Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.
Der Mann aus Toulouse

Als Jagg Flower seine Strafe im Gefängnis von Toulouse verbüßte, gestattete man ihm, gewisse erbauliche oder bildende Bücher zu lesen. Ein solches Buch, an das er sich noch gut erinnerte, fing folgendermaßen an:

» II y avait une fois vingt-cinq soldats de plomb; ils étaient tous frères; car c'est de la même vieille cuillière de plomb qu'ils étaient issus; c'est avec ce vieux métal qu'on les avait tous fondus »Es waren einmal fünfundzwanzig Bleisoldaten; sie waren Brüder, denn sie waren aus demselben alten Bleilöffel hervorgegangen; man hatte sie alle aus diesem Metallstück gegossen.«

»Das ist es,« sagte Jagg Flower, als er das erbauliche Buch in eine Ecke der Zelle warf, »was das Gefängnisleben in Frankreich so unbeliebt bei den gebildeten Klassen macht.« Diese Worte wurden ordnungsgemäß dem Direktor mitgeteilt. –

Weil Jagg in Kürze entlassen werden sollte, schickte ihm der obenerwähnte Beamte, dem der Bankräuber mit dem langen Gesicht leid tat, ein Bündel englischer und amerikanischer Zeitungen.

»So etwas lasse ich mir eher gefallen, das ist sowohl eine menschliche wie auch angenehme Lektüre«, bemerkte Jagg, als er die Pariser Ausgabe des New York Herald ausbreitete. »Sehen Sie, François! Sagen Sie dem Herrn Direktor, daß ich ihm zu seinem großartigen Gedanken gratuliere und ihm meine Hochachtung ausdrücke.«

François, der Wärter, grinste voller Bewunderung.

Zwei Tage darauf fiel der Blick von John Jalgar Flower auf eine Stelle in einer Londoner Zeitung, die ihn die Augen weit aufreißen ließ. –

»Kenberry Haus, das sich einst zu den stattlichsten Landhäusern Englands rechnen konnte, ist kürzlich von dem Marquis von Pelborough, dessen romantische Laufbahn uns allen schon bekannt ist, käuflich erworben worden. Vor einem Jahr erst war der Herr Marquis noch in der City als Versicherungsangestellter tätig. Sein Onkel, Dr. Josephus Beane, aus Pelborough, erhob Anspruch auf das seit 1714 erloschene Marquisat von Pelborough. Sein Anrecht darauf wurde anerkannt und der Marquistitel ihm zugesprochen. Eine Ironie des Schicksals wollte es, daß er an demselben Tage, an dem die Nachricht ihn erreichte, starb. Der jetzige Marquis, der einzige männliche Erbe ...«

»Großer Gott!« murmelte Herr Flower. Während er den Rest des Abschnitts las, entwickelte sich ein Plan in seinem Kopf. Die Ansprüche auf Stattlichkeit, die das Haus Kenberry einst erheben durfte, waren dem Gebäude jetzt nicht mehr anzusehen. Es gehörte zu jenen Häusern, die anscheinend eine verhängnisvolle Attraktion für Feuer haben. Eine Feuersbrunst nach der anderen suchte es heim und jedesmal, wenn es wieder aufgebaut werden mußte, wurde es ein wenig kleiner, etwas weniger stattlich, so daß nach und nach die Zinnen und das große imposante Tor mit der Fallbrücke, die den Bauern des Mittelalters Respekt eingeflößt hatten, verschwanden und durch Schornsteine und eine ganz alltäglich aussehende Haustür ersetzt wurden. Das Haus Kenberry war in seiner jetzigen Form zu groß, um eine Villa darzustellen und zu klein, um den hochklingenden Namen eines Landhauses zu verdienen. –

Nur die Ländereien um das Haus waren fast dieselben geblieben, diese wunderbaren, sanft abfallenden Wiesen, die bis zu dem gurgelnden Flüßchen Ken hinunterreichten. Auch die alten Anlagen mit den riesigen Ulmen sahen ebenfalls fast noch so aus als zur Zeit der Königin Elisabeth, die nach ihrer Gewohnheit, in fremden Häusern zu schlafen, auf ihrem Wege nach Fotheringay, auch eine Nacht in Haus Kenberry verbracht hatte. –

Zufällig hatte Gwenda eine Beschreibung dieses Besitztums in einer Zeitung gelesen und war an einem Sonntag, bald nach ihrer Rückkehr aus Frankreich, hingereist, um es anzusehen. Sie war begeistert. Das Haus war wie für Bubi geschaffen! Der geforderte Kaufpreis war lächerlich niedrig und die Besitzung im großen und ganzen in guterhaltenem Zustand.

Dieses war besonders bei dem Hause selbst der Fall, und auch die Räume waren in tadelloser Ordnung. – Diesem Umstand verdankte es der Marquis von Pelborough, daß er, ehe er sich versah, aus der Londoner Wohnung herausgedrängt und sich in seinem neuen Landhause befand. –

Daß er sich todunglücklich fühlte, braucht man wohl kaum zu betonen. Nicht einmal die Tatsache, daß Frau Phibbs mitgekommen war, um seinen neuen Haushalt zu organisieren, konnte ihn für diese gewaltsame Umwälzung und die Zerstörung des gemütlichen Heims in der Doughtystraße entschädigen. Er hatte doch Gwenda, die ihm wie eine Mutter mit Rat und Tat beigestanden, verloren, denn sie hatte beschlossen, für sich ein Zimmer in der unteren Wohnung zu mieten. Diejenigen Möbelstücke, die sich für das stattliche Landhaus eigneten, wurden mit der Eisenbahn dorthin befördert, und die übrigen Sachen sollten verkauft werden. –

Bubi fühlte sich ganz verlassen und konnte sich ein Leben ohne Gwenda nicht vorstellen. Natürlich empfand er die Schönheit, die Ruhe und den Frieden seines neuen Heims. Die Entdeckung, daß er vier Gärtner, einen Kutscher und einen Kuhhirten beschäftigte, imponierte ihm sehr. Er erfuhr auch, daß er noch zwei Güter besaß. – Es interessierte ihn auch, zu hören, daß nach den Paragraphen eines alten Erlasses Heinrichs IV., er als Besitzer dieses Grundstücks jeden innerhalb seines Besitztums, das heißt von Morton Highgate bis Down Wood, gefangengenommenen »Halsabschneider, Räuber oder Wilddieb« aufhängen durfte, wenn ihm so zumute war, vorausgesetzt, daß er die Unkosten der Errichtung des Galgens selbst bezahlte. Der einzige Lichtblick in der ganzen Angelegenheit war, daß Gwenda, nachdem ihr Stück nun nicht mehr gespielt wurde, vierzehn Tage sein Gast war.

»Aber nur vierzehn Tage, Bubi, länger kann und will ich Ihnen nicht zur Last fallen.«

»Es wird schrecklich sein, wenn Sie wieder fort sind, Gwenda«, sagte er betrübt. »Jeden Tag ist etwas anderes los. Heute morgen bekam ich einen Brief von den Rechtsanwälten meines verstorbenen Onkels, in dem sie mich um die Pachtverträge, die er unterschrieb, bitten. Ein winziges Stück Land vor dem Dorf Pelborough gehörte ihm, und es schwebt augenblicklich ein Prozeß um die Rechte des gegenwärtigen Besitzers.«

»Haben Sie denn die Papiere Ihres Onkels, Bubi?« fragte sie erstaunt.

Er nickte.

»Doch, einen ganzen Kasten voll«, sagte er, und ein Hoffnungsschimmer leuchtete in die Dunkelheit seiner Verlassenheit. »Wie wäre es, Gwenda, wenn Sie hierblieben und mir beim Ordnen der Papiere helfen würden? Ich habe es noch immer nicht getan, und die Rechtsanwälte haben schon zum zweitenmal geschrieben.«

Er erklärte ihr, daß, als er nach dem Tode seines Onkels dessen Haus übernommen, er einen Koffer voll Briefe und Papiere gefunden hätte, die meistenteils von Dr. Beanes Anrecht auf das Marquisat von Pelborough handelten. Später kam noch ein ganzer Haufen hinzu, den er in dem Pult und dem alten Safe des Doktors entdeckte.

»Ich habe sie immer sortieren und ordnen wollen,« sagte er schuldbewußt, »aber ich rechnete auf Ihre Hilfe dabei, Gwenda.«

»Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig,« entgegnete sie mit verschmitztem Lächeln, »aber mehr als vierzehn Tage brauchen wir nicht dazu, Bubi, und dann – –«

»Wir wollen jetzt vergnügt sein«, sagte Bubi, dessen Stimmung schon etwas heiterer wurde. »Mit den gräßlichen Papieren wollen wir erst Montag anfangen.«

»Nein, wir wollen schon heute vormittag damit beginnen«, erwiderte sie; aber Bubi streikte.

Da er nicht überall auf seinem Besitztum gewesen war, bestand er darauf, daß dieser Tag weiteren Entdeckungsreisen gewidmet werden sollte. Sie begleitete ihn auf einer solchen Tour, und der Tag begann im reinen Glück. –

Sie saßen unter herabhängenden Erlen, am Ufer eines kleinen Flusses, der eine der Grenzen von Bubis Ländereien bildete. Bubi ging nach Hause zurück, um die neue Angelrute, die er gekauft hatte, zu holen. Zwei weitere Stunden vergingen, während sie das Angelgerät zurechtlegten und sich gegenseitig Unterricht im Befestigen des Köders gaben. Obgleich sie beide sehr unerfahren waren, gelang es ihnen doch am späten Nachmittag, eine wunderbare Forelle zu fangen. Dieses Ereignis steigerte den Wert des Grundstücks Kenberry bei Bubi. –

»Gehen Sie noch nicht fort, Gwenda«, sagte er, als sie aufstand. –

»Es ist sehr spät, Bubi,« warf sie ein, »und wir haben noch nicht den Nachmittagstee getrunken.«

»Ja, ich weiß«, entgegnete er. »Setzen Sie sich noch einen Augenblick hin, Gwenda. Sie wissen doch, ich wollte Ihnen schon in Monte Carlo etwas sagen.«

»Sagen Sie es lieber nicht, Bubi«, meinte sie ruhig.

Sie stand noch neben ihm, und ihre Hand glitt halb unbewußt über sein unordentliches Haar.

»Aber, Gwenda ...«

»Ich weiß, was Sie mir damals sagen wollten, Bubi, und ich tat mein möglichstes, Ihnen die Aussprache zu erleichtern«, sagte sie. »Es war schamlos von mir, und ich schäme mich jetzt darüber. Ich angelte nach Ihnen, wie Sie vorhin nach der Forelle. Wenn ich daran zurückdenke, glaube ich, ich muß verrückt gewesen sein.«

Bubi war jetzt aufgestanden, die Angelrute hatte er fallen lassen; aber bevor er sprechen konnte, fuhr sie fort:

»Wir haben eine wunderbare Zeit gehabt, Sie und ich, Bubi, eine schöne, idyllische Zeit, und wir wollen sie nicht zu guter Letzt verderben. Sie sind noch so jung – ich weiß, daß Sie sagen werden, Sie sind älter als ich, aber Frauen sind immer viel, viel älter als Männer, selbst wenn sie die gleiche Anzahl Jahre haben. – Eine große Zukunft wartet Ihrer. Sie müssen eine Dame aus Ihren Kreisen heiraten, Bubi.«

Er machte eine protestierende Geste.

»Ich weiß, es klingt hart und gräßlich und wie eine Romanphrase, aber glauben Sie mir, es liegt viel unwiderlegbare Logik in diesen standesgemäßen Ehen. – Wenn Sie mich heirateten, was würde die Welt von mir sagen? Daß ich Sie von dem Augenblick an, wo Sie den Titel erbten, mit Beschlag belegt hätte und es Ihnen unmöglich gemacht, ein anderes junges Mädchen kennenzulernen. Es ist mir zwar ganz gleich, was die Welt von mir denkt, aber nicht, was sie von Ihnen sagt. Man würde Sie als einen schwachen Narren betrachten, der sich von einer raffinierten Schauspielerin einfangen ließ.«

Sie schüttelte den Kopf, aber vermied seinen Blick.

»Nein, Bubi, der Traum ist aus. Selbst wenn ich Sie noch mehr lieben würde, als ich es tue, – ich glaube zwar nicht, daß das möglich ist,« – ihre Stimme bebte eine Sekunde – »selbst dann könnte ich nie einwilligen.«

»Aber Sie haben mich zu dem gemacht, was ich bin«, erwiderte er bewegt.

»Wir wollen sagen, ich habe Sie (um einen Theaterausdruck zu gebrauchen) ›gemacht‹, und Sie müssen mich als Ihren Impresario vorstellen.«

Bubi bückte sich, hob seine Angelrute auf und nahm sie mit einer Ruhe, die Gwenda auf die Folter spannte, auseinander. Schließlich sagte er: »Schön, Gwenda!« Doch die ruhige Art, wie er das Abschlagen seiner Bewerbung annahm, kränkte sie.

Auf dem Nachhauseweg sprachen beide kein Wort. Als sie in Bubis neuen Salon traten, fanden sie Frau Phibbs in resignierter Haltung am Teetisch sitzend. Der Tag ging freudlos zu Ende. Bald nach dem Abendessen zog sich Gwenda in ihr Zimmer zurück, und Bubi sah sie an diesem Abend nicht wieder. –

Einmal, als er vor dem Hause auf und ab ging, glaubte er, sie an ihrem unerleuchteten Fenster zu bemerken; aber als er ihren Namen rief, erfolgte keine Antwort.

Für Gwenda war diese Nacht die traurigste ihres ganzen Lebens. Mit Überlegung hatte sie etwas von sich gewiesen, was ihr mehr als das Leben selbst bedeutete. Sie gab sich die größte Mühe, sich Bubi als einen unreifen Jüngling vorzustellen, aber es gelang ihr nicht. Bubi war kein Junge mehr, sondern ein starker, reiner Mann, ein Jahr älter als sie, und das Bewußtsein, daß sie ihn von sich gestoßen hatte, bereitete ihr einen fast unerträglichen Schmerz.

Am nächsten Tage sah Bubi die dunklen Schatten unter ihren Augen, und die Erkenntnis, daß sie litt, erhöhte seinen Kummer.

»Wir wollen mit diesen Papieren heute morgen anfangen, Gwenda«, sagte er, und sie nickte.

»Ich glaube, ich kann Ihnen nur heute dabei helfen, Bubi«, meinte sie. »Morgen muß ich nach London zurückkehren.«

»Morgen schon?« fragte Bubi entsetzt; dann senkte er die Blicke. »Gut!« sagte er.

Jetzt fing er an, zu verstehen, was dieser Verzicht für sie bedeutete. Er war egoistisch, sagte er sich, und dachte nur an seinen eigenen Verlust. Als sie in dem hübschen kleinen Bibliothekzimmer, das Gwenda mit so viel Sorgfalt ausgestattet hatte, allein waren, fragte er sie ohne Umschweife:

»Wenn Sie lieber heute reisen wollen, möchte ich Sie nicht zum Bleiben zwingen, liebe Gwenda.«

Es hatte ihn viel gekostet, ihr diesen Vorschlag zu machen, aber als er merkte, daß sie den Kopf senkte und leise vor sich hin weinte, konnte er sich kaum mehr beherrschen. –

»Danke, Bubi«, sagte sie.

»Nur eins möchte ich Sie fragen, Gwenda. Wenn ich diesen ekelhaften Titel nicht hätte und wir wieder in Brockley wären, und ich meinen Lebensunterhalt verdiente, würden Sie dasselbe sagen?«

Sie sagte nichts, doch schüttelte sie fast unmerklich den Kopf. Er würde es nicht gesehen haben, wenn er sie nicht so aufmerksam beobachtet hätte.

»Jetzt wollen wir diese gräßlichen Papiere vornehmen«, meinte er. »Der arme alte Onkel Josephus! Wieviel Kummer hat er uns bereitet!«

Die Kästen enthielten zum größten Teil Kopien von Briefen und Eingaben an die Regierung. Auch Aufzeichnungen in der winzigen Handschrift des Doktors über die Ahnen der Familie Pelborough waren darunter, die bis zu Philipp Beane von Tours zurückreichten.

»Ein Herr Flower möchte Sie sprechen!« meldete Frau Phibbs, die eben mit einer Visitenkarte in der Hand ins Zimmer getreten war.

»Herr Flower?« fragte Bubi erstaunt. »Ist das schon wieder einer von diesen Zeitungsberichterstattern?«

Als die Zeitungen die Nachricht von seinem Kauf des Hauses Kenberry brachten, wurde er von den Journalisten förmlich überlaufen.

»Nein, das ist er nicht, ich fragte ihn danach«, entgegnete Frau Phibbs.

Bubi sah sich die Karte an, wurde aber nicht klüger daraus, denn der bescheidene Herr John Jalgar Flower hatte weder seinen Beruf noch seine Adresse auf die Karte schreiben lassen.

»Gut, Frau Phibbs. Lassen Sie ihn hierhereinführen. Es ist Ihnen doch recht, Gwenda, nicht wahr?«

Sie nickte.

Ein sehr elegant gekleideter, intelligent aussehender Mann, aus dessen Blicken Verschmitztheit sprach, trat ein. Er verbeugte sich vor Gwenda und trat dann mit einem Lächeln, das seine sämtlichen Goldplomben zum Vorschein brachte, mit ausgestreckter Hand auf Bubi zu.

»Lord Pelborough?«

»Jawohl, der bin ich«, sagte Bubi. »Wollen Sie bitte Platz nehmen?«

»Ein entzückender Besitz!« rief Herr Flower begeistert. »Die schönste Landschaft, die ich jemals gesehen habe! Die Luft ist auch so würzig und die Dorfbewohner so ehrerbietig, fast könnte man denken, man ist in die Zeit der Lehensherrschaft zurückversetzt! Und die prachtvollen Ulmen, welche die Anfahrt einrahmen, mindestens fünfhundert Jahre alt müssen sie sein!«

»Das ist schon möglich«, meinte Bubi.

Ob der Herr ein Agent für Klavierspielapparate oder Anlagen für elektrische Beleuchtung ist, dachte Bubi. Sein letzter Besuch »reiste« für Lampen. Auch hatten bereits drei redselige Herren, die Buchhandlungen vertraten, ihn mit ihrem Besuch beehrt und hätten ihm eine ganze Bibliothek geliefert, wenn er gewollt hätte. –

Herr Flower sah die Dame, die er für Bubis Sekretärin hielt, mit nicht mißzuverstehenden Blicken an.

»Ich habe Ihnen eine sehr vertrauliche Mitteilung zu machen, Mylord«, sagte er.

Gwenda wollte aufstehen, aber Bubi winkte ihr, zu bleiben.

»Vorausgesetzt, daß es sich nicht um etwas handelt, das man in Gegenwart einer Dame nicht besprechen kann, sonst brauchen Sie sich nicht zu genieren«, bemerkte er.

»Es ist eine rein persönliche und für Sie äußerst wichtige Angelegenheit, Mylord«, entgegnete Herr Flower nachdrücklich.

»Es ist wohl besser, ich ziehe mich zurück«, meinte Gwenda leise.

Wieder schüttelte Bubi den Kopf. »Nun, erzählen Sie, Herr Flower«, erwiderte Bubi und lehnte sich mit geduldiger Miene in seinen Stuhl zurück.

Aber Jagg Flower hatte keine Lust, sich vor einem Dritten zu äußern und gab Bubi dieses deutlich zu verstehen. Zwar sagte er nicht direkt, daß er keine Zeugen haben wollte, doch ließ er durchblicken, daß es sich um etwas so Peinliches handelte, daß die Gegenwart einer Dame nicht angebracht wäre.

»Sagen Sie nur, was Sie zu sagen haben«, bemerkte Bubi kurz.

Gwenda spitzte die Ohren. Plötzlich wußte sie, fast instinktiv, daß die bevorstehende Mitteilung Bubis Wohlfahrt bedrohte.

»Ich glaube nicht, Herr Flower,« sagte sie, »daß mir Ihre Unterhaltung peinlich werden wird, sollte es der Fall sein, kann ich mich ja noch immer zurückziehen.«

Jagg Flower wußte nicht recht, was er von der Dame halten sollte; das Verhältnis zwischen den beiden konnte er auch nicht recht definieren, da der Marquis, wie er erfahren hatte, unverheiratet war. –

»Gut,« sagte er, nach kurzem Überlegen, »dann will ich nicht länger zögern.«

Nachdem er den Hut auf die Erde gelegt und die Handschuhe ausgezogen hatte, begann er: »Ich bin ein Glücksritter, das heißt ein Mensch, der seine Handlungen nicht immer ganz genau nach dem Gesetz richtet.«

»Um Gotteswillen!« rief Bubi erschrocken.

»Ich mache kein Geheimnis aus dieser Tatsache, Lord Pelborough,« fuhr er gelassen fort, »denn Sie werden gewiß, nachdem Sie meine Mitteilung angehört haben, Erkundigungen über meinen Charakter und meine Identität einziehen. Vor allem muß ich vorausschicken, daß ich vor acht Tagen erst aus dem Gefängnis in Toulouse, wo ich drei Jahre eingesperrt war, entlassen worden bin. In diesem besonderen Falle war ich das Opfer eines brutalen Meineids, denn zu der Stunde, wo man mich eines unerlaubten Eintritts in die Bank ›Crédit Foncier‹ zu Marseilles beschuldigte, war ich zufälligerweise damit beschäftigt, eine Versicherungsgesellschaft in Bordeaux zu berauben. Aber lassen wir das.

Vor zwölf Jahren, Lord Pelborough,« er beugte sich vor, und seine Stimme wurde ernst, »arbeitete ich in den östlichen Staaten von Amerika mit einem Mann zusammen, der in diesem Augenblick in einem Gefängnis der Vereinigten Staaten sitzt« – langsam und nachdrücklich sprach er die folgenden Worte –; »dieser Mann hieß Joseph, aber wie ich zufällig erfuhr, Josephus Beane, und war der Sohn von Doktor Josephus Beane von Pelborough.«

Bubi starrte seinen Besuch an. »Aber mein Onkel war Junggeselle.«

Der andere schüttelte den Kopf. »Lesen Sie das«, sagte er und warf einen Briefumschlag, den er aus der Tasche nahm, auf den Tisch.

Bubi entnahm diesem zwei längliche Schriftstücke. Das erste war der Trauschein von Josephus Beane, Student der Medizin, und Agnes Cartwright. Die Trauung hatte in Liverpool stattgefunden, und Bubi konnte sich dunkel erinnern, daß sein Onkel an der Universität in Liverpool studiert hatte. Das zweite war der Geburtsschein von »Josephus Pelborough Beane«.

»Mein Onkel hat mir nie etwas von seiner Heirat gesagt«, bemerkte Bubi ruhig.

Herr Flower lächelte. »Das glaube ich gern,« meinte er trocken, »denn die Dame starb sieben Jahre später in einer Anstalt für unheilbare Trinker. Das Kind, wie Joe mir oft erzählt hat, wurde von Bekannten seiner Mutter erzogen. Es war eine jener Ehen, in die junge Männer unüberlegt hineingehen. Der Haß gegen seinen Vater wurde Joe von Kindheit an eingeimpft, und wie ich Grund habe, zu glauben, wurden diese Gefühle von seinem Vater reichlich erwidert. Joe war auch ein Glücksritter, aber« – er lächelte – »in kleinem Stil, anders als ich. In England war er dreimal im Gefängnis und wäre sein ganzes Leben darin geblieben, wenn er nicht nach Amerika, wo ich ihm begegnete, ausgerückt wäre.«

»Und wo ist er jetzt?« fragte das junge Mädchen. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen.

»In Sing-Sing«, war die Antwort. –

Bubi blieb lange in Gedanken versunken, und als er endlich sprach, legte Herr Flower sein Lächeln vollkommen falsch aus.

»Ihr Freund ist also in Wirklichkeit der Marquis«, sagte Bubi.

»Ganz recht, und Sie sind Herr Beane«, erwiderte Flower verbindlich.

Bis jetzt blieb die erwartete Wirkung seiner überraschenden Nachricht aus.

»Und nun«, fuhr er fort, »muß ich Sie wirklich einen Augenblick allein sprechen.«

Bubi nickte, und als Gwenda sich erhob, um das Zimmer zu verlassen, stand Herr Flower auf und öffnete ihr die Tür. Als er sie wieder geschlossen hatte, sagte er: »Ich bin ein Geschäftsmann, Lord Pelborough, – ich will Sie noch mit diesem Titel anreden – und Sie verstehen auch etwas von Geschäften. Kein Mensch außer Ihnen und meinem armen Freund Josephus Beane kennt Ihr Geheimnis.«

»Mein Geheimnis?« fragte Bubi und sah auf.

»Na, dann wollen wir es mein Geheimnis nennen«, sagte Flower gutmütig. »Aber jetzt wollen wir das Geschäftliche erledigen. Wieviel ist Ihnen diese Sache wert?«

»Wie? Ich verstehe Sie nicht«, erwiderte Bubi.

»Nun, wir wollen sagen, daß ich ins Ausland gehe, – Australien, zum Beispiel. Das Wanderleben habe ich nun satt und möchte mich an irgendeinem schönen Ort niederlassen. Würden Ihnen zehntausend Pfund zu hoch erscheinen?«

»Ich fürchte, ich verstehe Sie noch immer nicht«, sagte Bubi. »Meinen Sie, ich soll Ihnen zehntausend Pfund geben?«

»Ganz recht«, erwiderte Herr Flower lächelnd.

»Und wofür?« fragte Bubi.

Jagg Flower war starr vor Erstaunen. »Ich war der Meinung, ich hätte Eurer Lordschaft deutlich genug zu verstehen gegeben, daß ich in der Lage bin, einen neuen Marquis von Pelborough zutage zu fördern.«

»Bitte,« sagte Bubi mit strahlendem Lächeln, »ich wüßte nicht, was mir lieber wäre.«

Er stand auf und ging langsam um den Schreibtisch auf seinen Besucher zu.

»Fördern Sie nur Ihren Marquis von Pelborough zutage, Herr Flower,« fuhr er fort, »wenn Sie das fertigbringen, gebe ich Ihnen die zehntausend Pfund.«

Herr Flower fiel in seinen Stuhl zurück. »Sie wollen also den Titel los sein?!«

»Jawohl, das will ich«, erwiderte Bubi.

»Das schöne Haus und die prachtvollen Ländereien aufgeben?!«

Bubi lächelte. »Diese gehören ja Bubi Beane, mein Freund,« entgegnete er fast jovial, »nein, nur den Titel will ich aufgeben und bin Ihnen also für Ihren Besuch sehr dankbar. Sing-Sing hieß der Ort, nicht wahr?«

Jagg war sprachlos.

»Wie Sie kamen, war ich zuerst etwas ärgerlich, weil ich dachte, daß Sie Klaviere verkaufen wollten. Hoffentlich sind Sie mir nicht böse!«

Herr Flower schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Leider kann ich Sie nicht bitten, zum Mittagessen zu bleiben,« fuhr Bubi fort, »aber« – er zögerte – »entschuldigen Sie bitte meine Offenheit, doch ich kann eigentlich einer Dame nicht zumuten, mit einem Herrn, der soeben aus dem Gefängnis gekommen ist, zu speisen, nicht wahr? Aber wir haben ein sehr gutes Wirtshaus im Dorf, wo Sie essen können, und ein Telegraphenamt gibt es hier auch.«

Er sah den verblüfften Herrn Flower nachdenklich an.

»Ich weiß nicht recht, ob man es den Leuten in dem Gefängnis in Sing-Sing gestattet, Telegramme zu erhalten; dazu kenne ich die amerikanischen Strafanstalten zu wenig; aber Sie werden es bestimmt wissen, nicht wahr? Was meinen Sie, könnte ich Ihrem Freund telegraphieren, daß er herkommen kann, sobald es ihm paßt, und den Titel fordern?«

Endlich hatte Herr Flower die Sprache wieder.

»Er weiß nichts davon«, sagte er tonlos. »Aber Sie werden doch nicht einen so alten Adelstitel, wie der von dem ... hm ... von dem Marquisat von Pelborough einem solchen Menschen wie dem Joe übergeben. Denken Sie an Ihre Ahnen, Lord Pelborough, und was Sie ihnen schuldig sind.«

»Ach, was gehen mich meine Ahnen an!« rief Bubi. »Und wenn ich ihnen etwas schuldig bin, ist er es auch. Wollen Sie bitte in meinem Namen an ihn telegraphieren und mir morgen früh Bescheid bringen?«

Herr Jagg Flower hatte sich schon oft in seinem Leben in eigenartigen entnervenden Situationen befunden, aber dieses Erlebnis war doch der Gipfel! Wie im Traum ging er die schöne, mit uralten Ulmen bepflanzte Allee, die er so bewundert hatte, hinunter.

Bubi stürzte in den Salon, wo Gwenda am Fenster stand und dem Besuch nachsah. Ehe sie wußte, was ihr geschah, lag sie in seinen Armen.

»Ist es nicht wie ein Wunder, Gwenda?! Es ist ein Wunder! Ist es nicht herrlich?!«

»Aber Bubi,« rief sie entsetzt, »Sie werden doch nicht so ohne weiteres diesem Zuchthäusler glauben! Das dürfen Sie nicht!«

Sie schob ihn von sich.

»Aber natürlich werde ich das tun!« rief Bubi, der noch vor Glück lachte. »Es ist ja auch alles bewiesen. Wir haben es schwarz auf weiß gesehen. Die Kopien von dem Trauschein und der Geburtsurkunde hat er mir gezeigt, ich weiß von meiner Tätigkeit bei Herrn Leither noch gut Bescheid damit.«

»Aber Sie werden doch nicht zulassen, daß ein solcher Liederjahn, der im Gefängnis gesessen hat, den alten Adelstitel bekommt?«

»Mir ist es ganz gleich, welcher Liederjahn ihn bekommt«, rief Bubi und ergriff ihre Hände. »Verstehen Sie nicht, Gwenda, daß nun das unüberwindliche Hindernis, von dem Sie gestern sprachen, aus dem Wege geräumt ist?«

Ihre Hände zitterten, und er drückte seine Lippen darauf. –

Aber Gwenda entzog sie ihm bald wieder. »Bubi! Sie müssen um Ihren Titel kämpfen«, sagte sie. »Ich bin überzeugt, daß irgend etwas nicht stimmt. Hat er Geld von Ihnen gefordert?« fragte sie plötzlich.

Er nickte. »Ja, er sagte, er würde reinen Mund halten, wenn ich ihm zehntausend Pfund geben würde. Der arme Kerl, er versteht es nicht besser.«

»Vielleicht doch, Bubi«, sagte sie schnell. »Vielleicht verstand er, daß mir viel daran liegt, Marquise von Pelborough zu werden!«

Bubi war für den Augenblick sprachlos. »Aber Gwenda! das ist nicht Ihr Ernst!« rief er verwundert.

Sie nickte. »Gewiß, Bubi. Sie müssen einfach um Ihr Recht auf diesen Titel kämpfen, aber so kämpfen, wie Sie im Ring kämpfen können; denn wenn Sie es nicht tun, will ich es!«

Er sah ihr fest in die Augen. »Sie lügen, Gwenda«, sagte er ruhig. »Sie sagen das alles nur, um mich anzuspornen; aber ich denke nicht daran, mich anspornen zu lassen. Ich habe eine zu hohe Meinung von Ihnen, um zu glauben, daß Ihnen etwas an einem Titel liegt. Ich habe Sie viel zu lieb, um das von Ihnen glauben zu können.«

Sie war ganz blaß geworden. In den Augen, die die seinen mieden, schimmerten Tränen. Plötzlich wandte sie sich um und ging schnell aus dem Zimmer. Zuerst dachte er, daß sie in ihre Stube hinaufgegangen wäre, aber es war nicht der Fall. Er fand sie in dem Bibliothekzimmer, an dem Platze sitzend, wo sie gesessen hatten, als Herr Flower ihre Arbeit unterbrochen hatte.

»Wenn es irgendwelche Akten gibt, die von der Heirat des Doktors zeugen,« sagte sie, »müssen sie hier sein!«

»Glauben Sie, daß der Mann uns belogen hat?« fragte Bubi.

Sie schüttelte den Kopf. »Er erwartete, daß man Nachforschungen anstellen würde, das betonte er ja gleich,« meinte sie, »und die Dokumente wird er kaum gefälscht haben. Ich bezweifle also nicht, daß er die Wahrheit gesagt hat. Der Doktor wird sich verheiratet und einen Sohn gehabt haben.«

Als sie nach den Originalschriftstücken suchten, fanden sie natürlich als erstes die fehlenden Pachtbriefe. Erst gegen Mitternacht entdeckte Gwenda ein kleines verschlossenes Hauptbuch, auf welchem geschrieben stand: »Rechnungen aus meiner Praxis im Jahre 1884«. Sie versuchte vergeblich, das Schloß aufzumachen.

»Da wird nichts darin sein, Gwenda«, sagte Bubi.

»Man kann nie wissen«, erwiderte das junge Mädchen.

Als sie versuchte, den Daumennagel zwischen die Blätter zu schieben, fand sie, daß die Seiten zusammengeklebt waren. Diese Entdeckung schien ihr verdächtig.

Schnell wurde in dem Handwerkszeugkasten nach einem passenden Instrument gesucht, und schließlich gelang es ihnen, mit einer Zange das Schloß zu entfernen.

Gwenda stieß einen Ruf der Verwunderung aus. Scheinbar diente das Buch ursprünglich als Kontobuch, aber später hatte der Doktor sorgfältig das Mittelstück der Seiten herausgeschnitten, die Ränder dann zusammengeklebt, damit man es für ein gewöhnliches Buch hielt, und in der Mitte war eine Vertiefung, in der ein blauer Briefumschlag, der keinerlei Aufschrift trug, lag.

Dieser enthielt zwei längliche Streifen Pergamentpapier; nachdem sie einen hastigen Blick darauf geworfen hatte, ließ sie sie auf den Schoß fallen. –

»Ach, Bubi!« rief sie.

»Was ist?« fragte Bubi schnell.

»Er hat die Wahrheit gesagt! Hier sind die Originalscheine«, jammerte sie.

»Bravo!« rief Bubi.

»Nicht doch, Bubi!« sagte sie ungeduldig. »Ich könnte darüber weinen!«

Es waren noch drei andere Schriftstücke in dem Briefumschlag. Das erste war ein Brief in der Handschrift des Doktors, augenscheinlich eine Kopie von einem Schreiben an seinen Sohn.

Der Inhalt war sehr unerquicklich, denn der alte Mann hatte kein Blatt vor den Mund genommen. Das zweite war ein langes Verzeichnis von »Zahlungen an J. Beane«, die auch in des Doktors Handschrift notiert waren. Die Höhe der Gesamtsumme gab Aufschluß darüber, warum Doktor Beane als armer Mann gestorben war. An dieses Verzeichnis war mit einer Stecknadel ein Zeitungsausschnitt gesteckt. Gwenda merkte es erst, als sie das Blatt Papier hingelegt hatte. Sie nahm die schon ganz verrostete Stecknadel heraus und las den Abschnitt. Bubi fiel es auf, daß sie beim Lesen die Farbe wechselte.

»Was ist denn, Gwenda?«

Sie antwortete nicht, sondern legte den Zeitungsausschnitt zusammen, nahm einen Umschlag aus dem Briefpapierständer und steckte den Abschnitt hinein.

»Wann wollte Herr Flower wieder herkommen?« fragte sie ruhig.

»Morgen früh«, erwiderte Bubi. »Was stand in dem Zeitungsausschnitt, Gwenda?«

»Morgen werde ich es Ihnen sagen«, sagte sie.

Bis zum nächsten Morgen hatte sich Herr Jagg Flower vollständig von seinem Schreck erholt. Er besaß eine ganze Menge Menschenkenntnis und war sich schon klar, daß, wenn er etwas erreichen wollte, er sich an das junge Mädchen wenden mußte. Die Erkundigungen, die er über das Verhältnis zwischen den beiden eingezogen hatte, waren fast ergebnislos ausgefallen; aber er war überzeugt, daß er sich an die Dame zu halten hatte, wenn er auf das Gelingen seines Planes rechnen wollte. Darum, als er am nächsten Morgen Gwenda und Bubi in der Bibliothek traf, machte er diesmal keine Andeutungen, daß seine Mitteilungen nur für Bubis Ohren geeignet waren.

»Ich habe über Ihren Vorschlag nachgedacht, Herr Flower«, sagte Bubi.

»Sehr erfreulich, Mylord«, erwiderte Herr Flower aufatmend. »Ich wiederhole, daß ich gegen das Einziehen genauer Erkundigungen über meine Person nicht das geringste habe. Ich bin bereit, Ihnen den Namen des Geistlichen, der die Trauung vollzog, sowie das Haus, wo das Kind geboren wurde, anzugeben ...«

»Und das steht alles auf dem Trauschein und der Geburtsurkunde, nicht wahr?« sagte Bubi.

»Hm, ja, ja, ganz recht«, antwortete Jagg, den diese Frage etwas aus der Fassung brachte. »Seine Lordschaft hat Ihnen meinen Vorschlag mitgeteilt, nehme ich an, Fräulein Maynard?«

Gwenda nickte. »Auch seinen Vorschlag hat er mir mitgeteilt, daß Sie Josephus Beane zur Stelle schaffen sollen, und ich stimme ganz mit ihm überein, daß zehntausend Pfund keine zu hohe Summe für die Vollbringung eines solchen Wunders wäre.«

»Wie meinen Sie das?«

»Sehen Sie, Herr Flower,« erwiderte Gwenda liebenswürdig, »als der arme Herr Josephus Beane zu Vermont in Virginia wegen der Ermordung eines Bankdirektors hingerichtet wurde, machte er Ihnen einen ziemlichen Strich durch die Rechnung. Ich habe den Zeitungsausschnitt darüber hier. Es stand, glaube ich, in dem ›Vermonter Observer‹, der einen sehr ausführlichen Bericht über die Gerichtsverhandlung brachte. Der Bankier wurde in seinem eigenen Hause erschossen, als er zwei Einbrecher dabei überraschte, ihn auszuplündern. Der eine, der gefangengenommen wurde, war Herr Beane, und der andere, der entkam, wird noch steckbrieflich gesucht.«

»Guten Morgen«, sagte Herr Flower, dem nichts anderes übrigblieb, als sich mit den Tatsachen abzufinden. »Mir scheint, ich verliere nur meine Zeit hier. Ich empfehle mich Eurer Lordschaft.« Er nickte dem verblüfften Bubi liebenswürdig zu. »Ein prachtvolles Haus, und eine herrliche Gegend. Was würde ich nicht geben, um Ihre wunderbaren alten Ulmen zu besitzen!«

An der Tür blieb er einen Augenblick stehen. »Es hat wohl keinen Zweck, Sie zu bitten, mir die Unkosten dieser Reise zurückzuerstatten?« Bubi konnte ihn nur sprachlos anstarren.

Zwei Stunden später, nachdem Herr Flower so unauffällig wie möglich das Dorf Kenberry verlassen hatte, und Bubi noch beim Mittagessen saß, verlangte ein untersetzter amerikanischer Herr eine sofortige Audienz.

»Es tut mir außerordentlich leid, Sie belästigen zu müssen,« sagte der Fremde und wischte sich den Schweiß von der Stirn, »aber es ist mir gesagt worden, daß ein Herr bei Ihnen wohnt, oder daß man ihn heute morgen aus Ihrem Hause hat kommen sehen, der – – na, sein Name ist nebensächlich – – – er ist ein Amerikaner.«

»Ja, das stimmt,« sagte Bubi, »Sie meinen sicher Herrn Flower.«

»Ach, seinen richtigen Namen hat er angegeben, so?« sagte der andere lächelnd. »Kann ich ihn vielleicht sprechen?«

»Er ist schon ziemlich lange wieder fort«, entgegnete Bubi.

»Wissen Sie, wo er hingegangen ist?«

»Nein, ich habe keine Ahnung. Er wohnte hier im ›Roten Löwen‹, glaube ich.«

»Ja, aber jetzt ist er nicht mehr da«, bemerkte der Detektiv. »Er packte seine Siebensachen und erzählte den Leuten dort, daß er bei Ihnen wohnen würde. Das ist das zweitemal, daß er mir entwischt ist, zum drittenmal soll er mir nicht entkommen!«

»Ist er ein Freund von Ihnen?« fragte Bubi.

Gwenda war inzwischen aus dem Eßzimmer hereingekommen und hörte interessiert zu.

»Freund«, rief der Fremde lachend. »Nein. Mein Name ist Sullivan. Ich bin von der Vermonter Polizei hierhergeschickt worden und habe einen Auslieferungsbefehl in der Tasche gegen Flower. Als ich im Gefängnis von Toulouse ankam, war er gerade seit einer Stunde fort. Man sucht ihn steckbrieflich wegen eines vor zwölf Jahren begangenen Mordes – er ist einer der Mörder von Herrn Stizelhouser. Den einen kriegten wir, aber der andere entkam uns. Seit zwölf Jahren suchen wir ihn, na, früher oder später werden wir ihn schon einfangen. Er ist doch kein Freund von Ihnen, Mylord?«

Bubi schüttelte den Kopf.

»Von mir nicht, aber von meinem Vetter«, sagte er.


 << zurück weiter >>