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Vorwort.

Christian Wagner, aus dessen merkwürdigen Werken hier eine kleine Auswahl gegeben wird, ist ein schwäbischer Bauer und im Jahre 1835 in Warmbronn bei Leonberg geboren, wo er heute noch lebt. Die dürftige Abgeschiedenheit seines ländlich arbeitsamen Lebens, dem erst spät durch Bücher und Reisen ein Stück Wissen und mehr Weite zuteil wurde, hat diesen Dichter nicht dazu kommen lassen, ein Literat zu werden. Er hat nie gelernt, aus seinem Talent »etwas zu machen«, er hat niemals unter Kollegen gelebt und niemals jene ironisierende Geringschätzung des Geistigen kennen gelernt, nie jene verzweifelnde Selbstkritik und Gemütsermüdung, die in unserer neuen Literatur so häufig geworden ist. Ihm war seine Begabung stets eine zwar vereinsamende, aber stolze Auszeichnung, als Berufener und Seher ging er durch den heimatlichen Wald, im Innersten erfaßt von den Stimmen der Natur, die er mit empfindlichster Feinfühligkeit zu sich reden fühlte, während in seiner Umgebung niemand Ähnliches empfand. »Dir wieder zu deinem Rechte zu helfen, du arme, entgeistigte und entgötterte Flur«, ist sein Beruf, seine Sendung. Er ist nicht ein Bauer mit unsicher tastendem ästhetischem Streben, der Verse gelesen hat und nun selber Verse zu machen probiert, er hat alles aus der Natur, fast nichts aus Büchern empfangen, und das Fundament seiner Begabung sind seine überaus scharfen, sensibeln, fast mikroskopisch aufnehmenden Sinne, wie denn heute noch der bald Achtzigjährige mit bewundernswert hellen Augen und wachsamem Pfadfinderspürsinn durch die Felder geht. Zu ihm sprachen Blumen und Bäume, ihn rührte der Frühling und der Herbst, ihn blickte überall die Heiligkeit und das Rätsel des Lebenden an. Und so kam der Bauer dazu, die Einheit alles Lebendigen zu fühlen, ein Verkündiger der Liebe und der Schonung jeden Lebens zu werden und ganz von innen her eine Weltanschauung zu finden, die mit der vedischen und buddhistischen eng verwandt ist. Dabei dichtet er immerzu, dem Bedürfnis des Augenblicks nach, Mythen in die Natur, er fühlt gestorbene Liebe und abgestorbene Teile des Eigenen um sich in Luft und Wasser, in Blumen und Tieren, er erlebt immer neu den innigen Zusammenhang aller Dinge. Selten denkt er daran, ein schönes Gedicht machen zu wollen, und wenn er das einmal tut, dann wählt er unzweifelhaft den Hexameter dazu und quält sich mit Bildungsdingen. Aber der Dichter und Prophet in ihm äußert sich nicht in diesen Versuchen, sondern geistert in Prosa und Versen unbekümmert in heiliger Seherschaft durch ganze Bücher, in denen von der Vorrede bis zum Schlußsatz Gedanke an Gedanke hängt, in denen seine Philosophie oder Religion Ausdruck sucht und immer neue bunte Zusammenhänge schafft. Von diesen Büchern, die nicht leicht zu lesen sind, kann keine Auswahl irgendeinen Begriff geben, sie sind ebenso schlicht wie pathetisch, ebenso poetisch wie dilettantisch, sie sind Ausstrahlungen eines sensiblen Sonderlings, der einsam steht und seine Freunde unter Pflanzen und Tieren sucht und der doch mit innigster Prophetenliebe an der Menschheit hängt, ebenso Einsiedler wie Prediger. Dazwischen steht da und dort ein Vers, ein Gleichnis, ein Gedicht, ein Gedichtfragment von elementarer Schönheit – viele, viele davon sind unmöglich aus dem Zusammenhang zu lösen, – aber diese schönsten Dichtungen Wagners, zu denen er keiner Hexameter bedarf, reden nicht selten eine ungeübte und ungelenke Sprache. Es gehört wenig Witz und nur ein kleines bißchen Bosheit dazu, um in diesen Gebilden das Dilettantische zu unterstreichen; man wende statt dessen ein wenig Sinn für poetische Anschauung und ein klein wenig Liebe daran, so wird man über die rasch vergessenen kleinen Formverstöße hinweg einen Dichter finden, dessen Herz im Einklang mit der Schöpfung schlägt und der uns Dinge zu sagen hat, die der klügste Literat und der empfindlichste Ästhet nicht hat und kennt. Gedichte wie das »Im Walde« scheinen mir zu den schönsten zu gehören, die in unserer neuen Literatur überhaupt zu finden sind, in der »Totenfeier« lebt ein fabelhaft anschauungsfrohes Heidentum, und wenn »Spätes Erwachen« etwa von Lenau oder von Dehmel wäre, so bedürfte es dieser Worte und dieses kleinen Buches ja nicht mehr, um einem greisen Dichter, der in unserer Literatur bis jetzt keinen Platz gefunden hat, diesen Platz zu sichern.

Mir ist von Christian Wagner persönlich wenig bekannt. Er hat sein Leben, wenige Reisen abgerechnet, daheim als Bauer verbracht, er hat in den vierziger Jahren eine dörfliche Volksschule besucht, sonst keine, und er hat gelegentlich kleine, lokale Anerkennungen erfahren. Vor mehr als zehn Jahren verlor ich mich zum erstenmal in das urwaldhafte Schlingwerk eines seiner Bücher, es hieß »Märchenerzähler, Bramine und Seher«, und seither hat Wagner mich oft beschäftigt. Vor einigen Jahren sah ich ihn dann selbst, er besuchte mich und saß an meinem Tische, ein kleiner greiser Mann mit grauen Haaren, edler hoher Stirn und hellen, reinen Augen. Er ging mit mir über Feld, unglaublich rasch und zähe, mit aufmerksamen Augen alles und alles sehend, und da wir Abschied genommen hatten, blieb ich stehen und sah mit Rührung und Verehrung den kleinen alten Herrn mit raschen starken Schritten im Walde verschwinden wie einen Zauberer. Ich weiß im voraus alles, was Literaten und Ästheten gegen diese Dichtungen sagen können. Ich weiß, wir haben eine Menge von Studenten und sogar Gymnasiasten, die glattere und bestechendere Verse machen können. Ich nehme keine von Wagners poetischen Lizenzen in Schutz und bin ferne davon, ihm sein Bauerntum und Autodidaktentum als besondere Verdienste anzurechnen. Aber ich halte ihn für einen Dichter, wie wir wenige haben, und ich verehre ihn, nicht seiner schönen lichten Augen wegen und nicht wegen seiner rührend ehrwürdigen Greisengestalt, sondern weil hinter seinem, der Form nach fragmentarischen und zum Teil vergänglichen Werk ein tiefes, einheitliches, inniges Erleben steht, und weil ihn vom Erlernen und Üben einer völlig künstlerischen Technik nicht Bequemlichkeit oder Überhebung ferngehalten hat, sondern Unschuld und Not und das reine Bewußtsein eines inneren Berufes, der weit über das Verfassen hübscher Dichtungen hinaus führte.

Wagners Bücher heißen:

Sonntagsgänge, drei Bande (1885 bis 1890. Der dritte Band ist vergriffen.) Weihegeschenke (1893). Neuer Glaube (1894). Neue Dichtungen (1898). Ein Blumenstrauß (1906). Späte Garben (1909).

Wer sich weiter mit Wagner beschäftigen will, halte sich zunächst an seine schönsten und originellsten Bücher: Sonntagsgänge und neue Dichtungen. Letztere sind das flüssigste, frischeste, durchglühteste Buch Wagners, aus ihm stammen etwa zwanzig von den schönsten Gedichten dieser Auswahl. Der »Blumenstrauß« ist eine populäre und wenig geglückte Zusammenstellung des Lyrischen aus den früheren Büchern. Ein umfangreiches Buch über Christian Wagner hat schon im Jahr 1898 Richard Weltrich veröffentlicht.

Hermann Hesse

Gedichte


 

Spätes Erwachen

So wie ein Mensch nach lärmendem Gelag
Noch spät zu Mitternacht nicht schlafen mag
Und seine Ruh erst findet knapp vor Tag;

Und süß erst schläft beim hellen Morgenschein,
So reichte in die Jugend mir hinein
Versäumter Schlaf von einem vorigen Sein.

O wüßt ich doch, was mich nicht schlafen ließ!
Ob mich ein Gott vom Bacchanal verstieß?
Ob ich betrunken kam vom Paradies?

 

Freudenglaube

Antreiben aus des Lebens düstrem Nord
Den Nachen laß an jeden Blumenbord!
Anschwimmen auf des Lebens wirrer Flucht
Den Nachen laß an jeder Freudenbucht!
Anlanden auf des Lebens Wogenpfad
Den Nachen laß an jedes Lichtgestad!

 

Im Walde

Als ich im Wald mich erging,
Rosengeschling
Sich mir an die Kleider hing.
          O schlängest auch du
          Zu meiner Seele Ruh
          Um mich die Arme fester.
          Du Rosenschwester!

 

Dereinst

Es wird dereinst auf Erden
Noch sein ein Ruhen:
Bei vollen Truhen
Sie schlafen werden.

Es wird dereinst auf Erden
Noch sein Genügen:
In vollen Zügen
Sie trinken werden.

Es wird dereinst auf Erden
Noch sein Gewähren:
In Königsehren
Sie tronen werden.

Es wird dereinst auf Erden
Nicht sein mehr Hoffen:
Den Himmel offen
Sie sehen werden.

 

Neuschöpfung

In die ewige Ruhe, ewige Stille
Trat als Geist hinein ein Götterwille,
Und beseelt von einem mächtigen Wollen
Kam die tote Masse in ein Rollen,
Immer weiter dehnten sich die Kreise,
Stets und wieder füllten sich die Gleise,
Unabwendbar nach des Strudels Mitten
Neue Massen kamen nachgeglitten.
Immer wilder fluteten die Wogen
In den Strudel mit hineingezogen,
Immer rasender aus fernern Gassen
Jagten nach dem Strudel sie die Massen,
Bis zuletzt aus diesem großen Treiben,
Grimmig wilden Aneinanderreiben
Trat das erste Licht als ein Gefunkel,
Trat der erste Funke in das Dunkel.

 

Rosen

Dein ist alles, aller Blumen Blühen,
Wenn hervor sie aus dir selber glühen:
All die Rosenknospen auf der Erden,
Wenn sie Rosen in dir selber werden.

 

Himmelsleiter

Wie du gezeigt einst dem erwählten Knechte
In einer deiner Offenbarungsnächte
Die Himmelsleiter sich zur Erde neigend
Und deine Engel auf und nieder steigend:

So schaut noch heut der Leiter goldne Stufen
Der Auserwählte, den du hast berufen;
Ihm steigen dran auf Sprossen seliger Lieder
Die Engelsboten heut noch auf und nieder.

 

Tempel der Vesta

Deine Gottheit hat die Zeit vertrieben,
Nur das heilige Feuer ist geblieben.

Mit dem festen Mauerguß zum Grunde
Steht der Vesta einstige Tempelrunde.

Ob verschwunden auch die Priesterinnen,
Nicht erloschen ist die Lohe drinnen.

Auf sie alle, die da schönheitstrunken,
Sprühen nieder neue Feuerfunken.

Ist doch alles Göttliche und Hohe
Ein verirrter Funke dieser Lohe.

 

Meine Bitte

Zerbröckle, wenn ich tot bin, seliges Licht
Zu Werktagsschlacken mir mein Wesen nicht!

Zu duftigen Blumen in dem Lenzgefild
Und zu der Rosen liebem Schönheitsbild

Und zu der Lieder seligen Melodien,
Schallwellen, die durch Menschenseelen ziehn,

Und sie erheben in der Andacht Dom,
Wollst du verwenden jedes Staubatom!

 

Totenfeier

Auf, heran zu diesem Mutterfeiern,
      Kinder, kommt!
Tun wir, was uns selber, was der teuern
      Toten frommt:
Ihr Geburtstag ist. Nach frommer Sitte
      Schön und wahr
Bitten wir sie her in unsrer Mitte
      Kleine Schar.

Ihren Sessel rücket an die Stelle,
      Wo er stand,
Ehe noch des Auges klare Helle
      Ihr entschwand;
Bringt ihr Leibgericht und ihren Teller
      Füllet frisch,
Stellt ihr Glas mit goldnem Muskateller
      Auf den Tisch!

Also stehet: Alle Sinne schärfend
      Wie auf Wacht,
Heiliger Sehnsucht Wollen unterwerfend
      Grab und Nacht.
Wie das Taubenweibchen zwingt des Taubers
      Ruf zum Tann,
So herein sie zwinge unsres Zaubers
      Mächtiger Bann!

Ach, noch immer nicht ist sie erschienen!
      Gehn wir nicht,
Eh wir uns gelabt an ihrer Mienen
      Seligem Licht!
Ach, noch immer nicht sind wir durchgeistert
      So in Kraft,
Daß vom Grab empor, das wir bemeistert,
      Sie sich rafft.

Drum so stehet, fest und ohne Wanken
      Vollbewußt,
Duldet keinen anderen Gedanken
      In der Brust
Als den einen, sie hereinzufodern
      In den Kreis,
Laßt der Sehnsucht heilige Flamme lodern
      Voll und heiß!

Nicht der Ladung solcher Gottbefehle
      Fürder kann
Widerstreben die entflohne Seele
      Mehr sodann:
Ohne Widerstand und ohne Wollen,
      Ohne Wahl,
Taucht sie plötzlich, blauer Luft entquollen,
      Auf im Saal.

Mutter, Mutter! tönts von unsren Lippen
      In der Rund,
An dem Glase sehen wir noch nippen
      Ihren Mund:
Wiedersehenswonnen auf uns gießend,
      Heiß und kalt,
Ehe sie in leichte Luft zerfließend
      Uns entwallt.

 

Du

Da du getreten in mein Leben ein,
Da wich die Nacht dem hellen Morgenschein;
Weit offen stand des Himmels festlich Tor,
Und eine Rosenlandschaft stieg empor.

 

Wiederverkörperung

Nicht zu Grunde geht, was du verloren;
An dich tritt es, frisch und neugeboren.

All dein Wünschen, Flehen, all dein Beten
Siehst erfüllt du vor dich hingetreten.

Deine Träume, ausgeatmet, tronen
Blau und golden nun als Blumenkronen.

Deine Wünsche, ausgehaucht, bekleiden
Blumenmaidlein auf den Bergesheiden.

All dein Sehnen schmerzvoll im Gemüte
Wird zum Vogelsang und wird zur Blüte.

Lenzesfreudig steht dein einstig Hoffen
Tausendknospig der Erfüllung offen.

Und zur Seite, weithin, unermessen,
Grüßt dich alles, was du hast besessen.

 

Mann und Weib

Komm' als Priester ich zu dir gegangen,
Hast du Wein und Brod von mir empfangen,
Kannst du's wandeln in erneutes Leben,
Ihm im voraus seine Schuld vergeben.

Laß mir Priester nur die Tat des Handelns,
Heiligenbild! Dir bleibe die des Wandelns;
Laß mich Priester meines Amts gewähren,
Offenbaren sei deins und Verklären.

 

Liebe

Ach von den Blumen allen
So wenig mir mehr gefallen,
Nur Eine,
Die Holde, Reine.

Wohl, daß ich ganz
Zu meiner Nächte Glanz
Die herrliche Nachtviole
Mir hole.

 

Dichter und Muse

Und willst du Sold von mir und willst du Lohn,
So bist du Liebling nicht und nicht mehr Sohn,
So bist du Söldling nur, so bist du Knecht,
So lohn' ich dich nach Brauch und Herrenrecht.

»Und steht es so, so will ich lieber nicht« –
So sprach beschämt ich in dem Traumgesicht,
»Sold oder Löhnung, nur den einzigen Lohn,
Daß ich dein Liebling bleiben darf und Sohn.«

 

Auf das Grab eines Mädchens

Birke und Trauerweide
Umschatten beide
Dein stilles Bette,
Als ob ein Englein hätte
Flügel gespreitet,
Heut zur Geburtstagfeier
Lichtgrün fließende Schleier
Drüber gebreitet.

 

Schlummerfrist

Lüft' mir den Vorhang, daß ich möge künden
Das Schicksal derer in den Schattengründen,
Der Tausende, die täglich scheu und bang
Die stillen Todespfade gehn entlang:
Sie finden Ruhe in den stillen Hallen
Vom mühevollen bangen Erdenwallen,
Doch weil auf Erden alles endlich ist,
So muß auch enden ihre Schlummerfrist,
Denn keine Nacht ist, die da ewig währet.

Wenn alles Alte längst vergessen ist,
In der Erinnerung alles ausgewischt,
All das Vergangne völlig aufgezehret,
Dann kommt die Zeit, daß das was übrig ist
Von Lenzgefühlen wundersam durchfrischt
Als neuer Keim ins Leben wiederkehret.

 

Die Sonne

Stolze Jungfrau, strahlend schön doch spröde:
Einmal stehst du einem Mann noch Rede!

Einmal, einmal wirst du sein bezwungen
Und vom Schlackengürtel sein umrungen.

Wenn der eisige Weltenraum als Freier
Abgerissen deinen Strahlenschleier.

Oftmals noch entfliehst du seinem Minnen;
Einmal, einmal wirst du nicht entrinnen!

Einmal, einmal in des Raums Revieren
Deine stolze Jungfrauschaft verlieren.

 

Waldsee

Wie still der See, wie schweigsam die erhellten
Mattblauen Wasser hier, die leichtgewellten!

Doch aus dem Schilf des Ufers stolz gehoben
Der Iris Kronen dort so goldgewoben.

In dieses Waldsees stillem Friedenshafen
Welch müdes Kind dereinst ist eingeschlafen,

Daß diesen Lippen hier so wonniggolden
Ein Kuß blieb stehen von der Liebesholden?

Dort eine Frage, deren Mund verwittert
Als seliges Ja dem Licht entgegenzittert?

Daß diesen Ufern hier und schwanken Schaften
Solch wunderschöner süßer Traum blieb haften?

 

Steinegg

»Dies Schloß gehör' inskünftig der Gemeine!«
Ein Bote bracht' den fürstlichen Erlaß
Dem Gemmingen, der auf der Steinegg saß,
Da schlug er auf den Tisch: »Noch ist es reine!«

Auf, Knechte, auf! Macht flugs euch auf die Beine!
Ab, Ziegel ab von jeglichem Gelaß!
Ersäuft den Turm! Er werd zum Regenfaß,
Die Tore brecht und rüttelt los die Steine!

Dies Haus vermach ich Eule, Fledermaus,
Den Hof vermach ich Eichbaum und dem Flieder,
Die Hallen, Gänge jedem Wettergraus!

Ich überliefr' es jedem Mißgefieder,
Eh mir ein frecher Schneider schaut heraus,
Ein Bürstenbinder oder Seifensieder!«

 

Rose

Neid' ich doch in deinem Strahlenlose
Schöne dich, gebenedeite Rose!

Mir hinunter sind der Liebe Sterne;
Möchte erdenselig doch so gerne

Selbst einmal in diesen Junitagen
Rosenfreudig deine Fackel tragen,

Selbst einmal in diesen grünen Tennen
Rosenrot in mildem Licht verbrennen.

 

Abgemäht

Die schönen Blumen sind abgemäht,
Ein einsam Blümlein noch drüben steht,
Es ist eine Nelke
Fast welke.

Die Lieder blumen im Herzen fort –
Ach freilich, es stehet noch eine dort,
Doch diese, ich kanns nicht fassen,
Ist im Erblassen.

 

Traum

Lieblingsgerüche der längst entschlafenen Mutter, der Nelk' und
Nachtviol' köstlicher Duft durchströmte das ärmliche Stübchen,
Und ich gedachte, wie sie geliebt einst die duftigen Blumen.
Siehe, da trat sie mir selbst voll aus dem Rahmen des Bildes
Jetzt im Traume. O nimm mich mit! so fleht ich, du kommst ja
Einzig zu holen mich doch? Satt bin ich des Lebens, der Erde!
Liebreich, aber doch stumm erst schüttelnd das Haupt nun begann sie:
Nicht so verzaglichen Muts! Zu höheren Ehren gelangst du
Sohn einst. Wisse es: nicht entziehe dich göttlichem Auftrag;
Hoffe und harre der Zeit! – Hin schwand sie, die Selige. Süßer
Duftete dort aus dem Glas am Fenstergesims die Viole.

 

Anemonen am Ostersamstag

Wie die Frauen
Zions wohl dereinst beim matten Grauen
Jenes Trauertags beisammen standen,
Nicht mehr Worte, nur noch Tränen fanden,

So noch heute
Stehen, als in ferne Zeit verstreute
Bleiche Zionstöchter, Anemonen
In des Nordens winterlichen Zonen.

Vom Gewimmel
Dichter Flocken ist ganz trüb der Himmel.
Traurig stehen sie, die Köpfchen hängend,
Und in Gruppen sich zusammendrängend.

Also einsam,
Zehn und zwölfe hier so leidgemeinsam,
Da und dort verstreut auf grauer Öde,
Weiße Tüchlein aufgebunden jede,

Also trauernd,
Innerlich vor Frost zusammenschauernd,
Stehn alljährlich sie als Klagebildnis
In des winterlichen Waldes Wildnis.

 

Einer Jugendgespielin

Meiner andern Seele in der Ferne,
Meiner Hälfte, die einst fuhr von hinnen,
Deren ich mich dunkel kann entsinnen,
Die ich wiedersehen möcht' so gerne,

Meiner Hälfte, die von gleichem Kerne,
Meine Lieder gelten und mein Minnen –
Werden je sie einst zusammenrinnen,
Sie die Bahnen unsrer Doppelsterne?

Bleiben wohl der Einstgetrennten Kreise
Ewig stets in gleicher Ferne stehn?
Nähern niemals sich der beiden Gleise?

Und die Einung, wird sie nie geschehn?
Oder wird nach Doppelsternenweise
Eins ins andere fallen und zergehn?

 

Rosen im Garten

Ihr Rosen in meinem Garten,
Ihr Rosen möget nicht warten
Auf eine trautere Stätte
Als mir am Herzen; – denn hätte
Jedes die Rosen des andern
Bei seinem Seligkeitswandern
In längst entschwundenen Tagen
Nicht schon am Herzen getragen?

 

Unsterblichkeit

Einsam wandelt durch den Wald ein Alter,
Um ihn schweben blau und goldne Falter.

Einstger Träume himmlisches Verjüngen
Schaut er hier in diesen Schmetterlingen.

Einstger Jugend selige Gedanken
Grüßen ihn aus diesen Rosenranken.

Einstger Kindheit unschuldvolle Wonnen
Winken ihm aus diesen Blumensonnen.

Seines Eig'nen freudiger Auferstehung
Schaut er zu von seiner Menscherhöhung.

Und ihn selber in geschlossener Haltung
Grüßt sein Einst als Auseinanderfaltung.

 

Der gefällte Wald

Wo sie den heiligen Eichenwald gefällt,
Da stehen Stümpfe, ringsum Stock an Stock,
Und Pilze sind auf dem und jenem Block
Als irdne Tränenschalen aufgestellt.

Und Tau und Regen füllt sie spät und bald,
Und wenn das Wetter hier vorüber rollt,
Hier mehr als sonst des Donners Bannfluch grollt,
Hier mehr als sonst der Blitz durchzuckt den Wald.

Wie einen Kaiser einst ein altes Weib,
So hält geringes unscheinbares Moos
Mitleidig nun als Leichen in dem Schoß
Der Wälderfürsten wunden Heldenleib.

Wie Sterbgestöhne hallt's aus dem Geäst –
Und da und dort schleicht einer stumm vorbei,
Und lauscht des Regens Trauermelodei
Und hört die Vögel klagen aus dem Nest.

 

Syringen

Fast überirdisch dünkt mich euer Grüßen,
Syringen ihr, mit eurem Duft dem süßen.

Nach Geisterweise weiß ich ihn zu werten:
Er ist ein Duftgesang mir von Verklärten.

Gott, wie ich doch in dieser blauen Kühle
Der Blumenwolke hier mich wohlig fühle!

Süß heimlich ahnend, was hinein verwoben,
Wie fühl ich mich so frei, so stolz gehoben!

Bin ich es selbst, des einstig Erdenwesen
Nun auch einmal zu solchem Glanz genesen?

Sind's meine Lieben, die, ach längst begraben,
In diesen Düften Fühlung mit mir haben?

 

Blumen neben dem Krankenbette

Gartenwinden strahlig und geflammt,
Eingefaßt von blauem Seidesammt,
Braune Nelken, brechend aus der Hülle
Ihrer Kelche in der Düfte Fülle.

Ringelblumen so wie Flittergold,
Das die Julisonne aufgerollt,
Bohnenblüten an des Zweigs Geschwinge
Scharlachrote kleine Schmetterlinge.

Gartenwicken, himmelblau beschwingt,
Wie ein Falter, der zum Himmel dringt,
Hehr und glanzvoll seine Flügel spaltet,
Wieder sie zur Ruh zusammenfaltet,

Standen da vor mir in einem Glas,
Da ich krank in meinem Bette saß:
Mußte nicht frisch Leben sich entfachen
Bei dem Segnen dieser Blumenwachen?

 

Die Geschlechter

Ist dies nicht ein frevles Schicksalswalten,
Menschtum in zwei Teile zu zerspalten?

In zwei blutige Hälften zu zerreißen,
Eine Mann, die andre Weib zu heißen?

Beide voll von heißem Sehnsuchtsdrange,
Sich zu finden auf des Lebens Gange,

Ich dem Ich zur Opfergab' zu bringen? – –
Ach wie wenigen, wenigen mags gelingen,

Ohne Losung, Fährten oder Spuren
Sich zu finden auf des Lebens Fluren!

Selige Kindheit, die nicht kennt die Wirren,
Nicht der Liebe grausam töricht Irren!

Selige Blume, die nichts weiß vom Fluche
Lebenslanger und vergebener Suche!

 

Auf einem Wiesenpfad, der voll Blumen steht

Wandrer, stehe! Kennt dein harter Sinn
Kein Erbarmen mit den holden Kleinen?
Blicke tiefer in ihr Auge hin
Und die ihren blicken in die deinen.

Und ist nicht dein Fuß wie festgebannt,
Wenn sich bittend ihre Häupter regen?
Wandrer, stehe, dies ist heiliges Land!
Wandrer, kehre, geh auf andren Wegen!

 

Wiederkehr

(Oswald an Klara)

Gott, wie oft im Lauf der Ewigkeiten
Mögen wir die Lüfte noch durchgleiten;

Bald als schlichte, fromme Wallfahrtsgänger,
Bald als hehre, gottgeweihte Sänger.

Heute arm in grauem Hausgewande,
Morgen reich in goldnem Farbenbrande.

Schweifend, schwebend über Fels und Klippe. –
Hier gereiht der stolzen Schwanensippe,

Dort geschuppt im Kleid der Schmetterlinge,
Mit dem Goldsaum, mit der Pfauenschwinge. –

Heute fern auf heilgem Ostlandsboden
Überschauend Tempel und Pagoden.

Morgen neu in Westlands Geißblattlauben
Liebestammelnd im Gewand der Tauben.

So von Süd nach Nord, von West nach Osten,
Möglichst viele Seligkeit zu kosten!

 

Herbstwiese

Herbstwiese meiner Seele! Öd und kahl
Und ausgebrannt von heißer Tage Föhn.
Wie anders die, die ich geschaut im Tal
Von Herbstzeitlosen prangend, rosenschön.

Herbstwiese meiner Seele! Ohne Tau,
Und deine Weidenbäume ohne Schlaf.
Wie anders die, bei deren Rosenschau
Mich schmerzlicher die eigne Oede traf!

 

Adoption

Da wir begraben unser einzig Kind,
Da kinderlose Gatten wir nun sind,
So nehmen wir auf der noch kurzen Bahn
Ich dich, du mich an Kindesstelle an.

Du, teure Gattin, seiest nun dafür
Jetzt eine liebe fromme Tochter mir!
Nimm, liebe Gattin, mich dafür als Sohn
Für diesen an, der dir so früh entflohn.

 

Parsen

Wenn die Augen wir geschlossen, wir der Erde reinste Gäste,
Parsenbrüder, Lichtgenossen, bringt uns hin zur heiligen Feste!

Legt uns, legt uns Haupt und Füße so nach West und so nach Osten,
Daß der selige Tag uns grüße, frei das ewige Licht wir kosten!

Nicht in Höhlen, nicht in Klüfte, nicht in kühler Erde Gräber,
Nicht in Särge tief in Grüften betten ein sich fromme Geber.

Ob des Gitters rostigen Maschen bloß die Brust und nackt die Glieder,
Legt uns, legt uns frisch gewaschen auf den Turm des Schweigens nieder!

Daß von fern uns schon erblicken die beflügelten Bestatter
Daß die Erde uns nicht drücken möge, legt uns hin aufs Gatter!

Sieh, sie nah'n schon mit Gekreische, sie, der Vögel dunkle Scharen,
Um mit Fleisch von unsrem Fleische auf das Meer hinaus zu fahren.
Um mit Blut von unsrem Blute farbeprächtig aufzuglimmen,
Um mit Gut von unsrem Gute längs der Küste hin zu schwimmen.

Reinen Vögeln übergeben ihren Leib die Sonnenbrüder,
Daß ein frommes Pilgerleben bring' der nächste Tag schon wieder!

 

Berufung

Laß hinter dir die Heimat, die dich quält
Und nicht den Geist begreift, der dich beseelt!

Laß hinter dir die Arbeit, die dich bückt,
Und deine Frohne, die dich niederdrückt!

Laß hinter dir das Dorf, drin du geweilt,
Das nichts mit dir als Irdisches geteilt!

Laß hinter dir das alles! rufet stets
Der Geist in mir, und in die Welt mich weht's.

 

Wiedereinung

Alle Teile, die von mir sich trennen,
Ein Bestreben, einen Wunsch nur kennen:

Sich aufs neue wieder nun zu einen
Mit der Hingeschiednen, mit der Reinen.

Daß gefunden sich, daß sich getroffen
Die Atome wieder, darf ich hoffen.

Daß vielleicht im Falter sie mit Wonne
Dort umschweben jene Blumensonne.

Daß vielleicht, nur meinem Aug' verhehlet,
Sie als Waldesvöglein sich vermählet.

Daß vielleicht in jenem Laubgeranke
Sich geeignet ihr und mein Gedanke.

Schmerzlich nur, daß ewig bleibt verhüllet
Jeglich Schauen, das die Sehnsucht stillet.

Traurig wohl, daß ewig uns verschlossen
Bleibt Erkennen unsrer Ichgenossen.

 

Auf heiligen Pfaden

Wehmütig stimmt mich Pilgernden der Wald:
Er noch so frisch, und sie gewelkt so bald.

Rotröslein ihr im schattigen Eichenhag:
Hinunter ist des Liebens seliger Tag!

Erdbeeren ihr im moosigen Föhrengrund:
Gott, modert nicht im Grab ihr süßer Mund?

Ihr Blümlein all so weiß, so blau, so rot!
Wie mögt ihr blühen, da die Liebste tot?

 

Freitod

Was gibt dem Leben erst die rechte Weihe?
Das Sterben ist's, das selbstgewählte, freie.

Der Vorsatz stolz, sich von dem Stoppelweiden-
Auftrieb der Herden einmal auszuscheiden.

Das Hürdentor der Freiheit mit dem bloßen
Und unbeschützten Fuße aufzustoßen.

Schlafmütige Daseinslust in blödem Herzen
Durch frisches Handeln kräftig auszumerzen.

Freitod! Wer hat zuerstmals dich erfunden?
Ein Göttersohn, ins Sklavenjoch gebunden,

Der, als ihn holten des Tyrannen Boten,
Die Ketten schlug ins Antlitz dem Despoten.

 

Zitronenfalter

Du so schwebend über sonnigen Hügeln,
Falter hier mit den Zitronenflügeln,

Sag, ob du erkannt mich als Bekannten,
Vater, Gatten oder sonst Verwandten,

Daß du scheue Flamm' dich konnst erdreisten,
Magisch dreimal um mich her zu geisten?

Kommst du her von höhern Regionen,
Wo die Frommen, wo die Seligen wohnen,

Um verwandelt so im Wald der Buchen
Mich und heilige Stätten aufzusuchen?

 

Erinnerungen hinter der Erinnerung

Strahlt nicht auf mitunter, so zu Zeiten
Kunde her von unsern Ewigkeiten?

So urplötzlich und so blitzesschnelle
Wie die blanke Spieglung einer Welle?

Wie die ferne Spieglung eines bunten
Kleinen Scherbens an dem Kehricht drunten?

Wie die rasche Spieglung einer blinden
Fensterscheibe am Gehöft dahinten?

Die metall'ne Spieglung einer blanken
Pflugschar drüben an der Wiese Schranken?

Augenblicks mit Licht dich übergießend,
Augenblicklich in ein Nichts zerfließend?

 

Zuviel

Zuviel der Grüße sinds, die mir begegnen,
Der Blüten, die auf mich herniederregnen.
Zuviel der Rufe sinds, die um mich schallen
Bei meinem Lustgang durch die Waldeshallen.
Zuviel des Sanges ist's, den zu erwidern
Ich nicht vermag in meinen Frühlingsliedern.
Zuviel der Strahlen sind's, zuviel der Sonnen,
Der Wunderblumen und der Wunderbronnen,
Zuviel des Schönen, das ich nicht kann fassen
Und traurig nur muß wieder schwinden lassen.

 

Tausendmale

Tausendmale werd ich schlafen gehen,
Wandrer ich, so müd und lebenssatt;
Tausendmale werd ich auferstehen,
Ich Verklärter, in der seligen Stadt.

Tausendmale werde ich noch trinken,
Wandrer ich, aus des Vergessens Strom;
Tausendmale werd ich niedersinken,
Ich Verklärter, in dem seligen Dom.

Tausendmale werd ich von der Erden
Abschied nehmen durch das finstre Tor;
Tausendmale werd ich selig werden,
Ich Verklärter, in dem seligen Chor.

 

Eine Apotheose

Armes Mägdlein hier in Stall und Scheuer,
Aschenbrödel bei dem Küchenfeuer,
Findling, Nickel, braunes Gänsehannchen,
Aufgezogen von dem Bachsusannchen,
Nesseln schneidend einst am Gartenhage,
Alles tragend ohne Groll und Klage,
Schwebt befreit von bittrer Armut Fesseln
Hier als Pfauenauge ob den Nesseln.

 

Im Tannwald

Unheimlich hört sich an im Wald das Knarren
Der Tannen, die, von andern überhangen,
Hinauf zum grauen Abendhimmel starren.

So stört in Nächten oft, in kummerbangen,
Der Schlafende den andern durch ein Schnarren
Und seltsam Rufen, wirr im Traum begangen.

 

Im Erlengrunde

Nacht ists, still, kein Vogel will sich regen,
Leise rauscht's jetzt her von allen Wegen,

Durch den Wald herab her von der Straße,
Durch das Tal herauf am Bach im Grase,

Sammeln sich dort auf der freien Stelle
In der Waldschlucht bei der Fackel Helle.

Dort erkennen die zerstreuten Glieder
An dem Bruderkuß die Glaubensbrüder.

Und ein Knecht des Herrn, dem Schwert entronnen,
Hat voll Andacht ein Gebet begonnen:

Auf dem Baumstumpf stehen Kelch und Schale,
Kommt herbei, herbei zu seinem Mahle!

Eßt das Brod, er gab für euch sein Leben,
Trinkt sein Blut, für euch im Tod gegeben!

Laut und lauter singt die Schar der Brüder
Todesmutig eins der Glaubenslieder.

Und der Priester spricht zum Schluß den Segen,
Jedes nimmt noch einen Kuß entgegen.

Schritte rauschen um die Mitternachtstunde
Durch die Wege längs dem Erlengrunde.

 

Nachtkerzen

Aufgebunden drüben ist der Haber,
Aber leuchtend so wie Kandelaber

Stehen Blumen hier, mit heilgem Feuer
Zu erhellen dieses Steingemäuer;

Stehen Blumen hier, in finstern Nächten
Krieg zu führen mit den Dunkelmächten.

Als des Lichtgotts treue Priesterinnen
Stehen sie, die Leuchterträgerinnen,

Zu erhellen diese dunkeln Pfade,
Und daß keiner, keiner nehme Schade

Von den Schnittern allen, von den frommen
Garbenbindern, die vorüber kommen.

 

Sternuntergang

Wieder ist aus ihrer Bahn gestoßen
Eine Welt von einem Namenlosen,

Wieder sie von ihren Lebewesen
Reingefegt mit einem Flammenbesen.

Sieh, der Anprall drängt sie zur Spirale,
Wieder geht's mit einer Welt zu Tale,

Wieder gehts in lichterfüllter Kläre
Hin den Weg zur Sonnenatmosphäre.

 

Victoria regia

Aus des Südens Sonnenwelt, der heitern,
Lasset heute, engen Blick zu weitern,

Her uns tragen auf des Wunsches Flügel
Amazonas weite Wasserspiegel.

Auf die Lichtung fällt der Urwaldschatten,
Auf die Fluten rings, die sonnensatten.

Mach ihn los, den Kahn, und faß ein Ruder,
Farbiger Genosse du und Bruder!

Nein, wir reiten auf der Blume Rücken,
Laß besteigen uns die Rosenbrücken!

Und besinn dich, wann zum letzten Male
Wir gerudert solche Blätterschale?

Sag, wann war es, daß auf gleicher Fähre
An wir legten an dem Palmenwehre?

Und gelandet in den Ewigkeiten
Schon einmal an solchen Uferbreiten?

 

Duft und Töne

Von der Sprache
Auf der Sterne
Weiten Gründen,
Will ich schwache,
Will ich ferne
Botschaft künden.

Nicht in Worten
Hart und spröde
Ohne Schöne,
In Akkorden
Klingt die Rede
Ihrer Söhne.

Hoch in vollen
Süßen Tönen
Auf und nieder,
Wogt ihr Wollen
Und ihr Sehnen
Hin und wider.

Hin in trauten
Harfenklängen
Abwärts schwebend,
Her in trauten
Duftgesängen
Antwort gebend.

Und so fragend
Und so bringend
Kehren wieder,
Antwortsagend
Fragesingend
Duft und Lieder.

 

Distelhäupter am Weg

So wie sich Greise ergehn beim Sonnschein abends, so stehen
Distelhäupter am Weg. Weit glänzt ihr silbernes Haupthaar.
Leicht mag ihnen der Tod wohl werden, wenn nächstens das große
Sterben beginnt in Wald, auf Feldflur, Heide und Talgrund.

 

Spanische Weinstube

Ach, für meines Lebenstisches
Öd Getreib in Stall und Scheuer
Wünscht' ich einmal mir ein frisches
Ritterliches Abenteuer.

Und »Alonso Pedro Vega«
Stand an einer Wand zu lesen;
Eine spanische Bodega –
War noch niemals drin gewesen.

Schmachtend schaut' ich nach Lenora,
Die mir füllen sollt' den Becher,
Gott, wo ist doch die Sennora
Mit Mantilla und mit Fächer?

Was ich sah, war gar nicht spanisch:
Eine Magd mit Sommersprossen,
Hochgeschossen, blond germanisch,
Reichte mir den Wein verdrossen.

Und umher auf steifen Stühlen,
Voll Grandezza und Bedeutung,
Masken ohne menschlich Fühlen,
Las ein jeder in der Zeitung.

Von der Bank rafft' ich mein Bündel,
Zu entfliehen dem Gelasse;
»Heillos spanisches Gesindel!«
Rief ich draußen auf der Gasse.

 

Blühender Kirschbaum

Ungezählte frohe Hochzeitsgäste,
Groß und kleine, einfach' und betreßte,
Herrn und Frauen, Edelfräulein, Ritter,
Ungezählte Väter wohl und Mütter,
Ungezählte Kinder, Großmatronen,
Jägerinnen viel und Amazonen,
Freche Dirnen auch mit Ernsten, Frommen
Auf dem Edelhof zusammenkommen.

Ungezählte bräutlich schöne Zimmer,
Da und dort wohl mädchenhafter Flimmer,
Ungezählte rosige Hochzeitsbetten
Und daneben traulich traute Stätten,
Rosenfarbig ausgeschlagne Stübchen
Für die Harfnerinnen und Schönliebchen,
Ungezählte Schalen mit Getränken,
Ungezählte Köche wohl und Schenken,
Ungemessner Raum zu freiem Walten
In dem Hochzeitshause ist enthalten.

Ungezähltes Kommen oder Gehen,
Abschiednehmen, Kehren, Wiedersehen,
Essen, Trinken, Tanzen, Liebesgrüßen,
Liebgewordenes umarmen müssen,
Ungezähltes inniges Umfassen,
Götterfreies Sichgewährenlassen,
Ungezähltes Leid und Selbstvergessen
In dem luftigen Saale – währenddessen
Ungezählte selige Minuten
An dem Freudenheim vorüberfluten.

 

Jahreszeiten

Schön wohl ist es im Lenz, wenn weithin im sonnigen Walde
Die Anemonen erblühn, noch schöner im Herbst, wenn die Nelke
Rosengewölke gesenkt ringsum auf Grasflur und Lichtung.
Aber die wonnigste Zeit und Festtagswoche des Jahres
Ist, wenn die Rose erglüht am sonnigen Rain und am Feldhag
Und wie ein Liebchen mich grüßt, großäugig, herüber vom Waldsaum.

 

Müdigkeit

Am Wege stand ein dürres Scheitermaß
Ganz überwuchert schon von Busch und Gras,

Ganz jedem Frost und Regen ausgesetzt; –
Was suchst du Besseres, töricht Herz, anjetzt?

Bist du nicht selbst jetzund ein dürres Scheit,
Zurückgelegt für eine künftige Zeit?

 

Anemonen

Sag, woher kommen
Die schönen, die frommen,
Die Tausend und Abermillionen
Weißgekleideter Anemonen?

»Wir sind die Kindlein, die abgeschieden
So frühe hinieden;
Nun wohnen wir oben
Im Vaterhause da droben.«

Was tut ihr nun hier
Im Waldesrevier,
Ihr lieblichen Kleinen
Beim Frühlingserscheinen?

»Drum dürfen wir fort,
Jedes an seinen Heimatort;
Auf Ostern da wird Vakanz gegeben,
Drei Wochen lang welch ein Freudenleben!«

»Und drum sind wir hier
Im Waldesrevier
Alle weiß gekleidet. Mägdlein wie Söhnlein
Mit goldenen Krönlein.«

 

Sünderinnen

Euch schönen Sünderinnen meinen Gruß!
Euch die ihr zitternd und voll Liebesbangen
Gestillt der Liebe stürmisches Verlangen
Und Lipp' um Lippe botet für den Kuß
Und der Umarmung seligen Genuß.

Euch schönen Sünderinnen tränenfeucht
Will ich als Priester Gottes hier verkünden
All die Vergebung eurer Liebessünden;
Weil ihr dem Dürstenden so gern und leicht
Den schaumbenetzten süßen Kelch gereicht,

So tilg' ich mit dem Kelche des Vergebens
Von euren Lippen alle Schuld des Lebens.

 

Geburtsweihe

Nun du wieder kamest nach der frommen
      Süßen Rast,
Sei willkommen uns, o sei willkommen,
      Kleiner Gast!
Glück und Segen mögen dich geleiten
      Um und an,
Noch hast du den Blick in ferne Weiten
      Nicht getan.

Hier die Brote, dort des heiligen Weines
      Fromm Getränk:
Laßt uns feiern heut der Gottheit reines
      Weihgeschenk,
Und indem dein Bettlein wir umwandern
      Schritt für Schritt,
Bring ein jedes von uns einen andern
      Wunsch dir mit.

Ja und Amen denn! Zum Schluß des Ganzen
      Nicht vergeßt
Auch ein kleines Bäumlein ihm zu pflanzen
      Heut zum Fest.
Um das Bettlein eine Blättergarbe
      Walle kühn,
Daß dem Auge ewig heilige Farbe
      Sei das Grün!

 

Betrachtung

Und der Bramine sitzt am See und sinnt,
Schaut stundenlang, indes die Zeit verrinnt,
Der Lotosblume Gottesangesicht
In süßen Träumen, und ergründet's nicht.

 

Die Störche

Mutter, die Störche sind da! So jubeln herein in die Stube
Heute die Kinder, es steht dampfend das Essen bereit.
Kaum sie es achten, es ist ein jegliches satt von der Botschaft:
Da sind die Störche! – Hinab polterts der Kirche nun zu.

 

Ode

Ringsum nichts als bleiche Heidebinsen,
Schwarze Tümpel, grüne Wasserlinsen.

Einer Föhre halbgebrochne Äste,
Auf zum Himmel streckend kahle Reste.

Über mir des Himmels grau Gewölbe,
Bachentlang so weidengrau die Felbe.

Ach wie kann in diesen Nebeltalen
Erd' und Himmel mein Geschick mir malen;

Gleich' ich selber doch in meinem Leide
Diesem dürren Föhrenbaum der Heide.

 

Holderbaum

Was kündet dir von ihrem Baum Frau Holle?
Das reinste Glück hängt an der Heimatscholle.

Aus diesem Baume sprechen deine Ahnen,
Sie wollen dich zum Bleiben hier gemahnen.

Das Vaterhaus, von Holder übersponnen,
Wird bergen dir den reichsten Liebesbronnen.

Dies niedre Dach, verhängt von Blütendolden,
Gerät dir wohl zu einer Halle golden.

Denn nicht die Arbeit birgt sich drin von heute,
Auch des Vergangnen ferne Siegesbeute.

Es haust ein Ahnherr drin, ein grauer Alter,
Es wohnen Geister drin als Hausverwalter.

Was das Geschlecht zusammen sich gewoben,
Dir, ihrem Enkel, ist es aufgehoben.

 

Jegliche Blüte

Sage mir, ewiges Licht:
Ist nicht
Jegliche Blüte
Eine zur Wiedererscheinung gelangte Mythe?
Jegliche Rose
Eines verachteten Dornstrauchs Apotheose?

 

Am Fensterbrett

Ob am Fensterbrett wir Nelken stehn,
Frische Luft und Morgentau zu saugen,
Oder braun und blaue Mädchenaugen
Durch die Scheiben auf die Gasse spähn.

Ob am Fensterbrett wir Nelken blühn
Voll entströmend unsre Duftgesänge,
Oder ob der Spinnerinnen Klänge
Süß und klangvoll durch die Nacht verglühn,

Wessen Geist als Wunderflocken auch
Uns verstreute auf die Erdenhügel;
Flocken sind wir von dem gleichen Flügel,
Stimmen sind wir von dem selben Hauch.

 

Amphitheater in Pompeji

O sieh, o sieh: Den mordbefleckten Boden
Hat übersponnen ganz die weiße Winde,
Als wolle sie hinweg die Blutsaat roden.

Gelungen ist dem frommen Ackerkinde
Es zu entsündigen, das Feld der Toten
Mit seiner Ranken weißer Priesterbinde.

 

In Pompeji

Von der alten Säulen Architraven,
Von der Mauer ungezählten Ritzen,
Alle, alle, die sich hier einst trafen,
Kommen her zu ihren alten Sitzen.

Zu Lacerten, die vorüberblitzen,
Sind verwandelt Freie nun und Sklaven;
Goldiggrün die kleinen Köpfchen glitzen,
Bis sie neu zu Menschen sich geschlafen.

 

Rat

Für des Glückes freudigen Sonnenschein
Magst du sein als wie ein Edelstein;
Für der Freude seligen Wonnestrahl
Magst du sein als wie ein Lichtopal.

Nichts behalte von dem eig'nen Glück,
Siebenfältig strahle es zurück,
Nichts behalte von dem eig'nen Glanz,
Siebenfältig strahle aus ihn ganz!

 

Land und Meer

Baue deine Wohnung, daß du schauest
Bei dem Sonnenaufgang übers Meer,
Daß dir werde deine Seele hehr,
Du an seiner Hoheit dich erbauest.

Baue deine Wohnung, daß du blickest
Bei dem Sonnenuntergang aufs Land,
Daß du an dem blumigen Gewand
Seiner holden Schönheit dich erquickest.

Daß dir Stärkung werde in der Frühe
Und Erhebung bei dem Wellenschlag,
Daß beim Schauen auf den Blumenhag
Du vergessest deine Tagesmühe.

 

Kannst du wissen?

Kannst du wissen, ob von deinem Hauche
Nicht Atome sind am Rosenstrauche?
Ob die Wonnen, die dahingezogen,
Nicht als Röslein wieder angeflogen?
Ob dein einstig Kindesatemholen
Dich nicht grüßt im Duft der Nachtviolen?

 

Die Gezelte seliger Wesen an dem kristallenen Strome der Vollendung

An den Wasserbrunnen und im Schatten,
Auf dem Teppich bunter Wiesenmatten,
Wie hinieden wohl beim Frühlingslichte
An den Wassern die Vergißmeinnichte,

Lagern sie, die himmelblauen Zelte;
Keine Hitze trifft sie, keine Kälte,
Die dem Staubesmühsal neu entronnen,
Wohnen an den Lebenswasserbronnen.

An dem Strome, dem kristallnen, frischen,
Den mit Freudentrank besetzten Tischen
Goldbesäumter Zelte, so wie Sterne
Hingesät in blaue Himmelsferne.

 

Das Blümlein Rührmichnichtan

Zum Walde wandl' ich, wo aus der Ruine
Der Klause sprießt die wilde Balsamine.

Da grüßt mich fremd ein scheues, früchtegelbes
Rührmichnichtan aus Trümmern des Gewölbes.

Aus ihm heraus hör ich den Alten sprechen:
»Rührt mich nicht an, Ihr Neuerer, ihr frechen!«

»O rühret nicht an der Gelübte Fessel,
»Rührt uns nicht an!« warnt dort die Waldesnessel.

O stört uns nicht in unsrer Totenhalle,
Laßt toben eure Welt hinab zum Falle!

Erstanden nun als Blumen neu hienieden,
O stört uns nicht in unsrem Blumenfrieden!

 

Mahnung

Halt die Mahnung fest dir im Gemüte:
Breche nie ein Wesen in der Blüte!
Brich es nicht in seinen Wonneträumen,
Wenn du brechen mußt, so magst du säumen,
Bis es alt und bis es morsch geworden;
Willst du dann es brechen oder morden,
Wird es dir den Raub von kahlen Resten
Eh'r verzeihn als den von Blütenästen.

 

An die Nacht

Nicht nahst du mir, als wollst du mich bedienen
Schön abendgoldig mit Verheißungsmienen,
So wie du rufst den Säumigen zum Hafen
Der Friedensstätte, da die Seinen schlafen,
So wie du rufst den Liebenden zum Bette
Der Braut, daß er den Nacken ihr umkette,
Nicht wie du nahst auf seidenweichen Sohlen
Den Orchistöchtern und den Nachtviolen, –
Nein, wie ein stumm Gespenst so grau und hager
Trittst du herein und stellst dich vor mein Lager,
Und ob der traute Schlaf mir möcht' erscheinen,
Du hältst ihn fern mit deinen Spinnenbeinen,
Und ob der Traum mir ließ ein Kleinod spenden,
Zu Truggold wird's in deinen Zauberhänden.
Aus dieser Arme schaurigem Umfangen
Raff ich empor mich bei des Morgens Prangen,
Und freudig grüßt mein Aug dich als Befreier
Aus diesem Zaubernetze: Tag, du neuer!

 

Im Mai

Denn weil nun alles was da grünet
Ist von dem Erdenfluch entsühnet,
So weint die Föhre Freudezähren
Ob des Erlösers Wiederkehren,
Und jubelnd grüßen in dem Wald
Ihn tausend Sänger alsobald. –
Die grünen Blättlein auf der Halde,
Das Frühlingslaub im Birkenwalde
Verkünden dir auf Schritt und Tritt
Daß die und jene Schuld sei quitt;
Und wenn im Sommer sie in sattern
Und üppigeren Farben flattern,
Ist jedes Blatt an Quittungsstatt
Ein durchgestrichnes Schuldbuchblatt. –
Weißt du warum im hohen Norden
An seinen felsigen Fjorden,
Auf seinen Bergen seinen hehren
Nur Tannen wachsen und nur Föhren?
Allwo der Sommer ist so kurz
Als wie der Felsenquelle Sturz,
Da muß das ganze Jahr was grünen
Daß still nicht stehe das Entsühnen.

 

Chrysaliden

Und an den Zweigen, den Ästen, den Kopf tief unten,
Hängen zu Tausend, Tausend, die glänzend bunten
Chrysaliden
Im Werdefrieden ...
Bis der schön bläuliche Tag
Leuchtet über die Berge
Und am Euphorbienhag
Sprenget der Puppen Särge.

 

Vereinsamt

Ich hatte einst viel Sterne
In meiner Nacht,
Die glänzten nah und ferne
In goldner Pracht.

Ich hatte einst meine Sonne,
O schöner Tag,
Da noch in himmlischer Wonne
Die Welt mir lag!

Die Sonne sank in der Ferne,
Eh ichs gedacht,
Wo bleiben die Sterne, die Sterne
In meiner Nacht?

Ein Stern mit feurigem Schweife
Blutig und leer
Geht noch in einsamer Streife
Irrend umher.

Siehst du die blutige Leuchte
Dort in der Fern,
Die mir die Lichter verscheuchte?
Das ist mein Stern.

 

Auf der Lichtung

Sommermittag auf dem Hochwald brütet,
Aber auf der Lichtung, treu behütet
Vom Geflechte dunkler Brombeerranken,
Wachen auf des Waldes Lichtgedanken.

Falter sind es, die so farbenprächtig
Auf der Lichtung, sonnig halb und nächtig,
Diese Brombeerblüten still umbeben,
Purpurdisteln geistergleich umschweben.

Sagt mir an, ihr stillen Geisterfalter
Auf der Lichtung: Wie viel Zeitenalter
Ihr im Banne laget bei den Toten,
Eh ihr wurdet solche Wunderboten?

 

Zeitlosen

Es muß schon spät sein, spät sein in der Nacht,
Daß sich die Spinnerinnen fortgemacht;
Die Knaben und die Mädchen und das Kind
Längst in die Kammer schlafen gangen sind.

Nur zwei der Kinder haben keinen Schlaf,
Sie spielen noch mit Schäfer und mit Schaf;
Doch Mutter löscht das Licht, und so allein
Will keines mehr am Tisch das Letzte sein.

Die Spinnerinnen, die soeben fort,
Zeitlosen sind es, die verwelkt, verdorrt;
Die Kinder, die vom Spiel nicht wollen gehn,
Sind Glockenblümchen, die am Hage stehn.

 

Ewigkeitsleben

Vergangenheit und Zukunft bunt gemengt,
Die Gegenwart zuweilen eingesprengt,
Der Nähe Bild sowie der fernsten Zeiten,
Ein bunter Farbenstreif der Ewigkeiten.

 

Schmetterlingspuppen

Nicht wie sonst in dumpfe Grabesbaue,
Nein! gehängt an schlanke Seidentaue,

Weich umspielt von süßen Blumendüften,
Frei sich wiegend in den sanften Lüften,

Schlummern sie in ihren Grabeslinnen,
Diese Schläfer, diese Schläferinnen,

Bis erwachend frei im Morgenscheine
Sie entfliehn im Glanz der Edelsteine.

 

Gewährung

»Verhülle, Nacht, was dieser Tag getan!
Zerstreue, Licht, das Leid, das sie gebracht!« –
Es ließ der Tag sich schön und freundlich an,
Und still verschwiegen ließ sich an die Nacht.

»Bestatte, Schnee, was dieses Jahr uns nahm!
O heile, Lenz, was jüngst uns wiederfuhr!« –
Mit weißen Tüchern frisch der Winter kam,
Und über Nacht ward grün die weiße Flur.

 

Gott spricht

O heilig, heilig seid ihr, tretet näher,
Ihr Dichter und Propheten und ihr Seher!
Entdecker, Träger meiner Gottgedanken,
Der rohen Menschheit niedre Erdenschranken
Sind nicht für Euch! Nicht Bogen und nicht Netze,
Nicht Kaufmannstisch, nicht Bücher der Gesetze,
Nicht Säge mehr noch Hammer, nur des Denkens
Gottebenbürtige Arbeit, des Versenkens
In mein erhaben heilig Geisteswesen,
Zu dem ich meine Söhne nur erlesen.
O laßt sie nur, die Erdensöhne, trachten
Nach Gold, nach Reichtum, nach den Erdenprachten,
Laßt sie zusammenhäufen, laßt sie scharren,
Belächelt sie als Toren und als Narren!
Gönnt ihnen allen ihr verzweifelt Rennen,
Gönnt ihnen ihre Speicher, ihre Tennen,
Gönnt ihnen ihre Schlösser, ihre Tempel,
Sie tragen alle der Vernichtung Stempel!

Ihr seid zu groß, um mit der Erde Großen
Die Edelsteine Gottes zu zerstoßen;
Ihr seid zu groß, um mit der Erde Kleinen
Den Erdenstaub noch kleinlich zu zerfeinen;
Ihr seid zu groß zum Herrschen und zum Dienen,
Seid meine Söhne, Priester und Braminen.

 

Die Spur

Nirgends, nirgends auf der weiten Flur
Find ich von mir selber eine Spur;
Wäre doch mein einstig Jugendbild
Irgendwo zu finden im Gefild!

Wallfahrtgehen wollt' ich nach dem Bild
Wie ein Pilger nach dem Heilsgefild;
Wallfahrtgehen wollt' ich auf der Spur
Nach der Kindheit Paradiesesflur.

 

Vergessen

O stille Bucht,
Wo des Vergessens Frucht,
Als Schlummertrank, als süße Königskost
Verlockend sproßt!

 

Mädchenspiele

Sie haben dich mit Eichenlaub geschmückt,
Mit freudigem Laut
Ein Krönlein dir aufs schwarze Haar gedrückt,
Wie einer Braut.

Von Wicken blau, Liguster, wildem Mohn
Der Kronenreif,
Und niederhängend von der duftigen Kron'
Ein Eichlaubschweif.

Weit klingt der Wald von süßer Lieder Reim
Aus Mädchenmund,
Und singend so geleiten sie dich heim,
Dich Kunigund.

 

Sonntagsgang

O seid gegrüßt ihr Ströme und ihr Seen,
Kristallner Widerschein der goldnen Höhen!
O seid gegrüßt ihr Augenspiegel klar,
Ihr blauen Erdenaugen wunderbar!
Ihr seid gemacht den Himmel anzusehen,
Und nur der Erdenmensch will nicht verstehen
Der Mutteraugen seligen Widerschein,
Und schaut so gern, und schaut so gern hinein,
Kann nicht genug und kann nicht satt sich schauen
An diesen Augenspiegeln, diesen blauen.
Er schaut so gern der Mutter ins Gesicht
Und kennet doch die Mutteraugen nicht,
Den Gottesfrieden, welcher drin sich malt,
Den fernen Lichtglanz, der draus widerstrahlt,
Die Tränenbächlein, die da rieseln nieder
Durch dunkelgrüne Augenlider,
Die statt der Wimpern zuckend ohne Rast,
Von Schilf und Binsen schützend eingefaßt.

 

Waldsilene

Grassilene, wo ich hin mich wende,
Klingt es mir wie eine Mailegende,

Daß das Gras selbst sucht mit weißen Blüten
Seines Waldes Heiligtum zu hüten.

Mahnung ist es, daß mit reinen Sinnen
Du betrachtest diese Priesterinnen

Weißgekleidet, daß nicht andre Liebe
Deiner Andacht hohe Inbrunst trübe.

Mahnung ist es, daß du nur mit Beten
Dieses Waldes Tempel sollst betreten.

 

Weiter rückwärts

War auf Rückflucht nach der Jugend Pfaden,
Einzig folgend der Erinnerung Faden.

Heilige Stätten wieder aufzusuchen,
Schritt ich pilgernd durch den Wald der Buchen.

Sinnend abwärts längs der blauen Kelche
Frischen Immergrüns – O, fragt' ich, welche

Wonnestunden mögen rück sie künden?
Magst sie suchen in der Kindheit Gründen.

Nein, viel weiter, weiter noch zurücke
Führt der Rückflucht blumenblaue Brücke.

Weiter rückwärts werd' ich suchen müssen,
Wo der Faden für mich abgerissen.

 

Weiße Orchis

Waren's Blumen mit den wunderbaren,
Silberhellen kleinen Flügelpaaren,
Oder waren's, fragt' ich, Blumenengel,
Hingeheftet an die Blütenstengel?

Waren's Blumen, die beim Mondenschimmer
Mir mit Duft erfüllt mein kleines Zimmer?
Oder hatten durch die Nacht geklungen
Traumhaft süße Überlieferungen?

 

Waldestöchter

Das sind Waldestöchter, diese weißen
Feinen Leiber, die wir Birken heißen,
Mädchengleich in schlanke Form sich zwängend,
Mädchenhaft die Flechten niederhängend.

Hört was euch der Sänger wünschen möchte,
Töchterschar mit maiengrüner Flechte:
Wünschen möcht' er, daß der Sommer nimmer
Bleichen möchte euren Maienschimmer.

 

Rose und Stern

Nur ein Röslein fand ich in dem Grase
Auf dem Pfade durch den Wald gewunden,
Wie der Seher auf der Himmelsstraße
Irgendeine Wunderwelt gefunden.

Und doch bist du Stern der Waldesgassen
Wie du Rose in den Himmelsbreiten
Nur ein Einen und Zusammenfassen
Ungezählter Weltenseligkeiten.

Aber schmerzhaft zuckt mirs nach dem Innern,
Und das Herz wills mir zusammenpressen,
Daß von beiden nur ein kurz Erinnern
Überbleiben soll vor dem Vergessen.

 

Frühling im Wald

Und treten mich an im Haine,
Schön silbrig im Frühlingsscheine,
Windröslein mit mildem Grüßen,
So ist mir immer, als müssen
All meine durch Schuld verlornen,
Nun wieder durchs Lied gebornen,
Süßen, frommen
Glückstage auch wieder kommen.

 

Geraubte Kinder

Ist ein Liebes deinem Aug' entschwunden,
Suche nimmer nach ihm Nacht und Tag;
So du findest was dich lieben mag,
Hast du das Verlorne neu gefunden.

Es war eine Zeit großer Verfolgung wie einer Glaubensverfolgung, und man nahm da und dort Eltern ihre Kinder weg und tat sie in Anstalten, um sie in anderem Glauben, anderen Sitten und selbst in anderer Sprache zu unterrichten. – Und eine Mutter, die den Verlust ihres lieben Kindes nicht verschmerzen konnte, machte sich auf den Weg es zu suchen. Da sie nun in die Stadt kam da die Kinder untergebracht waren und dieselben sah, kam es ihr vor, ob sie fast fröhlicher als früher zu Hause wären, auch meist schöner gekleidet, aber ganz nach ausländischem Schnitte, mit ganz anderen Sitten und Manieren und ganz fremder Sprache. – Und so kam es, daß sie ganz irre wurde und sich fragte: Wie werde ich mein Kind finden unter dieser Menge? – Und nach langem Suchen und Vergebensfragen traf sie einen alten Mann, den einzigen der ihre Sprache verstand, und erzählte ihm ihr Anliegen. Und der alte Mann sprach also: »O du gutes einfältiges Weib: das wundert mich gar nicht, daß du dein Kind nicht gefunden hast, im Gegenteil: Es wäre zum Todwundern, wenn du es gefunden hättest. Hier ist das Mädchen, denn ich weiß gewiß, daß alle hier untergebracht sind und noch leben. – Möglich, daß du ihr schon begegnet bist. – Aber was willst du eigentlich hier tun, so du das Unmögliche begehrest? – Unterhalten kannst du dich nimmer mit ihr, auch wenn du sie wirklich erkenntest. Auch kannst du nirgends nach ihr fragen, da ihr wie jedem andern ein anderer Name gegeben worden und der alte vergessen ist. – Darum rate ich dir: Bleibe noch einige Tage hier und betrachte die Kinder, erfreue dich ihres Anblickes, ihrer holden Schönheit, ihrer Fröhlichkeit und ihrer Kraftfülle und denke: Mein Kind ist auch darunter. – Und so du ihm willst Gutes tun, so tue es an dem nächsten besten, denn du kannst nicht wissen ob es nicht das Deinige ist. Und so du eines siehest, holder, schöner, blühender als die andern, so magst du denken: Dies ist das Meinige. – Denn:

Darum nur sollst du es nicht erkennen
Dein Verlornes in dem bunten Spiel,
Daß du alles mögst das Deine nennen,
Statt des Wenigen lieben künftig Viel.

Und da sie auf dem Heimweg war, flog ihr eine Klette ins Haar, und darum mußte sie fort und fort, immer und immer wieder die Worte des Alten wiederholen, da er gesagt hatte: Dein Kind ist auch darunter. – Und auf den Wiesen da drüben blühten die Blumen, die Lerchen jubelten neben ihr drin im Felde, im Walde rauschten die Wipfel und die Lippen des Weibes murmelten unbewußt wieder und wieder: Dein Kind ist auch darunter! – Und die Schmetterlinge schwärmten auf von dem Fahrgeleise der Straße, und die Lippen des Weibes murmelten: Dein Kind ist auch – – – darunter, wollte sie sagen, aber ein gewaltiger Donner, wie eine Stimme vom Himmel vollendete und bekräftigte die Rede des Weibes und brüllte daß der Erdboden zitterte: Drunter! – – Drunter! – – Darunter! – –

Und da sie ihren Hof betrat, flog ein wunderschöner Schmetterling ihr entgegen in einem schwarzen Sammetkleidchen mit weißer Einfassung und himmelblauem Halstuch, einem Waisenmädchen gleich, wie um sie beim Eintritt in ihre Wohnstätte zu begrüßen.

Du weißt es gar nicht, welche nahe Hand
      Dich oftmals segnet;
Du weißt es gar nicht, wie oft ist verwandt
      Was dir begegnet.
Du starrst es an, als ob's was Fremdes sei,
Auf einmal grüßt dich's als ein Bruder treu. –

 

Zukunft des Menschen

Schaue an die kleinen Blütenfalter des Hains und der Heide, siehe den Goldregen und die Akazie, und du erblickst in ihren buntfarbigen Schmetterlingsblumen die beschwingte leichtlebige Zukunftswelt.

Denn wohl zieht schon lange ein leises Ahnen durch das nimmerrastende madengleiche Menschengeschlecht, ein unbefriedigtes Sehnen, und ein edles Meiden beim Anschauen der sich aufschwingenden Sänger, der schwebenden Wandervögel und der eilenden Segler; allein nur bei wenigen tritt das Bewußtsein dieses Mißverhältnisses deutlich zu Tage, und unter Zehntausenden empfindet kaum einer schmerzlich die mangelnden Schwingen seines Madenleibes bei den Schmetterlingsgedanken seiner Seele.

Aber es wird kommen die Zeit des Aufschwungs, eines Aufschwungs mit schneeweißen Taubenschwingen und farbenschuppigen Schmetterlingsflügeln; eines Aufschwungs gleich dem des Falters zum Blütenbaume, und dem des Adlers zur Ätherhöhe; eines Aufschwungs voll jubelnder Akkorde gleich den Akkorden der Waldessänger und den Dichterklängen der Lerchen, eines Aufschwungs voll stummer Wonne wie das leise Schweben des Schwans und das wonnesatte Irren des Falters. Aber im Sinne aller derer, die den Mangel ihres Madenleibes schmerzlich empfinden, spricht ein fernes unbekanntes Lied von dem Braminen:

Doch eines ist, was ihn allein beengt
Und eines ist, was er allein begehret:
Abwerfen möcht' er, was den Geist beschweret,
Was ihm als Bleigewicht am Gürtel hängt.
Er sieht der Flotten braune Mattensegel Hinschweben nach dem perlenreichen Meer,
Und hoch darüber, fern vom Süden her,
Zahllose Scharen frommer Wandervögel;
Den Adler sieht er kreisen und es schwirrt
Die heilige Taubenschar um die Pagode,
In satter Wonne, selig bis zum Tode,
Der Schmetterling die blaue Luft durchirrt;
Und er, er muß am Boden fest sich kleben,
Der Made gleich, indessen geistverjüngt
Im Zukunftsglanze schimmernd und beschwingt
Zahllose Falter durch den Äther schweben.
Der edle Renner, Menschengeist genannt,
Ist minder als die Motte noch geflügelt,
Es hält den Renner allzu streng gezügelt
Des ungeformten Zwergen steife Hand.
Doch wenn einmal das ungestümste Sehnen
Den Zukunftsmenschen überstark erfaßt,
Jahrtausende getragen noch die Last
Des Madenleibes und der Geistestränen;
Dann baut den Leib im langen Zeitenlauf
Die Seele anders, baut ihn ohne Mängel,
Und wie der Falter von dem Blumenstengel
So schwebt der Erde Jüngstgeborner auf.

 


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