Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Aufzug

Erste Szene

Burggarten.

Zur einen Seite hohe Burggebäude, zur andern eine niedrige Mauerbrüstung, von einer Warte unterbrochen; im Hintergrunde das Burgtor. Die Lage ist auf felsiger Höhe anzunehmen; durch Öffnungen blickt man auf einen weiten Meereshorizont. Das Ganze macht den Eindruck der Herrenlosigkeit, übel gepflegt, hie und da schadhaft und bewachsen. Im Vordergrunde, an der inneren Seite, liegt Tristan, unter dem Schatten einer großen Linde, auf einem Ruhebett schlafend, wie leblos ausgestreckt. Zu Häupten ihm sitzt Kurwenal, in Schmerz über ihn hingebeugt und sorgsam seinem Atem lauschend. – Von der Außenseite hört man einen Hirtenreigen geblasen. Der Hirt erscheint mit dem Oberleibe über der Mauerbrüstung und blickt teilnehmend herein.

Hirt leise.
Kurwenal! He!
Sag, Kurwenal!
Hör doch, Freund! –

Kurwenal wendet ein wenig das Haupt nach ihm.

Wacht er noch nicht?

Kurwenal schüttelt traurig mit dem Kopf.
Erwachte er,
wär's doch nur
um für immer zu verscheiden: –
erschien zuvor
die Ärztin nicht,
die einz'ge, die uns hilft. –
Sahst du noch nichts?
Kein Schiff noch auf der See?

Hirt.
Eine andre Weise
hörtest du dann,
so lustig, als ich sie nur kann. –
Nun sag auch ehrlich,
alter Freund:
was hat's mit uns'rem Herrn?

Kurwenal.
Laß die Frage: –
du kannst's doch nie erfahren.
Eifrig späh';
und siehst du ein Schiff,
so spiele lustig und hell!

Der Hirt wendet sich und späht, mit der Hand überm Aug', nach dem Meer aus.

Hirt.
Öd und leer das Meer!

Er setzt die Schalmei an und entfernt sich blasend.

Tristan bewegungslos, dumpf.
Die alte Weise –;
was weckt sie mich?

Er schlägt die Augen auf und wendet das Haupt ein wenig.

Kurwenal fährt erschrocken auf.
Ha!

Tristan.
Wo bin ich?

Kurwenal.
Ha! diese Stimme!
Seine Stimme!
Tristan! Herre!
Mein Held! Mein Tristan!

Tristan mit Anstrengung.
Wer ruft mich?

Kurwenal.
Endlich! Endlich!
Leben, o Leben!
Süßes Leben,
meinem Tristan neu gegeben!

Tristan.
Kurwenal – du?
Wo war ich?
Wo – bin ich?

Kurwenal.
Wo du bist?
In Frieden, sicher und frei!
Kareol, Herr:
kennst du die Burg
der Väter nicht?

Tristan.
Meiner Väter?

Kurwenal.
Sieh dich nur um!

Tristan.
Was erklang mir?

Kurwenal.
Des Hirten Weise
hörtest du wieder;
am Hügel ab
hütet er deine Herde.

Tristan.
Meine Herde?

Kurwenal.
Herr, das mein ich!
Dein das Haus,
Hof und Burg!
Das Volk, getreu
dem trauten Herrn,
so gut es konnt,
hat's Haus und Hof gepflegt,
das einst mein Held
zu Erb und Eigen
an Leut' und Volk verschenkt,
als Alles er verließ,
in fremde Land' zu ziehn.

Tristan.
In welches Land?

Kurwenal.
Hei! Nach Kornwall:
kühn und wonnig,
was sich da Glanzes,
Glückes und Ehren
Tristan, mein Held, hehr ertrotzt!

Tristan.
Bin ich in Kornwall?

Kurwenal.
Nicht doch: in Kareol!

Tristan.
Wie kam ich her?

Kurwenal.
Hei nun! Wie du kamst?
Zu Roß rittest du nicht;
ein Schifflein führte dich her:
doch zu dem Schifflein
hier auf den Schultern
trug ich dich; – die sind breit:
sie trugen dich dort zum Strand.
Nun bist du daheim, daheim zu Land:
im echten Land,
im Heimatland;
auf eig'ner Weid und Wonne,
im Schein der alten Sonne,
darin von Tod und Wunden
du selig sollst gesunden.

Er schmiegt sich an Tristans Brust.

Tristan.
Dünkt dich das?
Ich weiß es anders:
doch kann ich's dir nicht sagen.
Wo ich erwacht –
weilt ich nicht;
doch, wo ich weilte,
das kann ich dir nicht sagen.
Die Sonne sah ich nicht,
noch sah ich Land und Leute:
doch, was ich sah –
das kann ich dir nicht sagen.
Ich war,
wo ich von je gewesen,
wohin auf je ich geh:
im weiten Reich
der Weltennacht.
Nur ein Wissen
dort uns eigen: –
göttlich ew'ges
Urvergessen!
Wie schwand mir seine Ahnung?
Sehnsücht'ge Mahnung,
nenn ich dich,
die neu dem Licht
des Tags mich zugetrieben?
Was einzig mir geblieben,
ein heiß-inbrünstig Lieben,
aus Todeswonne Grauen
jagt's mich, das Licht zu schauen,
das trügend hell und golden
noch dir, Isolden, scheint!
Isolde noch
im Reich der Sonne!
Im Tagesschimmer
noch Isolde!
Welches Sehnen!
Welches Bangen!
Sie zu sehen,
welch Verlangen!
Krachend hört ich
hinter mir
schon des Todes
Tor sich schließen: –
weit nun steht es
wieder offen,
der Sonne Strahlen
sprengt' es auf;
mit hell erschloss'nen Augen
muß ich der Nacht enttauchen –,
sie zu suchen,
sie zu sehen;
sie zu finden,
in der einzig
zu vergehen,
zu entschwinden
Tristan ist vergönnt.
Weh, nun wächst,
bleich und bang,
mir des Tages
wilder Drang;
grell und täuschend
sein Gestirn
weckt zu Trug
und Wahn mir das Hirn.
Verfluchter Tag
mit deinem Schein!
Wachst du ewig
meiner Pein?
Brennt sie ewig,
diese Leuchte,

Allmählich abnehmend.

die selbst nachts
von ihr mich scheuchte?
Ach, Isolde,
süße Holde!
Wann endlich,
wann, ach wann?
löschest du die Zünde, –

Immer mehr ermattend.

daß sie mein Glück mir künde?
Das Licht – wann löscht es aus?

Er sinkt erschöpft leise zurück.

Wann wird es Ruh im Haus?

Kurwenal nach großer Erschütterung aus der Niedergeschlagenheit sich aufraffend.
Der einst ich trotzt,
aus Treu' zu dir,
mit dir nach ihr
nun muß ich mich sehnen.
Glaub meinem Wort:
du sollst sie sehen,
hier und heut;
den Trost kann ich dir geben –
ist sie nur selbst noch am Leben.

Tristan sehr matt.
Noch losch das Licht nicht aus, –
noch ward's nicht Nacht im Haus:
Isolde lebt und wacht; –
sie rief mich aus der Nacht.

Kurwenal.
Lebt sie denn,
so laß dir Hoffnung lachen!
Muß Kurwenal dumm dir gelten,
heut sollst du ihn nicht schelten.
Wie tot lagst du
seit dem Tag,
da Melot der Verruchte
dir eine Wunde schlug.
Die böse Wunde,
wie sie heilen?
Mir tör'gem Manne
dünkt es da,
wer einst dir Morolds
Wunde schloß,
der heilte leicht die Plagen,
von Melots Wehr geschlagen.
Die beste Ärztin
bald ich fand;
nach Kornwall hab ich
ausgesandt:
ein treuer Mann
wohl über's Meer
bringt dir Isolden her.

Tristan außer sich.
Isolde kommt!
Isolde naht!

Er ringt gleichsam nach Sprache.

O Treue! Hehre,
holde Treue!

Er zieht Kurwenal an sich und umarmt ihn.

Mein Kurwenal,
du trauter Freund!
Du Treuer ohne Wanken,
wie soll dir Tristan danken?
Mein Schild, mein Schirm
im Kampf und Streit,
zu Lust und Leid
mir stets bereit:
wen ich gehaßt,
den haßtest du;
wen ich geminnt,
den minntest du.
Dem guten Marke,
dient ich ihm hold –,
wie warst du ihm treuer als Gold!
Mußt ich verraten
den edlen Herrn,
wie betrogst du ihn da so gern!
Dir nicht eigen,
einzig mein,
mit leidest du,
wenn ich leide:
nur was ich leide,
das – kannst du nicht leiden!
Dies furchtbare Sehnen,
das mich sehrt;
dies schmachtende Brennen,
das mich zehrt;
wollt ich dir's nennen,
könntest du's kennen: –
nicht dort würdest du weilen,
zur Warte müßtest du eilen, –
mit allen Sinnen
sehnend von hinnen
nach dorten trachten und spähen,
wo ihre Segel sich blähen,
wo vor den Winden,
mich zu finden,
von der Liebe Drang befeuert,
Isolde zu mir steuert! –
Es naht! Es naht –
mit mutiger Hast!
Sie weht, sie weht –
die Flagge am Mast!
Das Schiff! Das Schiff!
Dort streicht es am Riff!
Siehst du es nicht?

Heftig.

Kurwenal! Siehst du es nicht?

Als Kurwenal, um Tristan nicht zu verlassen, zögert und dieser in schweigender Spannung auf ihn blickt, ertönt, wie zu Anfang, die klagende Weise des Hirten.

Kurwenal niedergeschlagen.
Noch ist kein Schiff zu sehn!

Tristan hat mit abnehmender Aufregung gelauscht und beginnt nun mit wachsender Schwermut.
Muß ich dich so verstehn,
du alte ernste Weise,
mit deiner Klage Klang?
Durch Abendwehen
drang sie bang,
als einst dem Kind
des Vaters Tod verkündet; –
durch Morgengrauen
bang und bänger,
als der Sohn
der Mutter Los vernahm. –
Da er mich zeugt' und starb,
sie sterbend mich gebar, –
die alte Weise
sehnsuchtbang
zu ihnen wohl
auch klagend drang,
die einst mich frug,
und jetzt mich frägt:
zu welchem Los erkoren,
ich damals wohl geboren?
Zu welchem Los?
Die alte Weise
sagt mir's wieder: –
mich sehnen – und sterben!
Nein! Ach nein!
So heißt sie nicht!
Sehnen! Sehnen!
Im Sterben mich zu sehnen,
vor Sehnsucht nicht zu sterben! –
Die nie erstirbt,
sehnend nun ruft
um Sterbens Ruh
sie der fernen Ärztin zu. –
Sterbend lag ich
stumm im Kahn,
der Wunde Gift,
dem Herzen nah: –
Sehnsucht klagend
klang die Weise;
das Segel blähte der Wind
hin zu Irlands Kind.
Die Wunde, die
sie heilend schloß,
riß mit dem Schwert
sie wieder los;
das Schwert dann aber –
ließ sie sinken;
den Gifttrank gab sie
mir zu trinken:
wie ich da hoffte
ganz zu genesen,
da war der sehrendste
Zauber erlesen:
daß nie ich sollte sterben,
mich ew'ger Qual vererben! –
Der Trank! Der Trank!
Der furchtbare Trank!
Wie vom Herz zum Hirn
er wütend mir drang.
Kein Heil nun kann,
kein süßer Tod
je mich befrein
von der Sehnsucht Not,
nirgends, ach nirgends
find ich Ruh:
mich wirft die Nacht
dem Tage zu,
um ewig an meinen Leiden
der Sonne Auge zu weiden.
O dieser Sonne
sengender Strahl,
wie brennt mir das Hirn
seine glühende Qual!
Für dieser Hitze
heißes Verschmachten,
ach, keines Schattens
kühlend Umnachten!
Für dieser Schmerzen
schreckliche Pein,
welcher Balsam sollte
mir Lind'rung verleihn?
Den furchtbaren Trank,
der der Qual mich vertraut,
ich selbst – ich selbst,
ich hab ihn gebraut!
Aus Vaters Not
und Mutter-Weh, –
aus Liebestränen
eh und je –
aus Lachen und Weinen,
Wonnen und Wunden,
hab ich des Trankes
Gifte gefunden!
Den ich gebraut,
der mir geflossen,
den Wonne schlürfend
je ich genossen, –
verflucht sei, furchtbarer Trank!
Verflucht, wer dich gebraut!

Er sinkt ohnmächtig zurück.

Kurwenal der vergebens Tristan zu mäßigen suchte, schreit entsetzt auf.
Mein Herre! Tristan!
Schrecklicher Zauber!
O Minnetrug!
O Liebeszwang!
Der Welt holdester Wahn!
Wie ist's um dich getan!
Hier liegt er nun,
der wonnige Mann,
der wie keiner geliebt und geminnt.
Nun seht, was von ihm
sie Dankes gewann,
was je Minne je gewinnt!

Mit schluchzender Stimme.

Bist du nun tot?
Lebst du noch?
Hat dich der Fluch entführt?

Er lauscht seinem Atem.

O Wonne! Nein!
Er regt sich, er lebt! –
Wie sanft er die Lippen rührt!

Tristan.
Das Schiff? Siehst du's noch nicht?

Kurwenal.
Das Schiff? Gewiß,
es naht noch heut:
es kann nicht lang mehr säumen.

Tristan.
Und drauf Isolde,
wie sie winkt –
wie sie hold
mir Sühne trinkt –:
siehst du sie?
Siehst du sie noch nicht?
Wie sie selig,
hehr und milde
wandelt durch
des Meers Gefilde?
Auf wonniger Blumen
lichten Wogen
kommt sie sanft
ans Land gezogen.
Sie lächelt mir Trost
und süße Ruh,
sie führt mir letzte
Labung zu.
Ach, Isolde! Isolde!
Wie schön bist du!
Und Kurwenal, wie,
du sähst sie nicht?
Hinauf zur Warte,
du blöder Wicht!
Was so hell und licht ich sehe,
daß das dir nicht entgehe!
Hörst du mich nicht?
Zur Warte schnell!
Eilig zur Warte!
Bist du zur Stell?
Das Schiff? Das Schiff?
Isoldens Schiff?
Du mußt es sehen!
Mußt es sehen!
Das Schiff? Sähst du's noch nicht?

Während Kurwenal noch zögernd mit Tristan ringt, läßt der Hirt von außen die Schalmei ertönen. Kurwenal springt freudig auf.

Kurwenal.
O Wonne! Freude!

Er stürzt auf die Warte und späht aus.

Ha! Das Schiff!
Von Norden seh ich's nahen.

Tristan.
Wußt ich's nicht?
Sagt ich's nicht?
Daß sie noch lebt,
noch Leben mir webt?
Die mir Isolden
einzig enthält,
wie wär Isolde
mir aus der Welt?

Kurwenal jauchzend.
Hahei! Heiha!
Wie es mutig steuert!
Wie stark das Segel sich bläht!
Wie es jagt, wie es fliegt!

Tristan.
Die Flagge? Die Flagge?

Kurwenal.
Der Freude Flagge
am Wimpel lustig und hell!

Tristan auf dem Lager hoch sich aufrichtend.
Hahei der Freude!
Hell am Tage
zu mir Isolde!
Isolde zu mir!
Siehst du sie selbst?

Kurwenal.
Jetzt schwand das Schiff
hinter dem Fels.

Tristan.
Hinter dem Riff?
Bringt es Gefahr?
Dort wütet die Brandung, –
scheitern die Schiffe!
Das Steuer, wer führt's?

Kurwenal.
Der sicherste Seemann.

Tristan.
Verriet er mich?
Wär er Melots Genoß?

Kurwenal.
Trau ihm wie mir!

Tristan.
Verräter auch du! –
Unsel'ger!
Siehst du sie wieder?

Kurwenal.
Noch nicht.

Tristan.
Verloren!

Kurwenal jauchzend.
Heiha! Heihahaha!
Vorbei! Vorbei!
Glücklich vorbei!

Tristan jauchzend.
Heihahaha! Kurwenal,
treuester Freund!
All mein Hab und Gut
vererb ich noch heute.

Kurwenal.
Sie nahen im Flug.

Tristan.
Siehst du sie endlich?
Siehst du Isolde?

Kurwenal.
Sie ist's! Sie winkt!

Tristan.
O seligstes Weib!

Kurwenal.
Im Hafen der Kiel!
Isolde, ha!
mit einem Sprung
springt sie vom Bord an Land.

Tristan.
Herab von der Warte,
müßiger Gaffer!
Hinab! Hinab
an den Strand!
Hilf ihr! Hilf meiner Frau!

Kurwenal.
Sie trag ich herauf:
trau meinen Armen!
Doch du, Tristan,
bleib mir treulich am Bett!

Kurwenal eilt fort.

Zweite Szene

Tristan in höchster Aufregung auf dem Lager sich mühend.
O diese Sonne!
Ha! dieser Tag!
Ha, dieser Wonne
sonnigster Tag!
Jagendes Blut,
jauchzender Mut!
Lust ohne Maßen,
freudiges Rasen!
Auf des Lagers Bann
wie sie ertragen!
Wohlauf und daran,
wo die Herzen schlagen!
Tristan der Held,
in jubelnder Kraft,
hat sich vom Tod
emporgerafft.

Er richtet sich hoch auf.

Mit blutender Wunde
bekämpft ich einst Morolden:
mit blutender Wunde
erjag ich mir heut Isolden!

Er reißt sich den Verband der Wunde auf.

Heia, mein Blut!
Lustig nun fließe!

Er springt vom Lager herab und schwankt vorwärts.

Die mir die Wunde
ewig schließe, –
sie naht wie ein Held,
sie naht mir zum Heil!
Vergeh die Welt
meiner jauchzenden Eil!

Er taumelt nach der Mitte der Bühne.

Isolde von außen rufend.
Tristan! Geliebter!

Tristan in der furchtbarsten Aufregung.
Wie, hör ich das Licht?
Die Leuchte, ha!
Die Leuchte verlischt.
Zu ihr! Zu ihr!

Isolde eilt atemlos herein. Tristan, seiner nicht mächtig, stürzt sich ihr schwankend entgegen. In der Mitte der Bühne begegnen sie sich; sie empfängt ihn in ihren Armen. – Tristan sinkt langsam in ihren Armen zu Boden.

Isolde.
Tristan! Ha!

Tristan sterbend zu ihr aufblickend.
Isolde!

Er stirbt.

Isolde.
Ha! Ich bin's, ich bin's –,
süßester Freund!
Auf, noch einmal
hör meinen Ruf!
Isolde ruft;
Isolde kam
mit Tristan treu zu sterben!
Bleibst du mir stumm?
Nur eine Stunde!
Nur eine Stunde
bleib mir wach!
So bange Tage
wachte sie sehnend,
um eine Stunde
mit dir noch zu wachen: –
betrügt Isolden,
betrügt sie Tristan
um dieses einzige
ewig kurze
letzte Weltenglück? –
Die Wunde? Wo?
Laß sie mich heilen!
Daß wonnig und hehr
die Nacht wir teilen;
nicht an der Wunde,
an der Wunde stirb mir nicht:
uns beiden vereint
erlösche das Lebenslicht! –
Gebrochen der Blick –!
Still das Herz!
Nicht eines Atems
flücht'ges Wehn!
Muß sie nun jammernd
vor dir stehn,
die sich wonnig dir zu vermählen
mutig kam über's Meer?
Zu spät!
Trotziger Mann!
Strafst du mich so
mit härtestem Bann?
Ganz ohne Huld
meiner Leidensschuld?
Nicht meine Klagen
darf ich dir sagen?
Nur einmal – ach! –
nur einmal noch! –
Tristan! – Ha! –
horch –! Er wacht!
Geliebter!

Sie sinkt bewußtlos über der Leiche zusammen.

Dritte Szene

Kurwenal war sogleich hinter Isolde zurückgekommen; sprachlos in furchtbarer Erschütterung hat er dem Auftritte beigewohnt und bewegungslos auf Tristan hingestarrt. – Aus der Tiefe hört man jetzt dumpfes Gemurmel und Waffengeklirr. – Der Hirt kommt über die Mauer gestiegen.

Hirt hastig und leise sich zu Kurwenal wendend.
Kurwenal!
Hör!
Ein zweites Schiff.

Kurwenal fährt heftig auf und blickt über die Brüstung, während der Hirt aus der Ferne erschüttert auf Tristan und Isolde sieht.

Kurwenal.
Tod und Hölle!

In Wut ausbrechend.

Alles zur Hand!
Marke und Melot
hab ich erkannt. –
Waffen, und Steine!
Hilf mir! Ans Tor!

Er eilt mit dem Hirten an das Tor, das sie in der Hast zu verrammeln suchen. stürzt herein.

Marke mir nach
mit Mann und Volk:
vergeb'ne Wehr,
bewältigt sind wir.

Kurwenal.
Stell dich und hilf!
So lang ich lebe,
lugt mir keiner herein!

Man hört Brangänens Stimme, außen, von unten her.

Brangäne.
Isolde! Herrin!

Kurwenal.
Brangänens Ruf?
Was suchst du hier?

Brangäne.
Schließ nicht, Kurwenal!
Wo ist Isolde?

Kurwenal.
Verrät'rin auch du?
Weh dir, Verruchte!

Melot</b außerhalb.
Zurück, du Tor!
Stemm dich nicht dort!

Kurwenal wütend auflachend.
Heiahaha! Dem Tag,
an dem ich dich treffe!

Melot, mit gewaffneten Männern, erscheint unter dem Tor, Kurwenal stürzt sich auf ihn und streckt ihn zu Boden.

Stirb, schändlicher Wicht!

Melot</b.
Weh mir! Tristan!

Er stirbt.

Brangäne noch außerhalb.
Kurwenal! Wütender!
Hör, du betrügst dich!

Kurwenal.
Treulose Magd!

Zu den Seinen.

Drauf! Mir nach!
Werft sie zurück!

Sie greifen von neuem an.

Marke</b außerhalb.
Halte, Rasender!
Bist du von Sinnen?

Kurwenal.
Hier wütet der Tod!
Nichts andres, König,
ist hier zu holen:
willst du ihn kiesen, so komm!

Er dringt auf Marke und dessen Gefolge ein.

Marke</b unter dem Tore mit Gefolge erscheinend.
Zurück! Wahnsinniger!

Brangäne hat sich seitwärts über die Mauer geschwungen und eilt in den Vordergrund.
Isolde! Herrin!
Glück und Heil!
Was seh ich! Ha!
Lebst du? Isolde!

Sie müht sich um Isolde. – Marke mit seinem Gefolge hat Kurwenal mit dessen Helfern vom Tore zurückgetrieben und dringt herein.

Marke</b.
O Trug und Wahn!
Tristan! Wo bist du?

Kurwenal schwer verwundet, schwankt vor Marke her nach dem Vordergrund.
Da liegt er –
hier –, wo ich – liege.

Er sinkt bei Tristans Füßen zusammen.

Marke</b.
Tristan! Tristan!
Isolde! Weh!

Kurwenal nach Tristans Hand fassend.
Tristan! Trauter!
Schilt mich nicht –,
daß der Treue auch mitkommt!

Er stirbt.

Marke</b.
Tot denn alles!
Alles tot!
Mein Held, mein Tristan!
Trautester Freund,
auch heute noch
mußt du den Freund verraten?
Heut, wo er kommt,
die höchste Treue zu bewähren?
Erwache meinem Jammer!

Schluchzend über die Leiche sich herabbeugend.

Du treulos treu'ster Freund!

Brangäne die in ihren Armen Isolde wieder zu sich gebracht.
Sie wacht, sie lebt!
Isolde! hör mich,
vernimm meine Sühne!
Des Trankes Geheimnis
entdeckt ich dem König:
mit sorgender Eil'
stach er in See
dich zu erreichen,
dir zu entsagen,
dir zuzuführen den Freund.

Marke</b.
Warum, Isolde,
warum mir das?
Da hell mir enthüllt,
was zuvor ich nicht fassen konnt,
wie selig, daß den Freund
ich frei von Schuld da fand!
Dem holden Mann
dich zu vermählen,
mit vollen Segeln
flog ich dir nach.
Doch Unglückes
Ungestüm,
wie erreicht es, wer Frieden bringt?
Die Ernte mehrt ich dem Tod:
der Wahn häufte die Not.

Brangäne.
Hörst du uns nicht?
Isolde! Traute!
Vernimmst du die Treue nicht?

Isolde, die nichts um sie her vernommen, heftet das Auge mit wachsender Begeisterung auf Tristans Leiche.

Isolde.
Mild und leise
wie er lächelt,
wie das Auge
hold er öffnet –
seht ihr's, Freunde?
Säht ihr's nicht?
Immer lichter
wie er leuchtet,
Stern-umstrahlet
hoch sich hebt?
Seht ihr's nicht?
Wie das Herz ihm
mutig schwillt,
voll und hehr
im Busen ihm quillt?
Wie den Lippen,
wonnig mild,
süßer Atem
sanft entweht?
Freunde! Seht!
Fühlt und seht ihr's nicht? –
Höre ich nur
diese Weise,
die so wunder-
voll und leise,
Wonne klagend,
Alles sagend,
mild versöhnend
aus ihm tönend
in mich dringet,
auf sich schwinget,
hold erhallend
um mich klinget?
Heller schallend,
mich umwallend,
sind es Wellen
sanfter Lüfte?
Sind es Wolken
wonniger Düfte?
Wie sie schwellen,
mich umrauschen,
soll ich atmen,
soll ich lauschen?
Soll ich schlürfen,
untertauchen?
Süß in Düften
mich verhauchen?
In dem wogenden Schwall,
in dem tönenden Schall,
in des Welt-Atems
wehendem All –,
ertrinken,
versinken –,
unbewußt –,
höchste Lust!

Isolde sinkt, wie verklärt, in Brangänes Armen, sanft auf Tristans Leiche. – Große Rührung und Entrücktheit unter den Umstehenden. – Der Vorhang fällt während der letzten Fermate.


 << zurück