Edgar Wallace
Klub der Vier
Edgar Wallace

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5

Lord Heppleworth sah über die Brille zu seiner jungen Frau hinüber, die an der anderen Seite des Tisches saß. Sie hatte so weit ab wie nur irgend möglich von ihm Platz genommen.

»Liebling«, sagte ihr Gatte, »der junge Mann von der Versicherungsgesellschaft wird pünktlich um zehn Uhr hier sein.«

Lady Gladys Heppleworth gähnte.

»Wozu kommt er?« fragte sie gleichgültig.

»Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du dich etwas besser ausdrücken sollst. Das klingt nicht gut: ›Wozu kommt er?‹ Du hättest vielleicht besser gefragt: ›Aus welchem Grund kommt er?‹«

Sie sah müde aus dem Fenster und unterdrückte einen Seufzer.

»Er kommt natürlich wegen des Verlustes der großen Perle. Das ist eine etwas mysteriöse und – ich muß schon sagen – unangenehme Angelegenheit. Ich weiß tatsächlich nicht, was ich davon denken soll.«

Der Lord war ungefähr fünfzig Jahre alt, etwas hager und hatte blonde Haare. Er besaß wenig Humor und noch weniger Phantasie. Seine Freunde waren über seine Eheschließung beunruhigt. Gladys de Vere war Schauspielerin gewesen; sie hatte in modernen Revuen kleine Rollen gespielt, und niemand hatte an die Möglichkeit gedacht, daß Lord Heppleworth, ein Witwer, sie heiraten würde. Die Verbindung erregte in der Gesellschaft unangenehmes Aufsehen. Man wußte nicht, was man dazu sagen sollte, und wartete auf eine Erklärung des Lords. Daß er sich in die Schauspielerin verliebt hatte, erschien kaum glaublich, denn man hatte ihn für so verknöchert und pedantisch gehalten, daß man ihm dergleichen überhaupt nicht zutraute.

Lord Heppleworth fühlte sich recht glücklich und bereute seine Eheschließung nicht. Gladys jedoch seufzte unter den Fesseln. Als sie sich verlobte, hatte sie geglaubt, daß nun das große Glück für sie gekommen wäre. Sie träumte von Gesellschaften und Reisen in ferne Länder und glaubte, das Leben würde für sie nur ein Wirbel von Vergnügungen und Frohsinn sein. Aber die graue Wirklichkeit sah ganz anders aus.

Lord Heppleworth hatte einen Landsitz in Shropshire, wo er acht Monate im Jahre zubrachte, und ein Haus in London, in dem er die übrigen vier Monate wohnte. Jedes Jahr verließ er die Stadt am gleichen Tag, um aufs Land hinauszuziehen, und jedes Jahr kehrte er am gleichen Tag pünktlich dorthin zurück. Er speiste jeden Abend in demselben Restaurant und interessierte sich, wenn auch nicht allzusehr, für Bienen. Seine Spezialität war die Mason-Biene. Lord Heppleworth faltete die Times zusammen und klingelte nach dem Mädchen.

»Miss Parker«, sagte er. »Hier sind drei Schnitten Schinken übriggeblieben, bitte heben Sie die zum Abendessen für mich auf.«

»Jawohl, Mylord.«

»Dann habe ich gesehen, daß in der vorigen Woche sechs kleine Brote zusätzlich gekauft worden sind. Wie kommt das?«

»Mylady hat Brot in den Park mitgenommen, um die Enten zu füttern.«

Lord Heppleworth runzelte die Stirn und sah seine Frau an.

»Aber, Liebling«, sagte er vorwurfsvoll, »das ist doch eine Verschwendung. Weißt du nicht, daß es Tausende von Kindern gibt, die dankbar wären, wenn sie das Brot bekämen, das du buchstäblich fortwirfst?«

Gladys zuckte die Schultern.

»Gut, dann werde ich das Brot den Armen schicken.«

»Das ist durchaus nicht nötig. Es gibt genügend Wohltätigkeitsgesellschaften. Die haben die Verteilung von milden Gaben an die Armen übernommen und tun das systematisch.«

»Was soll ich dann machen?« fragte sie und drehte sich unwillig nach ihm um. »Soll ich hier den ganzen Tag stillsitzen und in den Mond gucken?«

Lord Heppleworth hob die Hand zum Protest.

»Einen Augenblick, mein Liebling.« Er wandte sich zu dem Mädchen. »Miss Parker, Sie können jetzt gehen.« Als sich die Tür hinter ihr schloß, sagte er: »Ich möchte dich doch bitten, dich in Gegenwart von Dienstboten zusammenzunehmen. Du hast wirklich keinen Grund, dich zu beklagen. Ich habe dir eine bedeutende Summe für jedes Jahr ausgesetzt.«

»Bedeutend!« erwiderte sie verächtlich. »Was kann ich schon mit zweihundert Pfund im Jahr anfangen?«

»Als ich in Eton auf dem College war, hat mir mein Vater fünfzig Pfund im Jahr gegeben und erwartet, daß ich davon noch sparte. Und das ist mir auch gelungen«, erklärte der Lord mit Genugtuung.

Es klopfte leise an die Tür, und Miss Parker kam wieder herein.

»Draußen ist ein Herr, der Mylord sprechen möchte.«

»Das muß der Mann von der Versicherungsgesellschaft sein«, sagte er zu seiner Frau. »Führen Sie ihn herein, Miss Parker.«

Bob Brewer trat ein, verneigte sich vor Mylady und nickte dem Lord zu, den er flüchtig kannte.

»Also Sie sind der junge Mann von der Versicherungsgesellschaft?« fragte der Lord. »Wollen Sie bitte Platz nehmen? Und willst du so gut sein, Liebling, Mr. . . .«

»Mein Name ist Brewer.«

». . . Mr. Brewer zu unterhalten, während ich das Halsband hole?«

»Ich glaube, daß zuviel Aufhebens gemacht wird wegen einer verlorenen Perle«, sagte Mylady, als ihr Gatte gegangen war.

»Handelt es sich nur um eine Perle?« fragte Bob interessiert. »Ich glaubte, es wäre ein ganzes Halsband gestohlen worden.«

»Ach nein, nur eine Perle. Und soviel ich weiß, ist der Lord bei Ihrer Gesellschaft gegen Diebstahl versichert.«

Bob nickte.

»Ja, die Perlen sind bei uns für fünfundzwanzigtausend Pfund versichert. Ich nehme an, daß Sie die Polizei verständigt haben?«

»Ich glaube nicht, daß Mylord das getan hat. Er wird Ihnen alles erklären, wenn er zurückkommt. Meiner Meinung nach wird wirklich zuviel Aufhebens von der Sache gemacht.«

Der Lord kehrte ins Zimmer zurück, er hielt einen flachen, schwarzen Lederkasten in der Hand, den er ein wenig umständlich öffnete. Auf dunkelblauem Samtgrund lag eine der schönsten Perlenketten, die Bob je gesehen hatte.

»Diese Kette besteht – oder richtiger – bestand aus dreiundsechzig Perlen«, sagte der Lord. »Sie sind berühmt, denn sie wurden von meinem Urgroßvater erworben, der unter der Regierung Wilhelms IV. Gouverneur von Madras in Südindien war.«

»Ich kenne die Geschichte«, entgegnete Bob. »Ihr Urgroßvater ist mit einer Frau des Radschas durchgebrannt, und sie trug diese Halskette.«

Lord Heppleworth räusperte sich.

»Ja, es war ein Skandal, aber wir brauchen die Sache ja nicht näher zu erörtern. Jedenfalls, hier sind die Perlen. Sie gehören zu den kostbarsten in ganz Europa, und ich lege großen Wert darauf, daß meine Frau die Heppleworth-Perlen trägt, wenn ich mit ihr ausgehe. Ich zähle die Perlen jeden Abend, bevor wir fortgehen. Dasselbe geschieht, wenn wir zurückkommen. Das mag Ihnen sonderbar erscheinen, aber ich bin in diesen Dingen sehr peinlich und genau.«

»Da haben Sie ja viel zu tun«, erwiderte Bob spöttisch.

»Gestern abend gingen wir nun wie gewöhnlich ins ›Magnificent‹, um dort zu Abend zu speisen. Ich zählte vorher die Perlen – es waren dreiundsechzig. Wir gingen dann ins Restaurant. Mylady hat allerdings in der Garderobe ihren Pelz abgelegt, aber sonst war ich immer bei ihr. Wir waren etwa anderthalb Stunden im großen Speisesaal. Während dieser Zeit ist niemand an unseren Tisch getreten, mit Ausnahme des Kellners. Ich bin natürlich stolz auf den alten Familienschmuck und habe auch während des Essens verschiedentlich danach gesehen. Später ging Mylady wieder in die Garderobe, legte ihren Pelz an, und dann fuhren wir im Auto nach Haus. In meiner Gegenwart nahm sie das Perlenhalsband ab. Ich legte es in dieses Etui und zählte die Perlen, aber es waren nur zweiundsechzig.«

Er warf Bob einen Blick zu.

»Nur zweiundsechzig«, wiederholte Bob. »Selbstverständlich haben Sie die Perlen noch einmal gezählt?«

»Ja, mindestens ein dutzendmal. Es ist ausgeschlossen, daß ich mich geirrt habe. Ich kenne jede Perle des Halsbandes. Die fehlende Perle ist eine der größten.«

Bob nahm die Kette in die Hand und prüfte sie sorgfältig.

»Ich kann nicht entdecken, daß die Schnur irgendwie gerissen oder ausgebessert ist. Wenn eine Perle entfernt wurde, muß der Mann sein Handwerk verstanden haben. Wie hoch ist denn der Wert der fehlenden Perle?«

»Zwischen siebenhundert und tausend Pfund«, entgegnete der Lord. »Es war eine der besten.«

»Könnte sie während der Rückfahrt in den Wagen gefallen sein?«

»Nein, unmöglich«, sagte Lord Heppleworth scharf. »Das ist eine lächerliche Frage. Sie haben doch die Schnur selber gesehen, auf der die Perlen aufgezogen sind.«

»Ja«, erwiderte Bob langsam. »Haben Sie irgendeine Erklärung, Mylady?«

»Nein. Ich wußte nicht einmal, wieviel Perlen die Kette hatte.«

 

»Nun, wie steht es?« fragte Douglas Campbell, als Bob ihn in seinem Büro aufsuchte.

»Dieses Ferienabenteuer ist eine merkwürdige Angelegenheit. Der alte Lord ist ein ganz ehrlicher Kerl, daran ist nicht zu zweifeln.«

»Das wissen wir auch. Aber erzählen Sie mir doch etwas Genaueres über die Sache.«

Bob berichtete, was er von dem Fall wußte, und Campbell nickte. »Der Lord hat vollkommen recht. Die Versicherungspolice ist auf dreiundsechzig Perlen ausgestellt, und wenn jetzt nur zweiundsechzig vorhanden sind, müssen wir die fehlende Perle ersetzen. Haben Sie die einzelnen Stücke selbst gezählt?«

»Ja, ich habe mir die Mühe gemacht. Und der Lord auch.«

»Was halten Sie denn von ihm?«

»Er ist ein alter Geizkragen und Pedant«, meinte Bob. »Ich könnte mir denken, daß sich seine Frau, die er gar nicht versteht und die er unglücklich macht, über den Verlust der Perle freut, nur damit er sich auch einmal ärgert.«

Nach zwei Tagen hatte Bob bereits allerhand herausgefunden und besuchte wiederum den Versicherungsdirektor.

»Über den Lord selbst habe ich wenig Neues erfahren«, berichtete er. »Es ist ein langweiliger, bärbeißiger Kerl, und man hält ihn allgemein für übertrieben pedantisch. Lady Heppleworth hieß früher Gladys Surpet. Den Bühnennamen weiß ich nicht. Ihre Eltern sind bereits gestorben, aber sie hat noch eine Schwester und einen Bruder. Die Schwester hat's auch faustdick hinter den Ohren, sie war sogar an einem Bankbetrug in Manchester beteiligt. Man hat ihr nichts nachweisen können, obwohl einwandfrei feststeht, daß sie die gefälschten Papiere bei der Bank einreichte. Ihr Bruder war nicht so glücklich. Er wurde vor zwei Jahren zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt.«

»Glauben Sie, daß der Bruder an dem Verschwinden der Perle schuld sein könnte?«

»Nein, das ist nicht der Fall, denn er ist augenblicklich in Australien. Er soll ein ziemlich dürftiges und mühseliges, aber ordentliches Leben führen. Die Schwester wird allerdings noch von der Polizei beobachtet, und ich habe sie vor allem in Verdacht, weil sie selbst das Juwelierhandwerk erlernt hat. Der alte Surpet hatte nur einen verhältnismäßig kleinen Laden, aber alle seine Kinder waren in seiner Werkstatt beschäftigt, mit Ausnahme von Gladys.«

»Das erklärt aber immer noch nicht den Verlust der Perle.«

»Aber vielleicht erklärt es die näheren Umstände. Auf jeden Fall werde ich Lord Heppleworth wieder aufsuchen. Es trifft sich gut, daß er mich zum Abendessen eingeladen, hat, vielleicht kann ich dabei noch mehr erfahren.«

Bob war zeitig im Haus des Lords; Lady Heppleworth wartete auf ihn im Empfangszimmer. Sie war bereits zum Essen angekleidet, aber es fiel ihm auf, daß sie das Perlenhalsband nicht trug. Sie bemerkte seinen Blick und lächelte.

»Sie sehen wohl nach den Perlen. Lord Heppleworth legt mir die Kette erst um, wenn ich das Haus verlasse. Er ist in dieser Beziehung sehr gewissenhaft«, sagte sie leichthin.

»Das ist mir auch schon aufgefallen.«

Der Lord erschien mit dem schwarzen Lederetui in der Hand.

Er öffnete es und nahm die Perlenschnur heraus.

»Zweiundsechzig«, sagte er scherzend. »Ich glaube kaum, daß du heute abend eine Perle verlieren wirst, wo Mr. Brewer persönlich aufpaßt.«

Sie lächelte und nahm ihren Abendmantel vom Stuhl.

»Der Wagen wartet schon«, sagte sie und ging voraus.

Das Essen verlief ziemlich langweilig. Lord Heppleworth sprach viel, aber was er sagte, war belanglos und uninteressant. Mylady schwieg meistens. Bob überlegte, was sie wohl denken mochte, während sie ins Leere schaute. Ab und zu sah er, daß sie zerstreut mit den Perlen spielte.

»Begleiten Sie mich noch nach Hause«, sagte der Lord nach dem Essen. »Ich habe über die Sache gründlich nachgedacht und eine Erklärung gefunden. Das alles möchte ich schriftlich niederlegen, und es wäre mir lieb, wenn Sie es einmal durchsähen und mir Ihre Meinung darüber sagten.«

Bob seufzte, als er in den Wagen stieg, und machte sich auf einen langweiligen Abend gefaßt. Als sie in das Wohnzimmer traten, ließ sich Lord Heppleworth die Kette von seiner Frau geben und zählte jede Perle einzeln nach. Plötzlich richtete er sich verstört auf und atmete schwer.

»Das ist doch unmöglich«, sagte er, beugte sich über den Tisch und zählte aufs neue. »Es sind jetzt nur noch sechzig Perlen! Zwei sind wieder verschwunden!«

Es herrschte Schweigen, als Bob die Kette selbst in die Hand nahm. Der Lord hatte sich nicht geirrt, es waren nur noch sechzig Perlen.

»Aber – aber –« stammelte er. »Wie ist das nur möglich! Das ist doch geradezu unglaublich!«

»Hast du dich auch beim Zählen nicht geirrt?« fragte Mylady sanft.

»Rede doch nicht solchen Unsinn!« sagte der Lord. »Hat Mr. Brewer sie nicht auch gezählt? – Nun, was halten Sie von der Sache, Mr. Brewer?«

»Ich habe eine sehr einfache Erklärung«, erwiderte Bob. »Die beiden Perlen sind durch einen Unbekannten von der Schnur entfernt worden.«

»Das ist allerdings eine ziemlich nichtssagende Erklärung. Sie machen sich die Sache sehr leicht. Wissen Sie wirklich nichts Besseres?«

»Ich werde mir die Sache bis morgen überlegen. Um zehn Uhr vormittags komme ich hierher und bringe die Kette dann mit Ihrer Erlaubnis zu einem Spezialisten, an den ich verschiedene Fragen richten möchte.«

»Ich werde Sie begleiten«, sagte der Lord.

»Das ist nicht notwendig. Sie können mir die Perlen ruhig anvertrauen, da unsere Versicherung den Wert ja ohnehin garantiert.«

*

Am nächsten Morgen erschien Bob pünktlich um zehn Uhr und nahm das Perlenhalsband mit zu einem der besten Juweliere Londons.

»Bitte, untersuchen Sie dieses Schmuckstück und sagen Sie mir, ob die Schnur, auf der die Perlen aufgezogen sind, irgendwelche Ausbesserungen aufweist. Ist es möglich, zwei Perlen aus der Mitte zu entfernen, ohne die ganze Schnur aufzulösen?«

»Nein, das ist nicht möglich«, entgegnete der Juwelier.

»Nehmen wir aber an, daß Sie zwei Perlen aus der Mitte fortnehmen wollen – was müssen Sie dann tun?«

»Ich müßte die Perlen eine nach der anderen abnehmen und die zwei herausnehmen. Dann muß die Schnur um ein entsprechendes Stück verkürzt werden, und das ist eine ziemlich langwierige Sache.«

»Wie lange brauchen Sie dazu?«

»Wenn ich sehr schnell arbeite, könnte ich es in einer Stunde schaffen.«

»Wenn nun zum Beispiel die Dame, die diese Kette trägt, aus irgendeinem Grund zwei Perlen entfernen will und dazu in die Garderobe – sagen wir – eines Hotels geht, wäre es dann möglich, diese Änderung in der Zeit vorzunehmen, die genügt, um ihre Garderobe abzugeben?«

»Vollkommen ausgeschlossen. Es gibt niemanden, der das unter einer Stunde machen könnte, und ich habe jahrelange Erfahrung auf diesem Gebiet.«

»Ich danke Ihnen vielmals.«

Bob legte die Perlenschnur in den Kasten und fuhr zu Lord Heppleworth.

»Ich habe eine bestimmte Vermutung«, sagte er, »und wenn Sie mir gestatten, Lady Heppleworth heute abend zum Essen auszuführen, ohne daß Sie dabei sind, kann ich garantieren, daß ich das Geheimnis kläre.«

Lord Heppleworth verzog den Mund.

»Es ist nicht meine Gewohnheit«, erwiderte er ein wenig steif, »meine Frau abends mit einem Fremden ausgehen zu lassen.«

»Das ist mir sehr gleichgültig«, entgegnete Bob gelangweilt. »Aber wenn Sie Ihre Perlen zurückhaben und weitere Verluste vermeiden wollen, gebe ich Ihnen den guten Rat, meiner Bitte stattzugeben.«

»Es ist zwar viel Geld, aber die Versicherung muß ja den Verlust tragen.«

»Das kann ich Ihnen nicht bestimmt versprechen. Jedenfalls nicht, wenn Sie mir nicht Gelegenheit geben, allein mit Mylady zu speisen. Wenn Sie das verweigern, stelle ich die Untersuchung des Falles ein, und die Gesellschaft wird sich nicht bereit finden, den Verlust zu tragen.«

»Nun gut«, sagte der Lord, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. »Ich werde Mylady von Ihrer Bitte in Kenntnis setzen.«

»Vor allem muß sie die Perlen tragen, das ist wichtig.«

Heppleworth nickte.

 

Um acht Uhr abends erschien Bob pünktlich im Haus des Lords, der gerade Mylady die Kette aushändigte, nachdem er sorgfältig die Perlen gezählt hatte.

»Sechzig«, sagte Lord Heppleworth. »Bitte, kontrollieren Sie selbst nach, Mr. Brewer.«

Bob kam der Aufforderung nach und zählte ebenfalls sechzig. Er gab Mylady keine Erklärung, bis sie zusammen im Wagen saßen.

»Ich weiß gar nicht, was das alles zu bedeuten hat«, sagte sie unangenehm berührt. »Warum wünschen Sie, daß ich mit Ihnen allein speise? Es ist doch nichts passiert?«

»Das kann ich bis jetzt noch nicht sagen. Aber ich nehme an, daß Sie lebhaft daran interessiert sind, das Geheimnis aufzuklären.«

»Selbstverständlich liegt mir viel daran«, sagte sie scharf. »Sind Sie vielleicht anderer Meinung?«

Er wartete im Vestibül, bis sie ihre Garderobe abgelegt hatte, dann gingen beide zu dem Tisch, an dem Lord Heppleworth gewöhnlich abends mit seiner Frau saß. Mylady benahm sich sehr reserviert und kühl.

»Lady Heppleworth, sind Sie glücklich verheiratet?« fragte Bob plötzlich, als sie beim Kaffee angelangt waren.

Sie starrte ihn einen Augenblick an und wurde rot.

»Ich weiß nicht, was Sie das angeht«, entgegnete sie beinahe beleidigt. »Ich glaube, Lord Heppleworth wünscht nicht, daß Sie derartige Fragen, an mich stellen.«

»Sie können es ihm ruhig sagen, wenn Sie wollen«, erwiderte Bob gleichgültig. »Es interessiert mich im Moment auch nicht, was er von mir denkt. Ich überlege mir nur gerade, wie er über Sie urteilen würde, wenn er alles von Ihnen wüßte?«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich frage Sie noch einmal: Sind Sie mit Ihrem Gatten glücklich verheiratet? Oder haben Sie die Absicht, Ihr jetziges Leben aufzugeben, ihn zu verlassen und sich nach einer kleinen Stadt in Australien zurückzuziehen? Dort könnten Sie ruhig und still leben, ohne all den Ärger, den Sie jetzt haben.«

Sie senkte den Blick.

»Ich verstehe Sie nicht«, sagte sie leise.

»Nun, dann will ich noch deutlicher werden. Sie haben einen Bruder, der in Australien lebt, und Sie wollen zu ihm ziehen. Lord Heppleworth gibt Ihnen nicht viel Geld. Er ist, um es geradeheraus zu sagen, ziemlich geizig, und Sie haben natürlich von Ihrer Ehe mit ihm etwas ganz anderes erwartet. Sie sind schließlich bei ihm nichts weiter als eine bessere Angestellte, die nicht einmal sonntags frei hat.«

»Ja, das ist wahr.« Ärger machte ihre Stimme scharf. »Er bewacht mich wie die Katze eine Maus. Vor einem Jahr, als mein Bruder nach Australien ging, konnte ich ihm nicht einmal fünfzig Pfund mitgeben.«

»Sie hätten aber doch einen Ring versetzen können.«

»Er zählt meine Schmuckstücke jeden Morgen und jeden Abend«, erwiderte sie und lachte gezwungen. »Ist das nicht schrecklich? Manchmal bin ich allerdings in Versuchung, ihn zu erschießen und dann zu fliehen! Ich würde es auch tun, aber ich habe keine Zuflucht und kein Geld.«

»Jetzt wollen wir einmal über die Perlenkette sprechen. Würden Sie so gut sein und sie mir einen Augenblick geben?«

Sie zögerte.

»Warum denn?«

»Ich möchte sie in die Tasche stecken.«

»Nein, das werden Sie nicht tun«, entgegnete sie.

»Sie haben doch eine Schwester, soviel ich weiß?«

Gladys wurde bleich.

»Sie ist in der Garderobe des Hotels angestellt und im Moment damit beschäftigt, eine Perle von der Kette zu entfernen, die Sie abgelegt haben, als Sie in die Garderobe traten. Und sie kann die Schnur so geschickt verkürzen, daß man den Diebstahl nicht entdeckt. In einer Stunde kann man so etwas schon machen. Sie sitzen ja gewöhnlich anderthalb Stunden hier beim Essen.«

Sie wurde noch bleicher, sagte aber nichts.

»Die Kette, die Sie jetzt tragen, ist eine sehr gute Imitation. Ich weiß, daß sie vor zwei Monaten von einer Frau in den Burlington-Arkaden gekauft wurde, wahrscheinlich von Ihrer Schwester.«

»Was soll ich tun?« fragte sie, nachdem einige Minuten verstrichen waren, mit leiser Stimme.

»Ich rate Ihnen, zu Ihrer Schwester zu gehen und sie aufzufordern, Ihnen die Perlen zurückzugeben, die sie genommen hat. Um ihr die nötige Zeit zu lassen, wollen wir inzwischen ein Theater besuchen. Ich habe bereits Plätze bestellt.«

»Und was soll ich Lord Heppleworth sagen?«

»Gar nichts.«

»Ich brauchte das Geld dringend«, sagte sie heftig. »Ich wollte es nicht stehlen. Wenn meine Schwester auch Dinge getan hat, die nicht recht sind, so habe ich mir doch nie im Leben etwas zuschulden kommen lassen. Aber ich halte es bei diesem alten Pedanten nicht länger aus. So kamen wir auf die Sache mit der Kette. Das Geld wollten wir miteinander teilen. Ich wollte meinen Anteil dazu benutzen, nach Australien zu fahren – ich muß aus dieser schrecklichen Umgebung heraus.«

Bob dachte einige Zeit nach.

»Ich glaube, daß ich zweihundert Pfund von Ihrem Gatten als Belohnung für die Wiederbeschaffung der Perlen erhalten kann. Diese zweihundert Pfund stelle ich Ihnen zur Verfügung. Damit können Sie nach Australien fahren, wann es Ihnen beliebt.«

»Aber was soll ich Lord Heppleworth sagen?«

»Sagen Sie ihm, daß die Perlen von einer Mason-Biene entführt worden sind«, erwiderte Bob leichthin.


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