Sie übrigens heute in der Oper das prachtvolle Kleid der Bedini gesehen? Wer mag ihr das wieder bezahlt haben?«

Ein Frauenmund, abstoßend in seinem Hochmut, erwiderte: »Ich kümmere mich um Komödiantinnen nicht.«

»Und die Marchetti soll gesagt haben, sie hätte der Kaiserin gern vorgezeigt, wie eine Fürstin sich halten soll, die in die Krönungsstadt einzieht.«

»Schade, dass man seine Kleider jetzt nimmer in Paris kaufen kann!«

»Man soll dort jetzt blutrote Stoffe vorziehen«, sagte Graf Künigl, näher tretend.

»Dieser fürchterliche Pöbel! Glauben Sie nicht, dass auch Deutschland von dem Aufruhr angesteckt wird?«

Graf Künigl erklärte: »Die Deutschen meutern nicht. Sie sind kein Volk wie die Franzosen, sondern nur eine zersplitterte Masse. Auch sind ihre Gemüter beherrschter als die der hitzigen Gallier. Schließlich erfreuen sie sich jetzt eines klugen Kaisers. Leopold hat gesagt: ›Der einzige Zweck der Gesellschaften und der Herrscher ist, das Glück eines jeden einzelnen zu schaffen.‹ Was will das Volk mehr?«

Als sich die Rede auf einmal den Staatsfragen zuwandte, sammelten sich die Herren um den Grafen Künigl.

»Leopold wird keine unnützen und verwirrenden Versuche unternehmen«, meinte Clam. »Ich erwarte einen langen Frieden, und wir werden uns behaglich im eigenen Land umschauen können. Wir werden unsere Bergwerke ausbeuten, eine Elbe-Moldau-Gesellschaft gründen und böhmische Ware auf billigem Weg unter die anderen Völker bringen.«

»Um Frankreich ist mir leid«, sagte Pachta. »Aber man hat dort die Wirtschaft übel geführt. Die Königin hat eine ganze Fregatte mit Masten und Segeln als Frisur getragen! Durch Jahrzehnte sind Unsummen für die Beleuchtung überflüssiger Feste hinausgeworfen worden!«

»Noch schlimmer als der Aufruhr auf Erden ist Empörung gegen Gott«, eiferte die sehr bewahrsam gesinnte Gräfin Nostitz. »Man will den Himmel um sein Gewitter bestehlen. Mit dem freveln Blitzfänger bäumt man sich gegen den feurigen Entschluss Gottes. Meine Bauern wehren sich entsetzt gegen die Stange am Dach.«

»Die Bauern haben das Maul zu halten!« wetterte Graf Waldstein. »Es ist nur gerecht, dass der neue Kaiser die Verordnung seines Vorgängers umgestoßen und den Frondienst wieder eingeführt hat. die Bauern eines meiner Dörfer haben sich seit alters her zu Ägidi vor dem Grundherrn einfinden und ihm unaufgefordert eins vortanzen müssen. In der letzten Zeit hat die Freiheit sie geil und lässig gemacht. Aber jetzt sollen sie mir wieder tanzen!«

»Ich komme mit meinen Leuten ganz gut aus«, sagte Künigl. »Heuer haben sie, mir eine Freude zu machen, freiwillig zur Nacht die riesige Teichwiese hinter meinem Schloss Bezdekau abgemäht. Das ist eine Überraschung gewesen, als ich bei meinem Morgenspazierritt das frische Heu dampfen sah!«

»Wie lange aber wird unsere gesellschaftliche Ordnung dauern!« äußerte sich Canal-Malabaila nachdenklich. »Es kracht und knackt überall im Gerüst!«

Mozart suchte inzwischen seine Frau, sie war ihm aus den Augen gekommen. Er ging von Gemach zu Gemach und horchte da und dort eine Weile zu. Wie bunt waren doch die Bemühungen und Sorgen der Welt! Und wie wenig berührten sie ihn! Diese strahlende Gesellschaft zitterte in ihrem Überfluss vor dem im Westen murrenden Donner. Und die anderen, die außerhalb des Glanzes standen, die draußen zu den schimmernden Fenstern des Palastes hinauf starrten, sie mussten ohne Aufhör die Schneckenstiege ihres bitteren Berufes, ihrer mühseligen Geschäfte klettern, ohne doch je zu einem Ziel zu gelangen. Wie glücklich war doch Mozart gegen all diese Leute herinnen und draußen! Ihm stand in seiner Kunst immer ein lichter Traumkreis offen, abgelöst von der nüchternen, grauen Mühsal und der harten Angst der Erde.

Dort an jenem Tischlein mischte Casanova wie ein Taschenspieler mit rasender Geschwindigkeit die Karten, gab aus und legte auf. Einige junge Damen spielten mit ihm, ihre Mienen waren vor Gewinnsucht lauernd gespannt und unangenehm geschärft, die Stirnen gealtert, die Munde gepresst und faltig. Gleich vergrämten Eulen saßen sie. Und Casanova zog einen ansehnlichen Gewinn ein, und um die Verlierenden doch einigermaßen zu entschädigen, begann er seine Pläne vor ihnen auszubreiten.

»In Karlsbad«, sagte er, »wo jährlich so viele vornehme und reiche Brunnengäste sich um den qualmenden Quell sammeln, will ich nach dem delphischen Vorbild ein böhmisches Orakel gründen. Erdschlünde und weiße Dämpfe gibt es dort genug. Ich brauche nur eine witzige und schöne Seherin dazu. Will sich keine von den Damen hier auf den Dreifuß setzen? Ich wäre der Priester. Das wäre weit unterhaltlicher als Bücher abstauben in – in –. Zum Teufel, wie heißt doch das Nest, wo ich jetzt verwesen muss?!«

Mozart fiel in die Hände der Gräfin Nostitz.

»Herr Kapellmeister, Ihr Genie ist eine Gnade Gottes«, überrumpelte sie ihn. »Darum sollten Sie anders damit wuchern. Verzeihen Sie einer alten Frau ein offenes Wort! Sie erniedern sich mit dieser die Sinne taumeln machenden Musik, die Sie um den Teufelsmann Don Giovanni gewoben haben. Kunst darf nicht zuchtlos sein, sie hat sittliche Pflichten. Sie soll die Welt bessern und nicht das Herz verführen.«

Die Tochter der Gräfin trat lachend herein. »Mutter, lassen Sie doch die Welt, wie sie ist!«

»Sollich lauter Messen komponieren?« sagte Mozart. »Wünschen Sie das, Gräfin?«

Die Augen der alten Dame waren grün wie der Edelrost einer Spange, die einem Vorzeitgrab entnommen worden ist. »Ihre Messen klingen manchmal ebenso weltlich übermütig wie Ihre Opern«, sagte sie. »Meister, wir leben in einer argen Zeit! Sie verhöhnt die ehrwürdigen Gedanken der Jahrtausende. Und der Glaube ist an sich selber irr geworden. Die Kunst und vor allem die Musik hat die Verwirrung der Gemüter zu klären. Sie soll die Seelen nicht aufwühlen, sondern beruhigen, belehren und zu Gott lenken! Sie soll nicht das Leben schildern, sonder es verklären!«

Die Tochter sagte mit geistvollem Spöttermund: »Müssen Sie denn fortwährend predigen, Mutter? Hören Sie nicht auf sie, Meister! Tun Sie, was Sie für gut befinden! Meine Mutter ist noch von dem alten Größenwahn besessen, der den Menschen götzenhaft in der Mitte des Weltalls aufgerichtet sieht, und der zu seiner Erlösung selbst Gott aus dem Himmel herab bemüht!«

»Willst du damit wieder unsern Erlöser leugnen, Unglückliche, wie du die Auferstehung des Fleisches leugnest?« empörte sich die Gräfin. »Es lebe Jesus Christus!«

»Unsere Zeit denkt nur noch an das Greifbare und Nützliche«, mischte sich Graf Pachta in den Streit. »Ich habe einen Pfarrer in der Christnacht predigen hören; anknüpfend an Ochs und Esel und Krippe, hat er über nichts als über die Stallfütterung geredet.«

»Das sind nebensächliche Auswüchse eines Sonderlings«, sagte die junge Gräfin. »Wir, die wir durch die Schule Voltaires gegangen sind, sind die Vorhut eines neuen Geistes.«

»Die Kirche und Gott wollt ihr harpunieren!« rief die Mutter. »Was könnt ihr an Gottes Stelle setzen?«

Mit kalten Augen erwiderte die Tochter: »Bei der Erklärung der Welt bedürfen wir des Begriffes Gott nimmer.«

»Aber es gibt doch so etwas wie eine Vorsehung«, wandte Graf Pachta ein.

»Nicht Vorsehung!« rief die alte Gräfin und stampfte mit dem Fuß. »Gott! Gott!«

»Nun, meinetwegen Gott«, sagte die Tochter gelangweilt. »Aber erhitzen Sie sich nicht so, Mutter! Wir wollen Haltung bewahren!«

Ein alter französischer Baron, der durch die Volkserhebung aus dem Vaterland verscheucht worden war und seine zwei Söhne durch das Fallbeil verloren hatte, sagte halblaut: »Wie reimt sich Gott mit den Pariser Bluttagen? Entweder gibt es keinen Gott, oder er ist irrsinnig geworden. Weiß jemand ein Drittes?«

Mozart liebt das Freigeistertum nicht, und es schmerzte ihn, wenn er an Gottes Wesen herumdeuteln hörte. Entsetzt von diesem wilden Gespräch, zog er sich zurück.

Graf Pachta erwischte ihn am Arm. »Es dürfte Ihre Teilnahme finden, wenn ich Ihnen eine kleine Geistergeschichte erzähle. Hier in Prag forderte eine als lasterhaft verrufene Frau, angeregt durch Ihre Oper vom Steinernen Gast, die Gespenster des Fausthauses auf, sie in der Nacht zu besuchen und mit ihr das Bett zu teilen. Man fand sie am andern Morgen auf ihrem Lager erwürgt.«

Schaudernd sagte Mozart: »Also bringt meine Kunst wirklich die Menschen auf böse Gedanken!«

Er hörte leise seinen Namen rufen.

Josepha Duschek stand gelassen und schön vor ihm.

»Ich habe den Vorwurf der Gräfin Nostitz gehört«, sagte sie. »Sie hat unrecht, Wolfgang. Deine Musik überschreitet nie die Grenzen der Schönheit und das weise Maß. Du verführst auch die Menschen nicht zum Bösen. Der wahre Künstler ist die Welt selber in ihrer Unschuld. Seine Seele geht in den Baum hinein und wird Baum; sie zuckt zu den Sternen hinauf und wird zum Stern; sie fährt in den Teufel, und siehe, er wird Mensch!«

Christian Clam trat in die Tür. Er verfinsterte sich, als er Josepha bei Mozart stehen sah.

Sie trat lächelnd dem Grafen entgegen.

Karl von Freienturn erzählte in einem Ring vornehmer Musikliebhaber von einem ungeheuren Deichbruch, den er im östlichen Friesland erlebt hatte, wie die Sturmflut nachts sich erhoben hatte und die schützenden Dämme wie mit einer Sense jäh weggeschnitten worden waren und das eindringende Meer die Dörfer im Schlaf übereilt, Häuser und Kirchen weggespült und die Städte angebrandet habe. Die Erde sei fast neun Fuß tief unter dem Wasser gelegen, schwimmendes Wild habe sich in den Kronen der Bäume geborgen, und die Wellen hätten Kisten und Kasten und totes Vieh und Menschenleichen geflößt und losgerissene Dächer. Am wunderlichsten aber sei eine Orgel zu schauen gewesen, die aufrecht und feierlich einsam in ihrem silbernen Glanz auf der Flut geschwebt sei.

Mozart fand in einem entlegenen Gemach Konstanze auf einem märchenhaft geblümten blauseidenen Sofa sitzen, nachdenklich die zierliche Fußspitze betrachtend, die sie auf einen Polsterschemel gestellt hatte.

Als sie den Gatten kommen sah, flog sie schluchzend in seine Arme. »Ich weine vor lauter Langweile. Du vernachlässigst heut deine arme Frau ganz und gar. Für alle andern bist du zu haben, mich übersiehst du. Von einem überspannten Weib lässt du dich bekränzen wie ein Narr. Und mich überlässt du dem zudringlichen Affen, dem Casanova, und bist gar nicht ein bisslein eifersüchtig.«

»Der alte Bock!« brauste Mozart auf. »Ist er gar frech worden?«

»Geh, du Schurrimurri!« lachte sie. »Den abgelebten Musjö möcht' ich nicht, und wenn man ihn mir in Schmetten braten tät! Aber weißt du, Wolferl, was ich jetzt haben möcht'? Eine Nachtschlittenfahrt, gelt, das wär' was Schönes?!«

Nun erst merkte er, dass sie aus weinverdunkelten Sinnen heraus redete, und er hatte zu schaffen, ihr klarzumachen, dass man noch tief im Sommer drin stecke und derzeit eine Schneefahrt bei allem guten Willen unmöglich sei.

Doch löste sich diese Angelegenheit aufs Angenehmste, indem Graf Canal-Malabaila auf Wunsch einiger jungen Leute eben Kutschen auffahren ließ, diesen übermütigen Teil der Gesellschaft in seinen großen Garten hinter dem Rosstor bringen zu lassen.

Sogleich schloss sich das Ehepaar Mozart ihnen an.

Canal-Malabaila schickte einen reitenden Boten voraus, und als die fröhlich lärmende Horde in den Garten einfuhr, hatte das Gesinde dort bereits ein hübsches Lichterfest gerüstet.

Bunte Glaslampen und chinesische Papierlaternen leuchteten durch das Laub, blau, rot zitronengelb, und schimmerten die nachtfeuchten Rosenhügel und das weiße Säulentempelchen mit seiner Kuppel an. Ein beleuchteter Kunstbrunnen wurde entfesselt. Alabasterbilder dämmerten. Aus künstlichen Burgtrümmern trat ein Hirsch und starrte die Schwärmer an.

Mozart war sehr ausgelassen. Er ließ sich Wein geben und trank hastig.

»Verkühl dir nur den Hals nicht, du weichlicher Mann!« warnte Konstanze.

Er drückte sie an sich und sang ein lustiges, heimlich schmachtendes, ganz neues Lied.

»Ein Mädchen oder Weibchen
wünscht Papageno sich,
o so ein sanftes Täubchen
wär' Seligkeit für mich!«

»Ha perfido!« rief die Gräfin Pachta, trunken von Nacht und Musik und dem eigenen Herzen. »Treuloser, finde ich dich hier? Weg von deinem Weibe! Heute gehörst du uns allen!«

Sie riss ihn mit sich und stieß ihn in einen Kreis junger Leute, die Blindekuh spielten.

Die Komtesse Maria Theresia tappte mit verbundenen Augen und umschlang den eben ihr entgegen taumelnden Meister, riss sich die Binde vom Gesicht und kreischte entzückt, als sie ihren Gefangenen erkannte.

Eine Papierlaterne loderte hoch auf und verbrannte.

Musikanten fingen einen Tanz an.

»Wilder, wilder!« befahl Mozart.

Konstanze rief: »Wo ist mein Mann? Nehmt mir meinen Mann nicht!«

»Er ist eben im Tanz ertrunken«, lachte Graf Pachta. »Lassen Sie ihn tollen! Er erscheint mir diesmal, an der früheren Zeit gemessen, ohnedies viel zu ernst und schwer.«

»Er wird einen verbotenen Walzer tanzen«, fürchtete Konstanze.

»Was liege in dieser Nacht daran? Und soll er den Tanz wie ein pedantisches Geschäft betreiben? Wie eine Taglöhnerarbeit? Tänzer müssen halbe Narrensein! Da fällt mir eine gute Sache ein. Vor einigen Jahren kam ein marokkanischer Gesandter nach Österreich. Er besuchte in Graz einen Maskenball, und als er sich daran satt gesehen und sich verabschieden wollte, lohnte er die Musikanten in wahrhaft verschwenderischer Weise ab. Und hernach deutete er auf die tanzenden Gäste und fragte: ›Wie soll ich nun diese da befriedigen, die ihrer gar so viel sind und sich mehr plagen müssen als die Spielleute und darum auch mehr verdienen sollen?« Er war ganz außer sich, als man ihm erklärte, dass die Tänzer selber zahlen müssen.«

»Ich muss auf meinen Mann achtgeben«, sagte Konstanze. »Wo ist er? Der Erfolg im Theater ist ihm in den Kopf gestiegen. Ich fürchte, er schlägt noch einen Purzelbaum. Er tut heut wieder recht kindisch.«

»Kindlich, nicht kindisch!« verbesserte der Graf. »In jedem großen Künstler muss etwas Kindliches stecken, er muss der Natur und damit auch Gott näher bleiben als andere Menschen. Verstand und Erfahrung dürfen ihn nicht allzu sehr beherrschen, in seinem Wesen muss viel sein, was unberechenbar ist. Aber trotz aller Kindlichkeit Mozarts ist mir beim Anhören seiner Musik, als rede ein großer, milder Weiser zu mir.«

»Das ist er nicht«, sagte Konstanze, voller Ungeduld mit den Fingern schnippend. »Ach, wohin hat sich das Kind wieder verlaufen?«

Der Graf, sie zu unterhalten und abzulenken, erzählte ihr, dass jener Marokkaner sich in Livorno während der Aufführung einer Komödie in seiner Loge dorthin gesetzt habe, wo man sonst die Hände aufstütze, und dass er, das Gleichgewicht verlierend, von der Brüstung in die Zuschauermenge hinuntergestürzt sei und sich eine Rippe gebrochen habe. Und derselbe Muhamed ben Abdis Melak, Pascha von Tanger und kein Jude, wie man anfangs gemeint hatte, der habe den Kasperl in der Leopoldstadt besucht und dort die wunderbaren Theatermaschinen und Flugwerke bestaunt, wie alles im Hui daherschießt und wieder verschwindet, und habe herzlich gelacht, trotzdem dass er nicht Wienerisch verstanden habe. Und einer Dame, mit der er sich mit Hilfe eines Dolmetschers unterhalten hatte, habe er nach der Sitte seiner Heimat die Hand zum Kuss gereicht, um ihr damit zu sagen, wie sehr er sie schätze; die Schöne aber habe, ergrimmt über dieses Ansinnen, ihm auf die Hand gespuckt, und der Marokkaner habe begriffen, dass seine Sitte in Europa nicht gelte, und habe sich höflich entschuldigt.

»Was geht mich der Mohammed an?« rief Konstanze. »Wo ist mein Mann? Er wird sich in dem weiten Garten verirren!«

Mozart tanzte mit der Komtesse ganz unbändig und trat dabei den Damen auf die Schleppen, und alles wich ihm lachend aus. Er tanzte mit dem schönen Mädchen den knirschenden Kiesweg dahin ins Dunkel.

»Mein Herz brennt, mir glühen schon die Rippen!« flüsterte er.

Sie standen auf einmal mitten in dem kleinen Tempel. Ein verirrter Lichtstrahl schoss herein.

»Tanzen wir nicht mehr!« bat sie. »Die Musik hat ja schon aufgehört.

»In mir geigt und flötet es weiter!« rief er.

Sie seufzte: »Wie schön ist es hier! Es fehlt nur noch ein bisslein Mond, dann wäre mein Glück vollkommen.« Mit ihren sucherischen Augen sah sie Mozart groß an. »Sagen Sie, wie habe ich heute gesungen? Ach, ich werde dieses Lied nie mehr singen können, ohne dabei aufzuweinen.«

»Speranza mia adorata! In diesem Lied sollen Sie auch mich lieben, Maria Theresia!«

»Ich sehe mich nach Tränen, die ich gemeinsam mit Ihnen vergießen möchte. Mozart, Sie haben mich verzaubert! Aber ich habe gehört, dass Sie treulos und flatterhaft sind. Ich beschwöre Sie, spielen Sie nicht mit einem echten Gefühl!«

Er zog den schlanken Frühlingsleib an sich: »Wie schön Sie sind! Und wenn jetzt auch der ganze Sternhimmel auf mich herunterfällt, ich küsse dich!«

»Wie reden Sie? Was tun Sie?« rief sie erschrocken.

»Mein Name steht nicht in der Zahl der Heiligen geschrieben«, lachte er und küsste sie.

Sie entzog sich ihm heftig und flüchtete.

Er kehrte langsam zu dem Nachtfest zurück.

Auf dem Sockel eines schmachtenden Alabasterbildes sitzend, ließ er sich von den Musikanten eine Geige reichen, stemmt sie auf das Knie und spielte darauf wie auf einer Schoßgeige weich und wundervoll das Andante aus seiner Sonata facile, das niemals gestillte Herz zu stillen. Schwärmerisch stieg die Weise auf und sank wieder wie ein edler Vogel, kreiste und kehrt im Ring zu sich zurück.

Und die jungen, trunkenen Menschen ringsum schwiegen, und die Nacht wurde noch einmal so stille und trank selig die wonnevolle Weise aus Mozarts eigenen Händen.

 

Der neue Tag warnte mit schüchternem Grau.

Da fuhr der Wagen vor, der die Eheleute Mozart in den Weingarten Bertramka zurückbringen sollte. Einsam auf dem Samtpolster lag der Lorbeer.

Der Kapellmeister löste behänd die noch brennenden Lampions von den Drähten und behängte die Kalesche vorn und hinten damit und reichte eines auch dem Kutscher auf den Bock hinauf.

Seiner Frau wollte er eine blaue Laterne aufzwingen. »Du musst tun, was ich will!« befahl er. »Mann und Weib sind ein Leib.«

»Bist du verrückt?« schalt sie. »Es ist ja schon helllichter Morgen. Was werden die Prager von dem Hofkompositor Amadeo sagen?!«

Zornig rief er: »Du Querpfeiferl, willst du alleweil anders als ich?«

Sie gab seinem ungestümen Drängen nach und murrte: »Dreierlei Leute muss man schwätzen und gewähren lassen: Herren, Narren und Kinder. Und du bist Narr und Kind zugleich.«

Im offenen Wagen, die grellbunten brennenden Laternen an Stangen hoch über sich, fuhren sie in den erwachten Tag hinein.

Die Sonne stand strahlend über der Stadt auf. Schon längst hatten sich die Nachtwächter heimgetrollt, die Gassen regten sich wieder, und die Menschen, die ihren frühen Geschäften nachzugehen hatten, blieben lachend stehen und freuten sich über das tolle Fuhrzeug.

»Wie leichtsinnig sind wir zwei!« klagte Konstanze. »Und in Wien daheim wartet wieder das Elend auf uns!«

»Bekümmere dich nicht!« tröstete der Kapellmeister und ließ seine Laterne fröhlich pendeln. »Der Herr kleidet die Lilien im Feld. Wie könnte er seines treuen Dieners Mozart vergessen?! Er wird auch und beschuhen und gewanden.« Und er fing laut zu singen an, dass die enge Goldschmiedgasse hallte: »Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich.«

»So hör doch auf!« fuhr sie gegen ihn los und suchte ihm den Mund zuzuhalten. »Alle Leut' schauen uns an!«

»Wer weint, vergrößert sein Unglück; wer singt, verscheucht es«, erwiderte er und setzte sich den Lorbeerkranz auf den Kopf.

Seine Laune steckte sie an, und als sie an der Kreuzherrenkirche vorbeifuhren, war ich leichter Jammer in Übermut umgeschlagen. »Halt, halt!« schrie sie dem Kutscher zu. »Was für ein Kloster ist das? Ich will hinein und mit den Kapuzinern tanzen!«

Und weiter fuhren die beiden, zwei lachende Kinder mit brennenden Lichtern, über die besonnte Brücke und durch die Kleinseite zum Aujezder Tor hinaus und unter den schlagenden Lerchen des Himmels durch Flur und Dorf an den erstaunten Bauern vorbei.

*

Im gotischen Rittersaal des Schlosses hatten sich die Großen der böhmischen Länder und die Vertreter der Stände versammelt, dem König zu huldigen.

Leopold saß in einem Armsessel unter dem mit rotem Samt und Goldstoff bedeckten Thronhimmel, neben ihm stand der Oberstlandmarschall, das Schwert in der Rechten. Mächtige Bilderteppiche hingen an den Wänden, biblische Vorgänge darstellend oder einen Adler, der auf drohenden Donnerkeilen rastet: ein Sinnbild der unvermeidlichen Züchtigung aller, die den Frieden des Staates stören wollen.

Der Oberstburggraf trat vor den Herrscher hin und begann die Huldigungsrede.

Er wies auf die Bedeutung dieser Stunde hin, wo ein Volk seinem Erbherrn schwört, für dessen und für die allgemeine Wohlfahrt Gut und Blut zu opfern, und er pries die Ehrwürdigkeit des Eides, darin ein Fürst sich als Vater eines durch die göttliche Vorsehung anvertrauten Volkes erhebt und diesem Schutz, Gerechtigkeit und Fürsorge gelobt, indem er den Ewigen zum Zeugen anruft, vor dem alle irdische Macht und Größe sich in Staub verliert. »Der Tag, wo der Landesfürst im Glanz seiner Würde dem zum Zweck eines allgemeinen Glückes erbauten Staat als Sinnbild des allweisen Weltbeherrschers sich vorstellt«, fuhr der Redner fort, »dieser Tag ist jedem gesitteten Volk heilig, besonders wenn dieses in dem Fürsten einen sanften, gütigen Herrn bewundert, der weit über zwei Jahrzehnte hinaus durch eine wohlerwogene Gesetzgebung, durch Aufmunterung des Ackerbaues, der Handels und der Künste, durch selbsteigene Teilnahme an den erhabenen Arbeiten des zur Aufklärung der Menschheit berufenen gelehrten Standes, durch kraftvolle Handhabung der öffentlichen Ordnung, besonders aber durch eine mit unverwandtem Sinn nur auf das Wohl seines Volkes gerichtete Staatsklugheit seinem beglückten Zeitalter das seltene Beispiel einer philosophischen Regierung gegeben hat. Und so ist dieser Tag heilig für die böhmischen Untertanen, die sich jetzt glühenden Herzens nahen, ihre Treue feierlich zu bekennen. Eure Majestät! Die Vorsehung hat Ihnen unter den bedenklichsten Umständen das gewaltige Erbe Ihres Hauses überantwortet. Aber Eure Majestät haben die sorgenvolle Herrschaft begonnen, indem Sie zunächst alles aus dem Weg gebrochen haben, was Missfallen erregt und folglich – mindestens für diese Zeit – nicht gut hat sein können. Gleich einem zärtlichen Hausvater, der sich mit den Seinen über den Aufstieg der Familie beraten will, haben Eure Majestät Ihre getreuen Landstände aufgefordert, ihre Wünsche vor den Thron zu tragen, auf dass in gemeinsamem Rat eine Verfassung gegründet werde, die das Glück des Volkes bedeute. Als echter Völkerhirt lauschen Eure Majestät auf die Stimmen der Allgemeinheit, um die Bedürfnisse und die Empfänglichkeit der Untertanen zu erforschen und dann erst bedachtsam und weise zurückhaltend jene Gesetze aufzustellen, welch Ihr Volk besser und zufriedener machen.«

Nach diesem kühnen und warnenden Ausfall gegen die Neuerungen weiland des Kaisers Josef, der es verschmäht hatte, sich in Prag mit der böhmischen Krone zu krönen, der die alten Rechte des Adels und der Geistlichkeit kräftig beschnitten und sich nur auf seine Beamten gestützt und im Übrigen getan und gelassen, was er gewollt hatte, nach diesen Worten, denen der Herrscher mehrmals bedeutungsvoll zugenickt hatte, setzte der Oberstburggraf fort: »Dem Trotz einiger noch durch die Eindrücke jungst vergangener Zeiten und durch fremden Einfluss irregeleiteter Untertanen haben Eure Majestät die ruhige Milde eines Vaters entgegengestellt, aber auch, wo es notwendig gewesen, diese ahnen lassen, was der Empörer von Ihrer Gerechtigkeit zu gewärtigen habe, wenn Ihre Langmut einmal ermüde. Den Feinden Ihres erlauchten Stammes haben Eure Majestät mit der Unbefangenheit und Mäßigung eines Fürsten begegnet, der den blendenden Schimmer verschmäht, der frei von Eroberungsgelüst – dieser gewöhnlichen und begreiflichen Schwäche des Mächtigen – nur jene Gefühle wirken lässt, welche die wohltätigen Herrscher zu Göttern dieser Erde machen. Und der Erfolg entspricht dem erhabenen Plan: an die Stelle des einstigen Aufruhrs ist Vertrauen und Verehrung getreten. Und dieser glückliche Wandel hat nicht an den Grenzen der Erblande halt gemacht. Nein, überall, wo die deutsche Sprache klingt und deutscher Biedersinn waltet, schlägt jetzt ein Herz für Leopold, und alle Fürsten des Deutschen Reiches drängen sich heran, seinen Tugenden zu huldigen. Die drohenden Donnerwolken haben sich aufgelöst, und heiter wie die weltbelebende Sonne leuchtet wieder der Schutzgeist des österreichischen Hauses über dem Kaiserthron. Die Grundfesten des Staates sind wieder erstarkt, die gefährliche Fackel des Fanatismus ist zertreten, und das Mordschwert des Aufruhrs ist zersplittert vor der Stimme, die den Herzen zu gebieten weiß. Europa hat das Himmelsgeschenk des Friedens aus den gelassenen Händen Eurer Majestät wieder empfangen, denen Eroberung und hohler Kriegsruhm, mit Blut und Tränen bezahlt, ein Gräuel sind. Der geschlossene Friede ist ein Denkmal Eurer Weisheit, die die großen Verhältnisse, darin Heil oder Fluch von Millionen begründet liegen, weise abwägt und in feierlicher Stille ordnet. Eure Majestät können sich nun ungestört dem Drange Ihres Herzens überlassen und, ein zweiter Titus, jeden Ihrer Tage mit edeln Taten erfüllen und sich selig bewusst sein, dass jeder Ihrer Untertanen die Verlängerung Ihres für das Vaterland so kostbaren Lebens mit dem seinen erkaufen würde.«

Und dann bat der Oberstburggraf, der Kaiser möge gnädigst gestatten, dass die im Namen des Volkes versammelten Stände ihrem König und seinem Hause den Schwur ewiger Treue und Anhänglichkeit ablegen dürfen.

Auf den Hochschwung aller dieser begeistert vorgetragenen Worte erwiderte der Kaiser trocken: »Ich habe gewünscht, die Steuerlast etwas zu erleichtern. Leider hat sich die nötige Bereitschaft zur Verteidigung, die meine Staaten gegen äußere Angriffe sichert, diesem ehrlichen Wunsch meines Herzens widersetzt. Doch verspreche ich, die Freiheiten und Gerechtsame der Stände nicht zu mindern, sondern sie je nach den Umständen zu vermehren. Durchdrungen von der Größe meiner Pflichten, werde ich immer auf die Zufriedenheit meiner Völker bedacht sein und hoffe dafür, dass sie es mir mit ihrer Liebe lohnen.«

Die Stände huldigten nun mit feierlichem Schwur; die weltlichen hoben die drei Finger, die geistlichen legten die Hände über die Brust.

Als hernach Leopold geschworen hatte, brach die Versammlung in den lauten Ruf aus: »Es lebe unser Kaiser und König!«

*

Josef Zwirtschek bückte sich und fauchte den Kater Kleopatra an, dass dieser zurückfuhr, die Ohren steif zurücklegte und große, erschrockene Augen machte.

»Oh, ich kann mit Tieren umgehen!« sagte der Schreiber stolz.

Dann nahm er die Notenblätter vom Tisch, betrachtete sie ein Weilchen scheu wie eine Sammlung erprobter Zauberformeln und schob sie ehrfürchtig in seine verwetzte Ledermappe.

»Jetzt fehlt nur noch die Ouvertüre«, meinte er. »Herr Hofkapellmeister, wenn Sie wüssten, wie der Herr Guardasoni darauf wartet! Morgen ist die Hauptprobe. Der Herr Süßmayer ist mit seiner Arbeit längst schon fertig. Der Bühnenmaler, der Theaterschneider, alles arbeitet wild darauf los. Nur Sie lassen sich Zeit mit der Ouvertüre.«

»Ich bin halt kein Schneider, lieber Zwirtschek.«

»Herr Guardasoni fuchtelt mit den Armen herum und verflucht Sie, gnädiger Herr. Heute hat er geschrien: ›Man soll den Mozart mit giftigen Schlangen binden! Wir werden diese Ouvertüre wieder kuhwarm spielen müssen, wie die des Don Giovanni!'«

»Ich werde ihm das Vorspiel rechtzeitig liefern! Aber zuerst muss ich einen guten Einfall haben, und der lässt diesmal ewig auf sich warten.«

»Fang mit einer feierlichen Hymne an!« riet Duschek.

»Oder mit dem Reitermarsch, der im ersten Akt geblasen wird!« sagte Josepha.

Mozart schlug entzückt mit der flachen Hand auf die Stirn. »Jetzt hab' ich es! Zwirtschek, holen Sie sich abends die Partitur des Vorspiels!«

Der Tintenmann stieg befriedigt die Treppe hinab, die Zipfel seines langen Schösselrockes schlugen gegen seine armseligen Waden.

Er war fast schon beim Tor, da kehrte er um und hopste schnell zurück. »Verzeihen Sie, meine Herrschaften, ich habe vergessen, mich zu empfehlen. Ich küss' die Hand, meine Herren! Ich küss' die Hand, meine Damen!«

Damit hatte er sich endgültig verabschiedet.

»Ein seltsamer Bruder!« murmelte Wolfgang. »Vielleicht treibe ich es genau so wie er, wenn ich einmal alt bin.«

»Wolfgang!« rief Konstanze, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Das Schicksal des Zwirtschek ist übrigens mit deinem verflochten«, sage Josepha.

»Davon weiß ich nichts«, lachte Mozart. »Ich weiß nur, dass er mich in seinem letzten Willen mörderisch bedenkt.«

»Es war damals, da du, Mozart, als Kind in der Welt deine ersten Siege erfochtest. Da wollte der kleine Klavierlehrer Zwirtschek nach deinem Muster sein Töchterlein auch zu einem Wunderkind erziehen. Die Theresel aber fasste sehr langsam auf. Und da stieß er einmal während des Unterrichts im Jähzorn ihr Köpflein gegen die Tasten. Die Kleine starb am nächsten Tag. Nicht etwa infolge dieses Stoßes, sonder nach einer hitzigen Krankheit. Aber sie lag in der Truhe, den blauen Striemen noch auf der Stirn. Und Zwirtschek schlich immer wieder zu der Leiche hin und hob den Sargdeckel, um zu sehen, ob denn der Striemen, den er ihr gestoßen, noch immer nicht verschwunden sei. Aber das Mal haftete, sooft er auch hinschaute, unerbittlich immer wieder auf dem schmalen Totengesichtlein, und das Kind wurde damit begraben. Seitdem ist der Mann ein halber Narr geworden, und manchmal sucht er in der Betrunkenheit Vergessen.«

»Schrecklich!« flüsterte der Kapellmeister. »Da bin ich unschuldig an seinem Unglück schuld. Was kann ich für ihn tun?«

»Nichts, Freund. Nur gut sein zu ihm!«

Mozart hatte sich kaum an seinen Tisch zurückgezogen, das Vorspiel zu entwerfen, als ihm der Gärtner einen Brief brachte.

»Da soll doch gleich der Teufel platzen!« rief er wütend. »Hat man denn keine Ruhe? Gewiss wieder ein Fetzen von dem verrückten Guardasoni!«

Außen auf dem Brief stand geschrieben: »Herrn Kapellmeister Mozart zu selbsteigenen Händen.« Es war nicht Guardasonis protzige Schrift, sie war verstellt, heuchlerisch verkraust, und Mozart befiel eine peinliche Ahnung.

In der Hülle lag ein Zeitungsblatt. Der Kapellmeister kannte es bereits von früher her. Ein reisender Musikliebhaber erging sich darin abfällig über Mozarts Werk. Einzelne Wörter waren rot und dick unterstrichen.

»Niemand wird in Mozart den Mann von Talenten und den erfahrenen, reichhaltigen und angenehmen Komponisten verkennen«, hieß es. »Noch aber habe ich ihn von keinem gründlichen Kenner der Kunst für einen korrekten, viel weniger vollendeten Künstler halten sehen, noch weniger wird ihn der geschmackvolle Kritiker für eine in Beziehung auf Poesie richtigen und feinen Komponisten halten.«

Mozart schleuderte das Blatt auf den Tisch.

Welch bübischer Feind sickte ihm gerade jetzt diesen Geifer? Ha, man wollte ihm den frohen Frieden zerstören, der zum Schaffen notwendig ist, man wollte das zum Werk geschlossene Herz aufsprengen und Verwirrung hinein säen, man wollte ihm den Tag vergällen und die bildende Kraft lähmen!

»Was schert mich, was ein gedungener Zeitungsschreiber sudelt!« suchte er sich zu beruhigen. »Zürne dich nicht ab, Mozart! Beide sollen dir gleichgültige sein, der dein Lob pfeift und der Schmach über dich zischelt! Du gehörst dir. Dein Schaffen kann von außen her nicht beurteilt werden.«

Aber böswilliges Urteil hakt sich im Herzen fest, auch wenn der Künstler sich tausendmal einredet, er sei darüber erhaben.

Jawohl, Herr Namenlos, jawohl, Vetter Neidling, jawohl, du Splitterleinpleißer und Meister Klügling, du bübischer Dummkopf, du ganze hämische Meute, heute hast du gut getroffen! Der gifttriefende, widerhakige Dolch steckt fest.

Mozart schlug mit der Faust auf den Tisch.

Konstanze sah zur Tür herein.

»Was ist los? Du schneidest ein wildes Gesicht!«

»Die Lust an der Arbeit ist mir vergangen. Da, schau dir den Fetzen an!«

Sie las den Zettel.

»Was liegt daran?« sagte sie leichthin. »Jedem tüchtigen Menschen geht es so. Ist er noch wenig bekannt, dann lobt und hätschelt man ihn; hat er es aber zu Ansehen gebracht, so spuckt man auf sein Werk. Das macht der Neid. Nimm dir den Wisch nicht zu Herzen und schreib ruhig weiter!«

»Ich tu nichts mehr!« trotzte er. »Ich hab' es satt.«

»Wolfgang, du musst das Vorspiel schreiben! Die Musiker warten. Der Kaiser wartet.«

»Ich kann nicht. Mir ist alle Freud' genommen. Ich bin voller Ärger. Soll sich der Kaiser die Ouvertüre selber dazu denken! Oder soll der Salieri sie ihm schnell hinschmieren! Ich mach' nichts mehr!«

»Du zimperlicher Mensch, du machst mit deinen Launen mich und deine Kinder noch einmal unglücklich. Ich begreif' dich nicht, dass dich ernstlich kränken kann, was so ein flatteriger Schreiber behauptet! Sei doch nicht so wehleidig! Wer wird denn gar so geschwind zusammenknicken?! Bist du ein Mann?«

»Ich vertrag' es einfach nicht!« rief er. »Oh, wär' ich nur schon tot, dass ich von der Welt nichts mehr wüsste!«

»Wie redest du? Wohin wird das führen, wenn du so überempfindlich bist?«

»Ich halt' schon einen Puff aus. Aber dass man mir den giftigen Wisch gerade jetzt vor die Nase hängt, das ist gemein, das verstört mich aufs Höchste!«

Die Hände bebten ihm, sein Mund zuckte, sein Gesicht war totenweiß.

»Du zügelst dir selber deine Feinde heran, Wolfgang. Mit deiner vorlauten Zunge beleidigst du alle Leute.«

»Nur die Pfuscher hab' ich angegriffen, die aufgeblähten Dünkelmänner. Und das ist die Pflicht eines jeden tapferen Künstlers.«

»Du solltest deine Reden mehr überlegen! Wenn ein Wort einmal draußen ist, tut der Teufel damit, was er will. Überall lauern die Zuträger, und sie bringen das Wort verändert, verdreht, schärfer, bitterer, bissiger an das Ohr, das es nie hätte hören sollen.«

Mozart horchte nicht hin. In ihm ringelte es sich böse wie eine Natter zusammen. Sein in diesen Tagen von Zweifeln an sich selber unterwühlter Geist war ganz an sich irr.

»Rede was du willst! Ich schreib' keine Note nimmer!«

Konstanze rannte in ihrer Ratlosigkeit zu Franz Duschek.

Dieser sagte: »Ein jeder Künstler muss auf Tadel gefallt sein, denn die Kunst ist öffentlich. Solange die Welt besteht, hat es noch nie ein Werk gegeben, das allen Köpfen ausnahmslos recht gewesen wäre. Solchem Zeug« – er ergriff das Schmähblatt – »soll man mit vornehmem, stummem Stolz begegnen. Wolfgang, was schadet es deiner Größe, wenn ein blödsinniger Besserwisser sich dagegen ausschleimt? Was dieser Krittler da hat drucken lassen, das wird später einmal die Menschheit als tolles Kuriosum belustigen!«

Mit ruhigen Händen riss Duschek das Blatt entzwei.

»Mozart, du aber lass dich nicht irren! Gegen jeden hämischen Stich setze eine neue Leistung! Das macht die Feinde lächerlich. Das trifft sie tödlich.«

»Wer so gelassen sein könne wie du!« sagte Mozart. »Du hast recht. Aber ich kann mich nicht so schnell beruhigen.«

Er ging in den Garten hinaus. Unter den unschuldigen Pflanzen sollte sein Herz sich wieder fassen. Blühende Blumen machen den Menschen gut.

Wie wunderbar ergeben in ihr Schicksal sahen die Bäume auf ihn nieder! Wie erhaben war ihre Ruhe! Waren sie in ihrer Unwissenheit nicht weiser als er?

Er warf sich ins Gras und zwang sich, an nichts zu denken. Aber das unstete Herz zuckte in seiner Qual.

Da scholl vom Hof her heitere Musik. Bauernfiedel, Horn, Klarinette und Bassgeige spielten in drolliger Mischung einen schleunigen, handfesten, polternden Tanz: er war landbekannt und hieß gemeiniglich »der böhmische Wind«.

Mozart erhob sich und sah über das Geländer in den Hof hinunter.

Da standen die vier Söhne der freien Landstraße im Ring gegeneinander, die Haut borkig verwittert, die mausgrauen Röcke verschlissen, die schlappen Quersäcke über die Schulter geriemt und im Haar noch das Heu des Schobers und der Scheuer, darin sie zur Nacht geherbergt hatten. Dem mit der Bassrumpel lugte der rote Strumpf aus dem Schuh, der Hornist war bloßfüßig.

Als sie ihr Tanzstück mit redlicher Mühe und nicht ohne Geschick vollstreckt hatten, trat der hagere Fiedler vor und lupfte den mit einer Pfaufeder betonten Hut gegen den Herrn droben an der Brustwehr des Gartens; die rötliche Geige unterm Arm, auf der weit geschwungenen Nase eine blitzblaue, staubige Brille, zerrte er krampfhaft an seiner Uhrkette. »Sind wir da recht in dem Herrn Mozart seinem Schloss?« fragte er.

»Ich selber bin Mozart.«

Da verneigte sich der Geiger und kratzte nach hinten aus, dass der Sand flog, und beugte ehrfürchtig wie vor einem Hochaltar das Knie. Und die anderen drei entblößten linkisch die Köpfe, und der Klarinetter nahm die Hutkrempe verlegen in den Mund und fraß daran.

»Wir kommen von weit her«, stotterte der Wortführer. »Wir stammen aus einem Dorf nahe dem Wald, wo der Moldaustrom seinen Brunnen hat. Wir haben gehört, dass der berühmte Mozart in Prag ist und wollen ihm mit einem Ständchen unsere schuldige Hochachtung bezeichnen.

Der Geiger hatte seine Ansprache beendet. Der Klarinetter entfiel der Wetterhut; der Bassgeiger, ein bärenfester Mann, ein Goldblättlein ihm Ohr, lehnte sich an seine bemooste Rumpumpel und drehte rastlos seine ausgehaarte Pelzhaube in den Händen; der bloßfüßige Waldhorner seufzte tief auf, er hatte die Augen blau wie dünne Milch.

Nach dieser andächtigen Pause langten die vier wieder nach ihrem Rüstzeug und spielten das Menuett aus der Oper »Don Giovanni«.

In seltsamer Rührung neigte sich Mozart über das Geländer. Da huldigten ihm die Bettelmusikanten. Sie trotten die krummen, holprigen Straßen, sie wecken fröhlich das mittagverschlafene Dorf, sie werfen sich ins Grün und träumen ins Blaue, frei sind sie wie der Hase im Feld, und keine Stätte auf Erden nenne sie ihr eigen. Doch webt in ihren Seelen ahnungsvoll die Ehrfurcht vor der Kunst.

Beifall klatschend, stieg Mozart zu seinen Bewunderern hinunter, und verschämt und erfreut verneigten sich diese wieder und wieder.

Er klopfte dem Geiger freundlich auf die Schulter. »Sie spielen sehr angenehm. Nur sollten Sie nicht so heftig mit den Fingern auf der Saite zittern!«

Der Bassgeiger schnürte sein Bündel auf, kramte eine Rolle heraus und zeigte sie dem Kapellmeister. Es war eine gesiegelte Urkunde des Bürgermeisters von Hinterwuldau, darin bestätigt wurde, dass die Musikanten Thomas Zitwersam, Wolf Traurig, Hansgeorg Zörnkittel und Christoph Goggeisel Künstler seien.

»Und nebenbei sind Sie noch eine Riese«, schmeichelte Mozart dem Bassgeiger.

Darauf berichtete der hagere Geiger stolz: »Bei der Kirchweihmusik habe die Tänzer ihm, dem Goggeisel, immer wieder den Bass verschoben, und da ist er voller Zorn in die Scheuer gerannt, hat einen eisernen Zahn aus der Egge gerissen und hat hernach auf dem Tanzboden den Zahn mit der nackten Faust in die Diele getrieben und der Bassgeige ihren Fuß daran gebunden. Und dann hat er geschrien: ›So, ihr Tanzleut', jetzt könnt ihr mich nimmer irren!«

Mozart sagte: »Ihr seid zu beneiden!«

Der Hornist Hansgeorg Zörnkittel nickte. »Wir haben kein bisslein Nichts. Mir flickt der Herrgott die Schuh, und setz' ich mein Hütel auf, so ist mein Dach gedeckt. Kunst trägt nicht viel. Und doch gibt es kein schöneres Leben als das Unsere.«

Der Geiger räusperte sich: »Herr Hofkapellmeister, ich gehöre eigentlich nicht zu den Dreien da. ich bin von Beruf Schulhalter und hab' mich denen da nur für den Sommer beigeschlossen.«

»Sie genießen also ein gesichertes Einkommen?«

»Nun ja. Aber das Menschenherz ist nicht zu sättigen. Hat einer ein Schnürband, gleich will er einen Bundschuh dazu haben, und kriegt er hernach den Schuh, gleich begehrt er einen zweiten dazu und alsdann zwei weiße Strümpfe und eine blauseidene Hose und so weiter et cetera et cetera. Das Menschenherz ist unersättlich. Und so steht es auch um mich. Ich bin nicht zufrieden, mich wurmt der Ehrgeiz.«

»So schreiben Sie doch eine neue Fibel!«

Der Geiger holte aus dem Schössel eine umfängliche Notenrolle. »Ich habe etwas komponiert«, sagte er.

»Schau, schau!« lächelte Mozart. »Und da glaubt unsereiner, bei einem Schulmeister sitze nur das Einmaleins am Tisch.«

Und er las: »Des König Leopoldi Kronmesse. Verfasst von Thomas Zitwersam, bestalltem Schulmeister zu Hinterwuldau.« Die Handschrift war säuberlich, leicht lesbar und geruhig, nicht hastig und unklar hingekratzt wie die Arbeiten Mozarts.

Dieser kunstliebende Mann hat Zeit. Er wohnt fern allem Neid und Hass in einem anheimelnden Tal, in einem winkelheimlichen Dorf, in einem rührend schlichten Haus, vielleicht duftet ein alter Nussbaum ihm ins Fenster hinein; von niemand gehetzt, schreibt er gemächlich sein winziges Werk und probt es am geräumigen Sonntagnachmittag in dem kühlen Kirchlein.

»Meine Tochter Äoline hat die Messe abgeschrieben«, sagte Thomas Zitwersam. »Und ich bitte, überreichen Sie diese Abschrift mit meinen untertänigsten Grüßen Seiner Majestät!«

»Ich will es versuchen«, lachte Mozart.

In guter Laune lugte er in die Noten. Das Kyrie war ein herzeinfältiges Bauernscherzo, die Geigenstimmen himmelhoch und der Bass abgrundtief gesetzt und dazwischen so viel Hohlraum, dass dort noch gut fünf bis sechs andere Instrumente hätten können dahin schlendern, ohne aneinanderzustoßen. Das Gloria war ein derber Ländler, der mochte der Kirchgemeinde samt dem Pfarrherrn scharf genug in die Beine fahren, heidideldum schrumm schrumm! Das Kredo glich einem weinerlichen Bänkelsang.

»Das Dorf ist mit Ihnen gewiss zufrieden, Herr Zitwersam.«

»Ich bemühe mich nach Kräften. Wenn ich jetzt wieder heimkomme, nehme ich gleich ein neues Menuettlein unter die Feder.«

»Wie steht es mit Ihren Einkünften?«

»Es genügt. Für ein jedes Schulkind ziehe ich im Jahr achtzehn Kreuzer. Außerdem besorge ich die Orgel und die Mesnerei. Jetzt, wo ich für eine Woche von Seiner Hochwürden liebreich beurlaubt bin, vertritt mich meine Tochter Äoline in meinem Beruf. Zu Weihnachten ziehe ich von den Bauern einige Laibe Brot, auch Eier, Flachs und andere Giebigkeiten, und dann gehe ich mit dem alten Totengräber Heinrich und dem Hirten Andreas ins Dreikönigssingen. Da fällt wieder etwas für mich ab. Meine Frau hält eine Kuh. Ferner erzeuge ich für den ganzen Pfarrsprengel die Tinte und verschleiße Papier und Fibeln und schneide die Gänsfedern zu.«

»Herr Schulhalter«, sagte Mozart, »wollen Sie Ihr friedliches Leben mit dem Meinen vertauschen?«

»Das würd sich für mich schlechten Mann wenig schicken«, meinte Zitwersam.

Und da sie sich nun anschickten, mit einem deutschen Tanz Abschied zu nehmen, holte Mozart schnell seine kostbare welsche Geige, aus dem Holz der Balsamfichte gebaut, und er spielte aus dem Stegreif in das Stück der vier Gesellen hinein, und sein Spiel jagte bald uneinholbar voraus, und bald wieder schwärmte es mit so wundervollen Einfällen in die hagebuchene Musik der Fahrenden darein, dass sich diese auf einmal ganz fremd und adelig ausnahm und die taktfesten Männer zu schaffen hatten, vor Staunen nicht aus dem Geleis zu geraten.

Mozart reichte ihnen ein ansehnliches Zehrgeld, und als sie es nicht annehmen wollten, sagte er: »Steckt es getrost ein! Es ist für die Kronmesse Leopoldi. Der Kaiser ersetzt es mit wieder.«

»Dann ist es recht«, meinte der Waldhornist.

Hochbefriedigt schieden die vier. Und der Bassgeiger Goggeisel hinterließ eine beträchtliche Kolophoniumspur.

Im Tor rief Thomas Zitwersam zurück: »Diesen Tag vergesse ich nie!« Die Pfaufeder wippte ihm lustig am Hut.

Mozart erwiderte: »Grüßen Sie mir Ihre Schulfrau! Und Ihr Töchterlein, die Äolsharfe! Sie soll nur nicht zu viel mit dem Wirbelwind spielen!«

Er miaute den Kater freundlich an, der gedankenvoll auf der Gartenbrüstung lustwandelte. Die Welt war wieder froh.

Dann setzte sich der Meister hin und warf das Vorspiel in einem Zug auf das Papier und teilte jedem sein Amt zu, der drohenden Trombone, der hirtenseligen Flöte, dem schalkischen Fagott, der kriegerischen Trompete, der liebenden Geige, der schmeichelnden Klarinette.

Als Konstanze nachschauen kam, packte Mozart sie um die Mitte und tanzte mit ihr unbändig durch das Zimmer.

»Hosianna! Der Stein ist weggewälzt! Die Oper ist fertig!«

*

Auf Leib und Leben hatte man die neue Oper geprobt. Die Hintergründe und Seitenstücke waren prunkvoll von Peter Travaglia und dem Koblenzer Preisig gemalt, die Kleider von Cherubin Babbini aus Mantua geschichtlich treu und sehr geschmackvoll entworfenworden. Die Sänger, die Streicher, die Bläser und die Pauker, verstärkt durch eine Schar Prager Künstler, hatten sich herrlich gehalten. Mit ihnen hätte man die Welt erobern können. In Schweiß gebadet, rief Guardasoni den Seinen zu: »Alles klappt! Wir siegen!«

Mozart wollte seine Frau am Welschen Platz vor dem Kirchtor des heiligen Nikolaus treffen, um abends mit ihr gemeinsam die Freudenbeleuchtung zu genießen.

Morgen war die Krönung. Die Stadt brauste gleich einer Orgel, daran man alle Stimmzüge gezogen hat. Es herrschte eine allgemeine Lust, als flösse die Moldau mit lauter süßem Most, und jeder sei davon trunken.

Neben den vornehmen Fremden, die da in den Gassen ritten oder in wappenblanken Wagen fuhren oder sich in den roten Mietsänften tragen ließen, neben den schaulustigen Einheimischen und gaffendem Landvolk waren viele Bettler zu sehen, und auch war es, als hätten alle Musikanten Böhmens in Prag ein Stelldichein vereinbart. Da pfiff und schnurrte ein ziegenhörniger Dudelsack aus dem Gau der slawischen Choden, dort harfte ein Spielmann aus dem Erzgebirge. Auf den Stufen der Salvatorkirche blies einer das Brummeisen. Zu den Füßen der Heiligen klimperte und fiedelte es. Und Einbeinige und Einarmer, Soldaten noch vom Preußenkrieg her, Krückner und verkrümmte Krüppel und Menschen mit allerlei anderen Schäden heischten allerorten ihr Almosen.

Mozart legte sein Geld in verdorrten Händen und hölzernen Schüsslein an.

»Dieses Unglücksvolk sollte man dem Kaiser vorstellen!« redete ein Mann ihn an.

»Ja. Aber morgen sollte man ihm das Fest damit nicht vergällen!«

Ein Greis, der am ganzen Leib zitterte und sich keinen Augenblick stillhalten konnte, rief dem Kapellmeister zu: »Ich bin hundsalt! Neunundneunzig Jahre!«

»Warum nicht hundert?«

»So alt, das täte mir niemand glauben. Gnädiger Herr, Gott bezahle Ihnen die Gabe! Und werden Sie nicht so steinalt wie ich!«

Auf der Brücke vor dem Standbild des heiligen Veit wälzte sich, vom hinfallenden Leid überrascht, ein Weib; sie schäumte und schlug wild um sich. Kinder umringten sie und lachten und meinten, hier scherze ein Gaukelweib.

In der Welschen Gasse fiel Mozart ein Fenster auf, wodurch man in einen düster gewölbten, verwahrlosten Altwarenladen hinab spähen konnte, darin verspinnwebt, verrostet und verstaubt ein schartiger Ritterschild, verjährte Stichwaffen, alte Kleider, Bücher, Schmucksachen, einige Teller aus krankem Zinn und ausgestopfte stachelige Fische ausgestellt waren. Unter dem meist wertlosen Kram blitzte ein zierlich gearbeitetes Monstänzlein, das eine stillstehende Uhr umrahmte. Ein vergilbter Zettel meldete, dass alle diese Dinge und noch viel mehr hier in diesem Haus bei Simon Wewerka könnten erstanden werden.

Hier also hauste der alte Hautabzieher, der Gottes- und Menschenfeind!

Mozart erkundigte sich zuerst in einem benachbarten Fleischerladen, ob Herr Wewerka daheim sei. Der Metzger sah ihn misstrauisch an, dann legte er seine dicke, geschwollene, rote Hand auf den Hackstock, holte mit dem Beil aus und murrte: »Alle meine fünf Finger will ich mir einzeln abhauen, wenn der alte Schmutzian nicht auch noch Mädchen an die Fremden vermietet!«

»Bei Gott, das ist nicht meine Absicht!« wehrte Mozart.

»Was wollen Sie hernach bei ihm? Ein so fein angezogener Herr wie Sie kauft doch keinen Trödel! Aha, Sie wollen Geld von ihm borgen! Da plagen Sie sich umsonst. Seit einem Jahr lässt er kein Geld nimmer aus, auch nicht für Wucherzinsen. Sonst können Sie bei ihm alles haben, was man sich nur ausdenken kann. Natürlich für bares Geld. Kaufen Sie ihm aber kein Geschirr ab! Das ist schlecht, der Zinnwurm steckt drin. Der Lump gehört schon längst in den Wucherturm!«

»In welchem Stockwerk wohnt Herr Wewerka?«

»Im letzten natürlich. Wollen Sie eine Wurst haben? So viel wie in diesen Tagen ist in Prag noch nie gefressen worden«, schloss der Fleischer verächtlich.

Mozart trat in das altertümliche Haus, das düster und ungepflegt war wie sein Besitzer. Von dem kleinen, schmutzigen Hof her stank es wie aus einer Schindgrube.

Die dämmrige Stiege war von mageren hölzernen Heiligen wie von lauernden Mördern besetzt. Mozart erschrak mehrmals heftig davor. Eine heilige Magdalena hatte einen Zettel um den Hals mit der Marke: »Verkäuflich!« An manchen Stellen der vertretenen Treppe war es stichfinster, und der Kapellmeister erinnerte sich, gehört zu haben, dass Wewerka auch in fremden Häusern im Flur und im Stiegenhaus die Lampen vor den Gottesbildern ausblase und so andern Leuten an Licht sparen helfe.

Die dritte Treppe, die oberste und letzte, war am schmutzigsten und glitschigsten, obzwar sie am wenigsten begangen wurde. Ihre Staffeln knarrten hässlich.

Vor einer Tür, daran der Name Wewerka lang und dünn gekreidet war, läutete Mozart. Er läutete mehrmals vergebens. Er klopfte. Der Geizhals öffnete nicht. Und doch musste er in seinem Bau weilen, denn es waren darin hastige, gedämpfte Schritte zu vernehmen. Offenbar wähnte er, ein Bettler stehe draußen, und er suchte diesen wohl durch langes Wartenlassen zu ermüden und zu veranlassen, dass er unverrichteter Dinge abziehe.

Im Vorhaus befanden sich zwei gebrechliche Stühle. Vielleicht empfing Wewerka hier heraußen seine Gäste und Geschäftsfreunde, dass er seine Stube nicht abnütze.

Als Mozart spürte, dass der Trödler hinter dem Schlüsselloch lausche, wer der hartnäckige Besucher sei, rief er ungeduldig: »So machen Sie doch einmal auf! Sie haben mich doch eingeladen!«

»Gehen Sie und versäumen Sie nicht Ihre kostbare Zeit bei mir!« polterte es drin. »Ich kann Ihnen nichts geben. Ich finde das Kleingeld nicht. Der Teufel hält die Pratze darüber.«

»Keine Sorge, Freund!« erwiderte Mozart. »Ich will weder betteln noch leihen. Ich komme eine Schuld zu begleichen. In meiner Zerstreutheit habe ich jüngst beim Steinitz meinen Kaffee zu zahlen vergessen. Sie haben gewiss hernach für mich gezahlt.«

Die Tür öffnete sich blitzschnell, und der alte Jochgeier erschien und lud mit weit ausfahrender Gebärde seines dürren Armes zum Eintritt ein. Geld machte ihn immer ehrfürchtig.

Er trug einen fleckigen Schlafrock und verschlissene Tuchschuhe. Sein Gesicht war fahl und wie verhungert, der Scheitel vollkommen kahl. Seine Perücke hing an einem Haubenstock abgegürtet. Er schonte sie.

In der Stube stockte eine dumpfe, abgelebte Luft.

Wewerka bemühte sich, ein angenehmes Gesicht zu machen. »Selbstverständlich habe ich mir damals erlaubt, ihre Zeche zu begleichen«, sagte er höflich. »Ihre künstlerische Meisterschaft berechtigt Sie zu jedem Grad der Zerstreutheit und mich zu dem Vertrauen, dass ich das für Sie ausgelegte Geld wieder zurückerhalte.«

Dankend händigte Mozart ihm das Geld ein, und Wewerka krallte wie der Vogel Greif danach, zählte genau und schob es schleunig in den Sack.

Jetzt erst wurde er sich bewusst, dass sein Schädel nackt war. Flink setzte er sich die Perücke auf. »Ein Rest von Eitelkeit!« murmelte er. »Eine Schwäche hat jeder Mensch. Ich gebe zu, dass ich mit einer Glatze behaftet bin. Das rührt daher, weil eine von den Fledermäusen meines Dachbodens ihr Wasser auf meinen Kopf hat lassen.«

Mozart erwartete nun, in den Raum geführt zu werden, wo der Goldhaufe bis zum Gewölbe hinauf gewachsen war. Aber der Alte schleppte einen abgenützten Sessel herbei, wahrscheinlich, dass sich der Gast nicht auf das noch leidlich gut erhaltene Sofa setze.

»Nehmen Sie gefällig Platz! Der Kompositor Mozart in meinem Hause! Solch seltsamen Besuch kann man nicht hoch genug würdigen. Ehre, dem Ehre gebührt! Verzeihen Sie, dass ich Sie draußen habe warten lassen! Ich habe einen Fechtbruder vermutet. Das Bettlergewerbe hat in Prag immer einen goldenen Boden. Ich kenne reiche Leute unter den Bettlern. Derzeit aber ist der Wettstreit unter ihnen gar zu heftig. Die altangesessenen Bettler sollten sich gegen die zugereisten tapfer wehren! Doch was geht das schließlich mich an? Ich bin nicht ihr Hauptmann. Und ich schenke grundsätzlich diesen Müßiggängern nichts. Geld ist nicht für die Armut.«

Er zerquetschte einer Wespe, die am Fenster summte, mit dem Fingernagel den Kopf.

»Herr Wewerka«, sagte Mozart voller Laune, »ich bin nicht so leichtsinnig, wie die Welt mich schimpft. Ich halte auf Vorsicht. Ohne Ihre Ehrlichkeit als Geschäftsmann anzuzweifeln, bitte ich doch um eine Quittung über die eben von mir bezahlte Schuld. Und dass Sie sich um des Papieres nicht etwa in Unkosten stürzen, wollen Sie da auf diesem Stück Notenpapier quittieren!«

Der Geizhals schrieb und kratzte dann etwas Mörtel von der Wand und streute ihn auf die feuchte Schrift.

Mozart sah sich inzwischen in der Stube um. Da dunkelten an den Wänden pechschwarze, vom Anhauch der Jahrhunderte verfinsterte Gemälde mit rätselhaften Köpfen, daran nimmer zu erraten war, ob sie Männern oder Frauen, Priestern oder Helden, Engeln oder Tieren angehörten. Auch ein auf Spinnweben gemaltes Bild, ein durch einen Lustgarten wandelndes verliebtes Paar darstellend, hing hinter Glas und Rahmen. Zwischen zwei Fenstern ragte ein Giraffenklavier mit seiner fast bis zu Decke reichenden Harfe. Die Bretter des Fußbodens waren mit unzähligen Wurmlöchern übersät.

Wewerka fächelte mit der Quittung die Luft und reiche sie dann Mozart. »Schauen Sie sich nur alles genau an! Alles hier ist käuflich. Alles, alles. Auch die Wurmlöcher!« kicherte er.

»In Ihrem Laden drunten ist eine feine Monstranzenuhr.«

»Eine süddeutsche Arbeit, vielleicht aus Augsburg, über zweihundert Jahre alt. Gefällt sie Ihnen?« Der Geizhals lächelte, und es schien, als wolle er Mozart die Uhr zum Geschenk anbieten. Doch sofort kräuselte sich seine Stirn wieder wie in tiefer Versorgtheit, und er sagte bedauernd: »Schade, dass sie für Ihre Verhältnisse zu teuer ist!«

»Sie müssen meinen stark entwickelten Geschäftssinn entschuldigen!« setzte er hinzu. »Meine Vorfahren kurz nach dem Schwedeneinbruch haben mit ihrem Vermögen so schändlich gewüstet, dass sie sogar die eiserne Haustür drunten haben verkaufen müssen, ihre Gläubiger zu befriedigen. Der Enkel hat daraus gelernt und wirtschaftet vorsichtiger.«

»Sie haben gewiss erwachsene Kinder, wie Sie so sparen.«

»Gott sei Dank, nein! Kinder sind immer eine undankbare Anlage. Aber trotz allem, verehrter Meister, sollen Sie nicht unbewirtet mein Haus verlassen!«

Wewerka öffnete spaltweit eine mit Tapeten verklebte Geheimtür und rief in eine halbdunkle Kammer hinein: »Baba, setze Sie dem Herrn Kapellmeister eine Kleinigkeit vor!«

Eine dünne, grämliche Weiberstimme antwortete: »Ich hab' nichts daheim.«

»Wenigstens ein Glas Wein!«

»Ich hab' nichts daheim«, schnarrte es wieder.

»Nun, so wenigstens einen Schluck Bittern!«

»Ich hab' nichts daheim.«

Diese ständig gleiche Antwort klang wie eingeleiert. Sprach sie ein hochbetagter Papagei? Oder rührte sie von einer Maschinenpuppe her, die durch das Öffnen der Tür künstlich in Betriebe gesetzt wurde? Oder war Wewerka ein Bauchredner? Hier war alles möglich.

»Unsereiner kann sich selbst das Notwendigste nimmer gönnen«, seufzte der Alte. »Wie gern möchte ich in das Bad Spaa reisen, die Gicht auszurotten, die ich mir trotz meiner fast übermönchische Enthaltsamkeit gegenüber üppigen Genüssen zugezogen habe. Das Geld langt nicht.«

»Sie sollen doch sehr vermögend sein. In der Kleinseite habe Sie mehrere Zinshäuser.«

»Das stimmt nicht. Man verleumdet mich. Und was trägt heutzutage ein Zinshaus? Was bringt mir dieses Haus da ein? Gar nichts! Ich bewohne es ganz allein. Ich habe keinen Mieter.«

»Warum nicht?«

Die Mieter sind mir davon gelaufen. Meine Nachbarn behaupten, ich beherberge und dem Dach eine Drachen, der mir jede Nacht Geld bringe. Sie hätten mich beobachtet, wie ich ihn einmal mit einer Schüssel Milchsuppe gefüttert hätte. Sein Schwanz habe aus der Dachluke herausgehangen und blau wie brennender Spiritus geleuchtet. Und weil meine Mieter gefürchtet haben, er zünde mit seinem feurigen Gespei das Haus an, sind sie ausgezogen. Ich habe sie nicht halten können, denn Geisterei bricht den Mietvertrag. Seither ist mein Haus verrufen. Ist es nicht eine Schande, dass die Leute noch in dieser Zeit solch lächerlichem Aberglauben nachhängen und damit einen harmlosen Geschäftsmann schädigen?«

In der Nebenkammer begann eine Kuckucksuhr zu schlagen, sie schlug und schlug und hörte nimmer auf.

»Die Baba drin ist verrückt geworden«, flüsterte Mozart.

»Horchen Sie nicht hin! Sie schwätzt. Sie ist noch nicht fertig. Ich will sie so einrichten, dass sie verkehrt läuft, die Uhr. Solche Seltsamkeiten werden gesucht und ganz nett bezahlt. Es rennen genug Narren auf der Welt herum.«

»Sie wollen also dem Lauf der Natur und aller Vernunft zuwider die Zeit umkehren?«

»Irgendeinen Spaß muss der Mensch haben. Wäre es nicht hübsch, wenn man sich zurückleben könnte, wenn zum Beispiel Sie wieder zum Jüngling würden oder gar zum gefeierten Kind?«

Mozart stieß abwehrend die Hände von sich. »Nein, nein, das wünsche ich nicht!«

»Vielleicht wünschen Sie etwas anderes von mir? Sie sind bestimmt nicht gekommen, um bloß Ihre Schuld zu bezahlen. Ich weiß, Sie wollen Geld leihen. Keine Widerrede! Ich kenne die Menschen. Ehrlich gestanden, ich borge nicht gern mehr Geld her. Aber mit Ihnen mache ich eine Ausnahme. Ihnen vertraue ich. Sie verdienen an der neuen Oper ziemlich viel. Also frisch heraus, wie viel Geld brauchen Sie?«

»Aber ich traue Ihnen nicht. Sie würden sich mit der Forderung vor den Wagen stellen, wenn ich heimreise.«

»In Anbetracht Ihrer geschwächten Gesundheit ist es wirklich ein verwegenes Wagnis von mir. Trotzdem biete ich Ihnen Geld an. Und zu bescheidenem Zins. Schon wegen Ihrer übermenschlich schönen Musik.«

»Sie alter Lämmergeier glauben also, dass Sie mich überleben?«

»Ja. Denn Geiz ist eine Gewähr für Gesundheit und hohes Alter.«

»Ich borge mir von Ihnen nichts aus. Aber verschreien will ich es nicht. Vielleicht muss ich mich doch an Sie wenden. Ich bin kein Glückskind.«

»Kommen Sie nur zu mir, Herr Kapellmeister! Sie ahnen ja gar nicht, wie hoch ich Sie bewerte. Ich habe mir Ihr ›Steinernes Gastmahl' angehört. Natürlich nicht im Theater, sondern vor dem Theater. Die Musik ist durch die Mauern gedrungen, wenn drinnen sehr laut gespielt worden ist. Es ist einzig schön gewesen.«

»Ich will für die verehrten Zaungäste eigens eine Oper in Fortissimo schreiben«, rief Mozart. »Doch jetzt leben Sie so wohl, als Sie sich es vergönnen! Es wird Zeit, dass Sie dem Lindwurm zu fressen geben. Die Uhr schreit immer besessener.«

Als der Meister sich aus dem feuchten Dämmer des Hauses tastete, träumte er wehmütig, wie es wäre, wenn dieser reiche Mann, der sein Geld untätig liegen ließ, ihn zum Erben einsetzte. Dann könnte man eigenwillig und sorglos schaffen und brauchte nicht darauf zu warten, was der Gönner großzügig bestellt. Dann könnte man allein seinem tönenden Herzen leben.

Er lugte scheu zum Dach hinauf. Doch flatterte kein blauglühender Drachenschwanz nieder.

Gegen Abend traf Mozart seine Frau und Süßmayer auf den Torstufen der Nikolauskirche.

Die drei speisten dann in einer traulichen Wirtschaft in der Sporngasse, und da es die Zunge Konstanzes nach Süßigkeiten lüstete, fütterte der Kapellmeister sie mit Mandelmilch und Himbeergefrorenem, und zum Nachtisch ließ er ihr Brezeln vorsetzen, und sie zerbrach sie und schob je einen Halbring dem Gatten und Süßmayer in den Mund. Schließlich suchten sie noch einen Tortenbäcker auf.

Plaudernd schlenderten sie dann durch die festliche Gasse zur Burg hinauf und sahen vom Hradschin hinunter. Gärten flossen den Berg hinab. Die Stadt lag liebend an den Strom geschmiegt. Die Brückentürme standen wie kampfliche Helden herausfordernd einander gegenüber. Fern graute das zackige Zwillingsgetürm des Gotteshauses zum Tein, und die schlanken Leiber vieler anderer, unbekannter Türme reckten sich. Mozart aber fand seinen Spaß an den schmutzigen Rauchfängen, die gnomisch unten auf den roten Dächern kauerten und daraus bläulich und gräulich der Rauch wirbelte. Die Kleinseiter Hausfrauen kochten noch eilends die Abendsuppe.

Die drei bewunderten am Eingang zum Schloss die Bilder der Riesen, die einander niederkeulten oder über den Haufen stachen, und die wildschnäbeligen, von Kindern umtändelten Adler und die feisten Putten, die auf gekrönten Löwen ritten.

Scheuer schritt Mozart an der gotischen Gottesfestung vorüber. Dieser zum Himmel züngelnde, flackernde Stein dünkte ihn Wahnsinn, Wildnis und wirres Fiebergebet, der aus dem Wust der Höhe vorgreifende Drachenspeier betrübte ihn durch seine Hässlichkeit, der mächtige, spitz gebrochene Bogen, der vom Turm zum Chorhaus hinüberschlug, war ihm unbegreiflich. Er, der klare, auch in der Verstrickung schmerzlichster Gefühle seine Kunst in schwebender Anmut bändigende Meister verstand den wilden, rauschhaften Überschwang dieses Gebäudes nicht. Er liebte die zartgeschwungene Linie, die Form der Muschel, das Blumengewinde aus Stuck, die bis zum Boden reichenden lichtvollen Fenstertüren und den Balkon, von dem aus die Geliebte dem nächtlichen Ständchen im Garten lauscht.

»Ich verstehe nichts von dieser Herberge des heiligen Veit«, sagte er. »Zwar bin auch ich Baumeister. Aber ich bin nicht an die Schranken des Steines, des Holzes, des Glases gebunden, ich baue mit zitternder Luft. Mein Wesen kann ich nur in die Formen der Musik fassen. Ich bin einseitig und muss es wohl sein.«

Über die Schlossstiege kehren sie in die Talstadt zurück.

Auf dem Malteserplatz führte ein Zigeuner einen schneeweißen Pudel vor, und darauf trieb ein kleiner Affe mit Höschen, Tressenfrack und Zweispitz sein Wesen: er grüßte soldatisch mit seiner winzigen Flinte und schoss sie ab, und als er plötzlich harnen musste, knöpfelte er sich mit geschickten Fingern den Latz vor auf und verrichtete gar säuberlich sein Geschäftlein. Mozart fand an dem Benehmen des Affen viel Gefallen und gab seinen Beifall laut kund, so dass sich Konstanze vor den umstehenden Leuten seiner schämte und sich ärgerte.

»Lassen Sie ihn!« flüsterte Süßmayer ihr zu. »Ich habe an ihm beobachtet, dass die Musik gerade dann unterirdisch in ihm am großartigsten arbeitet, wenn er sich äußerlich recht läppisch gebärdet.«

Als es ganz dunkel geworden war, ergötzten sich die drei an den köstlichen Feuerspielen, die sich über der Insel Klein-Venedig erhoben. Mit Kanonenschlägen untermalt, schossen Raketen gleich brennenden Drachen am Nachthimmel empor, zischten und spien ihr Eingeweide in smaragdenen und rauschroten Funken aus; Ungetüme krachten und knarrten und schneiten verendend in rosigem, weißem, blauem, gelbem Sprühwerk nieder. Sonnenräder, Glorien, Perlenschwärmer sandten unzählige Leuchtkugeln und Sterne aus; Leuchtbrunnen schleuderten ihre in allen Farben wechselnden Garben; blendende Schlangen stiegen, ruderten, zerschellten irgendwo in der Finsternis und stoben in verlöschendem Lichtregen nieder. Donner rauschten, Bomben knallten. Aus den Feuertöpfen blühten chinesische Fächer, Magnesiumpfannen schickten purpurnen Schein über den Strom hin, flammende Palmen wuchsen und welkten; indisches Weißfeuer, Pfauenschwänze, Blumensträuße, silberne Wasserfälle entzückten die Menge, die von der Brücke und den Ufern aus das Schauspiel bewunderte.

Mozart schrie immer wieder entzückt auf und tappte in die Luft, als versuche er die Sterne zu haschen, die aus den platzenden Leuchtleibern hernieder rieselten.

Das Lustfeuer war zu Ende. Da wölbte sich über den irdischen Schauplatz groß und unbewegt, was während des lärmenden Gesprühes vergessen gewesen, die stille, sternenvolle Pracht des Ewigen und Unendlichen.

Mozart schaute aufwärts und sagte leise: »Das Schönste hat uns Gott doch für zuletzt aufgespart!«

Sie streiften durch die Gassen. Lichter entzündeten sich überall.

»Die Kerzenzieher werden jubeln und ein Tedeum bestellen«, meinte Süßmayer.

Er verlor sich in dem Gewühl, gerade als sich Karl von Freienturn dem Ehepaar Mozart anschloss.

Heute glitzerten die Menschen. Die Uferstädte glühten festlich, die Brücke spannte sich dazwischen wie eine Feuerspange, und ihre Ecktürme erstrahlten bis zu den Gipfeln. Auf der Moldau glitten rote venezianische Gondeln dahin, bunte Lichter spiegelten geschmeidehaft; der Strom trug eine geheimnisvolle Lichtfurche, und es war, als schwämme darin ein goldener Basilisk. Und darüber hing die reine Purnknacht, würdig des morgigen Tages der Krönung.

Durch die Goldschmiedgasse wandelnd, erreichten sie den Altstädter Ring. Dort setzte sich Mozart auf den Rand des Marmelbrunnens und freute sich an dem Getümmel des froh erregten Volkes und sah hinüber zu der mächtigen Leinwand, darauf in durchleuchteter Bemalung Schutzgeister das Bildnis Leopolds trugen, mit dem Lob beschrieben: »Böhmens Titus!« Und darunter war zu schauen, wie der Höllenrichter Minos das Fürstenbuch Machiavellis zerfetzte mit den Worten: »Ad cathalogm prohibitorum! Leopold regnat!«

Auf den Spitzen funkelnder Pyramiden glommen goldene Kronen oder horstete der Adler des Reiches, trug die Göttin Fama die strahlenumgleißten Anfangsbuchstaben des Namens des Königs.

Der Kapellmeister schloss träumerisch die Augen. Morgen Abend war sein Fest! Und hernach – vielleicht – reiten hundert blasende Postillone, Lorbeer am Hut und auf bekränzten Pferden, in Wien ein und schreien: »Sieg! Sieg! Der Mozart hat die Schlacht gewonnen!«

Ein silberhaariger Wahrsager, doch mit dem blühenden, faltenlosen Gesicht eines Knaben, fasste Mozarts Hand.

»Heraus mit deiner Zigeunerkunst!« befahl der Kapellmeister. »Aber ich will nur Gutes hören.«

Der Handsleser beguckte die Linien der Linken und verkündete dann, dass der Inhaber dieser Hand sehr reich und dass er noch zweimal heiraten werde.

»Das wär' ihm recht!« rief Konstanze empört.

Mozart beruhigte sie: »Ich geb' nichts auf das Geschwätz. Ich glaub' weder Wahrsagern noch Sterndeutern. Die Sterne sagen nur das, was der Mensch in sie hineindichtet.«

Konstanze wollte jetzt den Persianischen Jahrmarkt auf der Marienschanze besuchen und dort die ausländischen Waren und die fremdrassigen Kaufleute mit ihren schwarzen Diener sehen, die tanzenden Gärtner und die Gaukler mit ihren eiligen Künsten. Eben verbreitete sich das Gerücht, dass sich ein venezianischer Luftspringer dort den Hals gebrochen habe.

»Gehen wir gleich hin!« drängte Konstanze. »Vielleicht sehen wir noch was von dem Unglück.«

Mozart hörte sie nicht. Ihm wurde gerade ein Zettel angeboten, darauf das Lob des Kaisers holprig und in lächerlich gewählten Reimen gedruckt war:

»Vivat Leopold der Zweite!
Gibt das Schwert in die Scheide,
liebet Kunst und Wissenschaft,
was die Menschen glücklich macht.«

»Du behandelst mich wie Luft, Wolfgang!« zürnte Konstanze und zerrte ihn am Arm. »Du kümmerst dich gar nimmer um meine bescheidenen Wünsche.«

»Verzeih, ich bin heut ein bisslein zerstreut.«

»Gelt, du denkst an die Marchetti? Morgen wird sie dich genug anschluchzen mit ihrem geschminkten Mund, die Komödiantin!«

»Die Marchetti? Ach, der ihr Herz ist voll ewigem Schnee!« lächelte Mozart.

»Hast du sie schon angegriffen, weil du das so genau weißt?« rief Konstanze gehässig, und die schmalen Schultern flogen ihr.

»Was hast du jetzt auf einmal, Stanzel? Der Abend ist doch so schön gewesen. Warum bist du auf einmal so launisch, so zickzack?«

»Die Ehestandsorgel ist verstimmt«, scherzte der Freiherr. »Der Teufel zieht den Blasbalg. Schämt euch vor dem Kaiser dort!« Er wies auf ein Fenster, daraus starrte die übersilberte Gipsbüste würdig und strafend heraus, darunter die Inschrift: »Unter Großen der Größte!«

»Du bist zickzack, du bist launenhaft, Wolfgang!« brach Konstanze los. »Eine andere wär' dir schon längst davongerannt! Du wirst mich einmal aus der Erde kratzen wollen, wenn ich nimmer bin. Aber nein!« widersprach sie sich. »Du wirst mir nicht einmal eine Handvoll Erde in die Grube nachwerfen, so eilig wirst du es haben, die nächste zu heiraten! Drei Weiber! Das sieht dir ähnlich!«

»Aber Stanzel, ich bitt dich!« flehte er. »Sekkier mich nicht!«

Da sagte der Freiherr: »Ein kleiner Ehezank muss manchmal sein, er erfrischt. Was aber deine Ehe betrifft, Mozart, so wäre es angezeigt, du solltest – bei allem schuldigen Respekt – deine Stanzel einmal tüchtig durchkarbatschen! Nur ein einziges Mal! Und sie wäre dann die liebste, edelste, verständigste Gattin.«

Nach diesem Rat überließ Karl von Freienturn die zwei sich selber und verschwand im Getümmel.

»Der grobe Lümmel!« zischte Konstanze. »Ich begreif' dich nicht, dass du den zum Freund hast!«

Mozart schwieg.

Der Jubel stieg ins Unermessene, als sich nun der Kaiser selber in der strahlenden Stadt zeigte.

Wie eine gleißende Nachtschlange glitt die Moldau. Die Paläste gossen Licht aus ihren offenen Pforten; mit tausend Lampen von den Balkonen bis zu den Firsten hinauf brennend, glichen sie erhabenen Feuerwänden. Aus den Vasen ihrer Dachgeländer züngelten blaue Weingeistflammen. Die Fenster der Bürgerhäuser waren mit durchleuchteten Sinnbildern und Lobsprüchen geschmückt. Löwenbewacht schimmerten die Zeichen der Herrschaft, die Bilder opfernder Liebe und der Ehrfurcht vor dem Flammenaltar.

In der Kotzengasse war ein winziges Häuslein mit nur einem Fenster, und in diesem Fenster hing, von einer roten Herzlinie umrahmt, das Bild des Herrschers mit dem Spruch:

»Mein Haus ist ganz klein,
braucht wenig Kerzen,
doch trägt es allein
den Kaiser im Herzen.«

In den Schenken geigten die Fiedeln heiser.

Die Juden tanzten in ihren Kaffeehäusern. Am Tor des Gettos lärmte eine türkische Musik.

Als Mozart und Konstanze über den Kleinen Hühnermarkt bei der Leonhardskirche gingen, sagte er zu ihr: »Es tut mir weh, dass du gerad heut mir nicht gut bist.«

Da näherte sich ein Mann mit tastendem Schritt und gespannt lauschendem Gesicht. Ein Blinder. Er hatte Mozart an der Stimme erkannt. Jetzt tappte er nach der Hand des Meisters, und ehe es dieser ihm verwehren konnte, küsste er sie ehrfürchtig. Und dann ging er wortlos seinen dunkeln Weg weiter.

»Wer ist das gewesen?« flüsterte Konstanze betreten.

»Ein alter Harfenist.«

Sie legte gerührt und versöhnt den Arm ihm um den Hals. »Wolferl! Alles kennt dich. Sogar die Blinden. Alles hat dich gern. Und deine Stanzel liebt dich auch.«

»Du«, sagte er glücklich, »du meine Liebe! Aber während des Leuchtfeuers ist mir ein Priestermarsch eingefallen. Ich hab' ihn jetzt fix und fertig im Kopf.«

Als Konstanze hernach entdeckte, dass ihr im Gedränge das Geldtäschchen aus dem Strickbeutel gestohlen worden war, da lachten die beiden sich herzlich an, und ihr Glück war wieder vollkommen.

*

In der edelsteinernen Klause des heiligen Wenzel wurde der Kaiser mit den Gewändern der Krönung bekleidet, und er erschien darin fremd und feierlich und höher als sonst.

Er betrat im langen Hermelinmantel den Dom.

Der Oberstlandmarschall trug ihm das Schwert der altböhmischen Herzöge voraus, die roten Landesbanner mit dem goldgestickten Löwen Böhmens schwankten nebenher, Edelknaben trugen brennende Windlichter.

Traumkühn flog das Mittelschiff auf. Die Wände waren mit Niederländer Tapeten und rotem Damast ausgeschlagen. In atemloser Scheu harrte auf den Bühnen, was Glanz und Namen trug im Reich.

Auf dem Hochaltar schimmerten mild die silbernen Büsten der Heiligen, womit die köstlichsten Heiltümer eingefasst waren, und daneben lagen die Wahrzeichen der Königswürde. In gedrängtem Ring stand das Gepränge der hohen Geistlichkeit, der Kronhüter des Herren- und des Ritterstandes, der Truchsessen, Kämmerer und Geheimen Räte, der Träger des Goldenen Vlieses, der Edelknaben und der Herolde.

Von Salieri befehligt, hub die kaiserliche Hofkapelle zu singen an.

In goldbrokatenem Prunk feierte der Erzbischof von Olmütz das Hochamt. Junge, engelschöne Priester schwenkten die Weihrauchbecken.

Der Kaiser lag mit dem Antlitz auf den Stufen des Altares.

Er erhob sich und ließ sich auf dem Thron nieder, der vor dem Gottestisch unter einem Himmel aus blumendurchwirktem Goldstoff errichtet war.

Dämmerbunt brach es durch die Fenster des Kapellenkranzes. Die Silbersäule des heiligen Johannes glomm. Schattenhaft dunkelten die Streben und Bogen draußen durch die lichten Fenster des Hochchores.

Der Kaiser war sehr blass.

Litanei und Gebet umwob ihn, Segnung auf Segnung floss auf ihn nieder.

Nachdem das Halleluja in der Wölbe der edlen Bogen verrauscht war, begann die Krönung.

Auf dem Schoß des greisen, halb erblindeten Erzbischofs von Prag ruhte aufgeblättert das riesige Pontifisikalbuch. Der Kaiser kniete davor auf samtenem Polster und las mit vor Aufregung verschleierter Stimme den großen, alten Eid.

»Wir Leopold schwören Gott dem Allmächtigen, der gebenedeiten, von der Erbsünde unbefleckten Mutter Gottes Maria und allen Heiligen auf dieses Evangelium, dass Wir an der katholischen Kirche festhalten, jedermann Gerechtigkeit widerfahren und die Stände in ihren altherbestätigten und hergebrachten Freiheiten schützen, auch von dem Königreich nichts veräußern, sondern vielmehr dieses nach Unserm Vermögen vermehren und erweitern und all das, was zu dessen Wohl und Ehre gereicht, vornehmen wollen. Als Uns Gott helfe und dieses heilige Evangelium!«

Der Schwörer tat die weiße, leise zitternde Hand auf das Buch. Andächtig küsste er das Kreuz, das ihm gereicht wurde.

Des Heiligen Stuhles zu Prag Erzbischof hob die uralten schwachen Arme. Die Perlen seiner steilen Mitra schillerten. Er betete: »Herr! Der du alle Reich von ihrem Anbeginn an leitest! Segne diesen unsern König Leopold! Verleihe ihm die Gnade, sein Volk mit jener Sanftmut zu beherrschen, danach einst Salomon sein Reich in stetem Frieden erhalten hat! Er streite für dich in der Stille ihres Gewissens! Dein göttlicher Schild decke ihn und seine Diener, auf dass er überall seine Feinde niederschleudere! Lass ihn sein königliches Ansehen behaupten wider alle Herrscher der Erde! Glücklich leite er sein Volk, und seine Untertanen sollen sich preisen, seinem Stab unterworfen zu sein! Seine Großmut werde weitumher berühmt, und seine Gerechtigkeit diene den Gesetzgebern zum Vorbild! Deine Allmacht verbreite Überfluss in den Ländern, darüber sein Stamm durch die Jahrhunderte segensreich herrschen soll! Ihm selber verleihe ein langwährendes Leben! Sein Thron werde durch deine Kraft gefestigt, und durch deinen Besitz werde sein endliches Ziel gekrönt! Durch Christum unsern Herrn!«

»Amen!« hallte der Chor der Diakone.

Die Großen des Reiches nahmen dienend dem Kaiser die Kette mit dem Goldenen Vlies und den schweren Schleppmantel ab. Da ragte er in hochrotem, tief niederfallendem Rock, in perlfarbseidenen Strümpfen, in weißen Atlasschuhen, die in goldene Spitzen ausliefen. Und golden funkelten an ihm Stola und Gürtel.

Ihm wurden die Achseln und der rechte Arm entblößt, und der Erzbischof salbte ihm die Gelenke des Ellbogens mit dem geweihten Öl und salbte ihn zwischen den Schultern zum König.

Und wieder schwang sich wie ein flehender Vogel das Gebet des uralten Mundes auf: »Allmächtiger Gott! Sieh herab auf diesen glorwürdigen König Leopold! Überströme ihn mit der Fülle deines Segens und mit den Gaben deines göttlichen Zuspruches! Befeuchte ihn mit dem himmlischen Tau, und vom Fett der Erde schenke ihm Überfluss an Korn, Wein, Öl und anderen Früchten! Das Volk werde in der Zeit seiner Herrschaft von keiner Seuche geängstigt und genieße einen ständigen Frieden! Der Glanz seiner Macht und Würde widerschimmere in allen Augen, und dessen Strahlen sollen weithin wie die Blitze zucken! Walte es so, allmächtiger Gott, dass er ein furchtloser Beschützer des Vaterlandes werde und den Kirchen und Klöstern zum Trost gereiche, und dass sie die Früchte seiner königlichen Freigebigkeit und Frömmigkeit genießen! Er sei der heldenmütigste der Fürsten, Besieger der Feinde und Bezwinger aufrührerischer, roher und missgläubiger Stämme! Seine Widerstreber verfolge der Schrecken, und die Furcht vor seiner Gewalt schlage sie darnieder! Doch den Großen seines Reiches und alle getreuen Untertanen erscheine er in der Hoheit seines erhabenen Berufes, verbunden mit herablassender Milde, auf dass er von allen kindlich gefürchtet und zugleich geliebt werde! Sein Name blühe durch die Jahrhunderte, seine Weisheit und seine rühmlichen Verdienste verbleiben in fortwährender Erinnerung und mögen einst belohnt werden mit der Seligkeit des Himmels! Dies alles wolle gewähren, der da bestehet und herrschet von Ewigkeit zu Ewigkeit!«

»Amen!« hallte der Chor der Diakone.

Und wieder mit dem Hermelin bekleidet, empfing Leopold das Schwert der alten Herzoge, und als er damit gegürtet war, den Ring.

Dann weihte der greise Hochpriester mit ermatteter Gebärde das Zepter und den Apfel des Reiches, und der Kaiser hielt diese Zeichen, auf der obersten Altarstufe kniend, hoch in den Händen.

Hernach wurde ihm das atlassene Kronhäuptlein auf den Scheitel gelegt.

Die Stimme des Erzbischofs bebte vor tiefster Ergriffenheit: »Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes nimm hin, Diener Leopold, die königliche Krone! Wisse, sie ist ein Zeichen der Heiligkeit und der Ehre und ein Werk der Großmut! An Stelle Gottes, der Apostel und aller Heiligen segnen Wir dich, auf dass du immerdar die königliche Gewalt zum Heil des Staates übest und den ruhmreichen Streitern für die Verbreitung der Tugend schimmernd voranschreitest! Dafür du dereinst mit der ewigen Glückseligkeit gekrönt wirst von unserm Erlöser Jesu Christo, der da mit Gott dem Vater und dem Heiligen Geiste waltet und wirkt von Ewigkeit zu Ewigkeit!«

»Amen!« brauste der Chor.

Und der Priester setzt unter dem Beistand des Oberstburggrafen dem Knienden die schwere, edelsteinglühende Krone auf das demütig hingeneigte Haupt.

Der Wunsch des böhmischen Volkes war erfüllt.

Der Erzbischof erhob den schwachen, schneidenden Ruf: »Te Deum laudamus!«

Als sich nun der Gekrönte aus den Knien erhob und verklärt im traumhaften Glanz der Krone sich zu dem Thronstuhl hinbegab, hub die riesige Sigismundglocke im Turm an, und alle die schweren Domglocken gesellten sich zu ihr, und die tausend Glocken der Stadt drunten erwachten und läuteten und läuteten, bis sie fast glühend wurden. Und aus den Schlünden der Geschütze auf den Wällen fuhr Feuer und Donner über das Tal hin.

Die Sonne drang in strahlendem Lichtsturz durch die mächtigen Fenster, die Orgel grollte in ihrer Vollgewalt, Pauken und Trompeten fielen dröhnend ein, in schwerer Bläue wolkte der Weihrauch, und die Menschen sanken nieder und lobten Gott.

Am Hochchor die Büsten der Könige und ihrer Frauen, der Kirchenfürsten und Baumeister belebten sich, im Farbendämmer des Kapellenkranzes bewegten sich träumerisch auf ihren Tumben die verstümmelten Steingestalten der Premysliden, stützten sich auf, lauerten und lauschten.

Und es war, als rege sich das edle, wilde Netzwerk an der Wölbung, als kreisten die Vierpässe in den Fenstern, und der ganze alte Dom schien in seinen Grundfesten zu erbeben und zu wachsen.

*

Die ehernen Gittertore des Schlosses wurde aufgetan, und das Volk flutete in die Burghöfe, den König zu sehen, der sich während des Krönungsmahles auf dem Söller zeigen sollte.

»Die alten Zeiten sind besser gewesen«, murrte der Seifensieder Pompejus. »Da ist ein Ochs am Spieß gebraten worden und Wein aus dem Brunnen geronnen.«

»Es ist schade um diesen Brauch«, nickte der Schneider Dellinger.

»Dafür wird es gleich Dukaten hageln«, tröstete Hellmer, der Geigenbauer.

Wahrhaftig, schon ritt der Oberstschatzmeister mit seinem Amtshelfer vor das Schlossgitter, und sie schleuderten mit kräftigem Wurf goldene und silberne Denktaler in den holden Pöbel.

Es lebe der König Leopold!

Ein irrsinniges Gedränge und Gebalge entspann sich. Tausend Hände haschten, Menschen stießen und beleidigten sich in ihrer Gier, Schreie des Schmerzes und wütender Enttäuschung stiegen aus der wilden Welle.

Ein alter Mann, der in rücksichtslosem Grimm nach den Münzen krallte, wurde zu Boden geworfen, und die Menge trampelte über ihn hinweg.

*

Mozart und Konstanze fuhren zum Nationaltheater. In wenigen Stunden sollte die Aufführung der Festoper beginnen.

Sie streifte mit der behandschuhten Rechten immer wieder über ihr seidenes Kleid. »Ein billiges Gewandel hab' ich an«, meinte sie unglücklich, »Und an diesem Abend sollte die Mozartin doch mindestens so schön angezogen sein wie die Kaiserin.«

»Lass gut sein, du Weltkind! Dein Kleid ist sehr hübsch«, sagte Mozart mit traurigem Lächeln. Er sah sehr abgespannt aus.

»Fehlt dir was?« fragte sie besorgt.

»Nichts, nichts! Es ist nur so drückend schwül in den Gassen da. Und ich fühl' mich unsicher. Ich fürcht' mich vor dem Abend.«

»In Prag hast du immer Glück, da kann dir nichts geschehen«, redete sie ihm die Bangheit aus.

»Geschehen wird mir nichts; die Feuerwehrmannschaft ist verdoppelt worden, und tausend Karabinieri halten das Theater umzingelt. Aber meine Oper? Ich habe wie gehetzt daran geschrieben. Und ich steck' noch zu tief in ihr drin, als dass ich sie als Ganzes überschauen und richtig beurteilen könnte. Ich hab' noch keinen Abstand von ihr und weiß nicht, ob sie gut oder schlecht ist. Und dann, wer weiß, was die Neidlinge Salierin und Kozeluch gegen mich anzetteln?«

Mozart gedachte einer italienischen Aufführung, wo man die Schauspieler mit verfaulten Pomeranzen beworfen hatte und der Theaterdirektor kniend das Volk hatte um Verzeihung bitten müssen. Doch konnte ein derartiger Unfug bei den wohlerzogenen Pragern und gar in Gegenwart der beiden Majestäten ja nicht geschehen. Immerhin, die Menschen sind unberechenbar! Ja, wenn die Heiligen, die hier diese Brücke bevölkern, zuhörten, die wären gewiss mit der Musik zufrieden.

Mozart hieß vor einer Kirche den Kutscher halten.

Er schlüpfte in den wohlig-kühlen Raum hinein, sich noch in aller Eile mit Gott zu bereden. Er zog den Handschuh aus, griff in den Weihkessel und besprengte sich.

Auf ein Kniebrett sich niederlassend, begann er wie ein Kind zu beten: »Ich komm' mit schlechtem Gewissen, lieber Gott. Es schaut so aus, als ob ich mich erst zu dir kehrte, wann mir das Wasser bis zum Hals geht. Aber du hast in den letzten drei Wochen gewiss auf mich heruntergeschaut und weißt, dass ich vor lauter Arbeit nicht recht an dich hab' denken können.«

Nach dieser herzlichen Einleitung zog er einen winzigen Rosenkranz und ein mit Silber beschlagenes Beschirmbüchlein heraus und betete. Zwischendurch überlegte er, ob er nicht doch noch in der Beichtkammer seine Seele sollte frisch ausweißen lassen. Er wusste sich voll unzulänglicher Menschlichkeit: sein Herz hatte in verbotenen Träumen gewildert, seine Zunge hatte Böses geredet, er hatte seine Hasser gehasst. Ach, die Seele, geboren für die Erde, bestimmt für den Himmel, wie soll sie sich verhalten?

Er bat seinen Namensheiligen, er möge bei den drei Höchsten im Himmel vermitteln. Sankt Wolfgang hilft den Hirten gegen die Wölfe. Möge er einem doch beispringen gegen die neidischen Krittler, die einen wie die wilden Hunde anfallen!

»Ich bin ja kein lästiger Betbruder, lieber Gott, und ich renne dir die Tür nicht ein«, flüsterte er. »Aber diesmal bitte ich dich laut: lass deinen Mozart nicht fallen! Streichle mich wieder einmal mit deiner sanften Hand! Verlass mich nur heut nicht! Von dem heutigen Abend hängt f alles ab.«

Eine wunderliche Angst durchrieselte ihn. Es schauderte ihn bis ins Mark hinein, und der ganze Leib tat ihm auf einmal weh. Ich bin krank, dachte er. Ich bin sehr krank.

In dem Gottesraum waren nur wenige Leute.

Der Geistliche betete einförmig: »Er wird mit Sonne und Mond fortdauern von Geschlecht zu Geschlecht. Er wird wie der Regen auf den Acker herabkommen und wie die Tropfen, die auf die Dürre träufeln.«

So stark betet man für den König, dachte Mozart. Man vergleicht ihn den ewigen Elementen.

Die Priester fuhr fort: »Alle seine Feinde werden die Erde vor ihm lecken. Die benachbarten Fürsten werden ihm Geschenke opfern. Die Völker des Reiches werden ihm dienen wie getreue Knechte dem Hausvater.«

Wer betet für mich? dachte Mozart. Wer betet für meine Kunst? Stammt sie nicht auch von Gott, mehr noch als die Würde des Königs?

Ein Knabe in gefältetem Chorhemdlein knickste vor dem Altar. In der Betbank schlief ein grauhaariger Alter mit vornüber gesenktem Kopf.

Der Kapellmeister drehte sich nach der Orgel um. Die Riesin leuchtete mit ihrem Zinkenwerk herunter.

»Oh, könnte sich ihr jetzt die Zunge lösen!«

Ein teuflischer Gedanke suchte ihn heim. »Ein Papagenolied mit Pfeiflein und Glöckelspiel wär' ganz hübsch zu hören!«

»Fort mit dem heidnischen Satanszeug!« wehrte er sich. »Ich bin in einer Kirche.«

Aber es jauchzte in ihm: »Papageno! Papageno!«

Er flüchtete sich vor diesem sündigen Gelüst schleunig in ein Vaterunser, blieb aber entsetzt im Gebet stecken, als er gewahrte, dass es auf der übermütig gackernden Melodie leichtfüßig und heidnisch froh zu hüpfen begann.

Von Aberglauben gepackt, sprang er auf. »Ich beleidige hier fortwährend Gott. Er wird sich rächen!«

Der quälerischen Weise zu entrinnen, lief er davon.

Ein Andachtsweiblein kauerte im Winkel neben dem Ausgang.

Er warf ihr ein Almosen in den Schoß. »Bet für mich, Mutter!«

»Wie kann ich für Sie beten?« staunte die Alte. »Ich kenne Sie ja nicht.«

Er ging eilends zum Tor hinaus und stieg in den Wagen.

»Du hast lange gebraucht«, empfing ihn Konstanze.

»Hoffentlich hat es genützt«, sagte er dumpf.

Wer kennt Gott? Und ist sein Ohr dem Bittenden errufbar? Vielleicht schreitet er einsam und gleichgültig mit seiner glänzenden Stirn über Beter, Frager und Sucher, über Zweifler und Leugner hinweg.

*

Das Haus am Carolinplatz, das unter dem säulengetragenen Giebel die edle Widmung »Patriae et Musis« führte, war gestrotzt voll. Der landsässige Adel füllte die Logen. Höflinge, hohe Beamte, Offiziere und Gelehrte, die vornehme Welt Prags und viele bedeutsame Fremde hatten sich zu dieser einzigartigen Feier prunkvollster Geselligkeit eingefunden. Die Damen zeigte sich im üppigen Staat, die Frisuren kunstvoll getürmt, die festlichen Arme nackt, um ihrer von zarten Ketten und Schnüren umschillerten Nacken willen schienen alle Perlenbänke Indiens geplündert worden zu sein. Und die Männer wetteiferten in der gewählten Pracht der Gewänder mit dem schönen Geschlecht: Seidenfrack, Puderzopf und Zierdegen funkelten in den Strahlen der prachtvollen Lüster. Der Lärm dieser Auserlesenen war ehrfürchtig gedämpft, denn der gekrönte Herr Böhmens war in ihrer Mitte.

Eben begab sich Wolfgang Amadeus Mozart zum Cembalo. Er trug einen funkelnagelneuen himmelblauen Atlasfrack und samtene, dunkelblaue Kniehosen, und seine Weste war ein kleines Weltwunder, das eine kunstreiche Fee aus Blüten, Falterschwingen und Mondschimmer schien gewoben zu haben, sie war ein Traum in den sanft andämmernden, noch zurückhaltenden Farben des frühesten Morgens, darein blasse Blumengewinde unirdisch zart gewirkt waren. Mozart glich in diesen edeln, göttlich geschnittenen Kleidern einem Märchenprinzen, der gekommen war, holdesten Zauber heraufzubeschwören.

Die Musiker hielten sich schon für das Vorspiel bereit.

Jetzt verstummte das Geräusch der Schwätzenden, das Geknister der Seide. Es war, als hielte der ganze Saal den Atem an vor einem übermächtigen Ereignis.

Und nun löste sich aus der Stille ein brausendes Händeklatschen.

Freudig kehrte sich der Kapellmeister der Menge zu, um zu danken.

Aber der Gruß galt nicht ihm, sonder dem böhmischen König und der Königin, die sich huldvoll aus der Loge neigten und sich dann lächelnd anblickten.

Mozart winkte.

Eine kriegerische Fanfare scholl.

Das Vorspiel begann und strömte vorüber.

Es ist viel zu lustig für das ernste Spiel, dachte Mozart.

Der Vorhang schwebt auf. Die Sänger erschienen in der heldischen Tracht der Alten Welt. Im Hintergrunde erhob sich malerisch das säulenstolze Rom. Alles, Musik, Gebärde und Bild, entfaltete sich in schwellender Pracht.

Mozart war nicht ganz bei der Sache. Süßmayer, der ihm die Partitur umblätterte, merkte die Zerstreutheit des Meisters und berührte warnend seinen Arm.

Die Anwesenheit der Kaiserin beirrte den Kapellmeister. Er wusste, dass sie ihn nicht leiden mochte. Sie hatte sich einmal geäußert, in seinen letzten Schöpfungen lauere der Umsturz, sie der Aufruhr gegen das gute Altbewährte deutlich zu vernehmen, seine Musik werde des Pariser Gesindels immer würdiger, das die Bildsäulen ihrer Herrscher zerstört hat, und er würde sicherlich bald eine deutsche Marseillaise schreiben.

»Warum verharre ich nicht ruhig in der Kunst unserer Zeit? Warum verbohre ich mich immer wieder in Neues?« fragte sich, während er Sänger und Musiker mit Miene und Gebärde lenkte und spornte und bändigte. »Aber dies Unruhe in mir, ist sie nicht die schönste, reichste Quelle meines Wesens? Schafft sie nicht jene Wandlung, die das wahre Leben ist? Ist sie nicht die Sehnsucht nach dem neuen Werk?«

Feurig sang der Chor:

»Serbate, o dei custodi
della Romana sorte
in Tito il giusto forte,
l' onor di nostra età!«

Ein Sturm erhob sich drunten im Saal.

Mozart atmete auf. Gott sei gedankt! Diese Stelle hat gezündet. Die Leute sind hingerissen.

Doch wieder erkannte er, dass der Beifall zu dem sich erhebenden böhmischen König hinauf brandete und dass die welschen Verse, die Titus als den Retter des Vaterlandes und als das Kleinod eines Zeitalters priesen und ihn dem Schutz der wachsamen Götter empfahlen, dass diese Worte die Zuhörer zu einer Huldigung für Leopold entflammt hatten.

»Auch gut!« begnügte sich Mozart grimmig. »Mögen alle des Künstlers vergessen, der hinter dieser Musik steht! Doch der König wird es mir danken. Er muss begreifen, dass der Ruhm der Großen von der Kunst genährt und bewahrt wird. Das Glück grüßt mich jetzt. Der dankbare Kaiser wird mir die Herrschaft über die Domkapelle zu Sankt Stefan verleihen, und meine Not ist aus.«

Die Darsteller boten ihre besten Kräfte auf. Die Stimme der Marchetti glühte wie ein Stahl in der Flamme, ihre Vitella war beseeltes Feuer. Baglioni, der den Titus gab, machte dessen unglaublichen Edelsinn glaublich, er spielte in ruhiger Erhabenheit, er benahm sich still und stolz wie ein Fremdlingsfalke; gewiss trug er normannisches Heldenblut in sich. Der Perini ließ in der Hosenrolle des Sextus vergessen, dass sie ein Weib war; kriegerisch und leidenschaftlich, mit brennender, jagender Stimme sang sie den Verschwörer. Die Bedini war als Annio ein verführerisch schöner Jüngling mit der schluchzenden Lust einer Nachtigall. Chor und Orchester erwiesen sich als des höchsten Lobes wert. Die Klarinette Stadlers tönte in blendender Meisterschaft.

Der Lump spielt wie ein Gott, dachte Süßmayer.

Und Titus begann, zur Königsloge gewandt, in ruhiger, von verhaltenem Schmerz durchschlichener Würde von dem leidvollen Beruf des Herrschers zu singen, der der beladendste Knecht seines Staates sei.

»Del più sublimo soglio
l' unico frutto è questo:
tutto è tormento il resto
e tutto è servitù.«

In diesem Augenblick sah Mozart aufschauend das blasse, ermattete Haupt des Kaisers. Es schien einsam und körperlos zu schweben.

Welch eine Stirn! Dachte Mozart betroffen. Das ist ein Furchenfeld, ein Sturzacker. Der Kaiser denkt jetzt an etwas sehr Bitteres. Er denkt an seine Sorgen. Er hört jetzt gar nicht meine Musik. Er geht nicht mit, er ist ihm entglitten. Sein Geist ist anderswo beschäftigt. Ach, ich habe mich umsonst gemüht!

Das Gerücht wird laut, Titus sei von den Empörern ermordet worden. Das Kapitol fängt zu brennen an. Ein düsteres, großartiges Bild!

Das Finale des ersten Aufzuges erschütterte den Raum. Das Erhaben, das Furchtbare fand hier seine große Form, und die geballte Musik schien stürmisch gegen das Gesetz der Natur zu ringen und zu einem greifbaren, wilden Riesenleib gerinnen zu wollen. Hier waltete äußerste Meisterschaft. Wer wagte es, ihr zu widersprechen? Wer konnte sich ihr entziehen?

Wieder spähte Mozart empor.

Der König stützte sich lässig auf der Brüstung. Sein Gesicht wer erschreckend verfallen. Machte dies die Beleuchtung? Oder hatte er die eigene Totenmaske vorgebunden? Er sah nicht aus, als folge er den Vorgängen auf der Bühne. Er mochte wohl von den stundenlangen Krönungsbräuchen heute überanstrengt sein. Wer weiß, welches Gewicht die Krone hat und wie schmerzend sie auf den müden Scheitel dort gedrückt hat?

Wieder stieß Süßmayer den zerfahrenen Künstler an.

Mozart ertappte sich, wie der träumerisch abgeschweift war und seine Oper sich selber überlassen hatte. Das war gefährlich. Jetzt in diesem Hochpunkt seines Lebens musste er sich zur strengsten Wachsamkeit zusammenraffen.

Er erfing sich wieder und leitete das sich steil aufbäumende Werk.

Doch wiederum zwang eine unwiderstehliche Macht seinen Blick empor.

Die Finger des Königs trommelten fahrig auf der Brüstung. Jetzt hoben sie sich träg zum Mund, und der war hässlich geöffnet. Und jetzt schlug Leopold mit der flachen Hand mehrmals gegen das gähnende Loch.

Mozart schmeckte einen seltsamen Missgeschmack auf der Zunge.

Er hob sich ein wenig, neigte sich gegen die Spieler und stieß den Arm von sich. Da stand sein Werk still.

Der Vorhang fiel.

Guardasoni riss Mozart in sein Zimmer. Er benahm sich wie einer, der mitten ins Feuer gesprungen ist.

»Sind Sie mit dem Beifall zufrieden?« rief er aufgeregt. »Ich nicht! Wären Italiener hier, sie würden vor Glück rasen, den Lüster von der Decke schlagen, das Theater in Brand stecken und Sie, Maestro, vor Begeisterung erdrosseln! O diese kalte Sonne Deutschlands! O diese erfrorenen Menschen! Doch kommen Sie schnell! Der Kaiser befiehlt Sie zu sich.«

Der Direktor nahm den Kapellmeister beim Arm und führte ihn durch die Gänge.

»Wie hat sich Seine Majestät zu Ihnen geäußert, Guardasoni?«

»Er hat etwas dünn getan. Er scheint missvergnügt zu sein. Kein Wunder, er ist hundsmüde! Vielleicht hat ihn auch das brennende Kapitol an Paris erinnert, an die Erstürmung der Bastille, an die Leiden seiner gefangenen Schwester Maria Antoinette. Das Bild des Brandes ist ihm jedenfalls peinlich gewesen, er hat die Augen weggekehrt. Ich habe ihn beobachtet. Es ist von uns ein dummer Missgriff gewesen, dass er an seinem Krönungstag an eine Revolution gemahnt worden ist.«

»Aber die Kaiserin?«

»Hm, die? Nun ja«, flüsterte Guardasoni, »diese Gans hat an den nackten Beinen der Römer Ärgernis genommen.«

»Das gehört auf dem Hofdichter seinen Zettel. Aber meine Musik? Was spricht man über meine Musik?«

»Das Publikum, ich leugne es nicht, ist ein wenig kühl. Es hat sich mit den zahlreichen Festlichkeiten den Magen verpappt. Es hat sich überfressen. Aber der zweite Akt muss alles retten!«

Mozart wische sich über die benommene Stirn.

Er fühlte sich in eine purpurdunkle Loge geschoben.

Der Kaiser, wie ein hoher Offizier angezogen, lehnte an einem Stuhl und sagte etwas.

Mozart verstand ihn nicht. Doch verbeugte er sich tief und stammelte: »Eure Majestät, ich schätze mich überglücklich, Eurer Majestät meine Aufwartung machen zu dürfen.«

Leopold blickte ihn mit matten Augen an. Er fragte: »Nicht wahr, Ihre Oper hat nur zwei Aufzüge?«

»Nur zwei, Majestät«, sagte der Kapellmeister.

Er küsste der Kaiserin die welke Hand.

Diese Frau trug eine so übertrieben hohe Haartracht, dass ihr Gesicht fast in der Mitte der ganzen Leibeslänge angebracht zu sein schien. Mozart sah ein schwarzes Schönheitspflästerchen und darüber zwei harte, schnell verurteilende Augen.

»Sie haben sich sehr bemüht«, sagte Leopold. Sonst nichts. Keine Silbe des Dankes, des Lobes, des Verständnisses.

Mozart war, er müsse mit einem heftigen Schrei sein zur Seite gestoßenes Werk verteidigen.

»Majestät«, sage er, und seine Qual brach bewegt durch seine Rede, »ich wünschte, ich hätte an diesem Tag mein Bestes geben können. Aber ich habe die Oper in kaum drei Wochen fertigstellen müssen.«

»Schon recht!« unterbrach ihn der Kaiser kurz und kalt.

Mozart war entlassen.

Er wusste nicht, wie er wieder zu dem Cembalo vor der Bühne gekommen war. Der Vorhang flog auf. Irgendein leuchtend bemalter Hintergrund zeigte sich. Man sang, man spielte, man bereute, man verzieh. Mozart begleitete mit den Schlägen des Cembalos die Reden, Süßmayer blätterte um. Stadler blies meisterhaft das Bassetthorn.

Eine schwere Schwüle drückte auf die Schläfen Mozarts.

Die Perini sang mit berückendem Ausdruck, mit himmlischem Schmerz und tödlicher Leidenschaft:

»Deh per questo instante solo
ti ricorda il primo amor!«

Mozart fühlte nichts mehr. Die vorüber rauschende Oper nahm für ihn eine gläserne, nüchterne Kühle an. Ihm war, als habe ein fremder Neapolitaner das Ganze geschrieben, nicht er. Es ist ja alles nur blödes Traumgebrodel, dachte er. Wann erwache ich daraus?

Und Titus verzieh und verzieh, und seine endlose Großmut war nimmer menschlich.

»Zum Teufel! Diese ganze Sache war ein überhastetes Machwerk, war überlebter Wust. Warf denn noch immer niemand eine vermottete Perücke auf die Bühne?!

Gleichgültig sah Mozart in den Zuschauerraum. Was da das Fest versammelt und die Neugier angelockt hatte, das waren keine fühlenden Menschen, das war eine tote, geschminkte, auf geputzte Larvenwelt. Grinste dort nicht die verhasste Fratze Kozeluchs? Ach, was lag daran?

Maschinenhaft führt Mozart sein Werk zu Ende.

Der Saal spendete den üblichen Beifall.

Die königliche Loge war leer.

Mit dumpfem Widerwillen verließ Mozart die Bühne. Ihm schwindelte. Ihm war, ein zorniger Engel stütze die Posaune auf eine schwarze Wolke. Blies er zum Gericht?

Süßmayer presste seinen Arm. »Meister, es ist herrlich gewesen!«

»Räumt die Bühne ab!« spottete Mozart. »Das Leben ist eine schlechte Komödie.«

»Schweig Esel! Du verstehst nichts. Die Oper ist durchgefallen! Durchgefallen! Durchgefallen!«

Guardasoni kam verstört daher.

»Durchgefallen!« stöhnte Mozart.

»Keinesfalls, Maestro! Freilich: Ihre Majestät die Kaiserin ist sehr übel gelaunt.«

»Was hat sie an dem Stück auszusetzen?«

»Es fällt mir schwer, ihr Urteil zu wiederholen. Es ist ja ganz unberechtigt. Die Oper ist ohne Tadel, und kein anderer Künstler unserer Zeit hätte sie so stolz und würdig schaffen können.«

»Was hat die Kaiserin gesagt?«

»Nehmen Sie diese Frau nicht ernst! Vor Aufregung ist ihr das schwarze Pflästerchen von der Wange gefallen. Sie hat gesagt: ›Porcheria tedesca!‹ Deutsche Schweinerei!«

Wie eine Säge kreischte dieser Schimpf Mozart durchs Gehirn.

Er taumelte, als sei ihm ein furchtbarer Schlag versetzt worden.

Dann lief er blindlings eine Stiege hinab und zu einer Seitentür hinaus.

Hinter ihm verhallte der bittende Ruf Süßmayers.

Planlos lief er durch die belebte nächtliche Stadt. Überall war froher Aufruhr, die Menschen schwätzten und lachten und freuten sich, in den Bierstuben fiedelte und tanzte man.

»Deutsche Schweinerei!« gellte es durch Mozarts Seele.

Die kalte, schläfrige Stimme des Kaisers hatte geschnappt: »Schon recht!«

So also dankte man dem Künstler für die treue Mühsal, für Kampf und Liebe, für das Opfer der schlaflosen Nächte. Wie wird der Kozeluch grinsen und der Salieri hämisch lächeln!

»Und der Kaiser wird von mir die Hand abtun, jetzt, wo ich krank und müde bin! Ich habe nichts mehr zu hoffen.«

Deutsche Schweinerei!

Beleidigt diese fremde Frau nicht in seinem Werk ganz Deutschland! Deutschland, dessen Kaiserin sie ist?

Warum hat man dieser heikeln Dame als Festspiel nicht jenes französische Stück aufgetischt, wo dem dicken Onkel eine Spritze Leuchtgas in den Leib klistiert wird und er sich schließlich in die Luft hebt und davonfliegt? Das Stück ist seinerzeit in Paris sehr beliebt gewesen. Die Frau Königin hätte gewiss dafür auch Bewunderung empfunden.

»Durchgefallen!« murmelte er. »Jetzt bin ich tiefer gefallen, als ich vorher hochgestiegen bin. Einst mit Weihrauch bequalmt, jetzt als unfähiger Künstler verjagt!«

Heiße Hämmer schlugen an seine Schläfen.

Er irrte durch enge, abseitige Gassen. Bejahrte Gebäude, verstörte Giebel düsterten. Hierher scholl der Festjubel nicht. Hier durchdrang die neue freundlichere Zeit noch nicht das Altertum. Hier mochte einst der finstere, weltfeindliche Hus geschritten sein.

Mozart lehnte sich, von plötzlicher Schwäche ergriffen, an ein verschlossenes Tor.

Das Haus war so lautlos, als sei darin alles gestorben. Die kleinen Fenster stierten schwarz und tot.

Über der Schlucht der Gasse klebte der unfertige Mond wie ein hässliches Muttermal.

Lange lehnte Mozart an dem Tor, vielleicht stundenlang. In seinem Gehirn dröhnte es, denken konnte er nicht. er stand in seiner Armut, die Schultern gesenkt, niedergedrückt von seinem Schicksal.

Fern sang ein einsamer Trunkener ein verworrenes Lied.

Eine rußige Gassenlampe brannte matt und beschämt.

Die Häuser rings drohten mit bösen, verbissenen, beschmutzten Gesichtern. Es wohnte darin gewiss lauter Feinde, und sie lauerten, was der verlassene Mensch draußen mit sich vorhabe. Wie es mit ihm enden werde.

War dies hier das anrüchige Haus, wo Doktor Fausti höllischer Rabe ein und aus flog? Und was geschähe, wenn er das versperrte Tor da aufrisse? Würden ihm nicht die ungeheuren Geister entgegenstürzen und schreien: »Mozart, wir haben dich besiegt!?« Oh, nur nicht rühren an dieser rostigen, tückischen Klinke!

Ein Nachtgänger näherte sich. Grauenhaft öd spukte der Nachhall seines schleppenden Schrittes. Eine eulenhafte Hakennase. Er sah Mozart mit feurigen Augen an. Er nahm die Enden seines grauen, geteilten Bartes in die Hände und redete in hastigem Judenwelsch den Einsamen an. Er redete Unverständliches. Kopfschüttelnd entfernte er sich wieder.

Die Luft war peinigend schwül. Widerwillig atmete Mozart sie ein. Sie kam von Süden her. Vielleicht war sie in Italien vergiftet worden.

Ein Schrei schnitt in die Stille.

Was geschah da? Wurde jemand überfallen? Ein Weib? Ein reicher Fremder in dem verrufenen Stadtviertel?

Ein Sturm setzte urplötzlich mit wilder Kraft ein. Er rüttelte an den schwarzen Dächern und den unholden Toren, er zerrte an den Schildern, dass sie kreischten, und er ließ die Fenster klappern. Es donnerte leise. Schwere, schwüle Tropfen fielen. Dachrinnen huben einförmig zu plaudern an.

Mozart raffte sich auf und ging.

Häuser standen wie verbrauchtes Gerümpel. Dürre Ratten rauften schattenhaft um die Abfälle der Gosse. Es roch abscheulich wie in einer Kuttelwäscherei. Mischte hier der Satan die Gestänke seiner Hölle?

Mozart gewann eine breitere Gasse. Hier schliefen Adelspaläste. Alle Tore waren geschlossen, alle Fenster erblindet. Es mochte schon sehr spät sein.

Der Schritt hallte gespenstisch. War ihm ein Doppelgänger an den Fersen?

Er presste die feuchten Hände an das regennasse Gesicht. »Über einem tauben Ei hab' ich gebrütet«, murmelte er. »Meine Oper ist Schleuderwerk. Ich selber bin schuld.2

Er hielt plötzlich vor der Moldau.

Der Himmel hatte sich eingewölkt. Es gab keine Sterne mehr.

Mozart bestieg eine Fähre, die flussüber vor das Aujezder Tor leitete.

Ein grauer Ferge ruderte. Eine charontisch hagere Gestalt. Der Bart wehte in wilden Strähnen von ihm weg.

Schiefer Regen peitschte nieder. Nebel flog über die Moldau.

Der Kapellmeister war der einzige Fahrgast in dem dunkel umrauschten, schwanken Kahn.

Wohin führt mich der stumme Ruderknecht? Schauderte er. In die finstere Herberge? In das bleiche Land, dessen Name mir nicht über die Lippen will?

Die Spannung der Nacht befreite sich in einem ungestümen Gewitter. Die Blitze verzackten sich, die zornigen Wolken brüllten. Donnerstoß drängte an Donnerstoß, sich verstärkend an den Mauern der hohlen Stadt. Das Feuer des Himmels enthüllte zuweilen die verängstigte Landschaft, den Leib des Stromes, das Getürm des Wyschehrad. Der Regen plätscherte.

Gott und Teufel unterhalten sich jetzt über mich, dachte Mozart. Was rumpelst du das droben mit dem Theaterblech? Sei still! Es ist alles sinnlos.

Wie er dem Alten im triefenden Wettermantel ins Gesicht sah, erschrak er furchtbar. War das nicht der graue Bote? Oh, dieses höhnische Wissen in dem alten, verhagerten Gesicht! War das nicht das böse Urgespenst des Todes?

Er hetzte dem Fluss entgegen.

In der Finsternis hörte er das Wasser an den Baumwurzeln zerren.

Der Tross der plumpen Wolken verzog sich, der Sturm erschlaffte, das Wetter schied.

Mozart stand vor dem Stein, den das Volk ›den Wassermann‹ nannte.

Er ließ sich auf dem feuchten Block nieder.

Die Moldau sang ein urhaft dunkles Lied, das Anfang und Ende als Erinnerung und Ahnung in sich barg. Oft war es, sie halte in ihrem Gange inne und sterbe.

Das Gestirn zeigte sich wieder.

»Ich glaube nimmer an die Sterne«, flüsterte Mozart. »Ihr Sterne seid ohne Zahl, und doch ist keiner unter euch, der mir gut ist. Was hüllt ihr euch in euer immerwährendes Schweigen? Worauf wartet ihr? Wozu seid ihr da? Warum atmest du, Weidenbaum? Warm rührt sich jener Grashalm dort? Warum wandert der Strom ewig dahin? Gibt es einen Zweck, ein Ziel? Ach, was frag' ich?! Es antwortet doch niemand.«

Er stützte das Kinn auf die Faust.

»Was hab' ich mit dem Kaiser zu schaffen? Dieser Kaiser ist doch nicht der Mensch voller Größe, Wärme, Weisheit, Güte und Kraft, wie ihn die traurigen Liebediener zeichnen. Sie tun, als wolle er die diamantene Krone den Bettlern seines Reiches schenken, ihnen zu helfen. Sie tun, als wolle er wie ein Heiliger dem armen Mann, dem er begegnet, die wunden Füße küssen. Und ist doch Leopold nur ein belangloser Mensch, der alles nur dem verdankt, dass eine hohe Frau ihn geboren hat. Er versteht nichts von meiner Kunst. Ich tauge ihm nur, dass ich ihm leichtfertige Tanzmusik schreibe für seine Ballfeste. Was habe ich mit ihm zu schaffen?!«

Der Einsame dachte an Gott. In seiner Kindheit hatte er sich ihn als langbärtigen Vater geträumt, als freundlichen, hilfreichen, alten Mann, den goldenen Lehnstuhl auf vier Sterne gestellt, und vierzehn Engel um ihn her, jeder sein Harfenspiel in der Hand.

»Wie ein Kind hab' ich mich immer voll Vertrauen deinem Willen angeschmiegt, Gott«, sagte der bange Mensch. »Aber liebst du wirklich deine Schöpfung, wie ich allezeit geglaubt habe? Oder belauerst du, ein eisiger Übergeist, die Erde drunten und willst nur deine Laune und deine Neugier an dem Tun und dem Leiden der Menschen befriedigen? Hast du dir mit der Erschaffung der Welt nicht einen ungeheuren Spaß machen wollen? Wer hat Tag und Nacht und immer ein solches Theater vor sich wie du, Gott? O ich armer Hanswurst!«

Er bebte vor der empörerischen Kühnheit seiner Gedanken zurück. Wie redete sein Herz, das immer so fromm und gläubig gewesen und Gott gefürchtet hatte?

Er erinnerte sich seines Werkes. Wie einen lichten Sternkranz sah er um sich den »Idomeneo«, »Die Entführung aus dem Serail«, »Die Hochzeit des Figaro«, »Don Giovanni«, »Cosi fan tute«, die drei großen Sinfonien und die noch unvollendete »Zauberflöte«. Wie viel Herrliches war ihm schon gelungen! Und die feierlichen Messen, die Sonaten, die Konzerte, die Tänze, die Lieder! Und doch schwebe es wie ein Fluch über seinem Leben!

»O diese unselige Krönungsoper!« knirschte er. »Sie ist nicht aus meiner reinen Kraft gewachsen, mit Gewalt hab' ich mir sie abgenötigt. Warum hab' ich meine Hände nicht von ihr gelassen? Um des verfluchten Geldes willen bin ich mir selber untreu geworden. Oh, nur der ›Titus‹ ist schuld, wenn ich die ›Zauberflöte', wenn ich das Requiem unfertig hinterlasse!«

Eiskalt zuckte es durch seinen Leib. Woran hatte er jetzt gedacht?

An den Tod.

Drang nicht ein Stöhnen aus der Kehle der Nacht? Hallte nicht ein scheuchender Gespensterruf über den Strom herüber? Was raunte aus der Tiefe der ziehenden Moldau?

Gleißte nicht durch die Finsternis eine Hippe?

»Oh, die Natur ist seherisch!« flüsterte er. »Sie hat mich so heftig und schnell schaffen lassen, weil ich frühzeitig abberufen werden soll!«

Er dachte an Jesum, der in völliger Einsamkeit am Ölberg gelegen war.

Er sagte: »Mein Engel hat mich verlassen!«

Er schien sich versiegt. Konnte er nun weiterleben, kläglich geklammert an die Trümmer einstigen Ruhmes?

Wie ein Waldtier seien verwundeten Leib beklagt und keuchend sich zum Sterben vorbereitet, lag Mozart auf dem Stein, ein zertretenes, verzweifeltes Geschöpf.

Ja, sterben! In Gottes schwere, stille Finsternis tauchen! Nimmer zu den Menschen zurückkehren, nimmer zu Konstanze, nimmer zu den Kindern! Das Wasser hier wird ihn stumm empfangen, wird sich kreiselnd über ihm schließen.

Sein ganzer Leib flog vor Aufregung, als er zur Böschung hinwankte.

»Greif zu, Tod! Greif schnell zu!«

Wehe, was wollte er tun?! Darf ein Mensch sich selber töten? Gott hat es verboten. In Gottes Händen soll alles Ende ruhen!

Der schuldlose Fluss wird den mit einer himmelschreienden Sünde befleckten Toten ausstoßen, an fremdem Ufer wird Mozart liegen, Fischer werdenden Unbekannten begraben.

Und unvollendet wird sein Werk trauern.

Da schrie es gewaltig in seiner Seele auf: »Ich muss leben!«

Und er kehrte sich von dem Strom ab und rannte durch die triefenden Wiesen landeinwärts.

*

In der Vordämmerung des neuen Tages langte Mozart n der Betramka an.

Das Landhaus war noch erleuchtet. Man erwartete ihn, die ganze Nacht hatte man aus Sorge um ihn nicht geschlafen. Auch Franz und Josepha Duschek kamen ihm mit übernächtigten, trauernden Augen entgegen.

»Wie schaust denn du aus?!« empfing ihn die verweinte Konstanze. »Grau wie der leibhafte Aschermittwoch! Und der schöne, neue Anzug! Ganz verregnet ist er, ganz verdorben!«

»Aus mir wird noch einmal eine tüchtige Hausfrau«, sagte er bitter.

Das Ehepaar Duschek verließ heimlich das Zimmer.

»Wie hast du uns alle so ängstigen können? Wohin bist du denn gelaufen? In ganz Prag haben wir dich suchen lassen.«

Mit halb gebrochener Stimme erwiderte er: »Wenn ich nicht so feig wär', hätt' ich mich selber umgebracht!«

Sie schrie auf. »Ja, warum denn?«

»Es fällt mir schwer, den gestrigen Abend zu überleben.«

»Du Narr, es ist doch ein schöner Erfolg gewesen! Alles ist begeistert! Ich begreif' dich nicht.«

»Der Kaiser hat sich gelangweilt. Und sie hat geschimpft.«

»Die spanische Docke soll nur nicht gar so gespreizt tun! Die Oper hat gefallen. Mit wem auch ich geredet hab', jeder ist zufrieden.«

»Ich weiß es besser, Frau. Man kann mir nichts vormachen. Ich hab' in dieser Nacht mit mir abgerechnet. Keine Note mehr schreib' ich!«

»Das sagst du nur so. Du musst ja komponieren, wie du atmen und essen musst!«

»Keine Note mehr schreib' ich!« schrie er trotzig.

»Und wovon sollen hernach deine Kinder leben?«

»Ich geb' Klavier- und Geigenstunden, wenn ich auch weder Geschick noch Liebe dazu hab'. Ich such' als reisender Orgler in den Kirchen armer Bauern mein Brot. Ich geh als Bettelmusikant ins Gäu. Alles tu ich, nur nimmer komponieren!«

»Aber Wolfgang, so verzweifle doch nicht so schnell! hab' doch Geduld mit dir!«

»Ich bin fertig. Was soll ich denn noch anfangen? Ich bin ein baufälliger Mensch. Ich bin alt.«

»Du und alt? Du bist ja noch nicht einmal sechsunddreißig Jahre alt!«

»Ich bin uralt«, murmelte er.

Blaue Schatten hafteten unter seinen Augen; sein Mund war verzerrt, als habe er etwas Abscheuliches gekostet; die Stirn zerrissen, die Schläfe welk; die Nase sprang weit aus dem verfallenen Gesicht.

»Ich bin eine ausgebrannte Lampe. Und mit den Pragern hab' ich mir es verdorben, ich hab' gründlich enttäuscht. Heut schon werden die Steiniger die Steine gegen mich aufheben.«

»Was bildest du dir ein, Wolfgang? Mein Gott, lebst du dich schwer!«

Er schlug mit der Faust auf das Spinett. Ein hässlich klirrender Knäuel von Tönen antwortete daraus.

»Ich selber glaub' nimmer an mich. Ich bin fertig. In mir ist es tot wie in einem Friedhof.«

Er riss seine Geige ans Kinn und kratzte mit dem Bogen ohrenmörderisch zwischen Steg und Saitenhalter.

»Hör auf!« rief seine Frau. »Leg dich ins Bett! Du frierst! Du fieberst!«

»Ja, ich will schlafen! Schlafen!«

Er sah sich im Spiegel gähnen.

Wer gespenstert dort aus dem Glas? Wem gehörten diese leeren, glanzlosen, ermüdeten Augen, diese bittere, gerunzelte Stirn, dieser Mund, welk von Lüsten, zerfressen von Flüchen? Dieses gemeine, abstoßende, der Liebe unwerte Gesicht?

»Der fahle Siechling da soll ich sein?« murmelte er. »Warum bin ich so? Vater und Mutter sind doch schöne Leut' gewesen! Ach, dieses Affengesicht gehört mir! Wie hasse ich mich!«

Aber dann bettelte er in unsäglicher Angst: »Stanzel, du wirst sehen, das Requiem, wenn ich es fertig bring', das ist für mich selber geschrieben! Stanzel, ich will ja noch nicht sterben! Schmink mich! Schmink mich, dass ich den Tod täusche!«

»Hör auf, hör auf!« kreischte sie und verließ flüchtend das Zimmer.

Er starrte sich betäubt noch einmal im Spiegel an. O dieses Gesicht! Zergraben, gramvoll, weltalt, hässlich! Seht, welch ein Mensch!

Draußen vor der Tür schnatterte Konstanze. Sie schüttete jemandem ihr Herz aus.

»Kein Mensch ahnt, was ich ausstehen muss!« jammerte sie. »Ich will ja von dem ›Titus‹ nichts reden. Dem geschicktesten Künstler muss manchmal was schief gehen. Aber er kapriziert sich jetzt alleweil auf eine so verzwickte Musik, dass es gar kein Wunder ist, wenn niemand mehr sie hören will.«

Mozart hielt sich die Ohren zu.

Ein Abgrund trennte ihn von diesem Weib. Was wusste sie von ihm? Was wusste sie von seinem Leid, von seinen verschwiegenen Kämpfen, was von seiner ringenden Kunst, die sich ernst und vertieft abkehrte von der Tändelei dieses Zeitalters? Sie kannte nicht das erste und höchste Gebot des Künstlers: treu sich selber. Sie ahnte nicht, wer er war und was er wollte. Sie saß mit ihm zu Tisch, sie lag mit ihm im Bett, sie freute sich, wenn er Geld verdiente. Das war alles. Nein, es war bei der Gefährtin, bei dem eigenen Weib nicht Trost zu finden und Verständnis. Er stand in toter Einsamkeit.

Halb angekleidet warf er sich aufs Bett. Er hüllte sich in die Decke, denn ein feindlicher Frost durchrieselte ich. Sein von vielem Nachtwachen, von Aufregung und Schmerz erschöpfter Geist verwirrte sich. Posaunenstöße tönten an sein Ohr. Ließ der Tod ihn grüßen? Rauschte er selber heran?

Ja, einsam sterben wollte er nach seinem einsamen Leben! Und jede Menschenhilfe verächtlich von sich stoßen! Verkommen zur Schande der Menschheit!

»Prag, Prag! Was tust du mir? Erst krönst du mich, jetzt schlägst du mich ans Kreuz!« klagte es in ihm auf.

»Aber ich darf noch nicht sterben. Jetzt noch nicht. Meine Kinder sollen nicht hungern und frieren. Und dann hab' ich mich verpflichtet, das Totenamt zu schreiben.«

Er raffte sich auf, als wolle er fortwandern und weithin fliehen, dass der Tod, wenn er käme, ihn nimmer im Bett hier fände.

Doch das Bett schwang wie ein Nachen auf bewegt rollender Flut, und Mozart sank zurück, und sein Geist harrte der Gesichte, die sich seiner bemächtigen wollten.

Siedende Nacht um ihn. Seine Zunge ist trocken und mit dürrer Asche belegt, an seiner Lippe tanzt eine Flamme. Ihn dürstet sehr. Wenn es jetzt hagelte, er täte den Mund weit auf, dass die kühlen Schlossen hineinflögen. Wie müsste das erlösen! Morgen früh, wenn diese Finsternis sich lockerte, will er Wasser holen und es gefrieren lassen, dass es Eis, recht viel Eis habe. Denn das Eis ist das süßeste Glück auf Erden.

Eistürme wallfahren auf dem Fluss an ihm vorüber; Gebirge mit grünlichen Gletschern schroffen auf, doch fern und unergreifbar. Es ist eine unklare, verworren erregte Landschaft, und der Träumer ist eigentlich froh, dass er sie nur ungenau wahrnimmt.

Auf einmal aber ist die Gegend wie eine Stube eingerichtet. Und Mozart schleppt sich zu dem schmalen, dürftigen Notentischlein. Er muss schreiben und schreiben. Das Requiem muss er abliefern. In der Abendluft um ihn schwimmen gräuliche Fische mit geblähten Stachelkröpfen und scheinen den Fleiß zu überwachen. Sie gleiten über Spind und Spinett hinweg und um den Kerzenleuchter herum und glotzen.

Oder ist dies gar keine Kammer und sitzt Mozart schon auf dem Grund der Moldau?

Ein bronzener Sarg glimmt. Auf seinen Ecken sind gekrönte Totenschädel fletschend aufgereckt in furchtbarer Herrscherpracht. Oho, man ist in die Kapuzinergruft geraten! Und stiere Grinser, grau und grauenhaft, lehne irgendwo, und Wechselbälge quaken und quengeln und wollen ihr schmerzend ödes Gewäsch nicht enden. Und schauerlich-lebhafte Schatten fuchteln an der Wand.

Aber was murmelt draußen im dunkeln Wind? Murmelt es deinen Namen, Mozart?

Eine luftige Horde wandelt vorüber und starrt ihn an. Der mit dem blutigen Degen, mit dem stechend-tollen Auge, das ist Don Giovanni, der mit dem Federgewand Papageno, der Mohr mit den schwülstigen Lippen und dem grellen Gebiss ist Monostatos. Der steinerne Gast reitet auf, der Barbier Figaro schwenkt sein Becken. Der herrische Graf Almaviva, der feine Page Cherubin, der zitternde Maulreißer Leporello, der treue Prinz Tamino schweben heran. Schöne Frauen und reizende Mädchen winken ihm trauernd zu: Donna Anna und Donna Elvira, das neckische Zöflein Susanne, die Gräfin mit den stillen Dulderaugen, die wilde Königin der Nacht im Sternemantel, die holden Schwestern Fiordiligi und Dorabella und andere noch, viele andere, derer er sich nur dunkel erinnert.

Geliebte Gestalten, verlasst mich nicht! Verlasst nicht euern Bildner! Umringt ihn und verteidigt ihn! Denn die Aaswölfe wittern schon sein totes Herz.

Eine frische, schalkhafte Bauernbraut tänzelt zu ihm hin. »Wer bist du? Ich kenn' dich nicht.«

Unsäglich schwer ringt es sich von seinen versengten Lippen: »Zerline, mein Kind! Ich bin der Mann, der nimmer schlafen kann. O bete, dass ich wieder schlafe!«

Ein weiß gekleideter, hoher Priestergreis nickt ihm gütig zu. Sarastro. Er sagt rätselhaft: »Bald! Bald!«

Von einer lieblich-wilden Musik getragen, wallen die schönen, teuren Schatten vorüber und verdämmern.

Aber nun tritt eine edle Frau in den Lichtkreis, der Mozarts Tisch umgibt. Sie schreitet nicht, sie schiebt sich mit geschlossenen Füßen langsam heran. Ihre Augen suchen.

»Mutter, kommst du mich trösten?« flüstert Mozart.

Sie schweigt und steht wie eine schwermütige Säule. Sie ist ja schon so lange tot und hat die Rede verlernt. In Paris ist sie gestorben, das er noch ein Knabe und mit ihr allein in der Fremde gewesen ist.

»Mutter, wie geht es dir?«

Er will ihr die Hand reichen, aber er kann sie nicht heben. Sie gleißt grau und ist schwer und ist Blei.

Wie ein Schleier hängt es vor den Augen der Frau. Diese Augen sind nicht irdisch, sie sind fern und führen keinen Blick. Aber sie wissen, was Mozart denkt.

»Ich sehe dich gut«, raunt die Frau. »Aber du siehst mich nicht.«

»Mutter! Mutter, warum kommst du zu mir?«

Schon halb wieder in Dämmer gelöst, sagte sie mit schwindender Stimme: »Ich bin nicht zu dir gekommen, sondern du zu mir.«

Mozart will bitten, will die Hände falten, dass sie noch verweile. Aber er kann nicht, denn ihm fehlen plötzlich die Unterarme. Und so sitze er regungslos und weiß, dass auch er bald hinüber fließen wird ins Nichts.

Um seine Schläfen raschelt ein welker Kranz.

Er kann die Zeit nicht schätzen. Vielleicht sitzt er schon ein Menschenleben lang hier. Und fremde, klare Klänge erheben sich wie Türme und folgen einander in langen Abständen und wandeln ins Unendliche hinaus.

 

Als der Kapellmeister erwachte, wunderte er sich, dass er noch auf Erden war, und er bestaunte sich selber, seinen Leib, seine Brust, seine schmalen Hände, seine hellen, langen Finger, und er kam sich wie ein fremdes Wunder vor.

Die Uhr wies gegen Mittag. Das Zitronenvöglein im Bauer übte sein zierliches Lied.

Mozart wusch sich schweigend und kleidete sich um.

Eine Blume, die Konstanze unachtsam im Glas hatte verdorren lassen, sah ich vorwurfsvoll an.

 

Im Garten eilten ihm Franz und Josepha Duschek mit inniger Bewegung entgegen.

Aber er sagte trüb: »Da seht ihr, wie Gott mich verhätschelt! Wollt ihr noch meine Freunde sein?«

»Immer, immer!« rief Duschek und umschloss stark und warm die schmalen, matten Hände des Meisters.

»Ich hab' das Spiel verloren«, sagte Mozart. »Der Kaiser hat die Oper verurteilt.«

»Der Kaiser ist gestern müd' und abgehetzt gewesen. Du musst auch in verstehen!«

»Dann hätte er sich ein Ballett mit strammen Tanzfräulein bestellen sollen!«

»Was liegt dir schließlich an seiner Rede und was an dem dummen, unüberlegten Wort einer kränklichen, überreizten Frau? Du bist mächtiger als der kaiserliche Herr. Er kann in einem Aufruhr abgedankt werden. Du aber hast ein ewiges Reich, und dein Königtum nimmt dir niemand.«

»Franz, erst gestern hab' ich versagt!«

»Die Prager haben versagt. Sie sind übersättigt von den tausend lärmenden Lustbarkeiten dieses Festes und können nimmer Gut und Böse unterscheiden. Dein ›Titus‹ beweist wieder deine Meisterschaft, wenn er auch nicht die Höhe deiner übrigen Opern erreicht.«

»Ich bin einen Irrweg gegangen, Franz.«

»Nein, die Krönungsoper ist kein Irrweg, sie ist nur ein abgelaufener Weg. Das Genie zehrt nicht von dem Gewesenen, sondern es verjüngt und bestätigt sich immer wieder in einem neuen, lebendigen Werk. Und dazu sind bei dir die schönsten Bedingungen gegeben: du beherrschest die geschmeidig-vornehme Art der Franzosen und die spielerische Anmut der Italiener, du weißt, wie dem Alpenbauer der Schnabel gewachsen ist, in dir singt das lebensfrohe Wiener Blut, in dir ist Jauchzer und Psalm. Und zu all dem gibst du dein heißes, empfindsames Herz, dein auf Erden einziges musikalisches Wesen. Was fehlt dir?«

Die stille, überzeugende Art Duscheks beruhigte den gekränkten Künstler, der jähe Schmerz schwoll ab.

»Ich bin kein Meister des Lebens«, flüsterte er.

»Schlag die ›Zauberflöte‹ deinen Feinden als Trumpf ins Gesicht!« lachte Duschek.

»Du hast leicht reden«, murmelte der Kapellmeister.

»Das Glück steigt und sinkt, aber dein Wesen bleibt«, sagte Duschek eindringlich. »Du bleibst du. Wolfgang, du hast einmal das Lied geschrieben: ›Ich möchte doch der Kaiser sein!‹ Sag mir ehrlich, könntest du auf dich verzichten und mit dem Herrn droben auf der Burg tauschen?«

»Niemals!« rief Mozart heftig.

»Da siehst du es, Freund! Und kommt es dir denn gar so viel auf den augenblicklichen, auf den äußeren Erfolg an?«

Der Meister schüttelte den Kopf.

»Mozart, bei dir heißt es: erlittenes Unrecht verschmerzen, unverdienten Tadel verachten und Verkennung, Übergehung, den Hochmut hohler Herren und die Ränke niederer Feinde herzhaft ertragen! Sei still und horche in dich hinein! Deine innere Musik sinkt unmittelbar von den Sternen auf die herunter. Was vermag alle Missgunst der Welt gegen dich?«

Von seiner eigenen Rede betroffen, wandte sich Duschek rasch ab, seine Erregung zu verbergen. »So, und jetzt gehe ich und suche die schönste Blume im Garten für dich.«

Josepha aber legte ihren Arm leise auf den des Meisters und führte ihn zu dem sonnigen Haus. Sie sah ihn an. Seine tausendmal verletzte Seele hatte sich tief und ganz in dieses trübe Auge zurückgezogen.

»Kind, es ist nichts umsonst«, sagte Josepha. »Du musst deine Kunst mit Leid bezahlen. Dein Leben darf nicht in friedlichem Gleichklang verlaufen, immer wieder musst du durch die Flamme dringen. Leide, Mozart! Aber lebe und schaffe!«

»Ich danke dir«, sagte er.

Sie waren in das Haus getreten.

»Lass mich noch einmal das Lied der Vitella singen!« bat sie.

Er sagte traurig: »Du singst in eine zerbrochene Laute.«

Sie glühte ihn an: »Ich glaube an dich wie an den dreieinigen Gott.«

Da setzte er sich gehorsam ans Spinett. Wie Zauber sprang es von ihrer Zunge:

»Non più di fiori va ghe catene
discendar Imene ad intrecciar.
Stretta fra barbare
aspre ritorte
veggo la morte
ver me avanzar.
Infelice, qual orrore!
Ah! di me che sidirà?
Chi vedessi il mio dolore,
pur avria die me pieta.«

Erschüttert von der Kraft des Werkes, erschüttert von dem alles Leid ausschöpfenden, erhabenen Ausdruck dieser Frauenstimme, rief Mozart im Wirbel wunderbarster Gefühle: »Niemals, niemals hab' ich so schön singen hören! Niemals in meinem Leben! Oh, sing mir dieses Lied einmal über meinem Grab!«

Und in neuer Sehnsucht hob er die Arme hoch: »Allmächtiger Gott, gib mir noch ein Werk! Nur noch ein einziges Werk!«

Er bedeckte die Augen und weinte.

*

Prag schwelgte. Auf dem Schloss, in den Palästen und Gärten und auf den Inseln lösten Lustfeuerwerke, öffentliche Festtafeln, Kammerbälle für den Adel und Hofbälle für das Bürgertum, Tänze mit Fackeln und Masken prunkvoll einander ab. Tokaier glühte, Champagner schäumte. Und Chirurgen und Hebammen wurden bei den riesigen Volksfesen für alle Möglichkeiten bereit gehalten.

Die Kaiserin wurde im Dom von ihrer Tochter, der jungen Äbtissin des Adeligen Damenstiftes am Hradschin, zur böhmischen Königin gekrönt.

Leopold besichtigte Kasernen und Schulen und die Sternwarte, er begnadigte im Spinnhaus die reuigen Verbrecher. Er wusste überall sehr gescheit zu fragen und erwies sich darin als würdiger Bruder Josefs des Zweiten. Im Teich des Bubentscher Gartens fuhr er in der roten Gondel und fischte, er jagte in den Lichtensteinschen Wäldern bei dem Schloss Kolodey. Er ergötzte sich an den Reitkünsten und an den gelehrigen Tanzrösslein am Tummelplatz, und bei dem Schützenfest auf der Insel Klein-Venedig schoss er mit wenig Glück auf die Scheibe. Er sah beim Invalidenhaus einer mächtigen Übung seiner Truppen zu, sie schmissen die Beine hoch und feuerten die Gewehre stramm und pünktlich ab, und Leopold lobte sie wegen der Fertigkeit und Genauigkeit, womit Offiziere, Feldwebel, Wachtmeister und Gemeine die gestellten Aufgabe lösten.

Der Luftschiffer Blanchard stieg, bloß in einem Stricknetz hängend, vor dem allerhöchsten Hof und in Gegenwart einer ungeheuren Menge von Gaffern in die Lüfte, und als sein Ballon sich prächtig wieder niederließ, bildete der eben prall aufgehende Mond sein würdiges Gegenstück. Der geistliche Dichter Schönfeld verewigte dies Geschehnis in einem Gedicht:

»Was sagte der kühne Lüfteberuderer dem Himmel?
Er sagte ihm die Freude der Erde.
Was sagte der wiederkehrende Blanchard der Erde?
Er sagte ihr die Freude des Himmels,
dass Leopold und Luise gekrönet worden
zu Herrschern des böhmischen Landes.«

Leutselig besuchte der König die theatralische Perspektive der Herren Pierre und Degabriel im Haus ›Zur eisernen Tür' und äußerte aufs Schmeichelhaftete den Besitzern seine Bewunderung dieses mechanischen Werkes. Er sah zuerst die Dardanellen mit ihren Festungen: russische Kriegsschiffe feuerten heftig die Kanonen ab, um den Eintritt in die Meerenge zu erzwingen; und in der Ferne stiegen die Minarette Konstantinopels auf und der berühmte Berg Olymp. Hernach wurde eine die Natur täuschend nachahmende Vorstellung gegeben: das Meer ruhte glatt und still unter dem friedlichen Himmel; Wolken zogen auf und verfinsterten allmählich den Tag, Wetterleuchten kündete Sturm an; das Gewässer wurde unruhig, es schlug Wellen und schwoll; die Unruhe tobte, Regen schlug nieder; ein Schiff kämpfte gegen die empörte See, der Blitz traf es, und es ging langsam unter; die Matrosen retteten sich schwimmend auf einen Felsen; eine Schaluppe kam ihnen zu Hilfe, ihre Bemannung legte Leitern an die Klippen; indes klärte sich der Himmel, und wieder lag das Meer ölglatt und beruhigt. »Eine herrliche Täuschung!« sagte der Kaiser. »Das lebt alles! Und es übertrifft an Wahrheit alles, was ich bisher in dieser Art gesehen habe.« Der junge Erzherzog Karl soll darauf spöttisch gesagt haben: »Es übertrifft an Wahrheit die Natur selber.« Und die Königin habe geklagt: »Ich habe genug. Man wird ordentlich seekrank davon.«

Huldvoll nahm Leopold das Geschenk der Stände entgegen, das ihm auf einer Silbertasse überreicht wurde: hunderttausend Gulden in einem Schuldbrief und für seine Gemahlin zehntausend Dukaten.

Also jagte ein Vergnügen das andere, und der alte Casanova meinte: »Jetzt fehlte es nur noch, dass man einen hänge. Das gäbe eine sehr hübsche, lehrreiche und dazu noch billige Volksbelustigung.«

Mozart verbrachte die Tage dieses Altsommers im Garten der Bertramka. Er war müde wie nach einer schweren Krankheit und doch wie mit dem holden Gefühl sanften Genesens erfüllt. Von dem Salettel auf dem Weinberg sah er oft nach der Stadt aus: sie hatte etwas Entrücktes, Unerwanderbares, wesenlos Bildhaftes, und ihre Türme schwebten grau und träumerisch verhüllt.

Er erging sich müßig im Garten. Die milden Tage waren erhellt von dem keuschen Licht der schon herbstnahen Sonne. Er lauschte dem Gebrumm einer biedermännischen Hummel oder erstaunte plötzlich über den Bau und die Farben einer Blume. »Liebes Bäslein«, sagte er dann wohl zu ihr, »warum gar so schön? Aber ich will dein Vertrauen nicht täuschen, ich breche dich nicht.«

Ein Rüchlein Reseden lag im Wind, ein Falter prahlte mit den buntgeäugten Samtflügeln.

Im Gezweig röteten sich die Wangen der Äpfel. Bald wird die volle Frucht locken.

Die Schwalben rüsteten sich, die Vögel gesellten sich zur Fahrt.

Die Sichel in der Hand, sang die Magd Anna im Gras. Schmerzdurchrissen schollen Wort und Weise des böhmischen Liedes:

»Gib mir die Hand,
gib mir sie alle beide!
Wir kriegen uns nimmermehr,
nicht in einem Jahr,
nicht in zweien,
nicht bis ans Ende der Welt!«

Mozart spielte einsam auf dem Hügel seine schwärmerische Geige.

Die Bauern im Tal, die Hirten am Hang horchten auf.

Manchmal traf sich Mozart mit Franz und Josepha Duschek, mit Karl von Freienturn und mit Süßmayer auf der grasigen Kegelbahn. Er wog bedachtsam die Kugel in der Rechten, tippte dreimal mit dem linken Zeigefinger darauf und schleuderte sie. »Pack an!« rief er ihr nach. Und der Notenschreiber Zwirtschek, der die Kegel setzte, schwang den Hut und jauchzte: »Dreimal drei ist neun!«

 

Süßmayer kam jeden Tag nachfragen, wie Mozart zur Nacht geruht und zu Mittag gespeist habe. Er berichtete von der Witwe Wawrousch, die nun öfters im Planetenbüchlein lese, dass es ihr bestimmt sei, in kurzer Zeit sich wieder mit einem würdigen Mann zu verehelichen; auch gehe sie öfters im Kalender das Verzeichnis der männlichen Taufnamen durch und stelle Betrachtungen an, so oder anders könne jener heißen, der sie vom Witwenstuhl erlöse, den Namen Franz Xaver aber habe sie mit rosenroter Tinte bedeutsam unterstriche.

»Schreib ihr eine Registerarie!« riet Mozart. »Aber hüt dich! Eine Wittib ist ein Garten ohne Zaun!«

»Sie ist ja um fünfundzwanzig Jahre älter als ich«, meinte der Schüler.

»Das tut nichts. Alte Scheuern brennen lichterloh.«

Im Hof drunten fistelte ein unerfahrenes Hähnlein seinen Ruf.

Süßmayer trommelte mit den Fingern bekümmert auf seiner Stirn. »Herr Casanova, den ich kennenzulernen die Ehre gehabt habe, hat mir geraten, bald zu heiraten und, wie er sich in seiner schamlosen Weise ausgedrückt hat, die Bruderschaft der willigen Hahnreie zu vermehren. Ich hege starke Bedenken dagegen. Die Frau Wawrousch hat eine verheiratet Tochter, sie ist jüngst zu Besuch gewesen und hat mich mit auffallender Neugier gemustert. Und die Wittib hat zu ihr gesagt: ›Heiß mich nicht Mutter, heiß mich einfach Babette!‹ Und gestern hat sie mich gar in den Friedhof an das Grab ihres Seligen geführt.«

»Xaver, es wird brezlig«, sagte Mozart.

»Wann reisen wir nach Wien zurück?« fragte der Schüler.

»Still!« flüsterte der Kapellmeister und deutete auf den Kiesweg. »Still! Dreifaches Pianissimo!«

Ein grüner Frosch kroch dort für sich hin, die Hinterbeine gemächlich nachziehend, die Augen unternehmend in die Welt gerichtet, die mit ihrem Gräserdickicht erlebnisträchtig seiner harrte. Vor einer rotborstigen, hässlichen Raupe hielt er inne. Er beguckte sie. Welch ungewöhnliches Abenteuer! Sein Blick wurde tief besinnlich. Dachte er über das Rätsel der Vergänglichkeit nach? Sei es wie immer, seine Zunge zuckte heraus, und das haarige Untierlein war verschluckt. Nun hob der Frosch den Kopf gegen den Himmel und würgte. Gesegnete Mahlzeit! Abermals trat eine Pause tiefen, in sich selbst hinab tauchenden Bedenkens ein. Dann tat er das Maul breit auf und spie die Raupe wieder aus. Sie kroch sofort wieder gleichmütig weiter, als wäre nichts Sonderliches mit ihr geschehen. Sie kroch über den Fuß des Frosches hinweg, der ihr im Weg lag. Und da schüttelte sich der Frosch vor Ekel, und mit einem unbändigen Sprung rettete er sich ins Gras.

Mozart deutete auf die Raupe und sagte: »Kozeluch!«

*

An einem angenehmen, von schüchterner Herbstahnung durchdrungenen Spättag erging sich Mozart mit seiner Frau in dem Kleinseitner Friedhof, zu dem er so oft vom Salettel heruntergeschaut hatte. Es war ein schweigsamer Baumgarten mit stattlichen und zierlichen Grabmälern, die allerlei nachdenkliche und an das Jenseits mahnende Sprüche trugen unter den Namen jener, die da in die Ewigkeit abgefordert worden waren. Auf einem Stein brannte eine immerwährende Trauerlampe. Eine Tafel fragte rügend den neugierigen Leser: »Was kümmert es dich, wer ich gewesen?« Hier schreckte das Bild des Todes mit schlangenumwickeltem Hals, dort kehrte ein ernster Engel die Fackel ungestüm zu Boden. Doch waren meist versöhnlichere Sinnbilder zu schauen.

Mozart las eine verjährte Inschrift: »Sie hat ihren Gatten in fünfzigjährigem, den Übungen der Barmherzigkeit und Frömmigkeit und jeglicher anderen Tugend gewidmeten Witwenstand überlebt.«

»Stanzel«, scherzte er, »so darf es einmal von dir nicht heißen. Nach meinem Hinscheiden nimmst du den Süßmayer. Der ist eine treue Haut.«

Sie schmollte: »Red nicht solchen Unsinn!«

Er fuhr fort: »Es mag wunderschön sein, zu rasten unter einem rosenumsäumten Hügel, einen lustigen, dicken Engel darauf und den wohlklingenden Spruch: ›Lupambulus Amadeus Mozart Magnus, corpore parvus, et Constantia, omnium uxorum pulcherrima ac prudentissima.'«

»Was heißt das?«

»Das ist zu Deutsch: ›Hier ruhen Wolfgang Amadeus der Große, ob auch kurz von Gestalt, und seine Stanzel, aller Eheweiber sauberste und listigste.'«

»Das hat noch lange Zeit«, sagte sie herzlich.

Lang herab wehendes Trauergezweig streifte lind seine Wange. Ein Vogel machte die stille Laubkrone beredt.

Wie gut haben es die Bäume! dachte Mozart. Geliebt von der Sonne, geliebkost von den Lüften, atmen sie leidenschaftslos und leben in sanftem Wipfelglück. Oh, dass ich die Form des Menschen trage mit all ihrer Unzulänglichket! Wäre ich ein unwissender, frommer Baum, wie geheimnisvoll würde ich sausen!

Eine schwarzgekleidete Trauerfrau kniete vor einem neuen Grab und trocknete mit dem Schleier ihre Tränen. Ein Mädchen erfrischte mit einem Sprengkrug die Blumen eines Hügels. Überlebte Menschen schlichen still die Schattengänge hin.

Einsiedlerisch flatterte ein weißer Falter. Ein rostgetöntes Blatt fiel müde vom Baum.

Es war hier wie im Jenseitsgarten, wo die Schatten der Toten im träumerischen Bewusstsein ihrer vergangenen Welt lautlos lustwandeln. Alles war in schwermütige Gewissheit getaucht. Auch du, auch du!

Mozarts Rede wehte scheu wie Herbsthauch. »Hier schlafen Hans Nimmermehr und Peter Handvollerde. Wo ruh' ich einmal?«

»Willst du mich durchaus weinen machen?« fragte Konstanze unwillig.

»Was liegt an dem Tod eines einzelnen?« sann er. »Die Welt steht nicht in einem einzigen Paar Schuhen, und jeder Mensch wird ersetzt. Nach mir kommen andere. Aus anderen Quellen wird die Musik sich weiter über die Erde ergießen. Aber ich möchte wissen, ob in hundert Jahren noch jemand sich an meinem Werk freut!«

Zwei Männer begegneten einander, der eine vornüber gekrümmt und in jeder Hand einen Stecken, der andere eisgrau und hüstelnd.

»Suchst du auch die Toten heim?« fragte der Krumme.

»Ich schaue mich nach einem stillen Fleck für mich um«, erwiderte der Graue. »Die Zeit verrinnt, und man weiß nicht wie.«

Der Krumme nahm den Hut ab. »Wer weiß, wie nahe das Stündlein ist!«

»Wie geht es dir?«

»Ganz leidlich. Nur manchmal schwindelt mir. Ich muss halt immer mit den Stecken ausgehen. Zu Galli bin ich sechsundachtzig Jahre alt gewesen.«

»Es ist einmal so, man lebt eine hübsche Weile nebeneinander, und dann ...«

»Ja, ja, wir zwei sind nur noch da, dass wir unser Leben fertig leben.«

»Spürst du auch, dass es herbstelt?«

»Es ist Maria Namen vorüber, da kommen die Schwalben zusammen.«

Sie verabschieden sich.

»Stirb gut!« grüßte der eine.

Der andere murmelte: »Bald heißt es: ›Ich bin gewesen.'«

Ein banges, eiliges Glöcklein tönte. Die Sonne war knapp vor dem Untergang.

Konstanze schmiegte sich ängstlich an den Gatten: »Wir zwei sind noch junge Leut'«, sagte sie.

Besonnte Mücken, wie Lichtfunkel durchscheinend, tanzten wie toll, sie schossen senkrecht nieder, rissen sich jäh wieder hoch und wirbelten und schwärmten. Welcher Lebensjubel in der winzigen Brust dieser Geschöpfe!

Ein ganzes Kreuzbild ragte und schien mit den weitgestreckten Armen die Welt umfangen zu wollen.

Und plötzlich sang ein neues, wunderbar flehendes Gebet in Mozart auf, und ein Himmel des Trostes und des Friedens wölbte sich darüber, und dem Tod war sein rätselhafter Schrecken entzogen.

»Recordare Jesu pie,
quod sum causa tuae viae,
ne me perdas illa die.
Quaerens me sedisti lassus,
redemmisti crucem passus:
tantus labor non sit cassus.«

»Was summst du da?« fragte Konstanze.

»Jesus nein!« staunte er. »Jetzt ist mir zum ersten Mal ein Einfall für das Requiem gekommen!«

Schwer von abendlichen Gefühlen, schaute er vom Tor aus noch einmal auf die ruhigen Hügel zurück.

»Stanzel«, sagte er halblaut, »ich muss mehr Mensch werden. Ich muss mehr lernen verzeihen, was die Menschen tun.«

Scheidend fiel sein Blick auf einen blassen Stein, darein in verwitterten Zügen gegraben stand: »Lerne sterben!«

*

Der Hofmusikus Stadler besuchte Mozart und trug ihm die Bitte vor, ein neues Konzert für Klarinette und Orchester zu verfassen. Als der Kapellmeister schon nahe daran war, dem drängenden Mann die Arbeit zu versprechen, zog Konstanze wie ein kleines Gewitter auf, sie las Stadler seinen stattlichen Sündenzettel vor, schnitt ihm mit unglaublich flinker Zunge alle Einwände ab und trieb ihn schließlich in die Flucht.

Zwischen Tür und Angel kehrte er sich noch einmal und sagte: »Ich habe mich entschlossen, während meines ferneren Aufenthaltes in Prag bei Frau Wawrousch im ›Walfisch‹ zu wohnen. Mit dem Süßmayer ist es ja nichts, der stirbt ledig ab wie ein Geißbock.«

»Ich werde diese arge Ehrenantastung Herrn Xaver mitteilen!« drohte Konstanze. »Er wird Sie fordern.«

»Ja, auf Flöten und Klarinetten«, erwiderte Stadler. »Übrigens hab' ich Ihnen, Herr Kapellmeister, noch auszurichten, dass der alte Wawerka im Sterben liegt. Der Teufel wird ihn in den nächsten Stunden am Genick, denn einen Schopf hat er nimmer, über Prag hinweg führen. Zuvor will der Geizhals ausgerechnet sie noch einmal sprechen.«

»Mich? Ich bin ihm doch nichts schuldig. Aber, um Gottes willen, was ist mit ihm geschehen?«

»Sie werden ja sehen«, brummte Stadler und drückte sich.

Mozart ließ sich sofort in die Welsche Gasse fahren.

Weltverlassen lag der Geizige in seinem schmutzigen Bett. Er ächzte fiebernd immer nur die eine Frage: »Steckt er? Steckt er? Steckt er?«

»Wovon reden Sie?« fragte Mozart.

Simon Wewerkas Sinne wurden langsam klar. Er seufzte befreit auf: »Da hab' ich ihn ja!« Er hielt einen Schlüssel in der gekrampften Faust.

»Niemand wird Ihnen den Schlüssel zu Ihrem Geldschrank stehlen!« tröstete Mozart.

»Wer sind Sie?« fuhr der Alte fort. »Was suchen Sie in meinem Haus? Sie sind in guter Absicht hergekommen. Warum reden Sie von meinem Geld? He?! Wollen Sie einen Sterbenden ausplündern? Sie kaltes Gespenst, ziehen Sie mir nicht die Bettdecke vom Leib weg!« Und er gellte: »Zu Hilfe!«

»Seien Sie doch still! Sie haben mich ja rufen lassen. Ich bin ihr Freund Mozart.«

Der Geizige schielte ihn misstrauisch an. »Mozart? Richtig, Sie sind es! Entschuldigen Sie, dass ich Sie verdächtigt habe! Ich habe Sie für den Stadler gehalten. Der ist heut früh bei mir gewesen. Am Rand der Hölle noch hat er mir zwanzig Gulden abgerungen. Zwanzig Gulden! Ich krieg' sie nimmer zurück! Nimmer, nimmer!«

»Lassen Sie die Geldsorgen! Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich muss – muss – muss sterben!« lallte der Alte, zögernd vor dem fürchterlichen Wort. »Oh, warum bin ich geboren worden? Was hab' ich zu suchen gehabt auf diesem Narrenstern?!«

So sagen Sie doch, was geschehen ist!«

»Am Krönungstag, da hab' ich gehofft, ich werde den Hut voller Silber heimbringen. Am Hradschin sind die Münzen ausgeworfen worden, und wie ich mich in die Menge stürze, meinen rechtmäßigen Teil zu erwischen, krieg' ich einen Tritt in den Bauch. Einen bösen Tritt! Ich hab' genug davon.«

»Haben Sie das notwendig gehabt, Herr Wewerka?«

»Verschonen Sie mich mit Ihren Lehren! Kann ein Mensch für das, was ihn treibt und peitscht?!«

»Was sagt Ihr Arzt?«

»Mein Arzt? Das wär' noch schöner, wenn ein Arzt auch noch bezahlt werden müsste zu dem sonstigen Schaden und Verdienstentgang! Ich verschmähe seit jeher jede ärztliche Hilfe, wie ich unnötigerweise kein Geld ausgeben will. Das ist mein Grunsatz.«

»Wahrhaftig, Geiz ist die größte Armut«, sagte Mozart. »Aber es muss Sie doch jemand pflegen! Wo ist die Baba?«

»Was weiß ich? Vielleicht sucht sie jetzt schon im Keller – nach – meinem Geld! Aber sie kriegt nichts. Keinen Kreuzer!«

»Was soll denn mit Ihrem Vermögen geschehen?«

Die schneidenden Falten um den Mund des Alten verschärften sich. »Mein Vermögen? Ach, mein Vermögen! Meine drei Häuser vermache ich der Kirche, das heißt, wenn ich nicht etwas wieder gesund werde. Unter derselben Bedingung kriegen Sie, Herr Hofkapellmeister, die Monstranzenuhr, die Ihnen seinerzeit so gut gefallen hat. Aber nicht ganz umsonst! Wenn Sie wieder eine Messe schreiben, müssen Sie wenigstens das Miserere meinem Andenken widmen!«

»Haben Sie schon einen Geistlichen rufen lassen?«

»Ich brauche keinen. Ich will ungebeichtet sterben. Bei mir hätte eine Beichte keinen Sinn. Ach, Herr Kapellmeister, mein Lebtag hab' ich den Tod bewitzelt. Jetzt graut mir vor ihm. glauben Sie, es gibt drüben so etwas wie ein Strafamt? Ein unterirdisches Jenseits? Ich habe Ursache, mich davor zu fürchten.«

»Beten Sie! Gott ist barmherzig.«

Der Alte flocht die dürren, behaarten Finger ineinander, er starrte das krause, geschwollenen Geäder seines Handrückens an und flüsterte: »Gott!« Er sagte es so innig, so feierlich, als glaube er daran.

Dann aber begann er wieder scheu: »Ich befinde mich in einer sehr unangenehmen Lage. Helfen Sie mir, Herr Mozart! Es flattert etwas um mich. Ist es der höllische Kuckuck? Er sitzt auf meiner Schulter! Jagen Sie ihn weg! Jagen Sie ihn weg!«

Er starrte mit gleißendem Fieberblick. Er betete wirr. Er suchte die Heiligen zu erflehen, zu überreden, zu bestechen, zu übertölpeln; er winselte feig um Rettung vor der Hölle, die er geleugnet hatte, er lechzte um Gnade. Klappernd schlugen seine schartigen Zähne gegeneinander.

Mozart suchte ein Weihbrunnkrügel, ihn zu besprengen, aber er fand keines.

Erschrocken vor dem gotteslästerlichen Gebet, eilte er zu dem Giraffenflügel und begann zu spielen, als wolle er den Besessenen beschwören.

Recordare, pie Jesu!

Das verstimmte Saitenwerk gab wunderlich irr ineinander verschwebende Töne von sich. Mozart aber hörte durch die Verzerrung hindurch die Reinheit seines Gedankens. Und während er spielte, schwieg der fluchende, rasselnde Atem des Kranken, er schwieg, und die Qual seines Gewissens schien aufgehört zu haben. Die Versöhnlichkeit dieser Musik stillte dieses schreckliche Herz.

Mozart schloss den Deckel des Klaviers.

»Ich schicke den Zwirtschek her, dass er die Saiten stimme«, sagte er.

»Nein, nein! Unterstehen Sie sich nicht!« wehrte Simon Wewerka ab.

Er riss den Mund auf, er schnappte. Ein sägendes Geräusch brach heraus.

In der Nebenkammer meldete sich die irrsinnige Uhr.

Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck!

Die Tapetentür sprang auf. Ein scheußliches, triefäugiges, buckliges Weib huschte heraus. Wie eine Ratte rannte sie in der Stube hin und her.

»Simon«, krächzte sie, »wo hast du das Geld?«

Mozart flüchtete die Stiege hinunter. Auf den glitschigen Staffeln glitt er aus und stürzte.

Sich aufraffend, murmelte er: »Nein, so wild wird mein Sterben nicht sein!«

*

Die Sonne versagte sich, und das stumpfe Düster der Regenwolken machte den Tag herbstlich. Wehmütig starrten die grauen Weiden in den lautlos gleitenden Strom, der blind in die Ferne reiste, von Nebelfetzen überflogen.

Mozart saß auf dem Findlingstein.

Ein Hecht schnalzte auf. Ein Floß drang aus dem ossianischen Nebel. Der Flößer sang heiser.

Alles verglitt und verscholl wieder im Grau.

Wie undurchdringlich finster ist die Stunde vor uns! Wie rätselhaft verschließt sich, was vergangen ist! Was soll all dieses Werden, dieses Wandeln, dieses Verwesen? Was soll dieses Spiel auf der dämmerigen Bühne unserer Seele?

Oder ist das alles nur geträumt und bin ich schon nahe dem Erwachen?

Wenn jetzt die Grenzen einstürzen, deren Hemmung ich um mich ahne, und wenn ich in Gott eindränge und in das reine Meer seiner Klänge! Aber wie könnte das anders geschehen, als dass ich zuerst durch den dunkeln Bogen des Todes ginge?!

Mozart forschte in den Neben hinein.

Doch was war das? Trat Gott aus der geöffneten Wolke?

Musik wallte empor.

»O Isis und Osiris, welche Wonne!
Die düstre Nacht verscheucht der Glanz der Sonne.«

Ohne Zusammenhang mit der verschollenen Welt um ihn, unabhängig von der grüblerischen Versponnenheit seines Geistes, ursachlos formte der Dämon in ihm den erhabenen Chor.

*

Konstanze war nach Prag gefahren. Sie wollte sich dort in einer Sänfte spazieren tragen lassen und hernach das junge Riesenmädchen im Haus ›Zu den drei Glocken‹ anschauen; auch lockte sie eine ungewöhnliche Trauung in die Nikolauskirche: Großmutter, Mutter und Tochter heirateten zu nämlichen Stunde, die erste neunundfünfzig, die zweite neununddreißig, die Enkelin neunzehn Jahre alt.

Sie mochte es eilig gehabt haben, denn sie hatte Mozarts Wirtschaftskalender, den er übrigens nur selten mit wenig Ordnung benutzte, aufgeschlagen auf dem Tisch liegen lassen, und der Kapellmeister fand nun darin einzelne Tage mit grüngrellem Stift kräftig unterstrichen und mit allerhand Anmerkungen ausgestattet. Da stand in fahriger Weiberschrift zu lesen: »Deiner lieben Frau ihr Geburtstag!« Und da: »Unser Verlobungstag!« Und dort: »Unser Hochzeitsfest!« Und wieder: »An diesem Glückstag sind wir einander zum ersten Mal begegnet!«

Mozart lächelte. Er kannte Konstanzes listige Art, seine Geschenke herauszufordern. Wie sie nur alle die Tage dieser erfreulichen menschlichen Geschehnisse so haargenau merken konnte? Vielleicht führte sie heimlich ein Tagebuch?

»O Isis und Osiris!« sang es feierlich in ihm auf.

Er griff zerstreut nach der Feder.

Da kam die Magd Anna. Sie brachte Blumen in einem Handkörblein. Offenbar war sie der heimliche Geist, der immer die Vasen mit Buntheit füllte.

Sie erschrak, als sie den Kapellmeister in der Stube fand. Sie hatte ihn im Garten vermutet.

»Du wählst immer die feinsten Blumen«, sprach Mozart sie an. »Gewiss denkst du an deinen Schatz, wenn du eine Rose pflückt!«

»Ich habe keinen«, erwidert sie befangen.

»Ei, das sagt einen jede! Das glaub' ich nicht. So ein schönes Mädel wie du!«

»Im Dorf, wo ich daheim bin, da ist wohl einer gewesen. Mein Gott, so ein junger Bursch rückt den Hut schief, steckt einen Strohhalm in den Mund und geht zu den Soldaten!«

»Willst du immer in der Bertramka bleiben?«

»Nein, gnädiger Herr. Ich will wieder ins Dorf zurück, Dorthin gehör' ich. Dort übernehme ich die Hütte von meiner Tante.«

»Und hernach kommt so ein bäuerischer Wenzel daher und nimmt die, Andula!«

»Was soll ich tun?« brach es aus ihrem verschwiegenen, geduldigen Herzen. »Für Sie, gnädiger Herr, könnt' ich ins Wasser gehen!«

Die großen, treuen Augen des Dorfkindes füllten sich mit Tränen.

Traurig streckte er ihr die Arme entgegen.

Da waren ihre Glieder voll seliger Schere; in süßer Ohmacht schwankend, sank sie ihm entgegen. Er fühlte ihren reinen Atem.

Schwermütig hing sie in seiner Umarmung.

»Wann – reisen Sie fort?« stammelte sie.

Sie sah ihn an, als wollte sie in ihm lesen wie in einem fremden Buch.

Draußen meldete sich ein hastiger Schritt.

Mozart gab das Mädchen frei und setzte sich an das Spinett.

Konstanze stand in der Tür. Ihr Mund verzerrte sich, als sie Anna sah.

»Was will das Dienstmensch da?«

Anna stand in ergebener, schuldiger Gebärde. Sie verteidigte sich nicht, sie log nicht.

»Du ganz verschlagenes Mensch!« schalt Konstanze, und in grober Eifersucht warf sie, das Mädchen vor dem Mann zu demütigen, ihren Mantel auf die Erde und deutete herrisch mit dem Finger darauf.

Die Beschimpfte hob schweigend den Mantel auf, fegte mit der Hand darüber und hängte ihn in den Kasten. Dann entfernte sie sich.

Das Blumenkörbchen war verlegen im Zimmer stehengeblieben.

Konstanze keifte: »Mir ist es schon längst aufgefallen, dass sie mit dem Spülhader oder dem Besen faul steht und horcht, wenn du spielst. Was geht diesen Bauerntrantsch deine Musik an?«

»Meine Musik ist für alle Menschen, Stanzel.«

»Was? Mir scheint, du hältst es gar mit ihr? Leugne nicht! Ich beobachte scharf!«

»Bist du am Ende schon so weit, dass du an Schlüssellöchern lauerst?« fragte er bitter.

»Wie redest du mit mir? Ich begreif' dich nicht!«

»Nein, du begreifst mich wirklich nicht!« wallte Mozart auf. »Papagenos Schloss sollte man dir vors Mundwerk hängen! Wie giftig hast du das Mädchen angezischt! Lass sie in Ruh! Sie ist gut und ohne Schuld.«

»Schau, schau, wie du sie in Schutz nimmst! Wenn du dich nur einmal meiner auch so stark angenommen hättest!« Und in der Wut sich vergessend, packte sie den Blumenkorb und warf ihn zum Fenster hinaus.

»Schäm dich, Stanzel!« sagte er.

Ihre Augen waren auf einmal bang. »Wär' ich doch weit weg von da! Ich will zu meinen Kindern. Der kleine Kerl soll mit den seidenen Wimpern wieder die Wangen seiner Mutter streicheln! Ach, du meine winzige Seele, mein armes Kind, wie hab' ich dich lieb!«

Ohne den Gatten eines Blickes zu würdigen, ging sie.

Er griff nach einem Notenblatt und rollte es grimmig zusammen. Mit großen Schritten rannte er die Stube auf und ab.

O Menschenherz, gottdurchschauert und satanverbrannt, wer kennt deine Abgründe?

Josepha kam herein und sagte: »Wolfgang, deine Stanzel sitzt im Garten und weint. Du hast sie beleidigt.«

»Nimm nur Partei für sie!« rief er ärgerlich. »Ihr Weiber seid doch ein Volk für sich. Eine denkt und empfindet wie die andere, und jede ist dem Mann fremd, und wenn sie auch hundert Jahre mit ihm verheiratet ist. So sind sie alle, alle! Bitte, richte das der Stanzel aus!«

»Gilt das auch mir?« lächelte sie.

»So halb und halb! Du kannst ihr noch sagen, dass wir morgen nach Wien heimreisen.«

Josepha erblasste. »Warum so plötzlich?«

»Es herbstet. Das Laub hängt schon schlampig an den Bäumen. Und der Schikaneder wartet und will die ›Zauberflöte' aufführen.« Und leiser fügte er hinzu: »Für mich ist die Welt nimmer da. Mir ist alles gleichgültig.«

Sie entgegnete: »Ich verstehe dich. Du willst nur noch deiner Kunst leben.«

Licht stieß aus ihren abgründigen Augen, und jäh hingerissen von einem Schmerz, der keine Beherrschung duldete, und niedergebrochen unter einer Überlast von Trauer und Seligkeit, bekannte sie: »Mozart, ich will dir dienen mit allem, was ich bin und vermag. Für dich will ich leben, und wenn ich auch fern von dir bin! Oh, wäre ich doch deine Frau geworden!«

Ein Kristall war wie eine Knospe aufgesprungen und wies die perlenglühende Tiefe.

Josepha flüchtete und ließ ihn in einer bitterseligen, wunderbaren Verwirrung zurück.

Das Höchste auf Erden ist ein liebendes Herz, dachte er.

Er stand eine Weile aus sich selbst verloren, entleibt, entseelt und wie ohne Wesen. In holdem Taumel drohte die Welt um ihn zu vergehen.

Doch aus diesem herrlich und verworren tosenden Nichts wurde Wohlklang, wurde Ordnung und Tanz, und der Meister ahnte Sternendonner in den endlosen Räumen seiner Seele, und das erhabene Dröhnen geheimnisvoller Eingebung erhob sich. Und Gott sandte in diesem Augenblick einen Urstrahl seines lauteren Wesens aus, und Mozart empfing und erschauderte.

Aus überirdischen Brunnen gespeist, schwebte es traumhaft an ihm vorüber: die Flut der jagenden Geigen, der jauchzende Anruf der Flöte, die drohende Kraft der Posaune, das Gewitter der Pauke, die edel gemischten Stimmen der Hörner, Oboen, Klarinetten, Bässe. Die mit Klangbildern überreich geladene Seele entlud sich. Der Schall schlug seine seligen Wogen.

Was in Mozarts Brust in diesen Tagen des Leides und der Lust schattenhaft sich angekündigt hatte, hier strömte es erlöst und vollkommen in tönenden Gesichten und unaussprechlich schön. Gott strahlte sich in diesem Werk selber an.

»Gott, du brauchst mich, wie ich dich brauche!« stammelte der Meister entzückt. »Gott, du liebst dein Geschöpf! Siehe, ich bin das Kind an deiner Hand!«

Er fühlte sich dem Rätsel der Schöpfung ganz nahe. So also hatte der Allmächtige die Welt aus dem brauenden Dunkel gehoben?!

Tiefer verschleierte sich das Geheimnis wieder. Aber das Werk bestand: das Urgehörte war zur Menschheit herabgesunken, und Mozart umfing es mit seinem Geiste.

Als dann Josepha und die versöhnte Konstanze Hand in Hand zurückkehrten, fanden sie den blassen Mann in einem Rausch von Glück.

»Freut euch mit mir!« rief er. »Das Vorspiel zur ›Zauberflöte‹ ist fertig.«

*

Während Konstanze zur Reise einpackte, erzählte Duschek, Karl von Freienturn habe wieder einmal ein tolles Stück vollführt, darüber ganz Prag lache.

Unter dem Vorwand, der König habe alle jene, die kein hochzeitliches Gewand besitzen, nicht zu Ball geladen, hatte der Freiherr allen Bettlern, Stelzfußleuten und Krüppeln der Stadt eine offene Tafel gegeben. Er bewirtete sie aufs Reichlichste, ließ sie mit Braten, weißem Brot, Torten und Wein sich füllen und eine türkische Musik dazu lärmen. Der Andrang der Gäste war gewaltig. Als diese, die ansonst vor den Kirchtoren, an Gassenecken und auf der Brücke zu Füßen der Heiligen das Almosen einander neideten, nun des Guten allzu viel genossen hatten, wurden sie üppig, langen Spottlieder und warfen einander ihre Sünden und Gebresten vor, und besonders wurden die verstümmelten Fechtbrüder, die in ihrem Gewerbe viel vor ihren gefundenen Zunftgenossen voraus hatten, von diesen weidlich geneckt und gereizt, bis das Fest zu einem wüsten Raufhandel ausartete, wobei man mit Krücken und staubenden Bettelsäcken ungestüm aufeinander losschlug, Einarmige sich als Zweiarmige entpuppten, Gelähmte wie Hirsche zu hüpfen, Blinde zu sehen und Stumme zu fluchen anhuben. Der Freiherr sah vergnüge der allgemeinen Keilerei zu und ließ zu noch kräftigerem Anreiz seine Bande die feurigsten Janitscharenmärsche spielen. Als es schließlich blutige Köpfe gab, musste eine Abteilung Soldaten sich dareinmischen und die sich Balgenden gewaltsam auseinandertreiben.

Abends kam nun der Freiherr selber, sich von Mozart zu verabschieden.

»Wohin willst du, Freund?« fragte der Kapellmeister.

»Ich will mich im Urwald Amerikas ansiedeln. Mein Geld langt gerade noch zur Seereise.«

»Warum bleibst du nicht in der alten Welt? Sie hat noch genug Platz für deinesgleichen.«

»In Europa ist mir alles zu sicher. Sogar in Paris. Ich liebe das Ungewisse, ich liebe die Nähe des Abgrundes. Ich mag nicht bestallter Beamter werden wie du, Mozart. In nichts hinein leben, das reizt mich. Ich kann nicht in Prag oder Wien oder in London hausen. Ich hasse das Pöbelheimweh, dicht beieinander zu wohnen und den Atem des Nachbarn zu spüren. Ich mag nicht das Behagen der platten Menge teilen, deren Scheitel nie das Außerordentliche weiht, die niemals von einem gewaltigen Verhängnis gekrönt wird, die in billigem Mittelmaß verdämmert. Ich gehe in die Wildnis.«

»Gott lasse dich finden, was du suchst!« sagte Mozart innig.

»Andere Leute reisen weiter als ich«, sagte der Freiherr. »Gestern hat das Totenglöckel gebimmelt, und die Kinder in der Welschen Gasse habendazu gesungen, der Herr Spar-das-Brot sie gestorben.«

»Doch nicht unser Freund Wewerka?«

Der Freiherr nickte. »In einem letzten eiteln Wunsch hat er gegehrt, dass ihm im Sarg die Perücke festsitze. Seine Wirtschafterin, die alte Baba, hat dies gründlich besorgt, indem sie ihm die Perücke mit einem Nagel an den Schädel befestigt hat. Ein einziges Talglicht qualmt an seiner Truhe. Er hat es so verlangt.«

»Und sein Geld?«

»Das ist nicht zu finden. Er gönnt es auch nach seinem Tod niemand. Es ist ein Erbe da, ein geldhungriger Vetter, der hat nichts vorgefunden als Spinnweben und Schimmel. Jetzt will er den Keller umgraben, die Stiegen abbrechen und die Mauern einreißen, weil er meint, der Alte habe seinen Schatz verscharrt oder eingemauert.«

»Gott schenke dieser seltsamen Seele die Ruhe!« sagte Mozart.

»Auf dem harten Gesicht des Toten haftet kein Friede!« erzählte der Freiherr. »Er wird im Jenseits noch geizen. Oder wird er Gott anklagen, dass er ihn so geschaffen hat. Oder wird er den Teufel mit bösen, verletzenden Witzen betrüben.«

Karl von Freienturn reichte Mozart die Hand. »Leb wohl! Dein Genius wird dich weiter führen, als dich die stumpfe Mitwelt verstehen kann. Trage, was nicht zu ändern ist! Und lebe um des edleren Teiles der Menschheit willen noch lange! Möge der wandernde Gott, der in seiner Schöpfung weiter in die Ewigkeit hinein blüht, möge er dir seine große Stimme immer voller und menschlicher entfalten!«

Ohne sich zu wenden, stieg er die Treppe hinunter und warf sich auf sein Pferd.

*

Das Wetter war nachsommerlich mild, voll weiser Sanftmut ruhte die Sonne über dem Garten und dem reisenden Berg, und die ganze Landschaft schien gestillt und voll freundlichen Genügens zu sein.

Mozart rastete einsam auf einer Bank.

Der Gedanke der Vergänglichkeit schattete in seinen Frieden.

Was trug sich mit ihm zu? Warum war sein Sinn so mit Schwermut geladen? Er war doch nie ein Kopfhänger gewesen. Was hatte sich in ihm verändert?

Wie reich auch die Fülle des Laubes in diesem Garten da ist, bald verbleicht es in herbstlicher Müdheit, bald löst es sich überaltert von den Zweigen und sinkt. Bald liegt Reif auf den Bänken hier, bald stößt der Mund den grauen Atem in die frostige Luft, und dann bricht nebeldüster der November ein und dann –

Jäh wurde es vor Mozarts Augen finster.

Zwei Hände hatten sich darüber geschlossen, zwei duftende, rotdurchleuchtete, fast kinderhafte Hände. Frauenhände. Und eine Stimme, auch in der Verstellung weich und süß, fragte: »Wer bin ich? Raten Sie!«

»Pamina!« lächelte er.

»Falsch!«

»Susanne? Cherubin?«

»Signorina Bedini?«

»Ganz falsch! O weh!«

Die fremden Hände sanken wie zwei ermattete, traurige Vögel.

Schnell kehrte sich der Kapellmeister um.

»Komtess Maria Theresia!« staunte er. »Ich traue meinen Augen nicht!«

Die Welt, die ihn eben noch grau verschleiert gedünkt hatte, sie war auf einmal rotglühend, als betrachte er sie durch ein Glas klaren Tirolerweines.

»An Bedini also haben Sie gedacht, Herr Mozart. Und nicht an mich. Und meine Stimme ist Ihnen schon nach so kurzer Zeit fremd geworden, und ich habe erwartet, Sie würde sie niemals vergessen!«

»Wie hab' ich annehmen können, dass Sie – gerade Sie – noch einmal zu mir fänden?« sagte er.

»An alle haben Sie gedacht, an lebendige und erdichtete Frauen, nur nicht an mich. Wie garstig! Man hat mir erzählt, dass Sie sich in tausend Liebschaften zersplittern. Das ist nicht recht von Ihnen. Sie werden sich ausreden, als Künstler brauchten Sie Abwechslung. Nein, Sie brauchen nur eine einzige, aber eine gewaltige Leidenschaft. Sie soll nur mich allein lieben!«

In der Schönheit ihres Frühlings stand sie vor ihm, die Augen streng auf ihn gerichtet. Der Tanz der Urtöne schien sie zu umringen, klingend sprang das Licht von ihrem Gesicht ab, Zauber wirkte.

Der Garten lag verlassen. Lilien loderten. Im Baum spann ein urgeheimes Rauschen. Es waren nur noch zwei Menschen auf der Welt.

In zärtlicher Lust griff Mozart nach ihren Armen. »Mädchen!« schmeichelte er in seliger Erregung.

»Du liebst mich«, erwiderte sie. »Ich weiß es, du liebst mich. Damals beim Tanz hast du mir es gesagt, und ich bin dir davongelaufen. Jetzt aber habe ich die Scheu überwunden und bin zu dir gekommen.«

Er zog sie an sich. »Du bist bei mir. Du bist bei mir!« wiederholte er, als wolle er Unglaubliches sich glaubbar machen.

Sie entzog sich seinem Kuss. »Sei nicht so eilig!« bat sie. »Ich bin noch fromm und keusch. Mir sind die Geheimnisse noch verhüllt, und ich ahne sie mit Wonne und Schrecken. O Mozart, wie kann ich so ohne jede Scham zu dir sprechen? Wie sehr habe ich in diesen Tagen wider mich selber gerungen! Meine geistlichen Lehrer haben immer – wenn auch mit verschleiernden Worten – mich gelehrt, die Sinne seien Sünde, und das Fleisch sie dumpf und unwürdig und sei Kot. Und wenn sie auch noch so klug und höflich zu mir Mädchen geredet haben, so habe ich doch verstanden, dass in den Augen der Kirche das Weib doch nur die Versucherin, die Schlange, die Urteufelin, die Hexe ist. Wie schmerzt mich das! Aber nicht wahr, Mozart, Jesus hat darüber ganz anders gedacht! Jesus ist ja mit Mensch umgegangen, die die Kirche verwirft. Er hat sogar die Ehebrecherin verteidigt.«

»Lieb ist nicht Sünde«, sagte Mozart.

»Das glaube ich auch. Mit tötender Reue bin ich einst zum Beichtstuhl hin getaumelt, die Nacht vorher habe ich durchschluchzt und durchbetet und habe doch keine Schuld auf meinem Gewissen gehabt als ein paar unklare Träume. Und jetzt komme ich zu dir, vom Sturm des Blutes an deine Brust geworfen!«

Er erbebte vor diesem verwegenen Wort. »Komtess!« flüsterte er.

»Ich rede, wie ich früher nicht einmal zu denken gewagt habe in geheimster Brust. Aber ich schäme mich nicht vor dir. Liebe kann doch nicht schlecht machen. Und Reinheit muss vor Gott mehr gelten als Keuschheit. Ich will dir doch meine ganze Seele mit darein geben. Es ist ja alles so selbstverständlich. Und ich habe die unbegreifliche Sicherheit in mir, dass du genau so fühlst wie ich.«

Er ließ sie los. »Was wollen Sie von mir?« stammelte er.

Sie drängte sich mit selig geschlossenen Augen an ihn. »Im Traum habe ich deine Küsse wie leiblich gefühlt. Deine Musik löst mich auf: ich sterbe immer, wenn ich sie höre. Mein ganzes Sein ist in tiefen Schlaf versenkt gewesen, du hast er erweckt. Durch dich ist mein Wesen umgeboren worden. Ich will mich keinem andern Mann preisgeben als dir! Du bist der Beste, der Höchste!«

Der seelische, vergeistigte Zug dieser Liebe und der Ungestüm und das Ausschließliche daran befremdeten Mozart, und ein plötzliches Grauen schied ihn von dem Mädchen, ob auch der Mund, der in so ernstem Feuer redete, sehr hold war.

»Ich fürchte Sie fast, Komtess. Ich verstehe nicht, was Sie wollen.«

»Ich will nichts anderes als dein Weib sein«, rief sie schwärmerisch. »Das Schicksal hat mich zu deiner Gattin bestimmt.«

Maßlos bestürzt rief Mozart: »Was fällt Ihnen ein? Ich bin doch schon verheiratet. Ich kann doch nicht eine Doppelehe eingehen!«

»Das sollst du auch nicht. Du musst gleich alles, was wir da verabreden, Frau Konstanze mitteilen, und sie wird es einsehen und die Scheidung einwilligen.«

»Das wird sie nicht.«

»Sie wird es tun, weil sie dich liebt.«

»Aber ich hab' doch auch Pflichten gegen meine Kinder!«

»Die Kinder nehme ich zu mir! Übrigens glaube ich, dass wahre Liebe alle Pflichten bricht. Liebe leidet keine Fesseln. Sie ist entweder da oder nicht da. Wenn du mich liebst, bist du Konstanze keine Treue mehr schuldig. So denke ich mir die Liebe. Bist du so zaghaft? Du machst dir doch die Gesetze deiner Kunst selber; so mach dir auch selber das Gesetz für dein Leben!«

»Sie reden wie ein Kind, Komtess.«

»Und wenn du dich fürchtest, deiner Frau unsere Liebe zu bekennen, so flieh heimlich mit mir! Heute noch lass uns fliehen!«

»Fliehen? Wie stellen Sie sich das vor?

»Das musst du wissen. Du bist kühn und listig. Ich bin mir gewiss, du könntest meinetwegen einen Mord verüben.«

»Woher wissen Sie das?«

»Aus deiner Musik. Komm, hol deinen Hut und deinen Mantel und flieh mit mir! Ich will ohne deine Liebe nicht leben!«

»Kind, Ihr Blut träumt! Wissen Sie, dass Ihre adelige Verwandtschaft es nie billigen würde, dass Sie mit mir leben? Wissen Sie, dass ich so arm bin, dass Sie dies überhaupt nicht begreifen können? Sie würden verstoßen und enterbt werden! Ins Elend würden Sie rennen!«

»Was liegt daran? Ich werde deine Armut teilen, und wir werden dann reich sein. Ich will dir zum Spiel sein, zur Erholung, zur Freude. Ich will vor dir tanzen. Arbeiten will ich dir helfen und in der Nacht die Noten abschreiben. Ich will mit dir hungern und frieren und Schmach und Schmerzen tragen!«

»Sie würden bald genug davon haben, Sie verwöhntes Kind!«

»Um dich könnte ich nie genug leiden!« rief sie.

»Ihr Wesen ist zu wild. Sie würden mich der Kunst entfremden.«

»Ist das Leben nicht höher als die Kunst?« fragte sie betreten.

»Bei mir lassen sich Kunst und Leben nicht trennen. Mein Leben liegt in der Kunst selber.«

Die Angst des schöpferischen Menschen um Werden und Bestand seines Werkes hatte ihn ergriffen. Was sie da begann und plante, war ihm fremd und töricht.

»Du wirst mit mir glücklich werden!« beschwor sie ihn. Die unbändige Seele schlug ihr aus den schönen, wildmütigen Augen, und in der Übersteigerung des Gefühls sank sie ihm zu Füßen.

»Wenn du glaubst, dass die Welt so unbarmherzig zwischen mur und dir steht, so lass uns gemeinsam sterben! Herz an Herz lass uns sterben! Gestern habe ich das Abendlicht über den Wellen und Türmen und der alten Brücke gesehen, es ist wunderbar gewesen. Und ich habe an dich denken müssen und an den Tod. O Geliebter, gehen wir gemeinsam in das wunderbare Abendlicht hinein!«

»Um Gottes willen, fassen Sie sich doch! Sprechen Sie nicht solches! Oh, dass Sie alles gar so schwer nehmen!«

»Lass uns die Körper abstreifen, Mozart! Lass unser Schicksal sich erfüllen! Du gehst voran, und ich folge dir, miterhöht in deine Höhe. In der Erinnerung der Menschheit sind wir beide für immer vereint. Du spielst, und wir sterben während deines Spieles. Von deiner Kunst umhüllt, ziehen wir heim.«

»Aber mein Werk, Komtess?«

»Sprich nicht so kalt, so förmlich zu mir, Geliebter! Dein Werk, das ist groß genug. Geizest du um die winzige Spanne deines irdischen Lebens? Was ist sie, an der Ewigkeit gemessen? Nach dem Tod aber werden wir und drüben suchen und finden und Hand in Hand weiterwandern im Land der Seligen und Vollendeten und leben auf glücklicheren Sternen, wo dich die Geister besser verstehen.«

Erschüttert von dem Ewigkeitsverlangen dieser Liebe und zugleich aufs Äußerste erschrocken von dieser leidenschaftlichen Sehnsucht nach dem Tod, rief Mozart: »Ich bin gebunden an meine Kunst, und nicht eine Stunde meines Lebens gebe ich freiwillig her. Quälen Sie mich nicht! Gehen Sie und verachten Sie mich, wenn Sie mich nicht begreifen!«

Weit öffnete sie die trauernden Augen und sah den Entschlossenen an. Etwas weinte in ihr laut auf, ob sie sich auch still verhielt.

Dann versteinerte sich ihre Miene, und nur der Kindermund blieb lebendig und zuckte.

»Die Welt ist wohl anders, als ich mir sie denke«, sagte sie. »Ich habe mich geirrt. Ich habe eine Dummheit begangen. Ich schäme mich.«

Verloren sah sie die glasglänzenden Nägel ihrer Hand an.

Dann ging sie.

Die Luft regte sich. Sie klang wie eine Wehklage durch die Bäume.

Mozart war, alles Leben löse sich jetzt in Rauch auf. Alles, alles sei unwiederbringlich vorbei.

Und nur ein banges Gefühl der Sehnsucht war ihm geblieben. Doch diese Sehnsucht galt nicht mehr der Welt und ihrem Reichtum, nicht mehr dem Weib, sie deutete rätselhaft in sich selber zurück.

*

Die vier Musikanten trabten barfuß, die Schuhe zu schonen. In weltverlassenen Einschichten, in verwahrlosten Dörfern, wo mitten auf der Straße die Jauche sich in trübgoldenen Lachen sammelte, in geruhigen Landstädtlein spielten sie vor Türen und Tor.

Schwalbengeschwader schwebten über den Himmel, Hasen hüpften über die Stoppeln, auf dem geöffneten Feld lag die Spur der Egge. Aber die mächtige Sonnenblume prangte noch an den Zäunen, das Laub haftete noch fest, und noch bräunten sich nicht die Buchen, noch gilbte nicht Linde noch Birke.

Der Himmelsstrich wurde rauer, die Urgemeinde der mannhaften Berge stand auf, und immer tiefer griffen die Wälder in die Täler herein.

»Gott sorgt, dass heut noch ein Fleck Rasen unter meinem Kopf liegt«, sagte Wolf Traurig, der Klarinetter.

Der Bassgeiger Christof Goggeisel meinte bedenklich: »Der Ameis tragt ein, die Nattern schreien. Morgen abends regnet es gewiss.«

»Wir müssen wieder heim in unsere arme Welt«, seufzte der Waldhornist Hansgeorg Zörnkittel.

Der Schulmeister Thomas Zitwersam nickte. »Morgen sind wir daheim. Mein Urlaub läuft aus, und übermorgen ist ein gesungenes Amt, da muss ich dem Herrgott wieder auforgeln.«

Die Äcker wurden steiniger, die Brunnen schwärzer und klarer, die Luft schmeckte wieder nach Tannen, nach tausend und aber tausend Tannen. In feuchter Schlucht wucherte hoch und dicht der Waldfarn. Am Felsen droben ragte das alte Raubschloss. Elstern schrien und Krähen und Häher. Und alles Volk redete wieder deutsch.

Da war wieder die andächtige Abendwolke der Heimat. Da waren wieder die sagenhaften Gipfel, darauf vorzeiten die Riesen sich die Hände gereicht hatten von Berg zu Berg, die Herren der Wildnis, die so groß gewesen, das sie den Bischof zu Prag hatten über die Brücke in den Dom fahren sehen, wenn sie sich auf die Zehen gestellt hatten.

In einer abseitigen Gegend an einem Bach trafen die vier ein Weib mit einer Kuh an. Sie füllte einen Krug gegen den Lauf des Wassers und murmelte dabei.

Der Schulmeister putzte sich die blaue Brille, die vom Staub der Wege fast blind war, und er grüßte das Weib: »Gute Zeit!« und begann ein Gespräch. »Jetzt wird es schon zeitlich finster.«

Sie betrachtete ihn misstrauisch und brummte: »Ja. Jetzt wird bald der Span in der Stube brennen. In ein paar Tagen kommt der heilige Michel mit der Latern' ins Haus.«

»Was treibst du da mit dem Krug?« forschte Thomas Zitwersam.

»Neidwasser schöpf' ich«, sagte sie unwirsch.

»Neidwasser?«

»Was denn sonst? Die Kuh hat man mir verneidet und verhext.«

»Wie kennst du denn das?«

»Nun, beim Melken gibt sie blutige Taler.«

»Unsinn! Unsinn!« rief der Schulmeister.

Die Bäuerin verkniff die Lippen und kehrte sich der Kuh zu und wusch ihr mit scheuer Gebärde die breite, fleckige Stirn und dann zwischen den krummen, kleinen Hörnern hindurch den Rücken und murrte dabei dunkeln Zauber.

Die vier wagten nicht, sie in ihrem wunderlichen Geschäft zu stören. Erst als sie es beendet hatte, bat Thomas Zitwersam, sie möge ihn und seine Gesellen in der Scheuer übernachten lassen.

Aber sie entgegnete: »In der Schwelle zu meinem Stall steckt ein scharfes Messer, und das verhindert, dass die Hex' in der Nacht zu meinem Vieh schlupft. Ich lass' mich von euch Musikalisten deswegen nicht auslachen. Geht und schlaft in der grünen Bettstatt! Für euch ist mein Dach nicht gedeckt worden.«

Verärgert von der Unwirtsamkeit des Weibes und von dem unbeirrbaren Aberglauben des Volkes, schalt der Schulmeister: »Dich sollt' man mit der Rute n die Schule treiben! Du bleibst dumm bis zum Jüngsten Tag!«

Mit schlaffen, schläfrigen Gesichtern wanderte sie im Dämmer weiter. Sie witterten die Heimat. Die Sterne droben waren wiederum auf ihre altgewohnten Plätze gestellt und liebäugelten durch die spitzigen Wipfel, während sie zwischen den Türmen Prags kalt und fremd gehangen waren. unter der Brücke plätscherte es, als wüschen dort geisternde Koboldinnen ihre mondweißen, winzigen Hemden.

»Wir sind auslands im böhmischen Rosengaren gewesen, und jetzt sind wir wieder hiesig«, stellte der Bassgeiger fest.

Eine späte Axt scholl aus der Schlucht. Da fällte noch jemand einen Baum. Ein Holzdieb? Es dröhnte drohend, und dann war alles still, und er rührte sich kein Laut und kein Leben mehr.

Die vier lagerten sich zur Nachtruhe. Der Wald war von behaglicher Wärme erfüllt wie eine geschlossene Stube. Oben breitete sich die Krone einer Buche gleich einem Kirchengewölbe.

Sie teilten die Wegzehrung: jeder bekam drei Wursträdlein und etwas Brot, und sie bröselten Salz darauf und aßen. Durch die Tannen konnten sie auf eine Wiese sehen, die sich eben im Mond leise erhellte.

»Dem Mozart seine Musik geht recht lustig, aber mittendrin wird sie alleweil ein wenig traurig. Ich versteh' das nicht, aber es tut mir wohl«, meinte der Schulmeister.

Der Bassgeiger sagte: »Ich hab' mir wohl ein Dörnlein eingetreten, es juckt mich schon den ganzen Tag seit der Früh. Ich muss doch einmal nachschauen.«

Er zog einen Schuhnagel aus der Ferse, bis zur Kappe war er darin gesteckt.

Der Waldhornist sagte: »Ich will daheim von der roten venezianischen Zille und von dem Feuerwerk erzählen. So was gibt es auf der Welt nimmer. Ich Prag hab' ich erst gesehen, wie arm wir leben. Gott zeigt uns viel und gibt uns wenig.«

Ein Zündwürmlein flog ihm an der Nase vorüber.

Der Klarinetter entgegnete: »In der großen Stadt wollen sich die Leute die Zeit vertreiben. Aber die Zeit vertreibt die Leute. Da reiten sie und tanzen und schmausen und krönen einen König. Aber in hundert Jahren ist alles wieder ganz anders.«

»Ich will daheim von der alten Brücke erzählen«, beschloss der Bassgeiger. »Sie ist ein weltliches Wunder, und man kann nicht darüber gehen, ohne dass man einer Kutte oder einem weißen Ross begegnet.«

Darauf sagte der Schulmeister feurig: »Und ich will immer und überall erzählen, dass wir mit dem Mozart selber musiziert haben. Oh, wie gnädig hat er sich zu unserlei Leuten herabgelassen! Ach Gott, und jetzt sollen wir wieder den Bauern zu ihren täppischen Tänzen aufspielen!«

»Gut schaut der Mozart aber nicht aus«, meinte der Hornist. »Wie der Schatten an der Wand ist er. Als ob er die zehrende Krankheit hätte. Sein Gesicht ist gar zu weiß.«

»Das ist nicht krank, das ist nur herrenmäßig«, belehrte Thomas Zitwersam.

Und der Bassgeiger wünschte: »Hoffentlich schreibt ihn der Pfarrer noch lange nicht ins Totenbuch.«

Der Schulmeister begann an schwindelig hohen Luftschlössern zu bauen, und die Ohren brannten ihm dabei vor Vergnügen. »Jetzt hat sich der Kaiser schon meine Kronmesse vorspielen lassen. Es ist ja unmöglich, dass er mich in vierzehn Tagen zu sich nach Wien beruft. Ja, man muss gleich zum Brunnen gehen und nicht zum Brünnel. Und wenn wir dann in Wien wohnen, muss sich meine Tochter Äoline geziert kleiden, der Saum an ihrem Kittel muss eine silberne Krause haben, und ich will sie an einen vornehmen Herrn abstoßen und verheiraten.«

»Du kennst dich auch beim Rahmkübel«, murrte der Hornist und rümpfte neidisch die niedere, gedrängte Stirn.

»Ich bin schon als kleiner Bub wohlbeschlagen gewesen und hab' auf jede Frage eine Antwort gewusst«, prahlte der Schulmeister. »Wie eine gute Orgel bin ich gewesen und hab' gepfiffen, wo man daran getupft hat. Aber was wird unser Dorf anfangen, wenn ich nimmer dort bin?«

»Es wird auch nicht verderben«, sagte Hansgeorg Zörnkittel bissig. »Ihr Schulmeister macht uns auch nicht glücklich. Seit die Bauern höher als fünfzig zählen lernen, sind die Zufriedenheit und die Ehrlichkeit aus der Welt gewichen. Und die Zeiten sind besser gewesen, wie man im Dorf hat die Uhr noch nicht lesen können.«

»Dass dich die Welt strafe!« zürnte Thomas Zitwersam. »Wie magst du so verfänglich und so undankbar reden? Wenn das Volk nur einmal wüsste, was es an seinen Schulmeistern hat! Ist was immer in der Gemeinde los, gleich spannt man den Schulmeister ein. Arbeit hat man wie ein Ross, Futter wie ein Zeisig und den Dank vom Henker!«

Trotzig setzte sich der Beleidigte abseits der andern auf einen berasten Stein und schwieg.

Über diese Wiese draußen hing gewaltig der silberbereifte Mond.

»Wie stark er brennt!« staunte Wolf Traurig. »Er legt zu.«

Der Bassgeiger mahnte: »Schau nicht hinein! Du verdirbst dir die Augen.«

Der Wind hauchte durch den Wald und verstummte wieder.

»Das Gras redet anders als der Mensch«, meinte der Klarinetter. Und nach einer nachdenklichen Weile fügte er hinzu: »Kein Grashalm ist umsonst auf Erden.«

»Heut dürft ihr mich nicht wiegen, heut schlaf' ich schon von selber ein«, gähnte der Waldhornist. »Wie langweilig ist es bei uns im Gebirg'! Nicht einmal einem Gespenst begegnet man. Und die Irrlichter sterben aus.«

»Weil die Leute nimmer daran glauben!« höhnte der Schulmeister.

»Oho, es gibt schon noch was!« widerstritt der Bassgeiger. »Drunten auf der Brücke ha der Torfstecher Kasper einen Geist angetroffen. Der Kasper hat vor ihm den Hut gelupft und ihm eine gute Nacht geboten. Darauf hat das Gespenst dem Kasper in der Höflichkeit nicht nachstehen wollen und ha auch nach seiner Mütze gegriffen, und wie es keine findet, da nimmt es in der Verlegenheit gleich den ganzen Kopf zum Gruß ab. Aber schnell gibt ihm der Kasper einen Stoß, und dem Geist rutscht der Kopf aus der Hand und fällt in den Bach, zischt auf und schwimmt davon. Aus der Weite hat man ihn noch jammern hören: ›Wo ist mein Hals, mein lieber Hals? Setzt mich wieder auf meinen Hals!‹ Der Geist aber geht seither im Wald ohne Kopf um.«

Albernes Geschwätz!« zankte der Schulmeister. »Damit ängstigt man nur die alten Weiber. Legen wir uns lieber hin! Aber zuvor lasst und den großen Musikanten Mozart in unser Gebet einschließen!«

Er richtete sich auf, verneigte sich in Richtung gegen Prag, wedelte demütig mit den Schösseln und tat dann einen frischen Geigenstrich. »Mozart, das Ohr soll dir klingen! Es grüßt dich die Violine.«

Und Wolf Traurig fingerte einen lustigen Läufer über sein Holz. »Mozart, es grüßt dich die Klarinette!«

Hansgeorg Zörnkittel ließ sein Blech über die widerhallenden Wälder schmettern. »Mozart, es grüßt dich das Waldhorn!«

Gewaltig schrummte der Riese Goggeisel über das dicke Gedärm und rief dazu mit seiner feinen, kindlichen Stimme: »Mozart! Auch der Bass grüßt dich tausendmal! Schlaf gut!«

Hernach begannen die vier mit zum Himmel erhobenen Gesichtern einmütig das schmachtende Benedictus aus der Kronmesse Leopoldi zu spielen. Und über den Sternen lächelte der empfangende Gott.

Nachdem sie nun Geigen und Blaswerkzeug im Geäst vor der Neugier wilder Tiere versorgt hatten, legten sie die Köpfe auf ein rundes, breites, schwellend weiches Moospolster und streckten die Beine, einander im Schlaf nicht zu stören, jeder in eine andere Weltrichtung aus. So verfielen sie alsbald in den seligen, unerschütterlichen Schlaf des Menschen, der seine Sache auf nichts gestellt hat.

Ach, vielleicht träumte zur selben Stunde fern im Prager Schloss der böhmische König einen bösen Traum, darin eine Koppel wüster Fischweiber seine Gemahlin anfiel und zerlumptes Gesindel um sich herum tanzte, Schimpflieder grölte und die noch rauchenden Köpfe seiner Leibwächter auf langen Piken zur Schau trug! Vielleicht erhob sich eben jetzt der arme König und starrte schlaflos auf die nächtlich lauernde Stadt hinunter!

Eine sehr späte und entlegene Dorfuhr tönte in den Tann herein, und der Schulmeister erwachte daran, und nachdem er sich zurechtgefunden, wo er mit seinen Wanderfreuden lagerte, dachte er an den morgigen Tag und an das Wiedersehen mit den Seinen, und an Äoline, wie sie den Rotblumenstock im Fenster begoss, und an die Bienen im Garten und an das Bildnis der heiligen Cäcilia am Spinett, das sein Komponierstüblein so feierlich schön machte.

Und wie er also mit diesen freundlichen Angelegenheiten beschäftigt war, sah er plötzlich etwas auf der binsigen Wiese draußen finster und unruhig geistern. Das was der treulose Landmesser, der maß mit brennender Stange den Rain auf und nieder, und er trug einen breiten, finsteren Dreispitz am Kopf, und an jedem Zipfel daran brannte eine Kerze. Neben ihm her hüpfte ein Irrlicht wie ein williges Knechtlein und pfiff schrill.

Der aufgeklärte Schulmeister drückte eilends die Augen zu, er wollte von diesem unglaublichen und verbotenen Unfug nichts weiter erfahren, und er betete, dass ihn kein übler Geist angreife.

Und wie er so zwischen hindurch die Nachtvögel krähen und den Wind verschwörerisch wispeln hörte, fiel ihm ein, man sollte versuchen, diese ungewissen waldlosen Dinge alle gehörig in Noten zu setzen: das düstre Sausen der Wipfel, den milden und den wilden Mond, das Irrlicht mit seinem vertrackten Tanz, den Schrei des Gottseibeiuns und das Gewinsel der Eulen. Das gäbe eine wahrhft neue und ganz sonderbarliche Musik.

Während er solches weitläufig erwog, gewahrte er, dass im Mondschein, der hie und da grell in den Wald einbrach, etwas meuchlerisch gebückt sich näherte. Es tastete und schnüffelte sich den Steig heran und trug eine lange Schere. Jetzt hielt das buckelige Wesen inne, schnaufte und hub an zu schnarren: »Uhu! Uhu! Wach auf! Die Mette sollst du mit mir singen! Uhu! Uhu! Wach auf! Hilf mir den Mond hüten! Er grast auf der vergessenen Wiese.« Und hernach reckte das Nachtgeschöpf den Hals und schrie schauerlich gellend durch die Wildnis: »Neunmal Holz und neunmal Acker!«

Thomas Zitwersam gruselte es über die Haut. Wahrhaftig, das war die Waldalte, von der die Sagen erzählen! Das war die Uraltmutter, die in den Schluchten die heilwirkenden und die unholden Kräuter schneidet, die dort bleichgrün im Schatten wuchern. Oh, dass es noch solchen veralteten und unzeitgemäßen Spuk gibt!

Jetzt lausche die Urmuhme. Sie hatte das unbändige Geschnarch der drei Musikanten vernommen. Jetzt kam sie in unheimlicher Ducknis herbei. Jetzt stolperte sie über die weitläufigen Beine des Bassgeigers. Jetzt tastete sie mit den ekeln, dürren, kralligen Fingern die ahnungslosen Schläfer ab. Jetzt auch den Schulmeister, der sich aus lauter Angst tot stellte.

Das Gesicht der Alten war bald nebelig vermummt und unkenntlich, bald zeigte es sich runzelig wie ein Schwamm, die Nase ungeheuer lang, das Kinn struppig bebartet, die Augen vor Alter ganz winzig und blind. Ihre Joppe war aus rauer Baumflechte gewoben, ihr Kittel war raschelnde Rinde. Und sie raunte: »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht Beine! Acht Beine und nur ein einziger Kopf! Hm, hm, so was hab' ich noch nie gesehen, und ich denk' doch das Gebirg' schon neunmal als Wildnis und neunmal als Feld und Wiese! Da muss ich schnell heim und die Großmutter holen, die ist neunmal so alt als ich!«

Der Schulmeister überlegte. Sollte er den starken Goggeisel wecken, auf dass er mit seinem Geigenbogen das Gespenst totschlage? Aber wie es mit der schartigen Schere lüstern klappernd davon huschte und dabei einen schlimmen, wiehernden Laut ausstieß und gar, wie der diebische Mond sich fortstahl, als wollte er nicht Zeug sein einem entsetzlichen Geschehnis, da schwante dem Schulmeiser nichts Gutes, und der Freunde vergessend, sprang er auf und flüchtete.

Er rannte an ergrauten, schiefen Totenbrettern vorüber, an einem abgestorbenen Baum, dessen dürres Rippenwerk im Dämmer weiß blinkte und in dessen Wipfel ein Rabe klammerte, vorbei an einem verfallenen Backofen, der auf einmal Feuer fauchte. Er rauschte durch dorniges Gesträuch und hüpfte behänd über steingeschichtete Feldmauern. Hui, schaukelte dort an dem Ast nicht ein Erhängter und winkte und nickte? So heftig rannte Thomas Zitwersam, dass er fast fürchtete, die Beine würden ihm unter dem Leib davonlaufen, und der Rumpf müsse zurückbleiben, jeder Gefahr der Verfolgung hilflos ausgesetzt.

Endlich fand er Zuflucht in einer mondgrellen Kapelle. Deren Wände waren mit Wundertäflein behangen, und am Altar stand gewaffnet, eine vergoldete Schüssel über dem Scheitel, die Seelenwaage in der Linken des heiligen Michael. Zu seinen Füßen sank der Schulmeister gerettet nieder.

*

Schon wartete der Wagen reisebereit im Hof.

Zum letzten Mal ging Mozart durch den Garten. Alles ruhte in trauriger, silberzitternder Frühe.

Er hörte die Fallfrucht dumpf auf den Rasen pochen. Am Brunnen nippte ein rotbrüstiger Vogel. Wandersüchtige Schwalben schrillten. Morgentrunken schwankten die Blumen.

Der nahe Herbst schwoll in unzähligen Früchten, in Apfel und Traube. Vor Fruchtbarkeit senkten sich die Äste tief zur Erde. Es war ein gesegnetes Jahr.

Zartbereifte Pflaumen rundeten sich. Mozart nahm eine vom Zweig und aß sie.

Der alte Apfelbaum an der Kegelbahn stand in fast erstickendem Überfluss, die Stützen seiner Äste drohten zu brechen. Mozart sah in den Baum hinein wie in ein verwandtes Gesicht. »Jetzt wirst du deine Fülle schenken, und dann ruhst du wieder drei Jahre«, sagte er. »Der Mensch aber darf nicht rasten.«

Er kam an einem abseitigen, versteckten Bretterverschlag vorbei, und drinnen stand in einem Gerümpel von Blechkannen, Rechen, Schaufeln und Sicheln die junge Magd. Sie rief ihm etwas in slawischen Worten zu. Er verstand es nicht.

Vom Hause herauf scholl die ungeduldige Stimme Konstanzes.

Die Pferde stampften und schnoben. Der Wagen war voller Gepäck.

Konstanze kam mit einer Hutschachtel gelaufen, sie hätte sie um ein Haar in der Bertramka vergessen. Sie stieg ein und stellte die Füßlein in den Königsaaler Korb. »Ich nehme ihn auch mit«, meinte sie. »Er ist in der Wirtschaft überall zu verwenden.«

Mozart umarmte bewegt den Freund. »Wie schnell ist die Zeit vergangen!« sagte er.

Er küsste Josepha. Mit tiefem, ahnendem Blick sah er sie an. Seine Stirn war fahl wie verdorrte Erde. »Wir schauen uns wieder«, flüsterte er.

Franz Duschek schenkte Konstanze eine silbern betaute Spätrose.

Oben im Distelwinkel zischte Annas Sichel.

»Dank! Dank für alles!« rief Mozart mit versagendem Mund.

Der Wagen rollte die Straße hinab.

Josepha wehte mit einem Tüchlein zum Abschied nach und trocknete wechselnd damit die Tränen.

 

Noch einmal fuhren sie durch die vertrauten Gassen, über deren Türen schon die Kränze des Festes zu dorren begannen.

Ein Mann begegnete ihnen, er leitete einen Karren und schrie: »Asche! Asche!« in die Fluren der Häuser hinein.

Am Malteserplatz stieg Süßmayer zu, begleitet von der Witwe Wawrousch, die, mächtig aufgepludert und mit einem überheftigen Rot an den Wangen, Miene machte, den scheidenden Mieter an den Busen zu reißen. Er dankte ihr höflich für die gute Aufwartung.

»Frau Wawrousch, teilen Sie Herrn Stadler mit, dass ich ihm das Klarinettenkonzert schreibe!« bat Mozart.

Auch Josef Zwirtschek fand sich ein. Er fuchtelte schon aus der Ferne mit einer Rolle Papier.

Als Süßmayer es sich in der Kutsche bequem machte und Konstanzes Hutschachtel auf die Knie nahm, fragte er: »Was ist denn da Lebendiges drin?«

Mozart legte das Ohr an die Schachtel.

»Meiner Seel, es krabbelt was drin, es raunt was drin!«

Als sie neugierig den Deckel hoben, sahen sie zu ihrem Erstaunen den Kater Kleopatra auf einem breiten, befiederten Hut hingestreckt, und drei winzige Kätzlein schleckten, das verkannte Geschlecht Kleopatras endgültig verratend, an den Zitzen der Mutter die erste Milch.

»O schaut, o schaut, wie lieb!« zwitscherte Konstanze. »Und blind sind sie auch noch! Wolferl, gelt, ich bring' sie den Kindern mit? Das Prager Jesuskindel schickt sie ihnen, werd' ich ihnen erzählen.«

»Was fällt dir ein, Stanzel! Die weite Reise wäre eine Qual für die armen Viecherln. Und schließlich gehören sie ja nicht uns!«

Dieser fröhliche Zwischenfall milderte die bange Stimmung des Abschieds. Und nachdem der Sommerhut der Frau Mozart anderweitig verstaut worden war, beauftragte man Zwirtschek, die großäugig Kleopatra samt ihrem Nachwuchs in der Schachtel wieder in die Bertramka zurückzutragen.

Das dürre Notenmännlein raschelte, die breite Witwe rief ach und oh, ein silberner Fingerhut blitzte an ihrer nachwinkenden Hand, und die Kutsche rollte der Brücke zu.

»Es ist höchste Zeit gewesen«, gestand Süßmayer aufatmend. »Gestern hat die Wittib den wächsernen Seligen entfernt und mich in den Ohrenstuhl gezwungen!« Er war wie einer harten teuflischen Anfechtung entledigt und verglich sich mehrmals mit dem Propheten Jonas, den zu Askalon der Walfisch ausgespien hatte.

Da wuchtete die Brücke, mit den beiden Endtürmen an die Ufer gepflockt. Die Moldau zog. Das Wehr brummte. Auf mattgoldener Fläche glitt ein Kahn mit rotem Rautensegel.

Mozart kehrte sich nach der grünüberwölbten, gewaltigen Trommel des Nikolausturmes um, nach Burg und Dom und der weißblanken Georgskirche.

»Wie schön ist eine Stadt an einem breiten Strom!« seufzte er. »Leb wohl, leb wohl!«

Sie fuhren an riesenbewachten Pforten, an hohen Kirchenwänden vorbei. Prag war wieder stiller geworden.

Auf dem Rossmarkt rief jemand aus einer Sänfte heraus, die das von zwei gelb geschopften Untieren umflankte Gräflich-Waldsteinsche Wappen führte. Es war Casanova.

»Wohin, meine Herrschaften?«

»Nach Wien!«

»Ihr Glücklichen! Ich muss morgen zu meinen Scharteken zurück!«

Konstanze neckte ihn: »Aber die schönsten Erinnerungen begleiten Sie, und Sie werden allerlei neues Verliebtes in Ihren Tagebüchern verzeichnen.«

Er winkte müde ab. »Spotten Sie nicht eines Greises und halben Heiligen, Signora bella!«

Dann reckte er schnüffelnd die Nase hoch. »Haben Sie nicht die neue Nummer der Oberpostamtszeitung gelesen, die hier in Prag die öffentliche Meinung bilden hilft? Es steht darin, dass Seiner Majestät allerhöchster Schlosskater geruht haben, über das Dach des Veitsdomes zu wandeln; es steht neben allerlei anderen neckischen Kleinigkeiten darin, dass sich der Großwiebel des Römischen Reiches ein blechernes Pimperlspiel angeschaut hat. Nur dass Ihre Oper aufgeführt worden ist, Maestro, sucht man vergebens in dem Blättlein. Man hat diese Nachricht unterdrückt. Man hat gegen Sie kolaboriert!«

»Ich werde es ertragen. Es berührt mein Wesen nicht«, sagte der Kapellmeister.

Casanova war aus seiner Sänfte gekrochen und hinkte näher. »Frau Konstanze, wollen Sie nicht dem berühmten Liebling der Frauen die Rose schenken, die an ihrer Brust brennt?«

Sie reichte dem Verdutzten schnell das Königsaaler Flechtwerk.

Der Wagen rollte weiter. Und der alte Kavalier blieb mit dem leeren Korb zurück.

Die kleine Reisegesellschaft fuhr durch das Rosstor und durch die Weingärten hinein in das dunkelschollige Bauernland. Als sie sich noch einmal umkehrten, sahen sie über den versinkenden Türmen eine Wolke weiß und riesig aufgebaut.

Mozart blickte seine Frau an. Ihr Auge war frisch, ihr Mund knospig und lockend.

»Du bist so schön, als wär' ein Engel aus dem Himmel ausgekommen«, bewunderte er sie.

Sie gestand: »Wie hab' ich mich diesmal vor Prag gefürchtet gehabt! Aber es ist alles gut ausgegangen.«

Unbewusst fanden sich die Hände der Eheleute zu einem warmen Druck.

 

Der Morgen war silbern-kühl, und es war hold zu reisen.

Die Herbstgleiche war nahe, das Jahr hielt auf der Schwelle zwischen zwei Gezeiten. Doch noch lachte die Erde und war ihrer Pracht nicht müde, noch grämte sie sich nicht, und Blüte und hangende Frucht waren ihr noch nicht zur Sage geworden. Hang und Hügel grünten würzig.

Der Hirt hielt die Herdenwacht. Auf den Feldern walteten die ewigen, heiligen Gebärden des Pflügers und des Säers. Eine Mutter gängelte am Rain ihr Büblein.

Bei einem Heiligenstock lagerten Prager Studenten, und sie geigten und sangen zur Laute:

»Schönstes Prag, heut muss ich wandern.
Scheiden, das tut nimmer gut.
Lupft Sankt Nepomuk der Brückner
traurig seinen Sternscheinhut.

Straßen gehn in alle Winde,
Und die Welt liegt fremd und weit,
und das Glück verblüht geschwinde,
und mir brennt das Herz vor Leid.

Nimmer soll ich dir, Herzfeine,
in die schönen Augen schaun,
magst du auch aus tausend Tränen
einen Regenbogen baun!

In den schwerverschlafnen Gassen
öd und einsam hallt mein Schritt,
alte, wunderbare Geister
wachen auf und ziehen mit.

Und die Fiedel lass ich singen,
Türme glühn im Mondenschein.
Droben tanzt auf hoher Säule
Unsre Liebe Freu vom Tein.«

In der klaren,maßvollen Sonne dieses Tages war alles in eine unsäglich süße Bangnis getaucht und voll von jener Sehnsucht, die keine Antwort weiß, wenn man sie nach ihrem Ziel fragt. Die Landschaft lagerte nicht, sie schien frei zu schweben wie die zeitlose Wolke über ihr.

Wundersam bedrängt von der empfindsamen Schau in das Land, schloss Mozart die Augen, und sogleich fühlte er sich wie von einem Adler Gottes empor genommen, und er sah den verlassenen Erdball sehnsüchtig drunten als fernen, glutblauen Stern edelsteinern hangen.

Er fühlte seien neues Werk wie in einem reinen Kristall heiter in seiner Seele gesammelt, und das märchenhafte Vorspiel der ›Zauberflöte‹ jagte dahin mit dem frischen Wandersinn eines bergaus stürmenden Baches.

Und dann dämmerte ihm die Ahnung eines großen, vor dem dunkeln Tor aufblühenden Gesanges an: das Kyrie in bebender Unterwerfung, das Kredo leuchtend erhaben, das Agnus voll inniger Demut. Die Tiefe strahlte, und das wilde Angesicht des Todes, das alle Schöpfung erzittern lässt, verklärte sich vor diesem Lies und beseelte sich mit stiller Güte und wurde weise, und ein trostvoller Friede wehte von ihm aus.

Mozart fühlte sich auf einmal wunderbar klar in der leisen Vorsicht Gottes geboren.

Wie schön ist es, zu leben in dem ewig emporgerichteten Drang der Flamme! Wie schön auch, zu sterben, ein Unvollendeter!

Gott, du bist! Die Kunst ist die Gewähr deines Seins. Die Musik ist der schönste deiner Leiber.

Gott, wenn ich weiterleben darf, dann schirre mich in deine Kraft!

Wenn es mir aber bestimmt ist, dass ich bald abberufen werde, dann will ich ohne Widerspruch vergehen, wie hier mein Atem im All verfliegt. Was ich hinterlasse, das bleibt der Menschheit.

Hochatmend öffnete Mozart die Augen wieder.

Noch lebte er. Noch besaß er die Erde.

Ein geheimer Goldton durchdrang als Grundfarbe die Welt. Und Gott atmete ein und aus, er schenkte und empfing.

Tanzte droben nicht das stolze Gestirn? Flogen nicht die Berge auf? Erbrausten nicht die Bäume, die Quellen? Lobpriesen nicht die stummen Felsen in großem, einfältigem Urgesang?

Die Stille erscholl, es donnerte aus der blauen Höh.

Heilig ist der Geist!

Heilig, heilig, heilig ist die Welt, Gottes unausträumbarer Traum!

 

Mozart richtete sich auf. Er war allem fern und allem nahe. Sein Gesicht erwachte und belebte sich. Es wurde fremd und edel, ein funkelndes Antlitz, das die Rotte niederschleudert.

*

 


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