Edgar Wallace
Der Brigant
Edgar Wallace

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5. Kapitel

Die Dame in Grau

Während der aufgeregten Kriegstage hatte Anthony Newton Sybil Martin kennengelernt. Er nannte sie immer »die Dame in Grau« und fürchtete sich eigentlich ein wenig vor ihr, obwohl sie weder hochfahrend war noch Furcht einflößte; im Gegenteil, sie war eine reizvolle, anziehende Erscheinung.

Sie war die Tochter eines verarmten Adeligen mit allen Eigenschaften einer großen Dame.

Jim Martin war der Oberst Anthonys, ein schneidiger Offizier aus guter Familie. Anthony war immer etwas verlegen, wenn er Leuten von Martins Rang gegenübertrat, denn er wußte niemals, ob sie arm oder reich waren. Allem Anschein nach schienen sie dazu geboren, in großen schönen Häusern zu wohnen und das Vorrecht zu besitzen, sich auf großen Landgütern aufzuhalten. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie mit wertvollen Flinten unter dem Arm auf die Jagd gingen, um unter besonderen Kosten gezogene Rebhühner und Fasanen zu schießen. Sie verkehrten mit den anderen großen Familien des Landes und genossen überall das Recht, zu jagen und zu fischen. Untereinander nannten sie sich nur mit Vornamen und bildeten eine Gesellschaft für sich. Anthony sprach und dachte von ihnen nur als von der eigentlichen Gesellschaft. Und Jim Martin gehörte zu ihr. Er brach bei der Erstürmung der Höhen von Vimy zusammen, und Anthony trug ihn zu dem Verbandsplatz zurück.

»Tun Sie für meine Frau, was Sie können.« Mit diesen Worten starb er.

Bei der ersten Gelegenheit suchte Anthony sie in ihrem kleinen Haus in der Curzon Street auf. Sie war ihm gegenüber kühl und zurückhaltend, so daß er aus der Fassung gebracht wurde. Er war sonst nicht verlegen, aber als er kaum zehn Minuten mit ihr gesprochen hatte, wußte er schließlich nicht, was er noch sagen sollte. Er hatte sich erkundigt, ob er irgend etwas für sie tun könnte, und sie hatte alles liebenswürdig, aber bestimmt abgelehnt. Sie dankte ihm für seinen Besuch, lud ihn zum Essen ein und unterhielt sich mit ihm über Luftangriffe und über ein neues Kriegsbuch, das augenblicklich in aller Mund war.

Anthony war froh, als er sich wieder von ihr verabschieden konnte.

Seit jener Zeit hatte er sie dreimal gesehen. Einmal in den schlimmsten Tagen, als er kein Geld hatte. Er war durch den Hyde Park gegangen, und sie fuhr in einem wunderschönen Wagen an ihm vorüber. Er nahm seinen Hut vor ihr ab, aber sie schaute an ihm vorbei. Sie hatte ihn wohl nicht erkannt. Sie trug wie gewöhnlich ein Kleid von jenem hellen Silbergrau, das ihr so gut stand.

Das zweitemal traf er sie, nachdem er das Abenteuer mit den Kautionsschwindlern hinter sich hatte. Sie stand in der Eingangshalle eines Theaters und wartete auf jemand. Diesmal erwiderte sie freundlich seinen Gruß, als er sich verneigte, und ging auf ihn zu.

»Ich habe die dunkle Erinnerung, daß ich Sie vor einigen Monaten im Hyde Park traf, Mr. Newton. Ich war damals so in Gedanken versunken, daß ich Sie leider erst bemerkte, als Sie schon an mir vorübergegangen waren. Würden Sie mich nicht wieder einmal besuchen?«

»Es wird mir ein Vergnügen sein«, entgegnete Anthony aufrichtig. Er war über ihre finanziellen Verhältnisse nun beruhigt. Aber er hatte sich schon manchmal überlegt, was sie wohl tun würde, wenn sie nicht über so viel Geld verfügte.

Er bereitete gerade damals wieder einen Schlag vor und war sehr unangenehm berührt, ja beinahe konsterniert, als er sein Opfer auf die Dame zueilen sah, die er gerade verlassen hatte.

»Donnerwetter«, sagte Anthony zu sich selbst.

Dieser dicke, kleine Herr mit dem kahlen Kopf, der sich jetzt an die königliche Erscheinung in Grau heranmachte, war seit einiger Zeit Gegenstand von Anthonys Nachforschungen. Er hatte ihn von vielen Seiten aus studiert.

Mr. Jepburns Name endete vor seiner Auswanderung aus Polen auf irgendein »ski« oder »witsch«, aber auf dem Kai in Dover hatte er auf einer Kiste den Namen Jepburn gelesen, und als er als Passagier dritter Klasse Ende der neunziger Jahre landete, betrat er unter diesem Namen seine neue Heimat, mit zwanzig Rubel in der Tasche und einer großen Abneigung gegen sein altes Vaterland im Herzen.

Damals konnte man seinen Namen leichter ändern als seinen Anzug wechseln. Im Laufe der Zeit wurde Mr. Jepburn wohlhabend, ja sogar reich, und hatte viele interessante Methoden, Geld zu verdienen.

Den ersten Erfolg brachte ihm die Führung eines Klubs im Osten der Stadt, in dem Leute aus allen möglichen Ländern verkehrten. Zur Zeit des Burenkrieges vergrößerte sich sein Vermögen plötzlich infolge vorteilhaft abgeschlossener Regierungsverträge über Lieferung von Kavalleriesätteln. Und dann gründete er das Unternehmen, das in späteren Jahren als der »Jepburn Circle« bekannt war. In den verschiedenen Teilen des Westens kaufte oder mietete er Häuser, möbliert oder unmöbliert, die er dann der Fürsorge vertrauenswürdiger Landsleute, Männern oder Frauen, übergab. Er verstand es, einige mittellose Mitglieder des Adels anzustellen, die als Gastgeber und Agenten fungierten. In erstaunlich kurzer Zeit hatte er auf diese Weise sieben Spielhöllen in vollen Schwung gebracht.

Jepburns Name war jedoch damit nicht verknüpft. Wenn man zu Mrs. Keluer Buizans belgischen Tanztees und Tanzabenden ging, konnte niemand vermuten, daß der Dame nicht ein Stück der schönen Einrichtung gehörte und daß sie weder die Eigentümerin noch die Mieterin des Hauses war, in dem sie lebte. Alle ihre Ausgaben zuzüglich eintausend Pfund Gehalt im Jahre wurden von dem kleinen, untersetzten, kahlen Mann bezahlt, der in einer bescheidenen Wohnung in Bloomsbury hauste.

Die Leute kamen zum Tanz und blieben dann noch zum Spiel. Es wurde gewöhnlich Trente-et-quarante gespielt. Die Croupiers stellte Mr. Jepburn persönlich an, und die Einnahmen aus dem Spiel flossen auch in seine Tasche. Es wurde sehr viel verdient, denn seine Croupiers wurden besser bezahlt als die adeligen Herren und Damen, die nach außen hin die Gastgeber waren. Der Spielleiter, der die Karten mischte, war so geschickt, daß er durch besondere Manipulationen nach Belieben eine rote oder eine schwarze Karte zum Vorschein bringen konnte. Natürlich gewann immer diejenige Farbe, auf die am wenigsten gesetzt war.

Trotz seiner ungeheuren Ausgaben verdiente Mr. Jepburn jährlich doch zwanzigtausend Pfund an jedem der sieben Häuser. Die Angelegenheit war der Polizei sehr unangenehm, denn die Leute, denen angeblich die Häuser gehörten und die als Gastgeber auftraten, hatten sehr bekannte Namen. Allem Anschein nach war das Spiel absolut fair, und in England ist das Gesetz sehr nachsichtig und rücksichtsvoll, wenn es sich um die Rechte der Persönlichkeit handelt, besonders, wenn es sich dabei um die eigenen Wohnungen und Häuser dieser Leute handelt.

Anthony erwähnte den Namen Mr. Jepburns gelegentlich, als er seinen versprochenen Besuch bei Sybil Martin machte.

»Jepburn?« fragte die Dame leichthin. »Ja, ich kenne ihn oberflächlich. Er ist ganz interessant und verkehrt in den besten Kreisen. Ich vermute, es befremdete Sie, daß er mich ins Theater begleitete?«

Anthony lächelte.

»Solche Gedanken kommen mir nie«, log er. »Sind Sie denn mit ihm befreundet?«

»Nein!«

Die Antwort kam so entschieden und heftig, daß es ihm auffallen mußte. Aber sie nahm sich sofort wieder zusammen und sprach in ihrer alten Art weiter.

»Ach nein! Eigentlich wollte damals eine größere Gesellschaft ins Theater gehen. Lady Mambury hatte mich eingeladen. Da aber drei Teilnehmer plötzlich erkrankten, darunter auch Lady Mambury, so blieben nur wir beide übrig. Es war allerdings etwas unangenehm für mich.«

Er fühlte sich durch ihre Antwort beruhigt, was sie auch sofort bemerkte.

»Sie scheinen ihn nicht gern zu haben?«

»Mir ist er gleichgültig. Ich kann weder sagen, daß ich ihn gern habe, noch daß er mir unangenehm ist«, sagte er diplomatisch. »Aber er hat einen gewissen Ruf.«

»Welchen Ruf?« fragte sie.

Anthony war in einer unangenehmen Lage, denn er wünschte durchaus nicht, daß Mr. Jepburn aus zweiter Hand erfahren sollte, daß man ihn verdächtigte.

»Nun ja . . . man hört so allerhand. Hat er denn nicht irgendwie mit Spielklubs zu tun?«

Sie schwieg einen Augenblick.

»Ist das . . . Tatsache? Ich meine, glaubt man allgemein, daß er . . . derartige Einnahmequellen hat?«

»Ich möchte nicht gerade sagen, daß man es allgemein glaubt. Aber das ist der Eindruck, den ich von ihm habe.«

Wieder entstand ein Pause.

»Das ist aber doch schrecklich. Kennt Sie Mr. Jepburn?«

Anthony erzählte ihr, daß Mr. Jepburn nicht zu seinen Bekannten gehöre. Er hätte sich dazu gratulieren mögen, denn es war für sein Glück und Wohlbefinden notwendig, daß Mr. Jepburn nichts von ihm wußte.

Nach drei Tagen machte aber Anthony Newton doch seine Bekanntschaft. Jepburn speiste gewöhnlich in einem bekannten Restaurant zu Abend, wo ein Tisch für ihn reserviert war.

Anthony Newton setzte sich an diesem Abend auch dorthin. Er schien schon ein wenig angeheitert zu sein, und da er sich hartnäckig weigerte, von dem reservierten Tisch aufzustehen und allem Anschein nach willens war, eine Szene zu machen, winkte Mr. Jepburn dem Kellner, ihn sitzen zu lassen.

»Sie scheinen ja ein sehr entschiedener junger Mann zu sein«, sagte Mr. Jepburn und sah Anthony über seine goldene Brille hinweg freundlich an.

»Darauf können Sie sich verlassen«, entgegnete Anthony mit einem etwas schrillen Akzent, den er sonst nicht hatte.

»Sehen Sie, ich bin ein Demokrat! Ich bin ein Feind aller Reservate! In meinem Vaterland sind alle Menschen gleich – haben Sie das begriffen?«

»Dann sind Sie wohl Amerikaner?«

»Sicher bin ich das, und ich will froh sein, wenn ich wieder zu Hause bin, denn dies ist doch das langweiligste kleine Dorf, das ich jemals gesehen habe. Es ist hier ebenso interessant wie in der Prärie. Sie haben doch sicherlich das Buch über die Gophir-Prärien gelesen?«

Mr. Jepburn hatte mit Ausnahme seines Passes überhaupt noch kein Buch gelesen.

»Man kann in diesem Nest ja nicht einmal ausgehen«, beklagte sich Anthony. »Nächste Woche gehe ich nach Paris, vielleicht kann man sich dort besser amüsieren.«

Mr. Jepburn war plötzlich interessiert.

»Das hängt ganz davon ab, was Sie beanspruchen. Die einen Leute amüsieren sich auf diese, die anderen auf jene Weise. Hier in London können Sie alles haben, wenn Sie dafür zahlen. Aber vielleicht haben Sie nicht genügend Geld, mein Freund!«

Anthony war entrüstet.

»Was sagen Sie da? Ich könnte nicht zahlen? Schauen Sie einmal her.« Er zog ein Paket Banknoten aus der Tasche, die Mr. Jepburn neugierig betrachtete. »Nein, mein Herr, diese Stadt ist ein totes Nest. Ich habe neulich versucht, einige Fremde in meinem Hotel für ein Spielchen zu interessieren, aber sie dachten, ich wäre ein Räuber oder Wegelagerer, als ich zwanzig Pfund setzen wollte. Können Sie sich so etwas Langweiliges vorstellen?«

Mr. Jepburn sah sich im Raum um. Plötzlich entdeckte er einen seiner Leute und gab ihm ein Zeichen, näher zu treten.

»Darf ich Ihnen meinen Freund, Mr. . . .?«

»Swashbuck, Arthur R. Swashbuck von Kansas City«, sagte Anthony.

»Mein guter Bekannter – Mr. Smith«, stellte Mr. Jepburn den anderen vor. »Er kann Ihnen einmal die Stadt zeigen. Hier gibt es doch viel mehr zu sehen, als Sie denken.« Er warf Smith einen bedeutsamen Blick zu, und dieser erklärte, daß es noch viele Orte gäbe, die man gesehen haben müsse.

»Ich will jetzt gehen und die beiden jungen Herren allein miteinander lassen«, sagte Mr. Jepburn und verabschiedete sich. »Vielleicht kommen Sie in den nächsten Tagen auch hierher – setzen Sie sich dann bitte ruhig an meinen Tisch, wenn es Ihnen beliebt.«

»Darauf können Sie sich verlassen«, entgegnete Anthony keck.

Mr. Smith war ein distinguiert aussehender junger Mann von tadelloser Erscheinung und Kleidung.

»Wer war denn eigentlich der Kerl?« fragte Anthony und sah hinter Jepburn her, der dem Ausgang zuschritt.

»Ach, das ist ein netter, alter Herr, den ich schon verschiedentlich getroffen habe. Er ist wirklich sehr liebenswürdig«, sagte Smith nachlässig. »Wie lange wollen Sie denn noch in London bleiben, Mr. Swashbuck?«

»Das hängt ganz davon ab, was London mir bieten kann. Bis jetzt ist es eine recht langweilige Stadt für mich.«

»Nun, wenn Sie heute abend mit mir ausgegangen sind, werden Sie anders darüber denken.« Und er führte sein Opfer zur Schlachtbank.

Mr. Smith schien eine Persönlichkeit von gesellschaftlicher Bedeutung zu sein. Er hatte einen kleinen, aber schönen und eleganten Wagen. Sein Chauffeur trug eine dezente, aber sehr solide Uniform.

»Es gibt hier in der Stadt viele Plätze, die im allgemeinen nicht bekannt sind«, sagte Mr. Smith, als sie durch die hellerleuchteten Straßen fuhren. »Ein Mann, der hier nicht Bescheid weiß, könnte jahraus, jahrein suchen und würde sie doch nicht finden. Ich bringe Sie jetzt zu dem Haus meines Freundes, Mr. Wetbury Vach.«

»Das ist ja sehr liebenswürdig von Ihnen«, entgegnete Anthony bedeutend höflicher.

»Oh, das hat nichts zu sagen. Ich habe schon so viele Freundschaftsdienste von Amerikanern erfahren, daß es mir ein großes Vergnügen ist, mich dafür dankbar zu erweisen.«

Bald darauf hielt der Wagen vor einem stattlichen Gebäude in Cadogan Gardens. Offenbar wurde getanzt, denn in den großen Gesellschaftsräumen im Erdgeschoß bewegte sich eine Gesellschaft vornehm gekleideter Damen und junger und älterer Herren. Später ging Mr. Smith auch mit Anthony in einen Salon im ersten Geschoß, in dem sich weniger Menschen aufhielten.

»Man hat hier ein kleines Spielchen aufgelegt«, sagte Mr. Smith gleichgültig. »Kennen Sie Trente-et-quarante? Es ist ganz interessant zuzusehen, aber ich würde Ihnen nicht raten zu spielen, obgleich in ganz London nirgends fairer gespielt wird als hier.«

In diesem Hause wurde am niedrigsten gesetzt. Mr. Jepburns Unternehmungen waren je nach den Vermögensverhältnissen seiner Opfer abgestuft.

»Ja, die Einsätze sind hier nicht sehr hoch«, sagte Mr. Smith beinahe entschuldigend. »Aber kommen Sie mit, ich werde Sie noch zu einem anderen Platz führen.«

Als sie wieder im Wagen saßen, erklärte Mr. Smith, daß er mit Mr. und Mrs. Cresslewaite befreundet sei, deren Haus in einer Straße in der Nähe des Berkeley Square lag. Als sie dort ankamen, öffnete ihnen ein Diener, und wieder fand Anthony, daß getanzt wurde. Aber im oberen Geschoß saßen ungefähr fünfzig Damen und Herren um einen großen, grünen Tisch, und hier war das Spiel schon aufregender.

»Man spielt auch hier Trente-et-quarante. Die Einsätze sind mit fünfzig Pfund begrenzt.«

Um drei Uhr morgens verabschiedete sich Anthony von seinem neuen Freund. Er war um hundert Pfund ärmer, aber die Erfahrungen, die er gesammelt hatte, waren ihm mehr wert als diese Summe. Er hatte im ganzen vier von Mr. Jepburns Häusern kennengelernt.

Anthony Newtons kleines Büro in der City diente weniger dem Geschäft; es war mehr ein Zufluchtsort für verarmte frühere Infanterieoffiziere. Denn nachdem Anthony einen gewissen Erfolg hatte, wurde den Besuchern Whisky-Soda angeboten. Hier versammelten sie sich und rauchten, bis die Luft dick und blau war. Sie sprachen weniger von alten Kriegserinnerungen als von ihrem harten Kampf ums Dasein.

Anthony kam am Montagmorgen nach seinem Ausflug in sein Büro und fand schon fünf prächtige, junge Leute dort, die sich den Wind auf den granatendurchfurchten Feldern Frankreichs um die Nase hatten wehen lassen, deren Ruhm und Ansehen jetzt aber etwas gelitten hatte.

»Anthony«, sagte Bill Farrel, »es ist auch nicht der Hauch einer blassen Hoffnung für uns alte Soldaten vorhanden. Frieden ist nun einmal die Hölle!«

Anthony blickte auf die nun schon reichlich abgetragenen Anzüge, in denen seine Kameraden vom Militär entlassen worden waren. Erinnerungen an jene heiteren und schönen Tage wachten in ihm auf, als jüngere Offiziere mit hundert Pfund in der Tasche so häufig waren wie Brombeeren im September. Er lachte bitter.

»Ich freue mich, daß ich euch heute morgen alle hier sehe. Wenn ihr nicht gekommen wäret, hätte ich den meisten von euch geschrieben.«

»Was hast du denn wieder vor, Anthony?« fragte Bill Farrel.

»Einen kleinen Raubzug«, entgegnete dieser gelassen.

Bill seufzte.

»Ich bin jetzt auf dem Punkt angekommen«, erklärte er, »daß ich mir aus meinen alten Strümpfen schwarze Masken schneide und meine Pistole wieder hervorsuche und sie gebrauchsfertig mache.«

Die anderen stimmten ihm bei.

»Niemand erwartet irgendeine bevorzugte Behandlung, weil er im Krieg war«, fuhr Farrel fort. »Wir wollen nur haben, daß unser Militärdienst in Frankreich während des Krieges nicht als ein Tadel oder ein Hindernis beim Fortkommen angesehen wird. Ich habe schon immer in der letzten Zeit darüber nachgedacht, daß es eigentlich das beste wäre, wenn ich einmal der Bank in der Nähe meiner Wohnung einen kleinen Besuch machte.«

»Den Plan kannst du dir ruhig aus dem Kopf schlagen«, erwiderte Anthony sofort. »Hört einmal zu. Ich habe euch eine neue Weltanschauung vorzutragen. Seht ihr denn nicht, daß der ganze überflüssige Reichtum der Welt in den Händen zweier Klassen ist – der Anständigen und der Unanständigen, der Ehrenwerten und der Diebe? Und da nun auch eine große Anzahl von Dieben herumläuft, die sich dieser Reichtümer bemächtigen wollen, so hat es gar keinen Zweck, daß ihr euch den Kopf damit zerbrecht, in ein Postamt oder eine Bank einzubrechen. Das Problem liegt vielmehr darin: Man muß einen Mann auffinden, der auf unrechte Weise zu seinem großen Vermögen gekommen ist. Hat der Kerl einen Mord auf dem Gewissen, um so besser. Wir Soldaten von hohem Verdienst und Wert befinden uns noch immer im Kriege mit Leuten, die ihr Geld auf unehrliche, gemeine Weise verdient haben und die gegen die Gesetze des Anstandes und der Ehre verstoßen!«

»Da hast du recht, Anthony!« rief Bob. »Aber gegen wen richtet sich denn unser nächster Plan?«

»Ihr könnt den Kerl täglich von sieben bis acht in Paronis Restaurant sehen. Er ist ein Blutsauger, ein Erpresser, ein gemeiner Schuft ohne Vaterland, einer, der die früheren Soldaten um ihren letzten Pfennig geprellt hat, ein männlicher Vampir!«

Er sah sich in dem Raum um. Alle schauten ihn erwartungsvoll und begierig an.

»Jungens«, sagte er feierlich, »meine verschiedenen Namen sind Ali Baba, Chu-chin-chao und Robin Hood, und ich werde eine Räuberbande zusammenstellen, aber nur für einen einzigen Anschlag. Unsere ruhmreiche Fahrt mag uns schließlich auch ins Gefängnis von Wandsworth bringen, aber das glaube ich nicht. Die Sympathien der Allgemeinheit werden auf eurer Seite sein, wenn man euch faßt, obwohl das wahrscheinlich nicht ausreichen würde, um euch vor Gefängnisstrafen zu schützen. Ich frage euch nun, wollt ihr mitmachen?«

Das Hurrageschrei, das sich jetzt erhob, störte die alten Rechtsanwälte, die in den Büros unter ihnen arbeiteten.

»Gehen Sie ruhig wieder hinunter und sagen Sie Ihren Chefs«, erklärte Anthony dem Angestellten, der heraufkam, um sich diesen Lärm zu verbitten, »daß es uns sehr leid tut, daß wir Ihnen solche Unannehmlichkeiten bereitet haben. Aber wenn die Sache zum Schlimmsten kommt, werden wir Ihnen auch unsere Verteidigung vor Gericht übertragen!«

Der bestürzte Büroschreiber brachte die Botschaft nach unten, aber seine Chefs konnten mit dem besten Willen nicht aus seinen Worten klarwerden. –

Am folgenden Mittwochabend, als die Straßen schon ganz verlassen dalagen, hielt ein großes Auto vor dem Haus Nr. 903 Cadogan Gardens. Es war ein alter Wagen, der einen dementsprechenden Lärm beim Fahren machte. Der arme Wagen war allerdings auch dazu berechtigt, denn er war stark überlastet. Acht Mann stiegen aus, und im günstigsten Fall war er für fünf Personen bestimmt.

Anthony klopfte an die Tür. Der livrierte Diener öffnete, aber bevor er irgendwie um Hilfe rufen oder die Klingel an dem Holzpaneel erreichen konnte, hatte sich Bill Farrel auf ihn geworfen und ihm mit der Hand den Mund verschlossen.

Einer der acht nahm seinen Posten an der Tür ein, die zum Salon führte, wo getanzt wurde. Die übrigen eilten unter Anthonys Führung die Treppe zu dem Spielsalon hinauf.

»Ruhe!« rief Anthony mit einer achtunggebietenden Kommandostimme durch den Raum. »Ich erkläre Sie alle für verhaftet. Nehmen Sie den Mann, Sergeant!« Er zeigte auf den Croupier, der zusammenzuckte.

Gleich darauf erhob sich ein Stimmengewirr, ein Schrei wurde laut, als eine Dame ohnmächtig umfiel, aber das waren ja Zwischenfälle, die in solchen Situationen nicht zu vermeiden waren. Anthony zog einen großen Leinensack hervor und fegte das ganze Geld, das auf dem Platz des Croupiers lag, rasch hinein, während Bill Farrel die Diener in einen besonderen Raum führte und dort einschloß.

»Ich kenne alle Ihre Namen und Adressen« sagte Anthony dann. »Ich werde Sie heute abend nicht verhaften, aber Sie bleiben hier in diesem Raum, bis mein Sergeant, der draußen Wache hält, Ihnen erlaubt, das Haus zu verlassen.«

Fünf Minuten später raste der Wagen zum Berkeley Square. Hier spielte sich derselbe Vorgang ab, nur leistete der Diener am Tor weniger Widerstand. Anthony eilte die Treppe hinauf, aber als er in den Spielsalon trat, blieb er plötzlich erschrocken stehen.

Denn die beiden ersten Menschen, die er sah, waren Jepburn und die Dame in Grau. Sie sprang entsetzt auf, als sie die vielen Leute im Gang sah. Jepburn blickte sich verzweifelt um und erhob sich dann auch langsam.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte er.

Aber Anthony antwortete ihm nicht, er starrte nur die Frau an.

»Die Polizei«, sagte sie atemlos.

Anthony kam wieder zu sich.

»Alle Spieler stellen sich der Wand entlang auf!« befahl er. Mit drei Schritten war er an der Seite des Croupiers und warf wieder den großen Haufen Banknoten und Geld in seinen offenen Sack. Gleich darauf trat er zu Mrs. Martin.

»Ich muß mit Ihnen sprechen«, sagte er ruhig.

Er ging mit ihr auf das einsame Treppenpodest hinaus.

»Was machen Sie hier?«

»Ich bin – ich bin die neue Hausherrin«, stammelte sie.

»Was, die neue Dame des Hauses?« fragte Anthony, der seinen Ohren nicht trauen wollte. »Was meinen Sie damit?«

»Ich bin in der Schuld Mr. Jepburns. Er hat von mir Schuldscheine im Wert von dreitausend Pfund«, erklärte sie, vermied es aber, ihm in die Augen zu sehen.

»Aber ich dachte doch . . .«

»Sie dachten, ich wäre wohlhabend«, entgegnete sie bitter. »Aber Sie sehen, ich bin es nicht. Der arme Jim hat mir nur wenig Geld hinterlassen, das ich längst verbraucht habe.«

»Auf diese Art und Weise?« Er zeigte düster nach dem Spielsalon, und sie nickte.

»Warten Sie.«

Anthony ging zu Jepburn zurück, der drinnen in merkwürdig erregter, halb französischer und halb englischer Sprache auf den unerschütterlichen Farrel einsprach. Als Anthony zu ihm trat, sah er ihn haßerfüllt an.

»Sie waren also der Polizeibeamte? Das war sehr gerissen! Wenn ich das nur geahnt hätte!«

»Halten Sie den Mund!« rief Anthony. »Sie haben Schuldscheine von Mrs. Martin – wo sind sie?«

Jepburn kniff die Augenlider zusammen.

»Was wollen Sie damit machen?«

»Sie haben die Wahl, Jepburn. Entweder verhafte ich Sie und lasse Sie in Ihr Heimatland deportieren, oder ich ziehe meine Leute zurück und lasse von der ganzen Sache unter der Bedingung nichts verlauten, daß Sie mir die Schuldscheine von Mrs. Martin einhändigen.«

Mr. Jepburn dachte einen Augenblick nach.

»Gut, Sie sollen sie haben, wenn Sie mich nach Hause begleiten. Aber was wird aus dem Geld, das Sie genommen haben?«

»Das wird einem wohltätigen Zweck zugeführt«, erwiderte Anthony gewandt, »und zwar der Unterstützungskasse für frühere Offiziere.«


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