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III. Frankreich und die Niederlande.

1. Anfänge des französischen Violinspiels. Korporationen und Konzerte.

Nächst den Italienern tun sich unter den romanischen Völkern im Violinspiel nur noch die Franzosen hervor, während die Spanier keinen maßgebenden Anteil an dem Entwicklungsgange dieser Kunst nehmen. In Frankreich wurde die höhere, kunstgemäße Pflege des Geigenspiels jedoch später in Angriff genommen als in Deutschland. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Violine dort bereits, wie wir gesehen haben, gegen Mitte des 16. Jahrhunderts im Gebrauch stand. Aus der kleinen Schrift Jambe-de-Fers, die S. 18 f. besprochen wurde, haben wir gesehen, daß die Violine um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Frankreich meist zu Tanzmusiken verwendet wurde, und den Violen gegenüber, den Instrumenten der » gentilhommes marchands et autres gens de vertu«, nur eine untergeordnete Rolle spielte.

Weitere interessante Mitteilungen über die Verwendung der Violine im Frankreich des 16. Jahrhunderts enthält das Buch von Jacquot » La musique en Lorraine«. Wir erfahren daraus, daß in Nanzig 1558 beim Einzug der Herzogin ein Orchester von Violinen, Pfeifen und Trommeln (!) in Funktion war, für das Jahr 1581 findet sich die Zusammensetzung von Violinen mit Trompeten, Dudelsäcken ( cornemuses), Pfeifen und Tambourins. Ein etwas vernünftiger geordnetes Ensemble tritt uns 1595 in der Instrumentalkapelle Herzog Karls III. entgegen: 5 Violinen, 1 Dudelsack und 1 Spinett. Aus vorigem ersieht man, daß die Violine auch im Freien benutzt wurde. Die Lepage zu verdankende Anmerkung jedoch, der unser Instrument zu Ende des 16, Jahrhunderts auch in der französischen Militärmusik gefunden haben will, beruht wohl, wie auch Spitta (Vierteljahrschrift f. Musikwissensch. 1887) sicher mit Recht meint, auf einer irrtümlichen Auslegung des Wortes violon. Denn auch wenn man nicht bereits wüßte, daß » violons« dort und damals ein Kollektivname war, der auf die Gesamtheit eines Musikkorps Anwendung fand (vgl. die 24 violons du Roy, von denen gleich weiteres zu sagen ist), würde man es aus Jacquots Buch erfahren, wo eine Note aus dem Jahre 1563 mitgeteilt wird, die lautet: deux cents francs aux violons de Monseigneur pour se fournir des cornets, Violons et d'autres Instruments.

Die inferiore Stellung der Geigen in Frankreich veränderte sich jedoch bald zum Besseren, und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts genoß die Violine bereits hohe Wertschätzung. Wir entnehmen dies aus Martin Mersennes » Harmonie universelle« (Paris 1636), in der es heißt: »A quoy l'on peut adiouster que ses sons ont plus d'effet sur l'esprit des auditeurs que ceux du Luth ou des autres instrumens à chorde, parce qu'ils sont plus vigoureux et percent davantage, à raison de la grande tension de leurs sons aigus. Et ceux qui ont entendu les 24 Violons du Roy Dies waren nicht etwa nur die immerhin wenigen Personen, die die 24 violons bei Hofe hören konnten. Gegen geringes Entgelt konnten sie Privatleute bei Festlichkeiten engagieren, auch erwiesen der König und die Königin Personen ihrer Umgebung gelegentlich die Gunst, ihnen die Hofkapelle zur Veranstaltung von Serenaden u. dgl. zuzuschicken. (Brenet.), aduoiient qu'ils n'ont jamais rien ouy de plus ravissant ou de plus puissant; de là vient que cet instrument est le plus propre de tous faire danser, comme l'on experimente dans les balets, et par tout ailleurs. Or les beautez et les gentilesses que l'on pratique dessus sont en si grand nombre, que l'on le peut preferer à tous les autres instrumens, car les coups de son archet sont par fois si ravissans que l'on n'a point de plus grand mescontentement que d'en entendre la fin, particulierement lors qu'ils sont meslez des tremblemens et des flattemens de la main gauche, qui contraignent les Auditeurs de confesser que le Violon est le Roy des instrumens. Car encore que l'on joui plusieurs parties ensemble sur le Luth et sur l'Epinette, et consequemment que ces instrumens soient plus harmonieux, neantmoins ceux qui jugent de l'excellence de la Musique, et de ses instrumens par la beauté, et par l'excellence des airs et des chansons, ont des raisons assez puissantes pour maintenir qu'il est le plus excellent, dont la meilleure est prise des grands effets qu'il a sur les passions, et sur les affections du corps et de l'esprit.«

Diese begeisterte Lobrede könnte leicht zu der Annahme verleiten, daß Mersennes Zeitgenossen bereits wunder was auf der Violine geleistet haben, wenn man nicht aus der noch ziemlich dürftigen Beschaffenheit des französischen Instrumentalsatzes jener Periode ersähe, daß ihr Geigenspiel von untergeordneter Bedeutung war. Mersenne teilt uns davon eine Probe in seiner » Harmonie universelle« mit, welche einen naiven Standpunkt in Behandlung der Instrumente und insbesondere der Violine zeigt. Es ergibt sich aus derselben, daß man an die Geiger sehr bescheidene Anforderungen stellte. Als die höchste Instanz für das französische Violinspiel galten damals die von Mersenne zitierten 24 Kammerviolinisten des Königs, welche unter dem stehenden Namen » les Vingt-quatre ordinaire de la Musique de la Chambre du Roy« figurierten. Ihre amtliche Tätigkeit war eben nicht sonderlich geeignet, die künstlerische Handhabung der Violine zu fördern; denn lange Zeit blieben sie darauf beschränkt, bei den Balletten mit und ohne Gesang mitzuwirken, welche der sogenannten großen, durch Lully Jean Baptiste Lully, geb. 1633 in Florenz, gest. 1687 in Paris, wurde infolge seiner Leistungen als Violinspieler und Ballettkomponist von Ludwig XIV. 1662 zum Chef der königl. Kapelle gemacht. 1672 gründete er die » Académie royale de musique«. begründeten Oper vorausgingen. Und selbst die dramatischen Kompositionen dieses um die französische Opernbühne so verdienten Mannes boten bei der engen Begrenzung des orchestralen Teiles seiner Partituren für die Ausbildung des Violinspiels keine sonderliche Gelegenheit. Schrieb er doch in seinen Partituren die ersten Violinen meist nur bis . (oder nach damaligem Gebrauch in Frankreich .) und warnte man sich doch, wenn diese Note erschien, vorher im Orchester mit » gare l'ut!« ( Weckerlin, Dernier Musiciana p. 274.)

Immerhin ist Lully zum großen Teil das Verdienst zuzuschreiben, die Geige in Frankreich aus ihrem inferioren Zustand erlöst zu haben, auch soll er selbst ein für die damalige Zeit guter Violinspieler gewesen sein.

Auch auf Deutschland übte Lully einen, freilich nur vorübergehenden Einfluß durch seine Schüler Johann Fischer, Cousser und Muffat. Über den ersteren ist seines Ortes bereits gehandelt worden (S. 222). Cousser geht uns, als in die Geschichte der Oper gehörig, hier nichts an Vgl. Sittard, Musik und Theater am Württembergischen Hofe, Bd. 1.. Die S. 239 von uns erwähnten Muffatschen »Anweisungen« endlich sind ebenfalls auf Lullys Einfluß zurückzuführen. Muffat wurde auch sonst wegen seines Französierens von Zeitgenossen getadelt.

Aber bereits 20 Jahre nach Lullys Tode, noch unter Louis XIV., machte sein Einfluß auch in Frankreich demjenigen Italiens Platz, welcher vor allem durch Corellis Sonaten vermittelt wurde.

Die Konstituierung der » vingt-quatre violons« der königlichen Kammermusik fällt in die Regierungszeit Louis XIII., doch erst unter Louis XIV. erhielt dieser Verband eine geregelte Organisation. Dieser Fürst, welcher selbst musikalisch war Wie weitgehend Louis XIV. Einfluß auf die Musik seines Hofes auch in Einzelheiten war, wolle man bei Brenet ( Les Concerts en France) nachlesen, S. 63 ff. (er empfing in der Jugend Lauten- und später auch Klavierunterricht), kargte keineswegs mit Bewilligung reichlicher Mittel für die Musikbedürfnisse des Hofes. Außer den schon erwähnten 24 Violons Der Ausdruck » Violons« ist hier ebenfalls nicht wörtlich zu nehmen. (Vgl. S. 317.) Man hat vielmehr darunter das ganze Streichquartett zu verstehen, welches der König sich für seine Kammermusik hielt. Dasselbe bestand im Jahre 1636 aus sechs Diskantgeigen ( Dessus), vier Haut-Contres (Alt), vier Tailles (Tenor), vier Quintes (Violoncellage) und sechs Bässen. und dem althergebrachten Institut der Kapellsänger, welche nicht nur den Kirchendienst zu versehen, sondern auch während der Tafel des Königs zu singen hatten, unterhielt er noch die sogenannte » musique de la grand Escurie«, bestehend aus 25 Instrumentisten, wie es scheint, für die verschiedenen Lustbarkeiten des Hofes im Freien, sowie eine » petite bande des Violons«. Die letztere wurde sozusagen für Lully; geschaffen, dessen ausschließlicher Leitung sie auch anvertraut war Die obigen Mitteilungen sind aus Vidals Werk » Lea instruments à archet« entnommen.. Ihre Zahl betrug 16 Personen, welche für den Dienst der Morgenmusiken, der königl. Tafel und der Hofbälle angestellt waren, und dabei nur Lullysche Kompositionen zu spielen hatten. Dem Range nach stand sie unter den » 24 Violons« der königl. Kammermusik, wie es denn auch als Auszeichnung galt, wenn ein Mitglied der » petite bande« zu einem dieser 24 Geiger ernannt wurde. Dies Verhältnis hatte indessen allem Anschein nach keine maßgebende Bedeutung für die Leistungsfähigkeit beider Institute, sondern beruhte wohl nur auf gewissen Privilegien der schon länger bestehenden » vingt-quatre violons«. Daß für die Ausführung Lullyscher Kompositionen ein besonderes Musikchor gebildet wurde, spricht eben nicht zugunsten der 24 Kammermusiker des Königs, sei es nun, daß ihr Beamtendünkel einer Anerkennung der Autorität Lullys sich anfangs nicht fügen wollte, oder daß ihr bescheidenes Können den Anforderungen des Italieners nicht entsprach.

Die » petite bande« war übrigens nur eine vorübergehende Erscheinung. Denn schon beim Regierungsantritt Louis XV. wurde sie wieder abgeschafft, wogegen das Institut der » 24 Violons« noch bis zum Jahre 1761 existierte, in welchem es auf Befehl Louis XV. ebenfalls einging.

Den » 24 Violons« war eine sehr bevorzugte Stellung bei Hofe eingeräumt. Sie hingen direkt vom königlichen Hause ab, hatten also keine andere Instanz über sich und besaßen den Rang der » officiers commensaux«, welche große Vorteile, wie z. B. vollständige Steuerfreiheit, unentgeltliche Beköstigung u. dergl. genossen. Kein Wunder daher, wenn sie sich als Hofbeamte von Distinktion betrachteten und ihre gesicherte Position dazu gebrauchten, vom Hofe, und damit von Paris, möglichst alles fernzuhalten, was ihnen in künstlerischer Beziehung irgendwie hätte unbequem werden können. In diesem Betracht sympathisierten sie durchaus mit der musikalischen Brüderschaft von » St. Julien des ménétriers«, welche ihren Sitz in Paris hatte, und deren Gerechtsame einer Monopolisierung der Tonkunst gleichkam.

Die Institution der » Confrérie de St. Julien« bildete sich allmählich aus jenen Spielleuten ( ménétriers) hervor, die des Erwerbes halber im Lande umherzogen, insbesondere aber gern in Paris ihr Wesen trieben, wo sie reichlicheren Verdienst fanden als in den Provinzialstädten. Auch scheint es, daß diese Leute und was sonst noch an Jongleuren und Gauklern zu ihnen gehörte, dort frühzeitig begünstigt wurden. So war ihnen schon seit Mitte des 13. Jahrhunderts das Vorrecht eingeräumt worden, den noch heute existierenden, in der Nähe der Notre-Dame-Kirche gelegenen » Petit-Pont«, an welchem ehedem vom Publikum ein Brückenzoll erhoben wurde, frei passieren zu dürfen. Und wie populär sie bei den Parisern waren, geht daraus hervor, daß zu Ende des 13. Jahrhunderts nach ihnen eine Straße » Rue des Ménétriers« (heute Rue de Rambuteau) benannt wurde.

Manche dieser Spielleute machten sich bald in Paris seßhaft, und im Jahre 1321 beschlossen die angesehensten derselben, sich zu einer förmlichen Korporation zu vereinigenWeckerlin ( Dernier musiciana) gibt S. 148 an, daß die Confrérie de Saint-Julien des Ménétriers seit 1330 existierte.. Das zu diesem Zweck von ihnen formulierte, aus 11 Paragraphen bestehende Statut wurde mit den Unterschriften von 37 männlichen und weiblichen Individuen, einschließlich des an ihrer Spitze stehenden » Ménestrel roi«, namens Pariset, dem » Prévost« von Paris zur Genehmigung unterbreitet. Die Bestimmungen dieses Statuts waren hauptsächlich darauf berechnet, die Mitglieder der Vereinigung zur Beobachtung gewisser, im Interesse der Korporation getroffener Bestimmungen anzuhalten, deren Nichtbefolgung Geldbußen nach sich zog. Wer den Betrag derselben nicht erlegen konnte oder wollte, mußte Paris für ein Jahr und einen Tag, oder doch für so lange verlassen, bis das Strafgeld entrichtet war. Die auf solche Weise erlangten Revenuen fielen zur Hälfte der Korporation und zur Hälfte dem König derselben zu.

Die weitere Entwicklung der Confrérie von St. Julien wird mit einer legendarischen Erzählung in Verbindung gebracht, welche Du Breul in seinem » Théâtre des antiquités de Paris« (1622) mitteilt. Nach diesem Bericht hatten zwei Ménétriers namens Jacques Grare und Huot einen Platz in Paris und dazu auch ein benachbartes Haus an der Ecke der Straße Jean Paulée erworben, um ein Hospital zu errichten, für welches sie den » St. Julien« und » St. Génois« St. Julien, mit dem Beinamen » le pauvre« oder auch » hospitator«, gehört zu den nicht von der Kirche, sondern nur vom Volksmund heilig gesprochenen Männern. Nach der Legende tötete er infolge eines durch Eifersucht hervorgerufenen Mißverständnisses seine Eltern, die er nicht erkannt hatte. Die schmerzliche Reue, welche er darüber empfand, veranlaßte ihn, mit seiner Frau die Heimat zu verlassen, um in der Fremde Buße zu tun. Das Ehepaar ließ sich an einem reißenden Flusse nieder, baute daselbst eine kleine Herberge und unterhielt eine Fähre zur Beförderung der Passanten an das jenseitige Ufer. Eines Tages meldete sich ein Mann mit der Bitte, über den Fluß gesetzt zu werden. Nachdem er in die Fähre gestiegen war, gab er sich als Christus zu erkennen und sprach den St. Julien von seinen Sünden los. St. Julien wird noch Stadlers Heiligen-Lexikon Bd. II, S. 523 in Frankreich, Belgien und Spanien verehrt. Der Ort, an welchem St. Julien seine Eltern angeblich umbrachte, soll das Kastell Albi (Albiga) im Oberlanguedoc, und der Fluß, an dem er später als Fährmann lebte, der Gar (Varus) in der Provence gewesen sein. St. Génois oder St. Genesius war, wie die Legende berichtet, im 3. Jahrh. nach Chr. Geb. ein römischer Schauspieler. Er hatte in einem Stück, welches auf Befehl Diocletians zur Verspottung der Christen aufgeführt wurde, die Rolle eines Täuflings darzustellen. Als er infolgedessen wirklich zum Christentum übertrat, ließ der Kaiser ihn enthaupten. Sein Tag ist der 25. August. ( St. Genès) zu Schutzpatronen erwählten. Die Vollendung dieses Hospitals wurde indessen von den Ménétriers in die Hand genommen, welche sich zugleich damit als förmliche Brüderschaft ( Confrérie) konstituierten. Da das Unternehmen gleichsam einen mildtätigen Charakter hatte, so schritt die genannte Korporation auch bald darauf zur Erbauung einer Kirche. 1335 war alles fertig, und am letzten Sonntag im September desselben Jahres konnte man bereits die erste Messe lesen lassen, nachdem schon im Jahre zuvor Papst Clemens VI. die ganze Stiftung durch Erlaß einer Bulle sanktioniert hatte.

Von da ab gab es auch einen » roi des ménestrels du royaume de France« Ausführlichere Mitteilungen dankenswerter Art über die Geschichte der » Confrérie de St. Julien«, sowie über die » Rois des ménétriers« gibt H. M. Schletterer im zweiten Teil seiner »Studien zur Geschichte der französischen Musik«. (Berlin, Dammköhlers Verlag.). Als erster » ménestrel de Roy« wird ein gewisser Pariset genannt. Von diesem ging der Titel im Jahre 1338 an Robert Caveron ( Cavernon) über. Unter dessen Nachfolgern werden genannt: Copin du Brequin (1349) und Jean Caumez. Doch wurde dieser Titel noch nicht regelmäßig weitergeführt. Erst vom Jahre 1541 ab geschah dieses.

Zu jener Zeit der französischen Monarchie strebte jede Gesellschaft oder Korporation danach, ihren eigenen König zu haben. So gab es einen König der Krämer, der Barbiere, der Narren und sogar der liederlichen Leute. Nun kam noch ein König der » Ménétriers« hinzu. Eine Bedeutung für die Kunst hatte derselbe nicht. Seine Tätigkeit lief zur Hauptsache auf Gelderpressungen hinaus.

Die Statuten von 1321 blieben während des 14. Jahrhunderts in Kraft, erfuhren aber doch durch zwei Polizeierlasse von 1372 und 1395 Verschärfungen gegen die Trinkgelage der Ménétriers in den Wirtshäusern nach der Stunde des Abendläutens (» couvre feu«), sowie gegen die Ausübung des Berufes zu nächtlicher Stunde, um den Vorkommnissen von Spitzbübereien und dergleichen vorzubeugen. Auch durften die Ménétriers bei Gefängnisstrafe nichts deklamieren oder singen, was irgendwie auf den Papst oder den Landesherrn Bezug hatte.

Sehr bald vergrößerte sich die Pariser Korporation der Ménétriers durch den Hinzutritt neuer Mitglieder; zugleich rissen damit aber auch mancherlei Mißbräuche ein. Dies gab Veranlassung zu einem neuen, im Laufe des 15. Jahrhunderts erlassenen Reglement. Dasselbe schrieb eine Erhöhung der Geldstrafen, sowie ein förmliches Examen für die neu Aufzunehmenden vor. Sodann wurde es denjenigen Ménétriers, welche nicht den Meistergrad erlangt hatten, bei Geldstrafe verboten, auf Hochzeiten und in Gesellschaften zu musizieren Natürlich besaß die Korporation, wie andere ähnliche, bedeutende Vorrechte dieser Art. Auch ist bekannt, daß für die, die ihre Dienste in Anspruch nehmen wollten, strenge Vorschriften über die zulässige Zahl der Musiker bestanden. In Straßburg durften lange Zeit zu einer bürgerlichen Hochzeit nur vier, in Mülhausen (Elsaß) höchstens sechs Musikanten aufspielen. (Weckerlin, Dernier musiciana.) – Der Rat in Reval verurteilte die dortigen Stadtmusikanten um die Mitte des 17. Jahrhunderts (1659) zu der sehr harten Strafe von hundert Talern, weil sie auf einer bürgerlichen Hochzeit Trompeten verwendet hatten. (O. Greiffenhagen, Revaler Stadtmusikanten in alter Zeit, Baltische Monatsschrift Bd. 55.). Auch durfte niemand, ohne Meister geworden zu sein, Unterricht erteilen, und wer diese Würde erlangt hatte, konnte ohne ausdrückliche Erlaubnis des roi des Ménétriers keine Schule zur Unterweisung in den Künsten der » ménestrandie« errichten. Diese Statuten behielten bis 1658 Geltung.

Aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind außer den schon vorgenannten die Namen folgender Könige der Ménétriers überliefert: Jehan Portevin (1392), Jehan Boissard, dit Verdélet (1420) und Jehan Facien, l'aîné.

Die Statuten, welche den Pariser Ménétriers verliehen wurden, galten auch für Frankreichs Städte. Hiergegen protestierten die Musiker der Provinzen, jedoch zunächst ohne Erfolg. Im 16. Jahrhundert wurden sogar in den Hauptorten des Landes, insbesondere aber in Abbeville, Amiens, Blois, Bordeaux, Orleans und Tours, Succursalen der Pariser Korporation errichtet, wodurch dieser letzteren alle erwerbsmäßig Musizierenden tributpflichtig gemacht wurden. Die Art, wie man dies bewerkstelligte, geht aus einem vom 26. März 1508 datierten Erlaß für die Stadt Tours hervor, wonach ein Bewohner dieses Ortes, namens Nicolaus Hestier, auf 6 Jahre als Stellvertreter des » roi des ménétriers« mit allen demselben zustehenden Rechten (natürlich gegen Erlegung einer gewissen Summe Geldes) ernannt wurde. Es handelte sich hier also um eine förmliche Verpachtung der Prärogative des Königs der Ménétriers. Der Pächter seinerseits suchte selbstverständlich die Pachtsumme und über diese hinaus noch einen Gewinn durch Erpressungen dabei herauszuschlagen.

Bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein fehlen die Namen jener Männer, welche an der Spitze der » Confrérie de St. Julien« standen. Erst 1575 wird wieder ein König der Ménétriers namhaft gemacht: es ist Claude de Bouchardon, als dessen unmittelbarer Vorgänger ein gewisser Roussel erwähnt wird. Aus Claude de Bouchardon folgte Claude Nion (1590), sodann Claude Nion, dit Lafont (1600), ferner François Richomme (1615) und endlich Louis Constantin (1624).

Über Constantin sind einige Nachrichten vorhanden Diese Nachrichten hat Cr. Thoinan mit anerkennenswertem Fleiß in den Pariser Archiven gesammelt und 1878 bei J. Bauer in Paris veröffentlicht.. Er wurde 1585 in Paris geboren, erlernte frühzeitig das Violinspiel und zeichnete sich in demselben bei weitem mehr aus, als ein naher Verwandter namens Johann Constantin, von dem man nicht mit Bestimmtheit weiß, ob er der Vater oder der Onkel des Louis Constantin war. Der schon genannte Pater Mersenne gedenkt in seiner » Harmonie universelle« des Louis Constantin mit Auszeichnung und rechnet ihn zu den bedeutendsten ausübenden Künstlern Frankreichs jener Zeit Nach Jacques de Gouy hat Constantin des öfteren in einem der frühesten Konzertunternehmen Frankreichs, das im Hause des Organisten Pierre de Chabeauceau de la Barre, 80 Jahre vor Gründung des Concert spirituel, etabliert war, öffentlich gespielt. (Brenet, Les concerts en France, S. 66 u. f.), unter denen er noch Bocan Sein eigentlicher Name ist Jacques Cordier. Er war Tanzmeister unter der Regierung Louis XIII. und galt als ein ausgezeichneter Rebec- und Violinspieler., Maugars, Lazarin (gest. 1653, » rival de Constantin«) und Léger Maugars war ein weit berühmter Gambenspieler. Lazarin dagegen spielte Violine und bekleidete das Amt eines Hofkomponisten, während Léger zur Bande der » vingt-quatre violons« gehörte und außerdem Leiter des Hofballetts war. hervorhebt.

L. Constantin wurde zunächst in die Kapelle Louis XIII. aufgenommen (er war schon 1619 einer der 24 violons) und am 12. Dezember 1624 an Stelle seines Vorgängers Fr. Richomme zum » Roi et Maistre des Ménétriers« ernannt. Nach dreiunddreißigjähriger Amtsverwaltung starb er Ende Oktober 1657 Von einem als Seltenheit in der Bibliothek des Pariser Konservatoriums aufbewahrten Diplom, welches Constantin im Jahre 1656 einem gewissen François Chouallié (?) ausstellte, hat Weckerlin in seinem Dernier musiciana ein Faksimile gegeben..

Constantin betätigte sich auch als Tonsetzer. Von seinen Kompositionen ist aber nur eine bis auf unsere Zeit gekommen. Sie rührt aus dem Jahre 1636 her und befindet sich im ersten Bande der in der Pariser Konservatoriumsbibliothek aufbewahrten, leider nicht mehr ganz vollständigen » Collection Philidor« Über diese für die Geschichte der altfranzösischen Instrumentalmusik wichtige Sammlung s. in Fétis' » Biographie universelle« den Artikel André Danican Philidor.. Sie trägt die Überschrift » La pacifique« und besteht, ohne Angabe der anzuwendenden Tonwerkzeuge, aus zwei Sätzen, von denen der erstere, längere, sechsstimmige im C-Takt, der zweite fünfstimmige dagegen im Tripeltakt steht. Auf diesen folgt in der Philidorschen Handschrift dann noch ein zweistimmiges, tanzartiges Musikstück von drei kurzen Teilen im geraden Takt, von dem nicht mit Bestimmtheit zu sagen ist, ob es zu dem Vorhergehenden gehört. Alle drei Sätze sind, wie die meiste damalige Musik, ohne Tempoangabe.

Im Gegensatz zu dem im Tripeltakt stehenden und einfach harmonisch behandelten Stück ist der erste Teil der Komposition teilweise imitatorisch gehalten, ohne sich jedoch in erfinderischer Hinsicht irgendwie auszuzeichnen. Gegen die gleichzeitigen Arbeiten des italienischen Tonsetzers Buonamente steht das Ganze an Kunstwert entschieden zurück. Für den damaligen noch untergeordneten Standpunkt der französischen Instrumentalkomposition möchte aber » La pacifique«, nebst den anderen verloren gegangenen Erzeugnissen Constantins, wohl nicht ganz ohne Bedeutung gewesen sein.

Sein Nachfolger im Geigerkönigamt wurde am 20. November 1657 Guillaume Dumanoir I. Während seines Regiments war dieser bemüht, möglichst alle Musiker des Landes, mit Einschluß der Organisten, unter seine Botmäßigkeit zu bringen.

Ein Jahr nach Dumanoirs Amtsantritt nämlich, also 1658, hatte Louis XIV. ein neues Statut erlassen, nach welchem nicht nur sämtliche Instrumentisten aller Städte des Landes, sondern auch die Tanzmeister tributpflichtig werden sollten. Dieser Erlaß war hauptsächlich darauf berechnet, die Staatskasse zu bereichern, sowie die Einkünfte der » Confrérie de St. Julien« und ihres Hauptes zu erhöhen. Die eingehenden Gelder wurden gleichmäßig unter die drei Partizipanten verteilt. Die Tanzmeister aber setzten sich gegen die beabsichtigte Vergewaltigung zur Wehr, was zu heftigen Streitigkeiten mit Dumanoir führte, welcher sich u. a. zu einer 1664 gegen die Tanzmeister veröffentlichten und in gröblichem Ton gehaltenen Broschüre » le mariage de la musique avec la danse« hinreißen ließ. Obwohl er nun alles aufbot, um sich die Tanzmeister zu sichern, welche bei ausgebreiteter Kundschaft und reichlichem Verdienst eine gute Ausbeute versprachen, so wußten dieselben schließlich dennoch, trotz der königlichen Ordonnanz, die Aufrechthaltung ihrer Unabhängigkeit von der » Confrérie de St. Julien« durchzusetzen.

Unter dem Namen Dumanoirs sind eine Anzahl vierstimmig gesetzter Tänze auf unsere Zeit gekommen, ohne Angabe jedoch, ob dieselben von Dumanoir I. oder dessen Sohn und Amtsnachfolger Dumanoir II. herrühren. Nur bei einer aus drei Airs bestehenden und » Charivaris« überschriebenen fünfstimmigen Komposition ist die Jahreszahl 1648 hinzugefügt, so daß man annehmen darf, sie sei vom älteren Dumanoir. Ein Teil der Tänze befindet sich nebst den » Charivaris« im ersten Bande der Kollektion Philidor zu Paris, ein anderer dagegen auf der Landesbibliothek zu Kassel. Unter diesen Tänzen, in welchen die ausgeprägte Rhythmik eine Hauptrolle spielt, sind einige, welche zeigen, daß der Autor bei nicht gewöhnlicher musikalischer Bildung die Befähigung zu gewähltem Ausdruck in harmonisch modulatorischem Betracht besaß, wenn auch nicht zu verkennen ist, daß er, gleichwie die große Mehrzahl der damaligen Tonsetzer, über völlige Reinheit des Satzes nicht gebot.

Auf Guillaume Dumanoir I. folgte 1668 als » roi des ménétriers« dessen Sohn Guillaume Dumanoir II., welcher gleichfalls Violinist war und angeblich bis 1693 – er starb erst 1697 – der » Confrérie de St. Julien« präsidierte Über die Regierungszeit Dumanoirs I. und seines Sohnes Dumanoirs II. sind die Angaben der französischen Musikschriftsteller nicht ganz übereinstimmend.. Auch er hatte, gleich seinem Vater, Streitigkeiten in betreff seiner Machtsphäre, die nicht zu seinen Gunsten ausfielen. Bald nach seinem Regierungsantritt geriet er in heftige Differenzen mit Lully, welchem 1672 das Privilegium der königlichen Musikakademie (d. h. der großen Oper) erteilt wurde, mit der Berechtigung, Orchesterspieler auszubilden. Gegen diese Bestimmung legte Dumanoir Protest ein. Er erreichte aber dadurch nichts weiter, als daß die Behörde am 14. August 1673 zum Vorteil Lullys entschied.

Hierauf hatte Dumanoir aufs neue Zänkereien mit den Tanzmeistern, die ihm solches Ärgernis bereiteten, daß er am 31. Dezember 1685 seine Demission gab. Sie war keine definitive; denn Dumanoir verzichtete nur auf die Vorteile, welche mit seinem Herrscheramt bei der Brüderschaft von St. Julien verbunden waren. Im übrigen behielt er den Titel seiner seither geführten Würde bei. Allein die Sache wurde ihm völlig verleidet, als Louis XIV. im Jahre 1691 zugunsten der fiskalischen Kasse die Bestimmung erließ, daß fortan die Ämter der Confrérie de St. Julien, der Zahl nach vier, käuflich und erblich sein sollten. Beiläufig gesagt, war es eine Summe von 18 000 Livres, um die es sich dabei handelte. Es ist also um so begreiflicher, daß dem Einspruch Dumanoirs kein Gehör geschenkt wurde, da der Fiskus auf einen so hohen Einnahmebetrag nicht wieder verzichten wollte. Indessen wurde, um Dumanoir einigermaßen für die Schwächung seiner Privilegien zu entschädigen, die Bestimmung getroffen, daß er für Lebenszeit als vereideter Examinator der zur Meisterwürde sich meldenden Instrumentenspieler zu fungieren habe. Dumanoir aber, verbittert durch die ihm zuteil gewordene Behandlung, machte keinen Gebrauch von dieser Vergünstigung und trat sogar 1693 vom Schauplatz seines bisherigen Wirkens definitiv zurück. Er starb 1697, in welchem Jahre zugleich die Charge des » roi des ménétriers« oder des » roi des Violons«, wie man das Amt auch nannte, unterdrückt wurde, um nur noch einmal vorübergehend im 18. Jahrhundert unter Gian Pietro Guignon wieder aufzuleben S. dens. S. 189..

Die Brüderschaft von St. Julien trieb indessen ihr Wesen noch längere Zeit fort. Zunächst versuchte sie, die Pariser Klavierspieler zur Erlegung der für die Instrumentenspieler bestehenden Taxen heranzuziehen, was zu einem erneuten Prozeß führte, aus welchem die Klavierspieler siegreich hervorgingen. Durch Parlamentsbeschluß vom 3. Mai 1695 wurden sie von allen Verbindlichkeiten gegen ihre Bedränger freigesprochen. Nun versuchte die Confrérie von St. Julien, sich auf andere Weise zu entschädigen. Sie verschaffte sich ein am 5. April 1708 vollzogenes Patent, auf Grund dessen ihre Mitglieder befugt waren, in jeder Art des Instrumenten- und Tabulaturspieles, insbesondere aber im Klavierspielen Unterricht zu erteilen. Die Komponisten und Klavierspieler vereitelten aber auch dies. Dennoch dauerten die Reibungen und Kämpfe fort. 1728 versuchte die Korporation von St. Julien die dem Opernorchester angehörenden Musiker sich tributpflichtig zu machen. Der Erfolg war nicht besser als in den vorhergehenden Fällen.

So standen die Sachen, als der piemontesische Violinspieler Gian Pietro Guignon 1741 zum Geigerkönig ernannt wurde. Dieser erließ im Einverständnis mit den Hauptführern von Saint-Julien ein neues Statut von 28 Artikeln, um seine Herrschaft über die Musiker namentlich in lukrativer Hinsicht wieder zu erweitern. Dies veranlaßte die königl. Organisten sowie die Pariser Musiker zu neuen Beschwerden. Diejenigen, welche dieselben hervorgerufen hatten, suchten die Opponenten dadurch zu beschwichtigen, daß sie erklärten, weder die Organisten noch die Klavierspieler mit ihren Maßnahmen behelligen zu wollen. Doch diese waren damit nicht zufrieden, sondern traten noch entschiedener als ehedem für die Freiheit der Tonkunst und ihrer Lehrer ein. Die Folge davon war, daß durch einen Parlamentsbeschluß vom 30. Mai 1750 alle Statutsartikel, welche der freien Kunstübung zuwiderliefen, für null und nichtig erklärt wurden. Guignon fügte sich nicht allein willig diesem Urteilsspruche; er verzichtete gleichzeitig freiwillig auf jene Rechte, nach welchen es ihm auch ferner noch zustand, Taxen von den Tanzmeistern und Tanzmusikanten auf Bällen, Hochzeiten, sowie in Wirtshäusern, mithin von dem gewerbsmässigen Musikbetrieb zu erheben. Allein seine Gesinnungsgenossen von Saint-Julien dachten darüber anders. Ohne Wissen Guignons erdreisteten sie sich, Statthalterstellen des Geigerkönigs für bestimmte Bezirke in den Provinzen des Landes einzurichten, zu verkaufen und gegen gewisse Summen sogar erblich zu verleihen. Wer sich ihrem Willen nicht fügte, mußte es büßen. Ein Kanonikus, welcher zugleich Organist war, wurde verfolgt, weil er einen Chorknaben im Orgelspiel unterrichtet hatte. Einem Kleriker, Kapellmeister seines Kirchspieles, wurde zugemutet, den Titel »Tanzmeister« anzunehmen, um ihn zu zwingen, sich unter das Joch der Beschlüsse von Saint-Julien zu beugen.

Ein gewisser Barbotin hatte sich von der Brüderschaft Saint-Julien die Charge einer » lieutenance générale« gekauft und trieb seinerseits wieder einen Handel mit » lieutenances particulières«. Auch erließ er eine Bekanntmachung in Angers, die an den Straßenecken zu lesen war und folgendermaßen lautete:

» De Par Le Roi.
Sentence

de M. le lieutenant général de police de la ville d'Angers, qui permet la concession, nomination et résignation faite au sieur Pierre-Olivier Josson, musicien et maître à dancer de la ville et académie royale d'Angers, pour l'équitation et autres exercices de la place de lieutenant particulier du roi des arts et sciences de la musique et dance, et les jeux de tous les instruments, tant à cordes qu'à vent, pour l'étendu des provinces d'Anjou et du Maine; sur la présentation, nomination et résignation de M. Barbotin, lieutenant général du roi desdits arts et sciences de la communauté et académie royale des maîtres de musique, de dance et d'instruments, qui ordonne l'exécution des statuts et réglements, qui font défense à toutes personnes, Musiciens d'église, organistes et autres, d'enseigner la musique, la dance, ni les jeux d'aucuns instruments, tant à cordes qu'à vent, dans la ville, faubourgs et banlieue d'Angers, non plus que dans l'étendu de la province d'Anjou, sans s'être fait recevoir par le dit Josson, en sa susdite qualité, à peine de cent livres d'Amende contre les contrevenants, de prison pour la première fois, et de punition corporelle pour la seconde.«

Diesem frechen Treiben widersetzten sich bald die Musiker des ganzen Landes. Sie richteten an den König ein Gesuch um Abhilfe von der betreffenden Landplage. Dieser erließ denn auch am 13. Febr. 1773 folgende Ordre:

»Casse et annule la vente ou concession faite par la communauté de Saint-Julien des Ménétriers, de toutes les charges de lieutenants généraux et particuliers de roi des violons, dans toute l'étendu du royaume, et notamment celle du sieur Barbotin; révoquant tous les pouvoirs que lesdits lieutenants généraux de ce dit Barbotin avaient accordés à leurs lieutenants particuliers qu'ils représentaient, auxquels Sa Majesté interdit toutes fonctions. – Fait, Sa Majesté, defenses à tous musiciens et autres de reconnaître lesdits lieutenants généraux et particuliers; ordonne que tant la confrérie de Saint-Julien des Ménétriers que tout. ceux qui la composent seront tenus de se conformer aux dispositions de mars 1767 concernant les arts et métiers, etc.«

Die Brüderschaft von St. Julien überlebte den vorstehend mitgeteilten Erlaß nicht lange: sie wurde 1776 nach mehr denn vierhundertjährigem Bestehen für immer aufgehoben, während die Charge des Geigerkönigs, mit auf Guignons Betrieb, schon im März 1773 abgeschafft worden war.

Der schmähliche Druck, welcher einerseits von den » 24 Violons du roy«, andererseits aber von der » Confrérie de St. Julien« mehrere Menschenalter hindurch ausgegangen war, mußte begreiflicherweise eine Stagnation des tonkünstlerischen Lebens nicht allein der französischen Hauptstadt, sondern beziehentlich auch der Provinzstädte herbeiführen. Daß es tatsächlich der Fall war, geht aus einem Musikbericht des auf S. 325 d. Bl. erwähnten französischen Gambenspielers André Maugars hervor, welchen derselbe in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts schrieb. Ich habe dieses merkwürdige Dokument in deutscher Übersetzung im 10. Jahrgang (1878) der Monatshefte f. Musikgeschichte vollständig mitgeteilt. Wenn im Hinblick hierauf die Entwicklung der praktischen Musikpflege Frankreichs, insbesondere aber des kunstgemäßen Violinspieles, eine im Vergleich zu Italien und Deutschland verspätete war, so darf dies um so weniger befremden, als auch die Musikbegabung der Franzosen eine einseitige und wenig hervorragende ist Vidal sagt in seinem schon mehrfach zitierten Werk » les Instruments à archet«: »Wenn man (in Frankreich) zwei Sänger auf der Straße hört, so wird man, wenig Ausnahmen abgerechnet, falsch singen hören. Noch mehr: Wenn nach einer ›Réunion d'orphéons‹ die Sänger auseinander gehen, und Einige derselben auf ihre eigene Hand singen wollen, so singen sie regelmäßig falsch.« Einen wesentlichen Grund für diese Erscheinung findet Vidal in dem Umstande, daß in den Schulen Frankreichs kein Singunterricht erteilt wird. Hierauf wäre zu antworten: wenn die Franzosen ein musikalisch gut beanlagtes Volk wären, so würde der Gesang in den Schulen längst schon eingeführt worden sein.. Einzelne im Laufe der Zeit auftauchende und eine Ausnahme davon machende Erscheinungen konnten daran kaum etwas ändern. Bezeichnend für die mäßige Musikanlage dieser Nation ist schon der auffallende Mangel an schönen Stimmen, welcher sich vorzugsweise in dem spröden, klanglosen Organe des weiblichen Geschlechtes bemerklich macht. Daß das französische Idiom hieran teil hat, ist nicht zu bezweifeln. Mit einem gewissen Recht durfte daher J. J. Rousseau den paradoxen Ausspruch tun, die französische Sprache sei ungeeignet für die Komposition, und es könne keine französische Musik geben. Wenn der letzte Teil dieser Behauptung durch die Wirklichkeit widerlegt ist, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß das musikalische Schaffen der Franzosen sich niemals durch bahnbrechende, wahrhaft neugestaltende Erscheinungen hervorgetan hat. Nicht einmal die von ihnen bis zu hoher Vollendung ausgebildete Spiel- und Konversationsoper war ursprünglich ihre eigene Schöpfung. Es ist bekannt, daß sie den Anstoß dazu durch die zeitweiligen Vorstellungen einer 1752 nach Paris gekommenen italienischen Operngesellschaft, » Bouffons« genannt, erhielten. Indessen prägt sich in diesem Kunstgenre gerade der französische Nationalgeist am reinsten und bestimmtesten aus. Wir erkennen ihn in der scharf markierten, eigentümlich belebten Rhythmik, die schon frühzeitig das mitbestimmte, was man ehedem unter »französischem Geschmack« verstand. Die Begabung der Franzosen für den Rhythmus offenbart sich zumal in ihrer Vorliebe für Schlaginstrumente, namentlich für die Trommel, die sie mit ebensoviel Leidenschaft als Virtuosität zum Leidwesen gebildeter Ohren zu handhaben wissen. Nächst der Rhythmik ist ihre Musikanlage durch eine meist sprunghafte Melodik gekennzeichnet, die indessen des Pikanten nicht leicht entbehrt. Für ein tief kombinatorisches und ideelles musikalisches Gestalten fehlt dagegen den Franzosen das entsprechende Vermögen, und dieses letztere konnte durch Raffinement und geistreiche Spekulation ebensowenig ersetzt werden, wie durch den in ihrem Naturell tief begründeten Hang zu feingeschliffen eleganter und äußerlich effektreicher, nicht selten theatralisch gefärbter Ausdrucksweise.

Als eine natürliche Folge des mäßigen Musiktalents der Franzosen stellt sich bei ihnen im ganzen und großen der Mangel eines musikalischen Volkstums dar, aus dem sich, wie in Italien und Deutschland, eine gleichmäßig durch das ganze Land verteilte Tätigkeit in mannigfaltigen, einander ergänzenden Richtungen hätte entwickeln können. Was aber auch etwa in dieser Beziehung möglich gewesen wäre, – das französische Zentralisationssystem würde hemmend dazwischen getreten sein. Zwar gab es nach Brenet im 18. Jahrhundert in Lyon, Nantes, Marseille und anderen Städten Frankreichs ein ganz reges Musikleben, doch sagt derselbe Autor, daß dasselbe ohne weitere Bedeutung und der fruchtbaren Dezentralisation der kleinen deutschen und italienischen Staaten in derselben Epoche durchaus nicht zu vergleichen sei. Schon lange absorbierte Paris die geistige Kraft des Volkes. Einzelne hier und da in den Provinzstädten auftauchende Kräfte vermochten nicht die Macht der Gewohnheit zu paralysieren, sondern wurden vielmehr, um ihr Talent zur Geltung zu bringen, nach der Hauptstadt gedrängt. In der Tat war damals schon Frankreich in musikalischer Beziehung sozusagen ausschließlich durch Paris repräsentiert. Dort versammelten sich die Begabtesten des Landes, dorthin strömten seit Mitte des 18. Jahrhunderts die künstlerischen Zelebritäten des Auslandes von allen Nuancen und Farben, um ein vergnügungssüchtiges Publikum zu unterhalten und von demselben den Lohn an Beifall und klingender Münze für ihre Anstrengungen zu empfangen. Besonders wurde Paris ein Anziehungspunkt für Gesangs- und Instrumentalvirtuosen, nachdem das Concert spirituel, gegründet 1725 durch Philidor, in Aufnahme gekommen war. Zur selben Zeit existierte das » Concert des mélophilètes« unter Protektion des Prinzen Conti. Weitere Privatveranstaltungen waren die bei dem Herzog v. Aumont, dem Abbé Grave, Mlle de Maes und M. Clerambault stattfindenden, anderer weniger bemerkenswerter nicht zu gedenken.

Es ist richtig, wenn Brenet diese Vielheit ein sichtbares Zeichen dafür nennt, daß die musikalische Kultur oder Mode damals in der Pariser Gesellschaft, aber auch nur in der Gesellschaft, weit verbreitet war. Die große Mehrzahl der Pariser Bevölkerung hatte nichts davon. Nur einmal im Jahre, am 24. August, wurde zu jener Zeit im Tuileriengarten ein großes öffentliches Konzert unentgeltlich von der Académie royale de musique veranstaltet. 1770 gab es das » Concert des amateurs«, 1789 das » Concert de la rue Clery« und 1794 die » Concerts Feydeau« als neu. Diese drei letzteren Unternehmungen, welche übrigens nicht von langer Dauer waren, bezeichneten einen Fortschritt, der sich jedoch auf exklusive Kreise beschränkte. Im allgemeinen blieb das Musiktreiben in Paris, dem angedeuteten Naturell der Franzosen entsprechend, bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein auf einem verhältnismäßig niedrigen Standpunkte. Amüsement war damals wie heute die Parole des Publikums; nach dem »Was« und »Wie« wurde eben nicht viel gefragt. Der Freund und Beschützer Mozarts, Baron Grimm, welcher mit den Pariser Zuständen sehr vertraut war, fand sich zu der bezeichnenden Äußerung veranlaßt: »Schade, daß man sich hier zu Lande so wenig auf gute Musik versteht«; und der alte Mozart charakterisiert den Sologesang bei der Kirchenmusik in der k. Kapelle mit den Worten: »leer, frostig, elend, folglich französisch.« Ausführlicher läßt sich Meister Wolfgang Mozart vernehmen, der bei Gelegenheit seines zweiten Pariser Aufenthaltes (1778) seinem Vater schreibt: »Baron Grimm und ich lassen oft unsern Zorn über die hiesige Musik aus, Notabene unter uns; denn im Publiko heißt es: Bravo, Bravissimo, und da klatscht man, daß einem die Finger brennen.« Ein andermal berichtet er: »Was mich am meisten bey der Sache ärgert, ist, daß die Franzosen ihren Gout nur insoweit verbessert haben, daß sie nun das Gute auch hören können. Daß sie aber einsähen, daß ihre Musik schlecht sey – ey bei Leibe! – Und das Singen! oimè! – Wenn nur keine Französin italienische Arien sänge, ich würde ihr ihre Plärrerey noch verzeihen; aber gute Musik zu verderben, das ist nicht auszustehen.«

Burney, welcher 1770 in Paris war, gibt ein ähnliches Urteil. Er wohnte einer Aufführung im Concert spirituel bei und bemerkt über den dort gehörten Gesang: »Der erste Alt hatte einige Zeilen Solo zu singen, welche er mit solcher Gewalt herausschrie, als wenn er unter dem Messer an der Kehle um Hülfe riefe. Allein so betäubt ich auch war, so sahe ich doch deutlich, – daß dies gerade das war, was ihr Herz und ihre Seele liebte. C'est superbe! hallte durch das ganze Haus von einem Ende zum andern wieder. Doch mit dem letzten Chor nahm das Concert ein Ende mit Schrecken; es übertraf an Geschrei allen Lärm, den ich je in meinem Leben gehört habe.«

Mit der Instrumentalmusik stand es um dieselbe Zeit wenig besser als mit dem Gesange. Erst durch Glucks Auftreten in Paris (1773) erfuhr sie einen wesentlichen Fortschritt; denn dieser Meister stellte nicht nur an die Bühne, sondern auch an die Musiker erhöhte Forderungen für die Darstellung seiner Werke. Nach Castil-Blaze »fand er ein Orchester vor, das in seinen Noten nichts sah als ut und re, Viertel- und Achtelnoten«, und Ginguené berichtet von den ungeschickten, betäubenden und im Vortrag eintönigen Leistungen desselben Marx, Gluck und die Oper. Bd. 2, S. 110, 112.. Wie große Mühe es Gluck kostete, die Mitwirkenden auf die Höhe seines künstlerischen Standpunktes zu erheben, beweisen seine eigenen sarkastischen Worte, daß er, wenn er für die Komposition einer Oper 20 Livres verlangen dürfte, für das Einstudieren derselben 20 000 Livres erhalten müßte. Glucks Einwirkung auf das Pariser Orchesterspiel machte sich natürlich zunächst bei der großen Oper geltend. Da die hier vereinigten Kräfte aber den Kern der Pariser Instrumentalisten bildeten, so konnte es nicht fehlen, daß der erzielte Gewinn bald von maßgebendem Einfluß auf die übrigen Kunstinstitute wurde, in denen die Orchestermusik gleichfalls eine Rolle spielte. Daß nächstdem auch eine künstlerische Autorität wie Viotti von förderndem Einfluß auf die Pariser Instrumentalmusik sein mußte, läßt sich nicht bezweifeln.

 

2. Das französische Violinspiel bis zur Begründung der Pariser Schule.

Wenden wir uns nunmehr zu den französischen Violinisten jener Epoche, so werden wir im Hinblick auf die geschilderten allgemeinen Musikzustände des damaligen Frankreich nichts Hervorragendes erwarten können. Zwar brachte Frankreich vom Ende des 17. Jahrhunderts ab eine stattliche Anzahl von Violinspielern hervor, von denen bei weitem die Mehrzahl in Paris wirkte. Aber für ihre durchschnittlich geringe Bedeutung spricht beredt der Umstand, daß eine nationale Schule des französischen Violinspieles erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstand, und daß nicht das Auftauchen eines hervorragenden französischen Geigers und Komponisten, sondern Viottis erster Pariser Aufenthalt ihr Kristallisationspunkt wurde.

Tatsächlich wäre von den französischen Violinspielern vor diesem Zeitpunkt nur ein einziger imstande gewesen, Kopf und Ausgangspunkt einer solchen Schule abzugeben: Pierre Gaviniés. Und zweifelsohne wäre es so gekommen, obwohl Gaviniés schöpferische Begabung nicht groß war und auch unter seinen Schülern keine Kraft ersten Ranges sich findet, wenn nicht Viottis Erscheinen das ganze musikalische Paris – Künstler wie Publikum – fasziniert und in neue Bahnen gelenkt hätte.

Das Wirken Gaviniés' laßt italienischen Einfluß erkennen, und wir werden sehen, daß eine Anzahl gerade der bedeutenderen Geiger Frankreichs im 18. Jahrhundert den gleichen Einfluß bewußt aus sich wirken ließen und versuchten, ihn in ihrem Vaterlande einzubürgern. So Baptiste Anet, der ältere Leclair, Pagin, Lahoussaye und andere. Aber keiner von ihnen drang damit durch. Ja, es zeigte sich bei mehreren, daß Frankreich – d. h. Paris – ihrer ausgebildeteren Kunst teils mit Unverständnis, teils mit ausgesprochenem Mißwollen begegnete.

Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit hierzu der selbstgefällige, noch immer nicht ganz geschwundene Wahn des Franzosentums beigetragen, als besonders bevorzugtes, an der Spitze der Zivilisation stehendes Kulturvolk die Aneignung fremdländischer Errungenschaften und Vorzüge entbehrlich zu finden. Jedenfalls sprechen die Tatsachen dafür, daß das stark ausgebildete Selbstbewußtsein dieser Nation Der Musikkritiker des Pariser » Figaro«, Herr Leroy, gibt u. a. nachstehenden erbaulichen Beleg dazu. In einer Besprechung der von ihm in München gehörten Aufführung der Wagnerschen »Meistersinger« läßt er sich zu folgender Phrase herbei: »In seiner Zurückgezogenheit, am Ufer des Luzerner Sees, denkt Wagner noch immer an Frankreich, an Paris. Er weiß genau, wie es Meyerbeer, Rossini und Verdi wußten, daß der Hauptstadt Frankreichs allein die endgültige Entscheidung über den Wert einer neuen Kunstrichtung zusteht.« (Süddeutsche Musikztg. Jahrg. 17, Nr. 34.) im gegenwärtigen Falle einer rückhaltlosen, pietätvollen Aufnahme des von außen herzugebrachten Bildungsstoffes lange Zeit hindurch hemmend entgegenstand. Begreiflich ist es daher, wenn die methodisch schöne Geigenbehandlung in Frankreich verhältnismäßig spät, nämlich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, allgemeineren Eingang fand.

Wie es in der unmittelbar vorhergehenden Periode speziell mit dem Violinspiel aussah, ersieht man aus einer Mitteilung des tüchtigen Pariser Musikers Michel Corrette Michel Corrette war um 1758 Organist am großen Jesuitenkollegium ( rue Saint-Antoine) zu Paris. In seinem Hause veranstaltete er Musikaufführungen der besten Werke Lullys und Campras. Auch eröffnete er eine Musikschule, für deren Gebrauch er mehrere Instrumentalwerke schrieb. Mit seinen Schülern hatte er aber kein Glück. Man nannte sie in Paris spottweise » les anachorètes« (les anes à Corrette).Dieser Spitzname entstand vielleicht aus einer Gereiztheit der Pariser Musiker gegen Corrette wegen dessen offener ungeschminkter Sprache über den untergeordneten Standpunkt des französischen Violinspiels zu Anfang des 18. Jahrhunderts., die sich in seinem Werke: » Le maitre de Clavecin pour l'accompagnement etc. (Paris 1753)« vorfindet. Er berichtet dort: »Als Corellis Sonaten in Paris ankamen, konnte man keinen Geiger finden, der sie zu spielen vermochte. Zwar machten sich Violinisten daran und studierten sie Tag und Nacht, aber erst nach mehreren Jahren waren drei von ihnen imstande, sie auszuführen.« Corrette fügt hinzu, daß der Herzog von Orleans, der die Sonaten kennen lernen wollte, sie sich singen ließ und zwar die dreistimmigen Sätze von drei Sängern besetzt.

Dem hier bezeichneten Standpunkte entsprechen denn auch vollkommen die französischen Violinkompositionen aus jener Zeit. Sie beweisen, daß Correttes Urteil nicht im mindesten übertrieben ist. Unter denselben heben wir ein Suitenwerk Rébels hervor, dessen Titel lautet: » Pieçes pour le Violon, avec la Basse-Continue; divisées par Suites de Tons: qui peuvent aussi se jouer sur le Clavecin, et sur la Viole. Par Monsieur Rébel, Ordinaire de l'Académie Royale de Musique. A Paris chez Christophe Ballard. 1705.«

Diese » Pieçes« bestehen aus drei Suiten, in denen sich die zu jener Zeit üblichen Tanzformen, wie Allemande, Courante, Sarabande, Gigue, Chaconne, Bourrée, Passacaille, la Boutade, Gavotte und Menuet finden. Außerdem enthalten sie zwei Kapricen, ein Rondo und ein Stück mit der Bezeichnung » les Cloches«. Jede der drei Suiten ist durch ein » Prélude« eingeleitet. Mit Ausnahme der Chaconne und Passacaille, welche nach üblicher Weise variiert sind, haben die Tänze die zweiteilige Liedform. Der dürftige Violinsatz überschreitet nicht die dritte Lage. Die Notierung steht mit Ausnahme des (bezifferten) Basses in den alten Schlüsseln.

Den Schluß des Werkes bildet eine ausgeführte Caprice, zunächst von einer, dann von zwei Geigen ( Dessus), Viola ( Taille) und Baß begleitet.

Sämtliche Musikstücke dieser Sammlung, die weit eher Anfängerarbeiten als Erzeugnissen eines reifen Mannes gleichen, erheben sich wenig über die primitive Bildweise. Von freier melodischer Erfindung ist nicht die Rede. An ihre Stelle tritt eine mangelhafte Figuration. Ebenso übel beraten zeigt sich der Autor in harmonischer Hinsicht. Seine Fortschreitungen und Intervallverdoppelungen machen einen schülerhaften Eindruck. Das rhythmische Element ist dagegen unverkennbar in einer den verschiedenen Tanzformen entsprechenden Weise mit Bewußtsein behandelt. In ihrer Totalität zeigen diese Musikstücke, wie sehr Frankreich in betreff der Violinkomposition und, was dasselbe ist, des Violinspiels gegen Italiens zu jener Zeit vorgerückte Leistungsfähigkeit und selbst gegen Deutschland im Rückstände war Rébel ließ 1713 noch ein Heft mit 12 Sonaten » à violon seul, mêlées de plusieurs récits pour la viole« als » livre II.« bei Faucault in Paris erscheinen, dessen Inhalt möglicherweise besser ist, als die oben besprochenen » Pieçes pour le violon«, sowie 1715 ein » Caractères de la danse Fantaisie«. Weckerlin gibt an ( Dernier Musiciana), daß man darin viele Beispiele alter Tänze finde..

Jean Ferry Rébel, ein Schüler Lullys, geb. 1669 zu Paris, war Kammerkomponist des Königs und gehörte den » vingt-quatre Violons« an. Seit 1699 versah er den Dienst als erster Violinist, und 1707 wurde er Chef seiner Mitspieler. In dieser Funktion stand er noch 1737. Sein Todesjahr ist 1747.

François Rébel, Sohn des vorhergehenden, geb. 19. Juni 1701 zu Paris, war gleichfalls Violinspieler und seit 1717 Mitglied der königl. Kapelle. 1723 wurde er zum Kammerkomponisten ernannt. Die Tätigkeit desselben als Tonsetzer ist dadurch besonders bemerkenswert, daß er in Gemeinschaft François Francoeurs neun Opern schrieb, die sich indes, wie Fétis bemerkt, in keiner Weise über das Niveau ihrer Zeit erheben. Beide Männer waren eng befreundet und versahen von 1733 ab nicht nur gemeinsam das Inspektorat der 1672 durch Lully begründeten » Académie royale de musique«, sondern während der Jahre 1753-1767 auch die Direktion dieses Instituts. 1772 wurde Rébel Generalinspektor der Oper und starb, kurz zuvor in den Ruhestand getreten, am 7. November 1775.

François Francoeur, geb. in Paris am 28. Sept. 1698, wurde bereits in seinem zwölften Jahre bei der Oper angestellt. Auch tat er Dienste als königl. Kammermusiker und erwarb dann, nach damaligem Brauch, käuflich eine von den Stellen der 24 Kammermusiker des Königs, dessen Kammerkomponist er später wurde. Seine weitere Karriere machte er, wie schon bemerkt, als Kollege Rébels (des Sohnes). Doch brachte er es schließlich noch weiter als dieser, da er sich 1760 zur Würde eines königl. Obermusikintendanten emporschwang, auf die er schon 1742 seine Anwartschaft von Colin de Blamont käuflich erworben hatte. Francoeur starb nach wiederholten Steinoperationen in seiner Geburtsstadt am 6. August 1787. Außer den mit Rébel zusammen komponierten Opern veröffentlichte er zwei Sonatenhefte, die aus seinen Jugendjahren herrühren und als sein ausschließliches produktives Eigentum bezeichnet werden. Das eine dieser Werke, » Premier livre de Sonates à Violon seul et la Basse. Dediez au Roy, Composez par Mr. Francoeur le fils, Paris 1715«, enthält acht Sonaten, die einen unverkennbaren Fortschritt gegen die » Pieces« des älteren Rebel bekunden. In der Formgebung bewegt der Komponist sich insofern zwischen der Suite und Sonate, als bei ihm Tanzstücke mit ausgeführteren Tonsätzen freier Erfindung von verschiedenem Charakter abwechseln. So finden sich in diesen Sonaten Allegros, Arien und an Tänzen die Allemande, Gavota, Sarabanda und Courante. Die Finales bestehen meist in einem Prestosatz, die Einleitungen in einem ausgeführteren Adagio. Die Allegros sind trotz ihres sehr einfachen Charakters und des veralteten Duktus ihres Figurenwesens von munterem, sowie leicht bewegtem und natürlichem Fluß; die langsamen Sätze zeichnen sich bereits durch einzelne hübsch empfundene Momente aus. Vor allem aber ist die Violinbehandlung mannigfaltiger und wirkungsvoller als bei Rébel D. Alard hat in seinen » Maîtres classiques du Violon« eine Sonate Francoeurs (Nr. IV) neu herausgegeben.. Eine Eigentümlichkeit Francoeurs, von der es unseres Wissens kein zweites Beispiel in der Violinliteratur gibt, ist die Benutzung des Daumens der linken Hand für gewisse Akkordgriffe, eine Lizenz, die freilich gegen die Grundsätze des schulgerechten Violinspiels verstößt. Ein Neffe von ihm, Louis Joseph, wird uns später begegnen.

Von weiteren gleichzeitigen französischen Violinisten nennen wir zunächst: Louis Travenol, geb. 1698 zu Paris. Er gehörte dem Orchester der großen Oper an, welchem er 1739 einverleibt wurde. 1759 schied er mit Pension aus seiner Stellung, wozu wahrscheinlich sein bizarrer, ränkesüchtiger Charakter, der überhaupt in Mißkredit stand, beigetragen hat. Travenol veröffentlichte ein Sonatenwerk für Violine. Aus diesem teilt Cartier in seiner » l'Art de Violon« ein Adagio von elf Takten mit, dessen unentwickeltes Wesen keine Haltepunkte für die Beurteilung des Komponisten gibt.

Eher ist dies möglich in betreff eines Adagios von Jacques Aubert ( le vieux), geb. 1678, welches Cartier seinem Werke einverleibt hat. Dasselbe, einem 1724 gedruckten Sonatenwerke angehörend, ist von stilvoller Haltung und läßt eine tüchtige Künstlernatur erkennen. Im Jahre 1730 gab er Konzerte heraus, mit denen er sich in einen gewissen Gegensatz zu den Werken Corellis, Vivaldis und anderer italienischer Tonsetzer stellte, die besonders seit Gründung des Concert spirituel (1725) dem pariser Publikum bekannt zu werden begannen. Dieser Gegensatz tritt deutlich in der Vorrede des Werkes zutage Abgedruckt bei A. Schering, Geschichte d. Instrumentalkonzerts, S. 166. Die italienischen Konzerte, heißt es darin, gefielen nicht allen, speziell den Damen nicht: » dont le jugement a toujours déterminé les plaisirs de la nation«, wie er galant beifügt. Ferner verdürben sich die jungen Künstler durch das Studium dieser Werke ihre französische Grazie, Sauberkeit und schöne Einfachheit, und schließlich seien die italienischen Konzerte zu schwierig. Dieses Urteil Auberts darf wohl als typisch für die damalige durchschnittliche Stimmung der französischen Musiker gegenüber der italienischen Instrumentalmusik bezeichnet werden.

Aubert war königl. Kammerviolinist und außerdem im Orchester der Oper und des Concert spirituel tätig. 1748 wurde er Chef der ersten Violine und Oberintendant der Musik des Herzogs von Bourbon. Er starb am 19. Mai 1753 in Belleville bei Paris, nachdem er sich im Jahre zuvor von seiner amtlichen Tätigkeit zurückgezogen hatte.


Bevor wir die weitere Entwicklung des französischen Violinspiels verfolgen, ist des italienischen Einflusses auf dasselbe zu gedenken, von dem uns soeben bei Aubert ein deutliches Anzeichen begegnete. Er begann mit dem 18. Jahrhundert Fétis teilt mit, daß François Duval, seit 1704 Mitglied der königlichen Kapelle, der erste Franzose gewesen sei, welcher Violinsonaten nach italienischem Vorbilde geschrieben habe. Seine Kompositionen, welche aus 7 Sonatenheften bestehen, sind mir nicht zugänglich gewesen. Duval starb 1733 zu Paris. und wurde zunächst durch Baptiste Anet – gewöhnlich nur bei seinem Vornamen Baptiste genannt – vermittelt, welcher ein Schüler Corellis war. Vier Jahre studierte er unter Leitung dieses Meisters in Rom. Bei seiner ungefähr um 1700 erfolgten Rückkehr nach Paris erregte er dort so großes Aufsehen, daß er als bedeutendster französischer Violinist gepriesen wurde. Daß er es wirklich gewesen, hat bei dem damaligen noch wenig entwickelten Zustande des Violinspiels in Frankreich alle Wahrscheinlichkeit für sich. Baptiste hegte den Wunsch, sich bleibend in Paris niederzulassen. Aber diese Stadt war noch nicht reif für eine solche Erscheinung. Er spielte vor Ludwig XIV., welcher indessen – vielleicht seinen 24 Kammerviolinisten zulieb – keinen Geschmack an seinem Spiel fand. Der französische Hof war damals für Paris, was diese Stadt für das ganze Land, und so vermochte Baptiste dort nicht festen Fuß zu fassen. Er entschloß sich daher nach einiger Zeit, in Polen sein Glück zu versuchen. Wir finden ihn 1738 am Hofe des polnischen Exkönigs Stanislas Lescynski. Er starb in Lunéville 1755. ( Jacquot, La musique en Lorraine.) Von seinen Kompositionen ließ Baptiste drei Hefte Violinsonaten drucken.

Indes war Anet nicht vergeblich in Paris gewesen. Er fand in Jean Baptiste Senaillé einen Schüler Bei Fétis wird auch der Italiener Giov. Antonio Piani (Desplanes) als Lehrer Senaillés angeführt. Piani war ein Neapolitaner und gegen Ende des 17. Jahrhunderts geboren. Er kam 1704 in Begleitung des Grafen von Toulouse nach Frankreich. Angeblich soll er später in Venedig wegen Fälschung von Handschriften eine Hand durch das Henkerbeil eingebüßt haben., der begeistert von der italienischen Manier des Violinspiels, mit allem Eifer sich die Kunst seines heimgekehrten Landsmannes anzueignen suchte. Dies gelang ihm um so schneller, als ihn Queversin, einer der 24 Kammerviolinisten des Königs, bereits über die wichtigsten Elemente der Technik hinweggebracht hatte. Nun aber genügte dem strebsamen Jüngling das französische Violinspiel nicht mehr, und er beschloß deshalb, nach Italien zu wandern, um an der Quelle unter Leitung eines bewährten Meisters noch weitere Studien zu machen. Doch kam er nur bis Modena, wo man so großes Gefallen an seinen Leistungen fand, daß man ihn für das Opernorchester engagierte. 1719 kehrte Senaillé nach Paris zurück und beschloß dort am 12. Oktober 1730 sein Leben. Geboren wurde er am 23. November 1687. Da Senaillé sich auf dem Titel seines dritten Sonatenwerkes (Paris 1716) » Ordinaire de la musique de la chambre du Roy« nennt, gehörte er zur Bande der 24 Violons. Seine Kompositionen, die zu Paris in fünf Heften erschienen, erweisen sich als nicht ungeschickte, inhaltlich aber bedeutungslose Nachbildungen italienischer Muster. Ein wohlgestaltetes, wenn auch sehr einfaches Musikstück aus ihnen gibt J. B. Cartier in seiner »l'Art de Violon«, eine Sonate (IX.) D. Alard in den Maîtres classiques du violon.

Ein anderer in Italien gebildeter Franzose von größerer Bedeutung war Jean Marie Leclair, mit dem Beinamen l'aîné, der Sohn eines in den Diensten Ludwigs XIV. stehenden Musikers. Geboren am 16. Mai 1697 in Lyon, nach anderer Version am 23. November 1687 zu Paris, und ursprünglich für die Tanzkunst bestimmt, der er auch einen Teil seines Lebens widmete, trieb er doch seit seiner Jugend das Violinspiel so fleißig, daß er sich demselben später auf erfolgreiche Weise widmen konnte. Sein Geschick führte ihn als Ballettmeister nach Turin. Hier machte er die Bekanntschaft von Somis, der sich so sehr für sein Talent interessierte, daß er ihn zwei Jahre lang unterrichtete. Nun verließ Leclair sein Metier und gab sich ganz der Musik hin, in der er sich durch eigenes Studium immer mehr zu vervollkommnen suchte. Er wandte sich 1729 nach Paris und bildete sich hier unter Anleitung Chérons, damaligen Cembalisten bei der Oper, in der Tonsetzkunst aus. Als Violinist vermochte er indessen ebensowenig eine seinen Fähigkeiten entsprechende Stellung zu erringen wie Baptiste Anet. Gleichsam, als ob man den italienischen Einfluß nicht aufkommen lassen wollte, wies man ihm eine untergeordnete Ripienistenstelle im sogenannten » grand choeur« der Oper zu, die ihm bei einer Besoldung von 450-500 Livres nur gestattete, in der Ouvertüre, den Chören und der Ballettmusik mitzuwirken. Nach einiger Zeit durfte Leclair hoffen, seine künstlerische und materielle Lage zu verbessern, da er 1731 der königl. Musik zugeteilt wurde. Allein ein Zerwürfnis mit dem ihm nach Fayolles Angabe feindlich gesinnten Geiger Guignon wegen des Vorspieleramtes der zweiten Violine veranlaßte ihn, auf jede offizielle Anstellung zu verzichten. Er trat ins Privatleben zurück und war in der Folge nur noch als Musiklehrer und Komponist für sein Instrument tätig. So wirkte er in aller Stille mit der Anspruchslosigkeit eines echten Künstlers. Bezeichnend hierfür erscheint es, daß er trotz einer ungewöhnlichen Begabung auch niemals außerhalb Paris den Weg der Öffentlichkeit betrat, um für seinen Ruf oder materiellen Gewinn tätig zu sein. Nur einmal entfernte er sich von Hause und suchte Locatelli in Amsterdam auf, dessen Kunst ihn lebhaft interessierte. Fétis will sogar einen Einfluß dieses Meisters auf Leclairs letzte Kompositionen erkennen, die als oeuvre posthume nach seinem Ableben erschienen. Der treffliche Künstler starb eines gewaltsamen Todes. Am 22. Oktober 1764 abends 11 Uhr wurde er in den Straßen von Paris nahe bei seiner Wohnung von unbekannter Hand ermordet.

Leclair erscheint nach den von ihm vorliegenden Werken als einer der bedeutendsten Violinkomponisten Frankreichs im 18. Jahrhundert. Zwar läßt seine Gestaltungsweise den engen Anschluß an die Überlieferungen der normgebenden italienischen Schulen erkennen, doch spricht sich in mehreren seiner Arbeiten ein eigentümlicher nationaler Zug von spirituell geartetem Charakter aus. Seine Musik atmet bei angenehmem natürlichem Fluß frisch pulsierendes, rhythmisch bewegtes Leben in den schnellen, Anmut und Grazie in den langsamen Sätzen. Freilich kann dieses nur auf einen gewissen Teil seiner Kompositionen bezogen werden; denn in ihrer Totalität betrachtet enthalten sie nicht wenig Veraltetes und Unbedeutendes. Allein dies gilt mehr oder minder von allen Violinkompositionen des 18. Jahrhunderts, und selbst Männer wie Corelli und Tartini machen davon keine Ausnahme. Zu größerer Gemütsvertiefung und Breite des Stils erhebt Leclair sich selten. Wenigstens ist uns davon nur ein Beispiel in der sechsten Sonate ( c-moll) seines fünften Werkes bekannt, die mit Beziehung auf ihre schwermütig ernste Färbung den Beinamen » le tombeau« erhielt Es ist die eine von den beiden in der Davidschen Bearbeitung bei Breitkopf & Härtel erschienenen Sonaten Leclairs. Eine andere originaltreuere Ausgabe derselben veranstaltete Alard bei Schott in Mainz. Dort sind seither noch zwei weitere Sonaten Leclairs erschienen.. Sie tut sich – namentlich in den beiden ersten Sätzen – durch ungewöhnlichen Schwung und pathetischen Ausdruck hervor. Leclairs Geigenbehandlung ist wirkungsreich, doch überschreitet sie nicht die durch Tartini gesteckten Grenzen. Innerhalb derselben offenbart er sich indes als ausübender Künstler von großer Gewandtheit, besonders im doppelgriffigen Spiel, das er in meisterhafter Weise beherrscht haben soll, dagegen man bisweilen eine gewisse Kühle seines Spieles tadelte.

Von den veröffentlichten Kompositionen Leclairs, die dessen Frau sämtlich gravierte, nennt Fétis vierzehn verschiedene Werke. Dieselben enthalten teils Solosonaten für Violine mit beziffertem Baß, sowie Trios für zwei Violinen mit Baß oder für Violine, Flöte und Baß (auch ein opus für zwei Flöten, zwei Violinen und Baß ist darunter), teils Konzerte mit Begleitung von Streichinstrumenten. Für die Bühne schrieb Leclair eine Oper » Glaucus et Scylla«, die am 4. Oktober 1747 zu Paris aufgeführt wurde.

Der jüngere Bruder des Künstlers, Antoine Remi Leclair, genannt le cadet, geb. in Lyon zu Anfang des 18. Jahrhunderts, war gleichfalls ein tüchtiger Violinspieler. Trotz vorteilhafter Anerbietungen seitens seiner Vaterstadt im Jahre 1733 wandte er sich, wie sein Bruder, von dem großen Magneten Paris angezogen, dorthin. Von ihm erschien 1739 (nicht gegen 1760, wie Fétis angibt) ein Heft mit zwölf Violinsonaten.

Leclairs des älteren künstlerisches Wirken als Vermittler der italienischen Violinschule konnte namentlich in betreff seiner Lehrtätigkeit nicht ohne Einwirkung auf das französische Violinspiel sein. Doch darf dieselbe um so weniger überschätzt werden, als dieser Meister, wie wir gesehen haben, zu keiner einflußreichen Stellung in Paris gelangen konnte.

Unter seinen Schülern haben wir nur zwei namhaftere Künstler hervorzuheben: l'Abbé fils und Saintes Georges. Der erstere, mit seinem eigentlichen Namen Joseph Barnabé S. Sévin, wurde in Agen am 11. Juni 1727 geboren und kam 1731 nach Paris. Hier genoß er zwei Jahre Leclairs Unterricht, nachdem er schon von seinem Vater l'Abbé im Violinspiel unterwiesen worden. 1739 wurde l'Abbé im Orchester der Comédie française und 1742 bei der großen Oper angestellt. 1741 spielte er, erst 14jährig, zusammen mit dem 13 Jahre alten P. Gaviniés im Concert spirituel. Gegen 1762 gab er aber schon seine künstlerische Wirksamkeit auf, zog sich nach Maison bei Charenton zurück und starb dort 1787. Von seiner Komposition erschienen im Druck acht Sonaten- und Triowerke. Ungewiß dagegen ist es, ob er die unter seinem Namen bei Cartier angeführte Violinschule verfaßt hat.

Le Chevalier de Saintes Georges, der Sohn des Generalpächters M. de Boulogne im französischen Amerika und einer Negerin, geb. am 25. Dezember 1745 zu Guadeloupe, erhielt seine Erziehung von Jugend auf in Frankreich. Leclair bildete ihn zu einem der tüchtigsten französischen Violinisten seiner Zeit heran. In reiferen Jahren führte er gemeinschaftlich mit Gossec die Direktion der » Concerts des amateurs« Diese Konzerte wurden von Gossec, einem der bedeutendsten und tätigsten Musiker Frankreichs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, zur Pflege der Instrumentalmusik 1770 gegründet. François Josephe Gossec, geb. 1733, kam 1752 nach Paris und war neben seiner amtlichen Tätigkeit als Leiter der » Ecole royale du chant« (1784), sowie als Mitdirigent des Conservatoire (1795) von Bedeutung für die französische Instrumentalkomposition. Seine längst vergessenen Symphonien und Streichquartette entstanden ziemlich zu gleicher Zeit mit den Haydnschen Werken dieser Gattungen. Auch verschiedene Vokalkompositionen sind von ihm vorhanden. Er starb 1829 in Passy.. Als Komponist war er nicht nur für sein Instrument, sondern auch für die Bühne tätig. Doch sein Hang zu ungewöhnlichem Leben entzog ihn später dem künstlerischen Beruf. Von den Bewegungen der Revolution ergriffen und mit fortgerissen, stellte er sich als Kommandant an die Spitze eines von ihm organisierten Jägerkorps, welches er der Nordarmee zuführte. Beinahe wäre er indes ein Opfer der Sache geworden, für die er eingetreten. Man verdächtigte seinen Charakter, und nur der Reaktion des 9. Thermidor (27. Juli 1794) hatte er seine Rettung vor dem Beile der Guillotine zu verdanken. Doch geriet er im Getriebe jener greuelvollen Zeit in eine brotlose Existenz und endete sein Leben unter kummervollen Verhältnissen am 12. Juni 1799 Eine Sonate von ihm ist von D. Alard in den » Maîtres classiques du Violon« neu herausgegeben worden..

Außer Leclair ging von französischer Seite noch Pierre Vachon aus der piemontesischen Violinschule hervor. Geboren 1731 zu Arles, wurde er bei seinem späteren Aufenthalte in Paris Zögling Chiabrans, welcher 1751 dort mit großem Erfolg auftrat. Nachdem Vachon sich 1756 und 1758 im Concert spirituel als Solospieler hatte hören lassen, wurde er 1761 für die Privatmusik des Prinzen Conti als erster Violinspieler engagiert. 1784 verließ er Frankreich, zunächst nur, um eine Kunstreise nach Deutschland anzutreten, gab dann aber für immer sein Vaterland preis, als er während seiner Anwesenheit in Berlin zum Konzertmeister bei der königl. Kapelle ernannt wurde. Er bekleidete diesen Posten bis 1798, trat dann in Ruhestand und starb 1802 in Berlin. Vachon war auch als Komponist tätig, sechs komische Opern von ihm sind aufgeführt worden. Die beiden Sätze, welche Cartier in seiner Violinschule von ihm mitteilt, erwecken keine besonders günstige Meinung von seinem Talent. Als Violinist soll Vachon nach La Bordes Urteil sich vorzugsweise im Quartettspiel ausgezeichnet haben. Daß er als Konzertmeister tüchtig war, ist aus Dittersdorfs Selbstbiographie zu ersehen.

Die Paduaner Schule fand gleichfalls unter den Franzosen Vertretung, und zwar durch André Noel Pagin, Joseph Touchemoulin und Pierre Lahoussaye. In betreff des ersteren zeigt sich recht auffallend, wie sehr die Franzosen im 18. Jahrhundert geneigt waren, ihr von Eifersüchtelei erfülltes Vorurteil gegen die Superiorität der italienischen Kunst bei passender Veranlassung an den Tag zu legen. Pagin war in jungen Jahren der Schüler Tartinis gewesen. Als er bei seiner Rückkehr nach Paris 1747 im Concert spirituel auftrat, verbanden sich die anwesenden Musiker zu einer feindlichen Demonstration gegen ihn, angeblich dadurch verletzt, daß er nur Kompositionen seines Lehrmeisters zum Vortrag gewählt hatte. Die gehässige Aufnahme seiner gediegenen Bestrebung, den größten Violinkomponisten der Zeit bei seinen Landsleuten einzuführen, beleidigte ihn so tief, daß er sich nicht wieder zu einem öffentlichen Auftreten entschließen konnte. Seine Existenz wäre unter solchen Umständen bedroht gewesen, wenn ihn sein Freund und Beschützer, der Herzog von Clermont, nicht durch eine Anstellung mit dem Jahrgehalt von 6000 Franken unterstützt hätte. Fortan lebte Pagin der Kunst ausschließlich zum Vergnügen und ließ sich nur noch in Privatkreisen hören. Burney, der seine Bekanntschaft 1770 in Paris machte, rühmt seinem Spiel besondere Schönheit des Tones sowie des Vortrages im Adagio und leichte Besiegung technischer Schwierigkeiten nach. 1748 erschienen zu Paris sechs seiner Violinsonaten. Cartier teilt aus der letzten derselben das Adagio mit, welches zwar von würdiger Haltung ist, doch in keiner Hinsicht sich auszeichnet Eine Sonate (V) in D. Alards » Maîtres classiques du Violon«.. Geboren wurde Pagin 1721 in Paris. Sein Todesjahr ist unbekannt.

Von seinen Schülern ist erwähnenswert: Joseph Etienne Bernhard Barrière. Derselbe wurde im Oktober 1749 zu Valenciennes geboren und kam als zwölfjähriger Knabe nach Paris, um bei Pagin im Violinspiel und bei Philidor in der Komposition sich auszubilden. Nachdem er dann im Concert spirituel aufgetreten war, wurde er bei demselben sowie am Concert des amateurs als Sologeiger angestellt. Von seinen Kompositionen gab er Quartette, Symphonien, Trios, Duos und Konzerte heraus.

Joseph Touchemoulin, geb. 1727 zu Chalons, verließ frühzeitig sein Vaterland und kam erst in die Lehre Tartinis, nachdem er beim Kurfürsten von Köln und Bonn als Hofmusikus tätig gewesen war. Dieser Fürst gewährte ihm die Mittel zu einer Studienreise nach Italien und ernannte ihn bei seiner Rückkehr von derselben zum Kapellmeister. Der Tod seines Wohltäters veranlaßte ihn, diese Stellung aufzugeben und eine gleiche am Thurn und Taxisschen Hofe in Augsburg anzunehmen. Hier wirkte er bis zu seinem Ende, welches am 25. Oktober 1801 erfolgte. Als Komponist war Touchemoulin unbedeutend. Schubart sagt über ihn: »Sein Geschmack ist ganz französisch, weich und molligt. Er spielt die Violine zwar mit Kraft, doch in einer Manier, die nicht Jedermann gefallen kann.« Sein Sohn Ludwig war gleichfalls Violinist, und von ihm bemerkt derselbe Berichterstatter: »Sein Sohn hat schon im zwölften Jahre große Talente für die Violin geäußert, indem er die schwersten Concerte mit fliegender Fertigkeit vortrug; allein die weichliche Erziehung seines Vaters war ihm nicht günstig.« Nach Gerber wurde er im Mannesalter taub.

Pierre Lahoussaye, eine Künstlernatur von glücklicher Anlage, trieb die Musik, namentlich aber das Violinspiel, in früher Jugend aus eigenem Antriebe und ohne jede Anleitung. Er war am 12. April 1735 in Paris geboren. So fand er denn bald Gelegenheit, sich regelrecht auszubilden. Sein erster Lehrer war Piffet, ein tüchtiger, um 1750 bei der großen Oper angestellter Violinist mit dem seltsamen Spitznamen le grand nez. Schon vor Ablauf seines zehnten Lebensjahres konnte Lahoussaye sich im Concert spirituel hören lassen. Fördernde Anregung für sein Studium fand er weiterhin in dem Hause des Grafen Senneterre, in welchem er die namhaftesten damals in Paris versammelten Geiger hörte, unter denen sich Männer wie Giardini, Pugnani, Pagin und Ferrari befanden. Der letztere, welchem Lahoussayes Begabung nicht entging, veranlaßte denselben gelegentlich, in diesem Künstlerkreise zu spielen, und zum Erstaunen der Anwesenden trug er einige Teile aus Tartinis Teufelssonate vor, die er nur vom Hören kannte. Diese Probe seines Talentes bewog Pagin, ihm Unterricht zu erteilen. Derselbe rief das Verlangen in ihm hervor, auch unter den Augen des Meisters, welchem Pagin seine Ausbildung verdankte, das bisher getriebene Studium zu vollenden. Ein glücklicher Umstand verschaffte ihm hierzu Gelegenheit. Er fand ein Unterkommen bei dem Fürsten von Monaco, welcher ihn mit sich nach Italien nahm, und nun sah Lahoussaye seinen Wunsch erfüllt, der Lehre Tartinis teilhaftig zu werden, welche er mehrere Jahre hindurch genoß Daß er Tartinis » Trattato« übersetzte, ist bereits S. 145 dieses Buches mitgeteilt worden.. Zugleich benutzte er die Gelegenheit, bei Traetta in Parma Kompositionsunterricht zu nehmen. Nach 15jähriger Anwesenheit in Italien erhielt Lahoussaye den Ruf, die italienische Oper in London zu dirigieren. Er begab sich 1770 dahin. Doch schon wenige Jahre später verließ er diesen Wirkungskreis, um im Jahre 1777, von Legros veranlaßt, in Paris die Orchesterleitung des Concert spirituel zu übernehmen, die ihm 1781 auch in der Comédie italienne zuteil wurde. 1790 führte er gemeinschaftlich mit Puppo die Orchesterdirektion am Théâtre Monsieur, dem späteren Théâtre Feydeau. Hier war er bis zur Vereinigung der letzteren Bühne mit dem Théâtre Favart (1800) tätig. Auch bekleidete er bis 1802 eine Violinprofessur bei dem zu Ende des 18. Jahrhunderts gegründeten Pariser Konservatorium. Seit dieser Zeit aber verfolgte ihn Mißgeschick. Aller seiner Funktionen nach und nach enthoben und ohne Aussicht auf irgend eine seinen bisherigen Stellungen entsprechende Entschädigung, sah er sich genötigt, einen Platz bei der zweiten Geige im Opernorchester anzunehmen. In dieser drückenden Lage arbeitete er um das tägliche Brot bis zum Jahre 1813, da dann beginnende Taubheit und Abnahme der Kräfte Veranlassung zu seiner gänzlichen Verabschiedung wurden. Er starb in Paris gegen Ende 1818. Von seinen Kompositionen sind nur sechs Violinsonaten bekannt.

Lahoussaye war allen Nachrichten zufolge ein ausgezeichneter Violinspieler. Fétis berichtet, daß dieser Künstler, trotz seines hohen Mannesalters, ihn durch mächtigen Ton und große Vortragsweise in freudiges Staunen versetzt habe.

Außer den ebengenannten unter dem unmittelbaren Einfluß des italienischen Violinspiels gebildeten Künstlern wäre hier noch Woldemar (mit seinem eigentlichen Familiennamen Michel) zu erwähnen, der ein Schüler Antonio Lollis war. Am 17. Septbr. 1750 in Orléans geboren, genoß er eine brillante Erziehung mit besonderer Bevorzugung der Musik, für die er sich später ganz entschied. Die Wechselfälle des Glücks zwangen ihn bald, eine Existenz zu suchen, welche er zunächst als Musikmeister einer ambulanten Schauspielergesellschaft fand. Weiterhin ließ er sich zu Clermont-Ferrand nieder. Dort lebte er bis zu seinem Tode, der im Januar 1816 erfolgte.

Woldemar bietet uns insofern ein Interesse, als er zu denjenigen Geigern des 18. Jahrhunderts zählt, die in die Fußtapfen Lollis traten. Ausdrücklich wird von ihm hervorgehoben, daß er sich ähnlich, nur noch handgreiflicher wie sein Lehrer, in Bizarrerien und Charlatanismen mannigfacher Art gefiel. Unter anderem kündigte er, wie Gerber berichtet, eine sogenannte Correspondence lyrique oder allgemeine musikalische Sprache an, vermittels deren er durch den Vortrag auf der Violine »den Sinn folgender verschiedener Stücke bestimmt vernehmlich machen wollte: 1) den Monolog des Spielers Beverlei in Saurins Trauerspiel; 2) den Monolog der Medea nach Ermordung ihrer Kinder; 3) ein Fragment einer Predigt des Exjesuiten Bauregard; 4) eine Oration des berühmten Marktschreiers Orzi auf einem öffentlichen Platze; 5) Mirabeaus Zank mit dem Abt Maur, und 6) die verschiedenen Töne leidenschaftlicher Liebe, in einem Dialog«. Man hat aber, wie Gerber hinzufügt, nichts weiter »von der wirklichen Erscheinung dieses Werkes gehört«. Es hatte also wohl bei der Ankündigung dieses Kuriosums sein Bewenden. Dagegen veröffentlichte Woldemar im Jahre 1800 zu Paris zwei seiner Richtung vollkommen entsprechende Schriften, von denen die eine Anleitung im Gestalten aller Art von Musik ohne Kenntnis der Kompositionskunst erteilte, die andere aber eine Art musikalischer Stenographie lehrte, um im Drange der Begeisterung während des Komponierens alles geschwind zu Papier zu bringen. Auch Schulen für Violine, Bratsche und Klarinette verfaßte er. Die erste derselben führt den herausfordernden Titel: » Le nouvel art de l'archet, servant de suite à celui de Tartini«, welcher in schneidendem Widerspruch zu dem Inhalt der Arbeit steht. Dieser bietet weiter nichts als eine kurze Polonaise mit 16 Variationen, in denen die Stricharten älterer und neuerer berühmter Violinspieler, doch meist nur taktweise angemerkt sind: eine dreiste Spekulation auf die Leichtgläubigkeit des großen Publikums. Von seinen völlig wertlosen Violinkompositionen, unter denen sich Sonaten mit den reklameartigen Überschriften: » L'ombre de Lolli, de Mestrino et de Pugnani« befinden, ließ Woldemar eine nicht geringe Anzahl drucken.

Von der Gründung des Concert spirituel (1725) an und zugleich mit dem Eindringen der Violinmusik von Corelli, Vivaldi, Geminiani in Frankreich begann die Violine mehr und mehr den ihr zukommenden Rang als Soloinstrument sich zu erobern, wie die Programme des Concert spirituel beweisen. Dieser Entwicklungsprozeß war unvermeidlich, aber er wurde nicht von allen Seiten freudig begrüßt. Die Violen, die von der jüngeren kraftvollen Rivalin mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt wurden – in welch bescheidener doch gesicherter Position auch das einzige Instrument unserer Tage, welches wenigstens den alten Namen noch führt, trotz oft erneuten schüchternen Widerspruchs dauernd verblieben ist – fanden damals einen Anwalt in Hubert Le Blanc, der 1740 zu Amsterdam ein Buch unter dem Titel erscheinen ließ: » Défense de la basse de viole contre les entreprises du violon et les prétentions du violoncel.« Beide, Violine wie Violoncell, werden darin gebührend schlecht gemacht. Erstere nennt er Ich zitiere nach Brenet. » criard, perçant et dur«, er beschuldigte sie, aus Bosheit den großen Saal der Tuilerien gewählt zu haben: » une salle énnorme en grandeur, une salle d'espace immense, où les effets lui devenaient aussi favorables que nuisibles à la viole«. Noch übler fast erging es ihrem größeren Bruder, dem Violoncell. Es wurde mit den Kosenamen » misérable cancre, hère et pauvre diable« belegt.

Aber auch hier wurde nichts Lebendiges erschlagen und nichts Absterbendes wiederbelebt.


Aus dem vorhergehenden Abschnitte ist zu ersehen, daß die Hingabe der Franzosen an das nachahmenswerte Vorbild des italienischen Violinspiels bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts numerisch nur gering war. In den soeben genannten Künstlern stellt sich ein erster Vorstoß der ausgebildeteren Kunst Italiens gegen die nationale Befangenheit Frankreichs dar, der unzweifelhaft nicht ohne Wirkung blieb, ohne daß dieselbe jedoch zunächst weitere Kreise oder gar das gesamte Publikum ergriffen hätte, was erst durch Viotti geschehen sollte.

Bevor jedoch dieses Ereignis näher ins Auge gefaßt wird, haben wir unter den übrigen französischen Violinisten des 18. Jahrhunderts Umschau zu halten, die eine selbständige nationale Richtung verfolgten und von der allmählich eindringenden italienischen Kunst gar nicht oder doch nur beiläufig und mittelbar berührt wurden. Wir nennen zuerst:

Louis Aubert, den Sohn des früher erwähnten Jacques. Er wurde geboren am 15. Mai 1720 und war gleich seinem Vater im Opernorchester und in dem des Concert spirituel tätig (1731). Mit dem Vorspieleramt im Orchester der Oper, welches ihm 1755 übertragen wurde, schloß er 1771 seine künstlerische Laufbahn. Einige Violinkompositionen seiner Hand wurden gedruckt.

Von dem Violinisten Jean Baptiste Dupont ist nur bekannt, daß er 1739 im Concert spirituel spielte, seit 1750 dem Pariser Opernorchester als Violinist angehörte und 1773 pensioniert wurde. Er hat zwei nach Opernmelodien arrangierte Violinkonzerte stechen lassen.

Auch von Mangean, der nach Brenet (er nennt ihn Mangeant) 1742 im Conc. spirituel auftrat, wissen wie nur (Gerber), daß er um 1750 in Paris als Mitglied des Concert spirituel »unter die besten Treffer gezählt« wurde, »sowohl im französischen als im italienischen Geschmack«. Fétis fügt bei, daß er 1756 in Paris starb. Von Kompositionen führt er an zwei Hefte Violinduetten, ein Werk Soli für Violine und zwei Trios für zwei Violinen und Baß.

Demnächst ist Guillemain, geb. in Paris am 15. November 1705, zu nennen. Man nimmt an, daß er im Anschluß an Corellis Werke sein eigener Lehrmeister gewesen sei. 1738 war er Mitglied der königl. Kammermusik. Die Tatkraft dieses Künstlers wurde durch ein unglückliches Temperament gelähmt. Er war von finsterem, unstetem und menschenscheuem Wesen, entbehrte jeden Selbstvertrauens und war trotz ungewöhnlicher Begabung nicht zum öffentlichen Auftreten zu bewegen. Endlich überfiel ihn am 1. Oktober 1770 auf dem Wege nach Versailles Wahnsinn, der ihn auf der Stelle zum Selbstmord trieb. Seine Ruhestätte fand er zu Châville.

Guillemain veröffentlichte im ganzen 18 Werke (nicht 17, wie Fétis angibt), deren letztes 1760 in Paris erschien. Von seinen Violinkompositionen gibt Cartier aus einem 1734 erschienenen Werke ( Op. 1) eine vollständige Sonate in fünf Sätzen und außerdem ein Adagio. Der Inhalt dieser Stücke erweckt unser Interesse nicht allein durch eine für die damalige Zeit auffallend brillante Technik, sondern auch durch das rhythmisch bewegte Leben, welches sich in ihnen ausspricht Eine Sonate (II) in Alards » Maîtres classiques du Violon«..

Jean Joseph Cassanea de Mondonville war der Sprößling einer vornehmen, doch verarmten Adelsfamilie und wählte seinen Namen nach der Herrschaft Mondonville, die in dem Besitz seiner Vorfahren gewesen war. Geboren am 24. Dezember 1711 zu Narbonne, begann er sich frühzeitig mit Musik zu beschäftigen. Als Hauptinstrument hatte er die Violine erwählt. Ob er bei seinen Studien durch die Lehre eines anderen unterstützt wurde oder nicht, ist unbekannt. Seine künstlerische Laufbahn begann er als erster Violinist in Lille. Von hier wandte er sich 1737 nach Paris, wo er bereits drei Jahre zuvor im Concert spirituel aufgetreten war, trat dann in die Kammermusik des Königs und wurde 1745 zum Surintendanten der Kapelle in Versailles befördert. Zehn Jahre später übernahm er nach Royers Tode die Leitung des Concert spirituel, mit dem er schon länger in Verbindung gestanden hatte. Royer nämlich, der das Konzert 1748 unter ziemlich ungünstigen Umständen gepachtet hatte, verband sich mit dem Violinisten und Gesanglehrer Caperan und sagte Mondonville 1200 Livres jährlich zu gegen die Verpflichtung, daß dieser nur im Concert spirituel als Virtuose auftrete, auch seine neuen Kompositionen Royer zur Aufführung überlasse.

Nachdem Mondonville Royer, der am 11. Jan. 1755 starb, in der Direktion des Orchesters und der artistischen Leitung abgelöst hatte, führte er unglaublich viel seiner – sehr beliebten – Kompositionen auf, dergestalt, daß sein Name auf jedem Programm und gelegentlich bis zu drei Malen erschien. 1762 jedoch zog er sich in den Ruhestand zurück und starb am 8. Oktober 1772 auf seinem bei Paris gelegenen Landhause Belleville.

Durch seine gegen 1747 stattgefundene Heirat mit der trefflichen Klaviervirtuosin Boucon befand sich Mondonville in guten pekuniären Verhältnissen, er soll jedoch sehr geizig gewesen sein.

Eine ergötzliche Anekdote, die für die außerordentliche Leichtigkeit von Mondonvilles Produzieren Zeugnis ablegt, teilt Weckerlin in seinem Dernier Musiciana mit. Ein junger Dichterfreund hatte ihm einen Operntext geschrieben. Mondonville zeigte sich sehr enthusiasmiert, wiederholte bei jeder Anfrage, die Komposition schreite voran, tat aber nichts an ihr. Nach zwei Jahren wollte sich der Poet Gewißheit verschaffen und besuchte Mondonville. »Wie stehts mit unserer Oper?« »Fertig.« »Völlig fertig??« »Fertig bis zur letzten Note.« »Wahrhaftig? Laß mich was hören!« »Gerne.« Große Kramerei in Papierstößen: »Wo zum Teufel ... hier, warte, dein Text, dabei wird mir die Musik wieder ins Gedächtnis kommen ...«

Er setzt sich mit dem Text ans Instrument, spielt die Einleitung, singt den ganzen ersten Akt mit Rezitativen, Arien usw. Der entzückte Librettist redet in ganz Paris von dem neuen Meisterwerk. Aber Mondonville hatte, gut gelaunt und durch die drollige Situation angeregt, die ganze Sache improvisiert.

Mondonville stand nicht nur als Violinist – sein Feuer wurde besonders bewundert – sondern insbesondere als Komponist bei seinen Landsleuten in hohem Ansehen, die ihm auch die Erfindung der Flageolettöne auf der Geige zuschrieben. Er setzte Violinkompositionen sowie viele Kirchen- und Opernmusik, besonders seine zahlreichen Motetten waren beliebt. Ein von ihm bei Cartier mitgeteiltes Adagio bedeutet nicht viel. Besser ist das außerdem in dieser Sammlung abgedruckte Allegro aus seiner Jagdsonate, welches von Lebendigkeit des Geistes, zeugt Eine Sonate Mondonvilles ( V, Op. 4) in Alards » Maîtres classiques du Violon«..

Der jüngere Mondonville, ein Sohn des eben Genannten, war gleichfalls Violinist. Er wurde gegen 1740 (nach Fétis um 1748) geboren. Gerber gibt an, daß er ihn 1767 in Deutschland kennen gelernt habe. Vom selben Jahre datieren 6 Violinsonaten Mondonvilles, die in Paris erschienen. Der Künstler ging weiterhin zur Oboe über und starb um 1808 in Paris.

Antoine Dauvergne aus Clermont-Ferrand, geb. am 4. Okt. 1711, bildete sich als Violinspieler bei seinem Vater, der selbst Geiger war. 1739 ging er nach Paris, um das begonnene Studium zu vollenden. Ein Jahr später erfolgte sein Austreten als Solist im Concert spirituel, welches ihm 1741 eine Anstellung bei der königl. Musik und 1742 bei der Oper eintrug. 1762 trat er beim Concert spirituel an Mondonvilles Stelle, dirigierte auch mit Unterbrechungen die Oper. Schließlich brachte er es zu dem Range eines Oberintendanten der königl. Musik. Am 12. Februar 1797 starb er in Lyon, wohin er sich beim Ausbruche der Revolution geflüchtet hatte. Als Komponist war er nicht nur für die Violine, sondern auch für die Bühne tätig. In D. Alards » Maîtres classiques du Violon« ist eine Sonate von ihm neu erschienen. Ein von Cartier mitgeteiltes Allegro seiner Komposition aus dem Jahre 1739 ist bedeutungslos. Dasselbe gilt von einer in dieser Sammlung befindlichen Violinfuge von

Charles Antoine Branche, die dessen Sonatenwerk (gedruckt 1749 zu Paris) entnommen ist. Branche wurde 1722 zu Vernon-sur-Seine geboren und war nach seiner Niederlassung in Paris während eines 30jährigen Zeitraumes erster Violinist bei der Comédie italienne.

Ohne Vergleich bedeutender als alle soeben erwähnten Männer war Pierre Gaviniés, der sich hier chronologisch anschließen würde. Er wird von seinen Landsleuten als der eigentliche Begründer des französischen Violinspiels im höheren Sinne gefeiert. Viotti soll ihn sogar den französischen Tartini genannt haben, ein Kompliment, welches im Hinblick auf die kunsthistorische Bedeutung des letzteren Meisters kaum verständlich ist, wenn man nicht annehmen will, daß Viotti seinen großen Vorgänger unter-, Gaviniés aber absichtlich überschätzen wollte. Die objektive Betrachtung von Gaviniés im Zusammenhange mit seiner Zeit ergibt das Bild eines sehr begabten Künstlers, der sich durch bewußtes, konsequentes Verfolgen einer tüchtigen, gediegenen Richtung zu einer hervorragenden Stellung in seinem Fache emporarbeitete, ohne jedoch über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus zu wirken. Hier nun liegt der große Unterschied zwischen ihm und Tartini, von dessen Erscheinung die damalige violinspielende Welt erfaßt und bewegt wurde. Gaviniés machte hiervon ebensowenig eine Ausnahme wie so viele andere bedeutsame Violintalente jener Zeit. Seine Violinsonaten zumal lassen den Einfluß des Paduaner Meisters deutlich erkennen. Hiernach modifiziert sich für uns die uneingeschränkte Bewunderung, welche ihm in seinem Vaterlande zuteil geworden ist.

Da aber Gaviniés auf alle Fälle eine Sonderstellung einnimmt und gleichsam an der Pforte der Pariser Schule steht, so wird er uns mit seinen Schülern am Schlusse dieses Kapitels gesondert beschäftigen.

Weiterhin nennen wir:

Tarade, einen tüchtigen Violinisten, der bei Château-Thierry in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geboren wurde und von 1749-1776 Mitglied des Orchesters der großen Oper war. Im Jahre 1755 spielte er im Concert spirituel. Es existieren mehrere Violinkompositionen von ihm.

Louis Joseph Francoeur, der Neffe des früher erwähnten François Francoeur, geboren in Paris am 8. Oktober 1738, gehörte zu den namhafteren französischen Violinspielern des 18. Jahrhunderts. Sein Vater, dem er die erste musikalische Anleitung verdankte, war königl. Kammermusikus und erster Violinist bei der Oper. Nach dessen Tode nahm ihn sein Onkel François Francoeur als Pflegesohn an, teilte ihn 1746 den Eleven der königl. Kammermusik zu und bewirkte 1752 seine Anstellung als Geiger im Opernorchester. Durch ausgezeichnete Befähigung für das Direktionsfach stieg er 1776 zu dem Amte des königl. Kapellmeisters empor, nachdem er 1764 zum zweiten und 1767 zum ersten Orchesterdirigenten befördert worden war. Seine produktive Tätigkeit widmete er der Bühne. Er starb in Paris am 8. März 1804.

Hippolyte Barthélemon, geb. zu Bordeaux (1731 nach Fétis) am 27. Juli 1741 (nach Pohls Angabe S. C. F. Pohls »Mozart und Haydn in London«, Bd. I.), gehört zu den französischen Violinspielern, die sich vorwiegend nach italienischen Meisterwerken, insbesondere aber nach Corellis Kompositionen bildeten. Ursprünglich Offizier, wurde er durch den Grafen Kelly, der sich lebhaft für sein musikalisches Talent interessierte, veranlaßt, nach England zu gehen, um dort sein Glück zu versuchen. Dies gelang ihm derart, daß er sich ganz in London niederließ und dort mit einigen Unterbrechungen lange Zeit hindurch eine angesehene künstlerische Stellung behauptete. Er trat 1764 im kleinen Haymarket-Theater auf, gab dann in Hickfords Saal ein eigenes Konzert und spielte auch bald bei Hofe. 1766 war er Konzertmeister am Kings-Theater.

Im folgenden Jahre und auch 1768 trat Barthélemon im Concert spirituel auf, man bewunderte seine »brillante Hand«, die Sicherheit und Abgerundetheit seines Spieles und seinen angenehmen und durchgebildeten Vortrag.

Barthélemon war auch Bühnenkomponist. Üble Erfahrungen mit den Theaterdirektoren verleideten ihm indes, wie Fétis berichtet, diese Tätigkeit so sehr, daß er seinen Wirkungskreis zeitweilig verließ und eine Kunstreise nach Deutschland und Italien unternahm. Dieselbe führte ihn schließlich wieder ins Vaterland. Doch verweilte er nicht lange in demselben, sondern begab sich 1784 nach Dublin, wohin ihn ein Ruf lockte. Dieser scheint ihn indes nicht lange gefesselt zu haben; denn schon einige Jahre später trat er wieder in London auf, wo man ihn vorzugsweise gern als Interpreten Corellis hörte. Wie bedeutend er in dieser Beziehung gewesen sein muß, beweist die bei seinem Tode von Salomon getane Äußerung: »Wir haben unsern Corelli verloren. Niemand ist nun da, jene erhabenen Soli zu spielen.« Als Violinist zeichnete Barthélemon sich besonders im Vortrage des Adagios aus, in welchem er seinen mächtigen und vollen Ton am besten zu entfalten vermochte. Er starb, an Körper und Seele gelähmt, am 20. Juli 1808 in Dublin oder London.

General Ashley, angeblich einer der besten Violinspieler des 18. Jahrhunderts, war ein Schüler Barthélemons und Giardinis. Viotti spielte mehrmals seine Doppelkonzerte öffentlich mit ihm in London. Er starb 1818.

Bornet, der ältere, von 1768 bis 1790 Violinist bei der großen Oper in Paris, machte sich durch eine 1788 herausgegebene Violinschule bekannt und gab während der Jahre 1784-1788 ein » Journal de Violon« heraus. Sein Geburts- und Todesjahr ist unbekannt. Ein jüngerer Bruder von ihm war gleichfalls Violinist und als solcher bei der » Opéra buffa« tätig.

Jean Amé Vernier wurde nach Fétis am 16. August 1769 in Paris geboren. Schon vom 4. Lebensjahre an erhielt et Unterricht auf der Violine, vom 7. Jahre an auf der Harfe, welch letzterem Instrument er sich später völlig zuwendete. 1780, mit 11 Jahren also, trat er mit einem eigenen Violinkonzert vor das Publikum des Concert spirituel. Sein zartes Alter erregte dessen Teilnahme, das » Journal de Paris« berichtete: » cet enfant a dû pour parvenir à ce degré de perfection, longtemps mouiller de ses larmes l'instrument de notre plaisir«. 1795 wurde Vernier Harfenist im Théâtre Feydeau und 1813 im Opernorchester. 1838 wurde er pensioniert und verlebte seine letzten Jahre in wohlverdienter Ruhe. Ein Verzeichnis seiner Kompositionen (fast sämtlich für Harfe) gibt Fétis.

Pérignon (H. J.), nach demselben Autor ein Violinist von Auszeichnung, Mitglied des Opernorchesters von 1775-1808, spielte häufig mit Beifall im Concert spirituel. Sauberkeit des Spieles und der Intonation sowie schöner Ton wurden hauptsächlich an ihm gerühmt. Seine Beliebtheit kennzeichnet ein 1781 von ihm gestochenes Porträt. Im Jahre 1784 heiratete er die Tänzerin Gervais, Schwester des gleichnamigen Violinisten, der uns noch begegnen wird. Weiter ist über Pérignon nichts bekannt.

Jean Frédéric Loisel lebte um 1780 in Paris als Violinist und starb jung. Fast ebensowenig wissen wir von

Mlle Deschamps (später Mme Gaultherot), die als Violinistin zwischen 1773 und 1777, dann 1778, endlich als Frau 1785 im Concert spirituel auftrat, und von

Lenoble, der während der Jahre 1773-1777 gleichfalls im Concert spirituel spielte und später in Paris lebte.

Von den Gebrüdern Navoigille war der jüngere, Hubert Julien, geb. 1749 zu Givet, der talentvollere. Gegen 1775 trat er im Concert spirituel auf und privatisierte dann in Paris, bis er in die Kapelle des Königs Louis Napoleon von Holland aufgenommen wurde. Nach der zeitweiligen Vereinigung dieses Landes mit Frankreich nahm er seinen Aufenthalt wieder in Paris und verscholl hier so spurlos, daß man nicht einmal sein Ende kennt.

Der ältere Navoigille, mit Vornamen Guillaume Julien, geb. gegen 1745 zu Givet, gest. im November 1811 zu Paris, nach Fétis' Angabe Komponist der bisher Rouget de Lisle zugeschriebenen Marseillaise Dagegen wird von deutscher Seite die Autorschaft der Marseillaise für den kurfürstlich pfälzischen Kapellmeister Holtzmann in Anspruch genommen. Der Organist F. B. Hamma zu Meersburg am Bodensee will in dem Credo einer dort handschriftlich vorhandenen Missa solemnis von Holtzmann, welche 1776 komponiert wurde, den fraglichen Revolutionsgesang aufgefunden haben und stellt die Behauptung auf, daß die Marseillaise nicht etwa nur eine Reminiszenz, sondern vielmehr die Kopie dieses Credo sei (Gartenlaube, Jahrg. 1861, Nr. 16). Der Wert dieser Behauptung wird freilich dadurch illusorisch gemacht, daß das bezügliche Musikstück nicht vor jedermanns Augen liegt. Es hätte veröffentlicht werden müssen, damit man sich von der Wahrheit des Gesagten überzeugen könnte., ist hier nicht sowohl wegen seiner wenig bedeutenden Leistungen als Violinist, sondern vielmehr mit Rücksicht auf einen seiner Schüler zu erwähnen. Derselbe, ein ehedem vielgenannter Mann, ist

Alexandre Jean Boucher. Er war nicht nur ein exemplarischer Vertreter des Virtuosentums, sondern auch zugleich der lächerlichsten Reklame, zu deren Ausbeutung er sich in eitler Selbstgefälligkeit seiner Ähnlichkeit mit Napoleon Bonaparte bediente. Spohr, der 1819 seine persönliche Bekanntschaft in Brüssel machte, berichtet über ihn: »er hatte sich die Haltung des verbannten Kaisers, seine Art den Hut aufzusetzen, eine Prise zu nehmen, möglichst treu eingeübt. Kam er nun auf seinen Kunstreisen in eine Stadt, wo er noch unbekannt war, so präsentierte er sich sogleich mit diesen Künsten auf der Promenade oder im Theater, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen und von sich reden zu machen; ja er suchte sogar das Gerücht zu verbreiten, als werde er von den jetzigen Machthabern wegen seiner Ähnlichkeit mit Napoleon, weil sie das Volk an den geliebten Verbannten erinnere, angefeindet und aus dem Lande vertrieben. Wenigstens hatte er in Lille, wie ich dort später erfuhr, sein letztes Konzert in folgender Weise angekündigt: › Une malheureuse ressemblance me force de m'expatrier; je donnerai donc, avant de quitter ma belle patrie, un concert d'adieux etc.‹ Auch noch andere Charlatanerien hatte jene Ankündigung enthalten, wie folgende: › Je jouerai ce fameux concerto de Viotti, en mi-mineur, dont l'exécution à Paris m'a gagné le surnom: l'Alexandre des Violons.‹«

Nicht minder charakteristisch als die vorstehende Probe von Bouchers Vorliebe für die Reklame erscheint die höchst anspruchslose Parallele zwischen seinem eigenen und Spohrs Spiele, der er in einem Empfehlungsbrief für den letzteren mit folgenden Worten Ausdruck gab: » enfin, je suis, comme on le prétend, le Napoléon des Violons, Mr. Spohr est bien le Moreau An diesen »Alexander« und »Napoleon« (auch ein »Socrates der Geiger« folgt später noch [S. 361]) schließt sich würdig die nicht minder bescheidene Bezeichnung Bouchers als » Beethoven du violon« an, wie er nach seines neuerlichen Biographen Vallats Behauptung von ganz Deutschland genannt worden wäre – eine der vielen überraschenden Einzelheiten, die sich in dieser Arbeit finden. Ihr Titel ist übrigens: » Etudes d'histoire, de moeurs et d'art musical sur la fin du XVIIIe siécle etc.«, Paris 1890. Eine Besprechung und Würdigung des sonderbaren Produktes, das der Hauptsache nach lediglich eine romanhafte Lebensbeschreibung Bouchers ist, findet man von der Hand Hans Müllers (Berlin) im 6. Bande der Vierteljahrschrift für Musikwissensch. (1890).

Über seine und seiner Frau Leistungen bemerkt Spohr: »Beide entwickelten in ihren gemeinschaftlichen Vorträgen viel Virtuosität. Herr Boucher spielte ein Quartett von Haydn, mischte aber so viel ungehörige und geschmacklose Verzierungen hinein, das; ich unmöglich Freude daran haben konnte.« Wir ersehen hieraus, wie auch dieser Virtuose nichts weniger als ein guter Musiker war.

Boucher, ein anderer Lolli, wurde nicht nur von vielen seiner Kunstgenossen, sondern auch von andern urteilsfähigen Leuten der Charlatanerie geziehen. Daß ihm hierin keineswegs Unrecht geschah, ist mit Sicherheit aus einer Berliner Korrespondenz zu entnehmen, die, offenbar von kundiger Hand herrührend, sich in der Wiener Musikzeitung (Jahrg. 1821, S. 324 f.) befindet und folgende bezeichnende Beurteilung enthält: »Selten wohl ist ein originelleres Concert bey uns gehört worden, als jenes, das uns der ehemalige Capellmeister (?) und erste Violinist Sr. Majestät des Königs von Spanien Carl's IV., Ehrenmitglied des schweizerischen Musikvereins und mehrerer musikalischer Gesellschaften, Herr Alex. Boucher und seine Gattin, erste Clavier- und Harfenspielerin am vorgenannten Hofe, Musiklehrerin der Infantin von Spanien, am 28. April im neuen Concert-Saale gaben. Ein Mann, der als würdiger Genosse in der Kunst der Baillot, Lafont, Kreutzer, Rode, Möser, Seidler u. s. w. auftreten könnte, der einer der ersten Violinspieler seiner Zeit sein müßte, wenn er wollte, stempelt sich bis zum bizarrsten, und zieht es vor, das Publikum zu erstaunen, zu amüsieren, zu überraschen, anstatt es zu bewegen, statt ihm zum Herzen zu sprechen. Ein Künstler, der gleich beym ersten Hervortreten durch allerhand barocke Gesten die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, der bald darauf in seinem Spiel die undenkbarsten Schwierigkeiten in undenkbar wunderlicher Zusammensetzung entfaltet, der gleich beym zweyten Solosatze in der Hitze des Gefechts den Steg umstößt, ein Mann, der jetzt in den höchsten Regionen, wohin kein Sterblicher noch sich verirrt hat, mit Kühnheit trillert, und den Gesang junger Lerchen, die eben flügge werden, zu imitiren scheint, und in demselben Augenblicke auch schon mit gewaltigen Bogenzügen durch alle 4 Saiten streicht, daß man eine Katzenversammlung zu hören wähnt, der meist den Bogen auf der Hälfte des Griffbrettes führt, der sich mitten in einer Cadenz gegen einen anwesenden Componisten wendet und rasch ein Stück aus dessen Oper in Doppelgriffen improvisirt, der mitten unter allem diesem ›Kribskrabs‹ doch aber wieder ein Adagio spielt, das alle Hörer entzückt, der ein Rondo mit einer Genialität und einem Bogenstrich intonirt (im letzten Capriccio), wie man es selten gehört hat, der das Staccato mit herauf und herabgeführtem Strich in musterhafter Präcision ausführt, der endlich das sull' una corda, Doppelgriffe, Doppeltriller und alle technischen Schwierigkeiten, die das Instrument in seiner wunderlichsten Laune nur ersinnen mag, mit einer Sicherheit executirt, die von seltenem Studium zeugt, ein Mann, der dabey den Ausdruck nicht bloß im Spiel, sondern auch in der rechten Schulter, in den Beinen etc. bekundet – so ungefähr ist der Violinspieler Boucher. Wir sagen ungefähr, denn wer wollte alle jene kleinen Nuancen in Spiel und Wesen, wie sie die barocke Phantasie im Augenblick erzeugt, charakteristisch wiedergeben?«

Diese augenscheinlich völlig unparteiische Schilderung von Bouchers Spielweise bedarf keines Kommentars. Wie trefflich er übrigens seine Frau für die eingeschlagene Richtung geschult hatte, ersehen wir aus demselben Bericht, in welchem mitgeteilt wird, daß sie ein Duo gleichzeitig für Harfe und Klavier gespielt, wobei sie das erste Instrument mit der rechten, das zweite mit der linken Hand traktiert habe. Nicht leicht dürfte hier zu entscheiden sein, wem von dem Ehepaar der Preis zuzuerkennen wäre.

Boucher, am 11. April 1778 in Paris geboren, hatte kaum das sechste Lebensjahr erreicht, als er schon bei Hofe spielte. Bald ließ er sich auch im Concert spirituel hören. Er hatte eine harte Jugend durchzumachen. Die große Armut seiner Eltern nötigte ihn frühzeitig, mit der Geige in der Hand dem Erwerbe nachzugehen. Hierbei konnte er eben nicht wählerisch zu Werke gehen. Er mußte zum Tanze aufspielen und in Winkeltheatern, nicht nur im Orchester, sondern auch auf der Bühne in der tragikomischen Rolle eines Fiedlers mitwirken, die ihn im Hinblick auf sein komödiantenhaftes Wesen vielleicht nur zu häufig vor die Lampen des Proszeniums führte.

Als Jüngling verließ er seine Vaterstadt, um in die Dienste König Carls IV. von Spanien zu treten, an dessen Hofe er bis 1805 in der Eigenschaft eines Sologeigers wirkte. Dann wandte er sich wieder nach seiner Geburtsstadt. Hier fand er es nötig, sich auf die ihm eigene Weise ins Gedächtnis seiner Landsleute zurückzurufen. Kaum war seine Ankunft in Paris erfolgt, als er auch schon in Journalartikeln befragt wurde, ob er noch immer, wie vordem, seinem Namensvetter gleiche, d. h. auf seinem Instrument wie ein Rasender wüte, statt sich mit den Tönen desselben ins Ohr und Herz der Zuhörer zu schleichen. Boucher beantwortete diese Frage in einer langen Replik, um zu versichern, wie er zeigen wolle, daß er nicht allein der Alexander, sondern auch der Sokrates der Geiger sei. Von Stund an ward Boucher, wo er sich blicken ließ, Sokrates genannt. Dennoch verbrämte er, trotz des von ihm geleisteten Versprechens, im nächsten Konzerte Note für Note zu spielen, ein Rodesches Konzert dermaßen, daß es selbst diejenigen, die es auswendig wußten, nicht wieder erkannten Allgem. mus. Ztg. Jahrg. 1819, Nr. 2..

Gegen 1820 verließ Boucher zum zweiten Male seinen Heimatsort. Er besuchte Deutschland, die Niederlande und England, überall mehr Erstaunen und Verwunderung als wahrhaft innerlichen Anteil erregend. Nach abermaligem Aufenthalt in Paris durchreiste er wiederholt Deutschland Über Bouchers Begegnung mit Goethe, seinen Verkehr mit Beethoven vgl. Goethe-Jahrbuch, Bd. XII. und hielt sich dann in Polen auf. 1844 nahm er seinen Wohnsitz in Orleans. Man könnte glauben, Boucher habe dort sein Leben in Ruhe beschließen wollen. Doch er erschien als zweiundachtzigjähriger Greis (1860) nochmals in Paris, um sich dort, wenn auch nur in Privatkreisen, hören zu lassen. Sein Tod erfolgte am 29. Dezember 1861. Von seinen Kompositionen erschienen zwei Violinkonzerte.

An Navoigille wieder anknüpfend, haben wir zunächst Henri Guérillot, geb. 1749 in Bordeaux, zu nennen. Er war vom Jahre 1776 ab als geschätzter Violinist am Lyoner Theater tätig. 1778 wandte er sich nach Paris und wurde dort 1784 bei der ersten Violine der Oper angestellt; seit 1783 trat er auch mehrmals als Solist im Concert spirituel auf. Bei der Gründung des Konservatoriums erhielt er eine Professur des Violinspiels, verlor dieselbe aber bei der Reform von 1802. Sein Tod erfolgte 1805.

Der Geiger Leblanc, geb. gegen 1750, wirkte bis 1791 als Orchesterchef bei den Pariser Theatern Comique und Lyrique. Seit dieser Zeit war er als Bühnenkomponist beim Théâtre d'Emulation tätig. Vom Jahre 1801 ab kam er allmählich in so üble Verhältnisse, daß er sich genötigt sah, bei der zweiten Violine an dem untergeordneten Theater » sans pretention« eine Stelle anzunehmen. Weiterhin mußte er seine Existenz sogar als Notenschreiber fristen. Er starb endlich in den traurigsten Verhältnissen. Cartier teilt von ihm eine viersätzige Violinsonate, betitelt » la chasse«, mit, die, in der üblichen Form gehalten, sich zwar nicht durch Gehalt auszeichnet, doch gewandtes Gestaltungsvermögen und Lebendigkeit des Geistes verrät. Die Mehrzahl seiner Kompositionen gehört übrigens der Bühne an.

Ein ausgezeichneter Violinist war Isidore Berthaume, ein Schüler von Lemiere, der sich bereits als neunjähriger Knabe mit ungewöhnlichem Erfolg im Concert spirituel hören ließ (1761). An demselben fand er auch später (1783-1788) seinen Wirkungskreis als Konzertmeister. Außerdem war er bei der Opera comique und beim Concert d'emulation in Paris angestellt. Sein Spiel zeichnete sich nicht eben durch stilvolle Größe, wohl aber durch höchst saubere Durchbildung und reine Intonation aus. Berthaume beschloß sein Leben nicht in Frankreich, sondern emigrierte 1791 infolge der Revolution nach Deutschland. In Eutin fand er 1793 In C. Stiehls »Geschichte der Musik im Fürstenthum Lübeck« ist das Jahr 1798 angegeben. als herzoglich Oldenburgischer Konzertmeister eine Stellung, die er bis 1801 innehatte. Dann begab er sich über Kopenhagen und Stockholm nach Petersburg. Hier wurde er als erster Geiger bei der kaiserl. Privatmusik engagiert. Am 20. März 1802 ereilte ihn der Tod. Geboren war er 1752 zu Paris.

Als einer seiner besten Schüler wird Jean Jacques Grasset, ehedem Vorspieler bei der italienischen Oper in Paris, bezeichnet. Er soll im wesentlichen die Eigenschaften seines Lehrers, nämlich eine saubere, sanfte Tonbildung von geringem Volumen und viel Fertigkeit besessen haben. Während der französischen Revolution wurde er unter die Fahnen gestellt. Dieser Umstand führte ihn nach Italien. Die musikalischen Eindrücke dieses Landes verwertete er für seine Kunst. Aus dem Militärdienste entlassen, kehrte er nach Paris und zu seiner früheren Tätigkeit zurück. Bei der Bewerbung um die durch Gaviniés' Tod (1800) erledigte Violinprofessur erhielt er den Vorzug vor mehreren trefflichen Künstlern, unter denen Guénin, Gervais und Guérillot die namhaftesten waren. An der italienischen Oper wurde er Brunis Nachfolger als Konzertmeister; diese Stellung verwaltete er 25 Jahre lang. Um den Anstrengungen des Dienstes zu entgehen, trat er 1829 von seiner amtlichen Tätigkeit zurück. An Violinkompositionen veröffentlichte er 3 Konzerte und 5 Hefte Violinduette. Er wurde gegen 1769 in Paris geboren.

Ein anderer durch die Revolution aus seinem Vaterlande vertriebener Künstler war der treffliche Violinist Lacroix, geb. 1756 in Remberville. Er erhielt seine erste musikalische Ausbildung von dem Kapellmeister Lorenziti Antonio Lorenziti, der Sohn eines Musikers in Diensten des Prinzen von Oranien, wurde gegen 1740 im Haag geboren und war ein Schüler Locatellis. 1767 erhielt er die Kapellmeisterstelle in Nancy. Er verfaßte mehrere Violinkompositionen. Sein Bruder und Schüler, mit Vornamen Bernardo, geb. in Kirchheim (Württemberg) gegen 1764, war 1787 Mitglied des Pariser Opernorchesters als zweiter Geiger. Außer einer beträchtlichen Anzahl von Kompositionen schrieb er eine Violinschule: » Principes ou nouvelle Méthode pour apprendre facilement à jouer da Violon« ( Paris, Nadermann). an der Kathedrale zu Nancy. Von 1780-1793 lebte er in Paris; dann wandte er sich nach Bremen und 1800 nach Lübeck, wohin ihn eine Berufung als Musikdirektor zog. In letzterer Stadt starb er Ende 1812. Sein Spiel war von angenehmem und nach französischer Weise lebhaft bewegtem Charakter. Als Komponist widmete er sich vorzugsweise der Kammermusik. Unter anderem schrieb er einige Hefte Violinduetten, welche ehedem bei den Liebhabern dieses Genres gute Aufnahme fanden.

Der am 23. April 1758 zu Lauterburg geborene Elsässer Mathieu Frédéric Blasius, jedenfalls von deutscher Abkunft, zeichnete sich ebensosehr durch sein Violinspiel, wie durch die geschickte Handhabung verschiedener Blasinstrumente, namentlich der Klarinette, Flöte und des Fagott aus, für deren Kultivierung er auch im Hinblick auf seine produktive Tätigkeit nicht ohne Verdienst war. An Violinkompositionen hat er 3 Konzerte, 4 Sonatenwerke mit Baß Eine Sonate (I) von Blasius in D. Alards » Maîtres classiques du Violon«. und 12 Hefte Duetten gesetzt. Auch eine Anzahl von Streichquartetten schrieb er. Der Schauplatz seiner künstlerischen Tätigkeit war Paris, wo er 1784 auch im Concert spirituel auftrat. Gerber führt ihn als ersten Violinisten und Orchesterchef der Comédie italienne an. Bei Gründung des Konservatoriums wurde er zum Lehrer an demselben ernannt und 1816 pensioniert. Im Jahre 1829 endete er sein Leben in Versailles.

Als einen der Lehrer von Spohr verzeichnen wir Louis Charles Maucourts Namen mit besonderem Interesse. Er war der Sohn eines Musikers und wurde gegen 1760 in Paris geboren. Anfangs leitete der Vater seine musikalischen Studien, dann genoß er den Unterricht eines gewissen Harranc. Nachdem er 1778 im Concert spirituel als Solospieler debütiert hatte, unternahm er eine Reise ins Ausland. Auf derselben fand er 1784 in der Braunschweiger Hofkapelle Anstellung als Konzertmeister. Späterhin trat er in die Dienste des Königs Jerôme von Westfalen. Ein Armleiden nötigte ihn 1813, sich jeder künstlerischen Tätigkeit zu enthalten und sich ins Privatleben zurückzuziehen. Über seine weiteren Schicksale ist man nicht unterrichtet.

Endlich haben wir hier noch als einen geschickten Geiger Louis Luc Loiseau de Persuis zu erwähnen, der am 4. Juli 1769 in Metz geboren wurde und am 20. Dezember 1819 in Paris starb. Seine Laufbahn begann er 1790 als erster Violinist am Théâtre Monsieur. Später war er in gleicher Eigenschaft im Orchester der großen Oper. An diesem Institute war er 1810 Kapellmeister, bekleidete aber seit 1814 das Amt eines Generalinspektors der Musik und seit 1817 dasjenige des Direktors selbst. Seine Leitung der Kunstanstalt soll eine vorzügliche gewesen sein, und Fétis versichert, daß dieselbe sich nie in einem blühenderen Zustande befunden habe als unter ihm. Diese Behauptung läßt sich schwer mit der Angabe vereinbaren, daß Viotti 1819 die Leitung der großen Oper zu Paris in einem dem Verfalle nahen Zustande übernahm Vgl. S. 177 f.. Eine Zeitlang war er auch Professor am Pariser Konservatorium. Als Komponist war Persuis hauptsächlich für die Bühne tätig.


Schon wiederholt wurde in diesen Ausführungen der Name von Pierre Gaviniés genannt, die bedeutendste Erscheinung auf dem Gebiete des Violinspiels, die Frankreich bis zur Bildung der Pariser Schule hervorbrachte. Als ausschlaggebenden inneren Grund, daß Gaviniés trotz der entschiedenen Förderung, die das Violinspiel in Frankreich durch ihn erfuhr, nicht als Vater der Pariser Schule gelten kann, erkannten wir bereits das bescheidene Maß des ihm zuteil gewordenen schöpferischen Vermögens, während er in der technischen Handhabung der Geige eine im Vergleich zu den übrigen gleichzeitigen Violinisten Frankreichs überragende Stufe erklomm.

Auch Gaviniés, wie die besten französischen Musiker seiner Zeit, suchte für seine Violinsonaten und -konzerte die Muster in dem weiter fortgeschrittenen Italien, speziell scheinen ihn die Werke Tartinis beeinflußt zu haben.

Hiervon ausgenommen ist jedoch eines seiner Erzeugnisse, durch das hauptsächlich er bis auf unsere Zeit gekommen ist, und in dem er sich durchaus eigentümlich und selbständig zeigt. Es ist dies sein sehr bekanntes und trotz gewisser Eigenheiten auch sehr schätzbares Etüdenwerk » Les vingt-quatre matinées« Neu herausgegeben von Ferd. David (bei B. Senff)., welches in technischer Beziehung auf den Geist einer neuen Zeit des Violinspiels hindeutet. Er betrat mit demselben das Gebiet der didaktischen Violinkompositionen, welches, von den Franzosen weiterhin mit besonderer Vorliebe und großem Erfolg kultiviert, bis dahin noch wenig ausgebeutet worden war. Wenn man von den Locatellischen Kapricen absieht, die imgrunde wenig wahrhaften Nutzen gestiftet haben, so ist Gaviniés neben Fiorillo als einer der ersten zu betrachten, die auf einen stilisierten Typus der Violinetüde hinarbeiteten. In diesem Sinne darf er als Vorläufer Rodes und Kreutzers gelten. Freilich brachte er es nicht zu jener geklärten, methodisch durchdachten Vollendung, welche den gleichartigen Arbeiten jener Meister das Siegel der Klassizität aufdrückt. Gaviniés zeigt sich in seinen Etüden wohl als ein spekulativer, scharf reflektierender Kopf, doch bei alledem nicht so rationell, wie man es gerade von einem Franzosen erwarten sollte. Er wirft bedeutende Schwierigkeiten wie planlos und eigenwillig durcheinander und erschwert dadurch wesentlich die Ausbeutung seiner Kombinationen für das technische Studium, dem diese Stücke doch vorzugsweise dienen sollen. Nur weit vorgeschrittene Spieler, denen es um eine Spezialdressur ihrer Finger in ganz bestimmten Beziehungen zu tun ist, werden daher die Gaviniésschen » Matinées« mit günstigem Erfolg für Ausdehnung und Biegsamkeit der Hand sowie für ein komplizierteres Lagenspiel benutzen können. Manches erscheint in diesen Etüden sogar auf Kosten der Natürlichkeit und dem Charakter der Violine widerstrebend gesetzt. Wie wünschenswert es dem ausübenden Musiker auch sein mag, die Technik seines Instrumentes möglichst nach allen Seiten hin zu erschöpfen, so gibt es doch hier wie überall eine Grenze, die nicht leicht ohne Nachteil überschritten wird. Zudem wirkt eine zu ausschließliche Beschäftigung mit diesem Teile der Kunst endlich geistertötend, indem die Kräfte einseitig auf eine mechanische Tätigkeit hingelenkt werden. Dieser Betrachtung kann man sich bei der Durchsicht des fraglichen Werkes nicht ganz erwehren.

Im Hinblick auf Schüler, die noch mitten im Studium begriffen sind, dürfte sich daher eine vorsichtige Benutzung dieser Etüden empfehlen, wobei denn etwa die Nummern 4, 7, 8, 10, 12 und 20 ins Auge zu fassen wären. Erst wenn man eine solid geschulte Technik erworben hat, wird man ohne Nachteil zu den andern Violinsätzen dieses Werkes übergehen können, die eben mehr eine interessante Spezialität als die allgemein gültige Norm des Geigenspiels repräsentieren Vor einigen Jahren erschien merkwürdigerweise eine Übertragung der Matinées für Viola (von A. Spitzner, bei Breitkopf & Härtel)..

Gaviniés schrieb seine Etüden im 73. Lebensjahre und spielte sie selbst, wie ausdrücklich berichtet wird. Dieser Umstand spricht für die bedeutende Herrschaft ihres Autors über die Geige. In der Tat soll er das Griffbrett ungemein in seiner Gewalt gehabt und in Wettkämpfen Künstler wie Pugnani, Dom. Ferrari und Joh. Stamitz übertroffen haben. Aber auch sein Vortrag wird sehr gerühmt; Fétis schreibt ihm einen reizvollen Ausdruck und imponierenden Stil zu. Wenn auch der letztere sich, wenigstens aus seinen gangbaren Sonaten Vgl. die von Alard und David herausgegebenen Sonaten Gaviniés' (Schott in Mainz und Breitkopf & Härtel in Leipzig). Die von Alard neu edierte Sonate erschien zuerst 1760., nicht nachweisen läßt, so spricht sich in ihnen doch ein an Corelli und Tartini erinnerndes pathetisches Wesen aus, das in feurigen Momenten sogar schon eine moderne Empfindung durchschimmern läßt.

Gaviniés wurde am 26. Mai 1726 in Bordeaux geboren. Es ist nichts Bestimmtes über seine Jugendbildung bekannt; man nimmt an, daß er die erste Entwicklung als Violinspieler sich selbst und der Gelegenheit verdankt, einige gute italienische Meister gehört zu haben. Der italienische Einfluß würde hiernach schon in jugendlichen Jahren bestimmend auf seine künstlerische Richtung eingewirkt haben. 1741 trat er als 13jähriger Knabe (wie schon Seite 344 berichtet, mit l'Abbé zusammen. Die beiden Knaben spielten eine Sonate für zwei Violinen von Leclair) im Pariser Concert spirituel auf und erregte durch seine Leistungen sogleich allgemeines Erstaunen. Die ihm bereitete günstige Aufnahme fesselte ihn dauernd an Paris. Zum reifen Jüngling entwickelt, wurde ihm der Aufenthalt daselbst aber um so gefährlicher, als er der Frauenwelt ein feuriges, leicht entzündbares Temperament entgegenbrachte. Unter anderem war er mit einer verheirateten Dame in ein Liebesabenteuer geraten, welches ihn, um sich den Zornesausbrüchen des betreffenden Ehegatten zu entziehen, zur Flucht nötigte. Auf derselben entdeckt und ergriffen, mußte, er seine zarte Neigung mit einer einjährigen Gefängnisstrafe büßen. Der während dieser Zeit reichlich genossenen Muße entsproß eine Romanze, in welcher er gleichsam sein Geschick besang. Sie war lange als »Romanze des Gaviniés« im Pariser Publikum bekannt und gab dem Komponisten später häufig Gelegenheit zu frei variiertem Vortrag, durch den er seine Zuhörer nicht nur zu entzücken, sondern auch zu rühren verstand.

Nachdem Gaviniés seine Strafe verbüßt, übernahm er 1762 die Führung der ersten Violinen im Concert spirituel, trat aber bereits 1764 aus dem Orchester aus. 1773 trat er im Verein mit Gossec und Leduc l'aîné die Direktion des Concert spirituel an, Publikum und Presse begrüßten diese Leitung als den Beginn einer neuen glücklichen Ära des Unternehmens. Aber Leduc starb bereits 1777, und Gaviniés wie Gossec legten die Direktion nieder. Ihr Nachfolger wurde der Sänger Legros, die Orchesterleitung fiel Pierre Lahoussaye zu, wie bereits bei diesem gesagt wurde.

Bei Begründung des Konservatoriums (1794) erhielt Gaviniés an demselben eine Professur des Violinspiels. Doch schon sechs Jahre später, am 9. September 1800, endigte er als ein von allen Seiten verehrter Greis die irdische Laufbahn. Sein Andenken wurde durch einen offiziellen Akt im Konservatorium gefeiert. Am Grabe hielt sein Kunstgenosse Gossec die Gedächtnisrede, und ein Jahr nach seinem Tode wurde in der Akademie der Künste von Madame Constance Pipelet, der späteren Fürstin von Salm, das Elogium verlesen, welches 1802 unter dem Titel » Éloge historique de Pierre Gaviniés« im Druck erschien. Von seinen Werken wurden außer den 24 Matinées veröffentlicht: 6 Violinkonzerte, 6 Sonaten für Violine Solo und Baß ( Op. 1), 6 Sonaten desgl. ( Op. 3) und ein Oeuvre posthume, enthaltend 3 Solosonaten für Violine, von denen eine » le tombeau de Gaviniés« betitelt ist.

Unter des Meisters Schülern, deren Zahl bedeutend war, befindet sich keine einzige sehr hervorragende Persönlichkeit. Folgende Männer werden als die besten bezeichnet: Lemiére l'aîne, Paisible, Leduc aîné, Imbault, Baudron, Verdiguier, l'Abbé Robineau, Capron, Guénée und Dufresne.

Lemiére l'aîné, der nach Brenet schon 1757 im Concert spirituel auftrat, wurde 1770 in die königl. Kapelle aufgenommen, wo er noch 1780 tätig war. Zwei Sonatenhefte für Violine allein sowie ein Werk Violinduette von ihm sind bekannt.

Paisible, nach Fétis 1745 in Paris geboren, war Mitglied des Orchesters des Concert spirituel und machte weiterhin ausgedehnte Reisen. In Rußland geriet er in drangvolle Verhältnisse, mußte sich durch Violinstunden notdürftigen Lebensunterhalt erwerben und erschoß sich 1781 in St. Petersburg. Zwei Violinkonzerte und zwölf Quartette von ihm wurden in Paris und London gedruckt.

Simon Leduc, genannt Leduc aîné, wurde bereits als Mitdirektor des Concert spirituel bei Gaviniés erwähnt. Nach Fétis war er 1748 in Paris geboren und starb, wie schon erwähnt, im Jahre 1777. Eine Reihe Kompositionen von ihm findet sich ebenfalls bei Fétis. 1763 trat er auch im Concert spirituel auf.

Sieben Jahre später ließ sich an derselben Stelle Leduc le jeune hören, Bruder und Schüler des eben Genannten. Sein Vorname war Pierre, das Jahr seiner Geburt nach Fétis 1755 (in Paris). Später wandte er sich dem Handel zu und starb in Holland im Oktbr. 1816.

Von Imbault (oder Imbauld) kennen wir weder Geburts- noch Todesjahr. Zwischen 1773 und 1777 spielte er im Concert spirituel, wo er auch an der ersten Violine tätig war. Pougin teilt mit, daß er sich um 1780 in Genf befand und erfolgreich in dortigen Konzerten auftrat. Dort lernte ihn Viotti auf seiner ersten Konzertreise kennen Vgl. Seite 169 d. B. und zwischen beiden Künstlern knüpfte sich ein dauerndes Freundschaftsband. Imbault war es, mit dem Viotti später in Paris seine konzertierenden Symphonien für zwei Violinen bei Hofe spielte. Um 1786 war er Führer der zweiten Geigen im Concert d'émulation in Paris.

Antoine Laurent Baudron wurde 1743 zu Amiens geboren und starb 1834, 91 Jahre alt. Er ist nicht weiter bemerkenswert. Dasselbe gilt von

Jean Verdiguier, der 1778 in Paris geboren wurde, 1799 den ersten Violinpreis gewann und bis 1830 am Orchester der Oper tätig war. Auch

Alexandre Auguste Robineau (genannt l'Abbé R.), der um 1744 geboren, seine musikalische Bildung in der Sainte-chapelle erhielt und bei Beginn der Revolution 1789 nach Deutschland ging, wo er starb, ist ohne weitere Bedeutung Eine Sonate (III) Robineaus in D. Alards » Maîtres classiques du Violon«.. Dagegen scheint

Capron, dessen Vornamen unbekannt ist, seinerzeit bedeutende Schätzung genossen zu haben: in dem 1765 erschienenen Buche von Bricaire » Lettres sur l'état présent de nos spectacles etc.« wird er zugleich mit Gaviniés einer der besten Violinspieler des Jahrhunderts genannt. Wenigstens scheint er einer der besten Schüler Gaviniés' gewesen zu sein, wie er auch 1762 Führer der zweiten Violinen im Concert spirituel war, während Gaviniés, wie erwähnt, an der Spitze der ersten stand. Um 1767 nahm Capron diese Stelle ein. Auch trat er schon 1761 (nach Brenet, Fetis gibt 1768 an) im Concert spirituel auf. Ein Schüler von ihm war

Marie Alexandre Guénin, nach Fétis am 20. Febr. 1744 in Maubeuge geboren. 1760 kam er nach Paris, wo er außer dem Violinunterricht Caprons noch den von Gossec für die Komposition erhielt. 1773 trat er mit einem Konzert seiner Komposition vor das Publikum des Concert spirituel Nach Brenet spielte er schon 1755 dort, was nicht wahrscheinlich ist, wenn es sich um dieselbe Persönlichkeit handelt.. Weiterhin (1780) war er Soloviolinist an der Oper, mußte aber im Jahre 1800 Kreutzer Platz machen. Seine weiteren bei Fétis nachzulesenden Lebensumstände sind von geringem Interesse. Er starb 1819. Eine ziemlich große Anzahl längst vergessener Kompositionen von ihm ist bekannt.

Ein weiterer Schüler von Gaviniés ist Guénée, der am 19. Aug. 1781 in Cadiz geboren, von 1797 an Gaviniés', weiterhin aber Rodes Unterricht genoß. Sodann soll er noch Mazas als Lehrer gehabt haben. Trotz dieser vielfältigen Unterweisung hat er als Violinist kein sonderliches Aufsehen gemacht. 1809 war er im Pariser Opernorchester, später Konzertmeister des Theaters des Palais Royal. Kompositionen seiner Hand sind bekannt.

Ferdinand Dufresne endlich wurde in Paris 1783 geboren, besuchte das dortige Konservatorium von 1797-1800, war im Orchester der komischen Oper bis 1806 und sodann Theaterkonzertmeister in Nantes. Seit 1809 lebte er, Violinunterricht erteilend als Privatmann in Paris, wo er 1825 noch tätig war Ich benutze die Gelegenheit, an dieser Stelle noch eine Reihe meist französischer Violinisten des 18. Jahrhunderts namhaft zu machen, die nach Brenet im Concert spirituel auftraten, über die ich aber nichts weiter habe ermitteln können: Lalande, Morin, Blavet, Marchand, Daquin, Toscano (um 1730 im Conc. spir.), Valotti (1737), Venier (um 1750), Sohier ( du Concert de Lille) (1750), Moria (1751, 11 Jahre alt, und 1755), Leboureux, Avoglio (1755), Vachon (1756), Fridzeri (Frixer, bei Gerber noch andere Lesarten), ein blinder Violinist (1766), Haucke (1778), Eigenschenk (1780), Groß, Zsabey (1781), Borck (1783), Dumas (1784), Giuliano (1785). Weiter führe ich an dieser Stelle die von Brenet für die Zeit um 1775 genannten Violinisten des Orchesters vom Concert spirituel an, unter denen wir mehreren bereits erwähnten begegnen. Erste Violinen: Capron, Lemiére aîné, Imbault, Phelipeau, Guerin, Lancer, Avoglio, Glachaud, Moulinghem, Lalance, Granier, Debar, Bonnay. Zweite: Guénin, Lebel, Lebouteux, Venier, Fontesky, Durieur, Michault, Devaux, Le Breton, Borret und Maréchal..

 

3. Die Pariser Schule.

In den vorhergehenden Kapiteln wurde dargelegt, daß das musikalische und speziell das Konzertleben in Frankreich oder Paris, was ziemlich dasselbe bedeutet, im Verlaufe des 18. Jahrhunderts sich einerseits sehr lebhaft gestaltete, andrerseits in künstlerischer Hinsicht bis tief in seine zweite Hälfte auf einem untergeordneten Standpunkte verblieb Man erinnere sich der S. 334 f berichteten Erfahrungen Mozarts und Glucks in Paris.. Die Gründe hierfür erkannten wir wesentlich in dem von den Korporationen ausgehenden Druck, sowie in der nationalen Befangenheit und der von Haus aus geringeren Befähigung der französischen Nation für das Gebiet der Instrumentalmusik Vgl. S. 331..

Eine analoge Erscheinung bietet sich für das Teilgebiet des französischen Violinspiels im 18. Jahrhundert dar. Keineswegs fehlte es während der zweiten Hälfte desselben in Paris an tüchtigen, in einzelnen Vertretern sogar bis zu einem hohen Grade von Leistungsfähigkeit sich erhebenden Violinisten, und man ist versucht zu fragen, warum bei diesem Stande der Dinge etwas wie eine Pariser Schule des Violinspiels nicht bereits früher entstand, als es wirklich der Fall war. Tatsächlich aber handelte es sich hierbei um Einzelerscheinungen, die an sich der Anerkennung würdig, noch nicht stark genug sich erwiesen, das allgemeine Niveau genügend zu heben. Was dem damaligen französischen Violinspiel fehlte, war jene Suggestion, jenes Faszinierende, das von einer überlegenen und fortreißenden, organisierend wirkenden Kraft ausgeht, die den bereits vorhandenen, aber isolierten und ungeordneten Bestrebungen Zusammenschluß, Richtung, neue Impulse zu geben vermag, die Massen erobert, verschmilzt und mit sich fortreißt.

Freilich war es kein Franzose, dem es zufiel, die hier ihrer Reife harrende Frucht einer französischen Schule des Violinspiels zu zeitigen, sondern ein Italiener. Mit welchem Enthusiasmus Viottis Auftreten im Concert spirituel (1782) begrüßt wurde, haben wir seinerzeit erfahren Vgl. S. 170.. An dieser Stelle sei zur Vergegenwärtigung nur noch ein weiteres zeitgenössisches Urteil angeführt, das der Leipziger Allgem. musikal. Zeitung (Bd. 14, S. 435) entstammt. Es lautet: »Viotti ist unstreitig der erste Violinspieler unseres Jahrhunderts. Nachdem er die nordischen Höfe durchzogen, kam er nach Paris, wohin ihm sein Ruf schon vorangeeilt war. Er übertraf ihn noch im Concert spirituel, in welchem er im März 1782 zum erstenmal auftrat. Er spielte ein Konzert von seiner eignen Komposition und man fand in diesem wie in allen nachfolgenden eine Originalität, welche das bis dahin Höchste in dieser Gattung erreicht zu haben schien, eine fruchtbare Einbildungskraft, eine glückliche Kühnheit, das ganze Feuer der Jugend, aber gedämpft durch einen reinen und edlen Geschmack, der ihn nie über die Grenzen des Schönen hinausschreiten ließ. Und nun die Ausführung! Kraft und Anmut wie innig verschwistert! Wie vollendet sein Adagio! Sein Allegro wie glänzend! Sein Spiel erregte einen außerordentlichen Enthusiasmus, als man ihn das erstemal hörte.«

Viotti blieb damals zehn Jahre in Paris. Innerhalb dieser Periode gab er dem französischen Violinspiel einen ungemeinen Aufschwung und erhob es zu seiner eigentlichen, fast unmittelbar darauf einsetzenden Blüte.

Es geschah dies nicht durch eine stattliche Reihe hervorragender Schüler. Zwar bildete er einige vorzügliche Geiger aus, unter denen Pierre Rode, eine in Frankreich vielleicht unübertroffene Erscheinung seiner Sphäre, obenan steht. Aber die Zahl seiner direkten Schüler ist, gegen diejenige anderer schulbildender Meister gehalten, nur eine geringe. Wichtiger ist, daß er durch seine Violinkonzerte die zeitgenössischen Geiger vor neuartige, ebenso hohe wie dankbare Aufgaben stellte; vor allem aber, daß er durch den vielseitigen Zauber und die künstlerische Vollendung seiner eigenen violinistischen Leistungen ein Vorbild schuf, das für jeden nach Höherem strebenden Violinisten maßgebend oder doch in ausgesprochener Weise anregend werden mußte. In dieser Hinsicht sei auch daran erinnert, daß Viotti, obwohl er seit 1783 nicht mehr öffentlich in Paris auftrat, doch in seiner Wohnung regelmäßige Quartettakademien vor geladenem Publikum veranstaltete, und daß die bedeutenderen Pariser Violinisten sich dort einzufinden pflegten, um den Meister zu hören. Durch alles dies erweiterte und befestigte sich Viottis Einfluß auf das Pariser Violinspiel so beträchtlich, daß man annehmen darf, kein irgendwie in Betracht kommender Geiger der Weltstadt werde sich ihm völlig entzogen haben.

Da es sich nun hierbei im wesentlichen um schon mehr oder weniger weit vorgeschrittene Künstler handelte, begreift sich auch das überraschend schnelle Aufblühen der Pariser Schule, welchen allerdings weiterhin auch durch ein anderes wichtiges Ereignis, die Eröffnung des Pariser Konservatoriums im Jahre 1794, noch beschleunigt wurde.

Vor allem wurde Viotti für zwei jüngere aufstrebende Talente von großer Bedeutung, die ohne seine Schüler zu sein eine tiefe und dauernde Beeinflussung durch ihn erfuhren. Diese sind Kreutzer und Baillot, die mit Rode vereint das glänzende Dreigestirn des Violinspiels für Frankreich und die Hauptmeister der Pariser Schule repräsentieren. Ihre Entwicklung vollzog sich unter dem Toben der Revolution, und wie durch diese ein neues Frankreich geschaffen wurde, so gaben die genannten Meister dem französischen Violinspiel eine neue Richtung, an deren Resultaten auch das übrige Europa, insbesondere aber Deutschland bis zu einem gewissen Grade teilnahm.


Wir wenden uns zunächst den französischen unmittelbaren Schülern Viottis zu, von denen außer Rode, der uns weiterhin beschäftigen wird, Alday, sodann der wegen seiner Herausgabe älterer Violinmusik in diesem Buche bereits häufig erwähnte Cartier, ferner Durand, Labarre, Libon und Vacher namhaft zu machen sind.

Alday le jeune entstammte einer musikalisch begabten Familie. Besonders zeichneten sich zwei Brüder derselben durch ihr Talent für die Violine aus. Der ältere (geb. 1763) trieb die Kunst indes nur als Liebhaber. Er war Musikalienhändler in Lyon, beschäftigte sich aber doch so ernsthaft mit der Geige, daß er eine Schule für dieselbe unter dem Titel: » Méthode de Violon, contenant les principes détaillés de cet instrument dans lesquels sont intercallés 16 Trios p. 3 Violons, 6 Duos progressifs, 6 Etudes et des exercises pour apprendre á moduler« verfaßte, die in mehreren Ausgaben erschien. Auch im Concert spirituel ist er mit Beifall aufgetreten. Der jüngere Alday, geb. 1764, war Musiker von Fach. Nachdem er der Lehre Viottis entwachsen und schon 1783, ferner 1791 im Concert spirituel aufgetreten war, wandte er sich im gleichen Jahre nach England. Seit 1806 wirkte er in Edinburg als Musikdirektor. Stil und Tradition seines Meisters Viotti soll er treu bewahrt haben. Seine ehedem beliebten Violinkompositionen sind völlig der Vergessenheit anheimgefallen.

Jean Baptiste Cartier, der Sohn eines Tanzmeisters in Avignon, wurde dort am 28. Mai 1765 geboren. 1783 kam er, durch den Abbé Walrauf für den musikalischen Beruf vorbereitet, nach Paris und genoß hier längere Zeit Viottis Unterricht. Er brachte es zu bedeutender Meisterschaft und war nicht nur ein in den Pariser Musikkreisen, sondern auch bei Hofe als Akkompagnateur der Königin Marie Antoinette beliebter Violinist. Dieser Künstler, der eine beträchtliche Anzahl von Schülern heranbildete, machte sich um das französische Violinspiel insofern verdient, als er in jeder Weise bemüht war, die Traditionen der älteren italienischen Schule seinem Vaterlande zugänglich zu machen; dies insbesondere durch Veranstaltung französischer Ausgaben der Corellischen und Tartinischen Werke, welche, wie wir sahen, keineswegs schon Gemeingut seiner Landsleute waren, sondern bisher nur teilweise Eingang in Frankreich gefunden hatten. Sein bereits öfter zitiertes Sammelwerk, welches einen ähnlichen Zweck, nur mit dem Unterschiede verfolgte, neben der italienischen auch die deutsche und französische Geigenliteratur des 18. Jahrhunderts zu berücksichtigen, erschien 1798 in Paris unter dem Titel: » l'Art du Violon, ou Collection choisie dans les sonates des trois écoles italienne, française et allemande.« Eine zweite Ausgabe davon erfolgte 1801. Dieser umfangreiche Musikband darf gewissermaßen als eine gedrängte, in Noten geschriebene Geschichte des Violinspiels im 18. Jahrhundert betrachtet werden, da sein Inhalt einen allgemeinen Überblick über die Geigenliteratur und die Mehrzahl ihrer Repräsentanten während des bezeichneten Zeitabschnittes gewährt. Es scheint, daß in diesem Werke ein teilweises Ergebnis der Studien vorliegt, welche Cartier nach Angabe Fétis' für eine unvollendet gebliebene Geschichte der Violine gemacht hatte.

Cartiers amtliche Laufbahn als Violinspieler begann 1791. Seit diesem Jahre war er Stellvertreter des ersten Geigers bei der Oper. 1804 wurde er durch Paësiello zur Privatkapelle Napoleons herangezogen. Nach der Restauration ward ihm die Mitgliedschaft der kgl. Kapelle zuteil, welcher er bis zur Julirevolution angehörte. Er starb 1841 in Paris. Unter seinen veröffentlichten Violinkompositionen sollen (nach Fétis) die Sonaten Op. 7 (Paris 1797) im Stil Lollis verfaßt sein, ein Umstand, der, falls er sich bestätigte, nicht zu ihren Gunsten sprechen würde.

Der in Warschau gegen 1770 geborene Franzose Auguste Frédéric Durand, mit Beziehung auf seine Heimat von den Zeitgenossen auch Duranowski genannt, war eine jener Künstlernaturen, die trotz außerordentlicher Begabung und Leistungsfähigkeit teils durch eigene Schuld, teils unverdient, ihr lebelang mit den Schattenseiten des Daseins zu kämpfen haben. Fétis berichtet, Paganini habe gegen ihn bei einer Unterredung geäußert, daß ihm durch diesen Künstler die Geheimnisse alles dessen offenbart worden seien, was man auf der Violine leisten könne, und daß er diesen Anregungen viel verdanke. Wenn sich heute freilich um so weniger die Tragweite dieses Geständnisses bestimmen läßt, als Paganini über den Eindruck eines Jugenderlebnisses berichtete, so geht aus ihm doch mit Sicherheit hervor, daß Durand eine ganz ungewöhnliche Erscheinung gewesen sein muß. Ohne Zweifel gehörte er der exklusiven Virtuosenrichtung an. Fétis ist übrigens der Meinung, daß ihm nie die Erfolge in der Öffentlichkeit zuteil geworden seien, welche er verdient habe.

Das Leben Durands war vielbewegt und unstet. Als Jüngling fand er Gelegenheit, durch einen bemittelten Polen, der sich für sein Talent interessierte, 1787 nach Paris zu gelangen. Unter Anleitung seines Vaters, eines Musikers von Fach in Diensten des Königs von Polen, hatte er bereits gute Vorbildung genossen. In Paris wurde Viotti, der die treffliche Anlage des jungen Mannes sogleich erkannte, sein Lehrer. Nachdem er seine Studien beendet hatte, bereiste er von 1794-1795 Deutschland und Italien als Konzertgeber. Durand erregte überall Sensation, wo er sich hören ließ, doch mitten in seiner Tätigkeit legte er die Violine aus der Hand, trat in die französische Armee und wurde Adjutant eines Generals. Ein gravierender Vorfall, bei dem er stark kompromittiert war, zog ihm zu Mailand schwere Kerkerhaft zu, von der ihn nur die Fürsprache des Generals Menou zu befreien vermochte. Doch war die Bedingung der Verabschiedung Durands von seiner bisherigen Stellung sowie die Exilierung nach dem Auslande daran geknüpft. Von da ab führte der zum zweiten Male aus seiner Karriere Gerissene ein unruhiges Wanderleben als Virtuos. Nicht selten befand er sich während dieser Periode in höchst bedrängten Verhältnissen. Zeitweilig war er nicht einmal im Besitz einer Violine, die er sich erst allemal auf gut Glück zu seinen Konzertvorträgen borgen mußte. Endlich nötigte ihn das Bedürfnis nach Ruhe, 1814 die Stelle eines Violinisten am Straßburger Theater anzunehmen. Hier war er bis 1834. Seitdem aber fehlen alle weiteren Nachrichten über ihn.

Von seinen Kompositionen nennt Fétis neun Werke, die indes als wertlos bezeichnet werden.

An Bedeutung gegen die vorgenannten Schüler Viottis zurückstehend erscheint Louis Julien Castels de Labarre, der, am 24. März 1771 geboren, einer vornehmen Familie der Picardie entstammte. Er wandte sich 1790, nachdem er unter Anleitung des italienischen Meisters studiert hatte, nach Neapel und trat als Zögling ins dortige Konservatorium della Pietà. Hier vervollständigte er bei Sala seine musikalische Bildung namentlich in theoretischer Hinsicht. Bei seiner 1793 erfolgten Rückkehr aus dem Süden ließ er sich in Paris nieder, trieb unter Méhul Kompositionsstudien und war als Geiger zwei Jahre bei dem Théâtre Molière, dann aber im Orchester der großen Oper tätig. Er hat einiges für Violine geschrieben und veröffentlicht. Auch komponierte er eine einaktige komische Oper.

Ein Künstler, dessen glänzende Anlagen Hoffnungen erregten, die sich später nicht ganz erfüllten, war der Violinist Philippe Libon, von französischen Eltern in Cadix am 17. August 1775 geboren. Er galt als ein würdiger Vertreter der Viottischen Schule, doch soll seinem Spiel geistige Belebung und Inspiration gemangelt haben. Libon wurde der Zögling Viottis während dessen Aufenthaltes in London. Sein Lehrmeister hatte große Zuneigung für ihn und zeichnete ihn insbesondere dadurch aus, daß er gelegentlich mit ihm in öffentlichen Produktionen Doppelkonzerte (so im Haymarket-Theatre) spielte. 1796 besuchte Libon seine Heimat. Bei dieser Gelegenheit fand er in Lissabon am Hofe eine Stellung als Soloviolinist. Zwei Jahre später vertauschte er dieselbe mit einem Engagement bei der Privatmusik des Königs von Spanien. Im Jahre 1804 (oder schon 1800) endlich begab er sich nach Paris. Die Kaiserin Josephine zog ihn zu ihrer Privatmusik, die gleiche Stellung behielt er auch unter der Kaiserin Marie Louise bei. Nach der Restauration außerdem Mitglied der königl. Kapelle geworden, starb er in Paris am 5. Februar 1838. Im Druck erschienen von ihm 7 Violinkonzerte, verschiedene Airs variés, Trios für 2 Violinen und Baß, Duos für 2 Violinen und 30 Kapricen.

Pierre Jean Vacher, nach A. Pougin ( Viotti et l'école moderne) ein talentvoller, aber wenig bekannt gewordener Künstler, wurde am 2. August 1772 in Paris geboren. Zuerst von einem Musiker André Monin unterrichtet, wurde er weiterhin Viottis Zögling. 1792 fand er, nachdem er bereits in Bordeaux im Theaterorchester tätig gewesen war, eine Anstellung bei der ersten Violine am Vaudevilletheater. Von da aus siedelte er ins Orchester der Opéra comique und schließlich in das der Oper über, wo er bis 1812 verblieb. Er starb, erst 47 Jahre alt, im Jahre 1819 in Paris. Fétis teilt einige Violinkompositionen von ihm mit.

Viottis ohne Vergleich hervorragendster Schüler, Pierre Rode, wurde am 16. Februar 1774 in Bordeaux, mithin in jener Stadt geboren, die Frankreich vorher schon mit mehreren Geigentalenten beschenkt hatte. Er war vom achten bis vierzehnten Lebensjahre der Schüler André Joseph Fauvels ( l'aîné), eines geschätzten, gleichfalls zu Bordeaux (1756) geborenen Violinisten, der 1794 nach Paris übersiedelte und dort bis 1814 als Bratschist bei der Oper wirkte. Im Jahre 1788 kam Rode, um seine weitere künstlerische Ausbildung zu fördern, nach Paris. Durch den berühmten Hornisten Punto, welcher ihn hörte, wurde sein Verhältnis zu Viotti vermittelt. Schon nach zwei Jahren (1790) hatte der Unterricht dieses Meisters ihn so weit entwickelt, daß er im Theâtre Monsieur mit einem Konzert (dem 13.) desselben erfolgreich zu debütieren vermochte. Zugleich fand er einen Wirkungskreis als Vorspieler bei der zweiten Violine am Théâtre Feydeau, in dem er auch wiederholt als Solospieler auftrat. So kam das Jahr 1794 heran, welches Rode eine Violinprofessur am neu eröffneten Conservatoire brachte, ihn aber zugleich auf eine Kunstreise durch Holland nach Berlin und Hamburg führte. In letzterer Stadt ging er mit der Absicht zur See, sich nach Bordeaux zu begeben; allein ein Sturm warf das Schiff, auf welchem er sich befand, an die englische Küste. Wider seinen Willen gelangte er dadurch nach London. Alle Anstrengungen, hier ein Terrain für Ausbeutung seines Talents zu gewinnen, mißlangen, und um keine Zeit zu verlieren, wandte er sich wieder nach Hamburg und von dort nach seiner Heimat. In Paris angelangt, wurde er zum Soloviolinisten an der Oper ernannt. Doch fühlte er sich durch diese Stellung nicht gefesselt; denn bald trat er eine Reise nach Spanien an. Als er 1800 von derselben zurückkehrte, genoß er die Auszeichnung, zum Solospieler bei der Privatmusik Bonapartes ernannt zu werden.

Rode stand um diese Zeit im Zenit seiner Künstlerlaufbahn. Er war in Paris damals hoch angesehen, und namentlich mit seinem schönen allbekannten a-moll-Konzert (Nr. 7) machte er einen »an's Wunderbare gränzenden Eindruck«. Ein Korrespondent der Allgem. mus. Ztg. (v. J. 1800, Nr. 41) sagt von ihm in emphatischem Tone, daß er nur mit sich selbst verglichen werden könne. Indes Paris vermochte den gepriesenen Künstler auch diesmal nicht lange zu fesseln. Der Zug der Zeit, Lorbeeren und Geld einzuernten, trieb ihn wiederum hinaus in die Fremde. Nachdem er in einem ihm zu Ehren im Théâtre Louvois veranstalteten Konzerte vom Pariser Publikum Abschied genommen, begab er sich in Gesellschaft Boieldieus 1803 auf die Reise nach Petersburg, wohin ihn vielversprechende Aussichten lockten. Auf seinem Wege berührte er die Hauptstädte Norddeutschlands, in denen er sich hören ließ. Ein Bericht in der Allgem. mus. Ztg. über sein Auftreten in Berlin bemerkt von ihm: »Die Kunst seines Spiels rechtfertigte die allgemeinen Erwartungen. Alle, die seinen berühmten Lehrer Viotti gehört haben, behaupten einstimmig, daß er dessen eigene interessante Manier vollkommen besitze, aber noch mehr Milde und seines Gefühl hineinlege.« Bei seinem Erscheinen in Leipzig urteilte man (Allgem. mus. Ztg. Bd. 13, S. 333) folgendermaßen über ihn: »Wir wiederholen hier nur, was uns eben an diesem Meister auch diesmal vor allem entzückte und sein Spiel vornehmlich charakterisirt; und das ist der unvergleichliche, in allen erdenkbaren Modifikationen schöne und sich gleichbleibende Ton; der durchaus edle, würdige Geschmack, dem er durchgängig treu bleibt und alles aufopfert, was blos imponiren, frappiren oder Spaß machen konnte; und die höchste Vollendung in alledem, was er zu hören giebt.« Mit wenigen Worten charakterisiert Baillot in seiner Violinschule Rodes Spiel, indem er von ihm sagt, es sei voller Reiz, Reinheit und Eleganz gewesen und habe ganz die liebenswürdigen Eigenschaften seines Geistes und Herzens ausgesprochen.

Die Aufnahme, welche Rode in Petersburg fand, entsprach durchaus seinen hochgespannten Erwartungen. Er genoß glänzende Erfolge, die durch seine Ernennung zum ersten Violinisten der kaiserl. Kapelle mit einer Gage von 5000 Silberrubeln vervollständigt wurden. Allein was Rode an Glücksgütern und äußeren Ehren einerseits gewann, verlor er andrerseits an seinem Künstlertum. Das aufreibende Leben und Treiben der russischen Residenz im Verein mit den ungünstigen klimatischen Verhältnissen des rauhen Nordens zehrten so stark an dem Marke seines Lebens, daß er ein anderer war, als er nach fünfjährigem Aufenthalt in Rußland gegen Ende 1808 die Heimat wieder betrat. Nicht mehr vermochte er die gewohnte zündende Wirkung auszuüben; denn er hatte die Frische und Unmittelbarkeit seiner Leistungen eingebüßt. Zudem hatten sich während seiner Abwesenheit andere junge Talente in der Gunst des Publikums festgesetzt. Unverhohlen wird dies in einem Pariser Bericht vom Jahre 1809 (Allgem. mus. Ztg. Bd. 11, S. 601) ausgesprochen: »Rode wollte nach seiner Zurückkunft aus Rußland seine Mitbürger dafür entschädigen, daß er ihnen so lange den Genuß seines herrlichen Talentes entzogen hatte. In der Wahl des Konzertes, das er spielte, war er nicht eben glücklich gewesen. Er hatte es in St. Petersburg geschrieben; und es schien, als wäre die Kälte Rußlands nicht ohne Einfluß auf diese Komposition geblieben ... Rode erregte wenig Enthusiasmus. Sein Talent, obgleich in der Ausbildung wahrhaft vollendet, läßt doch von Seiten des Feuers und innern Lebens viel zu wünschen übrig. Was Rode'n noch mehr Schaden that, war, daß man Lafont kurz vorher gehört hatte. Er ist jetzt hier der beliebteste aller Violinisten.«

Rodes kühle Wiederaufnahme in Paris verletzte ihn so tief, daß er von einem weiteren öffentlichen Auftreten daselbst absah, ein Verhalten, welches nach dem Vorgange seines Lehrers Viotti nicht mehr neu war. Nur in engerem Freundeskreise ließ er sich noch hören. Allein er schloß darum noch nicht mit seiner Wirksamkeit als Konzertist überhaupt ab, obwohl es sich immer mehr herausstellte, daß seine Kraft im Abnehmen begriffen war. Während der Jahre 1811-1813 bereiste er Bayern, die Schweiz und ganz Österreich. Spohr, der ihn 1813 in Wien hörte, berichtet darüber: »Ich erwartete in fast fieberhafter Aufregung den Beginn von Rode's Spiel, welches mir vor 10 Jahren als höchstes Vorbild gegolten hatte. Doch schon nach dem ersten Solo schien es mir, als sei er in dieser Zeit zurückgeschritten. Ich fand jetzt sein Spiel kalt und manirirt, vermißte die frühere Kühnheit in Besiegung großer Schwierigkeiten und fühlte mich besonders unbefriedigt vom Vortrage des Cantabile. Bei dem Vortrage der g-dur-Variationen, die ich schon vor 10 Jahren von Rode gehört hatte, überzeugte ich mich vollends, daß dieser an technischer Sicherheit viel eingebüßt habe; denn nicht nur hatte er sich mehrere der schwierigsten Stellen vereinfacht, er trug auch diese erleichterten Passagen noch zaghaft und unsicher vor.« Spohrs Urteil über Rode war keineswegs ungerechtfertigt. Auch Beethoven Fétis berichtet, daß Beethoven seine Violinromanze (gemeint ist die in f-dur, Op. 50) Rode dediziert habe, bleibt aber den Beweis für diese Behauptung schuldig. Niemann gibt an, Beethoven habe sie für ihn komponiert., dessen g-dur-Sonate Op. 96 der Erzherzog Rudolph mit Rode in einer musikalischen Abendunterhaltung beim Fürsten Lobkowitz vortrug, zeigte sich nicht befriedigt von den Leistungen des Violinvirtuosen S. die Beethovenbiographie des Verf. d. Bl., I, S. 330..

Rode, von Spohr in öffentlichen Konzerten verdunkelt Vgl. Allgem. mus. Ztg. vom Jahre 1816, Nr. 13., mochte selbst deutlich genug empfinden, daß sein Stern im Sinken sei. Er zog sich von der Öffentlichkeit zurück, ließ sich in Berlin nieder und verheiratete sich 1814. Später begab er sich nach seiner Vaterstadt. Und noch einmal wandelte es ihn nach langen Jahren an, trotz seines Gelübdes wieder in Paris öffentlich aufzutreten. 1828 führte er es wirklich aus. Doch war dies der Keim seines Todes. Denn obwohl mit aller Rücksicht vom Publikum aufgenommen, machte er die trübe Erfahrung, daß er weder diesem noch sich selbst genügte. Er hatte alles Selbstvertrauen verloren. Seine ehedem so schöne Intonation, seine Bogenführung und Unfehlbarkeit der Hand, – alles war unsicher geworden, und er mußte erleben, daß man ihn mit Schonung und Nachsicht behandelte. Die niederschlagende Wirkung hiervon ergriff ihn so sehr, daß er in ein Siechtum verfiel, dem er infolge eines Schlagflusses am 25. November 1830 auf seinem Schloß Bourbon bei Damazon erlag.

Ausschließlich von ihm gebildete Schüler hinterließ er nicht. Doch gibt es einige Violinspieler, die eine Zeitlang seiner Unterweisung teilhaftig wurden. Unter diesen sind hervorzuheben Joseph Böhm (in Wien) und Eduard Rietz (in Berlin) Über dieselben s. d. Abschnitt des deutschen Violinspiels im 19. Jahrh..

Die gediegene, echt künstlerische Richtung, welcher Rode sein lebelang als Violinist huldigte, manifestiert sich ganz unzweideutig in seinen Kompositionen, zumal in den Konzerten. Unter diesen ragt das schon erwähnte a-moll-Konzert durch edle Sinnigkeit und höchst reizvolle melodische und figurative Führung der Prinzipalstimme besonders hervor. Ebenbürtig sind demselben die anmutigen g-dur-Variationen, die, einst mit Vorliebe von der Catalani gesungen, ein vielbeliebtes Konzertstück waren. Seine übrigen Violinwerke atmen zwar im allgemeinen denselben Geist wie die beiden genannten, doch stehen sie nicht ganz auf derselben Höhe. Ohne Ausnahme bieten sie aber gleich den Viottischen Konzerten ein wertvolles, für breite Tonbildung und ausgeprägtes Passagenspiel ungemein ergiebiges Studienmaterial, das von keinem Geiger, er gehöre nun einer Richtung an, welcher er wolle, entbehrt werden kann.

Rode gestaltete seine Werke im engen Anschluß an Viotti. Er geht zwar in technischer Beziehung mitunter weiter als dieser, offenbart auch manchen, wir möchten sagen, moderneren und eigentümlicheren, in seiner Nationalität beruhenden Zug, doch läßt sich das Vorbild, nach dem er schuf, nirgend verkennen. Daher bei ihm, wie bei jenem, die vorwiegend gesangliche Behandlung der Geige, und daneben eine schlanke, ungekünstelte und wirksame, aus der Natur des Instrumentes hervorgehende Passagenbildung. Nur in spezifisch musikalischer Hinsicht steht Rode gegen seinen Meister merklich zurück. Dieser besaß einen glücklichen künstlerischen Instinkt für die Gesamtgestaltung seiner Kompositionen, welche höheren Anforderungen entspricht, als die Rodesche. Und wenn er auch hier und da die Mitwirkung befreundeter Berufsgenossen bei seinen Arbeiten in Anspruch genommen haben mag, so dürfte dieselbe doch kaum die Grenzen eines kollegialischen Rates überschritten haben. Rode dagegen, der den Entwurf der Orchesterpartie zu seinen Konzerten bewährteren Händen überlassen mußte, – namentlich wird hier Boccherini genannt, – behandelt den Unterbau der Solostimme mehr als nebensächliches, aufs notwendige sich beschränkendes Beiwerk. Das Interesse wird dadurch freilich auf die Prinzipalstimme hingelenkt, doch in so einseitiger Weise, daß darunter die künstlerische Gesamtwirkung leidet.

Außer 13 Violinkonzerten veröffentlichte Rode Streichquartette, Variationen, Duetten, einige kleinere Violinpiecen und endlich 24 Kapricen in allen Tonarten, die zu den vorzüglichsten Etüdenwerken der gesamten Violinliteratur gehören, und nur in gewissen technischen Beziehungen von der gleichartigen Arbeit Rudolph Kreutzers übertroffen werden.


Dieser zweite, auf einem Niveau mit Rode stehende Violinist der französischen Republik, welcher sich ebensowenig wie Baillot dem Einflusse Viottis zu entziehen vermochte, ging ursprünglich aus der deutschen Schule hervor. Dieselbe war schon vorher in einem nennenswerten Falle, nämlich durch Pierre Noël Gervais nach Frankreich gedrungen, der seine Studien unter Ignaz Fränzl machte. Gervais, geb. 1746 zu Mannheim, war der Sohn eines französischen Musikers in der dortigen kurfürstl. Kapelle und ließ sich, nachdem er seine Ausbildung empfangen, in dem Heimatlande seines Vaters nieder. 1784 debütierte er im Concert spirituel, und einige Jahre später (1791) wurde ihm die Führung der Violinen am Theater in Bordeaux übertragen. Sein Wunsch, 1801 an Gaviniés' Stelle Vgl. S. 368. als Lehrer beim Pariser Konservatorium zu treten, verwirklichte sich nicht, und so blieb er bis zu seinem Tode (gegen 1805) in der bisherigen Stellung. Fétis, der ihn selbst hörte, erkennt ihm ein sehr sauber und korrekt gehaltenes, doch farbloses Spiel zu. Im Druck erschienen drei Violinkonzerte von ihm.

Rudolph Kreutzer, seinem Familiennamen zufolge offenbar von deutscher Abkunft, ging gleichfalls aus der Mannheimer Schule hervor; er war ein Zögling von Anton Stamitz, der sich in Paris niedergelassen hatte Vgl. S. 267.. Zu Versailles am 16. November 1766 geboren Bei Gerber heißt es, daß Kreutzer 1767 in Deutschland geboren sei. Es darf indessen angenommen werden, daß obige von Fétis herrührende Angabe die richtige ist. Auch Gerbers Mitteilung, daß Kreutzer ein unmittelbarer Schüler Viottis war, ist ungenau., wurde er für dessen Unterricht durch seinen bei der königl. Musik angestellten Vater frühzeitig vorbereitet. Bereits im 12. Lebensjahre konnte er öffentlich als Violinspieler auftreten. Zugleich entwickelte sich sein Kompositionstalent in spontaner Weise. Ohne in die Geheimnisse der Tonsetzkunst eingeweiht zu sein, komponierte er Violinstücke, die so genießbar waren, daß er mit einem derselben schon im folgenden Jahre vor das Publikum des Concert spirituel treten konnte. Durch die Königin Marie Antoinette, welche ihm wohlwollte, erhielt er 1782 die Stelle seines im selben Jahre verstorbenen Vaters. Kreutzers Existenz war nun gesichert, aber er ließ sich dadurch nicht abhalten, vorwärts zu streben. Mestrinos, namentlich aber Viottis Künstlertum leuchtete ihm hierbei als Muster vor. Kaum den Jünglingsjahren entwachsen (er trat am 30. Mai 1784 abermals im Concert spirituel auf), gehörte er zu den vorzüglichsten Geigern Frankreichs. Dementsprechend stieg er schnell zu verschiedenen für das Pariser Musikleben bedeutsamen Stellungen empor. 1790 wurde er als erster Violinist am italienischen Theater angestellt, und bei Eröffnung des Konservatoriums erhielt er zunächst die zweite Violinprofessur, trat aber bei Rodes Abreise nach Rußland an dessen Stelle als erster Lehrer und übernahm 1801 das Amt des Soloviolinisten bei der Oper. 1802 wurde er Mitglied und 1806 Solist bei der Privatmusik Bonapartes, von dem er auch den Titel eines Kammervirtuosen erhielt, den Louis XVIII. bestätigte. Nach der Restauration avancierte er 1815 zum königl. Kapellmeister. Im folgenden Jahre versah er den Dienst des zweiten Orchesterchefs bei der Oper, deren Konzertmeister er 1817 wurde. Endlich vertraute man ihm 1824 noch die gesamte musikalische Oberleitung dieses Kunstinstituts an, welche er jedoch nur bis 1826 führte, da er dann pensioniert wurde.

Trotz seiner umfangreichen amtlichen Tätigkeit war Kreutzer nicht nur sehr fleißig als Tonsetzer, sondern fand auch Zeit zu Kunstreisen. 1796 und 1801 war er in Italien, und 1798 durchreiste er Deutschland. In Wien machte er Beethovens Bekanntschaft, der ihm seine Sonate Op. 47 dedizierte, welche ursprünglich für den englischen Violinspieler Bridgetower bestimmt war.

Über die Leistungen Kreutzers als Violinspieler, von denen Baillot in seiner Schule bemerkt, daß aus ihnen die Kühnheit und Wärme, die Freimütigkeit und feurige Imagination seines Charakters hervorgeleuchtet habe, findet sich bei Gerber folgende Mitteilung: »Die Manier des Viotti ist auch ganz die seinige. Eben der starke Ton und eben der lange Bogenstrich charakterisiren auch sein Allegro; wobey er die schwierigsten Passagen deutlich und außerordentlich rein vorträgt. Im Adagio zeigt er sich womöglich noch mehr als Meister seines Instrumentes.«

Fétis berichtet nach eigener Wahrnehmung: »Er hatte nicht die Eleganz, den Reiz und den Schliff Rodes, noch die bewundernswerte Mannigfaltigkeit und das tiefe Gefühl des letzteren; denn in Betreff seines Talents als Instrumentist schuldet Kreutzer alles seinem Instinkt und nichts der Schule (?). Dieser Instinkt, reich und voller Verve, gab seinen Leistungen eine Originalität des Ausdrucks ( sentiment) und jenes Vermögen, welches stets Emotionen im Publikum hervorruft, und worin ihn Niemand übertroffen hat. Er besaß einen mächtigen Ton, eine reine Intonation, und seine Art zu phrasieren hatte ein hinreißendes Feuer. Der einzige Vorwurf, den man ihm mit Recht gemacht hat, ist der, daß ihm die Mannigfaltigkeit der Bogenführung fehlte, und daß er beinahe alles mit glattem Strich spielte, anstatt sich des Detachés zu bedienen.« Einigermaßen in Widerspruch mit diesem Urteil steht eine Notiz der Allgem. mus. Ztg. (vom Jahre 1800, Nr. 41) über das gemeinsame öffentliche Auftreten Kreutzers und Rodes in Paris, welche also lautet: »Herr Kreutzer trat muthig mit Rode in den Kampfplatz, und beide Künstler gaben den Liebhabern den interessantesten Kampf zu bemerken – besonders in einer Symphonie mit zwei konzertierenden Violinen, die Kreutzer für diese bedeutende Ausforderung gesetzt hatte. Man konnte dabei genau bemerken, daß Kreutzer's Talent mehr die Frucht eines langen Studiums und einer unermüdlichen Anstrengung ist; Rodes Kunst scheint ihm mehr angeboren zu sein. Er überwindet die größten Schwierigkeiten mit aller Leichtigkeit und Zwanglosigkeit, die der Zwanglosigkeit seines immer senkrechten Anstandes (!) gleicht. Kurz, unter allen Virtuosen auf der Violine, welche sich dies Jahr in den Konzerten von Paris haben hören lassen, ist wohl Kreutzer der Einzige, der mit Robe verglichen werden darf.«

In späteren Jahren war Kreutzer genötigt, das Solospiel infolge eines Armbruches, den er sich 1810 auf einer Reise ins südliche Frankreich zugezogen, gänzlich aufzugeben. Von da an war er neben seiner amtlichen Stellung ausschließlich als Tonsetzer und Lehrer tätig. In ersterer Beziehung leistete Kreutzer nach quantitativer Seite das Mögliche, wobei er jedoch mehr als billig auf die Bedürfnisse des Tagespublikums Rücksicht genommen zu haben scheint. Außer 3 konzertierenden Symphonien (zwei davon sind für 2 Violinen, eine für Violine und Violoncell mit Orchester), 19 Violinkonzerten, 15 Streichquartetten, 15 Trios für 2 Violinen und Violoncello, 7 Duettenwerken, 5 Sonatenwerken für Violine und Baß und einem Etüdenheft für Violine schrieb er nicht weniger als 36 Opern, darunter 13 für die große Oper, 9 für das Theâtre Favart und 14 für das Theâtre Feydeau. Es macht einen niederschlagenden Eindruck, wenn man sich vergegenwärtigt, daß von all diesen Werken für die Nachwelt nichts weiter übrig geblieben ist, als ein und der andere Konzertsatz und die bekannten 40 Violinetüden. Die letzteren dürfen im Hinblick auf ihre Vielseitigkeit sowie auf ihre methodische, vom schärfsten pädagogischen Verständnis zeugende Abfassung als ein Meisterwerk ohnegleichen genannt werden. Neben dem unerläßlichen Skalenstudium sind sie als das »tägliche Brot« jedes Violinisten zu betrachten, der seiner Herrschaft über das Griffbrett sicher bleiben will.

Auch Kreutzers Violinkonzerte enthalten ungemein viel des Instruktiven und Fördernden Ein Konzert in d sowie eine Sonate » La Molinara« in D. Alards » Maîtres classiques du Violon«..Doch sind sie nicht selten trocken, veraltet und ohne jenen sinnlich schönen Reiz, der wesentlich die Lebenskraft eines Kunstwerks mitbestimmt. Selbst bei den besten Stücken, zu denen beispielsweise das Adagio und Finale des achtzehnten Konzerts gehört, ist dies fühlbar. Fétis gibt für diese Erscheinung eine Erklärung, die genau betrachtet nicht stichhaltig ist. Er sagt: »Als Kreutzer Mitglied des Konservatoriums geworden, glaubte er die Pflicht zu haben, gelehrt zu werden; er gab sich daher tiefen Studien hin, deren Resultat indessen nur war, daß sie seine Phantasie lähmten.« Unzweifelhaft ist aber, daß eine Phantasie, die durch strenge theoretische Studien gelähmt werden kann, diesen Namen nicht verdient. Ein wahrhaft produktives Talent kann durch das Studium nur geläutert und befruchtet, nicht aber erdrückt werden. Kreutzer war ein Vielschreiber, wie es deren, auf theoretische Kenntnisse oder auf Routine gestützt, so manche gab und auch heute noch gibt. Übrigens läßt sich eine sorglose Leichtlebigkeit, die es mit gewissen Dingen nicht gar zu ernst nimmt und auch auf Kreutzers Arbeiten eingewirkt haben mag, bei demselben nicht verkennen. Spohr gibt dafür einen sprechenden Beleg S. dessen Autobiographie. indem er erzählt, daß Kreutzer inmitten eines von ihm in Straßburg gegebenen sehr besuchten Konzerts sich die Einnahme habe auszahlen lassen, um diese sogleich in der Pause am Roulette des Foyers bis auf den letzten Sou zu verspielen. Nachdem dies geschehen, sei er zur Ausführung des zweiten Konzertteiles geschritten und habe nachträglich noch das verdient, was er bereits soeben vergeudet.

Als Lehrmeister des Violinspiels war Kreutzer, wie sich schon aus seinen Etüden entnehmen läßt, besonders glücklich. Er verstand es, das Vertrauen für sich und den Enthusiasmus für die Sache bei seinen Schülern zu erwecken. Wir werden dieselben in dem nächsten Abschnitt über das französische Violinspiel kennen lernen.

Kreutzers Lebensabend war nicht so ungetrübt wie seine Künstlerlaufbahn. Nachdem er 1826 in Ruhestand getreten, hegte er den Wunsch, mit seiner Oper »Mathilde« förmlich Abschied vom Publikum zu nehmen. Aber sein Gesuch im Jahre 1827 wurde auf rücksichtslose Art zurückgewiesen. Eine Folge dieser Demütigung waren wiederholte apoplektische Anfälle, die des Künstlers Gesundheit zerrütteten und sein Ende beschleunigten. Man brachte ihn nach der Schweiz, um durch die Einwirkung der Gebirgsluft seinen Organismus wieder zu heben, doch umsonst, – er verschied am 6. Januar 1831 zu Genf.

Der jüngere Kreutzer, mit Vornamen Johann Nicolaus August, Schüler seines Bruders, vermochte, obwohl er ein vorzüglicher Violinist war, nicht zu allgemeinerer Geltung zu kommen, da er an einem Brustübel litt, dem er am 31. August 1832 in Paris erlag. Geboren wurde er 1781 zu Versailles. Spohr berichtet über seine Leistungen: »Der junge Kreutzer ließ mich ein neues, sehr brillantes und graziöses Trio seines Bruders hören. Die Weise, wie er es vortrug, vergegenwärtigte mir einigermaßen die Manier des älteren und überzeugte mich, daß es die gediegenste von allen der Pariser Geiger sei. Dem jungen Kreutzer fehlt es an physischer Kraft, er ist kränklich und darf oft Monate lang nicht spielen. Sein Ton ist daher etwas matt, im übrigen sein Spiel rein, feurig und voll Ausdruck.«

Johann Kreutzer gehörte 1798 dem Orchester der komischen Oper an. 1802 trat er zum Orchester der großen Oper über, in welchem er bis 1823, dem Jahre seiner Pensionierung, mitwirkte. Am Konservatorium wurde er, nachdem er mehrere Jahre als überzähliger Lehrer unterrichtet hatte, 1826 der Nachfolger seines Bruders. Überdies gehörte er bis 1830 der königlichen Kapelle an. Einige von ihm veröffentlichte Violinkompositionen haben den Weg in weitere Kreise nicht gefunden.


Unter völlig anderen Umständen, wie Rode und Kreutzer, entwickelte sich Baillot, mit Vornamen Pierre Marie François de Sales, welcher lange zwischen Dilettantismus und Kunst schwankte und zur letzteren, obwohl seit früher Jugend mit ihr vertraut, erst überging, als seine oben genannten Genossen bereits eine Zierde des Pariser Musiklebens bildeten. Dafür war ihm vom Schicksal wiederum gewährt, noch zu einer Zeit der Mentor des französischen Violinspiels zu sein, als die beiden anderen Hauptvertreter desselben bereits den Schauplatz des irdischen Daseins verlassen hatten.

Baillot spielte als Geigenmeister für Frankreich recht eigentlich die Vermittlerrolle zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert. Auf den Überlieferungen Italiens fußend, suchte er dieselben mit der Neuzeit zu verschmelzen. Im Hinblick hierauf ist seine Erscheinung besonders anziehend und bedeutsam. Er wurde am 1. Oktober 1771 in Passy geboren. Sein Vater, Advokat beim Pariser Parlament, ließ ihm eine sorgfältige Erziehung angedeihen. Auf eigene Hand begann er das Violinspiel. Den ersten Unterricht erhielt er vor dem siebenten Lebensjahre von einem Florentiner namens Polidori, welcher zwar selbst wenig leistete, doch ein eifriger Lehrer war. Nachdem Baillots Eltern 1780 die Vorstadt Passy mit Paris selbst vertauscht hatten, wurde sein Lehrer Sainte-Marie. Diesem schuldete er den Sinn für jene Genauigkeit und Sauberkeit, wodurch er sich als Spieler später auszeichnete. Einen mächtigen Impuls gab ihm für seine Bestrebungen weiterhin Viotti, den er 1782 im Concert spirituel zuerst hörte. Dieser Meister übte eine so tiefe Wirkung auf ihn, daß er ihn fortan als das Ideal betrachtete, dem er nachzustreben habe. Später wiederholte sich dieser Eindruck in nachhaltigerer Weise; es ist daher gewiß, daß Baillot ebensosehr wie Kreutzer von Viotti beeinflußt wurde, obwohl er gleich jenem niemals dessen eigentlicher Schüler war.

Durch eine eigentümliche Wendung des Geschicks gelangte Baillot 1783 nach der ewigen Stadt, welche ihm neue Anregung gab. Sein Vater, kaum eingebürgert in Paris, wurde in diesem Jahre als königl. Beamter nach Bastia versetzt. Wenige Wochen darauf starb er. Großmütig nahm sich der durch diesen Unglücksfall bedrängten Familie ein Herr v. Boucheporn, damaliger Intendant Korsikas an, welcher sich insbesondere die Erziehung des begabten Knaben angelegen sein ließ. Er schickte ihn zunächst in Gesellschaft seiner eigenen Kinder auf 13 Monate nach Rom. Hier wurde das Violinspiel unter Nardinis Schüler Pollani fortgesetzt, der ihm besonders hinsichtlich der Tonbildung und Geschmeidigkeit des Strichs nützlich wurde. Schon war er so weit vorgeschritten, daß er sich in größeren Kreisen hören lassen konnte. Während der nächsten fünf Jahre gerieten indes die musikalischen Studien Baillots wieder einigermaßen ins Stocken. Er führte, nachdem er von Rom ins Vaterland zurückgekehrt war, ein ziemlich zerstreuendes Leben, begleitete seinen Gönner Boucheporn als Sekretär auf dessen Reisen und war bald in Bayonne, Pau und Auch, bald in den Pyrenäen. Doch vernachlässigte er nicht ganz das Violinspiel. Dieses wurde mit erneuertem Eifer betrieben, als Baillot anfangs 1791 wieder in Paris anlangte. Er machte Viottis persönliche Bekanntschaft, welcher ihm einen Platz als Geiger am Théâtre Feydeau verschaffte. Hier trat er auch in engere freundschaftliche Beziehung zu Rode, dem damaligen Führer der zweiten Violine im Orchester dieses Theaters. Doch immer war für Baillot noch nicht der Zeitpunkt seiner ausschließlichen Berufstätigkeit als Künstler gekommen. Nach fünfmonatlichem Orchesterdienst gab er zwar die Musik nicht völlig auf, betrieb sie jedoch demnächst wiederum nur als Sache der Erholung, indem er eine Stellung im Finanzministerium annahm. Unter diesen Umständen flossen mehrere Jahre hin, deren Gleichförmigkeit nur durch ein äußeres Erlebnis unterbrochen wurde. Baillot erhielt den Befehl, sich zum Freiwilligendienst zu stellen, welcher ihn für 20 Monate nach Cherbourg führte. Doch wurde trotzdem das Studium der Geige nicht nur fortgesetzt, sondern auch mit methodischem Sinn gehandhabt. Veranlassung hierzu erhielt der junge Mann durch die unverhoffte Bekanntschaft mit den Violinkompositionen Corellis, Tartinis, Geminianis, Locatellis, Bachs und Händels, welche ihm bis dahin in der Hauptsache fremd geblieben waren. Das Studium dieser Meisterwerke förderte ihn wesentlich. Er gab sich nun abermals und für immer der Kunst hin, und als er bei seiner Rückkehr von der Armee sich in Paris zunächst mit einem Viottischen Konzert öffentlich hören ließ, fand sein Talent solche Anerkennung, daß ihm nach Eröffnung des Konservatoriums die Lehrerstelle an der dritten Klasse des Violinspiels übertragen wurde (1795). An dieser Anstalt wirkte er mit kurzen durch die politischen Zwischenfälle bewirkten Unterbrechungen bis zu seinem Tode, welcher am 15. September 1842 erfolgte.

Außer seiner Lehrtätigkeit an der Pariser Musikschule wurde Baillot 1802 als Führer der zweiten Violine Mitglied der Privatmusik Bonapartes und nach dessen Thronbesteigung auch der kaiserl. Kapelle. Die Restauration erhob ihn 1821 zum ersten Soloviolinisten der königl. Musikakademie Riemann (Mus.-Lex.) gibt an: der großen Oper., ein Posten, welcher 1831 einging. Daneben dirigierte er während der Jahre 1822-1824 das Concert spirituel. Seit 1825 wurde von ihm Kreutzer als erster Violinist der königl. Kapelle vertreten, in dessen Stelle er 1827 definitiv einrückte. Nach der Julirevolution, infolge deren Baillot gleich vielen französischen Beamten seine Position einbüßte, wurde er 1832 durch Paer für die Privatkapelle Louis Philipps mit dem Vorspieleramt bei der zweiten Violine – jedenfalls mit Rücksicht auf sein vorgeschrittenes Alter – bedacht.

Ein besonderes Verdienst um das Pariser Musikleben erwarb sich Baillot durch die 1814 erfolgte Begründung öffentlicher Quartettakademien, welche man bis dahin in Frankreich noch nicht besessen hatte. Er vermittelte durch dieselben die Bekanntschaft des Publikums mit den Meisterwerken deutscher und italienischer (Boccherini) Kammermusik. Wie wenig Anklang seine Unternehmung jedoch in den ersten Jahren ihres Bestehens fand, beweist ein Bericht der Wiener Musikzeitung vom Jahre 1817 (S. 212), welcher meldet: »Quartetten gehen hier gar nicht. Baillot, gegenwärtig der Abgott und einer der vollendetsten Spieler, hält im Winter ein abonnirtes für ein Auditorium von 50 Personen; das ist alles, was man in dieser kolossalen Stadt in diesem Zweige der Tonkunst auffinden kann.«

Dem Beispiel seiner Genossen folgend, begab sich der Künstler auch, zuerst 1802, namentlich aber zwischen den Jahren 1805 und 1816, mehrfach als Solospieler auf Reisen, doch mit weniger Glück für äußerlichen Erfolg als andere namhafte Geiger. Fétis versichert, er habe auf seiner zweimaligen Tour durch Europa kein einziges eigenes Konzert zustande gebracht, und ist der Meinung, daß hieran die Ungunst der politischen Verhältnisse schuld gewesen sei. 1805 trat er mit dem berühmten Violoncellisten Lamare die erste Reise an, die ihn durch Deutschland und über Moskau nach Wien führte. Die kriegerischen Zeiten nötigten ihn, statt eines Jahres drei unterwegs zu bleiben. Eine Stelle, die man ihm bei seiner Anwesenheit in der Kremlstadt als Konzertmeister am dortigen Theater offerierte, lehnte er ab. Auch Petersburg besuchte er, und von hier aus kehrte er 1808 gemeinschaftlich mit Rode nach der Heimat zurück. 1812 und 1813 reiste er im südlichen Frankreich, 1815 dagegen in Belgien, Holland und Frankreich.

Über seine Spielweise befindet sich ein augenscheinlich unparteiisches Urteil in der Allg. mus. Ztg. (Jahrg. 1819, Nr. 17). Der Berichterstatter (Sivers) sagt, daß er nie in seinem Leben »eine vollendetere, keckere und doch bescheidenere Virtuosität auf der Violine gehört habe, wie Baillot's Spiel eine solche zeige«. Dann fährt er fort: »Ich nahe mich jetzt dem Alter, wo eine kalte Reflexion an die Stelle des überbrausenden Enthusiasmus zu treten pflegt. Aber trotzdem hat die wunderbare Vollendung, die der Künstler bei der Exekution seines Concertes an den Tag gelegt, mir ein solches Vergnügen gemacht, daß die bloße Rückerinnerung mich zu einem Lobe begeistern könnte, welches übertrieben scheinen würde. Dies gilt aber nur von den beiden Allegros. Denn mit Schmerz muß ich gestehen, daß der Vortrag des Adagio so ganz und gar in der bloß witzig naiven (?) Gattung ausfiel, daß in mir dadurch ein wahrhaft widerstrebendes Gefühl verursacht wurde. Doch ist mir diese Erscheinung nicht neu: wem dürfte jetzt noch unbekannt sein, daß die französischen Künstler das leidenschaftlich Lyrische nur künstlich nachahmen, während sie das witzig Verständliche künstlerisch schaffen?«

Diese Beurteilung wird durch Spohrs Bemerkungen über Baillot im wesentlichen bestätigt S. Allgem. mus. Ztg. Jahrg. 1821 und Spohrs Selbstbiographie.. Indem er einen Vergleich mit Lafont anstellt und auf dessen eng begrenzte virtuose Richtung hinweist, die ein geisttötendes Einerlei der Kunstübung bedinge, sagt er: »Baillot ist im Technischen seines Spiels fast ebenso vollendet, und seine Vielseitigkeit beweist, daß er es sei, ohne zu jenem verzweifelnden Mittel (der ewigen Wiederholung eines und desselben Programms) seine Zuflucht nehmen zu müssen. Er spielt außer seinen Kompositionen auch fast alle anderen der ältern und neuern Zeit. Er gab uns an jenem Abend ein Quintett von Boccherini, ein Quartett von Haydn und drei Kompositionen von sich, ein Konzert, ein Air varié und ein Rondo zu hören. Alle diese Sachen spielte er vollkommen rein und mit dem seiner Manier eigenthümlichen Ausdruck. Dieser Ausdruck schien mir aber mehr ein erkünstelter als natürlicher zu sein, so wie überhaupt sein Vortrag durch das zu scharfe Hervortreten der Mittel zum Ausdruck manirirt wird. Seine Bogenführung ist gewandt und an Nüancen reich, aber nicht so frei wie die von Lafont, daher sein Ton nicht so schön wie der von jenem, und die Mechanik des Auf- und Abstreichens des Bogens etwas zu hörbar. Seine Kompositionen zeichnen sich vor denen fast aller andern pariser Geiger durch Correctheit aus; auch ist ihnen eine gewisse Originalität nicht abzusprechen; aber etwas erkünsteltes manirirtes und veraltetes im Styl macht, daß sie meistens kalt lassen. Es ist Dir bekannt, daß er die Quintetten von Boccherini oft und gern spielt. Ich war begierig, diese Quintetten, von denen ich etwa ein Dutzend kenne, von ihm spielen zu hören, um zu sehen, ob es ihm durch die Weise, wie er sie vorträgt, gelingen könne, das Gehaltlose der Composition vergessen zu machen. So gelungen aber auch die Ausführung des von ihm gegebenen war, so fiel mir das oft Kindische der Melodien und die Magerkeit der fast immer nur dreistimmigen Harmonie nicht weniger unangenehm auf, wie bei allen früher gehörten. Es ist kaum zu begreifen, wie ein gebildeter Künstler, wie Baillot, dem unsere Schätze an Kompositionen dieser Gattung bekannt sind, es über sich gewinnen kann, diese Quintetten (die nur mit Berücksichtigung der Zeit und Verhältnisse, in denen sie geschrieben wurden, ihr Verdienst haben) noch immer zu spielen!«

Daß Spohrs Bemerkungen, insofern sie sich auf Baillots Spiel beziehen, im allgemeinen zutreffend sind, lassen die Kompositionen des französischen Meisters deutlich erkennen In D. Alards » Maîtres classiques du Violon« erschienen 2 Stücke Baillots: Air de Paisiello » je suis Lindor« und » Air russe« Op. 20.. Sie bestehen, soweit sie veröffentlicht wurden, in Trios für 2 Violinen und Baß, Duos für 2 Violinen, Kapricen für Violine Solo, 9 Konzerten, einer konzertierenden Symphonie für 2 Violinen und Orchester, 30 Airs variés, Nocturnos für Quintett, 3 Streichquartetten, einer Klaviersonate mit Violinbegleitung und 24 Violinpräludien. Er hatte sich für die produktive Tätigkeit durch gründliche Kompositionsstudien bei Catel, Reicha und Cherubini vorbereitet. Demgemäß zeigen seine Arbeiten musikalisch gebildeten Geist, Sorgsamkeit der Gestaltung und höchst sachgemäße Violinbehandlung. Aber es fehlt ihnen das Anmutende der schöpferischen Tonbeseelung: sie entbehren völlig jenes unmittelbar wirkenden Naturlautes, der die Herzen bewegt, die Geister entzündet. Sie verraten ein zwar spirituell geartetes, doch durch spekulativ reflektierendes Wesen beherrschtes Temperament. Die kühl berechnende Verstandesrichtung seines Naturells, der zugleich das Streben nach einem gewissen Raffinement des Effektes eigen ist, läßt sich am besten in seiner Violinschule, der weitaus umfangreichsten und in gewissem Sinne auch bedeutendsten von ihm vorhandenen Leistung wahrnehmen. Sie ist das Ergebnis eines vieljährigen, wahrhaft eisernen Fleißes und zeugt ebensosehr für die unermüdliche Beharrlichkeit als für die durchgebildete Kennerschaft des Autors. Baillot war bereits bei seinem Amtsantritt am Pariser Konservatorium von dem Direktorium desselben beauftragt worden, die Prinzipien des Violinspiels festzustellen und in einem besonderen Werke abzuhandeln. Er vereinigte sich für diesen Zweck mit Rode und Kreutzer, die das Unternehmen mit ihrem Rat unterstützten, während Baillot die Hauptaufgabe der Ausführung zufiel. So entstand jenes Werk, welches zu Anfang des 19. Jahrhunderts unter dem Titel: » Méthode de Violon par Messrs. Baillot, Rode et Kreutzer, rédigée par Baillot« (auch in deutscher Übersetzung) erschien. Bei Abfassung desselben wurden, wie Baillot selbst bemerkt, die schon vorhandenen Lehrbücher von Geminiani, Corrette, Leopold Mozart, Dupont und von Abbé le fils Über die Violinschulen von Dupont und Abbé le fils habe ich trotz aller Bemühungen nichts erfahren können, und ebensowenig über die oben erwähnten Lehrbücher von Ballieux und Cambini. Die Namen dieser Männer sind daher auch nicht in das am Schlusse dieser Blätter von mir gegebene Verzeichnis der Verfasser von Violinschulen eingereiht worden. in Betracht gezogen.

Baillot ließ es aber bei dieser von ihm redigierten Violinschule nicht bewenden. Er gab, nachdem inzwischen noch gleichartige Unternehmungen von Ballieux, Bornet Bornet aîné, Violinist bei der Pariser Oper von 1768-1790, veröffentlichte eine Violinschule unter folgendem Titel: » Méthode de Violon et de musique, dans laquelle on a observé toutes les gradations nécessaires pour apprendre les deux arts ensemble, suivie de nouveaux airs d'opéras, Lorenziti, Cambini, Woldemar, Faure, Pastou, Guhr und Mazas erschienen waren, im Jahre 1834 sein umfangreiches Lehrbuch des Violinspiels: » L'art du Violon« heraus. Über die Motive, welche ihn zur Abfassung desselben veranlaßten, erklärt er sich selbst folgendermaßen: »Als man uns vor mehr als 30 Jahren beauftragte, die Grundlagen des Violinspiels im Musikkonservatorium festzustellen, hatten wir noch keine bestimmte Kunde über die Art, das Spiel dieses Instruments zu studieren, unsere Unterweisung hatte sich noch nicht über einige schwankende Begriffe und unvollständige Überlieferungen erhoben. Bevor wir uns bei den sogenannten Kunstgeheimnissen aufhalten konnten, hatten wir jahrelang mit Irrtümern zu kämpfen. Zur Unterstützung suchten wir zwar die bemerkenswertesten Elementarwerke auf, aber damit hatte es seine Schwierigkeit, denn es gab deren nur wenige, und diese waren in einer von uns zu weit entfernten Epoche entstanden, um uns die Geschmeidigkeit der Mittel ( la flexibilité des moyens) bieten zu können, welche die neueren Kompositionen immer mehr und mehr erheischen.«

Nachdem dann Baillot auf die Notwendigkeit hingewiesen, seine erste Schule unter Beibehaltung der Grundlagen völlig umzuarbeiten, bemerkt er weiter über das neue Werk: »Wir bemühten uns es dadurch zu bereichern, daß wir eine große Zahl neuer Gegenstände darin abhandelten, welche nach unserer Überzeugung dem Studium des Violinspiels bis jetzt noch mangelten. Beinahe alle Beispiele wurden aus den Werken der als Klassiker anerkannten Meister genommen, weil ihre Werke als Vorbilder in jedem Genre gelten können. Wir haben viel sicherer zu gehen geglaubt, von dem Bekannten auf das Unbekannte überzugehen, als wenn wir Beispiele angeführt hätten, deren Anwendung noch nicht so klar, so bestimmt und folglich auch nicht so zweckmäßig sein kann, weil sie noch nicht durch Zeit und Gebrauch die Autorität und den Vortheil, den kurze Auszüge darbieten, erlangt haben. Je mehr Mannigfaltigkeit das Violinspiel heutzutage bietet, um so sorgfältiger muß auch die Auswahl der Beispiele sein.«

»Vor allen Dingen muß eine Lehrmethode den Verstand und die Urteilskraft entwickeln, damit nicht alle Anstrengungen der Übung und die Resultate der Geduld vergeblich seien. Es gebricht heutzutage dem Mechanismus nicht an Stoff: jede Schwierigkeit erfordert besondere Studien; aber eine Lehrmethode muß zu ihrer Anwendung, zur Ordnung der Materie führen, muß das Band, welches sie verknüpft, und das Ziel, worauf jene abzwecken, erkennen lassen. Einige haben durch abgekürzte Methoden den Unterricht zu beschleunigen gesucht und sind in der Kürze zu weit gegangen. Im Gegenteil aber muß der Unterricht so weitläufig und dabei so bestimmt gegeben werden, daß auch die minder begünstigte Fassungskraft ihn klar zu durchschauen vermag, und diese Ansicht möge es entschuldigen, daß wir in so viele Einzelheiten eingegangen sind.«

Gerade das, weswegen Baillot sich zu rechtfertigen sucht, ist die Achillesferse seines Werkes. Sein Verfahren hat im Grunde keine Grenze, und er gibt daher einerseits zu viel, andrerseits zu wenig. Zu viel, weil die Menge der von ihm aufgestellten Beispiele verwirrend wirkt, – zu wenig, weil die von ihm befolgte Art der Spezialisierung keineswegs erschöpfend ist, wie sie es überhaupt nicht sein kann. Aber wer fordert denn auch von einer Violinschule Belehrung darüber, wie diese Phrase in einem Haydnschen oder jene Figur in einem Beethovenschen Quartett auszuführen sei? Man wird dadurch weder das eine noch das andere der fraglichen Musikstücke richtiger oder besser aufzufassen und darzustellen vermögen, als ohne diese unnützen Wegweiser. Dergleichen wäre allenfalls in einer Ästhetik der Vortragskunst am Platze, die übrigens aus naheliegenden Gründen ebensowenig Vorteil bringen würde wie Baillots Exempelreichtum. Der Vortrag muß von innen herauskommen, er kann nicht methodisch gelehrt oder erlernt werden; höchstens wird man auf didaktischem Wege eine bestimmte Vortragsmanier und damit eine mehr oder minder automatenartige Tätigkeit erzielen. Von einem Lehrbuch der künstlerischen Technik aber ist zu verlangen, daß es sich auf die wesentlichen Fingerzeige des infrage kommenden Studiums beschränke. Die Notenbeispiele dürfen nur technische Zwecke verfolgen und müssen daher so eingerichtet sein, daß sie, in scharfer Begrenzung des Allgemeinen, die Grundformen des zu Lernenden klar und bestimmt darstellen. Alles Besondere, Spezielle ist dem Lehrer, der nach Begabung und Individualität des Schülers zu verfahren hat, sowie der Beobachtungsgabe und Selbsttätigkeit des letzteren zu überlassen. Baillot befolgt das Gegenteil und keineswegs zum Vorteil der Sache. Soweit seine Schule den Mechanismus des Violinspiels behandelt, ist sie als ein verdienstliches, die vorhergehenden gleichartigen Arbeiten ohne Frage überragendes Werk zu betrachten. Was darüber hinausgeht – und es ist viel – erscheint höchst problematisch und dem angestrebten Zweck nicht entsprechend. Doch eines ist bei alledem an diesem verfehlten Teil seiner Leistung wichtig: wir ersehen mit Sicherheit aus demselben, daß Baillot durch diese seine Unterrichtsmethode wesentlich mit zu jener einseitig uniformen und äußerlichen Vehandlungsweise beigetragen hat, die das neuere französische Violinspiel charakterisiert. Welche anderen Einflüsse außerdem noch dabei tätig waren, wird sich aus der folgenden Darstellung ergeben.

Auch literarisch war Baillot tätig. Er schrieb: Notice sur Grétry (1814), Notice sur Viotti (1825) und mehreres andere. Seine Schüler Guérin, Habeneck, Mazas, Blondeau, Wéry und Dancla werden uns im 19. Jahrhundert beschäftigen.

Als französische Violinisten des 18. Jahrhunderts seien hier der Vollständigkeit halber noch genannt: Boivin, Denis, Dévienne, Dun, Dupont, Exaudet, Ferté, Lasserne, Le Maire, Marc, Matthieu ( fils), Romain de Brasseur und de Tremais. Nachrichten über dieselben sind nicht vorhanden. Man weiß nur, daß diese Männer Violinsonaten veröffentlichten.

 

4. Die Belgisch-Niederländische Schule.

Fast gleichzeitig mit dem Erwachen einer künstlerischen Handhabung der Violine in Frankreich regte sich auch in den Niederlanden der Sinn für die Pflege unseres Instrumentes. Wenn nun auch die dortigen Vertreter desselben im 18. Jahrhundert nicht mitbestimmend in den Entwicklungsgang des Geigenspiels einzugreifen vermochten, so finden sich doch einige Namen unter ihnen, die hier nicht übergangen werden dürfen. Die Mehrzahl derselben ist französischer Abstammung, ein Grund mehr, ihrer an dieser Stelle zu gedenken.

Die Violinspieler der Niederlande standen nicht minder unter dem Einfluß Italiens, als alle übrigen Länder des europäischen Okzidents. Es ist daran zu erinnern, daß Amsterdam neben Bologna und Venedig nicht nur frühzeitig ein Hauptverlagsort für die italienische Violinliteratur, sondern auch der Schauplatz für das Wirken eines der hervorragendsten Zöglinge der römischen Schule, nämlich Pietro Locatellis wurde. Nächst Amsterdam fand dann auch in Brüssel das Violinspiel bemerkenswerte Vertretung. Zu größerer Bedeutung gelangte dasselbe in letzterer Stadt jedoch erst im 19. Jahrhundert.

Der chronologischen Folge nach haben wir zunächst Jean Baptiste Volumier zu nennen, den Fétis zu den belgischen Musikern zählt, obwohl er in Spanien (1677) geboren und am französischen Hofe erzogen wurde S. Fürstenaus »Gesch. d. Musik u. d. Theaters am Hofe der Kurfürsten von Sachsen.« (Dresden 1862) S. 64.. Vom 22. November 1692 bis 1706 war er Konzertmeister, Tanzmeister und Inspektor des Balletts am Berliner Hofe. Zugleich versah er dort auch das Amt eines Direktors und Informators im »Tanz-Exercicio« bei der K. Fürsten- und Ritterakademie Ebendas. S. 65.. Dann wurde er in gleicher Eigenschaft nach Dresden berufen, wo er am 28. Juni 1709 seine Bestallung als Konzertmeister empfing. Er soll sich hauptsächlich im Vortrag französischer Musik ausgezeichnet haben. Volumier starb in der sächsischen Residenz am 7. Oktober 1720. Soviel man weiß, hat er nur Ballettmusik geschrieben.

François Cupis de Camargo, geb. am 10. März 1719 in Brüssel, war der Schüler seines Vaters. Auch er suchte und fand, gleich Volumier, seinen Wirkungskreis im Auslande. 1741 wurde er Mitglied des Pariser Opernorchesters, welchem er bis 1761 angehörte. Sein Tod erfolgte bald darauf. Veröffentlicht hat er zwei Hefte Sonaten für Violine Solo.

Aus derselben Familie sind noch mehrere Violinisten bekannt, darunter ein J. B. Cupis, der 1738 ein Heft Violinsonaten veröffentlichte. Im » Mercure« vom Juni desselben Jahres heißt es, daß er gefiel durch » un jeu coquet et séduisant« und fähig erscheine, die Vorzüge des Spieles von Leclair mit denen Guignons zu vereinigen. Er war ein Bruder der berühmten Tänzerin Camargo.

Ein Charles Cupis, vielleicht Bruder des eben Genannten, war 1746 Violinist am Pariser Opernorchester.

Als ein ausgezeichneter Geiger wird Guillaume Gommaire Kennis, geb. gegen 1720 zu Lierre, gerühmt. Man kennt weder Lehrmeister noch Bildungsgang dieses Künstlers, der zugleich ein fruchtbarer Komponist und tüchtiger Kapellmeister war. Als Violinist soll Kennis eine außerordentliche Gewandtheit der linken Hand besessen haben. Maria Theresia fand sich angeblich durch den Eindruck, welchen seine Leistungen auf sie machten, bewogen, ihn mit einer kostbaren Stainer-Geige zu beschenken. In jungen Jahren schon bekleidete er das Kapellmeisteramt an der St. Gommairekirche seiner Vaterstadt. Gegen 1768 verließ er die letztere, um in Löwen eine gleiche Stellung zu übernehmen, der er bis zu seinem Tode am 10. Mai 1789 vorstand. Er schrieb Sonaten für Violine Solo und Baß, sowie für Violine, Cello und Baß, Streichquartette, Violinduette, Symphonien und drei Violinkonzerte mit Orchesterbegleitung. Der größere Teil dieser Werke wurde in Paris und London gedruckt.

Pierre van Malder erhielt den Unterricht im Violinspiel und in der Komposition von Croes, dem Kapellmeister seiner Vaterstadt Brüssel, nachdem er dem Kinderchor der königl. Kapelle zuerteilt worden war. Geboren wurde er am 13. Mai 1724. Im Jahre 1755 erhielt er eine Anstellung als Violinist in der Kapelle des Gouverneurs der Niederlande, Prinz Charles de Lorraine. 1754 trat er im Concert spirituel auf, wo man die Kraft seines Bogens und die Präzision seines Spiels bewunderte. Obigen Wirkungskreis trat er an seinen Bruder Guillaume ab, nachdem der genannte Prinz ihn Ende 1758 zu seinem Pagen erwählt hatte. Er starb in Brüssel am 3. November 1768. Hauptsächlich beschäftigte sich van Malder außer dem Violinspiel mit der Instrumentalkomposition. Er veröffentlichte schon 1757 sechs Streichquartette und 1759 sechs Symphonien, denen noch 12 andere folgten. Auch 6 Sonaten für 2 Violinen und Baß ließ er drucken. Eine von ihm gesetzte komische Oper » la Bagarre« führte er 1762 in Paris auf.

Ein anderer Brüsseler Violinist war Eugène Charles Jean Godecharle, geb. am 15. Januar 1742, gest. 1814. Dieser Künstler erhielt seine Ausbildung in Paris. Weiterhin vertauschte er die Violine mit der Bratsche. Dieses Instrument vertrat er auch im Brüsseler Orchester, dessen Mitglied er 1773 wurde.

Dieu-donné Pascal Pieltain, einer der besten Schüler Giornovicchis, wurde am 4. März 1754 zu Lüttich geboren. Er verließ sein Vaterland als junger Mann und kehrte in dasselbe nur zurück, um in Ruhe die Erträgnisse seines Fleißes zu verzehren. 1778 erschien er in Paris und trat dort im Concert spirituel auf, wo er auch als Violinist Anstellung fand. Sodann wandte er sich 1782 nach London. Während seines Aufenthaltes daselbst stand er beim Lord Abington als erster Violinist in Diensten. Von 1793 ab besuchte er Petersburg, Warschau, Berlin und Hamburg. In letzterer Stadt befand er sich ums Jahr 1800, welches ihn wieder seiner Heimat Lüttich zuführte. Er starb dort hochbetagt am 10. Dezember 1833. In Paris und London veröffentlichte er an Kompositionen 13 Violinkonzerte, 6 Violinsonaten mit Baß, 11 Airs variés für 2 Violinen und 6 konzertierende Streichinstrumente, 12 Violinduetten und ebensoviele Quartette.

Von dem belgischen Violinspieler Joseph Gehot, geb. gegen 1756, wissen wir nur, daß er seit 1780 Frankreich und Deutschland bereiste und 1784 in London lebte. Streichquartette und -trios, sowie Violinduos von ihm erschienen in Paris und Berlin.


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