Edgar Wallace
Der Frosch mit der Maske
Edgar Wallace

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16

Lola gewann als erste ihre Fassung wieder. »Es war nicht nett von Ihnen, uns so zu erschrecken, ich fürchte mich sehr vor den Fröschen, seit man so viel über sie in den Zeitungen liest.«

»Das Zeichen ist meine neueste Errungenschaft«, sagte Dick mit spöttischem Ernst. »Ein Frosch des dreißigsten Grades hat es mich gelehrt. Und er sagte mir, es ist dies das Signal, das der Meister, der große, alte Ochsenfrosch gibt, wenn er seine Untergebenen aufzusuchen beliebt.«

»Ihr dreiunddreißigjähriger Frosch lügt wahrscheinlich«, sagte Lola, in deren Wangen der Zorn neue Farbe jagte. »Überhaupt hat Mills . . .«

»Ich habe Mills gar nicht erwähnt«, sagte Dick.

»Aber seine Verhaftung stand doch in allen Blättern.«

»Sie erschien in keinem einzigen Blatt!« sagte Dick. »Falls sie nicht in ›Die Neue Froschzeitung‹ eingeschaltet wurde. Vermutlich unter Personalnachrichten.«

Ray trat einen Schritt vor. »Was führt Sie her, Gordon?«

»Ich möchte privat mit Ihnen sprechen«, sagte Dick.

»Es gibt nichts, was Sie mir nicht vor meinen Freunden sagen könnten«, antwortete Ray, der unmutig zu werden begann.

»Die einzige, für die dieser Titel Geltung hat, ist Ihre Schwester«, antwortete Gordon.

»Gehen wir, Lew«,, sagte Lola achselzuckend. Aber Ray hielt sie zurück.

»Einen Augenblick! Ist das meine Wohnung oder nicht?« fragte er wütend. »Sie kommen ganz einfach her, beleidigen meine Freunde und werfen sie faktisch zur Tür hinaus. Ich bewundere Ihre Kühnheit. Dort ist die Tür!«

»Wenn Sie es so aufnehmen, so muß ich gehen!« sagte Dick. »Aber, ich kam hierher, um Sie zu warnen.«

»Pah, ich pfeife auf Ihre Warnungen!«

»Ich kam, um Ihnen zu sagen, daß der Frosch beschlossen hat, Sie Ihr Geld in Zukunft auch verdienen zu lassen. Das ist alles.«

Totenstille folgte, die endlich Ellas schwankende Stimme unterbrach.

»Der Frosch?« wiederholte sie mit aufgerissenen Augen. »Aber, Herr Gordon, Ray gehört doch nicht zu den Fröschen?«

»Es wird ihm vielleicht noch neu sein, aber es ist trotzdem wahr. Ihre beiden Gäste, Ray, sind treue Diener des Reptils, Lola wird von ihm ausgehalten, genauso wie ihr Gatte . . .«

»Lügner!« schrie Ray. »Lola ist nicht verheiratet. Sie sind ein elender Lügner. Hinaus, bevor ich Sie selbst hinauswerfe!«

Ellas stummes Flehen bewog Dick, wortlos zur Tür zu gehen. An der Schwelle wendete er sich um, und sein kalter Blick heftete sich auf Lew Brady.

»Im Froschbuch steht ein großes Fragezeichen bei Ihrem Namen, Brady! Seien Sie auf der Hut!«

Brady fuhr unter dem Schlag zusammen; denn es war ein Schlag. Hätte er es gewagt, so wäre er Gordon auf den Korridor nachgefolgt, um weitere Informationen zu erbetteln. Aber dazu fehlte ihm der Mut, und er stand in seiner ganzen Riesengröße da und sah hilflos und traurig auf die Tür, die der Besucher hinter sich geschlossen hatte.

»Um Gottes willen, lassen wir frische Luft herein!« rief Ray und riß das Fenster auf. »Dieser Kerl ist ja die reine Pest! Verheiratet! Und das will er mich glauben machen? . . . Du gehst schon, Ella?«

Seine Schwester nickte.

»Sage dem Vater, ich würde ihm schreiben. Sprich für mich und beweise ihm, daß auch er oft Unrecht an mir begangen hat!«

Sie hielt ihm die Hand entgegen. »Lebe wohl, Ray«, sagte sie. »Vielleicht wirst du eines Tages zu uns zurückkehren.« Die Bewegung überwältigte sie, und Tränen liefen über ihre Wangen. Sie drängte sich an ihn und flüsterte: »O, Ray, Ray, ist das denn wahr? Gehörst du zu den Fröschen?«

»Aber Ella, es ist ungefähr so viel Wahres daran, wie an der Geschichte von Fräulein Bassanos Verheiratung. – Sensationen! Gordon will immer nur Sensationen hervorrufen!«

Ella nickte Lola zum Abschied zu, ohne ihr die Hand zu reichen.

Lew Brady sah ihr mit hungrigen Augen nach, als Ray sie zum Lift begleitete.

»Was hat er gemeint, Lola?« fragte Brady, als die beiden zurückblieben. »Gordon weiß etwas! Hast du gehört? Es steht ein Fragezeichen bei meinem Namen! Das ist böse. Lola, ich habe genug von diesen Fröschen. Sie gehen mir auf die Nerven!«

»Du bist ein Narr«, sagte sie ruhig. »Gordon hat genau das erreicht, was er wollte, er hat dir Angst gemacht.«

»Angst?« antwortete Lew. »Du hast keine Angst, weil du keine Phantasie hast. Ich bin in Unruhe, weil ich einzusehen beginne, daß die Frösche zehnmal größer sind, als mir je geträumt hat! Sie haben neulich erst den Schotten Maclean getötet, sie werden sich's nicht zweimal überlegen, bevor sie mir den Garaus machen. Ich kenne die Frösche, Lola. Sie sind imstande, jedes Verbrechen zu begehen, vom Mord angefangen! Der Frosch ist ihr Gott, ihr Idol. – Ein Fragezeichen bei meinem Namen? Ich könnte es beinahe glauben! Ich habe etwas über sie ausgeplaudert, und das werden sie mir nicht verzeihen.«

»Pst!« warnte sie. Schritte wurden hörbar, und Ray kam zurück.

»Gott sei Dank, sie ist fort! Ach, was ist das heute für ein Morgen. Ich sehe schon überall grüne Frösche, wie ein Säufer im Delirium tremens weiße Mäuse sieht.«

Lola öffnete ihr goldenes Zigarettenetui, entzündete eine Zigarette und löschte das Zündhölzchen mit einem Knipsen des Fingers aus. Dann wendete sie über die Schulter hin ihr schönes, weißes Gesicht Ray zu. »Was hast du gegen die Frösche?« fragte sie kühl. »Sie zahlen gut und verlangen wenig.«

Ray starrte sie an.

»Wie meinst du das?« fragte er verblüfft. »Es sind doch niedrige Vagabunden, die die Leute umbringen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nicht alle«, verbesserte sie. »Das ist nur die Masse. Die großen Frösche sind schon anderer Art. Ich bin einer und Lew ist einer.«

»Was, zum Teufel, plapperst du da?« fragte Lew halb in Angst und halb in Zorn.

»Er soll es nur wissen. Früher oder später muß er es wissen«, sagte Lola unbewegt. »Er ist ein viel zu gescheiter Junge, um für ewige Zeiten an die japanische Gesandtschaft zu glauben. Warum soll er nicht wissen, daß er ein Frosch ist?«

Ray taumelte zurück. »Ein Frosch?« wiederholte er mechanisch.

Lola trat hinter seinen Stuhl.

»Ich kann nicht begreifen, warum es schlimmer sein soll, ein Frosch zu sein, als der Agent einer fremden Regierung, der du die Geheimnisse deines Vaterlandes verkaufst«, sagte sie. »Man hat dich aus Tausenden auserwählt, weil man die richtige Intelligenz bei dir gefunden hat. Du solltest darüber geschmeichelt und nicht entrüstet sein.« Sie streckte ihm ihre schmalen Hände entgegen, die seine Seele wie Wachs zu formen wußten, und er küßte sie.

»Etwas wirklich Schlechtes wird man doch von mir nicht verlangen?« fragte er zögernd. »Ich bin auch absolut nicht dazu angetan, Leute mit dem Knüppel zu erschlagen, aber du hast vielleicht recht – man kann den Frosch nicht für alles verantwortlich machen, was seine Leute anstellen. Nur in einer Sache bleibe ich fest, Lola. Ich lasse mich unter keinen Umständen tätowieren!«

»Du dummer Junge!« sagte sie und streckte ihren weißen Arm aus. »Bin ich denn tätowiert?« fragte sie. »Oder Lew? Die Großen werden nicht gezeichnet! Du weißt nicht, was für eine große Zukunft du hast, Lieber.«

Ray nahm ihre Hand und streichelte sie. »Lola – und diese Geschichte, die Gordon erzählt hat – daß du verheiratet bist, ist das wahr?«

Sie strich über sein Haar.

»Gordon ist eifersüchtig«, sagte sie. »Nein, frage nicht, ich kann dir jetzt nicht alles erzählen. Aber hat er nicht seine guten Gründe?«

Ihre Augen strahlten ihn an, aber als er die Arme nach ihr ausstreckte, entwand sie sich ihm.

»Hör zu. Ich werde jetzt um einen Tisch telefonieren, und du kommst mit uns zum Lunch. Und wir werden auf das Wohl des großen, kleinen Frosches trinken, der uns alle ernährt.«

Aber als Lola den Hörer abhob, sah sie ein kleines schwarzes Metallkästchen, das an der Basis des Telefons befestigt war.

»Ist das eine neue Erfindung?« fragte sie.

»Man hat es gestern angebracht«, erwiderte Ray. »Der Monteur erzählte mir, daß jemand, der während eines Gewitters telefonierte, einen schrecklichen Schlag bekommen hat, und so machen sie jetzt das Experiment mit diesen Apparaten, die sie überall anbringen. Es macht das Telefon schwerer und ist auch häßlich, aber . . .«

Lola legte den Hörer nieder und beugte sich über den Apparat.

»Es ist ein Diktaphon«, sagte sie. »Und die ganze Zeit, während wir gesprochen haben, hat man unser Gespräch belauschen können.«

Sie ging zum Kamin, holte den Schürhaken und ließ ihn mit einem Krach auf den kleinen Kasten fallen.

Inspektor Elk, der, die Hörer auf dem Kopf, in seinem kleinen Büro auf dem Themse-Embankment saß, legte den Bleistift mit einem Seufzer nieder. Dann nahm er seinen Hörer von der Gabel auf und rief die Polizeizentrale an.

»Sie können das Diktaphon bei Nummer 93718 abschrauben«, sagte er.

Er sammelte seine Stenogrammnotizen, ging an sein Pult und legte sie gleich neben seinem Ablöscher zurecht. Zum Fenster schlendernd, blickte er auf den sonneblitzenden Fluß hinab, und Friede und Freude wohnten in seinem Herzen.

In derselben Nacht hatte sich der Gefangene Mills, nachdem ihm Straflosigkeit und freie Fahrt nach Kanada zugesichert worden waren, entschlossen, ein volles Geständnis in Aussicht zu stellen. Und Mills wußte viel, weit mehr, als er bis jetzt gestanden hatte.

»Ich kann Ihnen eine Spur angeben, die Ihnen Nummer Sieben in die Hände liefern wird«, hatte auf einem Zettel gestanden. »Nummer Sieben!« Elk holte tief Atem. Nummer Sieben war der Angelpunkt, um den sich das Rad drehte. Elk rieb sich die Hände, denn nun schien es, daß das Geheimnis des Frosches doch gelöst werden sollte. Vielleicht würde die Spur, auch zu dem fehlenden Vertrag hinführen.

Bei dem Gedanken an das fehlende Dokument seufzte Elk. Zwei Minister, ein großes Staatsdepartement und unzählige Untersekretäre füllten ihre Bürozeit mit wilden Erkundigungsschreiben an die Polizeidirektion aus, die alle Lord Farmleys Verlust zum Inhalt hatten.

»Sie fordern Wunder!« sagte Elk. »Und ich glaube nicht, daß heutzutage noch Wunder geschehen.«

Er ging zum Kleiderständer, um sich zum Trost die Zigarrentasche aus seinem Rock zu holen, und seine Hand berührte dabei eine dicke Papierrolle. Er zog sie heraus und warf sie auf sein Pult. Sie entfaltete sich, und sein Blick fiel auf die ersten Worte des ersten Blattes: »Im Namen von des Königs allerhöchster Majestät . . .«

Elk wollte aufschreien, aber die Stimme versagte ihm. Er riß die Papiere vom Pult und wendete mit zitternden Händen die Blätter um. Es war der verlorene Vertrag.

Elk hielt das kostbare Dokument in Händen und ließ die Ereignisse der heutigen Nacht an sich vorüberziehen. Wann hatte er nur den Überrock abgelegt? Wann hatte er nur zuletzt die Hand in die Tasche gesteckt? Er hatte den Rock in die Garderobe des Herons-Klubs gegeben und konnte sich nicht entsinnen, seither in die Tasche gegriffen zu haben. Also war es doch wohl im Klub geschehen! Vielleicht war einer der Kellner der Frosch gewesen.

Elk setzte sich nieder, um nachzudenken. »Du lieber Gott!« sagte er.

Er läutete, und Balder kam herein.

»Balder, Sie können sich erinnern, daß ich durch Ihr Zimmer gegangen bin. Trug ich da den Rock über dem Arm?«

»Ich habe gar nicht darauf geachtet«, sagte Balder mit Befriedigung.

Balder machte stets auf Elk den Eindruck, als ob es ihm herzliche Zufriedenheit bereite, wenn er nichts gesehen hatte, wenn er nichts wußte, wenn er nicht fähig war, zu helfen.

»Sehr merkwürdig«, sagte Elk.

»Etwas nicht in Ordnung, Herr Inspektor?«

»Nein, nein. – Haben Sie sich gemerkt, was mit Mills zu geschehen hat? Er darf mit niemandem sprechen. Im Augenblick seiner Ankunft soll er in das Wartezimmer geführt werden und ganz allein bleiben. Es ist nicht erlaubt, mit ihm zu reden, oder, falls er selbst sprechen sollte, zu antworten.«

Elk prüfte seinen Fund nochmals. Es fehlte nichts, auch die Anmerkungen des Ministers waren vorhanden. Elk rief Seine Lordschaft an und erstattete seinen erfreulichen Bericht. Zehn Minuten später kam eine kleine Abteilung vom Auswärtigen Amt, um das kostbare Dokument abzuholen und Elk im Namen des Ministeriums den Dank für seine wertvollen Dienste auszudrücken.

Hätte Elk die Papiere nicht wieder zu finden gewußt, so hätte man ihn von ganzem Herzen verflucht, und er wäre ebenso unschuldig daran gewesen. Es blieb noch eine Stunde bis zur Ankunft Mills', und Elk verbrachte diese mit Hagn, der nun eine besondere Zelle, entfernt von den gewöhnlichen Haftplätzen, in der Cannon-Row-Station einnahm.

Hagn weigerte sich, irgendwelche Geständnisse zu machen.

»Sie haben keine Beweise, Elk«, sagte er. »Und Sie wissen, daß ich unschuldig bin.«

»Sie waren der letzte, den man in Genters Gesellschaft gesehen hat«, sagte Elk fest. »Im übrigen hat auch Mills alles verraten. Ich will es Ihnen gestehen, wir haben seit heute morgen Nummer Sieben unter Schloß und Riegel.«

Zu seinem Erstaunen brach Hagn in helles Gelächter aus.

»Bluff!« sagte er. »Und ein billiger Bluff. Damit können Sie kleine Diebe täuschen, aber mir machen Sie nichts weis. Wenn Sie ›Sieben‹ gefangen hätten, würden Sie nicht so fröhlich zu mir sprechen. Gehen Sie doch und finden Sie ihn, Elk. Und wenn Sie ihn gefunden haben, dann halten Sie ihn nur ja fest. Lassen Sie ihn nicht entkommen, so wie Mills Ihnen entkommen wird.«

Elk kehrte von dieser Unterredung mit dem Gefühl zurück, daß vielleicht doch nicht alles ganz nach seinem Wunsch gegangen war.

Aber als er das Gebäude verließ, winkte er dem Oberinspektor.

»Ich werde Hagn heute nachmittag einen Lockvogel schicken. Stecken Sie die beiden zusammen und lassen Sie sie allein.«

Der Oberinspektor nickte verständnisinnig.


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