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Dritter Theil.
1850-1861

Mit gutem Glücke hatte Minna bei Zürich eine Wohnung aufgefunden, welche wirklich den bei meinem Fortgange von mir so dringend geäusserten Wünschen recht geeignet entsprach. Es war diess in der Gemeinde Enge, eine gute Viertelstunde Wegs von der Stadt Zürich, in einem unmittelbar am See gelegenen Grundstücke mit altbürgerlichem Wohnhaus, zum »Abendstern« benannt, und einer gutartigen alten Dame, Frau Hirzel, gehörig, wo für einen nicht theuren Miethpreis der abgeschlossene, sehr ruhige obere Stock dürftige, aber ausreichende Bequemlichkeit verlieh. Ich traf am frühen Morgen ein, fand Minna noch im Bett, und vermochte sie, welche sich vor allem gegen die Annahme, dass ich nur aus Mitleiden zu ihr zurückgekehrt sei, zu versichern suchte, schnell dahin zu bestimmen, nie wieder über das Vorgefallene sich mit mir besprechen zu wollen. Im Uebrigen war sie ganz in ihrer Sphäre, als sie mir die Fortschritte ihrer geschickten Einrichtung zeigte; und da wir von hier an in einer, wenn auch von mannigfachen Schwierigkeiten unterbrochenen, im Ganzen aber durch längere Jahre sich doch behauptenden Zunahme unserer äusseren Verhältnisse uns befanden, breitete sich bald eine erträgliche Heiterkeit über unser häusliches Leben aus, ohne dass ich jedoch von jetzt an eine unruhige, oft heftig hervortretende Neigung zum Abbruch alles Gewohnten gänzlich unterdrücken konnte.

Zunächst halfen die beiden Hausthiere, Peps und Papo, ausserordentlich wirksam zum häuslichen Behagen; beide liebten mich vorzüglich, oftmals bis zur Belästigung: Peps musste immer hinter mir auf dem Arbeitsstuhle liegen, und Papo flatterte, wenn ich zu lange aus dem Wohnzimmer ausblieb, nach wiederholtem vergeblichem Rufen meines Namens » Richard!« gewöhnlich zu mir in das Arbeitszimmer, wo er sich auf dem Schreibtische aufstellte, und mit Federn und Papier oft sehr aufregend sich zu schaffen machte. Er war so wohl erzogen, dass er nie einen thierischen Vogellaut von sich gab, sondern nur sprechend und singend sich vernehmen liess. Mit dem grossen Marsch-Thema des Schluss-Satzes der C-moll Symphonie, dem Anfang der achten Symphonie in F-dur, oder auch einem festlichen Thema aus der Rienzi-Ouvertüre, empfing er mich stets pfeifend, sobald er auf der Treppe meine Schritte hörte. Das Hündchen Peps zeichnete sich dagegen durch eine ungemeine Nervosität aus; er hiess bei meinen Freunden »Peps der Aufgeregte«, und es gab Zeiten wo man nie ein freundliches Wort zu ihm sprechen konnte, ohne ihn in Heulen und Schluchzen zu versetzen. Diese Thiere vertraten offenbar die fehlenden Kinder, und dass auch meine Frau ein fast leidenschaftliches Wohlwollen für sie empfand, bildete ein nicht unergiebiges Band des Einvernehmens zwischen uns; wogegen ein ewiger Quell von Misshelligkeiten sich in dem Verhalten meiner Frau zu der unglücklichen Nathalie dahinzog. Sie hat bis zu ihrem Tode die wunderliche Verschämtheit gehabt, selbst dem Mädchen nicht zu entdecken, dass sie ihre Tochter sei. Diese hielt sich nun fortwährend für Minna's Schwester, und begriff als solche nicht, warum sie sich nicht ebenbürtig behandelt sehen sollte. Indem Minna sich stets die Autorität der Mutter zuerkannte, gab sie hierfür stets dem Aerger über Nathalie's auffallende Missgerathenheit nach; sie war jedenfalls in dem entscheidenden Alter verzogen und vernachlässigt, körperlich und geistig schwerfällig unterrichtet geblieben: klein, und mit Neigung zur Stärke, war sie unbehülflich und einfältig. Minna's Heftigkeit, und zunehmend schroffe und verhöhnende Behandlung, machte das eigentlich sehr gutmüthige Mädchen mit der Zeit wirklich störrisch und feindselig gesinnt, so dass der Umgang und das Verhalten der beiden scheinbaren Schwestern oft zu den widerwärtigsten Störungen der häuslichen Ruhe führten, wogegen meine Geduld eigentlich nur von meiner inneren Gleichgiltigkeit gegen alle persönlichen Beziehungen meiner Umgebung sich nährte.

Zunächst belebte meinen kleinen Hausstand die Einreihung meines jungen Freundes Karl in denselben auf angenehme Weise; er bezog ein kleines Dachstübchen über unserer Wohnung, theilte unsere Mahlzeiten, so wie meine Spaziergänge, und schien eine Zeitlang wohl zufrieden damit. Bald aber bemerkte ich eine zunehmende Unruhe an ihm; allerdings fand er zeitig schon Gelegenheit, an den heftigen Auftritten, die altgewohnter Weise in meinem ehelichen Leben sich wieder einstellten, inne zu werden, wo mich der Schuh drückte, den ich mit gutmüthig gleichgiltiger Nachgiebigkeit auf seinen Wunsch mir wieder an den Fuss gezogen hatte. Er blieb stumm, als ich ihm eines Tages, auf erhaltene Veranlassung hierzu, in Erinnerung brachte, dass mich, als ich meine Zustimmung zu der Rückkehr nach Zürich gab, ein anderes Gefühl als das der Hoffnung auf ein freundliches Familienleben, bestimmt hatte. Ausserdem aber gewahrte ich andere und wunderlichere Motive seiner Unruhe: er traf oft sehr unregelmässig zu den Mahlzeiten ein, und hatte dann nie rechten Appetit, was mich anfänglich wegen des Charakters unserer Kost in Verlegenheit setzte, bis ich dann erfuhr, dass mein junger Freund dem Zuckergebäck in den Conditorläden so übermässig hold gesinnt war, dass ich offenbar fürchten musste, er möge sich seine Gesundheit durch ausschliesslichen Genuss desselben verderben. Meine Vorstellungen hierüber schienen ihn sehr zu verstimmen; da er nun anhaltender von Hause weg blieb, glaubte ich, dass wirklich seine beschränkte Wohnung ihn belästige, und vermochte es nicht ihn vom Aufsuchen einer Privat-Wohnung in der Stadt abzuhalten.

Da ich gewahrte, dass ein zunehmendes Unbehagen ihn einnahm, war es mir lieb ihm eine bedeutende Unterbrechung seines offenbar ihn nicht befriedigenden Aufenthaltes anbieten zu können: ich bestimmte ihn, zu der am Ende des August's dieses Jahres dort stattfindenden ersten Aufführung des Lohengrin einen Ausflug nach Weimar zu machen. Ich selbst lud Minna zu gleicher Zeit zu einem ersten Ausflug nach dem Rigi ein, welchen wir beide rüstig zu Fusse bestiegen. Leider gewahrte ich in Folge der Anstrengung hiervon an meiner Frau zum ersten Male die Symptome ihrer, von nun an sich immer bestimmter entwickelnden, Herzkrankheit. Den Abend des 28. August, an welchem in Weimar die erste Aufführung des Lohengrin stattfand, verbrachten wir in Luzern im Gasthof »zum Schwan«, genau die Stunde des Anfangs und des vermutheten Endes an der Uhr verfolgend. Es war immer etwas Noth, Missbehagen und Verstimmung bei allen solchen Versuchen meinerseits, in Gemeinschaft mit meiner Frau gemüthlich erregte Stunden zu veranlassen, störend einwirkend. Die Berichte, welche ich alsbald über diese Aufführung erhielt, waren auch nicht geeignet mir ein klares und beruhigendes Bild davon zu geben. Wirklich traf Karl Ritter bald wieder in Zürich ein; er berichtete mir namentlich von scenischen Uebelständen in der Aufführung, von einem sehr unglücklichen Sänger der Hauptpartie, im Ganzen aber von einer guten Wirkung. Am zuversichtlichsten waren die Berichte, welche mir Liszt selbst zukommen liess: alles Unzulängliche der höchst beschränkten Mittel, die ihm für sein unvergleichlich kühnes Wagniss zu Gebote gestanden, dünkte ihn unnütz erst besonders eingestehen zu müssen, wogegen er nur den Geist des Unternehmens, und die Wirkung desselben auf die mancherlei bedeutenderen Receptiv-Kräfte, welche er mit Sorgfalt herbeigezogen hatte, der Beachtung werth hielt.

Während Alles, was sich aus diesem bedeutenden Vorgange entwickelte, allmählich in klares Licht sich stellen sollte, blieb für jetzt davon die Wirkung auf meine Lage ohne eigentliche Bedeutung. Am Unmittelbarsten beschäftigte mich die Bestimmung des mir anvertrauten jungen Freundes: er hatte auf dem Ausfluge nach Weimar auch seine Familie in Dresden wieder gesehen, und eröffnete mir nun bei seiner Rückkehr den lebhaften Wunsch, die praktische Carrière als Musiker ergreifen, und wo möglich als Musikdirektor beim Theater angestellt werden zu wollen. Ich hatte nun gar keine Gelegenheit gehabt, seine musikalischen Fähigkeiten kennen zu lernen; vor mir Klavier zu spielen weigerte er sich, doch hatte er mir eine Komposition auf ein von ihm in Stabreimen verfasstes Gedicht, »die Walküre«, vorgelegt, an der ich zwar grosse Unbeholfenheit, zugleich aber das Ergebniss einer sehr genauen Kenntniss der Kompositionsregeln wahrnahm. Sehr deutlich zeigte sich darin der Schüler Robert Schumann's, von dem mir sein Lehrer schon früher versichert hatte, dass er von ungemeiner musikalischer Befähigung sei, da er sich eines so sicheren Gehöres und einer so schnellen Fassungskraft bei keinem anderen seiner Schüler entsinne. Ich hatte somit keinen Grund, der Zuversichtlichkeit des jungen Mannes, mit welcher er sich alle für einen Musikdirektor nöthigen Fähigkeiten zutraute, etwas entgegen zu setzen. Da die Wintersaison herannahete, erkundigte ich mich nach dem Direktor des in Zürich zu erwartenden Theaters, von welchem ich erfuhr, dass er zur Zeit noch in Winterthur sein Wesen treibe. Sulzer, wie immer, sobald man ihn um Hülfe und Rath anging, sogleich auf das Ernstlichste zu beidem bereit, veranlasste eine Zusammenkunft mit dem Theaterdirektor Kramer bei einem Gastmahl im »wilden Mann« zu Winterthur, wo dann festgesetzt wurde, dass Karl Ritter auf meine Empfehlung hin sogar mit einem erträglichen Gehalte für nächsten Winter, vom Oktober an, als Musikdirektor beim Theater bestellt sein sollte. Da mein Empfohlener zugestandener Maassen Anfänger war, musste ich natürlich für seine Leistungen Garantie übernehmen, welche ich durch die unverweigerliche Verpflichtung leistete, für Ritter in der Musikdirektion einzutreten, sobald, und so lange, durch dessen etwa unzureichende Befähigung Störungen für den Geschäftsgang des Theaters erwachsen könnten. Karl schien sehr zufrieden. Als sich nun der Monat Oktober, mit der Ankündigung der Eröffnung der diessmal »von besonderen Kunst-Intentionen geleiteten« Theater-Unternehmung herannahte, hielt ich endlich es doch für nöthig, mit meinem jungen Freunde im Betreff seines Vorhabens mich zu befassen. Um ein recht bekanntes Werk für sein Debüt zu bestimmen, hatte ich den Freischütz gewählt. Karl hatte nicht den mindesten Zweifel über die Bewältigung einer so einfachen Partitur; als er nun aber seine Blödigkeit im Betreff des Klavierspiels überwinden musste, um die Oper einmal am Instrumente mit mir durchzugehen, war mein Schrecken gross, da ich gewahrte, dass er auch gar keine Ahnung vom Accompagnement hatte, sondern den Klavierauszug mit der eigenthümlichen Sorglosigkeit eines Dilettanten, welcher einem Fingerversehen zu lieb unbefangen einen Takt um ein Viertel verlängert, handhabte. Von der rythmischen Präzision, von der Kenntniss des Tempo's, welche einzig beim Dirigenten entscheidend sind, hatte er auch nicht die mindeste Ahnung. Da ich gar nicht wusste, was ich hierzu sagen sollte, liess ich es, in einer gewissen Betäubung, und immer noch auf eine unberechenbare Explosion des Talentes des jungen Mannes zählend, zu einer Orchesterprobe kommen, für welche ich ihn vor Allem mit einer grossen Brille ausgestattet hatte; denn ich hatte bemerkt, dass er wegen unvermutheter Kurzsichtigkeit genöthigt gewesen war, sich mit dem Gesicht so dicht auf die Noten zu lehnen, dass er hierbei unmöglich noch Orchester und Sänger unter den Augen haben konnte. Es genügte mir, den sonderbaren, bis dahin so ungemein zuversichtlichen jungen Mann in seiner Haltung am Direktionspulte zu sehen, wo er trotz seines auffallend bewaffneten Auges nur unverwandt in die Partitur starrte, und willenlos, wie im Traume, einen sich vorgesagten Takt mit dem Stocke in die Luft malte, um sogleich zu begreifen, dass ich jetzt in dem Garantie-Falle mich befand. Es war nun noch schwierig und für mich bemühend, meine Nöthigung, für ihn einzutreten, dem jungen Ritter begreiflich zu machen; doch half es nichts, ich musste die Wintersaison der Kramer'schen Kunst-Unternehmung einweihen, und brachte mich durch den Erfolg der von mir geleiteten Aufführung des Freischütz in eine sonderbare und schwer wieder zu beseitigende Lage, dem Theater wie dem Publikum gegenüber.

An die Behauptung der Musikdirektorstelle durch Karl war offenbar nicht mehr zu denken. Sehr merkwürdiger Weise fiel diese unangenehme Erfahrung aber mit einer sehr bedeutenden Wendung im Schicksale eines andren, ebenfalls von Dresden her mir bekannten, jungen Freundes, Hans von Bülow, zusammen. Bereits im vergangenen Jahre hatte ich den Vater, Eduard von Bülow, als neu verheirathet in Zürich angetroffen. Er hatte sich jetzt am Bodensee niedergelassen, und von dort aus meldete mir eben Hans, welcher zuvor sich mir zum Besuche in Zürich angekündigt hatte, dass er zu seinem grossen Leidwesen diesen seinen feurigsten Wunsch zu erfüllen verhindert sei. So weit ich in seine Lage einen Einblick gewann, schien es mir, dass seine Mutter, die nun geschiedene Frau seines Vaters, um jeden Preis ihren Sohn von der Künstler-Laufbahn zurück zu halten suchte, um ihn dagegen, mit Benutzung seiner bis dahin betriebenen juristischen Studien, zum Antritte einer Carrière im Staatsdienste oder im diplomatischen Fache zu bestimmen. Seine Neigung und sein Talent drängten ihn dagegen zur Musik. Es schien nun, dass die Mutter dem Sohne, bei der ihm ertheilten Erlaubniss zum Besuche seines Vaters, besonders eingeschärft hatte, eine Zusammenkunft mit mir zu vermeiden. Da ich jetzt erfuhr, dass auch der Vater ihn von einem Besuche in Zürich abhielt, musste ich, da andrerseits dieser sich ziemlich wohlwollend gegen mich bezeigt hatte, annehmen, er mache mit dieser Erlaubniss-Verweigerung ein Zugeständniss an seine geschiedene Frau, mit welcher er nach den kaum beruhigten Kämpfen der Ehetrennung in keinerlei neuen Konflikt zu treten wünschte, selbst wenn es sich um die Entscheidung der Lebensrichtung seines eigenen Sohnes handelte. Sollte ich in dieser Annahme, welche mich allerdings bis zur vollsten Rücksichtslosigkeit bitter gegen Eduard v. Bülow stimmte, geirrt haben, so war doch schon der ganze Ausdruck des Briefes, mit welchem Hans mir die grausame Nothwendigkeit anzeigte, in der er sich befand, mit offenen Augen eine ihm widerstrebende Laufbahn anzutreten, und somit für alle Zeiten sich in einen seelenzerplitternden Zwiespalt zu werfen, genügend, hierin einen der Fälle zu erblicken, welche, bei meiner damaligen stets leicht erregbaren Neigung zur Empörung gegen ähnlichen Zwang, mich bestimmte, in das Schicksal meines jungen Freundes in meiner Weise einzugreifen. Ich antwortete ihm in einem ausführlicheren Briefe, in dem ich ihm die Wichtigkeit der Lebensphase, in welcher er sich befand, energisch bezeichnete. Namentlich der verzweiflungsvoll zerrissene Ton, in welchem er sich an mich gewandt, gab mir ein Recht dazu, ihm zu Gemüthe zu führen, dass es sich hier nicht nur um seine äussere Lebensrichtung, sondern um die Bestimmung seines ganzen Geistes- und Gemüthslebens handelte. Ich führte ihm vor, was ich an seiner Stelle thun würde: empfände ich nämlich in mir einen wahrhaft unüberwindlichen und meine ganze Seele einnehmenden Trieb zur Künstler-Laufbahn, und fühlte ich mich geneigt, lieber die grössesten Beschwerden und Misshelligkeiten über mich ergehen zu lassen, als mein Leben in eine falsche Bahn gelenkt zu sehen, so würde ich sofort, wenn Jemand mir hierzu die Hand reichte, wie ich die meinige ihm hiermit böte, auf das Aeusserste hin meinen Entschluss fassen. Wolle er trotz des Verbotes seines Vaters zu mir kommen, so möge er sofort, nach Erhaltung dieses Briefes, unter allen Umständen diesen Entschluss ausführen. Karl Ritter war glücklich, als ich ihm diesen Brief zur persönlichen Bestellung auf dem Bülow'schen Gütchen übergab. Dort angekommen, liess er seinen Freund aus dem Hause rufen, begab sich mit ihm in's Freie, und liess ihn meinen Brief lesen, worauf dieser sofort sich entschied, ganz wie er ging und stand, bei Sturm und Regen in rauhester Jahreszeit, da Beide ohne genügende Geldmittel waren, zu Fusse nach Zürich zu wandern. Da traten sie eines Tages, wild und abenteuerlich, mit den lautredenden Spuren der ungeheuerlichen Reise, zu mir in das Zimmer. Ritter strahlte vor Freude über das gelungene Abenteuer, wogegen der junge Bülow mir eine grosse, ja leidenschaftliche Ergriffenheit zeigte. Ich fühlte ihm gegenüber sofort eine grosse und tiefe Verpflichtung, und zugleich ein wahrhaft inniges Mitleiden mit dem so krankhaft aufgeregten jungen Menschen; beides bestimmte lange Zeit mein Verhalten zu ihm.

Für's Erste galt es durch gute und heitere Miene Trost zu geben, und Vertrauen zu erwecken. Die äusserliche Lage war schnell geordnet: Hans trat als Gleichbetheiligter in das Contrakt-Verhältniss Karl's zur Theater-Direktion ein, was für jeden eine Art von Gehalt abwarf, wogegen ich als Garant für Beider Leistungen verblieb. Sogleich war eine Posse mit Musik zu übernehmen; ohne nur zu wissen um was es sich handle, trat Hans sofort an das Dirigentenpult, und schwang mit wahrer Lust und grösster Sicherheit den Taktstock. Nach dieser Seite hin fühlte ich mich sofort geborgen, und jeder Zweifel an des neuesten Musikdirektor's Fähigkeit war augenblicklich überwunden; wogegen es schwer war, Karl's aus grosser Beschämung hervorgehenden Missmuth über eine, offenbar über sein ganzes Leben entscheidende Aufklärung im Betreff seiner Unbefähigung zum praktischen Musiker, zu zerstreuen. Von hier an ward mir eine keimende Scheu und heimliche Abneigung des sonst so bedeutend begabten jungen Mannes gegen mich immer wahrnehmbarer. Es blieb unmöglich, ihn in der eingenommenen Stellung aufrecht zu erhalten, und je wieder an das Dirigentenpult zu berufen. Andrerseits entstand aber auch für Bülow bald eine unvorausgesehene Erschwerung seiner Stellung, und zwar dadurch, dass der Theaterdirektor und sein Personal, durch meine einmalige Orchesterdirektion verwöhnt, es fortan darauf anlegen zu müssen glaubten, mich immer wieder dazu herbei zu ziehen. Noch einige Male dirigirte ich wirklich, theils um durch meine Autorität der verhältnissmässig nicht übel bestellten Oper einigen Kredit beim Publikum zu verschaffen, theils um meinen jungen Freunden, und namentlich dem so sehr hierfür berufenen Bülow, durch mein Beispiel Das, worauf es beim Operdirigiren ankam, belehrend zu zeigen. Während nun Hans allen ihm verbleibenden Aufgaben sich so vollkommen gewachsen zeigte, dass ich endlich mit gutem Gewissen erklären konnte, unter keinen Umständen mehr für ihn einzutreten mich verpflichtet zu fühlen, wählte namentlich eine durch mein Lob eitel gewordene Sängerin den Weg, durch Verlegenheiten, welche sie mit absichtlicher Chicane dem jungen Dirigenten erzeugte, mich wiederum an das Pult zu nöthigen. Als wir diesen Stand der Dinge einsahen, und ich des Aergers hierüber genug hatte, kamen wir, nachdem zwei Monate dieser Praxis verflossen waren, mit der Direktion überein, das ganze, sehr peinlich gewordene Verhältniss zu lösen. Da gleichzeitig ein bedingungsloses Engagement als Musikdirektor Hans aus St. Gallen angetragen wurde, so entliess ich die beiden jungen Leute, welche gemeinsam ihr Glück nun dort versuchen wollten, in diese nachbarliche Stadt, um für das Weitere zunächst Zeit zu gewinnen.

In die Entscheidung seines Sohnes hatte sich Herr Eduard von Bülow, wenn auch mit grosser Misstimmung gegen mich, kluger Weise gefügt; auf einen Brief, in welchem ich meine Handlungsweise gegen ihn zu rechtfertigen suchte, hatte er mir zwar nicht erwidert, seinen Sohn aber, wie ich erfuhr, mit versöhnlicher Gesinnung in Zürich besucht. Ich selbst besuchte im Laufe der wenigen Wintermonate, welche sie noch in St. Gallen zubrachten, einige Male die jungen Leute. Karl war mit einem Versuche, die Gluck'sche Ouvertüre zu Iphigenia zu dirigiren, abermals unglücklich gewesen, so dass ich ihn in düstre Grübeleien verloren, und fern von aller Praxis des Lebens in ziemlich unerfreulicher Verfassung antraf, während Hans mit einem scheusslichen Personale, einem grauenhaften Orchester, und in einem unwürdigen Theaterlokale, qualvollst, aber eifrigst in voller Geschäftigkeit begriffen war. Da ich dieses Elend gewahrte, ward alsbald festgestellt, dass Hans für jetzt genug gethan und erlernt hätte, um seinen Beruf als praktischer Musiker auch nach dieser wichtigen Seite des Orchesterdirigenten hin ausser Zweifel gestellt zu haben. Es galt jetzt nur, ihm eine würdigere Sphäre für die Geltendmachung desselben zu verschaffen. Er theilte mir mit, dass er mit Empfehlungen von seinem Vater an Freiherr von Poissl, damaligen Intendanten des Münchener Hoftheaters, versehen werden sollte. Bald aber intervenirte auch seine Mutter mit dem Wunsche, ihren Sohn zur weiteren Ausbildung zu Liszt nach Weimar zu senden. Hiermit konnte ich denn nun am allerliebsten einverstanden sein; es gereichte mir zur wahren Beruhigung, den jungen, mir so schwer am Herzen liegenden Mann meinem grossen Freunde auch meinerseits herzlich empfehlen zu können. Mit Ostern 1851 verliess er St. Gallen, um von da an, für längere Zeit der Weimarischen Hut übergeben, meiner besondren Fürsorge enthoben zu werden. Nur Ritter blieb in melancholischer Abgeschiedenheit, und unschlüssig darüber, ob er zu mir nach Zürich, wo er unangenehmen Erinnerungen an sein verfehltes Auftreten entgegen ging, sich zurückwenden sollte, für's erste noch in seiner Einsiedelei zu St. Gallen zurück.

Zu erfreulicheren künstlerischen Uebungen, als der Aufenthalt in St. Gallen, war es dagegen bei einem Besuche der jungen Freunde während des vergangenen Winter's in Zürich gekommen, wo Hans diessmal als Klavierspieler in einem Konzerte der Musikgesellschaft auftrat, in welchem ich selbst, durch die Aufführung einer Beethoven'schen Symphonie unter meiner Leitung, in gegenseitig anregender Weise mitwirken konnte. Man hatte mich nämlich in diesem Winter von Neuem angegangen, mich bei den Konzertaufführungen dieser Gesellschaft mit etwas zu betheiligen; da die vorhandenen Orchesterkräfte sehr gering waren, konnte ich zu meiner Mitwirkung, welche ich je zuweilen nur auf eine Beethoven'sche Symphonie beschränkte, bloss dadurch bestimmt werden, dass man tüchtige Musiker, namentlich für die Verstärkung der Streichinstrumente, von Auswärts hinzuzog. Da ich jedesmal drei Proben bloss für die aufzuführende Symphonie verlangte, und ein Theil der Musiker von fernher besonders hierfür zusammen kam, erhielten diese Uebungen eine gewisse Feierlichkeit; da ausserdem die ganze Zeit, die man gewöhnlich auf eine Probe verwendet, mir ausschliesslich zu der einen Symphonie zur Verwendung stand, so gewann ich hier die Musse, welche ich auf die Ausarbeitung des feineren Vortrags, da andrerseits die rein technischen Schwierigkeiten nicht von grossem Belang waren, verwenden konnte, und gelangte so zu einer bisher mir nicht möglich gewordenen Freiheit des Vortrages, deren ich mir um so inniger bewusst wurde, als ich namentlich auch die Wirkung hiervon in überraschender Weise wahrzunehmen hatte. Ich entdeckte im Orchester selbst mehrere wahrhaft talentvolle und mit seltenem Erfolg bildsame Musiker, unter denen ich namentlich des aus untergeordneter Stellung zur ersten Stimme berufenen Hoboebläsers Fries erwähne, welcher seine in den Beethoven'schen Symphonien so überaus wichtige Partie bei mir ganz wie eine Gesangsstimme einüben musste. Als wir die C-moll-Symphonie zuerst aufführten, brachte ich es mit diesem sonderbaren Menschen, welcher, als ich mich später von den Konzerten zurückzog, sogleich das Orchester verliess und Musikalienhändler wurde, dahin, dass er die kleine, mit Adagio bezeichnete Gesangsstelle auf der einen Fermate des ersten Satzes dieser Symphonie, so bedeutend und ergreifend vortrug, wie ich seitdem es nie wieder hören konnte. Dazu hatten wir in dem fein gebildeten Herrn Ott-Imhof, einem reichen patricischen Kunstfreunde und Dilettanten, einen zwar nicht sehr energischen, aber ausserordentlich zart und weich betonenden Clarinettisten. Auch muss ich des ganz vorzüglichen Hornisten Bär erwähnen, welcher von mir zum Commandanten der Blechinstrumentisten bestellt wurde, auf deren Vortrag er einen sehr erfolgreichen Einfluss ausübte; ich entsinne mich nie wieder die ausgehaltenen starken Akkorde des letzten Satzes der C-moll-Symphonie mit solch intensiver Kraft, wie damals in Zürich, ausgeführt gehört zu haben, und glaube dem nur meine frühesten Erinnerungen an ähnliche Wirkungen im Vortrage des Pariser Conservatoire-Orchester's in der »neunten Symphonie« zur Seite stellen zu können. Die Aufführung dieser C-moll-Symphonie wirkte auf unser Publikum, namentlich aber auf meinen vertrauteren Freund, den bis jetzt der Musik abhold gewesenen Staatsschreiber Sulzer, in ganz besonders anregender Weise, und begeisterte den letzteren sogar, als es der Abwehr eines Zeitungsangriffes galt, zu einer, mit völlig Platen'scher Kunst gedichteten, Satyre auf den unberufenen Einsprecher. Zu einem zweiten Konzert, zu welchem ich mich in diesem Winter noch verstand, um in ihm die »Sinfonia Eroica« zur Aufführung zu bringen, ward, wie erwähnt, auch Bülow für einen Klaviervortrag eingeladen. Kühn, und in einem gewissen Sinne wenig selbstbedacht, wählte er hierzu die eben so geistvolle als schwierige Bearbeitung der »Tannhäuser-Ouvertüre« für das Klavier von Liszt; wie er im Allgemeinen damit Sensation erregte, setzte er namentlich mich über seine bereits zu hohem Grade gediehene, von mir bis daher noch nicht gebührend beachtete Virtuosität in Erstaunen, und erweckte in mir das grösste Vertrauen auf seine Zukunft. Bereits hatte ich ihn, wie beim Dirigiren, so auch beim Accompagniren als ungemein befähigt und entwickelt kennen gelernt; hierzu war im Verlaufe des vergangenen Winter's bereits neben den äusserlichen Schicksalen meines jungen Freundes, wie ich sie zuvor kurz bezeichnete, mancherlei Gelegenheit geboten worden. Oefters vereinigten sich Bekannte bei mir; auch ein regelmässiger Clubb ward von diesen gebildet, wo es dann meistens auf die Unterhaltung abgesehen war, welche eigentlich nur durch Bülow's Hülfe ermöglicht wurde. Ich trug dann selbst Geeignetes aus meinen Opern vor, welches Hans stets mit, für mich wohlthätigstem Verständnisse begleitete. Bei solcher Gelegenheit kam es auch meinerseits zu Vorlesungen aus meinen Manuskripten; namentlich habe ich in einer andauernden Aufeinanderfolge von Abenden einem stets zunehmenden, sehr aufmerksamen Zuhörerkreise mein, im Verlaufe dieses Winters geschriebenes, grösseres Buch » Oper und Drama« vollständig vorgelesen.

Als ich nämlich seit meiner Rückkehr zu einiger Ruhe und Besinnung gelangt war, fasste ich endlich auch die Wiederaufnahme meiner ernstlichen Arbeiten in das Auge. An die Komposition von »Siegfried's Tod« zu gehen, wollte mir aber nicht zu Sinnen: der Gedanke, mit klarem Bewusstsein eine Partitur nur für das Papier zu schreiben, entmuthigte mich stets von Neuem; wogegen es mich immer wieder drängte, der einst zu gewinnenden Möglichkeit für die Aufführung auch solch eines Werkes, wenn auch scheinbar auf weitestem Umwege, eine Grundlage zu verschaffen. Hierfür schien es mir vor allem nöthig, den wenigen Freunden, welche sich nah und fern ernstlich mit meiner Kunst befassten, immer deutlicheren Aufschluss über die nothwendig zu lösenden, bestimmt mir vorschwebenden, Jenen aber noch kaum nur sich darstellenden Probleme zu geben. Hierzu erhielt ich eine ganz besondere Veranlassung, als eines Tages Sulzer einen Artikel über die »Oper«, in dem Brockhaus'schen Conversations-Lexikon der Gegenwart, mir in der Meinung zeigte, durch die darin ausgesprochenen Ansichten mir verständig vorgearbeitet sehen zu können. Ein flüchtiger Blick in diese Arbeit zeigte mir sofort das gänzlich fehlerhafte derselben, und ich suchte Sulzer auf eben diese Grundverschiedenheit aufmerksam zu machen, welche zwischen den üblichen Ansichten sogar recht gescheidter Leute, und meiner Einsicht in das Wesen dieser Dinge bestehe. Da es mir natürlich nicht möglich war, auch durch noch so grosse Beredtsamkeit meine Ideen hierüber im Fluge zum Verständniss zu bringen, so machte ich mich alsbald bei meiner Nachhausekunft darüber, einen geregelten Plan zu einer ausführlicheren Behandlung derselben zu entwerfen. Somit übernahm ich die Ausarbeitung dieses Buches, welches ich unter dem Titel »Oper und Drama« veröffentlichte: eine Arbeit, welche mich mehrere Monate, bis zum Februar 1851, angestrengt beschäftigte. – Den ermüdenden Eifer, welchen ich auf die Beendigung dieser Arbeit verwendete, hatte ich schliesslich in grausamer Weise zu büssen: noch hatte ich nach meiner Berechnung wenige Tage angestrengten Fleisses für das Manuskript nöthig, als mein guter Papagey, welcher gewöhnlich auf dem Schreibtische mir zugesehen hatte, bedenklich erkrankte. Da er schon einige Male von gleichen Anfällen sich glücklich wieder erholt hatte, nahm ich es auch diessmal nicht so ängstlich: als meine Frau mich bat, den in einer entfernten Gemeinde wohnenden uns empfohlenen Thierarzt aufzusuchen, verschob ich diess, um nur meinen Schreibtisch nicht zu verlassen, vom nächsten auf den übernächsten Tag. Eines Abends spät wurde ich endlich mit dem verhängnissvollen Manuskripte fertig: am andren Morgen lag der gute Papo todt am Boden. Meine vollständige Untröstlichkeit über diesen traurigen Fall ward von Minna in gleich herzlicher Trauer getheilt, und in der Uebereinstimmung unserer Zuneigung für die uns so nah befreundeten Hausthiere begegneten wir uns in einer, für unser ferneres Nebeneinanderbestehen nicht unförderlichen, wirklich gemüthlichen Weise.

Ausser den Hausthieren waren uns aber auch die älteren Züricher Freunde, über die Katastrophe meines Familien-Verhältnisses hinweg, treu und anhänglich geblieben. Als der werthvollste und bedeutendste dieser stellte sich allerdings immer mehr Sulzer heraus. Die ausgesprochenste Verschiedenheit in den intellektualen Anlagen und Temperaments-Eigenschaften, welche zwischen uns stattfanden, schien unser Verhältniss gerade dadurch zu begünstigen, dass wir eigentlich immer nur Ueberraschungen an uns zu erleben hatten, welche sich, da der Grund derselben stets bedeutend war, zu den anregendsten und belehrendsten Erfahrungen gestalteten. Ausserordentlich reizbar, und von sehr zarter Gesundheit, war Sulzer, der gegen seine ursprüngliche Neigung in den Staatsdienst getreten war, und sein Belieben der strengen Gewissenhaftigkeit der Pflichterfüllung im weitesten Sinne geopfert hatte, durch seine Bekanntschaft mit mir stärker, als es ihm erlaubt schien, in die Sphäre des ästhetischen Genusses gezogen worden. Fast hätte er sich diese Ausschweifung leichter erlaubt, wenn auch ich mit der Kunst es unschwer genommen hätte; dass ich nun aber der künstlerischen Bestimmung des Menschen eine so ungemeine, weit über den Staatszweck hinausgehende Bedeutung zuerkannt wissen wollte, brachte ihn oft ganz aus der Fassung; wogegen nun aber gerade dieser mein grosser Ernst es war, der ihn wieder zu mir und meinen Anschauungen heranzog. Da diess nicht bloss zu Unterhaltungen und gemächlichen Diskussionen führte, sondern unsere beiderseitige grosse Reizbarkeit sehr oft die heftigsten Explosionen veranlasste, so geschah es mitunter, dass er, mit bebenden Lippen, Hut und Stock ergriff und ohne Abschied hastig davon ging. Es war nun hübsch, dass er andren Tags sich gewiss pünktlich zur Abendstunde wieder einstellte, und wir beide des Gefühles waren, als wenn gar nichts zwischen uns vorgefallen sei. Nur wenn ihn gewisse leidenvolle körperliche Zustände zur vollkommenen Einschliessung für längere Tage bestimmten, war es schwer bei ihm vorzukommen, weil er ganz wüthend werden konnte, wenn man ihn nach seiner Gesundheit frug; es gab dann ein einziges Mittel ihn in gute Stimmung zu versetzen: es musste nämlich erklärt werden, man habe ihn aufgesucht um einen Freundschaftsdienst von ihm zu erbitten; wo er dann, völlig angenehm überrascht, sich nicht nur zu jeder Gefälligkeit sogleich bereit zeigte, sondern auch eine wirklich heitere und wohlwollende Miene annahm.

Höchst auffallend stach nun neben ihm der Musiker Wilhelm Baumgartner ab: ein lustiger lebensfroher Bruder, ohne jede Neigung zur Concentration, der gerade so viel Klavierspielen gelernt hatte, um einen guten Lehrer für so viel Stundengeld, als er gerade gebrauchte, abzugeben, recht warm und sinnig für etwas Schönes, wenn es sich nur nicht zu hoch verlor, empfand; ein treues gutes Herz, der ausserdem vor Sulzer auch grossen Respekt hatte, leider aber dem Hange zur Kneipe dadurch nicht entwöhnt werden konnte. – Ausserdem hatten sich schon von der ersten Zeit her noch zwei Freunde dieser Beiden, der tüchtige und ehrenwerthe damalige zweite Staatsschreiber Hagenbuch, und ein sonderbar guthmütiger, aber geistig nicht eben sehr begabter, und desshalb von Sulzer nicht immer besonders schonungsvoll behandelter, Advokat und damaliger Redakteur der »eidgenössischen Zeitung«, Bernhard Spyri, gesellt. – Alexander Müller, welcher durch häusliche Calamität, körperliche Leiden, und handwerksmässiges Stundengeben, immer mehr in Beschlag genommen war, verschwand bald gänzlich aus unsrem Umgange. – Zu einem Musiker Abt fühlte ich, trotz seiner »Schwalben«, mich nicht hingezogen; auch verliess er uns bald, um in Braunschweig glänzende Carrière zu machen.

Nun war aber von aussen, namentlich durch die politischen Schiffbrüche, der Züricher Gesellschaft allerhand Bereicherung zugeführt worden. Bei meiner Zurückkehr im Januar 1850 traf ich bereits den, bürgerlich nicht uneleganten, aber ziemlich langweiligen Adolph Kolatschek: er fühlte sich zum Redigiren berufen, und hatte eine »deutsche Monatsschrift« gegründet, welche den in der letzten Bewegung äusserlich Besiegten das Feld zur Fortsetzung des Kampfes auf dem inneren Gebiete des Geistes eröffnen sollte. Fast schmeichelte es mir, dass ich von ihm als Schriftsteller beachtet wurde, da er dabei blieb, einem solchen Vereine geistiger Kräfte, wie ihm durch seine Unternehmung eine Grundlage gegeben werden sollte, dürfte »eine Potenz wie die meinige« nicht fehlen. Ich hatte ihm bereits von Paris aus den Aufsatz über »Kunst und Klima« zugeschickt; jetzt nahm er willig auch einige grössere Bruchstücke aus dem noch unveröffentlichten »Oper und Drama« auf, welche mir durch ihn auch sehr anständig honorirt wurden. Dieser Mann ist mir noch immer in Erinnerung als die einzige Erfahrung von einem taktvollen Redakteur; er gab mir das Manuskript einer Rezension meines »Kunstwerk der Zukunft« von einem Herrn Palleske zur Einsicht, und erklärte mir, ohne meine besondere Einwilligung, die er jedoch keineswegs von mir anspreche, sie nicht abdrucken lassen zu wollen. Da ich fand, dass diese oberflächliche, gänzlich verständnisslose und doch im hoffärtigsten Tone verfasste Besprechung, wenn sie gerade in dieser Zeitschrift erschien, mich jedenfalls zu einer, durch wiederholte Ausführung meiner wirklichen Thesen umständlichen und ermüdenden Erwiderung veranlassen müsste, ich aber hiergegen im höchsten Grade abgeneigt war, so liess ich es bei Kolatschek's Entschluss, das Manuskript seinem Verfasser zu anderweitigem Abdruck zu empfehlen. – Dagegen lernte ich an Kolatschek's Seite in Reinhold Solger einen wirklich ausgezeichneten und interessanten Menschen kennen; da seinem etwas unruhigen und abenteuerlichen Wesen das Eingepferchtsein in die kleine enge Züricher Schweizer-Welt unerträglich wurde, verliess er uns bald, und ging nach Nordamerika, von wo aus ich noch von seinem herausfordernden Auftreten mit Vorlesungen über die Europäischen Verhältnisse hörte. Gewiss war es Schade, dass dieser talentvolle Mann nicht dazu kam, durch bedeutendere Arbeiten sich bekannt zu machen; was er in der kurzen Zeit seines Züricher Aufenthaltes für unsere Monatsschrift schrieb, gehörte offenbar zu dem Vorzüglichsten, was jemals auf diesem Felde von einem Deutschen geleistet worden ist.

Im neuen Jahre 1851 gesellte sich zu diesen auch Georg Herwegh, welchen ich eines Tages zu meiner Ueberraschung in Kolatschek's Wohnung antraf. Die Schicksale, die ihn für jetzt nach Zürich führten, wurden mir erst später in einer etwas widerwärtig an mich herantretenden Gestalt bekannt; für jetzt gab sich Herwegh in einer gewissen aristokratischen Haltung als fein gewöhnter, üppiger Sohn seiner Zeit, dem namentlich einige stets in seiner Rede einfliessende französische Interjektionen ein sonderbar vornehmes, wenigstens verwöhntes Ansehen verliehen. Doch waren sein Aeusseres, sein lebhaft funkelndes Auge, und die Freundlichkeit seines Benehmens, recht wohl geeignet, einen anziehenden Eindruck auszuüben. Ich fand mich fast geschmeichelt, als er gern die Einladung zu meinen bäuerischen Abendzusammenkünften annahm, welche allerdings einige Male, als Bülow noch sie musikalisch belebte, sich ziemlich artig ausnehmen mochten, wogegen andrerseits mir allerdings gar nichts geboten wurde. Als ich zu Vorlesungen aus meinen Manuskripten schritt, behauptete meine Frau, dass Kolatschek eingeschlafen wäre, und Herwegh dabei sich nur ihren Punsch habe schmecken lassen. Als ich späterhin »Oper und Drama« in zwölf verschiedenen Abenden, wie ich erwähnte, meinen Züricher Freunden und ihren Bekannten vortrug, blieb Herwegh aus, weil er sich nicht unter diejenigen mischen wollte, für die so etwas nicht geschrieben wäre. Doch belebte sich allmählich mein Umgang mit ihm, wozu nicht nur meine Achtung vor einem kürzlich noch so sehr gefeierten Dichtertalente, sondern auch die Wahrnehmung der wirklich zarten und feinen Begabung eines wohlgebildeten Geistes beitrugen. Ich gewahrte endlich an Herwegh selbst das Bedürfniss nach meinem Umgange. Dass ich hierbei es immer nur zu den Berührungen der tieferen und ernsteren Interessen, welche mich so leidenschaftlich einnahmen, kommen liess, schien eine veredelnde Theilnahme an diesen selbst demjenigen hervorzurufen, der, seit dem schnellen Gewinne seines Dichterruhmes, zu seinem grossen Nachtheile sich so sehr nur in den, seinem ursprünglichen Naturell so ganz abliegenden, Aeusserlichkeiten einer trivialen Façon verloren hatte. Hierzu mochte die wachsende Bedrängniss seiner Lage, welche er bisher immer noch nach gewissen Ansprüchen auf Glanz beurtheilen zu müssen geglaubt hatte, viel beitragen. Kurz, ich fand an ihm zuerst den feinen, sympathischen Verstand für meine gewagtesten Entwürfe und Ansichten, und ich musste ihm bald Glauben schenken, wenn er mir versicherte, dass er nur noch mit meinen Gedanken sich beschäftige, auf welche gewiss Niemand so innig sich einliesse, als er.

Neue Nahrung erhielt dieser innigere und gewiss nicht unzarte Verkehr durch die Mittheilungen, die ich Herwegh bald über eine neue dramatische Dichtung machte, mit welcher ich mich im nahenden Frühjahre beschäftigen durfte. Die von Liszt im Spätsommer des vergangenen Jahres in das Werk gesetzte Aufführung des »Lohengrin« auf dem weimarischen Theater, hatte Folgen gehabt, wie sie bisher von Aufführungen mit so beschränkten Mitteln unmöglich zu erwarten gewesen waren. Diese konnten nur das Ergebniss des Eifer's eines so mannichfach reichbegabten Freundes wie Liszt sein. Lag es ausser seiner Macht, dem weimarischen Theater schnell Sänger von der Bedeutung zuzuführen, wie sie für den »Lohengrin« genügt hätten, und musste er nach vielen Seiten der Darstellung hin mit der blossen Andeutung des Geforderten sich begnügen, so liess er es nun seine Sorge sein, diese Andeutungen in geistvoller Weise zum Verständniss zu bringen. Zunächst setzte er selbst einen ausführlichen Bericht über die Erscheinung des »Lohengrin« auf: selten hat wohl die schriftliche Besprechung eines Kunstwerkes diesem so aufmerksame und im Voraus bis zu enthusiastischer Ueberzeugung bestimmte Freunde gewonnen, als die bis in die zartesten Details sich erstreckende Abhandlung Liszt's über den »Lohengrin«. Karl Ritter zeichnete sich auf das Vortheilhafteste dadurch aus, dass er eine ganz vorzügliche deutsche Uebersetzung des französischen Originals lieferte, welche in der »Illustrirten Zeitung« zunächst veröffentlicht wurde. Bald darauf gab Liszt sein, durch eine ähnliche Abhandlung über den »Tannhäuser« bereichertes Original auch in französischer Sprache heraus, und diese Brochure war es, welche seit jener Zeit für lange hin, namentlich im Auslande, eine oft überraschend mir entgegenkommende Theilnahme und eine genauere Kenntniss jener Arbeiten, als wie sie durch mangelhafte Einsicht in die Klavierauszüge gewonnen werden konnte, erweckte. Fern davon, hiermit sich zu begnügen, wusste Liszt nun aber auch immer neue intelligente Kräfte von Aussen zu den weimarischen Aufführungen meiner Opern herbei zu ziehen, um diejenigen, die richtig zu hören und zu sehen im Stande waren, mit freundlicher Gewalt auf dieselben aufmerksam zu machen. War ihm seine gute Absicht mit Franz Dingelstedt nicht eigentlich gelungen, da dieser mit offenbarem Widerwillen sich nur zu einem confusen Berichte über den »Lohengrin« in der »allgemeinen Zeitung« anliess, so scheint es seiner begeisternden Beredtsamkeit doch vollständig gelungen zu sein, Adolf Stahr in entscheidender Weise für mein Werk einzunehmen. Dessen ausführliche Besprechung meines »Lohengrin« in der Berliner »National-Zeitung«, welche meinem Werke eine grosse Bedeutung vindicirte, blieb ersichtlich nicht ohne nachhaltigen Eindruck auf das deutsche Publikum. Auch in den engeren Kreisen der spezifischen Musiker scheint es nicht unwichtig eingewirkt zu haben, dass Robert Franz, ebenfalls von Liszt fast gewaltsam zu einer Aufführung des »Lohengrin« herbeigezogen, in unverkennbar begeisterter Weise darüber sich vernehmen liess. Nach vielen Seiten hin wirkten diese Beispiele anregend, und eine Zeit lang schien es, als ob wirklich die sonst so stumpfsinnige musikalische Presse sich energisch fördernd mit mir befassen wollte. Was dieser Bewegung sehr bald, und für immer, eine gänzlich verschiedene Richtung geben sollte, werde ich in Kurzem zu erwähnen Veranlassung finden; für jetzt fasste Liszt aus all den freundlichen Wahrnehmungen den Muth, mich zu weiterem Vorgehen in meiner, nun bereits seit mehreren Jahren unterbrochenen, produktiven Thätigkeit zu veranlassen. War er mit dem »Lohengrin« zu Stande gekommen, so getraute er sich nun auch ein wohl noch kühneres Wagniss zu bestehen, und forderte mich auf, mein Gedicht von »Siegfried's Tod« für Weimar in Musik zu setzen. Auf seinen Antrieb musste der Intendant des weimarischen Theater's, Herr von Ziegesar, im Namen des Grossherzogs mir ein völliges Engagement hierfür antragen: ich sollte die Arbeit in Jahresfrist beendigen, und dafür während dieser Zeit 500 Thaler ausgezahlt bekommen. – Sonderbar war es, dass der Herzog von Coburg, etwa um dieselbe Zeit, ebenfalls durch Liszt, mich gegen eine Zahlung von 900 Thalern zur Instrumentation einer von ihm zu komponirenden Oper auffordern liess, und zwar wollte mein grossmüthiger Arbeitsbesteller es sogar übernehmen, trotz meiner Lage als Geächteter, mich in sein Schloss nach Coburg kommen zu lassen, wo ich mit ihm, dem Componisten, und Frau Birchpfeiffer, der Dichterin, eingeschlossen, das neue Werk fördern sollte. Liszt erbat von mir natürlich sich weiter nichts als einen anständigen Vorwand zur Ablehnung dieses Antrag's, wofür er aber doch für gut hielt, mir »körperliche und geistige Verstimmung« anzurathen. Später erzählte mir noch mein Freund, dass den Herzog zu dem Wunsche meiner Mitwirkung an seiner Partitur namentlich meine gute Anwendung der Posaunen bestimmt habe; als er hierfür von Liszt die Mittheilung meiner Maximen sich erbat, habe ihm dieser erwidert: das Besondere hierbei wäre, dass, ehe ich für die Posaune schriebe, mir immer etwas einfiele.

Dagegen fühlte ich mich nun sehr angezogen, auf das weimarische Anerbieten einzugehen. Noch ermüdet von meiner angestrengten Arbeit an »Oper und Drama«, angegriffen von so Manchem, was mein Gemüth kummervoll betraf, setzte ich mich seit langer Zeit zum ersten Male wieder an meinen, aus der Dresdener Katastrophe geretteten Härtel'schen Flügel, um zu versuchen, wie ich mich zur Composition meines schwer wiegenden Heldendrama's anlassen würde. Ich entwarf in flüchtiger Skizze die Musik zu dem in jener ersten Fassung nur andeutend ausgeführten Gesange der Nornen; als ich auch Brünnhilde's erste Anrede an Siegfried in Gesang übersetzte, entsank mir aber bald aller Muth, da ich nicht umhin konnte mich zu fragen, welche Sängerin im nächsten Jahre diese weibliche Heldengestalt in das Leben rufen sollte. Da fiel mir denn meine Nichte Johanna ein, welche ich früher in Dresden, so mancher schönen äusseren Begabung wegen, ungefähr für diese Rolle mir gedacht hatte. Diese hatte nun in Hamburg ihre Primadonnen-Carrière angetreten, und nach allen Berichten, die ich über sie erhielt, sowie namentlich auch aus dem Benehmen, welches sie mit ihrer Familie gegen mich recht ungenirt annahm, hatte ich zu schliessen, dass jede meiner noch so bescheidenen Hoffnungen auf ihr Talent für mich verloren gegangen sei. Dagegen hatte ich das andere Unglück, dass eine zweite Dresdener Prima-Donna, Mme Gentiluomo Spatzer, welche einst Marschner zu Donizettischen Dithyramben begeistert hatte, als Stellvertreterin Johanna's unaufhörlich mir vor die Phantasie trat: so dass ich einst wüthend vom Klaviere aufsprang und erklärte, für solche Steifröcke nichts mehr schreiben zu wollen. So wie ich in meinen Gedanken mich mit dem Theater nur in irgend welche Berührung wieder gebracht sah, fasste mich ein ganz unbeschreiblicher Unmuth, welchen ich für jetzt in keiner Weise zu bewältigen vermochte. Fast beruhigte es mich zu gewahren, dass an meiner grossen Verstimmung körperliches Uebelbefinden einen Antheil haben möge. Ich wurde nämlich in diesem Frühjahre durch einen Hautausschlag überrascht, welcher sich über den ganzen Leib ausdehnte. Mein Arzt verordnete mir dagegen Schwefelbäder, welche ich des Vormittags regelmässig anzuwenden hatte. So sehr diese Kur meine Nerven aufregte, und in Folge dessen mich später zur Ergreifung der radikalsten Mittel für meine Gesundheit veranlasste, wirkte doch für jetzt die regelmässige vormittägige Promenade nach der Stadt und zurück, beim frischen Erblühen des Mai's, zunächst erheiternd auf meine Gemüthsstimmung. Ich konzipirte den » jungen Siegfried«, welchen ich als heroisches Lustspiel der Tragödie »Siegfried's Tod« ergänzend voraus schicken wollte. Von dieser Empfängniss hingerissen, suchte ich mich sogleich auch zu überreden, dass dieses Stück leichter aufzuführen sein würde, als jenes ernst gewaltige. In diesem Sinne theilte ich Liszt mein Vorhaben mit, und bot der weimarischen Intendanz, für ihre nun ernstlich von mir anzunehmende Jahressubvention von 500 Thalern, das neu zu verfassende Gedicht und die musikalische Composition eines »jungen Siegfried« an. Ohne Zögern ward hierauf eingegangen, und ich zog mich nun in das, voriges Jahr von Karl Ritter verlassene, Dachstübchen zurück, um, zwischen Schwefel und Mai, das in meinem frühesten Plan bereits enthaltene Gedicht des »jungen Siegfried« in bester Laune und in kurzer Zeit auszuführen.

Ich muss nun der innigeren Freundesbeziehungen gedenken, welche ich seit meinem Fortgange von Dresden mit Theodor Uhlig, dem jungen Musiker des Dresdener Orchester's, dessen ich bereits früher gedachte, unterhalten hatte, und welche mit der Zeit bis zu einem wahrhaft ergiebigen Verhältnisse sich steigerten. Sein selbständiger, sogar etwas schroffer Sinn hatte sich, sowohl durch Theilnahme an meinem Schicksale, als durch ein sehr eingehendes Verständniss meiner Schriften, zur wärmsten, ja fast unbedingten Ergebenheit für mich gebildet. Auch er hatte zu den Besuchern der »Lohengrin«-Aufführung in Weimar gehört, und mir einen sehr verständigen Bericht darüber zugesandt. Da der Musikhändler Härtel in Leipzig auf mein Anerbieten, den »Lohengrin« herauszugeben ohne mir Honorar dafür zu zahlen, gerne eingegangen war, überwies ich auch Uhlig die Abfassung des Klavierauszuges. Hauptsächlich aber hielten uns die theoretischen Fragen, welche ich mit meinen Schriften angeregt, durch eifrige Correspondenz in Verbindung. Mich rührte es fast an ihm, dass er, den ich schon seiner Bildung nach doch nur als reinen Musiker nehmen konnte, auf die Tendenzen, welche viel allgemeiner gebildet erscheinende Musiker, als ihren spezifischen Kunstausübungen gefährlich, bis zur Verzweiflung erschreckten, eben weil er sie mit klarem Verstande erfasst hatte, vollkommen zustimmend einging. Er hatte für den Ausdruck dieser Uebereinstimmung alsbald auch die litterarische Fähigkeit gewonnen, und bezeugte diese in einem vortrefflichen grösseren Aufsatze über die Instrumental-Musik, welcher in Kolatschek's deutscher Monatsschrift veröffentlicht wurde. Ausserdem theilte er mir aber auch eine, bis jetzt noch Manuskript gebliebene, streng theoretische Arbeit über die musikalische Thema- und Satz-Bildung mit. Diese zeugte von einer ebenso originellen Auffassung, als gründlichen Erforschung des Verfahrens Mozart's und Beethoven's, namentlich in ihrem höchst charakteristischen Unterschiede, und schien mir, bei ihrer erschöpfend sicheren Ausführlichkeit, vollkommen geeignet, die Grundlage einer neuen Theorie der höheren musikalischen Satzkunst zu bilden, durch welche das geheimnissvollste Verfahren Beethoven's erklärt, und zu einem fasslichen Systeme der weiteren Anwendung ausgearbeitet werden durfte. Seine Aufsätze hatten den Herausgeber der »neuen Zeitschrift für Musik«, Franz Brendel, mit gutem Instinkt auf diesen ausgezeichneten jungen Mann aufmerksam gemacht. Zur Mitarbeit an seinem Blatte aufgefordert, ward es Uhlig bald leicht, Brendel gänzlich aus seiner bisher unentschiedenen Haltung zu reissen, und ihn, der es im Ganzen stets ehrlich und ernstlich meinte, mit Bestimmtheit und für immer derjenigen Seite zuzuwenden, welche von jetzt an bald als eine sogenannte »neuere Richtung« in der musikalischen Welt Aufsehen zu machen begann. Auch ich fand mich nun veranlasst, in diesem Sinne der Zeitschrift einen verhängnissvollen Beitrag zu widmen. Ich hatte bemerkt, dass hier öfter mit den gehässig klingenden Schlagwörtern »jüdische Melismen« »Synagogenmusik« und ähnlichen, umgegangen worden war, ohne dass hiermit etwas anderes als nichtssagende Aufreizungen sich zu erkennen gegeben hatten. Mich reizte es nun, das Thema der Einmischung der modernen Juden in die Musik, und ihres Einflusses auf dieselbe, näher zu betrachten, und die charakteristischen Merkmale dieses Phänomen's zu bezeichnen. Ich that diess in einem grösseren Aufsatze: »das Judenthum in der Musik«. Obwohl ich nicht gesonnen war, gegen Nachfrage mich als den Verfasser desselben zu verläugnen, hielt ich es doch für nützlich, mich zunächst mit einem Pseudonym zu unterzeichnen, um hierdurch zu vermeiden, dass die von mir sehr ernstlich gemeinte Angelegenheit sofort in das rein Persönliche verschleppt, und dadurch ihre wahre Bedeutung verdeckt würde. Das Aufsehen, welches dieser Artikel machte, ja der wahre Schrecken den er verbreitete, dürften kaum mit einer ähnlichen Erscheinung zu vergleichen sein. Die unerhörte Anfeindung, welche ich bis auf den heutigen Tag von der sämmtlichen Zeitungspresse Europa's erfahren habe, können einzig Demjenigen verständlich werden, welcher jenen Artikel und sein schreckliches Aufsehen zu seiner Zeit beachtet hat, und nun sich vergegenwärtigt, dass alle Zeitungen Europa's fast ausschliesslich in den Händen der Juden sind, wogegen Diejenigen nie klar sehen werden, welche den Grund dieser ununterbrochenen gehässigen Verfolgung etwa nur in einer theoretischen oder praktischen Abneigung gegen meine Ansichten oder künstlerischen Arbeiten suchen zu müssen glaubten. Zunächst brachte das Erscheinen dieses Aufsatzes einen Sturm, welcher über den ganz unbefangenen, und seiner That sich kaum bewussten Brendel, bald in eine Verfolgung, die auf Vernichtung abgesehen war, ausging. Ein anderes unmittelbares Ergebniss war es, dass von jetzt an selbst die Wenigen, welche bisher durch Liszt für mich sich zu erklären veranlasst worden waren, in sicheres Schweigen, endlich wohl selbst in eine feindselige Haltung sich zurückzogen, da für Alles, was sie in ihrem eigenen Interesse unternehmen mochten, es ihnen rathsam dünken musste, ihre Abwendigkeit von mir nachweisen zu können. Desto treuer und entschiedener hielt nun aber Uhlig zu mir; er kräftigte Brendel's zahmeren Sinn zur Ausdauer und half ihm fortwährend durch theils gediegene, theils witzige und scharf treffende Beiträge für seine Zeitung. Namentlich fasste er sogleich einen Hauptgegner, den von Ferdinand Hiller in Köln geworbenen Herrn Bischoff, welcher für mich und meine Freunde die Bezeichnung »Zukunftsmusiker« erfunden hatte, scharf in das Auge, und gerieth mit ihm in eine länger andauernde, ziemlich ergetzliche Polemik. Die Grundlage des bis zum europäischen Skandal allmählich angewachsenen, Problem's der sogenannten »Zukunftsmusik«, eine Bezeichnung, welche Liszt sehr bald mit guter und stolzer Laune acceptirte, war nun gelegt. Wohl hatte ich durch den Titel meines Buches, »Kunstwerk der Zukunft« zu jener Erfindung die eigentliche Veranlassung gegeben: zum völligen Schlachtruf ward die Bezeichnung jedoch erst erhoben, seitdem »das Judenthum in der Musik« alle Schleussen der Wuth über mich und meine Freunde geöffnet hatte. – Erst in die zweite Hälfte dieses Jahres fällt das Erscheinen meines Buches »Oper und Drama«, welches, soweit es überhaupt von den herrschenden Musikern nur eigentlich beachtet werden konnte, natürlich nicht wenig dazu beitrug, die gegen mich ausgebrochene Wuth zu nähren; jedoch nahm sie von da ab mehr den Charakter der Tücke und Verleumdungssucht an, da die Bewegung nun durch einen grossen Kenner in solchen Dingen, Herrn Meyerbeer, in ein planmässiges System gebracht wurde, welches er, von jetzt an bis an sein seliges Ende, mit sicherer Hand in Ausübung erhielt.

Noch in der ersten Zeit des offenen Wuthgeschreies, in welcher wir uns jetzt befanden, hatte Uhlig nun bereits auch eben dieses »Oper und Drama« kennen gelernt. Ich hatte ihm nämlich davon das Original-Manuskript geschenkt; da es zierlich in roth eingebunden war, verfiel ich darauf, als Widmung, im Gegensatze zu dem Göthischen »Grau, mein Freund, ist alle Theorie«, einzuzeichnen: » roth, mein Freund, ist meine Theorie.« Auch über diese Mittheilung entstand eine für mich anregende und wahrhaft erfreuliche Correspondenz mit dem jungen, schnell und scharf eindringenden Freunde, und ich hatte nun das herzliche Verlangen, nach Ablauf voller zweier Jahre der Trennung, ihn wiederzusehen. Meiner Einladung zu entsprechen war für den armen, kaum zum »Kammermusikus« bestellten Geiger, keine geringe Angelegenheit; doch suchte er freudig Alles zu überwinden, und kündigte mir für die ersten Tage des July seine Besuchsreise an. Ich beschloss ihm bis Rorschach am Bodensee entgegen zu gehen, um ihn von da aus auf dem Wege eines Schweizer-Ausfluges bis Zürich zu geleiten. Ich selbst machte mich schon hierzu, auf angenehmen Umwegen durch das Toggenburg, in alt gewohnter Weise zu Fusse auf. Heiter und erfrischt gelangte ich auf diese Art nach St. Gallen, wo ich nun Karl Ritter, nach Bülow's Fortgang in sonderbarster Abgeschiedenheit allein zurückgeblieben, aufsuchte. Den Grund seiner Einsamkeit konnte ich wohl errathen, obschon er mir von seinem angenehmen Umgange mit einem St. Galler Musiker, Greitel, erzählte, von dem ich später nie wieder etwas vernahm. Noch ganz ermüdet von der Anstrengung meiner Fussreise, konnte ich mich doch nicht enthalten dem äusserst intelligenten, und mit schnellster Fassungskraft begabten, jungen Freunde mein so eben vollendetes Manuskript der Dichtung des »jungen Siegfried« als meinem ersten Zuhörer vorzulesen. Der Eindruck davon auf ihn erfreute mich sehr, und in bester Laune bestimmte ich ihn nun, seine sonderbare Einsiedelei zu verlassen, und mit mir Uhlig entgegen zu gehen, um dann gemeinschaftlich mit uns beiden über den hohen Säntis zu längerem freundschaftlichem Aufenthalt nach Zürich zu wandern.

Der Anblick des erwarteten Gastes, als er in dem mir bereits wohlbekannten Rorschacher Hafen landete, erfüllte mich sofort mit Bangen für die Gesundheit des jungen Freundes, da seine Anlage zur Schwindsucht sofort zu erkennen war. Um ihn zu schonen, wünschte ich der verabredeten Bergbesteigung zu entsagen, wogegen er mit Lebhaftigkeit auf der Ausführung derselben bestand, da dergleichen Anstrengungen in freier Luft ihn nur von der verzehrenden Ermüdung durch den abscheulichen Geigerdienst erholen könnten. Nachdem wir zu drei das Appenzeller Ländchen durchwandert, machten wir uns denn nun wirklich zu der nicht unbeschwerlichen Ueberschreitung des hohen Säntis auf. Es war auch für mich das erste Mal, dass ich im Sommer ein lang sich hindehnendes Schneefeld durchschritt. Auf der sehr wilden Höhe, in der Senn-Hütte unseres Führers angelangt, und durch eine äusserst frugale Kost gestärkt, galt es nun noch den einige hundert Fuss aufragenden steilen Felsenkegel, welcher die eigentliche Spitze des Berges bildet, zu besteigen. Hier weigerte sich Karl plötzlich uns zu folgen; um ihn aus seiner Weichlichkeit aufzurütteln, sandte ich den Führer zurück, welcher ihn auf unser Zureden mit halber Gewalt zu uns zu bringen hatte. Da wir nun von Stein zu Stein an dem jähen Abhange hinauf klommen, bemerkte ich allerdings, wie übel ich gethan hatte, Karl zur Theilnahme an dieser gefahrvollen Besteigung zu nöthigen. Offenbar machte ihn der Schwindel völlig bewusstlos; er starrte wie ohne Sehkraft vor sich hin; wir mussten ihn durch unsre Stäbe zwischen uns einschliessen, und jeden Augenblick glaubte ich ihn zusammenbrechen und hinabstürzen sehen zu müssen. Als wir auf der Spitze anlangten, sank er gänzlich ohne Besinnung zu Boden; und ich hatte nun zu empfinden, welche furchtbare Verantwortung ich mir zugezogen, da jetzt noch der gefährlichere Rückweg zu beschreiten war. Unter einer Beängstigung, die, während sie meine eigene Gefahr mir vollkommen verbarg, mir immer nur das Bild des im Abgrunde zerschmetterten jungen Freundes vorhielt, gelangten wir endlich doch glücklich wieder zur Sennhütte zurück. Da wir Anderen entschlossen blieben, den vom Führer uns als nicht ungefährlich bezeichneten Hinabstieg über den jähen Abhang der andren Seite des Berges auszuführen, bestimmte ich nun, durch meine so eben ausgestandene unbeschreibliche Pein wohl belehrt, den jungen Ritter, zunächst in der Hütte zurückzubleiben, den baldigst von uns zurückzusendenden Führer zu erwarten, und mit diesem dann den durchaus ungefährlichen Rückweg nach der Seite hin, von wo wir gekommen, anzutreten. Somit trennten wir uns hier, da er in seiner Richtung nach St. Gallen zurückgehen musste, wir aber durch das schöne Toggenburger Thal des andren Tages nach Rapperswyl und dem Züricher See zur Heimkehr uns wandten. Erst nach längeren Tagen entriss uns Karl der Sorge um ihn durch seine Ankunft in Zürich, wo er kurze Zeit mit uns vereinigt blieb, dann aber bald sich losriss, vielleicht um nicht wieder in Versuchung zu kommen, auf eine neue Gebirgsreise, die wir uns allerdings vorgenommen hatten, uns zu begleiten. Ich erfuhr von ihm erst wieder, als er einen längeren Aufenthalt in Stuttgart genommen hatte, wo er mit einem jungen Schauspieler, mit dem er schnell befreundet worden war, in engem Umgange lebend, sich wohl zu befinden schien.

Herzlich erfreute mich nun meinerseits der vertraute Umgang mit dem sanften, und doch so männlich fest gesinnten, ausserordentlich begabten jungen Dresdener Kammermusikus, der mit seinem hellblonden Lockenkopfe und schönem blauen Auge auf meine Frau den Eindruck machte, als ob ein Engel bei uns eingekehrt sei. Für mich hatte seine Physiognomie ausserdem das Interessante und in Betracht seines Schicksales Rührende, dass seine auffallende Aehnlichkeit mit dem damals noch lebenden Könige Friedrich August von Sachsen, meinem alten Gönner, mir das andrerseits zugekommene Gerücht zu bestätigen schien, dass Uhlig der natürliche Sohn desselben sei. Unterhaltend war es mir, durch ihn wieder Berichte über Dresden, das Theater und die dortigen musikalischen Zustände zu erhalten. Meine Opern, bisher die Glorie derselben, waren gänzlich vom Repertoire verschwunden; vom Charakter des Urtheils meiner ehemaligen Collegen über mich gab er mir eine hübsche Notiz: als »Kunst und Revolution« und das »Kunstwerk der Zukunft« erschienen waren und besprochen wurden, hatte Einer geäussert: »na, der kann auch lange machen, ehe er sich wieder zum Kapellmeister schreibt.« Um die musikalischen Fortschritte zu bezeichnen, erzählte er mir, dass Reissiger, als er die früher von mir ausgeführte A-dur-Symphonie zu dirigiren hatte, sich in folgender Weise aus einem ihm aufstossenden Dilemma half. Die grosse Schluss-Entwicklung des letzten Satzes führt Beethoven hier bekanntlich durch ein unausgesetzt unterhaltenes Forte, welches er endlich nur noch durch ein sempre più forte steigert, aus: hier hatte nun Reissiger, welcher vor mir bereits diese Symphonie dirigirte, bei ihm günstig dünkender Gelegenheit ein piano eingeschaltet, jedenfalls um es doch mindestens zu einem crescendo bringen zu können; dieses hatte ich natürlich sofort wieder entfernt, und dafür dem Orchester anempfohlen, fortwährend mit der äussersten Kraft zu spielen. Da die Symphonie nun wieder in meines Vorgängers Hände kam, fiel es ihm doch beschwerlich, jenes unglückliche piano wieder zu restituiren; dennoch musste er auch seine Autorität, die hierbei kompromittirt war, zu retten suchen: und so setzte er fest, dass, statt forte »mezzo forte« gespielt werden sollte.

Am traurigsten betraf mich ganz besonders die Nachricht von der grenzenlosen Verwahrlosung meines unglückseligen Opernverlages unter dem Schutze des Hofmusikalienhändlers Meser, welcher, da nur Geld darauf zu zahlen sei, wogegen gar nichts dafür einkäme, sich als von mir verführtes Opferlamm gebärdete. Dennoch verwehrte er sorgsam jeden Einblick in seine Bücher, indem er behauptete, dass er dadurch mein Eigenthum rettete, welches ausserdem, da all mein Vermögen konfiszirt sei, der sofortigen Beschlagnahme verfallen würde. – Angenehmer waren unsere Unterhaltungen über »Lohengrin«, von welchem mein Freund den Klavierauszug nun beendigt hatte und bereits die Korrekturen des Stiches besorgte.

Nach einer neuen Seite hin gewann Uhlig einen für lange entscheidenden Einfluss auf mich durch seine enthusiastische Anpreisung des Wasserheilungsystem's. Er brachte mir ein Buch hierüber von einem gewissen Rausse mit, welches mich namentlich durch seine radikale Tendenz, die etwas Feuerbach'sches an sich hatte, in sonderbarer Weise befriedigte. Die kühne Zurückweisung der ganzen medizinischen Wissenschaft mit allen ihren Quacksalbereien, dagegen die Anpreisung des einfachsten Naturverfahrens durch methodische Anwendung des stärkenden und erquickenden Wasser's, gewann mich schnell zu leidenschaftlicher Eingenommenheit. Es ward nämlich behauptet, dass jedes eigentliche Medikament nur in so fern eine Wirkung auf den Organismus haben könnte, als es Gift sei, und von diesem daher nicht assimilirt würde; es ward nachgewiesen, dass solche, durch lange Anwendung von Medikamenten siech gewordene Menschen von dem berühmten Priesnitz dadurch geheilt worden seien, dass dieses im Körper verhaltene Gift nach der Haut getrieben, und durch diese zur gänzlichen Ausscheidung gebracht worden wäre. Nun fielen mir sogleich die im vergangenen Frühjahre widerwillig von mir angewandten Schwefelbäder ein, und meine fortwährend ungemein starke Reizbarkeit schrieb ich, zum Theil wohl nicht mit Unrecht, dieser Kur zu. Diesen zuletzt empfangenen, und allen seit langer Zeit möglich aufgenommenen Giftstoff von mir auszutreiben, um durch ausschliessliches Wasserrégime mich zu einem radikal gesunden Ur-Menschen umzuschaffen, ward nun für lange Zeit die Angelegenheit, welche mich mit steigender Leidenschaftlichkeit beschäftigte. Uhlig selbst behauptete, durch streng eingehaltenes Wasserrégime gewiss zu sein, seine eigene Gesundheit vollkommen kräftigen zu können. Auch mein Glaube hieran wuchs täglich. – Mit Ende July traten wir eine Wanderung durch den inneren Theil der Schweiz an: von Brunnen am Vierwaldstätter See gingen wir über Beckenried nach Engelberg, und überschritten von dort die wilde Surenen-Eck, bei welcher Gelegenheit wir auch erträglich über den Schnee zu rutschen lernten. Bei Ueberschreitung des hohen Gebirgflüsschen's traf Uhlig jedoch das Ungemach, in das Wasser zu fallen; meine Besorgniss über die Folgen hiervon verscheuchte er sogleich durch die Versicherung, dass diess ein sehr wohlthätiges Exercitium zur Fortsetzung seiner Kur sei: die Nöthigung zum Trocknen seiner Kleider und Wäsche setzte ihn nicht in die geringste Verlegenheit, da er diese ruhig an der Sonne ausbreitete und während dem eine, wie er behauptete, sehr wohlthätige Promenade mit nacktem Leibe in freier Luft ausführte. Wir unterhielten uns während dem über wichtige Probleme der Themen-Bildung Beethoven's, bis ich mir den Scherz machte, ihn für einen Augenblick durch die Nachricht aus der Fassung zu bringen, dass ich dort hinter ihm den Hofrath Carus mit Gesellschaft aus Dresden kommen sähe. So gelangten wir in heiterster Laune endlich in das Reuss-Thal bei Attinghausen, und wanderten am Abend noch bis Amsteg, von wo aus wir am anderen Morgen, trotz der grossen Ermüdung, sofort noch den Besuch des Maderaner-Thales ausführten. Dort gelangten wir bis an den Hüfi-Gletscher, von wo aus wir den Blick in die erhabene Gebirgswelt, welche sich dort mit dem Tödy abschliesst, warfen. Am gleichen Tage wieder zurück nach Amsteg gelangt, fühlten wir uns endlich doch hinreichend erschöpft, so dass es mir gelang, meinen für den andren Tag zur Besteigung des Klausen-Passes im Schächen-Thal höchst günstig gestimmten Freund hiervon abzubringen, und zur behaglichen Rückreise über Flüelen zu bewegen. Dem immer ruhigen, und höchst gelassenen jungen Manne sah ich wirklich keinerlei Erschöpfung an, als er mit Anfang des August seine Rückreise nach Dresden antrat, wo er allerdings die ihn wahrhaft bedrückende Lebenslast nun dadurch sich zu erleichtern hoffte, dass er die Direktion der Zwischenakt-Musik in den Schauspielen, welche er mit künstlerischem Sinne zu organisiren gedachte, zu übernehmen vorhatte, und dadurch von dem eigentlich beschwerenden und demoralisirenden Opern-Dienste Befreiung erhielt. Doch fasste mich grosse Betrübniss als ich ihn zu dem Postwagen geleitete; auch ihn schien ein plötzliches Bangen zu ergreifen; und wirklich sahen wir uns jetzt zum letzten Male.

Für jetzt blieben wir in der regsten Korrespondenz; da seine Briefe mich immer angenehm unterhielten, und längere Zeit fast das einzige Band für meinen Verkehr mit der Aussenwelt bildeten, bat ich ihn immer, mir recht viel zu schreiben. Weil das Briefporto damals noch theuer war, und voluminöse Briefe unserer Kasse empfindlich fielen, gerieth Uhlig auf den ingeniösen Gedanken, die Paket-Post für unsere Korrespondenz zu benützen; da aber nur Sendungen von bedeutenderem Gewicht durch diese expedirt werden durften, so erhielt eine alte deutsche Uebersetzung des »Figaro« von Beaumarchais, welche Uhlig in einem ehrwürdigen Exemplare besass, die eigenthümliche Bestimmung, als Ballast für unsere Briefe zwischen uns hin und her geschickt zu werden; so dass denn allemal, wenn unsere Schreiben gehörig angewachsen waren, dieses damit angekündigt wurde: »heute bringt Figaro wieder Botschaft«. – Zunächst erfreute Uhlig sich noch sehr an der »Mittheilung an meine Freunde«, welche ich als Vorwort zu einer Herausgabe meiner drei Operndichtungen, »der fliegende Holländer, Tannhäuser und Lohengrin«, sofort nach unserer Trennung noch niederschrieb. Es belustigte ihn auch zu erfahren, dass Härtel, welcher dieses Buch gegen ein Honorar von 10 Louisd'or zum Verlag angenommen hatte, sich gegen einige Stellen des Vorwortes, durch welche ich sowohl die Rechtgläubigkeit als den Staatsrespekt der Verleger affizirte, mit so entschiedener Protestation auflehnte, dass ich wirklich geneigt war, das Buch einem anderen Buchhändler zu übergeben, bis ich mich denn zur Nachgiebigkeit bewogen fühlte, und durch geringe Aenderungen die beängstigten Gewissen beruhigte.

Mit diesem umfangreichen Vorworte, welches mich den Monat August über beschäftigt hatte, sollte nun für jetzt und, wie ich hoffte, für immer mein Ausflug in das litterarische Gebiet geschlossen sein. Sobald ich aber ernstlich an die Aufnahme der Komposition des für Weimar versprochenen »jungen Siegfried« dachte, befiel mich immer wieder ein schwermüthiger Zweifel, den ich sogar als wirklichen Widerwillen gegen diese Arbeit empfand. Unklar über den Grund dieser inneren Verstimmung, gerieth ich darauf, ihn in meinem Gesundheitszustande zu suchen; und so beschloss ich denn eines Tages, aus der von mir so enthusiastisch aufgenommenen Wasserheiltheorie zum praktischen Ernste überzugehen, erkundigte mich nach einer nahegelegenen hydropathischen Anstalt, und eröffnete meiner Frau, dass ich dieser Tage (es war Mitte September) nach dem etwa drei Stunden entfernten Albisbrunnen mich zurückziehen werde, um nicht eher wieder zu kehren, als bis ich ein radikal gesunder Mensch geworden wäre. Minna war über diese Ankündigung meines Vorhabens sehr erschrocken, und glaubte darin eine neue Tendenz zur Flucht vom Hause ersehen zu müssen. Ich gab ihr dagegen auf, für meine Rückkehr die von uns gemiethete neue, zwar sehr kleine, aber gut gelegene Wohnung im Parterre der vorderen Escher-Häuser im Zeltweg, so behaglich wie möglich einzurichten, da wir doch, der grossen Beschwerlichkeit des Winter-Aufenthaltes in der bisherigen entfernten Wohnung wegen, nach der Stadt uns zurück zu ziehen beschlossen hatten. – Allgemein wurde mein Vorhaben, bei so vorgerückter Jahreszeit eine Wasserkur zu unternehmen, mit grosser Verwunderung aufgenommen; doch gelang es mir sofort einen Leidensgefährten zu werben. Mit Herwegh war mir diess durchaus nicht geglückt; dagegen hatte mir das Schicksal in dem ehemaligen sächsischen Gardelieutenant und früheren Geliebten der Schröder-Devrient, Hermann Müller, einen biedren und zur Unterhaltung aufgelegten Genossen zugewiesen. Die Beibehaltung seiner Stellung in der sächsischen Armee war diesem unmöglich geworden, und wenn auch nicht wirklicher politischer Flüchtling, so genoss er doch, da ihm in Deutschland jedes Fortkommen verschlossen war, und er sich nun zur Orientierung über einen neuen Lebensplan nach der Schweiz gewandt hatte, die gewisse Rücksicht als exilirter Patriot. Aus meiner ersten Dresdener Zeit her zu sehr häufigem Umgang mit mir gewöhnt, fand er sich bald auch in meinem Hause, wo ihn namentlich meine Frau sehr gerne sah, als stehender Familienfreund zurecht. Ich beredete ihn leicht, zur gründlichen Behandlung eines Leidens, welches ihn plagte, mir in wenigen Tagen nach Albisbrunnen nach zu folgen. Dort richtete ich mich nun, da ich es auf einen durchschlagenden Erfolg abgesehen hatte, so vortheilhaft wie möglich ein. Die Kur selbst ward von einem Dr. Brunner, welchen meine Frau bei ihren Besuchen als »Wasserjuden«, wie sie ihn nannte, bald gründlich zu hassen lernte, nach der herkömmlichen oberflächlichen Methode betrieben; früh um 5 Uhr zum Schwitzen eingewickelt, nach einigen Stunden in ein endlich nur noch vier Grade Wärme enthaltendes Bad gestürzt, worauf zur Erwärmung eine heftige Promenade durch den bald eisig sich einstellenden Spätherbst. Dazu Wasser-Diät ohne Wein, Kaffee oder Thee, eine schreckliche Tischgesellschaft von lauter Inkurabeln, traurige Abende mit endlich hülfreich herbeigezogenem Whistspiel, Fernhaltung jeder geistigen Arbeit, dazu wachsende Anstrengung und Ueberreizung der Nerven; diess war das Leben, in welchem ich neun Wochen aushielt, und von welchem ich eigentlich nicht eher ablassen wollte, als bis, wie ich erwartete, alle jemals genossenen Medikamente auf meiner Haut erscheinen würden. Da ich selbst den Wein für grundgefährlich hielt, so nahm ich an, ich müsste auch von den vergangenen Gastereien bei Sulzer noch in mir verbliebene unassimilirbare Substanzen zum Ausschwitzen bringen. Das höchst entbehrungsvolle Leben in einer dürftigen Kammer mit harten Holzmöbeln und all dem nüchternen Hausrathe der bekannten Schweizer-Pensionen, erzeugte nun in mir zu seinem Gegensatz die Sehnsucht nach einer besonders angenehmen und behaglichen Häuslichkeit, welche jetzt für lange Zeit zu einem, mit den Jahren sich immer mehr ausbildenden, wohl fast leidenschaftlichen Hange wurde. Meine Phantasie beschäftigte sich damit, wie ein Haus und eine Wohnung eingerichtet sein sollten, um meinen Geist für künstlerisches Produziren angenehm und frei zu erhalten.

Hierzu gesellten sich Anzeichen für eine mögliche allmähliche Verbesserung meiner Lage überhaupt. Zu seinem Unglück schrieb mir Karl Ritter von Stuttgart aus in die Wasserheilanstalt von seinen Privat-Versuchen, der Erfolge der Wasserkur sich, zwar nicht durch Baden, aber doch durch ausserordentlich vieles Trinken zu versichern. Ich hatte nun erfahren, dass das übermässige Wassertrinken, ohne die Hülfe der übrigen Behandlung, höchst gefährlich wirken könne, und forderte jetzt von Karl: er möge sich einer regelmässigen Behandlung unterziehen, sich nicht weibisch von Entbehrung zurückhalten, und sofort zu mir nach Albisbrunnen kommen. Wirklich gehorchte er mir sogleich, und kam zu meinem freudigen Erstaunen nach wenigen Tagen in Albisbrunnen an. Zwar war er von gleichem Enthusiasmus für die radikale Hydropathie erfüllt, nur widerte ihn die praktische Anwendung sehr bald an; er polemisirte gegen die unverdauliche kalte Milch, da sie in der Natur, als Muttermilch, doch nur warm getrunken würde. Die Einpackungen und kalten Bäder fand er aufregend, und wünschte bald auf seine eigene Art, hinter dem Rücken des Arztes, sich auf eine angenehmere Weise selbst zu behandeln. Hierzu gehörte, dass er im nahen Dorfe elende Zuckerbäckereien ausfindig machte; wenn er beim verborgenen Ankaufe derselben betroffen wurde, machte ihn diess sehr böse, und bald fühlte er sich in einer gezwungenen, ihn anwidernden Lage, welcher zu entfliehen ihn jedoch wieder das Ehrgefühl abhielt. – Hier traf ihn nun plötzlich die Nachricht vom Tode eines reichen Onkels, welcher auch jedem Gliede von Karl's nächster Familie ein nicht unbedeutendes Vermögen hinterlassen hatte. Seine Mutter zeigte ihm und mir diese Verbesserung ihrer Vermögens-Umstände mit der Erklärung an, dass sie nun auch in den Stand gesetzt sei, mich regelmässig mit der, früher von den beiden Familien Laussot und Ritter mir gebotenen Subvention, für ihr Theil versorgen zu können. Somit trat ich für so lange, als ich dessen benöthigt war, mit einer Jahresrente von 800 Thalern in die Genossenschaft der Familie Ritter ein.

Diese ebenso erfreuliche, als neu ermuthigende Wendung, brachte sofort den Entschluss, meinen ursprünglichen Entwurf der »Nibelungen« vollständig, und ohne alle Rücksicht auf Ausführbarkeit der einzelnen Theile auf unsren Theatern, auszuarbeiten, in mir zur Reife. Hierzu war vor allen Dingen nöthig, dass ich mich von meiner Verpflichtung gegen die weimarische Theaterintendanz befreite. Bereits hatte ich von dem mir bestimmten Honorare 200 Thaler bezogen: Karl jubelte, als er mir diese sofort zur Verfügung stellen konnte, um sie zurück zu erstatten. Ich begleitete diese Zurücksendung an die weimarische Theaterintendanz mit der herzlichsten Anerkennung ihres Benehmens gegen mich ausserdem aber mit einem Brief an Liszt, in welchem ich ihm auf das allergenaueste mein grosses Vorhaben, und die inneren Nöthigungen dazu auseinandersetzte. Liszt's Antwort verkündete mir nur seine Freude darüber, mich in der Lage zu wissen, an eine so ausserordentliche Arbeit gehen zu können, und schien den ganzen Plan, schon seiner überraschenden Ungewöhnlichkeit wegen, ganz meiner würdig zu halten. Nun athmete ich auch wirklich auf: denn der Gedanke, selbst den »jungen Siegfried« sofort, in der Weise und mit der Absicht, ihn alsbald mit den gänzlich unvorbereiteten Kräften selbst des besten deutschen Theater's zur Darstellung gebracht zu sehen, liefern zu sollen, war mir, seitdem ich eine ernstere Nöthigung dazu übernommen hatte, als eine kaum mehr zu verbergende Belügung über mich selbst vorgekommen.

Jetzt ward nun auch mir der Wasserkur-Aufenthalt immer quälender; ich sehnte mich nach der Arbeit, und gerieth darüber, dass ich mir diese hier versagen musste, in eine zunehmende, endlich sogar bedenkliche Aufregung. Dass der Zweck meiner Kur gänzlich verfehlt, und sogar in eine sehr nachtheilige Wirkung umgeschlagen war, suchte ich mir zwar mit grosser Hartnäckigkeit zu verbergen: die radikalen Sekretionen waren zwar nicht eingetreten, dafür aber mein ganzer Körper in erschreckender Weise abgemagert. Ich hielt mich an dieses Ergebniss, glaubte nun genug gethan zu haben, um schöne Erfolge als Nachwirkung zu erwarten, und verliess Ende November die Anstalt, aus welcher Müller mir nach einigen Tagen nachfolgen, wo Karl aber, um konsequent zu sein, noch bis zum Eintritt einer ähnlichen schönen Wirkung, wie ich sie zu verspüren vorgab, aushalten wollte. – In Zürich erfreute mich nun die Einrichtung, welche Minna der, wenn auch sehr engen, neuen Stadtwohnung gegeben hatte. Ein grosser und breiter Diwan, etwas Teppich für den Fussboden, und mehrere andre Behaglichkeiten waren angeschafft worden; ich hatte in meinem Hinterzimmer über meinen ordinären Arbeitstisch von weichem Holz einen grünen Tuch-Teppich und leichte grün seidene Gardinen ringsherum durchgesetzt, welches mir und aller Welt ausserordentlich gefiel. Dieser so garnirte Tisch, an welchem ich seither stets gearbeitet, wanderte nach Jahren mit nach Paris, und gieng, als ich dieses wieder verliess, an Blandine Ollivier, Liszt's ältere Tochter über, welche ihn von da nach St. Tropez auf das Landgütchen ihres Mannes schaffen liess, wo er, wie ich vernehme, heute noch sein Dasein fristet.

Ich freute mich, meine Züricher Freunde in der, zu Besuchen auch ihnen bequemer gelegenen, neuen Wohnung wieder zu empfangen; nur verdarb ich ihnen für längere Zeit alle gastfreundschaftliche Unterhaltung durch meine leidenschaftliche Agitation für die Wasserdiät, und die damit verbundene Polemik gegen Wein und andere narkotische Getränke. Für mich war hieraus eine neue Religion entstanden: war ich z. B. von Sulzer und Herwegh, welcher Letzterer sich chemischer und physiologischer Kenntnisse rühmte, wegen der Unhaltbarkeit der Rausse'schen Theorie über die Gift-Eigenschaft des Weines in die Enge getrieben worden, so hielt ich mich nun an das moralisch ästhetische Motiv, welches mich im Weingenuss ein schlechtes und barbarisches Surrogat für die nur durch die Liebe zu gewinnende extatische Stimmung erkennen liess. Ich behauptete nämlich, dass, was man im Weine suche, selbst wenn es nicht bis zum Exzess getrieben würde, doch die Tendenz der Berauschung in sich schliesse, somit einer extatischen Belebung der geistigen Kräfte, welche jedoch nur derjenige Mann in wahrhaft veredelndem Sinne an sich erfahre, der durch die Berauschung der Liebe diese Seelenkräfte abnorm aufgeregt fühle. Dieses führte denn überhaupt zu einer Kritik des modernen Verhältnisses der Geschlechter zu einander, wozu ich namentlich durch die Beobachtung der Absonderung der Männer von den Frauen, wie sie roher Weise in den Schweizerischen Gewohnheiten vorlagen, veranlasst wurde. Sulzer meinte, er habe gar nichts dagegen, sich durch Umgang mit Frauen berauschen zu lassen, nur »wo sie hernehmen und nicht stehlen?« Herwegh wollte schon mehr auf meine Paradoxen eingehen, nur meinte er, der Wein habe gar nichts damit zu thun, und sei an und für sich ein stärkendes Nahrungsmittel, welches sich andrerseits mit der Extase der Liebe sehr wohl vertrüge, wie Anakreon bewiese. Bei näherem Einblick in meinen Zustand erhielten jedoch meine Freunde ihrerseits Grund, über meine sonderbare und hartnäckige Extravaganz besorgt zu werden: ich war ausnehmend blass und abgemagert, schlief äusserst wenig, und verrieth in Allem eine beängstigende Aufgeregtheit. Während mir der Schlaf endlich fast gänzlich abhanden kam, blieb ich jedoch dabei, nie so heiter und gut aufgelegt gewesen zu sein wie jetzt, und setzte in grösster Winterkälte am frühesten Morgen meine kalten Bäder fort, zur Plage für meine Frau, welche mir zu der darauf nöthigen Promenade mit der Laterne auf den Weg leuchten musste.

In diesem Zustande traf mich die Ankunft der gedruckten Exemplare von »Oper und Drama«, welche ich mit einer ganz exzentrischen Freude daran, mehr verschlang als las. Grossen Antheil an dieser übermässig erregten Stimmung mochte das Bewusstsein haben, mit welchem ich mir sagen konnte, dass ich nun, nach jeder Seite hin und selbst mit nothgedrungener Anerkennung Minna's, meine vollkommene Losreissung von meiner bisherigen so qualvollen Laufbahn als Kapellmeister und Opernkomponist durchgesetzt hatte. Keiner forderte mehr von mir das, was vor zwei Jahren mich noch so unglücklich gemacht hatte. Namentlich auch die nun dauernd mir zugesicherte, zur Noth für mein Leben allein ausreichende Unterstützung durch die Familie Ritter, welche eben den Zweck hatte, mich in vollkommen freier Thätigkeit zu erhalten, trug ihr Letztes dazu bei, mir die Stimmung zu geben, in welcher ich jetzt mit wahrem Uebermuth auf Alles, was ich nun unternehmen würde, blickte. Schienen meine Arbeitspläne für jetzt jede Möglichkeit auszuschliessen, durch sie mit unserer schlechten künstlerischen Oeffentlichkeit mich in Berührung zu setzen, so hegte ich im tiefsten Inneren doch keineswegs die Meinung, dass ich damit etwa bloss für das Papier arbeitete. Nur setzte ich voraus, dass in jener Oeffentlichkeit, wie in unsrem ganzen sozialen Leben, es sehr bald zu einem unermesslichen Umschwunge kommen werde; dem alsdann sehr schnell sich bildenden neuen Zustande und seinen wahrhaften Bedürfnissen, glaubte ich in meinen, nun mit solcher Rücksichtslosigkeit entworfenen Arbeiten gerade den rechten Stoff zuzuführen, durch welchen plötzlich ein ganz neues Verhältniss der Kunst zur Oeffentlichkeit sich herausstellen sollte. So kühne Erwartungen, über welche ich natürlich gegen keinen meiner damaligen Freunde mich eingänglicher aussprechen konnte, waren mir aus meiner Beurtheilung der damaligen Weltlage entstanden. Das allgemeine Verunglücken der politischen Bewegungen hatte mich nämlich doch nicht irre gemacht; vielmehr glaubte ich zu erkennen, dass, was sie schliesslich als so kraftlos herausgestellt habe, eben nur der nicht deutlich genug erkannte und ausgesprochene innere Grund derselben gewesen sei: als dieser stellte sich mir nun die soziale Bewegung dar, welche, trotz der politischen Niederlage, keineswegs an Energie verloren, sondern immer stärker sich ausgebreitet hatte. So beurtheilte ich das, was mir bei meinem letzten Aufenthalte in Paris zur Wahrnehmung gekommen war. Dort hatte ich unter andrem einer Wähler-Versammlung der sogenannten sozial-demokratischen Partei beigewohnt, deren ganze Haltung auf mich von grossem Eindruck geworden war; sie fand in einer provisorisch hergerichteten grossen »Salle de la Fraternité«, im Faubourg St. Denis statt, und war von 6000 Männern besucht, deren würdiges Benehmen, fern von allem tumultuarischen Wesen, mir einen sehr vortheilhaften Begriff von dem konzentrirten und zuversichtlichen Bewusstsein dieser jüngsten Partei gab. Die Ansprachen der Hauptredner der damaligen äussersten Linken der »Assemblée nationale« überraschten mich sowohl durch ihren ungemeinen rhetorischen Schwung, als durch die in ihnen sich kundgebende feste Zuversicht. Da nun diese wirklich extreme Partei sich durch Alles, was gegen die herrschende Reaktion zur Opposition getrieben wurde, allmählich immer mehr verstärkte, und alle früher nur »liberalen« Elemente den Wahlprogrammen dieser sogenannten »Sozialdemokraten« offen sich anschlossen, war voraus zu sehen, dass sie, wenigstens in Paris, bei den mit dem Jahre 1852 bevorstehenden neuen Wahlen, namentlich bei der Neuwahl des Präsidenten der Republik, das entschiedene Uebergewicht erhalten werde. Meine eigenen Annahmen hierüber wurden, wie bekannt, auch von ganz Frankreich getheilt, und dem Jahre 1852 schien die Bedeutung eines unerhörten Umschwunges beigelegt werden zu müssen, wie dieser sehr sicher namentlich auch von der Gegenpartei befürchtet wurde, welche daher dem kommenden Zustande der Dinge mit äusserstem Schrecken entgegen sah. Die übrige Lage der europäischen Staaten, in welchen jeder Aufschwung mit geistlosester Brutalität niedergehalten worden war, liess der Annahme Raum, dass eben diesem Zustande von keiner Seite lange Dauer zugesprochen werde, und Alles schien gespannt auf die grosse, mit dem nächsten Jahre bevorstehende Entscheidung zu blicken. – Mit meinem Freunde Uhlig hatte ich, neben der Vortrefflichkeit des Wasserkur-Systems, auch diese bedeutende Weltlage besprochen: er, der aus den Dresdener Theater- und Orchester-Proben zu mir kam, fand es ungemein schwer, so kühnen Annahmen über eine heroische Wendung der menschlichen Angelegenheiten Recht zu geben. Er versicherte mich, ich könne mir nicht vorstellen, wie erbärmlich die Menschen wären; doch betäubte ich ihn so weit, dass er das Jahr 1852 mit mir als ein mit grosser Entscheidung schwangeres in das Auge fasste. Hierauf bezog sich denn manches in unserer Korrespondenz, welche »Figaro« fleissig wieder vermittelte. Wenn wir uns über irgend eine Niederträchtigkeit zu beklagen hatten, rief ich ihm immer diese hoffnungs- und verhängnissvolle Jahreszahl zu, wobei meine Meinung sich ungefähr dahin gestaltete, dass wir längere Zeit dem erwarteten Umsturze ruhig zuzusehen hätten, um dann, wenn Alle nicht mehr wissen würden, was zu thun sei, unsrerseits erst anzufangen. Wie ernstlich dieser sonderbare Hoffnungsbau in mir sich begründet hatte, vermag ich nicht recht zu ermessen; dass an dem zuversichtlichen Uebermuthe meiner Annahmen und Behauptungen die in bedenklichem Grade gesteigerte Aufregung meiner Nerven einen grossen Antheil hatte, musste mir jedoch allerdings bald zur Einsicht kommen. Die Nachrichten vom Staatsstreiche des 2. Dezember in Paris machten auf mich den Eindruck des rein Unglaublichen: während die Welt erhalten werden zu sollen schien, ging sie mir ganz ersichtlich unter. Als sich der Erfolg davon befestigte, und das, was vorher kein Mensch für möglich gehalten hätte, mit allem Anscheine der Dauer sich begründete, wandte ich mich mit der Gleichgültigkeit, wie von einem Geheimnisse dessen Ergründung uns nicht der Mühe werth dünkt, von der Erforschung dieser räthselhaften Welt ab. Mit scherzhafter Reminiscenz an unsre frühere Hoffnung auf das Jahr 1852, veranlasste ich nun für meine Korrespondenz mit Uhlig, dass wir dieses Jahr als nicht eingetreten betrachten, und immer fort aus dem Dezember 51 datirten, welcher Monat auf diese Weise hierbei eine unerhörte Ausdehnung erhielt.

Bald bemächtigte sich meiner eine ausserordentliche Niedergeschlagenheit, in welcher sich die Enttäuschung über den äusseren Verlauf der Weltgeschicke auf sonderbare Weise mit der, jetzt bei mir eintretenden Reaktion gegen die Uebertreibungen der Wasserkur in Bezug auf meinen Gesundheitszustand, zugleich zur Geltung brachte. Nach jener Seite zu erkannte ich nun die triumphirende Wiederkehr aller der ernüchternden, jede höhere Hoffnung ausschliessenden Erscheinungen im Kulturleben, von denen die Erschütterungen der letzten Jahre uns für immer befreit zu haben schienen. Ich sagte die Zeit voraus, wo es bald wieder so elend bei uns hergehen würde, dass ein erscheinendes neues Buch von Heinrich Heine als aufregendes Ferment begrüsst würde: als wirklich nach einiger Zeit der » Romancero« dieses, zuletzt ganz in Unbeachtung gefallenen Dichter's mit dem vollen altgewohnten Aufsehen wieder die Journale alarmirte, musste ich laut lachen; wirklich gehöre ich zu den, wahrscheinlich sehr wenigen, gebildeten Deutschen, welche dieses Buch, das übrigens viele Verdienste haben soll, nie aufgeschlagen haben. Dagegen erhielt ich nun Ursache, meinem beängstigenden physischen Zustande eine ernstlichere Aufmerksamkeit zu widmen, welche mich für jetzt zu einer nothgedrungenen gänzlichen Umkehr in meinem bisherigen Verfahren gelangen liess.

Diese Umkehr gieng jedoch nur sehr allmählich, und unter besondrer Einwirkung meiner Freunde vor sich. Der Kreis derselben hatte sich mit dem Eintritte dieses Winters vermehrt, wiewohl Karl Ritter, welcher acht Tage nach mir ebenfalls von Albisbrunnen geflüchtet, und dann eine Niederlassung in meiner Nähe versucht hatte, alsbald nach Dresden sich wandte, da er in Zürich offenbar für seine Jugend zu wenig Anregung fand. Dagegen suchte eine in Zürich seit kurzem niedergelassene Familie Wesendonck meine Bekanntschaft, wozu es in derselben Wohnung der »hinteren Escherhäuser«, in welcher ich meine erste Züricher Niederlassung versucht hatte, auf Anlass des nach mir dort eingezogenen, von der Dresdener Revolution her mir wohl bekannten Marschall von Bieberstein, kam. Ich entsinne mich, an dem Abende dieser Gesellschaft meine damalige unmässige Aufgeregtheit in einer Diskussion mit dem Professor Osenbrück ganz besonders zur Schau getragen zu haben: ich reizte diesen Mann über der Abendmahlzeit durch meine leidenschaftlich fest gehaltenen Paradoxen zu einem wahren Abscheu gegen mich auf; denn er vermied seitdem mit grösster Aengstlichkeit jede Begegnung mit mir. Meine hierbei angeknüpfte Bekanntschaft mit Wesendonck's erschloss mir zunächst das freundliche Behagen eines Hauses, welches sich vor den sonstigen Züricher Hausständen vortheilhaft auszeichnete. Herr Otto Wesendonck, um einige Jahre jünger als ich, hatte durch Theilnahme an einem grossen New-Yorker Seidengeschäft sich ein nicht unbedeutendes Vermögen erworben, und schien für seine Lebensentschlüsse sich gänzlich nach den Neigungen seiner, seit wenigen Jahren mit ihm vermählten jungen Frau zu richten. Beide stammten vom Niederrhein her, und trugen das freundliche blonde Gepräge dieses Landes. In der Nöthigung, sich an einem dem New-Yorker Geschäft förderlichen Orte Europa's zu fixiren, hatte er zunächst Zürich, vermutlich seines deutschen Elementes wegen, vor Lyon den Vorzug gegeben. Beide hatten im vergangenen Winter der Aufführung einer Beethoven'schen Symphonie unter meiner Direktion beigewohnt, und bei dem Aufsehen, welches diese Leistung in Zürich hervorrief, schien es ihnen für ihre neue Niederlassung wünschenswerth zu dünken, mich für ihren Umgang zu gewinnen.

Auch diesen Winter liess ich mich bestimmen, von Neujahr an in drei Konzerten der Musikgesellschaft, unter den für diese Gelegenheit nun im Voraus angenommenen Bedingungen, einzelne ausgezeichnete Musikstücke dem verstärkten Orchester einzuüben und zu dirigiren. Grosse Freude machte es mir selbst das eine Mal die Beethoven'sche Musik zum »Egmont« mit grosser Sorgsamkeit vortragen zu lassen. Da Herwegh so gern etwas von meiner Musik zu hören wünschte, führte ich, wie ich diess ausdrücklich versicherte, ihm ganz besonders zu Liebe auch die Tannhäuser-Ouvertüre auf, und verfasste für diese Gelegenheit ein besonderes, ihrem Verständnisse dienendes Programm. Auch gelang mir eine vorzügliche Aufführung der Koriolan-Ouvertüre, zu welcher ich ebenfalls ein erläuterndes Programm verfasste. Diess Alles ward von meinen Bekannten mit grosser Theilnahme aufgenommen, so dass ich, hiervon verführt, endlich selbst den Bitten des damaligen Theaterdirektor's Löwe, welcher eine Aufführung des »fliegenden Holländer's« wünschte, um meiner Freunde Willen nachgab, und dadurch mich zu einem höchst widerwärtigen, wenn auch nur gelegentlichen, Befassen mit einer Theatertruppe bestimmen liess. Allerdings wirkte auch humane Rücksicht hierbei mit: denn es galt dem Benefize eines jungen Kapellmeisters Schöneck, welcher mich wirklich für sein unleugbares Musikdirigenten-Talent gewonnen hatte.

Die Anstrengung welche mich dieser Ausflug in die mir ganz entwohnt gewordenen Regionen des Opernprobirens u. s. w. kostete, trug nicht wenig zur Steigerung meines überreizten Gesundheitszustandes bei, so dass ich nun, auf das äusserste gepeinigt, meinen radikalen Gesinnungen im Betreff der Aerzte untreu wurde, und auf besondere Empfehlung Wesendonck's mich dem Dr Rahn-Escher anvertraute, welcher durch sein gemüthliches Benehmen und sanft beruhigendes Verfahren mit der Zeit mich in ein neues und erträgliches Geleis überführte.

Ich sehnte mich endlich nur dahin zu gelangen, die Vollendung meines kombinirten Nibelungen-Gedichtes in Angriff nehmen zu können. Ehe ich aber ernstlich dazu Muth fasste, glaubte ich den Frühling erwarten zu müssen, und verbrachte zunächst meine Zeit noch mit einigen kleineren Arbeiten, unter welchen ein für die Veröffentlichung bestimmter Brief an Liszt über die »Goethe-Stiftung«, mit der Darlegung meiner Ideen über die Nothwendigkeit der Gründung eines deutschen Original-Theater's, so wie eines zweiten Schreibens an Franz Brendel über die, nach meiner Meinung zu befolgende Tendenz einer Zeitschrift für Musik, zu gedenken ist. – Ich entsinne mich auch eines Besuches Henri Vieuxtemps', welcher in Belloni's Begleitung nach Zürich kam, um dort ein Konzert zu geben, und nochmals seit jener früheren Pariser Zeit eines Abends meine Freunde durch sein Violinspiel erfreute. – Mit dem Herannahen des Frühlings überraschte mich auch ein Besuch Hermann Franck's, mit welchem ich ein interessantes Gespräch über die vergangenen Welt-Ereignisse hatte, während welcher er mir gänzlich aus den Augen verschwunden war. In seiner ruhigen Weise äusserte er mir sein Befremden über die Leidenschaftlichkeit, mit der ich mich in den Dresdener Aufstand verwickelt hätte; da ich verwunderungsvoll seinen Ausdruck missverstand, erläuterte er ihn dahin, dass er mir wohl Wärme und Begeisterung für alles Mögliche, nur nicht die Unbesonnenheit, an so nichtigen Unternehmungen mich zu betheiligen, zugetraut hätte. Ich erfuhr nun, welches die allgemein herrschende Meinung über diese unerhört verleumdeten Vorgänge in Deutschland war, und konnte namentlich im Betreff meines armen Freundes Röckel zur Aufdeckung der auf ihm lastenden Verleumdungen, welche ihn sogar als einen elenden feigen Wicht darstellten, genügend beitragen, um so zu meiner wahren Befriedigung auch Franck eine andere Meinung hierüber beizubringen, wofür er mir seine aufrichtige Erkenntlichkeit kundgab. Mit Röckel selbst, der seit länger zu lebenslänglichem Zuchthaus »begnadigt« war, unterhielt ich zu Zeiten einen, wie nicht anders möglich, offenen Briefwechsel, dessen Charakter sich bald dahin bestimmte, dass ich, namentlich bei seiner kräftigen, ja heiteren Ausdauer in seinem Zwangs-Zustande, ihn für glücklicher halten musste, als mich in meiner, durch den hoffnungslosesten Blick in alle meine Lebenszustände getrübten, Freiheit.

Endlich kam der Mai heran. Ich verlangte nach Land-Aufenthalt, um meine abgespannten Nerven zu kräftigen, und endlich an die Ausführung meiner dichterischen Pläne zu gehen. Wir fanden, auf halber Höhe des nicht weit von unserer Wohnung gelegenen Zürich-Berges, in dem Rinderknecht'schen Gute ein erträgliches Unterkommen, und konnten bereits am 22. Mai meinen 39. Geburtstag durch ein ländliches Mahl in freier Luft, mit offener Aussicht auf den See und die fernen Alpen, begehen. Leider stellte sich aber bald, fast für die ganze Sommerzeit, andauerndes Regenwetter ein, gegen dessen üble Einwirkung auf meine Stimmung ich mit grosser Mühe anzukämpfen hatte. Doch ging ich nun alsbald an die Arbeit, und, wie ich meinen grossen Plan von hinten an auszuführen begonnen hatte, fuhr ich nun auch in dieser Richtung mich erhaltend, nach dem Anfange vordringend, fort, so dass ich nun, nachdem »Siegfried's Tod« und »der junge Siegfried« vollendet waren, das erste der Hauptstücke, die Walküre, zunächst ausarbeitete, um diesem erst schliesslich das einleitende Vorspiel, »das Rheingold« folgen zu lassen. Das Gedicht der »Walküre« führte ich unter solchen Umständen bis Ende Juni aus. – Nebenbei verfasste ich hier die Widmung der Partitur meines »Lohengrin« an Liszt, so wie eine gereimte Zurechtweisung eines unberufenen Kritiker's meines »fliegenden Holländers« in einem Schweizer Blatte. – Ausserdem verfolgte mich in diese ländliche Zurückgezogenheit eine sehr widerwärtige, Georg Herwegh betreffende Angelegenheit, da sich eines Tages ein Herr Haug, welcher sich als ehemaliger »römischer General« von Mazzini's Zeiten her zu erkennen gab, bei mir einführte, um im Interesse einer, wie es hiess, von dem »unglücklichen Lyriker« tief beleidigten Familie eine Art Verschwörung gegen diesen einzuleiten, wofür er jedoch von mir hülflos abgewiesen wurde. Angenehmer hiergegen war der andauernde Besuch Julien's, der ältesten Tochter meiner verehrten Freundin Ritter, welche mit dem jungen Dresdener Kammermusikus Kummer sich vermählt hatte, und mit diesem, dessen Gesundheit gänzlich untergraben schien, eines berühmten Wasserarztes wegen, welcher einige Stunden von Zürich sein Wesen trieb, sich zu uns gewandt hatte. Ich hatte hier bereits nun Gelegenheit, gegen diese Wasserkur zu polemisiren, was bei meinen jungen Freunden, welche mich für einen »Enragé« hielten, grosse Betroffenheit hervorrief. Doch überliessen wir den Kammermusikus seinem Schicksale, und erfreuten uns dagegen der bei uns auf dem Rinderknecht'schen Gute längere Zeit verweilenden, sehr liebenswürdigen und angenehmen jungen Freundin.

Mit dem Gelingen meiner Arbeit zufrieden, kehrten wir endlich, der unerhört andauernden kalten und regnerischen Witterung wegen, mit Ende Juni in die behaglichere Stadtwohnung zurück, wo ich beschloss den Eintritt einer eigentlichen Sommerwitterung abzuwarten, um dann eine grössere Fussreise über die Alpen, von der ich mir eine vorteilhafte Wirkung auf meine Gesundheit erwartete, anzutreten. Herwegh hatte mir versprochen, mich zu begleiten; da er aber, wie es schien, in widerlicher Weise noch abgehalten war, machte ich mich Mitte July allein auf den Weg, um unserer Abmachung gemäss von meinem Reisegenossen im Wallis erst eingeholt zu werden. Von Alpnach am Vierwaldstättersee aus, trat ich die streng zu Fuss eingehaltene Wanderung an, und zwar nach einem Plane, welcher aus den Hauptpunkten des Berner Oberlandes mir besondere, weniger betretene Pfade durch die Alpenwelt anwies. Ich verfuhr hierbei ziemlich gründlich, indem ich z. B. im Berner Oberland auch das damals noch beschwerliche »Faulhorn« besuchte. Durch das Hasli-Thal im Grimsel-Hospital angelangt, befrug ich den Wirth desselben, einen stattlichen Mann, wegen der Besteigung des »Siedelhornes«. Er empfahl mir als Führer hierzu einen seiner Knechte, einen übel aussehenden rohen Menschen, welcher, indem er die Schneefelder nicht in den üblichen Zackenpfaden, sondern in gerader Linie mich führte, den Verdacht in mir erweckte, dass er es auf meine Ermüdung abgesehen habe. Auf der Höhe des Siedelhornes erfreute mich einerseits der Einblick in die innere Welt der sonst nur in ihren äusseren Formen uns zugekehrten Riesen des Oberlandes, so wie andrerseits der plötzlich sich darbietende Ueberblick der italienischen Alpen mit dem Mont-Blanc und dem Monte-Rosa. Ich hatte nicht verfehlt mir ein kleines Fläschchen Champagner mitzunehmen, um es dem Fürsten Pückler bei seiner Besteigung des Snowdon nachzumachen; nur fiel mir Niemand ein, auf dessen Wohl ich zu trinken hätte. Nun ging es wieder über Schneefelder hinab, über welche mein Führer mit rasender Schnelligkeit auf seinem Alp-Stocke dahin glitt. Ich begnügte mich damit, in mässigerer Eile auf den Fusshacken vorsichtiger mich hinabzulassen. In der höchsten Ermüdung gelangte ich Abends nach Obergestelen, wo ich mich zwei Tage ausruhte, und der Uebereinkunft nach auf Herwegh wartete. Statt seiner traf aber nur ein Brief von ihm ein, der mich gewaltsam aus meinen Alpeneindrücken in die unangenehme bürgerliche Lage hinabzog, in welcher der Unglückliche in Folge der angedeuteten Störungen sich befand. Er befürchtete nämlich, ich hätte mich durch seinen Gegner einnehmen und dadurch zu einem unfreundschaftlichen Urtheil über ihn verleiten lassen. Ich meldete ihm, er möge sich hierüber keine grauen Haare wachsen lassen, und in der italienischen Schweiz möglichst noch mit mir zusammentreffen. So machte ich mich denn mit meinem unheimlichen Führer allein zur Besteigung des Gries-Gletscher's und der Wanderung über dessen Pass nach der Südseite der Alpen auf. Bei dem Aufsteigen bot sich mir ein lange währender höchst trauriger Anblick dar: unter den Küh-Heerden der Hoch-Alpen war die Klauen-Seuche ausgebrochen, und zahlreiche Schaaren davon zogen in langen Reihen an mir zur nothwendigen Pflege nach den Thälern herab. Die Kühe waren auf das Aeusserste abgemagert, so dass sie Skeletten glichen, und schlichen jammervoll mühselig dahin; wie mit einer unbegreiflichen Schadenfreude schien die prächtige Umgebung mit der üppigen Weide auf diese traurige Flucht aus ihr hinzublicken. Am Fusse des steil aufsteigenden Gletscher-Abfalls kam ich in so gänzlich niedergeschlagener Stimmung an, und fühlte meine Nerven so übermässig abgespannt, dass ich erklärte umkehren zu wollen. Ich erfuhr hierüber die rohe Verhöhnung meines Führers, der mich über meine Weichlichkeit zu verspotten schien. Der Aerger darob spannte meine Nerven an, und sofort machte ich mich auf, die steilen Eiswände in grösster Schnelligkeit hinaufzuklimmen, so dass er es diesmal war, welcher mir schwer nachkam. Die fast zwei Stunden andauernde Wanderung über den Rücken des Gletscher's hin vollbrachten wir unter Schwierigkeiten, welche selbst den Grimsel-Knecht wenigstens um sich besorgt machten. Es war frischer Schnee gefallen, welcher die Eis-Schründe oberflächlich verdeckte, und demnach gefährliche Stellen nicht genau erkennen liess. Hier musste der Führer gehörig vorangehen, um die Pfade genau zu recognosciren. Endlich gelangten wir an die Oeffnung des Hochthales nach dem Formazza-Thale zu, nach welchem zunächst wiederum ein jäher Abfall von Schnee und Eis führte. Hier begann mein Führer wieder sein verwogenes Spiel, indem er mich, statt im sicheren Zick-Zack, abermals in gerader Linie über die jähesten Abhänge geleitete; da wir auf diese Weise an ein so steiles Geröllfeld gelangten, dass ich einer unausweichlichen Gefahr entgegensah, bedeutete ich meinen Geleiter auf das Ernstlichste, und zwang ihn eine grosse Strecke mit mir zurück zu gehen, um auf einen von mir erspähten minder jähen Pfad zu gelangen. Unwirsch musste er einwilligen. Sehr ergreifend war für mich nun bei meinem Heraustreten aus der starren Wildniss die erste Berührung mit der Kultur. Die erste dem Vieh wieder zugängliche dürftige Weide-Stelle hiess die Bettel-Matt, und der erste Mensch der uns begegnete war ein Murmelthier-Jäger. Bald belebte sich die Wildniss aber durch die ungeheuere Wirkung des herabstürzenden Bergflusses der Tosa, welcher an einer Stelle einen in drei weiten Absätzen sich brechenden Wasserfall von überwältigender Schönheit bietet. Nachdem, beim unablässigen Hinabsteigen, das Moos und die Flechten sich zu Gras und Wiese, das Knieholz zu immer aufrechteren Kiefern und Fichten, umgewandelt hatten, gelangten wir endlich in immer traulicherer Thalgegend nach dem heutigen Ziel unsrer Wanderung, dem Dorfe Pommath, von der italienischen Bevölkerung Formazza genannt. Hier galt es denn wirklich zum ersten Mal in meinem Leben Murmelthier-Braten zu essen. Von grösster Ermüdung durch wenigen Schlaf nur ungenügend gestärkt, machte ich mich am andren Morgen allein auf die weitere Wanderung das Thal abwärts, nachdem ich meinen Führer ausgelohnt und auf den Heimweg geschickt hatte. Dass ich unter der Obhut dieses Menschen in wirklicher Lebensgefahr gewesen war, erfuhr ich erst im November dieses Jahres, als die ganze Schweiz von der Nachricht alamirt wurde, dass das Grimsel-Spital abgebrannt, und Niemand anders als der Wirth desselben, welcher dadurch von den Gemeinden die Erneuerung des Pacht-Vertrages für die Grimsel-Wirthschaft sich zu ertrotzen hoffte, in Brand gesteckt worden war. Er selbst hatte sofort bei der Entdeckung seines Verbrechens in dem kleinen See, an dessen Ufern das Spital liegt, sich ertränkt; der Knecht aber, welchen er zu der Brandlegung erkauft hatte, war festgenommen, und zur Strafe abgeführt worden. Ich erfuhr aus dessen Namen, dass es derselbe war, welchen der vorsorgliche Grimsel-Wirth mir zu meiner einsamen Wanderung über denselben Gletscher-Pass mitgegeben hatte, auf welchem, wie ich nun ebenfalls erfuhr, zwei Frankfurter Reisende nicht lange vor mir verunglückt und umgekommen waren: so dass ich denn abermals Gelegenheit hatte, mich als auf besondere Weise einer drohenden Todesgefahr entgangen zu betrachten.

Unvergesslich sind mir nun die Eindrücke der Wanderung durch das immer tiefer sich senkende Thal geblieben. Namentlich überraschte mich die plötzlich sich erschliessende südliche Vegetation, nachdem ich durch einen engen Felsenpass, in welchen die Tosa sich zusammendrängte, steil herabgestiegen war. Bei heisser Sonnengluth gelangte ich am Nachmittage nach Domodossola; und hier erinnerte ich mich eines hübschen, mit Platen'scher Feinheit ausgeführten Lustspieles, welches noch in Dresden von einem mir unbekannt gebliebenen Verfasser durch Eduard Devrient mir mitgetheilt worden war, und welches in Domodossola, unter den Eindrücken des Herabgelangens aus der nördlichen Alpenwelt in das plötzlich sich erschliessende Italien, wie ich sie so eben selbst empfand, spielte. Eben so unvergesslich ist mir ein hier, ziemlich naïv, aber äusserst behaglich servirtes erstes Dîner à l'italiana verblieben. Da ich zu ermüdet war um diesen Tag noch weiter zu wandern, dennoch aber mit Ungeduld an die Ufer des Lago Maggiore zu gelangen trachtete, versorgte ich mich hier mit einem Einspänner, der mich bis zur Nacht noch nach Baveno bringen sollte. Ich fühlte mich so glücklich, als ich in meinem Wäglein dahinrollte, dass ich mich der Rücksichtslosigkeit schuldig machte, einem Offizier, welcher durch den Veturino mich um die Erlaubniss, mir Gesellschaft zu leisten, angehen liess, barsch sein Gesuch abzuschlagen. In den hübschen Orten, durch welche ich nun gelangte, erfreute mich die Zierlichkeit der Häuserdekorationen, sowie die angenehme Physiognomie der Menschen. Eine junge Mutter, welche ihr Kind auf dem Arme, und an einer Spindel spinnend, trällernd dahinschlenderte, blieb auf mich ebenfalls von unvergesslichem Eindrucke. Kurz nach Sonnenuntergang gewann ich noch den Anblick der aus dem Lago Maggiore anmuthig aufsteigenden Borromeischen Inseln, und konnte nun wieder vor Freude über das morgen zu Erlebende nicht schlafen. Der Besuch der Inseln selbst entzückte mich des andren Tages so sehr, dass ich nicht recht begreifen konnte, wie ich zu so etwas Anmuthigem käme, und was ich damit anfangen sollte. Mit dem Gefühle, als müsse ich jetzt vor etwas fliehen, wohin ich nicht gehöre, verliess ich nach dem einen Tage den Ort, um den Lago Maggiore aufwärts, über Locarno nach Bellinzona wieder in das eidgenössische Gebiet, und von da nach Lugano mich zu wenden, wo ich, meinem ersten Reiseplane gemäss, mich länger aufzuhalten gedachte. Hier litt ich nun bald unter einer unerträglichen Hitze; selbst die Bäder im ganz durchglühten See boten keine Erfrischung mehr. In einem palastähnlichen Gebäude, welches im Winter die Regierung des Cantons Tessin beherbergte, im Sommer aber zum Gasthofe diente, war ich zwar, sobald ich von dem schmutzigen Mobiliar, unter welchem auch das »Denksopha« aus den »Wolken« des Aristophanes figurirte, absah, recht stattlich logirt. Doch stellte sich nun wieder der Zustand bei mir ein, unter welchem ich so lange gelitten, und welcher zwischen äusserster Abspannung und Aufregung der Nerven mich so wenig zur Ruhe kommen liess, wie es gewöhnlich mir erging, so oft ich mir in meinem Leben auf eine angenehme Weise zu faulenzen vorgenommen hatte. Ich hatte mir Lektüre mitgenommen, und namentlich sollte Byron die Kosten meiner Unterhaltung tragen. Ich musste mich leider sehr dazu zwingen, Genuss an ihm zu finden, was endlich im weiteren Verlaufe des Don Juan mir immer schwerer fiel. Nach wenigen Tagen schon begriff ich nicht, was ich hier wollte, als plötzlich Herwegh mir meldete, dass er mich mit mehreren Freunden hier aufsuchen werde. Ein wunderlicher Instinkt trieb mich, sogleich meiner Frau zu telegraphiren, sie möge ebenfalls herzukommen. Sie gehorchte meinem Rufe mit überraschender Schnelligkeit, und traf mit der Post über den Gotthard unvermuthet in später Nacht ein. Ihre Ermüdung war so gross, dass sie auf dem »Denk-Sopha« sofort in einen Schlaf versank, welchen ein Gewitter von solcher Heftigkeit, wie ich es nie wieder erlebt habe, nicht zu erschüttern vermochte. Am Morgen traf denn auch wirklich meine Züricher Freundschaft ein.

Der Hauptgenosse Herwegh's war Dr François Wille. Diesen hatte ich schon vor längerer Zeit zum ersten Male bei Herwegh kennen gelernt: er zeichnete sich durch ein in Studenten-Duellen zerfetztes Gesicht aus, ausserdem durch eine zuversichtliche Neigung zu witzigen, drastischen Bemerkungen. Seit kurzem hatte er sich bei Meilen am Züricher-See niedergelassen, und mich mit Herwegh öfter veranlasst ihn dort zu besuchen. Wir trafen da die Gewohnheiten einer Hamburger Familie an, welche durch seine Frau, eine Tochter des reichen Schiffsrheders Sloman, in ziemlicher Wohlhabenheit erhalten wurde. Während er eigentlich immer Student blieb, hatte er früher doch Gelegenheit gewonnen, durch die Redaktion einer Hamburger politischen Zeitung sich Beachtung und zahlreiche Bekanntschaft zu verschaffen. Er wusste ausserordentlich viel zu erzählen, und galt dadurch für unterhaltend. Jetzt hatte er, so schien es, sich Herwegh's angenommen, um ihn aus seiner üblen Stimmung und seiner Unschlüssigkeit im Betreff der anzutretenden Alpenwanderung zu reissen, und sich mit einem Professor Eichelberger selbst zu Fuss über den Gotthard aufgemacht, was Herwegh übermässig empört hatte, da er erklären zu dürfen glaubte, dass Fusswanderungen nur da angewandt wären, wo man nicht fahren könne, nicht aber auf solchen Kunststrassen. Nach einem Ausfluge in die Umgegend von Lugano, auf welchem ich Gelegenheit hatte, des unangenehmen Eindruckes der kindischen Kirchglockenspiele, wie sie in Italien so allgemein sind, inne zu werden, überredete ich die Gesellschaft, mir nach den Borromeischen Inseln zu folgen, wohin es mich noch einmal einzig verlangte. Während der Dampfschifffahrt auf dem Lago Maggiore trafen wir einen schmächtigen Herrn mit langem Husaren-Schnurrbart an, den wir scherzhaft unter uns für den General Haynau ausgaben, und als solchen, ebenfalls zu unserer Belustigung, mistrauisch behandelten. Bald entdeckte er sich als ein äusserst gutmüthiger hannöverischer Edelmann, welcher zu seinem Vergnügen lange Italien bereist hatte, und vieles Nützliche im Bezug auf den Verkehr mit Italienern uns mittheilen konnte. Seine Empfehlung nützte uns sehr für den Besuch der Borromeischen Inseln, von welchen aus meine Bekannten sich von mir und meiner Frau trennten, um auf dem nächsten Wege zurück zu reisen, während wir über den Simplon und durch das Wallis noch nach Chamounix uns wenden wollten.

Die Ermüdung, welche mich bisher mein Ausflug gekostet hatte, sagte mir nämlich, dass ich sobald zu einem ähnlichen Unternehmen mich nicht wieder aufmachen würde, und es drängte mich daher, das Sehenswürdigste der Schweiz bei dieser Gelegenheit vollends in Augenschein zu nehmen. Ueberhaupt war ich aber wohl, wie seit längerer Zeit es mit mir stand, in der Stimmung, mir durch einen neuen äusseren Eindruck eine bedeutende Wirkung auf mich zu erwarten. Deshalb wollte ich den Mont-blanc nicht vorbeigehen lassen. Sein Anblick ward mit grossen Beschwerden erkauft, unter welchen eine nächtliche Ankunft in Martigny zu nennen ist, wo in Folge grosser Ueberfüllung der Gasthöfe allseitig die Unterkunft verweigert wurde, und wir nur, mit Benutzung des Liebesverhältnisses eines Postillon's zu einem Dienstmädchen, widerrechtlich in einer für diese Nacht von der Herrschaft verlassenen Privatwohnung ein Obdach fanden. Im Chamounix-Thal besuchten wir pflichtgemäss das sogenannte »Eismeer« und die »Flégère«, von welcher aus auch mich der Anblick des Mont-blanc allerdings bedeutend anregte. Meine Phantasie beschäftigte sich jedoch weniger mit der Besteigung dieses Gipfels, als vielmehr mit einer Ueberschreitung des Col des géants, indem mich weniger die zu erreichende grosse Höhe, als die andauernd erhabene Oede auf dieser letzteren Wanderung anzog. Ich nährte längere Zeit den Vorsatz, ein solches einziges Abenteuer noch einmal zu bestehen. Beim Herabsteigen von der »Flégère« verrenkte Minna bei einem Falle sich den Fuss, davon die schmerzlichsten Folgen uns von jetzt an von jeder weiteren Unternehmung zurück hielten; wogegen wir nun die Heimreise über Genf zu beschleunigen uns genöthigt sahen.

Auch von diesem bedeutenderen und grossartigeren Ausfluge, fast dem einzigen den ich je rein zu meiner Erholung unternommen hatte, kehrte ich mit einem seltsam unbefriedigten Gefühle zurück, und immer verblieb mir noch die Sucht nach etwas in der Ferne, was mich entscheidend bestimmen, und meinem Leben eine neue Wendung geben sollte. – Dafür traf ich zu Hause die Anzeigen einer anderweitigen neuen Wendung meiner Lebens-Schicksale an. Es waren diess Nachfragen und Bestellungen verschiedener deutscher Theater, welche den Tannhäuser geben wollten. Zuerst war es das Schweriner Hof-Theater, welches sich dafür meldete; die jüngste Schwester Röckel's, welche nach einiger Zeit den mir aus meiner frühesten Jugend her bekannten Schauspieler Moritz heirathete, und jetzt als jugendliche Sängerin aus dem Lande ihrer Erziehung, England, nach Deutschland gekommen war, hatte, wie Anderen, so auch einem ehrlichen Angestellten jenes Theaters, dem Rentanten Stocks so enthusiastisch von dem in Weimar empfangenen Eindruck des Tannhäuser's auf sie erzählt, dass dieser für sich die Oper eifrigst studirt, und nun die Direktion des Theaters angetrieben hatte, die Aufführung derselben in Angriff zu nehmen. Bald meldeten sich auch die Theater von Breslau, Prag und Wiesbaden, an welchem letzteren mein Jugendfreund Louis Schindelmeisser als Kapellmeister fungirte. Diesen folgten in kurzer Zeit noch andere Theater; am meisten überraschte es mich aber, als sogar das Berliner Hoftheater durch seinen neuen Intendanten, Herrn von Hülsen, darum nachfrug. Im Betreff dieses letzteren Ereignisses durfte ich wohl annehmen, dass die damalige Prinzessin von Preussen welche durch meine treue Freundin Frommann mir immer in Gewogenheit erhalten worden, namentlich aber durch die Weimarische Aufführung des »Tannhäuser« dafür neuerdings kräftig angeregt worden war, zu diesem unerwarteten Entgegenkommen Veranlassung gegeben hatte.

Während mich die Bestellungen der kleineren Theater sehr erfreuten, beängstigte mich die der grössten deutschen Bühne. An jenen wusste ich nämlich mir ergebene und eifrige Kapellmeister, welche jedenfalls den Wunsch der Aufführung meiner Oper selbst angeregt hatten; in Berlin dagegen stand es anders. Zu dem mir von früher her bekannt gewordenen, sehr talentlosen und dabei sehr eitlen Kapellmeister Taubert, war dort nur noch der aus allerfrühester Zeit, so wie später aus Riga, schliesslich unter sehr üblen Umständen, mir im Gedächtniss gebliebene Heinrich Dorn als Kapellmeister angestellt. Mit keinem dieser Beiden fühlte ich weder Neigung, noch ersah ich die Möglichkeit, über mein Werk zu verkehren, und aus meiner Kenntniss ihrer Fähigkeiten, so wie ihres üblen Willen's, erhielt ich vollen Grund, eine erfolgreiche Aufführung meiner Oper unter ihrer Leitung zu bezweifeln. Da ich nun selbst als Exilirter nicht nach Berlin gehen konnte, um den Geist der Aufführung meines Werkes zu überwachen, erbat ich mir sofort von Liszt die Erlaubniss, ihn als meinen Stellvertreter und alter ego in Berlin vorschlagen zu dürfen, wozu er mir willig beistimmte. Als ich demnach die Berufung Liszt's zur Bedingung machte, ward jedoch von Seiten des Berliner Generalintendanten der Einspruch erhoben, dass die Berufung eines »weimarischen« Kapellmeister's als gröbliche Beleidigung der preussischen Hofkapellmeister erscheinen müsste, und ich demnach von dieser Bedingung abzusehen hätte. Hieraus entspann sich ein umständlicher Transactionsversuch, welcher damit endigte, dass die Aufführung des »Tannhäuser« in Berlin für jetzt auf längere Zeit unterblieb.

Während von nun an jedoch mit wachsender Schnelle der »Tannhäuser« sich über die mittleren deutschen Theater verbreitete, fasste mich vor dem Geiste dieser Aufführungen, über deren Charakter ich nie zu vollkommener Klarheit gelangen konnte, grosse Besorgniss. Da meine Anwesenheit überall verwehrt war, griff ich somit dazu, durch eine sehr ausführliche Abhandlung, welche als Anleitung zur Aufführung meines Werkes dienen sollte, für das richtige Verständniss der von mir gestellten Aufgabe zu sorgen. Ich liess diese ziemlich umfangreiche Arbeit auf meine Kosten in eleganter Ausstattung drucken, und übersandte an jedes Theater, welches die Partitur bestellte, eine grössere Anzahl von Exemplaren davon, mit der Bestimmung, dem Kapellmeister, dem Regisseur, und den Hauptdarstellern zur Beachtung und Befolgung zugetheilt werden zu sollen. Ich habe im Laufe der Zeit auch nicht von einem einzigen Menschen erfahren, welcher diese Anleitung gelesen, oder gar befolgt hätte. Da mir im Jahre 1864 durch meine sorgsame Vertheilung der Brochüre alle Exemplare davon ausgegangen waren, fand ich dagegen zu meiner grössten Freude sämmtliche dereinst dem Münchener Hoftheater übersandten Exemplare gänzlich unberührt im Archive desselben verwahrt, wodurch ich in die angenehme Lage gerieth, dem Könige von Bayern, welcher darnach verlangte, einigen Freunden und mir selbst, von der verloren gegangenen Schrift wieder Kenntniss zu verschaffen.

Es war ein sonderbares Schicksal, dass die sich jetzt anmeldende Verbreitung meiner Oper auf den deutschen Theatern mit meinem, nun der Ausführung zureifendem, Entschlusse zu einer Arbeit zusammenfiel, für deren Konzeption mich die Nöthigung zur vollkommensten Rücksichtslosigkeit auf unsere Theater so entscheidend mit bestimmt hatte; doch wirkte jene bisher so wenig erwartete Wendung in keiner Weise auf meine Stimmung zu dieser Arbeit. Durch das Festhalten meines Planes gewann ich vielmehr die Ruhe, nach jener andren Seite hin Alles eben nur seinen Gang gehen zu lassen, ohne im mindesten zu den Aufführungen selbst Anregung zu geben. So liess ich nur gewähren, sah verwunderungsvoll zu, wenn ich stets nur von guten Erfolgen hörte; liess mich aber durch keinen derselben zu einer Aenderung meines Urtheil's über unser Theater im Allgemeinen, und die Oper im Besondren, verleiten. Ich blieb unerschüttert bei dem Vorsatze, meine Nibelungen-Dramen in der Weise auszuführen, als ob das heutige Operntheater gar nicht bestünde, dagegen das von mir gedachte ideale Theater ganz nothwendig dereinst mir erstehen würde. So verfasste ich denn noch im Oktober und November dieses Jahres die Dichtung des »Rheingold's«, womit ich den ganzen Cyclus des von mir entworfenen Nibelungenmythos nach vorn zum Abschluss brachte. Zugleich aber arbeitete ich den »jungen Siegfried« und namentlich »Siegfried's Tod« in der Weise um, dass sie nun in das richtige Verhältniss zum Ganzen traten, wodurch namentlich das letzte Stück solche bedeutende Erweiterungen, wie sie jetzt der unverhohlener dargelegten Bedeutung des Ganzen entsprachen, erhielt. Demnach hatte ich auch dem letzten Stücke einen neuen, seinem richtigen Bezuge zu dem ganzen Gedichte entsprechenden, Titel zu geben; ich nannte es nun: »Götterdämmerung«, während ich den »jungen Siegfried«, da dieser nicht mehr eine abgerissene Episode aus dem Leben des Helden zum Gegenstand hatte, sondern im Rahmen des Ganzen seine richtige Stellung neben den andren Hauptgestalten erhielt, einfach »Siegfried« nennen durfte.

Es war mir betrübend, diese umfangreiche dichterische Arbeit voraussichtlich lange Zeit Denjenigen, welchen ich doch Interesse dafür zutrauen durfte, gänzlich unbekannt lassen zu müssen. Da nun die Theater in überraschender Weise mich dann und wann mit ihren üblichen Honoraren für den »Tannhäuser« versahen, bestimmte ich einen Theil meiner Einnahmen auch dazu, eine Anzahl schön gedruckter Exemplare meines Gedichtes zu meinem Privatgebrauche herstellen zu lassen. Ich bestimmte, es sollten nur fünfzig Exemplare von dem schönen Satze abgezogen werden. – Ehe ich noch ganz mit dieser, mich sehr angenehm stimmenden Beschäftigung zu Ende kam, hatte ich einen grossen Schmerz zu überstehen.

Wohl fand ich in der Nähe Anzeichen von Theilnahme an der Vollendung meiner grossen dichterischen Arbeit, obwohl die meisten meiner Bekannten das Ganze für eine Chimäre, und vielleicht selbst für eine überhebungsvolle Laune hielten; mit näherem Verständniss, und wirklich warm, ging nur Herwegh darauf ein, mit welchem ich mich oft darüber besprach, und dem ich die fertigen Theile auch gewöhnlich vorlas. Sulzer war sehr verstimmt über die Umarbeitung von »Siegfried's Tod«; denn er hielt dieses Stück für gut und eigenthümlich und glaubte es dieser Eigenschaften beraubt zu sehen, wenn es wiederum für gut und zweckmässig anerkannt werden sollte, dass vieles davon geändert würde. Somit erbat er sich wenigstens das Manuskript der ersten Fassung, welches sonst vermuthlich ganz verloren gehen würde, für sich zur Aufbewahrung als Andenken aus. – Um mir sogleich einen Begriff von der Wirkung des ganzen Gedichtes bei einer Mittheilung desselben in möglichst rascher Aufeinanderfolge zu verschaffen, bestimmte ich, bereits wenige Tage nach der beendigten Arbeit, einen mehrtägigen Besuch bei der Familie Wille auf ihrem Landgute, mitten im Dezember, dazu, der kleinen Gesellschaft es vorzulesen. Ausser Herwegh, welcher mich begleitete, waren noch die Frau Wille und deren Schwester, Frau v. Bissing, zugegen. Ich hatte namentlich diese Frauen schon öfter bei meinen gern gepflogenen Besuchen in dem, durch den zweistündigen Marsch zu erreichenden Mariafeld auch durch Musiziren in meiner seltsam eigenthümlichen Weise unterhalten, und an ihnen ein fast schwärmerisch angeregtes Publikum gewonnen, zu einigem Verdruss des Herrn Wille, welcher offen bekannte, dass die Musik ihm ein Gräuel sei, übrigens aber in seiner burschikosen Manier schliesslich die Sache von der amüsanten Seite zu nehmen wusste. Da ich gegen Abend eintraf, ward sogleich das »Rheingold« vorgenommen, und da es noch nicht zu spät schien, und jede Anstrengung mir als unschädlich zugetraut wurde, liess ich bis Mitternacht auch noch die »Walküre« folgen. Des andren Morgens kam nach dem Frühstück »Siegfried« daran, und am Abend schloss ich mit der »Götterdämmerung«. Ich glaubte Grund zu haben, mit dem Eindrucke zufrieden zu sein, namentlich die Frauen begaben sich, in anständiger Erregung, jedes Gespräches darüber. Mir verblieb leider eine fast beängstigende Aufregung davon; ich war schlaflos und des andren Tages gegen jede Unterhaltung so scheu, dass Niemand meinen eiligen Abschied begriff. Nur Herwegh, welcher mich zurückbegleitete, schien meine Stimmung zu empfinden, und theilte sie durch gleiches Schweigen. – Besondere Freude wollte ich mir nun aber durch die Mittheilung des ganzen vollendeten Werkes an meinen treuen Freund Uhlig in Dresden machen, mit welchem ich fortgesetzt korrespondirte, und der von Phase zu Phase der Ausarbeitung meines genau ihm bekannten Planes folgte. Ich wollte ihm die »Walküre« nicht früher zuschicken, als bis auch das voranzustellende »Rheingold« fertig sei; dann sollte er Alles auch nicht eher vorgelegt erhalten, als bis diess in einem schön gedruckten Exemplare mir möglich sein würde. Mit dem Eintritte des Herbstes las ich aber bereits aus Uhlig's Briefen Grund zur wachsenden Besorgniss für seinen Gesundheitszustand heraus. Er beklagte sich über die Zunahme der bedenklichen Hustenkrämpfe, und über endlich eingetretene totale Heiserkeit. Er hielt diess Alles nur für Schwäche, welche er durch Kräftigung seines Körpers, durch kaltes Wasser und starke Fusswanderungen, zu bewältigen verhoffte; der Geigerdienst im Theater brächte ihn so herunter; wenn er dagegen so einen siebenstündigen strengen Marsch durch die Umgegend vollbracht hätte, fühlte er sich immer wieder wohler; nur wollten allerdings die Brustkrämpfe und die Heiserkeit nicht vergehen; es falle ihm schwer, selbst in nächster Nähe sich im Gespräche verständlich mitzutheilen. Bis dahin hatte ich den Unglücklichen noch nicht ängstigen wollen, und immer verhofft, sein Zustand müsse endlich einem Arzte Veranlassung zu einer vernünftigen Behandlung desselben geben. Jetzt aber, da ich fortgesetzt nur die Versicherungen seiner Treue gegen die Prinzipien der Wasserkur von ihm vernahm, vermochte ich nicht mehr zurückzuhalten und ihm zuzurufen, mit diesem Wahnsinn aufzuhören, und sich einem besonnenen Arzt anzuvertrauen, da es sich bei seinem Zustande gewiss nicht mehr um Stärkung, sondern zu allernächst um Schonung handle. Hierüber erschrack der Aermste im höchsten Grade, da ihm aus meinen Aeusserungen aufging, ich hege die Besorgniss, dass er in einem starken Grade schwindsüchtig sei. »Was sollte da aus meiner armen Frau und meinen Kindern werden, wenn es wirklich so mit mir stünde?« so schrieb er. Leider wurde es bald zu spät; mit seinen letzten Kräften versuchte er mir noch zu schreiben, bis mir mein alter Freund, der Chordirektor Fischer, endlich die Aufträge Uhlig's, der bereits nicht mehr vernehmlich zu dem dicht an seinen Mund hinabgeneigten Ohre sich kund geben konnte, ausrichtete. Mit furchtbarer Schnelligkeit folgte diesem die Nachricht von seinem Tode: er war am 3. Januar des neuen Jahres 1853 gestorben. Mit Lehrs war er der zweite meiner wahrhaft ergebenen Freunde, welche mir die Schwindsucht hinwegraffte. – Nun lag das schöne für ihn bestimmte Exemplar meines »Ring des Nibelungen« müssig vor mir; ich vermachte es seinem jüngsten Knaben, meinem Pathen, welchen er Siegfried getauft hatte. Von seiner Wittwe erbat ich mir, was von theoretischen Schriften von ihm hinterlassen sei, und erhielt manches Bedeutende, darunter auch die früher erwähnte grössere Abhandlung über Themen-Bildung. Obwohl die Herausgabe dieser Arbeiten durch sehr nöthige ausführliche Ueberarbeitungen mir eine grosse Mühe verursachen musste, frug ich bei Herrn Härtel in Leipzig an, ob er für einen solchen Band dieser Schriften der Wittwe ein gutes Honorar zahlen wollte: der Verleger erklärte, selbst umsonst die Herausgabe nicht übernehmen zu wollen, da dergleichen Sachen gar nichts eintrügen. Ich erkannte schon um diese Zeit, wie sehr jeder eifrig um mich bemühte Musiker sich in gewissen Kreisen verhasst gemacht hatte. –

Die Erfahrung von Uhlig's Tod gab nun meinen Hausfreunden ein grosses Uebergewicht gegen mich im Betreff meiner Wassertheorien. Herwegh schärfte meiner Frau ein, nach den Anstrengungen der Proben und Konzertaufführungen, wie ich sie auch in diesem Winter besorgte, mir durchaus ein Glas guten Wein's aufzunöthigen. Allmählich gewöhnte ich mich auch wieder an die mild anregenden Genüsse des Kaffee's und des Thee's, worin meine Bekannten zu ihrer Freude gewahrten, dass ich wieder Mensch mit Menschen würde. Herr Dr Rahn-Escher ward nun ein gern gesehener beruhigender Hausfreund, welcher längere Jahre es recht wohl verstand, der um meine Gesundheit, namentlich um meine Nerven-Ueberreizung entstandenen Besorgnisse, Herr zu werden. Er bewährte die Klugheit seines Verfahrens alsbald, da ich gegen die Mitte des Februar es unternommen hatte, in vier aufeinander folgenden Abenden einem grösseren Zuhörerkreise mein tetralogisches Gedicht vorzulesen. Ich hatte mich nach dem ersten Abende sehr stark erkältet, und erwachte am Morgen des zweiten Vorlesung-Tages mit einer völligen katarrhalischen Heiserkeit. Meinem Arzte erklärte ich sogleich, das Ausfallen der Vorlesung würde mich ausserordentlich affiziren; was sei nun anzufangen, um diese Heiserkeit schnell von mir zu schaffen? Er verlangte, ich solle mich den Tag über nur ganz ruhig verhalten, am Abend warm eingehüllt mich nach dem Vorlesungs-Lokale bringen lassen, und dort ein paar Tassen leichten Thee zu mir nehmen; das Uebrige würde sich schon ganz von selbst finden, wogegen ich allerdings leicht ernstlicher erkranken dürfte, wenn der Kummer über meine missglückte Unternehmung mich erfasse. Wirklich ging die Vorlesung des leidenschaftlichen Stückes ganz vortrefflich vor sich; am dritten und vierten Abende las ich wieder, und fühlte mich vollkommen wohl. Zu diesen Vorlesungen hatte ich nämlich einen grossen und eleganten Saal, in dem Hôtel Baur au lac, in Beschlag genommen, und machte die überraschende Erfahrung, dass derselbe mit jedem Abende sich stärker füllte, trotzdem ich nur einen kleinen Kreis von Bekannten eingeladen, und diesem allerdings freigestellt hatte, Personen, bei denen sie ein wahrhaftes Interesse, nicht blosse Neugierde, voraussetzen konnten, mitzubringen. Auch hier schien die Wirkung eine durchaus günstige zu sein, und es waren die ernstesten Männer der Universität und der Regierung, von welchen ich die anerkennendsten Betheuerungen, ja selbst gute Aeusserungen über das Verständniss meines Gedichtes und der damit verbundenen künstlerischen Intentionen gewann. Aus dem eigenthümlichen, hier aber zuversichtlich stimmenden trocknen Ernste, mit welchem man sich zu erkennen gab, wurde in mir sogar der Gedanke angeregt, zu versuchen, wie weit diese mir so günstige Disposition im Dienste meiner höheren Kunsttendenzen zu verwerthen sei. Allgemein glaubte man, bei der nun einmal hierüber allgemein bestehenden oberflächlichen Ansicht, mich zu einem Befassen mit dem Theater auffordern zu dürfen. Ich überlegte mir, wie es wohl anzufangen sei, selbst die allerdürftigste Grundlage eines Züricher Theater's, durch Befolgung gesunder Prinzipien, zu einer guten Ausbildung hinzuleiten, und brachte meine Gedanken hierüber in einer Abhandlung, mit dem Titel: » Ein Theater in Zürich«, jedem zur Einsicht. Die Auflage von etwa hundert Exemplaren ward verkauft, aber ich erfuhr nie das mindeste von einer Wirkung der Schrift; bloss bekannte später einmal, bei einem Festessen der Musikgesellschaft, der würdige Herr Ott-Imhof, da von einigen Seiten geäussert wurde, dass jene meine Gedanken wohl sehr schön, aber leider unausführbar seien, dem durchaus nicht beistimmen zu können; jedoch vermisse er zu meinen Vorschlägen das Einzige, was sie auch in seinen Augen gültig erscheinen lassen könnte, nämlich meine Bereitwilligkeit, die Leitung dieses Theaters selbst zu übernehmen, weil er niemand sonst die Durchführung meiner Ideen zutrauen könne. Da ich dann allerdings erklären musste, mit so etwas nichts zu thun haben zu wollen, so ward die Sache hiermit abgemacht, und in meinem Innersten konnte ich den Leuten nicht Unrecht geben.

Indessen spannte sich die Theilnahme für mich immer höher; da ich es nun durchaus ablehnen musste, den Wünschen meiner Freunde im Betreff einer Aufführung meiner Hauptwerke im Theater nachzugeben, erbot ich mich endlich, wenigstens eine Auswahl charakteristischer Fragmente, wie sie in Konzertaufführungen am ehesten zu Gehör zu bringen waren, zu besorgen, sobald man mir die gehörige Unterstützung hierfür zu Theil werden liesse. Demgemäss wurde wirklich eine Subskriptions-Aufforderung in Umlauf gesetzt, und diese hatte den guten Erfolg, einige namhafte vermögende Kunstfreunde für die Deckung der Kosten sich einstellen zu sehen. Ich hatte es dagegen zu übernehmen, mir ein Orchester zu engagiren wie ich es brauchte: von nah und fern wurden tüchtige Musiker herbeigerufen, und nach unendlichen Bemühungen durfte ich der Zuversicht sein, etwas recht Genügendes zu Stande gebracht zu sehen. Ich hatte die Einrichtung in der Weise getroffen, dass die engagirten Musiker von einem Sonntag zum andren eine volle Woche in Zürich verweilen mussten. Die Hälfte dieser Zeit waren sie ausschliesslich zu den Proben in Beschlag genommen. Am Mittwoch Abend fand dann die Aufführung, Freitag und Sonntag Abend fanden die Wiederholungen derselben statt. Diese Tage trafen auf den 18ten, 20ten und 22ten Mai, auf welchen letzteren mein 40ster Geburtstag fiel. Ich hatte die Freude, alle meine Anordnungen pünktlich ausgeführt zu sehen; von Mainz, Wiesbaden, Frankfurt und Stuttgart, anderseits von Genf, Lausanne, Basel, Bern und den Hauptorten der Schweiz, trafen auserwählte Musiker pünktlich am Sonntag Nachmittag ein. Sie waren sofort in das Theater beschieden, wo sie in einem, nach dem früher von mir in Dresden erfundenen, und auch hier sich vortrefflich bewährenden, Orchesterbau sich über ihre Plätze genau orientiren mussten, um andren Morgens ohne Aufenthalt und Störung sofort die Probe beginnen zu können. Da diese Leute mir früh und Abends zu Gebote standen, studirte ich ihnen in zwei und einem halben Tage ohne besondere Anstrengung eine Auswahl von grösseren Stücken aus dem »fliegenden Holländer«, »Tannhäuser« und »Lohengrin« ein. Mit grösserer Mühe hatte ich mir zwar einen Chor zu bilden gesucht, der nun aber doch sehr Erfreuliches leistete. Von Einzel-Gesang kam nichts vor, als die Ballade der »Senta« aus dem »Holländer«, welche die Frau des Musikdirektor's Heim mit guter, wenn auch unausgebildeter Stimme, und tadellosem Eifer zum Vortrag brachte. Das ganze Unternehmen hatte eigentlich keinen publiken, sondern durchaus einen patriarchalischen Charakter: ich nahm an, einem grösseren Kreise von Bekannten einen aufrichtigen Wunsch zu erfüllen, indem ich sie nach Umständen verständlich mit dem Charakter meiner Musik bekannt machte. Da es selbst hierfür jedoch auch der Bekanntschaft mit den dichterischen Grundlagen bedurfte, lud ich diejenigen, welche meinen Konzerten beizuwohnen gedachten, für drei Abende in den Konzertsaal der Musikgesellschaft ein, um sich dort von mir die Dichtungen der drei Opern, aus welchen sie zu hören bekommen sollten, vorlesen zu lassen. Dieser Einladung wurde mit grosser Theilnahme Folge geleistet; und ich durfte nun annehmen, dass mein Publikum besser, als es je wo anders geschah, vorbereitet zur Anhörung der charakteristischen Bruchstücke meiner Opern sich einstellte. – Die Aufführungen dieser drei Abende hatten für mich das besonders Ergreifende, dass ich an ihnen mir selbst zum ersten Male etwas aus »Lohengrin« vorführen, und so auch von der Wirkung meiner Kombination des Instrumentalen in dem Vorspiele dieses Werkes einen Eindruck erhalten konnte. Zwischen den Aufführungen kam es zu einem Festessen, dem ersten und, ausser einem späteren in Pesth, dem einzigen, davon mir je die Ehre erwiesen wurde. Sehr ergriff mich wirklich die Rede des hochbetagten Präsidenten der Musikgesellschaft, Herrn Ott-Usteri; er machte darin die von so verschiedenen Orten zusammengetroffenen Musiker auf die Bedeutung dieser ihrer Vereinigung, den Zweck und die Wirkung derselben aufmerksam, und empfahl ihnen als sicheres Geleite für die Heimfahrt die gewiss von jedem gewonnene Ueberzeugung, dass sie hier mit einer neuen grossen Erscheinung auf dem Kunstgebiete in eine innige und fruchtbare Berührung getreten seien.

Die Erregung, welche von diesen Konzertabenden ausging, theilte sich in immer weiteren Kreisen der ganzen Schweiz mit; von fern her trafen Anmeldungen und Aufforderungen zu weiteren Wiederholungen ein; mir wurde versichert, dass ich die drei Aufführungen in der folgenden Woche vollständig wiederholen könnte, ohne befürchten zu müssen den Andrang der Zuhörer sich vermindern zu sehen. Als hierüber diskutirt wurde, und ich sowohl meine Ermüdung bezeugte, als auch den Wunsch zu erkennen gab, dem Ausserordentlichen seinen Charakter auch dadurch erhalten zu wissen, dass es nicht erschöpft werde, freute es mich, von meinem bei dieser Gelegenheit sehr thätig sich bewährenden Freunde Hagenbuch eine ebenso intelligente als kräftige Zustimmung zu erhalten. Das Fest ward geendigt, die Gäste in der vorausbestimmten Zeit entlassen.

Ich hatte gehofft unter den Letzteren auch Liszt begrüssen zu können, welcher zuvor im März, durch die Aufführung derselben drei Opern, aus denen ich hier nur Bruchstücke gab, eine »Wagner-Woche« in Weimar gefeiert hatte. Leider war es ihm nicht möglich gewesen, schon jetzt sich frei zu machen, wogegen er mir für Anfang Juli seinen Besuch zusagte. Von meinen deutschen Bekannten waren nur die treuen Frauen Julie Kummer und Emilie Ritter zur rechten Zeit eingetroffen. Da beide sich Anfangs Juni nach Interlaken begeben hatten, und auch ich bald einer Erholung mich sehr bedürftig fühlte, begab ich mich Ende dieses Monates mit meiner Frau zu einem kurzen Vergnügungs-Aufenthalt dahin, welcher jedoch durch anhaltendes Regenwetter uns in traurigster Weise verkümmert wurde. Dagegen trat am ersten Juli, als wir uns verzweiflungsvoll mit unsren Freundinnen gemeinschaftlich zur Heimreise nach Zürich aufmachten, ein jetzt lange Zeit anhaltendes herrliches Sommerwetter ein, welches wir uns alsbald mit freundlichem Enthusiasmus dahin deuteten, dass es der Begleiter Liszt's in die Schweiz sei, der nun wirklich, sofort nach unsrer Wiederankunft in Zürich, in bester Laune bei uns eintraf. Nun folgte eine jener schönen Lebenswochen, wo jede Stunde des Tages zu einem ergiebigen Schatz der Erinnerung wurde. Ich hatte bereits in den gleichen sogenannten »vorderen Escher-Häusern«, in welchen ich zuletzt eine übermässig enge Parterre-Wohnung inne gehabt hatte, einen geräumigeren Wohnraum im zweiten Stocke bezogen. Frau Stockar-Escher, die Mitbesitzerin des Hauses, eine mir enthusiastisch ergebene Frau, voll von eigenem künstlerischen Talent (sie war Dilettantin in der Aquarelle-Malerei) hatte sich bemüht, die neue Wohnung so stattlich wie möglich neu herzurichten. Meinem eigenen, namentlich seit dem Aufenthalte in der Wasserheilanstalt neu erwachten, und durch Compression fast leidenschaftlich gesteigerten Hange zu angenehmer häuslicher Einrichtung, gab ich, bei der unerwarteten Verbesserung meiner Lage durch die stets sich mehrenden Bestellungen meiner Opern, ohne Rückhalt nach, und liess die Wohnung durch Teppiche und sonstiges Mobiliar so hübsch herrichten, dass selbst Liszt, als er in sie eintrat, sich von meiner »kleinen Elégance«, wie er sie nannte, verwunderungsvoll überrascht zeigte. Jetzt genoss ich denn zum ersten Male die Freude, meinen Freund auch als Komponist näher kennen zu lernen. Neben manchen berühmt gewordenen neueren Klavierstücken von ihm, gingen wir auch mehrere seiner so eben vollendeten symphonischen Dichtungen, vor allem seine Faust-Symphonie, mit grossem Eifer durch. Den Eindruck, welchen ich hiervon empfing, hatte ich später Gelegenheit in einem veröffentlichten Schreiben an Marie von Wittgenstein ausführlich zu bezeichnen. Meine Freude über Alles, was ich von Liszt erfuhr, war eben so gross als aufrichtig, vor Allem aber auch bedeutungsvoll anregend; ging ich doch selbst damit um, endlich nach so langer Unterbrechung mich wieder der musikalischen Produktion zuzuwenden. Was konnte mir wichtiger und verheissungsvoller sein, als diese so lange ersehnte Berührung mit dem, nun in meisterlicher Uebung fortgesetzt begriffenen Freunde zu treten, welcher andrerseits so ausschliesslich meinen eigenen Arbeiten und der Ausbreitung ihres Verständnisses sich gewidmet hatte. Die, namentlich durch den unvermeidlichen Zudrang von Freunden und Bekannten fast betäubenden Freudentage unterbrachen wir durch einen Ausflug nach dem Vier-Waldstätter-See, in einziger Begleitung Herwegh's, welchem Liszt den schönen Einfall hatte den Brüderschaftstrunk mit ihm und mir aus den drei Quellen des Grütli anzubieten. – Für jetzt schied aber der Freund wieder von uns, nachdem er für den Herbst eine neue Zusammenkunft mit mir verabredet hatte.

Fühlte ich mich nach seinem Fortgange recht verlassen, so sorgte nun aber die Züricher Oeffentlichkeit dafür, dass ich bald auf eine von mir noch ganz unerfahrene Weise zerstreut wurde. Endlich nämlich war das kalligraphische Meisterstück eines Ehrendiplomes, welches mir der Züricher Stadtsängerverein dekretirt hatte, fertig geworden; und, mit Hinzuziehung aller mir gewogenen gesellschaftlichen und individuellen Bestandtheile des Züricher Publikum's, sollte jenes Diplom im Geleite eines solennen Fackelzuges mir überreicht werden. Wirklich nahte an einem schönen Sommer-Abende unter rauschender Musik eine ansehnliche Schaar von Fackelträgern dem Zeltwege, und bot mir einen bisher nie wieder erfahrenen Anblick und Eindruck. Man sang, und von der Strasse tönte zu mir herauf die Festrede des Präsidenten des Stadtsängervereins. Wirklich ergriff mich dieser Vorgang so sehr, dass mein unverwüstlicher Sanguinismus schnell sich meiner Phantasie bemächtigte: in meiner Antwortsrede deutete ich unverhohlen an, dass ich nicht einsähe, warum nicht gerade Zürich doch vielleicht berufen sein sollte, auf biederer bürgerlicher Grundlage der Erfüllung meiner höchsten Wünsche im Betreff des mir vorschwebenden Kunstideales einen fördernden Vorschub zu leisten. Ich glaube, man bezog diess auf ein besonderes Erblühen der Männer-Gesangvereine, und war mit meinen kühnen Verheissungen erträglich zufrieden. Abgesehen von diesem durch mich herbeigeführten Quid-pro-quo blieb die Stimmung dieses Abends und seiner Folgen auf mein Gemüth eine durchaus wohlthätige und heitere. –

Immer aber hegte ich noch die, schon früher, nach längeren Unterbrechungen im musikalischen Produziren erfahrene, eigenthümliche Beängstigung und Scheu vor dem Wiederbefassen mit dem Komponiren. Von allem Geleisteten und Erlebten fühlte ich mich auch sehr angegriffen, und der seit meinem Fortgange von Dresden leider immer mir wiederkehrende Trieb zu einem völligen Bruche mit Allem was hinter mir lag, zum Aufsuchen jungfräulich neuer Lebensbedingungen, gewann auch jetzt, von jener Bangigkeit geschwängert, neues beunruhigendes Leben. Ich bildete mir ein, ich müsste, ehe ich mich an eine so ungeheure Arbeit, wie die Musik zu meinem Nibelungen-Drama, machte, durchaus noch ein letztes Mal versuchen, ob ich nicht in ganz neuer Umgebung eine harmonischere Lebensexistenz gewinnen könnte, als nach so vielen eingegangenen Kompromissen die meinige es jetzt sein könnte. Ich entwarf eine Reise nach Italien, so weit mir als politischem Flüchtlinge dieses damals offen stand. Die Mittel zur Befriedigung meines Wunsches wurden namentlich durch die Theilnahme meines, seitdem mir stets eifrig ergebenen, Freundes Wesendonck mit Leichtigkeit zu Gebote gestellt. Da ich diese Reise aber vor dem Eintritte der Herbst-Witterung für unräthlich halten musste, ausserdem aber für die Kräftigung meiner Nerven, selbst für den Genuss Italien's, eine vom Arzt mir angerathene besonders geeignete Kur für dienlich halten sollte, beschloss ich zuvörderst erst noch den Besuch des Bades von St. Moritz im Engadin, wohin ich in der zweiten Hälfte des Juli in Begleitung Herwegh's mich aufmachte.

Mir ist häufig das Sonderbare widerfahren, dass, was in den Tagebüchern Anderer sehr einfach als ein Besuch, eine kleine Reise notirt wird, bei mir den Charakter des Abenteuerlichen erhielt. So diessmal diese Bade-Reise, auf welcher es uns begegnete, dass wir, durch Ueberfüllung des Postwagen's in Chur, bei einem anhaltenden furchtbaren Regen, zurückgehalten wurden. Wir waren genöthigt in einem höchst unbequemen Gasthof uns mit Lektüre die Zeit zu vertreiben: ich griff zu dem »west-östlichen Divan« Goethe's, auf welchen ich durch die Daumersche Bearbeitung des Hafis vorbereitet war. Noch kann ich an viele Goethische Aussprüche in den Erläuterungen zu diesen Gedichten nicht zurückdenken, ohne zugleich an jenen so peinlich verzögerten Aufenthalt unserer Reise in das Engadin zurückzudenken. In St. Moritz selbst erging es uns nicht besser; das jetzige bequeme Kurhaus bestand noch nicht, und wir hatten mit dem wildesten Unterkommen vorlieb zu nehmen, was besonders im Hinblick auf Herwegh für mich peinlich wurde, da dieser mit diesem Aufenthalte durchaus keinen Kurzweck, sondern bloss den der Vergnügung verband. Bald doch erheiterten uns schöne Eindrücke, wie sie aus dem nackten, nur von Alpen bewachsenen Hochthale durch jähe Abfälle in die italienischen Thäler führende Ausflüge uns gewährten. Zu einer ernstlicheren Unternehmung machten wir uns auf, nachdem wir den Schulmeister von Samaden zur Führung auf den Rosetsch-Gletscher gewonnen hatten. Bei diesem Vordringen an die Abhänge des einzig grossartigen Bernina, welchen wir in seiner Schönheit selbst dem Mont-Blanc durchaus vorziehen mussten, hatten wir es mit Bestimmtheit auf einen exzentrischen Genuss abgesehen; dieser wurde namentlich meinem Freunde durch die grossen Anstrengungen verkümmert, mit welchen das Besteigen und weitere Beschreiten des wunderbaren Gletscher's verbunden war. Wiederum, und diessmal in gesteigertem Grade, empfing ich den erhabenen Eindruck der Heiligkeit der Oede und der fast gewaltsam beschwichtigenden Ruhe, welche jedes Erstorbensein der Vegetation auf das pulsirende Leben des menschlichen Organismus hervorbringt. Nachdem wir zwei Stunden lang tief in die Gletscher-Strasse hineingewandert waren, musste uns ein mitgebrachtes Mahl, mit in den Eisspalten frappirtem Champagner, für den schwierigen Rückweg stärken. Diesen hatte ich meist doppelt zurück zu legen, indem ich dem zu meiner Ueberraschung überängstlich befundenen Herwegh wiederholt die Auf- und Abschreitungen vormachen musste, zu welchen er endlich selbst sich zu entschliessen hatte. Von dem ausserordentlich zehrenden Charakter der Luft in diesen Regionen hatte ich mich an mir selbst zu überzeugen, als wir, eben auf dem Rückwege, in der ersten Sennerei an der dort vorgefundenen herrlichen Milch uns erlabten. Ich verschlang diese in solchen Fluthen, dass wir beide darüber in wahrhaftes Staunen geriethen, besonders da ich in der Folge gar keine Beschwerden davon empfand. – Mit dem Gebrauche des als so kräftig bekannten eisenhaltigen Wasser's, sowohl für das Trinken als das Baden, ging es mir wie sonst immer bei ähnlichen Versuchen: mein so sehr zur Aufgeregtheit geneigtes Temperament liess davon mehr Beschwerde als Heilung aufkommen. Meine Lektüre in den Erholungsstunden machten die, nur mit den ersten Jugendeindrücken zuvor mir bekannt gewordenen, »Wahlverwandtschaften« Goethe's aus. Diesmal verschlang ich dieses Buch im eigentlichsten Sinne Wort für Wort; auch ward es Grund zu heftigen Erörterungen zwischen mir und Herwegh, welcher, als vielerfahrener Kenner der Eigenthümlichkeiten unsrer grossen poetischen Litteratur, den Charakter der Charlotte gegen meine Angriffe desselben vertheidigen zu müssen glaubte. Ich wurde an meiner Leidenschaftlichkeit hierbei inne, wie seltsam es noch nach meinem zurückgelegten 40ten Jahre mit mir stand, und musste innerlich zugeben, dass Herwegh das Goethe'sche Gedicht objektiv richtiger beurtheilte als ich, der ich mich fortwährend unter einer Seelenhemmung fühlte, gegen welche, wenn er sie je empfunden, Herwegh in dem eigentümlichen Verhältnisse zu seiner resoluten Frau zu grosser Ergebung gelangt war. – Da endlich die Zeit zu Ende ging, und ich wohl merkte dass ich von der Kur nicht viel zu verhoffen hatte, traten wir gegen die Mitte des August unsren Rückweg nach Zürich an, wo ich nun ungeduldig auf meine Reise nach Italien mich vorbereitete.

Endlich trat der Monat September ein, von welchem man mir gesagt hatte, dass er für den Besuch Italien's bereits empfehlenswerth sei. Mit unerhörten Vorstellungen von dem, was mich erwartete, und was meinem Suchen erfüllungsvoll entgegentreten sollte, begab ich mich jetzt über Genf auf meine Reise. Wiederum nur unter den seltsamsten Abenteuern gelangte ich mit Extra-Post über den Mont-Cenis nach Turin. Gänzlich ohne Befriedigung von diesem Aufenthalte, eilte ich nach zwei Tagen sofort nach Genua. Hier schien mir nun allerdings das ersehnte Wunder aufgehen zu wollen. Der herrliche Eindruck dieser Stadt kämpft noch bis heutigen Tages die Sehnsucht nach dem übrigen Italien in mir nieder. Ich fühlte mich einige Tage in wahrhaftem Rausche; wohl war es aber meine grosse Einsamkeit, mitten unter diesen Eindrücken, welche mir alsbald wieder das Fremdartige dieser Welt, und dass ich in ihr nie heimisch sein würde, zur Empfindung brachte. Unfähig und ohne alle Anleitung dafür, nach regelmässigem Plane den Genuss eigentlicher Kunstschätze aufzusuchen, gab ich mich mehr nur einem gewissen, musikalisch zu nennenden Gefühle des neuen Elementes hin, und suchte vor allen Dingen den Punkt, der in ihm zum Verweilen und zu ruhigem Genusse mich bestimmen würde. Denn immer ging mein Trieb nur auf den Gewinn eines Asyles hin, welches mir die harmonische Ruhe zu neuem künstlerischem Schaffen gewähren sollte. – Da sich, namentlich in Folge des unvorsichtigen Genusses von Gefrorenem, sehr bald die Dyssenterie bei mir einstellte, trat in mir plötzlich auf die erste Exaltation eine vollkommen entmuthigende Abspannung ein. Ich wollte dem ungeheueren Geräusche des Hafens, an welchem ich wohnte, entfliehen, um die äusserste Stille aufzusuchen, und glaubte mich durch einen Ausflug nach Spezia retten zu müssen, wohin ich nach acht Tagen mit dem Dampfschiff abging. Auch diese, nur eine Nacht dauernde Fahrt wurde mir durch heftigen conträren Wind sogleich wieder zu einem peinlichen Abenteuer gestaltet. Meine Dyssenterie vermehrte sich durch Seekrankheit, und im allererschöpftesten Zustande, kaum mich fortzuschleppen fähig, suchte ich in Spezia den besten Gasthof auf, welcher zu meinem Schrecken in einer engen geräuschvollen Gasse lag. Nach einer in Fieber und Schlaflosigkeit verbrachten Nacht, zwang ich mich des andren Tages zu weiteren Fusswanderungen durch die hügelige, von Pinienwäldern bedeckte Umgegend. Alles erschien mir nackt und öde, und ich begriff nicht was ich hier sollte. Am Nachmittage heimkehrend, streckte ich mich todtmüde auf ein hartes Ruhebett aus, um die lang ersehnte Stunde des Schlafes zu erwarten. Sie erschien nicht; dafür versank ich in eine Art von somnambulem Zustand, in welchem ich plötzlich die Empfindung, als ob ich in ein stark fliessendes Wasser versänke, erhielt. Das Rauschen desselben stellte sich mir bald im musikalischen Klange des Es-dur-Akkordes dar, welcher unaufhaltsam in figurirter Brechung dahin wogte; diese Brechungen zeigten sich als melodische Figurationen von zunehmender Bewegung, nie aber veränderte sich der reine Dreiklang von Es-dur, welcher durch seine Andauer dem Elemente, darin ich versank, eine unendliche Bedeutung geben zu wollen schien. Mit der Empfindung als ob die Wogen jetzt hoch über mich dahinbrausten, erwachte ich in jähem Schreck aus meinem Halbschlaf. Sogleich erkannte ich, dass das Orchester-Vorspiel zum »Rheingold«, wie ich es in mir herum trug, doch aber nicht genau hatte finden können, mir aufgegangen war; und schnell begriff ich auch, welche Bewandtniss es durchaus mit mir habe: nicht von aussen, sondern nur von innen sollte der Lebensstrom mir zufliessen.

Sogleich beschloss ich nach Zürich zurückzukehren, und die Komposition meines grossen Gedichtes zu beginnen. Ich telegraphirte an meine Frau, um ihr diess anzuzeigen, und mein Arbeitszimmer bereit halten zu lassen. Noch am gleichen Abende bestieg ich die Diligence, welche, die Riviera di Levante hinab, nach Genua führte. Noch hatte ich auf dieser, den ganzen andren Tag fortgesetzten Reise Veranlassung schöne Eindrücke von dem Lande zu gewinnen; namentlich war es die Farbe aller sich darbietenden Phänomene, welche mich entzückend anregte: das rothe Steingebirge, die Bläue des Himmels und des Meeres, das lichthelle Grün der Pinien, selbst die blendende Weisse eines Zuges von Stieren, wirkten so drastisch auf mich, dass ich mit Seufzen mir sagte, wie traurig es doch sei, dass ich diess alles nicht zur Veredelung meiner sinnlichen Natur geniessen können sollte. In Genua fühlte ich mich wieder so angenehm angeregt, dass ich plötzlich glaubte, zuvor nur einer thörigen Schwäche nachgegeben zu haben, mein ursprüngliches Vorhaben auszuführen beschloss, und bereits wegen einer Reise-Gelegenheit der mir so sehr gerühmten Riviera di Ponente entlang nach Nizza in Unterhandlung trat. Kaum hatte ich diese ursprünglichen Vorsätze wieder aufgenommen, als ich aber auch inne ward, dass, was mich zuletzt erfrischt und heilsam belebt hatte, nicht die Wiederkehr meiner Freude an Italien, sondern der Entschluss zur Aufnahme meiner Arbeit gewesen war. Denn sobald ich diesen zu ändern Willen zeigte, trat auch sofort der alte Zustand mit allen Symptomen der Dyssenterie wieder ein. Nun verstand ich mich, sagte die Reise nach Nizza ab, und kehrte unaufhaltsam auf dem nächsten Wege über Alessandria und Novara, den jetzt ganz gleichgültig von mir liegen gelassenen Borromeischen Inseln vorbei, über den Gotthard nach Zürich zurück.

Hier angekommen, hätte nur eines mir Befriedigung gewähren können: wenn ich sofort meine grosse Arbeit beginnen durfte. Jedoch sah ich für das Nächste noch eine bedeutende Unterbrechung voraus, nämlich das mit Liszt verabredete Rendez-vous in Basel, welches Anfang Oktober stattfinden sollte. So liess ich, unruhig und übellaunig, die Zeit unter Besuchen meiner Frau in Baden am Stein verstreichen, wohin diese, für meine vermuthete längere Abwesenheit, sich zur Kur begeben hatte. Da ich zu jedem Versuche dieser Art, wenn er mit Zuversichtlichkeit mir eingeredet wurde, leicht bereit war, liess ich mich auch zum mehrmaligen Gebrauche der dortigen heissen Bäder verleiten, was meine Aufgeregtheit in bedenklichem Grade vermehrte. Endlich kam die Zeit der Basler Zusammenkunft. Liszt hatte, vom Grossherzoge von Baden dazu eingeladen, in Karlsruhe ein Musikfest veranstaltet und geleitet, welches der Tendenz, unsere eigenen Kompositionen in Achtung gebietender Weise zu Gehör zu bringen, gewidmet war. Ich selbst durfte das Gebiet des deutschen Bundes noch nicht betreten; somit hatte Liszt Basel als nächsten Punkt an der Badenschen Grenze erwählt, um dort mir einige jüngere Freunde, welche um ihn in Karlsruhe versammelt gewesen, zur Begrüssung herzu zu führen. Ich war zuerst am Ort, und sass des Abends allein im Speise-Saale des Gasthofs »zu den drei Königen«, als ich im Vestibüle von einem nicht zahlreichen, aber kräftigen Männerchore die Trompetenfanfare des Königsrufes aus »Lohengrin« gesungen hörte. Die Thüre öffnete sich, und Liszt als Chef führte die liebenswürdige und heiter erregte Bande mir zu. Zum ersten Male seit seinem abenteuerlichen Winter-Aufenthalte in Zürich und St. Gallen sah ich Bülow wieder, mit ihm Joachim, Peter Cornelius, Richard Pohl und Dionys Pruckner. Für den anderen Tag meldete mir Liszt die Nachkunft seiner Freundin Caroline von Wittgenstein, mit ihrer jungen Tochter Marie an. Es konnte nicht fehlen, dass die ungemein freudige Stimmung dieser Begegnung, welche, bei aller Gemüthlichkeit, die eigenthümlichen Züge einer grossherzigen Ungewöhnlichkeit, wie Alles was von Liszt ausging, an sich hatte, an diesem Abende sich bis zu exzentrischer Fröhlichkeit steigerte. Mitten in der Ausgelassenheit vermisste ich Pohl, der mir als tüchtiger Streiter für unsre Sache durch seine mit »Hoplit« unterzeichneten Aufsätze bereits sehr wohl bekannt geworden war: ich stahl mich fort und suchte ihn in seiner abgelegenen Kammer auf, wo er, an heftigen Kopfschmerzen leidend, sich bereits zu Bette gelegt hatte. Mein herzliches Bedauern hierüber machte eine so bedeutende Wirkung auf ihn, dass er behauptete plötzlich sich ganz wohl zu fühlen, aus dem Bette sprang, sich von mir bei der Beschleunigung des Ankleidens helfen liess, und nun mir wieder zur Gesellschaft herabfolgte, wo wir bis lang in die Nacht uns gemeinschaftlich auf das Heiterste unterhielten.

Das Fest ward nun andren Tages vollständig als die erwarteten Frauen eintrafen, welche jetzt für einige Tage den Mittelpunkt unsrer Vereinigung bildeten. Der ungemeinen Lebhaftigkeit und anregenden Hingebung der Fürstin Caroline an Alles was uns einnahm, war wie Alle, welche um jene Zeit in die Nähe dieser Frau geführt wurden, kennen gelernt haben werden, unmöglich zu widerstehen. Mit gleichem Interesse für die höchsten Fragen, welche uns bewegten, wie für die zufälligsten Einzelnheiten unsres persönlichen Verkehres mit der Welt, schmeichelte sie einen Jeden in eine gewisse Extase hinein, in welcher er das Beste, dessen er fähig war, von sich zu geben sich genöthigt fühlte. Mit einem gewissen schwärmerischen Ausdrucke wirkte dagegen die kaum fünfzehnjährige Tochter der Fürstin, welche in Tracht und Haltung ganz als das zur Jungfrau soeben erst erblühende Mädchen erschien, und sich von mir auch den Ehrentitel »das Kind« erwarb. Wenn die Diskussion, oder auch der reine freudige Erguss, dann und wann bis zum Brausen sich erhob, bewahrte ihr schwärmerisch dunkles Auge eine schöne, tief verständige Ruhe, und unwillkürlich fühlten wir dann, dass sie den unschuldigen Verstand der uns aufregenden Angelegenheiten darstellte. Gern liess ich mich, der ich überhaupt damals von der Schwäche des Vorlesens meiner Dichtung beherrscht wurde (worüber, beiläufig gesagt, Herwegh sich schon geärgert hatte), zum Vortrage meiner Nibelungen-Dramen bestimmen, und wählte, da die Zeit der Trennung bevorstand, einzig den »Siegfried« dazu. Da Liszt zum Besuche seiner Kinder jetzt nach Paris aufbrechen musste, begleiteten wir ihn alle nach Strassburg: ich hatte beschlossen, Liszt nach Paris zu folgen, wogegen die Fürstin mit ihrer Tochter von Strassburg aus nach Weimar zurück zu gehen sich genöthigt glaubte. Auch in den wenigen freien Stunden dieses kurzen Aufenthaltes sollte ich den Frauen noch etwas vorlesen, wofür aber keine rechte Ruhe eintrat. Am Morgen der beabsichtigten Trennung kam dagegen Liszt an mein Bett, um mich davon zu benachrichtigen dass sich die Damen entschlossen hätten, mit uns nach Paris zu gehen; er behauptete lächelnd: Marie habe ihre Mutter dazu gebracht, weil sie noch die anderen Nibelungen-Stücke vorlesen hören wollte. Mir gefiel dieses generös Abenteuerliche des ganzen Zuges der Ausdehnung unserer Reise-Entschliessungen sehr. Leider mussten wir uns jetzt von den jüngeren Genossen trennen; über Joachim, der stets in bescheidener, fast weicher Zurückhaltung geblieben war, sagte mir Bülow zur Erklärung, dass er in einer gewissen wehmüthigen Schüchternheit gegen mich befangen sei, und zwar wegen meiner, in jenem famosen Artikel über das »Judenthum« ausgesprochenen Meinungen. Bei der Vorlegung einer seiner Kompositionen habe er ihn mit einer gewissen freundlichen Aengstlichkeit gefragt, ob ich dieser Arbeit wohl etwas Jüdisches anmerken können würde. Dieser rührende, ja ergreifende Zug regte mich zu einem besonders theilnahmsvollen Abschiedswort und einer herzlichen Umarmung Joachim's an. Ich habe ihn seit dem nie wieder gesehen Diess ist im Jahre 1869 aufgezeichnet., sondern über seine nicht lange hiernach angenommene und andauernde feindselige Haltung gegen Liszt und mich nur das Allerverwunderlichste erfahren müssen. Allen den nach Deutschland heimkehrenden jungen Genossen begegnete noch unterwegs in Baden das lustige Unglück, als Ruhestörer mit der Polizei in Konflikt zu gerathen: sie waren nämlich auch dort auf öffentlicher Strasse mit der schmetternden Lohengrin-Fanfare eingezogen, über deren Bedeutung die Bevölkerung nur mit grosser Mühe aufgeklärt werden konnte.

Reich an bedeutenden Eindrücken fast schwärmerisch erregter Freundschaft war unsere andrerseits gemeinschaftlich ausgeführte Reise nach Paris, so wie auch noch unser dortiger Aufenthalt. Nachdem wir in später Nacht mit grosser Mühe die Frauen im »Hôtel des Princes« untergebracht hatten, verlangte es Liszt, mit mir noch einen Gang über die jetzt ganz menschenleeren Boulevards zu machen. Ich vermuthe, dass unsere Empfindungen hierbei so verschiedenartig waren, wie unsere Erinnerungen. Als ich am andren Vormittage zu den Freunden in's Zimmer trat, theilte mir Liszt mit seinem eigenthümlichen freundlichen Lächeln mit, dass Prinzessin Marie sich schon in grosse Aufregung gesetzt hatte, um sich einer neuen Vorlesung von mir zu versichern. Bereits lag mir allerdings sehr wenig an Paris; Fürstin Caroline glaubte ihrerseits sich genöthigt, dafür zu sorgen, dass sie hier wenig bemerkt werde; Liszt war durch persönliche Besorgungen abgerufen; somit kam es zu dem Wunderlichen, dass wir, ehe noch ein Fuss auf die Strasse von Paris gesetzt war, den ersten Morgen daselbst nur zu einer Fortsetzung der in Basel begonnenen Vorlesungen verwendeten. Ueberhaupt ward auch an den folgenden Tagen nicht eher nachgelassen, als bis ich mit allen Theilen meines »Ring des Nibelungen« zu Ende war. – Endlich trat Paris aber auch in seine Rechte, und als die Frauen nun sich nach den Museen aufmachten, war ich es, der, von unaufhörlichen nervösen Kopfschmerzen geplagt, sich auf seinem Zimmer einsam zurückhielt. Doch vermochten Liszt's Aufforderungen auch mich zu mancher Theilnahme an den gemeinschaftlichen Unternehmungen. Sogleich an einem der ersten Tage hatte er eine Loge für eine Aufführung des »Robert le diable« gemiethet, da er meinte den Damen auf eine vortheilhafte Weise dieses berühmte Theater der grossen Oper bekannt machen zu müssen. Ich glaube, dass die elende Stimmung, welche mich hierbei befiel, von den Freunden nicht gänzlich ungetheilt blieb; doch hatte Liszt hierbei noch andere Dinge vor: ich war von ihm ersucht im schwarzen Fracke zu erscheinen, und er bemerkte die Gewährung seiner Bitte mit Befriedigung, als er mich in einem Zwischenakte zu einer Promenade im Foyer einlud. Mir ward klar, dass ihn gewisse jugendliche Erinnerungen an hier vorgekommene ungemein belebte Abende unwillkürlich über den Charakter dieses »Foyer's« an einem so traurigen Opernabende, wie wir ihn heute zu verleben hatten, irre führten, und wir schlichen, ohne zu wissen warum wir diese langweilige Promenade ausgeführt hatten, ziemlich ermüdet zu unserer Gesellschaft zurück.

Ganz ausserordentlich anregend, ja den frühesten Eindrücken, welche ich einst in Paris von der neunten Symphonie Beethoven's durch die Aufführung des Conservatoire-Orchester's gewonnen hatte, fast gleich, war eine Produktion der Quartett-Gesellschaft Morin-Chevillard, welche meinen Freund und mich zu einer Aufführung des Es-dur und Cis-moll Quartett's von Beethoven eingeladen hatte. Ich lernte hier wieder zu meiner freudigsten Ueberraschung die ungemeinen Vorzüge des geistvoll angewandten Fleisses kennen, mit welchem die Franzosen dieser, in Deutschland noch so roh behandelten, Schätze der Musik sich zu bemächtigen verstehen. Namentlich das Cis-moll-Quartett muss ich bekennen erst hier innig genau vernommen zu haben, da seine Melodie erst jetzt mir deutlich erschlossen wurde. Hätte ich keine Erinnerung als diese an meinen damaligen Aufenthalt in Paris, so würde ich ihn als bedeutungsvoll unvergesslich für mich bezeichnen müssen.

Doch sind mir noch andere Angedenken verblieben, welche nicht minder bedeutungsvoll für mich fortgelebt haben. Eines Tages lud mich Liszt zu einem Familienabend bei seinen Kindern ein, welche unter der Obhut einer Erzieherin zurückgezogen in Paris lebten. Es war mir sehr neu, meinen Freund unter den bereits noch aufwachsenden Mädchen, und im Verkehre mit einem so eben vom Knaben zum Jüngling reifenden Sohne, zu beobachten. Er selbst schien verwundert über seine väterliche Lage, von welcher er längere Jahre nur die Sorge, nicht aber die lohnende Empfindung erfahren hatte. Auch hier kam es wieder zum Vorlesen, nämlich des letzten Aktes der »Götterdämmerung«, somit des ersehnten Schlusses des Ganzen. Berlioz, welcher während dem anlangte, betrug sich dem Missgeschicke dieser Vorlesung gegenüber mit recht freundlichem Anstande. Bei ihm brachten wir einen andren Morgen zu, als er uns mit einem Frühstücke zum Abschiede bewirthete; denn er selbst hatte bereits seine Musikalien gepackt, um sich auf eine Konzertreise nach Deutschland aufzumachen. Hier spielte mir Liszt aus dessen »Benvenuto Cellini« vor, und Berlioz sang dazu auf seine eigene trockene Weise. Hier traf ich auch, ohne längere Zeit über zu wissen wer er sei, den in Paris so berühmten Feuilletonisten Jules Janin, welcher sich mir für jetzt nur durch seine nachlässige, das Französisch mir gänzlich unverständlich lassende, Pariser Sprache bemerklich machte. – Auch ein Dîner mit Soirée im Hause des berühmten Pianofortefabrikanten Erard sorgte für unsere Unterhaltung. Hier, wie bei einem anderen von Liszt selbst gegebenen Dîner im Palais Royal, traf ich wieder mit dessen Kindern zusammen, von denen namentlich das jüngste, der Sohn Daniel, durch seine grosse Lebhaftigkeit und die Aehnlichkeit mit seinem Vater, einen rührenden Eindruck auf mich machte, während ich von seinen Töchtern nur die anhaltende Schüchternheit zu bemerken hatte. Auch eines Abends bei Mme Kalergis, dieser sehr ungewöhnlichen Frau, welche ich hier zum ersten Male seit jener frühesten Aufführung des »Tannhäuser« in Dresden wieder sah, habe ich mich zu erinnern. Als über Tisch von ihr im Betreff Louis Napoléon's eine Frage an mich gerichtet wurde, vergass ich mich in meiner, mit einer gewissen Bitterkeit gemischten Ueberspannung so weit, alles gewöhnliche Gespräch dadurch abzuschneiden, dass ich mein Befremden darüber erklärte, wie man von einem Menschen, den doch unmöglich eine Frau wahrhaft lieben könnte, etwas Grosses für die Welt erwarten möchte. Als Liszt nach Tische mancherlei spielte, bemerkte die junge Marie Wittgenstein meine besonders traurig erscheinende Zurückhaltung, welche theils von meinen Kopfschmerzen herrühren, theils auch das Gefühl meiner innigen Entfremdung solchen Kreisen gegenüber, wie sie mich jetzt umgaben, ausdrücken mochte. Es rührte mich, ihr Theilnahme an meinem Zustande, und die Nöthigung mich sympathisch zu zerstreuen, abgewonnen zu haben.

Nach dem Ablaufe von acht, für mich äusserst anstrengenden Tagen, verliessen meine Freunde Paris. Da ich nun einmal von dem Beginne meiner Arbeit von neuem so weit abgehalten worden war, beschloss ich auch Paris nicht eher wieder zu verlassen, als bis ich mich endlich in einen, für jenen grossen Zweck dienlichen, ruhigeren Zustand gebracht hätte. Ich hatte meine Frau, welcher ich noch einmal den Augenschein dieses selben Paris, in welchem wir einst so viel Peinliches erlebt hatten, gönnte, aufgefordert, von Zürich aus zur Heimreise mich abzuholen. Nach ihrer Ankunft stellten sich Kietz und Anders mit Regelmässigkeit zum Dîner bei uns ein; auch ein junger Pole, der Sohn meines, in alten Zeiten enthusiastisch von mir verehrten Freundes, des Grafen Vincenz Tyszkiewicz, fand sich zu uns. Dieser sehr junge Mann, erst nach der Zeit meiner Bekanntschaft mit seinem Vater geboren, hatte sich, wie es gegenwärtig von so Vielen geschieht, begeistert der Musik zugewendet. Er hatte bereits in Paris ein sonderbares Aufsehen dadurch erregt, dass er eine von ihm besuchte Aufführung des »Freischütz« in der grossen Oper, der hierbei vorkommenden starken Auslassungen und Aenderungen wegen, für einen an dem eingeweihten Zuhörer begangenen Raub erklärt, und der Administration jenes Theater's einen Prozess wegen seines bereuten Eintrittsgeldes zur Vorstellung auf den Hals gezogen hatte. Auch wollte er ein Journal gründen, in welchem er die Nachlässigkeit des ganzen offiziellen Musiktreibens in Paris prinzipiell als eine Schmach für den Geschmack des Publikums einleuchtend machen wollte. – Ein junger Fürst Eugen von Wittgenstein-Sayn war aus dem Liszt'schen Kreise übrig geblieben, welchem ich öfter zu einem Medaillon sitzen musste, das er als geschickter Dilettant von mir anfertigte, und unter Kietz's Beirath in nicht misslungener Weise ausführte. – Wichtig war mir auch meine Berathung mit einem jungen Arzte, Lindemann, Kietz's Freund, welcher von der Wassertheorie ab mich für die Gifttheorie einzunehmen suchte. Er war zu einiger Beachtung von Seiten der Pariser Notabilitäten dadurch gelangt, dass er in einem Spital vor Zeugen sich verschiedenartige Gifte eingeimpft und deren Wirkung auf den Organismus sehr genau und eingehend an sich selbst nachgewiesen hatte. Von meinem Nervenzustande behauptete er, dass ihm sofort und gründlich beizukommen sein würde, sobald man durch genaue Experimente zur Bekanntschaft mit derjenigen metallischen Substanz gelangte, welche spezifisch der Strömung meiner Nerven zu gebieten hätte. Er empfahl mir bei akutem Leiden mit grösster Gewissens-Ruhe den Gebrauch von Laudanum. Im übrigen schien er die »Valeriana« für das zusagendste Medikament zu halten.

Sehr ermüdet und ruhlos, und schliesslich auf das äusserste und ärgerlichste aufgeregt, verliess ich gegen Ende Oktober mit Minna Paris, ohne zu begreifen, zu welchem Zwecke ich schliesslich dort so viel Geld ausgegeben hatte. Entschädigung durch die Propaganda meiner Opern in Deutschland verhoffend, zog ich mit zunehmender Gelassenheit endlich in meine Züricher Wohnung wieder ein, mit dem Vorsatze, nicht eher sie wieder zu verlassen, als bis mindestens einige Theile meiner Nibelungen-Dramen musikalisch ausgeführt wären. Sogleich im Beginn des November machte ich mich denn auch an die lange zurückgehaltene Arbeit. Seit Ende des März 1848 waren es nun fünf Jahre und ein halbes, in welchen ich vollständig von jeder musikalischen Produktion mich fern gehalten hatte, und da es mir nun wirklich bald glückte, in die rechte Stimmung hierfür zu gerathen, darf ich diesen Wiederbeginn meiner musikalischen Arbeit wohl als den Eintritt einer völligen Wiedergeburt nach einer stattgehabten Seelenwanderung bezeichnen. Was die Technik meiner Arbeit betraf, gerieth ich alsbald in Verlegenheit, jenes im Halbtraume zu Spezzia konzipirte Orchestervorspiel in meiner gewohnten Art der Skizzirung auf zwei Linien aufzuzeichnen. Ich musste sofort zum vollständigen Partitur-Formular greifen; dadurch wurde ich zu einer neuen Art meines Skizzirens überhaupt verleitet, wonach ich nur die allerflüchtigsten Bleistifts-Umrisse für die sofortige Bearbeitung in der vollständigen Partitur entwarf. Diess zog mir für später bedenkliche Schwierigkeiten zu, da die mindeste Unterbrechung meiner Arbeit mich der Bedeutung meiner flüchtigen Skizzen oft vergessen machte, und ich diese dann mühsam mir wieder zurückrufen musste. Doch liess ich diese Schwierigkeit für das »Rheingold« noch nicht aufkommen; bereits am 16. Januar 1854 war die ganze Komposition entworfen, und somit in seinen wichtigsten thematischen Beziehungen der Plan zu dem ganzen musikalischen Gebäude des vieltheiligen Werkes vorgezeichnet. Denn eben hier, in diesem grossen Vorspiele, waren diese thematischen Grundsteine für das Ganze zu legen gewesen.

Wirklich entsinne ich mich einer grossen und vortheilhaften Veränderung meines Gesundheitszustandes während dieser Arbeit, so dass ich aus jener Zeit nur sehr geringe Eindrücke aus meiner Lebensumgebung übrig behalten habe. In den ersten Monaten des neuen Jahres dirigirte ich auch diesmal wieder in einigen Orchester-Konzerten. Einem Wunsche meines Freundes Sulzer zu Liebe führte ich dabei auch die Ouvertüre zu Iphigenie in Aulis von Gluck auf, nachdem ich sie zuvor mit einem neuen Schlusse von mir versehen hatte. Die Nöthigung zu dieser kleinen Arbeit, welche ich dem Mozart'schen Schlusse gegenüber empfand, veranlasste mich noch zu einer Abhandlung des hier angeregten künstlerischen Problems für die Brendel'sche, Musikzeitung. Diess Alles störte mich jedoch nicht in der Ausarbeitung der Partitur des »Rheingoldes«, welche ich zunächst mit Bleistift auf einzelne Blätter schnell aufzeichnete. Am 28. Mai war auch die Instrumentirung des »Rheingoldes« vollendet.

In meinem häuslichen Umgange hatte sich um jene Zeit wenig verändert; was sich in den letzten Jahren in dieser Beziehung gebildet hatte, lebte in freundlicher Gestaltung eben ruhig fort. Nur trat jetzt wieder einige Beklemmung in meine ökonomische Lage, da ich im vorangehenden Jahre, namentlich im Betreff meiner häuslichen Einrichtung, sowie meines Lebenszuschnittes überhaupt, mich wohl zu sehr auf die Fortdauer und Steigerung der Einnahmen von den Theatern für meine Opern verlassen hatte. Von diesen Theatern blieben leider die grösseren und einträglichsten immer noch im Rückstand. Namentlich in diesem Jahre musste ich es mit Pein empfinden, dass ich mit Berlin und Wien immer noch zu keiner Annäherung gelangen konnte. Diess bereitete mir verschiedene Sorgen, welche mich einen grossen Theil des Jahres über belästigten. Gegen die hieraus hervorgehende Stimmung suchte ich bei neuer Arbeit Schutz, und, statt der Reinschrift der Partitur des »Rheingoldes«, beschäftigte ich mich alsbald bereits mit dem Beginne der Komposition der »Walküre«. Mit Ende Juli gedieh die erste Scene zum Abschluss, als ich mich durch einen Ausflug in die südliche Schweiz darin unterbrechen musste.

Von der Eidgenössischen Musikgesellschaft war ich zu der Direktion ihres diessjährigen Musikfestes in Sion eingeladen. Diese hatte ich abgelehnt, jedoch versprochen mich einzufinden, um, sobald die Mittel dazu mir genügend erscheinen würden, an einem der Festtage die A-dur-Symphonie von Beethoven zu dirigiren. Ich verknüpfte hiermit den Vorsatz, in Montreux am Genfer See Karl Ritter zu besuchen, welcher dort mit der vor Kurzem ihm angetrauten jungen Frau sich niedergelassen hatte. Hier hielt ich mich ungefähr acht Tage auf, lernte die Eigentümlichkeit der jungen Ehe, welche mir nicht die Anzeichen eines dauernden Glückes zu enthalten schien, mit einiger Bangigkeit kennen, und reiste dann mit Karl zu dem erwarteten Musikfest in das Wallis hinein. Unterwegs, in Martigny, schloss sich uns ein sonderbarer junger Mensch an, welcher mir schon im vergangenen Jahre, bei Gelegenheit meiner grossen Züricher Aufführungen, als jugendlicher Enthusiast und Musiker vorgestellt worden war. Es war dieses Robert von Hornstein: der sehr drollige Mensch war mir, vor allem aber meinem jüngeren Freunde Ritter, als weiterer Genosse der erwarteten Abenteuer willkommen; denn wirklich hatte ihn der Ruf, ich würde das eidgenössische Musikfest dirigiren, aus Schwaben nach dem Kanton Wallis gezogen. Leider traf ich am Sitze des diesjährigen Festes so gegen alles Erwarten unzureichende und kleinliche Vorbereitungen für eine künstlerische Unternehmung an, dass ich, nachdem ich von dem Klange des ungemein dürftigen Orchester's in einer kleinen Kirche, welche zugleich den Konzertsaal abgab, einen gänzlich abschreckenden Eindruck erhalten hatte, empört über den Leichtsinn, mich bei einer solchen Gelegenheit herbeigezogen zu haben, einfach durch ein paar Zeilen an den eigentlichen Festdirigenten, Musikdirektor Methfessel aus Bern, ohne weitere Ceremonien mich verabschiedete, und meine schnelle Abreise mit dem gerade abgehenden Postwagen sogar meinen beiden jungen Freunden verheimlichte. Zu diesem Letzteren hatte ich noch meine besonderen Gründe, welche ich, da sie Stoff zu einer psychologischen Studie gaben, in meiner Erinnerung erhalten habe. Als ich nämlich, in grosser Verstimmung über den empfangenen unkünstlerischen Eindruck, zu dem Mittagessen mich im Gasthofe einfand, erregte ich, eben durch meinen Unmuth, fortwährend ein bis zur Unverschämtheit sich steigerndes, knabenhaftes Gelächter dieser Beiden. Ich musste vermuthen, dass dies die Fortsetzung einer heiteren Laune sei, in welche sie durch eine vorangehende Unterhaltung über mich gerathen waren. Da keine meiner Ermahnungen, ja selbst nicht meine Erzürnung sie zu einem schicklicheren Benehmen bringen konnte, verliess ich in wahrer Betroffenheit den Speisesaal, besorgte meine Abreise, und wusste diese Jenen so vollständig zu verbergen, dass sie erst nachher davon erfuhren. Ich ging auf einige Tage nach Genf und Lausanne, wollte mich dann aber noch der jungen Frau Ritter, welche in Montreux zurückgeblieben war, auf der Heimreise empfehlen; da traf ich denn die beiden jungen Leute wieder an: sie hatten, in betroffener Ernüchterung durch meine Abreise, ebenfalls das unglückliche Musikfest verlassen, und, um etwas von mir zu erfahren, sich hier eingefunden. Ich erwähnte mit keinem Worte ihres ungezogenen Benehmens; da mich Karl sehr herzlich bat noch kurze Zeit bei ihm zu verweilen, und mich in Wahrheit eine dichterische Arbeit, welche er vor Kurzem beendigt hatte, sehr interessirte, gab ich nach. Diess war ein Lustspiel, Alkibiades, welches mit auffallender Freiheit und Feinheit der Form konzipirt und ausgeführt war. Schon in Albisbrunnen hatte Karl von dem Plane dieses Stückes gesprochen, mir auch einen zierlichen Dolch gezeigt, auf dessen Klinge die Sylben » Alki« eingebrannt waren. Er erklärte mir, dass sein in Stuttgart hinterlassener Freund, jener junge Schauspieler, einen gleichen Dolch besitze, auf dessen Klinge die Sylben » Biades« stünden. Es schien nun, dass Karl, auch ohne der symbolischen Hülfe von solchen Dolchen, zuletzt wieder in dem jungen Tölpel Hornstein eine ähnliche Ergänzung zu seinem alkibiadischen Wesen gefunden hatte, und sehr vermuthlich hatten die beiden in Sion eine »alkibiadische« Scene gegenüber »Sokrates« aufzuführen geglaubt. Glücklicherweise zeigte mir sein Lustspiel, dass sein künstlerisches Talent seine Anlagen für das Leben vortheilhaft überbot. Ich bedaure noch heute, die allerdings sehr schwierige Aufgabe der Darstellung dieses Stückes nicht gelöst zu wissen. Auch Hornstein benahm sich jetzt mit empfehlender Nüchternheit; ich begleitete ihn auf der Heimreise, als er sich von Vevey aus nach Lausanne wandte, eine Strecke des Weges zu Fuss, wo er sich mit seinem Ränzel an der Seite ganz drollig und rührend ausnahm.

Ueber Bern und Luzern reiste ich nun auf dem nächsten Wege nach Selisberg am Vierwaldstätter See, wohin bereits zuvor meine Frau, zum Antritt einer Molkenkur, gegangen war. Die schon früher von mir wahrgenommenen Anzeigen einer Herzkrankheit hatten sich nämlich bei ihr vermehrt, und dieser Gesundheit stärkende Aufenthalt war ihr empfohlen worden. Geduldig überstand ich einige Wochen lang die Leiden eines Schweizer Pensionslebens, leider aber zur Beunruhigung meiner Frau, welche sich mit den Gewohnheiten desselben im behaglichsten Sinne vertraut gemacht hatte, und mich nun als störend betrachten musste; doch half auch mir die schöne Luft und ein täglicher weiterer Ausflug auf den Gebirgspfaden. Ich wählte mir sogar in Gedanken die ziemlich wilde Stelle aus, auf welcher ich mir ein einfaches Holzhäuschen aufführen zu lassen wünschte, um dort einmal in Ruhe arbeiten zu können. – Ende Juli gingen wir gemeinschaftlich nach Zürich zurück, wo ich mich alsbald wieder zu der Komposition der Walküre wandte, von welcher ich den ersten Akt noch im Monat August aufzeichnete. Da ich um diese Zeit von den erwähnten Sorgen stark bedrückt war, andrerseits häusliche Ungestörtheit für meine Arbeit mir sehr ersehnt war, stimmte ich gern zu dem Wunsche meiner Frau, ihre Verwandten und Bekannten in Dresden und Zwickau besuchen zu dürfen. Anfang September verliess sie mich demnach für einige Zeit, und berichtete mir bald auch von ihrem Besuch in Weimar, wo sie von der Fürstin Wittgenstein auf der Altenburg freundlich bewirthet worden war. Dort hatte sie auch Röckel's Frau, für welche dessen Bruder aufopfernd sorgte, wiedergesehen. Es war ein ihr eigenthümlicher energischer Zug, dass sie sich entschloss, von da aus die Strafanstalt in Waldheim aufzusuchen, um Röckel, dem sie persönlich so im höchsten Grade ungeneigt war, zu sehen, damit sie seiner Frau Nachricht über sein Befinden geben könnte. Ueber diesen geglückten Versuch berichtete sie mir selbst in sonderbarer, fast höhnischer Weise, dass Röckel ganz glatt und munter ausgesehen habe und sich gar nicht so übel zu befinden scheine.

Während dem versteckte ich mich tief in meine Arbeit, beendigte am 26. September die zierliche Reinschrift der Partitur des »Rheingoldes«, und lernte jetzt in der friedlichen Stille meines Hauses ein Buch kennen, dessen Studium von grosser Bedeutung für mich ward. Es war diess Arthur Schopenhauer's: »Die Welt als Wille und Vorstellung«.

Herwegh nannte mir dieses Buch, von welchem er vor allem das Interessante mitzutheilen hatte, dass es neuerdings auf sonderbaren Umwegen gewissermaassen erst entdeckt worden sei, nachdem es bereits vor über dreissig Jahren erschienen war. Die diesen Umstand erläuternde Schrift eines Herrn Frauenstädt hatte auch ihn erst auf das Werk hingewiesen. Ich fühlte mich sofort von dem Werke bedeutungsvoll angezogen, und widmete mich alsbald dem Studium desselben. Zu wiederholten Malen hatte mir ein inneres Bedürfniss das Verlangen eingegeben, die eigentliche Bedeutung der Philosophie mir verständlich zu machen. Schon in meiner frühesten Zeit war durch einige Gespräche mit Lehrs in Paris dieser Trieb in mir angeregt worden, welchem ich bisher durch meine Versuche, bei den Leipziger Professoren, dann aus einem Schelling'schen, später aus einem Hegel'schen Buche, Befriedigung zu verschaffen getrachtet hatte, bis, da diese Versuche mich alsbald abschreckten, einige Feuerbach'sche Schriften mir den Grund hievon anzugeben geschienen hatten. Nun fesselte mich sofort, ausser dem Interesse für das sonderbare Schicksal dieses Buches, die grosse Klarheit und männliche Präzision, welche ich vom ersten Beginne bei der in ihm enthaltenen Erörterung der schwierigsten metaphysischen Probleme antraf. Allerdings hatte mich schon das Urtheil eines englischen Kritiker's bestochen, welcher mit grosser Ehrlichkeit bekannte, sein dunkler, aber unüberzeugter Respekt vor der deutschen Philosophie sei bisher aus der gänzlichen Unfasslichkeit derselben, wie sie zuletzt von Hegel vorgetragen war, entstanden, wogegen es ihm nun beim Studium Schopenhauer's schnell aufgegangen sei, dass nicht seine geringe Kapazität, sondern der absichtliche Schwulst in der Fassung jener Philosopheme an seiner Unklarheit hierüber Schuld gewesen sei. Wie jedem leidenschaftlich durch das Leben Erregten es ergehen wird, suchte auch ich zunächst nach der Konklusion des Schopenhauer'schen System's; befriedigte mich die ästhetische Seite desselben vollkommen, und überraschte mich hier namentlich die bedeutende Auffassung der Musik, so erschreckte mich doch, wie jeder in meiner Stimmung Befindliche es erfahren wird, der der Moral zugewandte Abschluss des Ganzen, weil hier die Ertödtung des Willen's, die vollständigste Entsagung, als einzige wahre und letzte Erlösung aus den Banden der, nun erst deutlich empfundenen, individuellen Beschränktheit in der Auffassung und Begegnung der Welt gezeigt wird. Für denjenigen, welcher sich aus der Philosophie eine höchste Berechtigung für politische und sociale Agitationen zu Gunsten des sogenannten »freien Individuums«, gewinnen wollte, war allerdings hier gar nichts zu holen, und die vollständigste Ablenkung von diesem Wege zur Stillung des Triebes der Persönlichkeit war einzig gefordert. Diess wollte denn auch mir für das Erste durchaus nicht munden, und so schnell glaubte ich der sogenannten »heiteren« griechischen Weltanschauung, aus welcher ich auf mein »Kunstwerk der Zukunft« geblickt hatte, mich nicht entschlagen zu dürfen. Wirklich war es Herwegh, welcher mit einem gewichtigen Worte mich zunächst zur Besonnenheit gegen meine Empfindlichkeit veranlasste. Durch diese Einsicht in die Nichtigkeit der Erscheinungswelt – so meinte er – sei ja eben alle Tragik bestimmt, und intuitiv müsse sie jedem grossen Dichter, ja jedem grossen Menschen überhaupt, inne gewohnt haben. Ich blickte auf mein Nibelungen-Gedicht, und erkannte zu meinem Erstaunen, dass das, was mich jetzt in der Theorie so befangen machte, in meiner eigenen poetischen Konzeption mir längst vertraut geworden war. So verstand ich erst selbst meinen »Wotan«, und ging nun erschüttert von Neuem an das genauere Studium des Schopenhauer'schen Buches. Jetzt erkannte ich, dass es vor allem darauf ankam, den ersten Theil desselben, die Erklärung und erweiterte Darstellung der Kant'schen Lehre von der Idealität der bisher in Zeit und Raum so real gegründet erschienenen Welt zu verstehen, und meinen ersten Schritt auf dem Wege dieses Verständnisses glaubte ich nun schon durch die Erkenntniss der ungemeinen Schwierigkeit derselben gethan zu haben. Von jetzt an verliess mich das Buch viele Jahre hindurch nie gänzlich, und bereits im Sommer des darauf folgenden Jahres hatte ich es zum vierten Male durchstudirt. Die hierdurch allmählich auf mich sich einstellende Wirkung war ausserordentlich, und jedenfalls für mein ganzes Leben entscheidend. Ich gewann dadurch für mein Urtheil über alles, was ich bisher rein nach dem Gefühle mir angeeignet hatte, ungefähr dasselbe, was ich einst, aus der Lehre meines alten Meisters Weinlich entlassen, durch das eingehendste Studium des Kontrapunktes für die Musik mir gewonnen hatte. Wenn ich späterhin in zufällig angeregten schriftstellerischen Arbeiten mich wieder über das mich besonders angehende Thema meiner Kunst vernehmen liess, so war diesen zuversichtlich anzumerken, was ich hiermit als den Gewinnst aus meinem Studium der Schopenhauer'schen Philosophie bezeichne. – Für jetzt fühlte ich mich bewogen, dem verehrten Philosophen ein Exemplar meines Nibelungen-Gedichtes zu übersenden; ich fügte dem Titel mit meiner Hand nur die Worte »aus Verehrung« bei, ohne sonst ein Wort an Schopenhauer zu richten, wozu mich theils die grosse Befangenheit, gegen ihn mich auszusprechen, als auch das Gefühl davon bestimmte, dass, wenn Schopenhauer durch die Lektüre meiner Dichtung selbst sich nicht deutlich machen könnte, mit wem er es zu thun habe, ein noch so ausführlicher Brief meinerseits hierzu auch nicht verhelfen würde. Somit entsagte ich auch dem eitlen Wunsche, mit einer schriftlichen Rückäusserung von ihm beehrt zu werden. Doch erfuhr ich später durch Karl Ritter, so wie auch durch Dr Wille, welche beide Schopenhauer in Frankfurt aufsuchten, dass dieser sich bedeutend und günstig über meine Dichtung ausgesprochen habe.

Während ich, neben diesem Studium, in der Komposition der Musik zur Walküre fortfuhr, dabei in grosser Zurückgezogenheit lebte und meine Mussestunden nur auf weite Promenaden in die Umgegend verwandte, stellte sich, wie diess gewöhnlich bei anhaltender musikalischer Beschäftigung mir begegnete, der Trieb zur dichterischen Konzeption wiederum ein. Es war wohl zum Theil die ernste Stimmung, in welche mich Schopenhauer versetzt hatte, und die nun nach einem extatischen Ausdrucke ihrer Grundzüge drängte, was mir die Konzeption eines » Tristan und Isolde« eingab. Auf den Gegenstand, den ich von meinen Dresdener Studien her genauer kannte, war ich in letzter Zeit durch die Mittheilung eines Planes Karl Ritter's zur Ausführung desselben in dramatischer Form, von Neuem aufmerksam gemacht worden. Ueber das Fehlerhafte seines Entwurfes hatte ich mich damals gegen den jungen Freund ausgelassen. Er hatte sich an die übermüthigen Situationen des Romanes gehalten, während mich die tiefe Tragik desselben sogleich anzog, und ich alles hiervon abliegende Beiwerk von dieser Haupttendenz fern gehalten mir dachte. Von einem Spaziergange heimkehrend, zeichnete ich eines Tages mir den Inhalt der drei Akte auf, in welche zusammengedrängt ich mir den Stoff für künftige Verarbeitung vorbehielt. Im letzten Akte flocht ich hierbei eine, jedoch später nicht ausgeführte, Episode ein: nämlich einen Besuch des nach dem Gral umherirrenden Parzival an Tristan's Siechbette. Dieser an der empfangenen Wunde siechende und nicht sterben könnende Tristan, identifizirte sich in mir nämlich mit dem Amfortas im Gral-Roman. – Für jetzt konnte ich mir die Gewalt anthun, dieser Konzeption nicht weiter nachzuhängen, um mich in meiner grossen musikalischen Arbeit nicht stören zu lassen.

Während dem gelang es mir auch, namentlich mit Hülfe meiner Freunde, meiner sorgenvoll gewordenen Lage eine befriedigende Wendung zu geben. Auch stellte sich der Verkehr mit den deutschen Theatern jetzt wieder vortheilhafter heraus. Minna hatte Berlin besucht, und war dort durch Vermittelung unserer alten Freundin Frommann auch zu einer Unterredung mit dem Herrn von Hülsen, dem Intendanten des dortigen Hoftheaters, gelangt. Nachdem nun zwei Jahre zwecklos verstrichen waren, konnte ich jetzt um so eher meinen Tannhäuser auch ohne weitere Bedingungen zur Aufführung in Berlin abtreten, als er seitdem durch seine fast allgemeine Verbreitung auf die übrigen Theater, im Betreff seines Erfolges sich so festgesetzt hatte, dass ein etwa zu fürchtender Misserfolg in Berlin nicht mehr dem Rufe meines Werkes, wohl aber dem der Berliner Direktion nachtheilig werden konnte. – Anfangs November kehrte Minna von ihrem Ausfluge wieder zurück, und auf ihren Bericht hin liess ich denn nun auch im Betreff der Berliner Aufführung des Tannhäuser dem Schicksale seinen Lauf, wodurch ich mir in der Folge zwar viel Aerger über die elende Darstellung meines Werkes, dann aber auch, im Genusse der dort gewährten sogenannten Tantième, eine lange fliessende Quelle nicht unbeträchtlicher Einnahmen gewann.

Bald meldete sich nun auch wieder die Züricher Musikgesellschaft für meine Theilnahme an den diessjährigen Winter-Konzerten, welche ich zwar nochmals zusagte, jedoch mit der Erklärung, dass ich ihrerseits nun erwarte, dass sie ernstlich sich um eine von mir angeregte Verbesserung des Orchesters bekümmere. Ich hatte nämlich bereits zwei verschiedene Propositionen für die Begründung eines guten Orchesters in Zürich an diese Herren von der Musikgesellschaft gelangen lassen; jetzt arbeitete ich einen noch ausführlicheren dritten Entwurf aus, in welchem ich ihnen auf das Allergenaueste angab, wie sie es mit verhältnissmässig sehr geringen Kosten bewerkstelligen könnten, im Verein mit dem Theater ein gutes Orchester zu erhalten. Ich erklärte ihnen, dass ich in diesem Winter zum letzten Male mit ihnen mich beschäftigen werde, wenn sie auf diese sehr billigen Vorschläge für die Zukunft nicht eingingen. – Ausserdem nahm ich mich jetzt eines Quartett-Vereines an, welcher sich aus den Vorspielern des Orchesters gebildet hatte, die mich darum angingen, ihnen zur Erlernung des richtigen Vortrages der von mir empfohlenen Quartett-Kompositionen behülflich zu sein. Es freute mich vor Allem, diesen Leuten durch die schnell ihnen zugewandte Theilnahme des Publikum's für längere Zeit recht günstige Nebeneinnahmen zu verschaffen. Was ihre künstlerischen Leistungen betraf, so wollte es allerdings damit nicht recht vorwärts gehen, da es sich mir herausstellte, dass bei dem so frei liegenden Vortrage der einzelnen Musiker durch die blosse Aufnöthigung der dynamischen Nuancen nicht Das ersetzt werden konnte, was nur durch die individuelle Bildung eines höheren künstlerischen Geschmackes in der Behandlung des Instrumentes selbst bewirkt werden kann. Doch verstieg ich mich bis dahin, ihnen selbst das Cismoll-Quartett von Beethoven einzustudiren, was mich allerdings bei unzähligen Proben eine beschwerliche Ausdauer kostete. Ich gab ihrem Programm eine kleine Anleitung zur Auffassung dieser merkwürdigen Beethoven'schen Komposition bei. Ob ich hierdurch, sowie durch die Aufführung selbst, auf einen der Zuhörer gewirkt habe, ist mir unbekannt geblieben.

Wenn ich nun ausserdem noch berichten kann, dass ich am 30. Dezember dieses Jahres bereits die Komposition der ganzen Walküre in der Skizze beendigte, so sage ich wohl genug, um auf mein ernstes und thätiges Leben in dieser Zeit, sowie darauf hinzuweisen, dass ich durch äusseren Verkehr keinerlei Störung meiner strengen Lebensweise aufkommen liess.

Im Januar 1855 begann ich bereits die Instrumentation der Walküre. Doch unterbrach ich mich sofort durch eine Zwischenarbeit, welche gelegentlich dadurch entstand, dass ich einigen Freunden von meiner, damals vor fünfzehn Jahren, in Paris komponirten Faust-Ouvertüre sprach, und ihnen das Verlangen erweckte, sie zu hören. Diess brachte mich sofort darauf, diese Komposition, welche einst eine bedeutungsvolle Wendung in meiner musikalischen Konzeption hervorgerufen hatte, mir noch einmal genauer anzusehen. Liszt hatte sie vor einiger Zeit einmal in Weimar aufgeführt, viel Erfreuliches mir darüber geschrieben, aber auch den Wunsch ausgedrückt, einiges darin nur Angedeutete bestimmter ausgeführt zu wissen. So überarbeitete ich dieses Werk jetzt nochmals, und befolgte dabei den mit sehr zarter Empfindung gegebenen Rath meines Freundes in der Weise, wie die jetzt in der Härtel'schen Ausgabe veröffentlichte Komposition es zeigt. Auch studirte ich diese Ouvertüre unserem Orchester ein, und führte sie, wie mich dünkte, mit gutem Erfolge auf. Nur meiner Frau schien es, als ob es darin zu nichts Rechtem käme, und sie bat mich, als ich noch in diesem Jahre nach London ging, sie dort nicht aufzuführen.

Jetzt nämlich trat von Aussen eine sonderbare Aufforderung an mich heran, wie sie eigentlich nie in meinem Leben sich wiederholte. Noch im Januar erhielt ich eine Anfrage von der philharmonischen Gesellschaft in London, ob ich geneigt sei ihre diessjährigen Konzerte zu dirigiren; da ich mit meiner Antwort etwas zögerte, um mich zuvor nach den Umständen näher zu erkundigen, überraschte mich eines Tages der Besuch eines Herrn Anderson, Mitglied des Vorstandes der berühmten Gesellschaft, welcher eigens von London nach Zürich gereist war, um sich meiner Einwilligung zu versichern. Ich hatte auf vier Monate nach London zu kommen, um dort acht Konzerte der philharmonischen Gesellschaft zu dirigiren, wofür ich in allem 200 Pfund Sterling bezahlt erhielt. Auch jetzt wusste ich noch nicht recht wozu ich mich entscheiden sollte, da, geschäftlich angesehen, ein eigentlicher Gewinn hierbei nicht zu erwarten war, und andrerseits das Konzertdirigiren mit Ausnahme einzelner schöner Leistungen, auf welche es hierbei nur ankommen konnte, mir sehr ferne lag. Eines stimmte mich zunächst günstig, nämlich, nach so langer Enthaltung wieder einmal mit einem grossen und schönen Orchester zu thun zu haben; dann aber reizten mich auch die fast mysteriös mir erscheinenden Umstände, welche die Blicke der mir so fern abliegenden Musikwelt plötzlich auf mich gerichtet hatten. Ich vermuthete dahinter etwas, was mir wie ein Schicksalswink aussah, und sagte endlich dem stupid freundlich englischen Gesichte des Herrn Anderson zu, worauf dieser sehr befriedigt, in einem grossen Pelze, dessen Eigenthümer ich später kennen lernte, direkt wieder nach London zurückfuhr.

Bevor ich ihm nachfolgte, musste ich mich aber erst noch einer Kalamität entledigen, welche meine Gutmüthigkeit mir auf den Hals geladen hatte. Der äusserst zudringliche Direktor der diessjährigen Theaterunternehmung hatte es nämlich durchgesetzt, dass ich ihm eine Aufführung des » Tannhäuser« erlaubte, wozu er mich dadurch bestimmte, dass er mir vorhielt, wie ich doch jedem Theater diese Partitur überlassen habe, und es für seine Unternehmung von wahrem Nachtheil sein müsste, wenn er blos aus dem Grunde, weil ich selbst hier lebte, der gleichen Vergünstigung für Zürich verlustig sein sollte. Ausserdem mischte sich meine Frau in die Sache, an deren Protektion sich alsbald die Sänger der Partien des » Tannhäuser« und » Wolfram« wendeten; und wirklich verstand sie es auch, mein humanes Mitgefühl für den einen ihrer Schützlinge, einen armen, bis dahin vom Direktor sehr chicanirten Tenoristen, in das Spiel zu bringen. Ich ging mit diesen Leuten ihre Rollen einige Male durch, und fand mich demzufolge auch veranlasst, zur Beaufsichtigung ihrer Leistungen in den Theaterproben mich einzufinden, was dann wieder so viel hiess, als dass ich von Einmischung zu Einmischung weiter gedrängt, bis an das Dirigentenpult gerieth und endlich die erste Aufführung wirklich selbst leitete. Aus dieser ist mir besonders die Sängerin der » Elisabeth« in Erinnerung geblieben, welche, ursprünglich dem Soubrettenfache angehörig, ihre Rolle in weissen Glaçé-Handschuhen mit daran hängendem Fächer gab. Diessmal hatte ich denn aber im Betreff dieser Konzessionen zur Genüge, und als mich das Publikum schliesslich auf die Bühne rief, erklärte ich von dort aus meinen Freunden sehr unverhohlen, dass man mich nun zum letzten Male zu so etwas bekommen hätte, und ich es ihnen für die Zukunft überliesse, für ihr Theater, von dessen übler Beschaffenheit sie sich heute einen genaueren Begriff hatten machen können, etwas zu thun; worüber denn alles sehr erstaunt war. Eine ähnliche Erklärung gab ich jedoch auch der Musikgesellschaft, in welcher ich vor meiner Abreise ebenfalls noch einmal, und wirklich zum letzten Male, etwas dirigirte. Leider nahm man diess nur als joviale Züge von mir auf, und fühlte sich zu keinerlei Anstrengung im mindesten angespornt, so dass es im nächsten Winter meiner sehr ernsten und fast groben Erklärung bedurfte, um die Betreffenden ein für alle Male von weiteren Zumuthungen an mich abzubringen. So verliess ich meine bisherigen Züricher Kunstfreunde in ziemlich verblüffter Stimmung, um am 26. Februar meine Reise nach London anzutreten.

Ich reiste über Paris, und verweilte dort einige Tage, während welcher ich nur Kietz und seinen, von ihm als Wunderdoktor geachteten, Freund Lindemann sah. Am 2. März in London angekommen, wandte ich mich zunächst an Ferdinand Präger, den Jugendfreund der Gebrüder Röckel, von welchem ich durch diese eine sehr empfehlende Kenntniss erlangt hatte. Ich traf an ihm, der seit langen Jahren in London als Musiklehrer niedergelassen war, einen ungemein gutmüthigen, nur für seinen Bildungsstand zu sehr aufgeregten Menschen. Nachdem ich die erste Nacht in seinem Hause verbracht hatte, besorgte ich mir des andern Tages mit seiner Hülfe eine Wohnung an Portland-Terrace in der Umgebung des Regents-Park, welchen ich von meinem früheren Besuche her angenehm im Gedächtniss hatte. Ich versprach mir bei dem erwarteten Frühjahre einen angenehmen Aufenthalt schon durch die unmittelbare Nähe der Partie dieses Parkes, von welcher schöne Rothbuchen über den Weg herüber ragten. Trotzdem ich vier Monate in London verbrachte, schien es mir jedoch nie zu diesem Frühling zu kommen; so sehr lastete das neblige Klima auf alle meine Eindrücke, welche ich dort erhielt. Präger nahm sich sofort auf's Bereitwilligste meiner an, um mich auf dem Wege der üblichen Visiten zu geleiten, bei welchen wir auch Herrn Costa heimsuchten, an welchem ich den Chef des Orchesters der italienischen Oper, und somit den eigentlichen Hegemon der Londoner Musik kennen lernte; denn er war auch Direktor der sacred-music-society, in welcher fast allwöchentlich Händel und Mendelssohn zur Aufführung kommen.

Präger führte mich aber auch zu seinem Freunde Sainton, dem ersten Violinisten des Londoner Orchesters. Nach dem überaus herzlichen Empfange von dessen Seite, erfuhr ich nun auch die sonderbare Geschichte meiner Berufung nach London. Sainton, ein Südfranzose aus Toulouse, von feurigem, naivem Temperamente, hatte zu seinem Wohnungsgenossen einen vollblutigen deutschen Musiker aus Hamburg, Namens Lüders, den Sohn eines Stadtmusikers von trockenster, aber gemüthlicher Naturbeschaffenheit. Es rührte mich späterhin sehr, das Lebensereigniss zu erfahren, welches diese Beiden zu untrennbaren Freunden gemacht hatte: Sainton war auf einer Virtuosenreise über Petersburg nach Helsingfors in Finnland verschlagen worden; vom Dämon der schlechten Geschäfte verfolgt, wusste er von dort aus sich nicht weiter zu finden, als ihm die überaus nüchterne und bescheidene Gestalt des Hamburger Stadtmusikers-Sohnes dort im Gasthof auf der Treppe mit der Frage entgegentrat: ob er geneigt sei seine Freundschaft anzunehmen, mit welcher er ihm, da er wohl merke, dass er in übler Lage sei, die Hälfte seiner Baarschaft anbiete. Von diesem Augenblicke an waren Beide unzertrennbare Freunde, machten Kunstreisen in Schweden und Dänemark, fanden sich unter den sonderbarsten Umständen über Hamburg wieder nach Hâvre, Paris und Toulouse zurück, von wo aus sie endlich sich nach London übersiedelten, Sainton, um eine bedeutende Stellung im Orchester einzunehmen, Lüders, um als trockner Stundengeber sich so gut wie möglich durchzuhelfen. Nun traf ich beide in einer hübschen Wohnung, wie Mann und Frau zusammenlebend, stets in zärtlicher Freundschaft für einander besorgt. Dieser Lüders hatte nun meine Kunstschriften gelesen, und namentlich »Oper und Drama« hatte ihn zu dem Ausrufe bewogen: »Donnerwetter! Da ist was dahinter!« Diess hatte nun Sainton stutzig gemacht, und, als vor dem Beginne der diessjährigen Saison, aus unklar gebliebenen Gründen, der bisherige Dirigent der philharmonischen Konzerte, eben jener machtvolle Herr Costa, mit der Gesellschaft sich überwarf und erklärte, ihre Konzerte nicht weiter dirigiren zu wollen, hatte Sainton, welchen der »Treasurer« der Gesellschaft, Herr Anderson, in seiner grossen Verlegenheit um Rath frug, auf Lüders Meinung hin angerathen, mich zu engagiren. Wie ich erfuhr, war man nicht sofort auf diese Empfehlung eingegangen, und erst als Sainton auf's Gerathewohl versicherte mich in Dresden dirigiren gesehen zu haben, entschloss sich Herr Anderson, in dem Pelze, welchen ihm Sainton dazu herlieh, die Reise zu mir nach Zürich zu machen, in dessen Folge ich mich jetzt hier befand. Wie ich bald ebenfalls erfuhr, hatte jedoch Sainton hierin mit dem seinen Nationalcharakter eigenen Unbedacht gehandelt; denn Costa war es nämlich nicht eingefallen mit seiner Erklärung an die philharmonische Gesellschaft es ernst zu nehmen, und meine Berufung schien ihm höchst widerwärtig. Als Chef desselben Orchesters, welches uns zu den philharmonischen Konzerten zu Gebote stand, übte er in Folge dessen fortwährend einen feindlichen Einfluss auf die von mir geleiteten Unternehmungen aus, unter welchem selbst mein Freund Sainton, ohne dass er sich des Grundes klar bewusst wurde, zu leiden hatte.

Diess stellte sich mir im Verlaufe immer deutlicher heraus, während anderseits genügende Elemente zur Bereitung der mannigfaltigsten Widerwärtigkeiten für mich vorhanden waren. Vor allem erklärte sich sofort der Musikreferent der Times, Herr Davison, im feindlichsten Sinne gegen mich. Ich erfuhr an diesem Manne zum ersten Mal bestimmt und deutlich die Wirkung meines früheren Aufsatzes über das »Judenthum in der Musik«. Ausserdem aber berichtete mir Präger, dass Davison, bei seiner äusserst machtvollen Stellung in der Times, gewohnt sei, von Jedem, welcher in Musikangelegenheiten nach England käme, zu allernächst durch Aufmerksamkeiten aller Art gewonnen zu werden. Diesen Anforderungen hätte sich, zum höchsten Vortheile für ihren äusseren Erfolg, namentlich auch Jenny Lind gefügt, und nur die Sonntag, als Gräfin Rossi, habe sich dergleichen Verpflichtungen überhoben gedünkt. Da ich nun nichts anderes im Sinne hatte, als mich des Umganges mit einem recht vollständigen und guten Orchester zu erfreuen, und mit diesem schöne Aufführungen zu Stande zu bringen, war es mir andrerseits sehr niederschlagend alsbald zu erfahren, dass mir keinerlei Verfügung über die mir nöthig dünkende Anzahl von Proben zu den Konzerten zustand; für jedes Konzert, mit zwei Symphonien und vielem andern Zubehör, war nach dem ökonomischen Plane der Gesellschaft mir nur eine Probe erlaubt. Doch hoffte ich immer, durch den Eindruck der von mir geleiteten Aufführungen auch hier einmal besondere Anstrengungen zu veranlassen; hier aber etwas aus dem Geleise zu bewegen, war gänzlich unmöglich, und somit erkannte ich alsbald, dass die Erfüllung meiner übernommenen Verpflichtungen mir zur widerlichsten Last geworden sei. In dem ersten Konzerte führten wir die Eroïca von Beethoven auf, und der Erfolg meiner Direktion schien so bedeutend, dass das Comité der Gesellschaft für das zweite Konzert sichtlich ein Aeusserstes zu thun sich geneigt zeigte. Man verlangte Bruchstücke von meinen Kompositionen, sowie die neunte Symphonie von Beethoven, und gestand mir dafür ausnahmsweise zwei Proben zu. In diesem Konzerte ging es ganz erträglich her. Zu meinem Vorspiel des »Lohengrin« hatte ich eine programmatische Erklärung aufgesetzt, in welcher man mir jedoch den » holy Gral«, sowie die Erwähnung von » God«, mit bedenklichster Miene strich, weil derlei in weltlichen Konzerten nicht gestattet sei. Für die Chöre der Symphonie musste ich mich mit dem Chorpersonale der italienischen Oper begnügen, und ausserdem für das grosse Recitativ mit einem Barytonisten vorlieb nehmen, welcher mich durch sein italienisch geschultes englisches Phlegma in der Probe zur vollsten Verzweiflung brachte. Von dem englisch übersetzten Texte verstand ich nur » hail thee joye« für » Freude schöner Götterfunken«. Auf den Erfolg dieses Konzertes, welcher auch an und für sich nichts zu wünschen übrig liess, schien die philharmonische Gesellschaft Alles gegeben zu haben; desto mehr erschrack man, als der Berichterstatter der Times auch hiergegen mit wüthender Geringschätzung und Verkleinerung des Geleisteten auftrat. Man wandte sich an Präger, um durch diesen mich zu bestimmen, Herrn Davison doch einige Aufmerksamkeiten zu erweisen, zum Mindesten, dass ich es annehmen möge, bei einem von Herrn Anderson zu veranstaltenden Festessen, mit jenem Herrn zusammen zu treffen, und ihm mich freundlich vorstellen zu lassen. Präger kannte mich nun bereits genügend, um den Herren alle Hoffnung benehmen zu müssen, dass nach dieser Seite hin irgend ein Zugeständniss von mir zu gewinnen sei. Das Festmahl unterblieb nun, und in der Folge ersah ich von hier an, dass die Gesellschaft, wohl einsehend, dass sie es mit einem gänzlich unlenksamen Starrkopfe zu thun hatte, mein Engagement aufrichtig bereuete.

Da jetzt nach dem zweiten Konzerte die Osterferien mit einer längeren Unterbrechung eintraten, berathschlagte auch ich mit meinen Freunden, ob es nicht vernünftiger sei, das Ganze, so schnell von mir als thörig und fruchtlos erkannte Unternehmen der Direktion dieser philharmonischen Konzerte aufzugeben, und ruhig nach Zürich zurückzugehen. Präger versicherte mich, dass die Ausführung dieses Entschlusses keineswegs als Verurtheilung der Situation, sondern einfach als eine jämmerliche Ungezogenheit meinerseits angesehen werden würde, und dass vor Allem unter diesem Urtheile meine Freunde zu leiden haben würden. Diess Letztere entschied mich; und ich blieb, von jetzt an allerdings ohne jede Hoffnung, dem Londoner Musikleben einen förderlichen Impuls geben zu können. Nur für das siebente Konzert stellte sich ein anregender Umstand ein: die Königin wählte diesen Abend zu ihrem alljährlich einmaligen Besuche dieser Konzerte, und erbat sich durch ihren Gemahl, den Prinzen Albert, die Tannhäuser-Ouvertüre zu hören. Wirklich erhielt dieser Abend durch den Besuch des königlichen Hofes eine angenehme Feierlichkeit; auch hatte ich das Vergnügen, mit der Königin Viktoria und ihrem Gemahle, auf deren Einladung, mich ziemlich anregend zu unterhalten. Es kam hierbei die Rede auf die Möglichkeit der Aufführung meiner Opern im Theater, wogegen Prinz Albert einwendete, dass italienische Sänger unmöglich meine Musik würden vortragen können. Es machte mir gute Laune, dass die Königin diesem Einwände wieder dadurch entgegnete, dass ja doch sehr viele italienische Sänger eigentlich Deutsche wären. Der Eindruck von diesem Allen war freundlich, und diente offenbar als Demonstration für mich, welche jedoch nach keiner Seite hin an der Situation selbst etwas zu ändern vermochte; denn nach wie vor blieb es in der grossen Presse dabei, dass alle von mir dirigirten Konzerte Fiasco machten, und Ferdinand Hiller konnte sich bei einem um diese Zeit abgehaltenen rheinischen Musikfeste für genügend autorisirt halten, zur Herzstärkung seiner Freunde laut anzukündigen, mit mir gehe es in London zu Ende, und ich sei von dort so gut als vertrieben zu erachten. Dagegen erlebte ich dennoch eine schöne Genugthuung am Schlusse des letzten der von mir dirigirten acht Konzerte, bei welchem eine jener seltenen Scenen stattfand, wie sie dann und wann durch das bis dahin komprimirte Gefühl der Betheiligten erlebt werden. Dem Orchester war es alsbald nach meinen Erfolgen klar geworden, dass, wer bei ihrem unverantwortlich herrschenden Chef, Herrn Costa, gut angeschrieben und nicht etwa schnell von ihm entlassen sein wollte, in keiner Weise sympathisch für mich sich zu erklären habe; so wurde mir das plötzliche Verstummen der im Umgange laut gewordenen Theilnahmsbezeugungen der Musiker erklärt. Jetzt aber, am Schlusse dieser Konzerte, brach das zurückgehaltene Gefühl der Musiker hervor, welche von allen Seiten mit betäubenden Zurufen mich umdrängten, während ebenfalls im Publikum, welches sonst noch vor dem Schlusse geräuschvoll den Saal zu verlassen gewohnt war, sich enthusiastische Gruppen bildeten, von welchen ich ebenfalls unter den herzlichsten Zurufen und Händedrücken umgeben ward, so dass mein Abschied, von Musikern wie Zuhörern, wohl durch keinen herzlicheren Ausdruck dieser Art überboten werden konnte. –

Das Eigenthümlichste meines Lebens während dieses Londoner Aufenthaltes bestand aber in den verschiedenen persönlichen Beziehungen, zu welchen dieser mich führte.

Sogleich nach meiner Ankunft in London meldete sich, von Liszt als auserwählter Schüler empfohlen, der junge Karl Klindworth, welcher nicht nur im Verlaufe meines Londoner Aufenthaltes, sondern seitdem stets mir ein treuer und angenehmer Freund verblieb. So jung er war, so hatte doch die noch wenige Zeit seines Aufenthaltes in London hingereicht, ihm ein Urtheil über das englische Musiktreiben zu erwecken, welches ich, so verzweiflungsvoll es ausfiel, doch bald als sehr richtig erkennen musste. Unfähig, dem sonderbaren Coteriewesen der englischen Musikcliquen sich einzufügen, verlor er sofort jede Aussicht und Hoffnung, hier die ihm gebührende Achtung zu finden, und er hatte sich bereits dahin resignirt, lediglich als tagelöhnerischer Stundengeber durch die Wüsten des englischen Musiklebens sich durchzuschlagen, da er namentlich zu stolz war, den herrschenden Kritikern, welche ihn als Liszt's Schüler sofort angefallen hatten, die mindeste Aufmerksamkeit zu erweisen. Nun war er wirklich ein vortrefflicher Musiker, und dazu ausgezeichneter Klavierspieler. Mit mir machte er sich sogleich zu thun, indem er sich erbat die Partitur meines »Rheingoldes«, allerdings zum Gebrauche der Virtuosen vom ersten Rang, für's Klavier zu arrangiren. Leider verfiel er bald in eine langwierige Krankheit, welche mich andauernd seines erwünschten persönlichen Umganges beraubte.

Während mir Präger und dessen Frau andrerseits mit grosser Anhänglichkeit stets zur Seite blieben, war das eigenthümliche Hauswesen Sainton's und Lüders' mir bald zum eigentlichen heimischen Verkehrspunkte geworden. Ich war nämlich ein für allemal bei ihnen zum Dîner eingeladen, und mit wenigen Ausnahmen fand ich mich meistens veranlasst, meine Mahlzeiten bei diesen, jedenfalls nicht minder ergebenen, Freunden einzunehmen. Hier, wo sich auch Präger öfter einfand, erholte ich mich gewöhnlich in einem gemüthlichen Sinne von den Widerwärtigkeiten meiner Londoner Geschäfte. Oefters durchstrichen wir des Abends die in Nebel gehüllten Strassen, und namentlich wusste Lüders bei diesen Gelegenheiten uns durch einen vortrefflichen Punsch, welchen er irgendwo zu bereiten verstand, in die gegen die Londoner Einflüsse nöthige Unabhängigkeit zu versetzen. Nur eines Abends geriethen wir auseinander, und zwar durch ein furchtbares Strassengedränge, welches den Kaiser Napoléon auf seinem Wege von St. James nach dem Coventgarden-Theater begleitete. Dieser war nämlich damals in der bedenklichen Phase des Krimkrieges, mit seiner Gemahlin zu einem Besuche der Königin Viktoria nach London gekommen, und wurde von der Bevölkerung London's nicht minder begierig auf seinem Wege begafft, als Aehnliches bei andern Völkern der Welt geschieht. Mir begegnete es, als ich vom Haymarket nach der Regentstreet zu gelangen suchte, und desshalb quer über eine Strasse zu dringen hatte, dass ich für einen eifrigen Neugierigen gehalten und demgemäss mit Rippenstössen behandelt wurde, was mir des ersichtlichen Unverständnisses wegen eine heitere Laune verursachte.

Die grossen Unannehmlichkeiten, welche durch die so sonderbar bedeutungsvolle Verhetzung Sainton's mit Herrn Anderson durch Costa mit veranlasst wurden, und welche mich jeder Möglichkeit beraubten, auf die Gesellschaft selbst einigen Einfluss zu üben, führten anderseits manche erheiternde Erfahrung herbei. Jener Anderson hatte sich nämlich durch die Protektion eines Leibkutschers der Königin zum Direktor der k. Privatkapelle (»Queensband«) aufzuschwingen gewusst, war aber selbst so gänzlich ohne alle musikalische Kenntnisse, dass das alljährige Hofkonzert, welches er zu dirigiren hatte, für den ausgelassenen Sainton stets zu einem Feste der Lächerlichkeit wurde, worüber ich denn auch Drolliges erfuhr. Auch drang es bei Gelegenheit dieser Zerwürfnisse in die Oeffentlichkeit, dass Mme. Anderson, welche ihrer kolossalen Leibesbeschaffenheit wegen ich » Charlemagne« getauft hatte, unter andern die Stelle und den Gehalt eines Hoftrompeters sich angeeignet hatte. Ich gewann durch diese und ähnliche Notizen leider schnell die Ueberzeugung, dass mein lustiger Freund in dem Enthüllungskampfe gegen jene wohl eingenistete Clique den Kürzeren ziehen würde, und erlebte es auch wirklich, dass die Entscheidung darüber, ob Anderson oder Sainton zu weichen habe, zu des letzteren Ungunsten ausfiel, was mir denn bestätigte, dass es im freien England nicht viel anders herginge als sonst wo.

Einen sehr bedeutungsvollen Zuwachs erhielt unsere kleine Gesellschaft durch die Ankunft Berlioz', welcher von einer jüngeren Gesellschaft, » the new philharmonic society« zur Direktion zweier Konzerte ebenfalls nach London berufen worden war. Zum gewöhnlichen Dirigenten dieser Gesellschaft war durch, mir unverständlich gebliebene, Einflüsse ein ausserordentlich gutmüthiger, aber bis zur Lächerlichkeit unbefähigter Mensch, Dr. Wilde, bestellt worden, ein ächter bausbackiger Engländer, welcher von dem Stuttgarter Kapellmeister Lindpaintner sich eigens Unterricht im Dirigiren hatte geben lassen, und von diesem so weit dressirt worden war, dass er dem ganz nach eigenem Belieben spielenden Orchester so ungefähr mit dem Taktschlagen nachzukommen versuchen durfte. Auf diese Weise hörte ich eine Beethoven'sche Symphonie aufführen, wobei ich erstaunt war, das Publikum hier ganz in denselben Beifall ausbrechen zu hören, wie es bei einer von mir mit der grössten Präzision und wirklichem Feuer geleiteten Aufführung der Fall war. Um diesen Konzerten aber doch einige Bedeutung zu geben, hatte man, wie erwähnt, Berlioz für einige derselben berufen. Hier hörte ich ihn denn einige klassische Musikwerke aufführen, wie unter anderen eine Mozart'sche Symphonie, und war darüber betreten, ihn, den sonst so energischen Dirigenten seiner eigenen Kompositionen, hier in dem allergewöhnlichsten Geleise der ordinären Taktschläger wiederzufinden. Verschiedene seiner eigenen Kompositionen, wie die effektvollsten Bruchstücke seiner Romeo und Julie-Symphonie, machten auch hier zwar wieder einen bedeutenden Eindruck auf mich; doch ward ich mir jetzt der eigenthümlichen Schwächen, an welchen selbst die schönsten Konzeptionen dieses ausserordentlichen Musikers leiden, genauer bewusst, als diess in jener früheren Zeit der Fall war, wo ich im Allgemeinen nur ein der Grösse des Eindruckes adäquates Unbehagen empfand. – Sehr angeregt fühlte ich mich aber gestimmt, als Sainton mich mit Berlioz einige Male bei sich zum Mahle vereinigte. Plötzlich sah ich nun den gequälten, in mancher Beziehung bereits abgestumpften, und doch so seltsam begabten Menschen vor mir. War meine Ankunft in London mehr aus einem Triebe der Zerstreuung und aus dem Verlangen nach äusserer Anregung herbeigeführt worden, so durfte ich mich völlig glücklich und wie in heiteren Wolken schwebend dünken, wenn ich dagegen den um so vieles älteren Berlioz nur dem Verdienste einiger Guineen nachstrebend hier angekommen sah. Ich gewahrte in ihm nur Ermüdung und Hoffnungslosigkeit, und empfand plötzlich ein tiefes Mitleiden für diesen Menschen, dessen alle seine Nebenbuhler weit überragende Begabung mir andererseits so offen lag. Berlioz schien die Stimmung, welche ich ihm in heiterster Ungezwungenheit entgegentrug, wohlthätig zu berühren; der sonst so kurz zugespitzte, fast verschlossen sich gebende Mensch, thaute ersichtlich in den gut gelaunten Stunden unseres Umganges auf. Er erzählte mir viel Drolliges von Meyerbeer, und der Unmöglichkeit, seinem einschmeichelnden und ewig zu lobenden Artikeln verlockenden Benehmen zu entgehen. Der ersten Aufführung seines Propheten habe er das übliche »Dîner de la veille« vorangehen lassen; da Berlioz sein Ausbleiben davon entschuldigte, machte ihm Meyerbeer hierüber zärtliche Vorwürfe und forderte ihn auf, das grosse Unrecht, was er ihm hierdurch zufüge, durch einen »recht hübschen Artikel« über seine Oper gut zu machen. Berlioz erklärte, es sei unmöglich, in einem Pariser Blatte etwas gegen Meyerbeer zur Aufnahme zu bringen. – Schwieriger war es mir, mit ihm über innigere künstlerische Angelegenheiten mich zu verständigen, da hier stets der fertige und in sicheren Pointen sich aussprechende Franzose sich mir zu erkennen gab, welcher in seiner eigenen Sicherheit nie den Zweifel darüber aufkommen lassen konnte, ob er den Anderen denn auch nur richtig verstanden habe. Da ich mich gemüthlich erwärmt hatte, suchte ich, der ich zu meinem eigenen Erstaunen hier auch plötzlich der französischen Sprache mächtig wurde, mich über das Geheimniss der »künstlerischen Konzeption« gegen ihn auszudrücken. Ich suchte hierbei die Kraft der Lebenseindrücke auf das Gemüth zu bezeichnen, welche uns in ihrer Weise gefangen hielten, bis wir uns ihrer durch die einzige Ausbildung der innersten Seelenformen, welche keineswegs durch jene Eindrücke hervorgerufen, sondern aus ihrem tiefen Schlummer nur eben angeregt worden waren, gänzlich entledigten, so dass das künstlerische Gebilde uns dann keineswegs als eine Wirkung des Lebenseindruckes, sondern im Gegentheile als eine Befreiung davon erschiene. Hier lächelte Berlioz, wie herablassend verständnissvoll, und sagte: » nous appelons celà: digérer«. Meiner Verwunderung über diese Art der prompten Auffassung meiner mühevollen Mittheilungen entsprach übrigens schliesslich auch das äussere Verhalten meines neu gewonnenen Freundes. Ich lud ihn ein, meinem Abschiedskonzerte, und nach diesem noch einem kleinen Abschiedsmahle, welches ich meinen wenigen Freunden in meiner Wohnung gab, beizuwohnen. Von diesem letzteren entfernte er sich bald unter Angabe eines Unwohlseins; die zurückgebliebenen Freunde machten mir jedoch keinen Hehl daraus, dass sie glaubten, Berlioz sei über den sehr enthusiastischen Abschied, welchen zuvor das Publikum von mir genommen, verstimmt gewesen.

Im Uebrigen war die Ausbeute von einigen Bekanntschaften, welche ich in London machte, von keiner besonderen Ergiebigkeit. Doch machte mir ein Herr Ellerton Freude, ein stattlicher angenehmer Mann, Schwager von Lord Brougham, Dichter, Musikfreund und leider auch Komponist, welcher sich in einem der philharmonischen Konzerte mir vorstellen liess, und sich nicht genirte, mich in London auch aus dem Grunde willkommen zu heissen, dass ich sehr vermuthlich der übertriebenen Verehrung Mendelssohn's einigen Einhalt zu thun berufen sein dürfte. Dieser war auch der einzige Engländer, welcher mir eine gastliche Ehre erzeigte. Er bewirthete mich und meine näheren Freunde in dem »University-Club«, bei welcher Gelegenheit ich die Munifizenz eines solchen Londoner Etablissements kennen lernte. Nachdem wir uns bei dieser Gelegenheit sehr gut unterhalten hatten, that sich mir auch, auf immerhin gemüthliche Weise, die Schwäche solcher englischen Gastlichkeiten kund. Mein Wirth liess sich, als ob sich das ganz von selbst verstünde, von zwei Mann unter dem Arme gefasst, nach Hause führen, da er sonst wohl schwerlich weit über die Strasse gekommen sein würde.

Einen sonderbaren Menschen lernte ich noch in einem altmodischen, aber recht liebenswürdigen Komponisten Potter kennen, von welchem ich eine Symphonie aufzuführen hatte, die mich, ihres bescheidenen Umfanges und ihrer sauberen kontrapunktischen Arbeit wegen, um so mehr unterhielt, als der Komponist, ein ältlicher freundlicher Sonderling, sich mit fast ängstlicher Bescheidenheit zu mir hielt. Ich musste ihn völlig zwingen, mir das richtige Tempo des Andante's seiner Symphonie zu gestatten und ihm dadurch den Beweis zu liefern, dass es wirklich hübsch und interessant sei, während er seiner Arbeit so wenig traute, dass er nur durch schnellstes Abmachen desselben durch ein unwürdiges Tempo über die Gefahr, langweilig zu werden, hinweg kommen zu können glaubte. Dafür strahlte er nun wirklich vor Freude und Dank, als ich gerade mit diesem Andante, in meinem Tempo, ihm einen grossen Applaus verschaffte. – Weniger behaglich war mir ein Herr Mac Farrinc, ein schwülstiger melancholischer Schotte, dessen Kompositionen aber, wie mir vom Comité der philharmonischen Gesellschaft versichert wurde, sehr hoch geachtet waren. Dieser schien zu stolz um sich mit mir über die Aufführung einer seiner Kompositionen zu verständigen. Es war mir daher angenehm, dass eine Symphonie von ihm, welche mir keine Sympathie erweckte, bei Seite gelegt, und dafür eine Ouverture, » Steeple-Chase«, gewählt wurde, welche wirklich einen eigenthümlichen, wild-leidenschaftlichen Zug enthielt, und in der Ausführung mir Freude machte. – Ein Kaufmann Beneke mit Familie, an welchen ich, damit mir doch auch in London ein » Haus« sich öffnete, von Wesendonck empfohlen war, bot mir viel Unbequemlichkeit. Zu den einigen Einladungen, welche mir von dorther kamen, hatte ich die Reise einer vollen deutschen Meile nach Camberwell zu machen, um allerdings durch diese Entdeckung in diejenige Familie gerathen zu sollen, bei welcher Mendelssohn, wenn er sich in London aufhielt, zu Hause war. Mit mir wussten die guten Leute nichts Rechtes anzufangen, als dass sie meine Direktion der Mendelssohn'schen Kompositionen vorzüglich fanden, und dafür mir Züge von dem »reichen Gemüthe« des Verstorbenen berichteten. – Auch Howard, Secretair der philharmonischen Gesellschaft, ein alter angenehmer Biedermann, bemühte sich aus dem Kreise meiner englischen Bekanntschaft (einzig, wie er glaubte), um meine Unterhaltung. Mit seiner Tochter musste ich ein paar Mal die italienische Oper in Covent-Garden besuchen; ich hörte da den Fidelio, welcher in ziemlich grotesker Weise, von unfläthigen Deutschen und stimmlosen Italienern, mit Recitativen gegeben wurde. Die öftere Einkehr in diesem Theater wusste ich mir vom Halse zu halten. Dagegen hatte ich, als ich Herrn Howard bei meinem Abschiede von London mich empfahl, die Ueberraschung, bei ihm mit Meyerbeer zusammen zu treffen, welcher damals soeben in London angekommen war, um seinen » Nordstern« aufzuführen. Als ich ihn eintreten sah, fiel mir schnell ein, dass Howard, welchen ich nur in seiner Eigenschaft als Secretair der philharmonischen Gesellschaft beachtet hatte, auch musikalischer Referent der » Illustrated News« war, in welcher Qualität er nun aber von dem grossen Opernkomponisten sofort aufgesucht wurde. Meyerbeer war vollständig gelähmt, als er mich erblickte, was wiederum mich in die Fassung brachte, dass wir kein Wort zu uns zu sprechen vermochten; worüber sich Herr Howard, der sich versicherte, dass wir uns doch bekannt seien, sehr verwunderte. Beim Fortgehen frug er mich, ob mir denn Herr Meyerbeer nicht bekannt sei, worauf ich ihm empfahl, er solle jenen nur nach mir fragen. Als ich am Abend Howard noch einmal antraf, versicherte er mir, Herr Meyerbeer habe sich nur mit der grössten Anerkennung über mich ausgesprochen. Darauf rieth ich ihm die Lektüre einiger Nummern der Pariser » Gazette musicale« an, in welcher Herr Fétis vor einiger Zeit den Ansichten des Herrn Meyerbeer über mich einen minder empfehlenden Ausdruck gegeben habe. Howard schüttelte den Kopf, und konnte es nicht begreifen »wie ein paar grosse Komponisten sich so sonderbar begegnen könnten«.

Eine angenehme Ueberraschung bereitete mir jedoch der Besuch meines alten Freundes, Hermann Franck, welcher sich damals in Brighton aufhielt und auf wenige Tage nach London gekommen war. Wir unterhielten uns viel, und ich hatte namentlich mancherlei Anstrengungen zu machen, um ihm in meinem Betreff zu einer richtigen Ansicht zu verhelfen, da er in den letzten Jahren, seitdem wir ausser Verkehr getreten waren, von deutschen Musikern auf das allerwunderlichste über mich berichtet worden war. Zunächst verwunderte er sich, mich in London anzutreffen, wo doch, wie er meinte, für meine musikalischen Tendenzen unmöglich das geeignete Terrain vorhanden sei. Ich verstand nicht was er unter diesen »Tendenzen« sich dachte, und erzählte ihm einfach, was mich zur Annahme der Einladung der philharmonischen Gesellschaft bestimmt habe, deren diessjährige Konzerte ich nach kontraktlicher Uebereinkunft abzuhalten gedächte, um dann ohne weiteres zu meinen Arbeiten nach Zürich wieder zurückzukehren. Das klang nun ganz verschieden von dem, wie er es sich vermuthet hatte, da er nicht anders vermeinen zu müssen glaubte, als dass ich mir in London eine grosse Stellung zu bereiten gedächte, um von ihr aus einen Vertilgungskrieg gegen sämmtliche deutsche Musiker zu unternehmen: so nämlich sei ihm übereinstimmend in Deutschland mein Vorhaben angekündigt worden. Nun wäre doch eigentlich nichts erstaunlicher, sagte er, als diese merkwürdige Incongruenz der fiktiven Gestalt, in welcher ich vor den Leuten stünde, mit meiner wirklichen Natur, welche er jetzt sogleich wieder erkannt habe; worüber wir uns beide unter Scherzen eingehender verständigten. Ich freute mich, ihn gleich mir von dem Werthe des in den letzten Jahren bekannt gewordenen Werkes Schopenhauer's erfüllt zu sehen. Er äusserte sich darüber mit einer eigenthümlichen Bestimmtheit, indem er dem deutschen Geiste entweder einen vollständigen Verfall, mit seinen politischen Verhältnissen zugleich, oder aber eine eben so vollständige Regeneration, mit welcher dann Schopenhauer daran kommen würde, voraussehen zu müssen glaubte. Er verliess mich, um einem bald sich erfüllenden, ebenso unerklärlichen als furchtbaren Schicksale entgegen zu gehen. Nur wenige Monate darauf erfuhr ich nach meiner Heimkehr seinen räthselhaften Tod. Er war, wie ich erwähnte, in Brighton, um dort seinen Sohn, einen etwa sechzehnjährigen Knaben, auf die englische Marine zu entlassen, für welche dieser, wie ich dem Vater angemerkt hatte, eine diesem sehr widerwärtige, hartnäckige Neigung gefasst hatte. Am Morgen des zum Absegeln des Schiffes bestimmten Tages fand man den Vater in Folge eines Sturzes aus dem Fenster seines Hauses völlig zerschmettert auf der Strasse, den Sohn aber, ebenfalls todt, wie es schien erstickt, auf seinem Bette. Die Mutter war bereits vor einigen Jahren gestorben. Niemand blieb übrig, um über den entsetzlichen Vorgang Auskunft zu geben, welcher, so viel ich weiss, bis auf den heutigen Tag unaufgeklärt geblieben ist. Er hatte bei seinem Besuche aus Vergesslichkeit einen Plan von London bei mir zurückgelassen, welchen ich, da ich seine Adresse nicht wusste, zurückbehielt und bis heute verwahre.

Freundlicher, wenn auch nicht ohne Wehmuth, blieben meine Erinnerungen an meinen Umgang mit Semper, welchen ich ebenfalls in London, wo er seit länger mit seiner Familie niedergelassen war, antraf. Der in Dresden mir immer so heftig und mürrisch erschienene Mensch, überraschte und rührte mich jetzt vorzüglich durch die verhältnissmässig ruhige und ergebene Stimmung, mit welcher er die ungeheure Störung seiner thätigen Künstlerlaufbahn ertrug, und sein allerdings ungemein ergiebiges Talent den Umständen gemäss zur Verwendung bereit hielt. An Aufträge grosser Bauwerke war für ihn in England nicht zu denken, dennoch setzte er einige Hoffnungen auf die Protektion, welche ihm Prinz Albert zu Theil werden liess, und wodurch sich ihm einige Aussichten für die Zukunft eröffneten. Einstweilen begnügte er sich mit Aufträgen zu Zeichnungen für Zimmerornamente und Luxusmöbeln, davon die künstlerische Bedeutung ihm so gut wie bei einem grösseren Bauwerke nahe lag, und welche ausserdem ihm gut bezahlt wurden. Wir trafen öfter zusammen; auch brachte ich einige Abende bei ihm in Kensington zu, wo die alte Laune und der sonderbar ernste Humor immer wieder zwischen uns aufkamen, und über die Widerwärtigkeiten des Lebens uns hinweg halfen. – Meine Berichte, die ich nach meiner Heimkehr über Semper geben konnte, trugen viel dazu bei, dass Sulzer bald die Berufung desselben an das zu errichtende »Polytechnikum« nach Zürich in die Hand nahm und mit Erfolg betrieb.

Ausserdem besuchte ich zu verschiedenen Malen einige nicht uninteressante Londoner Theater, von welchen ich natürlich die Operntheater gänzlich ausgeschlossen hielt. Am Meisten zog mich das kleine Adelphi-Theater im »Strand« an, wohin mich Präger und Lüders öfters begleiten mussten. Dort gab man unter dem Titel von » Christmas« dramatisirte Volksmährchen, davon namentlich eine Vorstellung mir auch dadurch interessant war, dass sie aus einem unvermerkt zusammenhängenden Conglomerate der bekanntesten Mährchen bestand, dabei gar keine Aktschlüsse vorkamen und in einem fortgespielt wurde. Es begann mit der »gold'nen Gans«, verwandelte sich in »die drei Wünsche«, ging von dort in »Rothkäppchen« über, wo der Wolf in einen Menschenfresser verwandelt war, welcher ein sehr drolliges Couplet sang, und schloss unter mancherlei anderweitigen Ingredienzen mit »Aschenbrödel«. Diese Sachen waren in jeder Hinsicht scenisch und dramatisch vorzüglich ausgestattet und gespielt, und gaben mir wirklich einen sehr guten Begriff davon, wie das Volk phantasievoll zu unterhalten sei. Von weniger reiner Naivität traf ich die Vorstellungen des »Olympic-Theater's« an, wo neben sehr gut gespielten pikanten Conversationsstücken im Style des französischen Theater's, auch Zaubermährchen gegeben wurden, wie der » yellow dwarf«, in welchem ein ungemein beliebter Schauspieler, Mr. Robson, die affenartige Hauptrolle spielte. Von demselben Schauspieler sah ich ein anderes Mal ein kleines Lustspiel, das » Garrick-Fieber« gegeben, in welchem er schliesslich einen Betrunkenen darstellte, der, mit Gewalt für Garrick gehalten, in diesem Zustande die Rolle des »Hamlet« übernahm, und durch viele Kühnheiten des Spieles bei dieser Gelegenheit mich zur grössten Verwunderung brachte. – Ein entlegenes kleines Theater, in »Marylebone«, suchte um diese Zeit das Publikum durch Shakespeare'sche Stücke anzuziehen; ich wohnte da einer Aufführung der » merry wives« bei, welche mich durch Korrektheit und Präzision wahrhaft in Erstaunen setzte. Selbst eine Aufführung von »Romeo und Julie« auf dem Haymarket-Theater machte, trotzdem die Gesellschaft gewiss eine sehr untergeordnete war, ihrer Richtigkeit und der jedenfalls noch der Garrick'schen Tradition verdankten scenischen Einrichtung wegen, einen günstigen Eindruck auf mich. Nur ist mir auch eine sonderbare Täuschung hierbei im Gedächtniss geblieben. Nach dem ersten Akte äusserte ich nämlich gegen Lüders, welcher mich begleitete, meine Verwunderung darüber, dass man den Romeo von einem so alten, wenigstens als Sechzigjähriger gewürdigten Manne, spielen liess, welcher seine weit abliegende Jugend durch ein süssliches, weibisches Wesen mühsam ersetzen zu wollen schien. Lüders las nun den Theaterzettel nach und rief aus: »Donnerwetter! Es ist ja ein Frauenzimmer.« Es war die ehemals berühmte Amerikanerin Miss Curshman. – Zu den Aufführungen des Heinrich VIII. in Princess Theater war es mir trotz jeder Bemühung unmöglich einen Platz zu erhalten. Es wurde nämlich dieses Stück, nach der neuen realistischen Theatermethode, als ungemein sorgfältig und pomphaft dargestellte Spektakel-Pièce gegeben, und hatte als solche die unerhörteste Vogue.

In das mir näher liegende Bereich der Musik fallen noch mehrere Konzerte der » sacred-music-society«, welchen ich in dem grossen Saal von Exeter-Hall beiwohnte. Die Oratorien-Aufführungen, welche dort fast allwöchentlich stattfinden, haben wirklich den Vorzug einer grossen Sicherheit, wie sie durch sehr häufige Wiederholungen gewonnen wird. Ausserdem konnte ich dem 700 Köpfe zählenden Chore meine Anerkennung seiner sehr präzisen Leistungen nicht versagen, welche besonders im Händel'schen Messias einige Male zu respectabler Bedeutung sich erhoben. Ich lernte hier überhaupt den eigentlichen Geist des englischen Musikkultus' kennen. Dieser hängt wirklich mit dem Geiste des englischen Protestantismus zusammen, daher denn auch eine solche Oratorien-Aufführung vielmehr als die Oper das Publikum anzieht; wobei sich noch der Vortheil herausstellt, dass ein solcher Oratorienabend zugleich als eine Art von Kirchenbesuch zu gottesdienstlichen Zwecken vom Publikum sich angerechnet wird. Wie man in der Kirche mit dem Gebetbuche dasitzt, trifft man dort in den Händen aller Zuhörer den Händel'schen Klavierauszug, welcher in populären Schillingausgaben an der Kasse verkauft, und in welchem eifrigst nachgelesen wird, das letztere, wie es mich dünkte, auch um gewisse allgemein gefeierte Nuancen nicht zu versäumen, wie z. B. den Eintritt des Halleluja, wo es für schicklich gefunden wird, dass Alles sich von den Sitzen erhebt, welcher ursprünglich wahrscheinlich vorgekommene Akt des Enthusiasmus' mit peinlicher Präzision jetzt bei jeder Aufführung des Messias ausgeführt wird.

Alle diese Erinnerungen fallen mir jedoch mit der Haupterinnerung an ein fast ununterbrochenes Uebelbefinden zusammen, welches zunächst wohl schon durch das in aller Welt berüchtigte Londoner Klima um diese Jahreszeit mir hervorgerufen wurde. Ich war beständig erkältet, und suchte auf den Rath meiner Freunde gegen die Einwirkung der Luft mich durch die Annahme der schweren englischen Diät zu behaupten, ohne dadurch jedoch zu dem mindesten Wohlbehagen zu gelangen. Namentlich vermochte ich auch nicht meine Wohnung mir genügend zu durchwärmen, und vor allem büsste es die Arbeit, die ich mir mitgenommen hatte. Die Instrumentation der Walküre, welche ich hier gänzlich zu beendigen hoffte, rückte mühsam nur um hundert Seiten vorwärts. Vor allem war mir hierbei aber auch der Umstand hinderlich, dass die Skizzen, nach welchen ich die Instrumentation auszuführen hatte, in ihrer Niederschrift nicht auf eine so bedeutende Unterbrechung meiner Stimmung, im Betreff des Zusammenhanges mit dem Entwurfe, berechnet waren. Oft sass ich vor meinen Bleistiftblättern wie vor wildfremden Zeichen, welche ich nicht mehr zu enträthseln vermochte. – Mit völliger Verzweiflung warf ich mich dagegen auf die Lektüre des Dante, welchen ich hier zum ersten Male ernstlich vornahm, und dessen »Inferno« durch die Londoner Athmosphäre für mich eine unvergessliche Realität bekam. –

Endlich schlug aber die Stunde der Erlösung auch von den Leiden, welche diese letzte Annahme, es könne mir da draussen in der Welt einmal etwas Ermuthigendes, oder gar Anmuthendes begegnen, mir zugezogen hatte. Einzig freundlich war es für mich, eine herzliche Rührung meiner neuen Bekannten beim Abschiede zu hinterlassen; und ich eilte jetzt über Paris, welches ich in sommerlicher Glorie antraf, und wo ich nun die Leute wirklich wieder promeniren, statt in Geschäften durch die Strassen sich drängen sah, mit heitren Eindrücken nach Zürich zurück, wo ich am 30. Juni mit der reinen Ausbeute eines Gewinnes von gerade 1000 Franken ankam. –

Meine Frau hatte im Sinne, auf dem Selisberge am Vierwaldstättersee ihre Molkenkur wieder anzutreten; auch ich hielt die Bergluft günstig für meine angegriffene Gesundheit, und die alsbaldige Uebersiedlung dahin ward beschlossen. Was uns eine kurze Zeit von der Ausführung abhielt, war die Todeskrankheit meines Hündchens Peps. Das Alter hatte sich mit dem dreizehnten Jahre bei ihm eingestellt, und plötzlich zeigte er sich so schwach, dass wir besorgten, ihn nicht mit auf den Selisberg nehmen zu können, weil er die Beschwerde der Ersteigung nicht mehr ertragen können würde. Nach wenigen Tagen steigerte sich die Agonie auffällig; er ward blöde und litt an häufig wiederkehrenden Krämpfen; seine einzige Besinnung äusserte sich darin, dass er, für gewöhnlich unter der Pflege meiner Frau, in deren Zimmer häufig von seinem Lager sich aufmachte, bis zu mir an meinen Arbeitstisch taumelte, und dort wieder entkräftet zusammensank. Der Thierarzt wollte nicht mehr helfen können, und da die Krämpfe sich auf eine für das Thier unerträglich quälende Weise steigerten, rieth man mir, zur Abkürzung dieser grausamen Agonie, ihn durch ein weniges Blausäure von seinen Leiden zu befreien. Wir verzögerten um seinetwillen unsere Abreise, bis ich endlich selbst einen schnellen Tod als Wohlthat für das arme leidende und gänzlich hoffnungslose Geschöpf halten musste. Ich miethete mir einen Kahn, und fuhr eine Stunde weit auf dem See zu einem mir bekannten jungen Arzte, dem Dr. Obrist, von dem ich wusste, dass er mit einer Dorfapotheke verschiedene Gifte acquirirt hatte. Von diesem entnahm ich eine tödtliche Dosis, und fuhr damit an einem wundervollen Sommerabende einsam in einem Nachen über den See daheim. Nur aber im Falle des äussersten Leidens des armen Sterbenden wollte ich mich entschliessen, zur Anwendung dieses letzten Mittels zu greifen. Er schlief die Nacht noch wie gewöhnlich in seinem Korbe an meinem Bette, von wo aus er des Morgens stets, mit den Pfoten zu mir herankratzend, mich erweckt hatte. Plötzlich erwachte ich durch das Stöhnen, welches ihm ein äusserst heftiger Krampfanfall hervorrief; dann sank er lautlos um, und mich erfüllte dieser Augenblick so seltsamer Weise mit seiner Wichtigkeit, dass ich sogleich nach der Uhr sah, und 1 Uhr 10 Minuten des 10. July als die Todesstunde meines kleinen, mit ausschweifender Anhänglichkeit mir ergebenen Freundes, in mein Gedächtniss mir einprägte. Den nächsten Tag widmeten wir unter den bittersten Thränen seiner Bestattung: unsere Grundstückbesitzerin, Frau Stockar-Escher, trat uns ein hübsches Plätzchen in ihrem Garten ab, wo wir ihn mit seinem Korbe und Kissen begruben. Sein Grab wurde mir nach vielen Jahren wieder gezeigt; nur als ich zuletzt, ohne sonst Jemand zu besuchen, das Gärtchen wieder in Augenschein nahm, sah ich, dass Alles sich in eleganter Weise verwandelt hatte, und dass von Pepsen's Grabe keine Anzeichen mehr vorhanden waren.

Nun reisten wir denn auch nach dem Selisberg ab, für diessmal blos von dem neuen Papagey begleitet, welchen ich meiner Frau im vergangenen Jahre, zum Ersatze des guten Papo, aus der Kreutzberger'schen Menagerie angeschafft hatte. Dieses war ebenfalls ein gutes und sehr gelehriges Thier, welches ich aber gänzlich Minna überliess, und das ich stets wohl freundlich behandelte, nie aber als Freund an mich gewöhnte. Zum Glücke begünstigte uns eine anhaltend schöne Witterung in der herrlichen Luft eines bei uns beliebt gewordenen Sommeraufenthaltes. Ausser meinen einsamen Promenaden verwendete ich alle Musse auf die Reinschrift des fertig instrumentirten Theiles der Walküre und nahm abermals meine Lieblingslektüre, das erneute Studium Schopenhauer's vor. Auch ein hübscher Brief Berlioz's erfreute mich, mit dem er mir sein neues Buch »les soirées d'orchestre« übersandte, welches mich, trotzdem alles Groteske in des Autors Geschmacke hier nicht minder wie in seinen Kompositionen befremdend auf mich wirkte, doch anregend unterhielt. Hier traf ich denn auch wieder mit dem jungen Robert von Hornstein zusammen, der sich anschmiegend und intelligent benahm. Namentlich interessirte mich sein schnelles und offenbar erfolgreiches Eingehen auf das Studium Schopenhauer's. Er theilte mir mit, dass er beabsichtige, sich in Zürich für einige Zeit niederzulassen, wohin auch Karl Ritter, um mit seiner jungen Frau ein dauerndes Winterquartier zu nehmen, sich zu wenden entschlossen hatte. – Mitte August kehrten wir selbst nach Zürich zurück, wo ich nun, in ziemlich sich gleich bleibendem Umgange mit meinen früheren Bekannten, ruhig mich wieder der Vollendung der Instrumentation der Walküre widmete. Von Aussen her erfuhr ich den steten Fortgang der allmählichen immer weiteren Ausbreitung meines Tannhäuser auf den deutschen Theatern, zu welchen sich nun auch, mit anfangs unsicherer Entscheidung, schon der » Lohengrin« gesellte. Franz Dingelstedt, der damalige Intendant des Münchener Hoftheater's, übernahm die Einführung des » Tannhäuser« auf seinem durch Lachner's Einfluss mir nicht besonders günstigen Terrain, und schien damit ziemlich glücklich zu Stande zu kommen, obwohl, wie er behauptete, nicht so glücklich, um seine Honorar-Versprechungen mir pünktlich halten zu können. Doch reichten meine Einkünfte für jetzt so weit aus, dass ich unter der Verwaltung derselben durch meinen gewissenhaften Freund Sulzer nach dieser Seite hin ziemlich sorglos meiner Arbeit leben konnte. Nur stellte sich mit dem Eintritte der rauheren Witterung eine neue Plage für mich ein. Offenbar in Folge der üblen Einwirkung des Londoner Klima's auf mich, verfiel ich, von jetzt an für den Verlauf des ganzen Winters, zahlreichen Anfällen der Gesichtsrose, welche sich, regelmässig in Folge des kleinsten Diätfehlers oder der geringsten Erkältung, mit heftigster Pein einstellte. Am schmerzlichsten empfand ich die dadurch so häufig herbeigeführten Unterbrechungen meiner Arbeit, da ich in den Tagen der Krankheit mich höchstens mit Lektüre beschäftigen konnte. Von dieser regte mich am bedeutendsten Burnouff's » Introduction à l'histoire du Bouddhisme« an; dieser entnahm ich sogar den Stoff zu einer dramatischen Dichtung, welcher seitdem, obwohl nur im ungefährsten Entwurfe, stets in mir fortgelebt hat und vielleicht noch einmal ausgeführt werden dürfte. Ich gab ihm den Titel: » die Sieger«; er gründete sich auf die einfache Legende von der Aufnahme eines Tschantala-Mädchen's in den erhabenen Bettlerorden Çakyamouni's, wozu sie durch die schmerzlichst gesteigerte und geläuterte Liebe zu Ananda, dem Hauptjünger des Buddha, sich würdig macht. Ausser der tiefsinnigen Schönheit des einfachen Stoffes, bestimmte mich zu seiner Wahl alsbald ein eigenthümliches Verhältniss desselben zu dem in mir seitdem ausgebildeten musikalischen Verfahren. Vor dem Geiste des Buddha liegt nämlich das vergangene Leben in früheren Geburten jedes ihm begegnenden Wesens offen, wie die Gegenwart selbst, da. Die einfache Geschichte erhielt nun ihre Bedeutung dadurch, dass dieses vergangene Leben der leidenden Hauptfiguren als unmittelbare Gegenwart in die neue Lebensphase hineinspielte. Wie nur der stets gegenwärtig miterklingenden musikalischen Reminiscenz dieses Doppel-Leben vollkommen dem Gefühle vorzuführen möglich werden durfte, erkannte ich sogleich, und diess bestimmte mich, die Aufgabe der Ausführung dieser Dichtung mit besondrer Liebe mir vorzubehalten.

So hatte ich denn, neben der immer noch in riesenhaften Dimensionen vor mir liegenden Arbeit der Nibelungen, zwei neue Stoffe, den »Tristan« und die »Sieger«, meiner Phantasie eingeprägt, welche von jetzt an neben jener Arbeit mich stets lebhaft beschäftigten. Je mehr ich von allen diesen Entwürfen erfüllt war, desto leidenschaftlicher war meine Ungeduld in Betreff der steten Unterbrechungen meiner Arbeit durch die widerwärtigen Krankheitsanfälle. Liszt hatte mir um diese Zeit einen für den Sommer verspäteten Besuch in Aussicht gestellt. Ich musste ihn bitten nicht zu kommen, weil ich nach den neuesten Erfahrungen nie dessen sicher war, dass ich nicht während der wenigen Tage, die er mir hätte schenken können, an das Krankenlager gefesselt worden wäre. So verbrachte ich diesen Winter zwischen ruhiger und produktiver Resignation, und andrerseits launenhafter Reizbarkeit nach aussen, unter welch letzterer meine Freunde oft zu leiden hatten. Doch freute es mich, Karl Ritter durch seine Niederlassung in Zürich mir jetzt wieder etwas näher treten zu sehen. Durch die Wieder-Erwählung Zürich's zum Aufenthalte, wenigstens für das Winterhalbjahr, bewies er ausserdem auch eine mir wohlthuende Anhänglichkeit an mich, welche manche üble Eindrücke zu verwischen im Stande war. Hornstein hatte sich denn richtig auch dazu eingefunden; doch hatte es mit ihm bald ein Ende: er behauptete so »nervös« zu sein, dass er keine Taste des Klavier's mehr berühren könnte, und leugnete auch gar nicht, dass er, nach dem Vorgange seiner im Irrsinn gestorbenen Mutter, sich sehr davor fürchte verrückt zu werden. Machte ihn diess einigermassen interessant, so mischte sich doch in alle seine intelligenten Eigenschaften eine so grosse Weichlichkeit des Charakters, dass wir in seinem Betreff uns bald in genügender Hoffnungslosigkeit befanden, um seinen plötzlichen Fortgang von Zürich nicht bis zur Untröstlichkeit zu bedauern.

Im Uebrigen hatte mein Umgang bereits seit einiger Zeit durch eine neue Bekanntschaft nicht unansehnlich gewonnen. Diess war Gottfried Keller, welcher als Züricher Kind durch seine Dichtungen in Deutschland sich einen guten Ruf erworben hatte, und nun, von seinen Landsleuten hoffnungsvoll begrüsst, nach seiner Heimath sich zurückwendete. Bereits hatte Sulzer mich auf mehrere seiner Arbeiten, namentlich auch seinen grösseren Roman »der grüne Heinrich« wohlwollend, doch ohne jede Uebertreibung, aufmerksam gemacht. Ich war nun erstaunt in Keller einen auffallend unbehülflichen und spröd erscheinenden Menschen kennen zu lernen, dessen erste Bekanntschaft jedem sofort das Gefühl der Angst um sein Fortkommen erweckte. Auch war diese Sorge der schwierige Punkt bei ihm; alle seine Arbeiten, welche wirklich von sehr originellen Anlagen zeugten, gaben sich sogleich aber auch nur als Ansätze zu einer künstlerischen Entwickelung zu erkennen, und man frug sich nun unerlässlich nach dem Werke, welches jetzt folgen und seinen Beruf erst wahrhaft bezeugen sollte. So kam es demnach, dass mein Umgang mit ihm nur ein fortgesetztes Fragen nach dem war, was er jetzt nun vorhabe. Er meldete mir in diesem Betreff auch allerhand gänzlich reife Pläne, von denen aber, bei näherem Besehen, nichts von einiger Konsistenz zu gewahren war. Glücklicherweise wusste man ihn, wie es scheint schon aus patriotischen Rücksichten, mit der Zeit endlich im Staatsdienste unterzubringen, wo er als redlicher Mensch und tüchtiger Kopf jedenfalls gute Dienste leistete, wenn auch seine schriftstellerische Thätigkeit von jetzt an, nach jenen ersten Ansätzen, für immer zu ruhen schien.

So gut glückte es nun leider mit meinem älteren Freunde Herwegh nicht. Auch in dessen Betreff mühte ich mich lange Zeit mit der Meinung ab, seine bisherigen Leistungen nur als Ansätze zu wirklich bedeutenden künstlerischen Leistungen betrachten zu dürfen. Er selbst leugnete nicht, dass er das Rechte erst von sich noch zu erwarten glauben müsse; auch vermeinte er, alles Material zu einem grossen dichterischen Werke, namentlich eine Masse »Ideen« vorräthig zu haben; es fehle ihm gar nichts als der »Rahmen«, in welchem er diess alles als Gemälde unterbringen könne. In diesem Betreff erwarte er nun alle Tage einmal das Richtige zu finden; da mir das zu lange dauerte, beschäftigte ich mich selbst damit, ihm den ersehnten Rahmen meinerseits zu bezeichnen. Offenbar wünschte er ein grösseres episches Gedicht, in welchem er alle seine erworbenen Anschauungen niederlegen könnte, zu Stande zu bringen. Er selbst hatte auf das Glück Dante's hingedeutet, so etwas wie diese Wanderung durch die Hölle und das Fegefeuer zum Paradies zu finden. Diess brachte mich auf den Gedanken, ihm als den erwünschten Rahmen seines Gedichtes den Mythus der Metempsychose, wie er aus der Brahmanischen Religion durch Platon selbst unsrer klassischen Bildung nahe gebracht worden ist, vorzuschlagen. Da er diese Idee nicht übel fand, beschäftigte ich mich sogar näher damit, ihm die Form eines solchen Gedichtes zu bezeichnen; er sollte dazu drei Hauptakte, jeden in drei Gesänge getheilt, somit neun Gesänge, wählen. Der erste Akt würde seinen Haupthelden in der asiatischen Heimath, der zweite in der hellenisch-römischen, der dritte in der mittelalterlichen und modernen Welt wiedergeboren erscheinen lassen. Das Alles gefiel ihm sehr wohl, und er meinte, es könnte wohl etwas daraus werden. Anderer Meinung war jedoch der etwas kynische Dr. Wille, auf dessen Landgut und bei dessen Familie wir uns oft zusammenfanden. Dieser glaubte, dass wir Herwegh viel zu viel zumutheten; er sei ja, genau betrachtet, eigentlich nur ein guter schwäbischer Junge, der durch den jüdischen Nimbus, in welchen er durch seine Frau gerathen sei, weit über sein Vermögen hinaus geschätzt und berühmt geworden wäre. Ich konnte endlich zu solchen trostlos unfreundlichen Auslassungen nicht anders mehr als achselzuckend schweigen, da ich allerdings den armen Herwegh mit jedem Jahre mehr in Unthätigkeit und, wie es schien, endlich in Unfähigkeit versinken sah.

Eine grössere Belebung brachte in unsren Kreis die endlich bewirkte Uebersiedelung Semper's nach Zürich. Die eidgenössische Behörde hatte sich hierfür an mich selbst gewandt, um bei Semper die Annahme des Rufes zu einer Lehrerstelle am eidgenössischen Polytechnikum zu vermitteln. Semper traf alsbald ein, um zunächst die Sache sich anzusehen, empfing von Allem einen guten Eindruck, freute sich bei einem Spaziergange sogar über die natürlichen Bäume, auf denen man doch noch einmal eine Raupe antreffen könne, und beschloss die definitive Uebersiedelung, in Folge deren er mit seiner Familie nun auch für dauernd dem Kreise meiner Bekanntschaften sich zugesellte. Allerdings hatte er wenig Aussicht zu grossen Bauaufträgen, und er sah sich nun verurtheilt, wie er meinte, fortan den Schulmeister abzugeben. Doch fesselte ihn bereits eine grosse kunstlitterarische Arbeit, welche er, nach manchem Zwischenfalle und Wechsel seines Verlegers, späterhin unter dem Titel »der Styl« ausführte. Ich traf ihn öfter über den Zeichnungen zu den dem Werke beizugebenden Blättern, welche er mit grosser Sauberkeit selbst auf Stein ausführte. Er gewann diese Arbeit so lieb, dass er behauptete, an den grossen plumpen Bauunternehmungen liege ihm gar nichts; als Künstler interessire ihn das kleinste Detail mehr. –

Von der Musikgesellschaft hatte ich mich, treu meinen Erklärungen, von jetzt an vollständig zurückgezogen, und nie habe ich mehr in Zürich eine öffentliche Aufführung geleitet. Nur wollten die Herren im Anfange gar nicht recht glauben, dass es mir damit Ernst sei, und es bedurfte meinerseits sehr kategorischer Erklärungen in diesem Betreff, wobei ich ihnen ihre Schlaffheit und ihre Unbeachtung meiner, so angelegentlich ihnen gestellten Anträge zur Herstellung eines erträglichen Orchesters, zu Gemüthe führen musste. Stets erhielt ich zur Entschuldigung, dass zwar genug Vermögen unter dem musikliebenden Publikum vorhanden sei, dass sich aber Jeder scheue, mit einer bestimmten Geldzeichnung voranzugehen, weil diess eine lästige Beachtung seiner Vermögensumstände seitens seiner Mitbürger nach sich ziehen könne. Mein alter Freund, Herr Ott im Hof, erklärte mir, dass es ihn durchaus nicht beschweren würde, zu einem solchen Zwecke 10 000 Franken jährlich zu zahlen, nur würde von diesem Augenblicke an Jeder fragen, wie es denn käme, dass der Herr Ott im Hof so mit seinem Vermögen verfahre? Er würde damit ein so peinliches Aufsehen erwecken, dass er leicht zur Rechenschaft über die Verwaltung seines Besitzes gezogen werden könnte. Mir fiel dabei Goethe's Ausruf im Anfange seiner »ersten Schweizer Briefe« ein! Doch mit meinem Musikwirken hatte es von nun an in Zürich ein bestimmtes Ende.

Dagegen kam es bei mir nun im Hause dann und wann zu einigem Musiziren. Klindworth's Klavierauszug von »Rheingold«, auch bereits von mehreren Akten der »Walküre«, lagen in sauberen und kostbaren Abschriften vorräthig. Zunächst musste Baumgartner versuchen, wie er mit dem ungeheuer schwierigen Arrangement zu Stande käme. Späterhin zeigte der Musiker Theodor Kirchner, welcher in Winterthur niedergelassen war und sich häufig in Zürich aufhielt, grössere Fähigkeit zum Vortrage einzelner Stücke des Klavierauszuges. Die Frau des Gesangsvereins-Musikdirektors Heim, mit welchen beiden wir in freundschaftlichem Verkehre standen, musste, als Vertreterin der weiblichen Stimme, zu meinen eigenen Versuchen einige Gesangsscenen vorzutragen, behülflich sein. Sie besass eine wirklich schöne Stimme und einen herzlichen Ton, und hatte damit selbst bei jenen grossen Aufführungen im Jahre 1853 als einzige Solistin mitgewirkt. Nur war sie durchaus unmusikalisch, und das Treffen der Noten, und namentlich das Takthalten, machte mir viel zu schaffen. Doch brachten wir Einiges zu Stande, und konnten meinen Bekannten dann und wann einen Vorgeschmack meiner Nibelungenmusik verschaffen. – Doch musste ich auch hierbei mich sehr mässigen, da nach jeder Erhitzung mir ein Rückfall der Gesichtsrose drohte. Eines Abends waren wir in kleiner Gesellschaft bei Karl Ritter versammelt; ich gerieth auf den Einfall, den »goldenen Topf« von Hoffmann vorzulesen, wobei ich nicht beachtete, dass sich das Zimmer allmählich verkühlte. Noch ehe ich mit meiner Vorlesung zu Ende war, sass ich zum Entsetzen Aller wieder mit geschwollener rother Nase da, und musste mich zur Pflege des jedesmal heftig angreifenden Leidens mühevoll nach Hause schleppen. – In solchen leidenvollen Zeiten bildete sich das Gedicht des »Tristan« immer mehr in mir aus. In den Genesungs-Zwischenzeiten arbeitete ich dagegen eifrig, wenn auch mühsam, an der Partitur der »Walküre«, von welcher ich endlich auch die Reinschrift im März dieses Jahres (1856) vollendete. Doch war ich sowohl durch diese Leiden, als durch die Anstrengung der Arbeit, in einen ungemein gereizten Zustand versetzt. Ich entsinne mich der übelsten Laune, mit welcher ich unsere Freunde Wesendonck's empfing, als sie mir an dem Abende der Beendigung meiner Partitur hierzu eine Art von Gratulationsvisite abstatteten. Ich äusserte mich bei dieser Gelegenheit so ungemein bitter über diese Art von Antheil an meinen Arbeiten, dass die armen gepeinigten Besucher in völliger Bestürzung plötzlich aufbrachen, und es kostete mich viele, an und für sich recht schwierige, Erklärungen, um die zugefügte Kränkung im Laufe der Tage wieder gut zu machen; wobei meine Frau sich durch ausgleichende Vermittlungsbemühungen vorzüglich bemerklich machte. Zwischen ihnen hatte sich überhaupt ein besonderes Band der Verständigung dadurch geknüpft, dass ein sehr freundliches Hündchen, als Nachfolger meines guten Peps, von Wesendonck's aquirirt und uns in das Haus zugebracht worden war. Es war diess ein so artiges und einschmeichelndes Thier, dass es namentlich meine Frau sehr bald zu zärtlicher Freundschaft für sich gewann; auch ich war ihm stets sehr gewogen. Die Wahl des Namens überliess ich diessmal jedoch meiner Frau, und, wie es scheint um des Pendants zu dem Namen Peps willen, erfand sie den Namen Fips, welchen ich ihm denn auch willig gönnte; doch blieb er immer mehr der eigentliche Freund meiner Frau, wie ich überhaupt, trotz meines grossen Gerechtigkeitsgefühles, namentlich gegen die Trefflichkeit der Thiere, nie wieder in so innige Freundschaftsverhältnisse zu ihnen gerieth, wie sie zwischen Peps, Papo und mir bestanden hatten.

Um die Zeit meines Geburtstages, Ende Mai, besuchte mich mein alter Freund Tichatschek aus Dresden, der mir seine Anhänglichkeit und enthusiastische Ergebenheit, so weit es bei dem sehr ungebildeten Menschen Bedeutung haben konnte, immer treu erhielt. Am Morgen meines Geburtstages ward ich in sehr rührender Weise durch die Klänge des von mir besonders geliebten Adagio's des Emoll-Quartett's von Beethoven geweckt. Meine Frau hatte hierzu die von mir protegirten Quartettisten eingeladen, und diese hatten recht zartsinnig eben dieses Stück, über welches ich mich ihnen einmal sehr ergriffen geäussert hatte, gewählt. Am Abend sang Tichatschek unserer Gesellschaft mehreres aus dem »Lohengrin« vor und erregte bei uns Allen wahres Erstaunen über den immer noch bewahrten Glanz seiner Stimme. Tichatschek's Ausdauer war es auch namentlich gelungen, die höfische Zaghaftigkeit der Dresdener Intendanz im Betreff der Wiederaufführung meiner Opern, zu überwinden. Diese wurden dort jetzt wieder aufgeführt, und füllten bei grossem Erfolge stets das Haus. Bei einem Ausfluge, den wir mit unserem Gaste nach Brunnen am Vierwaldstättersee machten, zog ich mir durch eine leichte Erkältung den dreizehnten Rückfall meiner Gesichtsrose zu, bei welcher Gelegenheit ich um so mehr litt, als ich, um durch meine schnelle Umkehr die Freude des Gastes nicht zu verderben, in dem übelsten Zustande, ausserdem bei einem der schrecklichsten Föhnstürme, welche in Brunnen die Heizung der Zimmer unmöglich machen, dennoch bei der beabsichtigten Partie aushielt. Tichatschek verliess mich an meinem Krankenlager, und ich beschloss nun, sofort nach meiner Genesung wenigstens einen Luftwechsel nach dem Süden hin auszuführen, weil mir dieses abscheuliche Leiden in dämonischer Weise an der Lokalität Zürichs für mich zu haften schien. Ich wählte den Genfer See, und nahm mir vor, etwa in der Nähe von Genf, einen gut gelegenen ländlichen Aufenthalt auszuspähen, um dort eine Kur, für welche mir mein Züricher Arzt Vorschriften machte, anzutreten. So machte ich mich Anfangs Juni nach Genf auf, wobei ich unterwegs mit Fips grosse Noth hatte, der mich zu meiner ländlichen Einsamkeit begleiten sollte, mich aber beinahe zur Veränderung meines Reisezieles bestimmt hätte, da man auf einer gewissen Strecke ihn nicht bei mir im Waggon der Eisenbahn dulden wollte. Der höchsten Energie, welche ich auf die Durchführung meines Willens verwandte, danke ich es, dass ich meine Kur bei Genf antrat, weil ich sonst vermuthlich eine ganz andere Richtung eingeschlagen hätte. –

In Genf stieg ich zunächst in dem mir altgewohnten Hôtel »de l'écu de Genève« ab, wo mancherlei Erinnerungen für mich spielten. Hier konsultirte ich den Dr. Coindet, welcher mich der guten Luft wegen nach Mornex am Mont Salève dirigirte, und dort mich in eine »Pension« empfahl. Hier angekommen, suchte ich mir zunächst die Gelegenheit zu einer ungestörten Wohnung aus, und beredete die Dame der Pension, mir einen einsam stehenden Garten-Pavillon, welcher nur ein grösseres Gesellschaftszimmer enthielt, zu überlassen. Diess kostete viele Ueberredung, denn sämmtliche Pensionäre, mit denen ich eben in keinerlei Berührung kommen wollte, empörten sich darüber, dass der für ihre gesellschaftlichen Vereinigungen ursprünglich bestimmte Raum ihnen entzogen werden sollte. Endlich setzte ich meine Absicht durch; nur hatte ich mich zu verpflichten, des Sonntags Vormittags meinen Salon zu räumen, weil er dann vermittelst verschiedener Bänke zur Abhaltung des Gottesdienstes, welcher bei den calvinistischen Pensionairs viel zu sagen schien, hergerichtet werden musste. Ich gefiel mir hier sehr wohl, und brachte sogleich am ersten Sonntage ehrlich mein Opfer dar, indem ich mich nach Genf begab, um dort die Zeitungen zu lesen. Des andern Tages aber meldete mir die Wirthin, dass das Aergerniss zu gross sei, da man wohl den Gottesdienst, nicht aber die wochentäglichen Spielunterhaltungen in meinem Salon durchsetzen konnte. Es ward mir gekündigt, und ich sah mich nach einem neuen Unterkommen um, nun bei unserem Nachbar.

Dieser Nachbar war ein Dr. Vaillant, welcher ein ebenfalls stattliches Pensionsgrundstück zu einer Wasserheilanstalt hergerichtet hatte. Ich erkundigte mich bei ihm anfänglich nur nach warmen Bädern, weil ich nach der Anweisung meines Züricher Arztes mich dieser mit Schwefel bedienen sollte; von solchen konnte hier aber keine Rede sein. Da mir Herrn Vaillant's ganze Haltung aber sehr gefiel, so theilte ich mich ihm über mein Leiden mit. Als ich ihm von den heissen Schwefelbädern und einem gewissen stinkenden Mineralwasser sagte, welches ich trinken sollte, lächelte er und sagte mir: » Monsieur, vous n'êtes que nerveux. Diess alles wird Sie nur noch mehr aufregen; sie bedürfen nichts als der Beruhigung; wollen Sie sich mir anvertrauen, so verspreche ich Ihnen am Ende zweier Monate so weit Genesung, dass Sie die Gesichtsrose nie wieder bekommen sollen.« – Er hat Wort gehalten.

Allerdings gewann ich durch diesen vortrefflichen Arzt eine andere Ansicht von dem hydrotherapischen Verfahren, als sie mir durch jenen »Wasserjuden« von Albisbrunnen und die ihm ähnlichen rohen Dilettanten hatte beigebracht werden können. Vaillant war früher ein berühmter Arzt in Paris selbst gewesen, von Lablache und Rossini konsultirt worden; verfiel aber dem Unglücke, an beiden Beinen paralysirt zu werden. Nachdem er sich vier Jahre lang hülflos gequält, seine ganze Praxis verloren und elend geworden, verfiel er auf den primitiven schlesischen Wasserarzt Priessnitz, zu welchem er sich bringen liess, und von dem er vollständig geheilt wurde. Hier eignete er sich das ihm so hülfreich gewordene Verfahren an, läuterte, als gebildeter und freisinniger Arzt, es von allen Rohheiten seines Erfinder's, und suchte nun den Parisern sich durch Errichtung einer Wasserheilanstalt in Meudon zu empfehlen. Hiefür fand er aber gar keinen Anklang; seine früheren Patienten, welche er nun für den Besuch seiner Anstalt warb, frugen ihn nur, ob man des Abends dort tanze. Es war ihm unmöglich sich zu halten; und diesem Umstande verdankte ich es, dass ich ihn jetzt hier bei Genf mit dem erneueten Versuche, seine Heilmethode praktisch auszubeuten, antraf. Er zeichnete sich schon dadurch aus, dass er nur eine sehr geringe Anzahl von Patienten bei sich aufnahm, weil er erklärte, ein Arzt könne nur dann für die richtige Verwendung und den guten Erfolg seines Verfahrens einstehen, wenn er zu jeder Tageszeit auf das genaueste seine Kranken zu beobachten im Stande sei. Der Vorzug seiner Methode, der mir so ausserordentlich zu Statten kam, war das durchweg beruhigende Verfahren durch die ingenioseste Anwendung namentlich der geringeren Kältegrade des Wassers.

Ausserdem sorgte Vaillant mit besonderer Vorliebe für die Befriedigung meiner Bedürfnisse, vorzüglich im Betreff meiner Ungestörtheit und Ruhe. So ward ich vom gemeinschaftlichen Frühstück, welches mir aufregend und beschwerlich war, frei gelassen, und dafür gestattete man mir, auf meinem Zimmer mir selbst den Thee zu bereiten; nur gab ich mich diesem, für mich bis dahin noch nicht gewöhnten Genusse, unter dem Schutze der Heimlichkeit (denn die anderen Pensionair's durften nichts davon wissen) nach den ermüdenden Anstrengungen der Morgenkur bis zum Excesse hin, indem ich bei verschlossenen Thüren gemeiniglich zwei Stunden lang Thee trank, und dazu Walter-Scott'sche Romane las. Von diesen Romanen hatte ich nämlich schon in Genf wohlfeile und hübsche französische Uebersetzungen angetroffen, welche ich mir haufenweise nach Mornex brachte. Die Lektüre passte ganz ausgezeichnet zu meiner Lebensweise, von welcher ich ernstere Studien und Arbeiten gänzlich fern halten musste. Ausserdem fand ich aber auch Schopenhauer's so hoch stellende Ansicht über den Werth dieses, bis dahin mir in zweifelhaftem Lichte erschienenen Dichter's, vollkommen bestätigt. Auf einsamen Spaziergängen nahm ich zwar, des mir zu Gebote stehenden sehr kleinen Formates wegen, gewöhnlich einen Band von Byron mit mir, um, auf irgend einer Berghöhe mit der Aussicht auf den Montblanc gelagert, darin zu lesen: doch liess ich ihn bald zu Hause, da ich bemerkte, dass ich ihn gewöhnlich gar nicht aus der Tasche zog. – Die einzige Arbeit, die ich mir gestattete, war der Entwurf von Bauplänen zu einem Hause für mich, welchen ich zuletzt mit allem Material eines Architektur-Zeichners ganz korrekt auszuarbeiten versuchte. Auf den kühnen Gedanken hierzu war ich nämlich durch die Unterhandlungen verfallen, welche ich um diese Zeit mit den Musikhändlern Härtel in Leipzig wegen des Verkaufs meiner Nibelungen-Kompositionen eingegangen war. Ich forderte für die vier Werke gerade heraus 40 000 Franken, von denen sie mir die Hälfte zum Beginn des Hausbaues zahlen sollten. Wirklich schienen die Verleger durchaus günstig gestimmt, auf meine Forderungen soweit einzugehen, dass sie mein Unternehmen mir ermöglichen wollten. Sehr schnell trat aber eine höchst ungünstige Wendung ihrer Meinung von der Rentabilität meiner Arbeiten ein; ich bin mir nicht darüber klar geworden, ob diess die Folge davon war, dass sie sich nun erst mein Gedicht näher angesehen hatten, und es für unausführbar hielten, oder ob von der Seite her, von welcher seitdem die Verfolgungen gegen mich immer ersichtlicher ausgingen, derselbe Einfluss auf sie ausgeübt worden war, welcher bisher meistens alle meine Unternehmungen zu verhindern suchte. Genug, ich sah mich bald wieder von der Hoffnung auf das Verdienst der Kapitalien für meinen Hausbau verlassen; doch rückten meine architektonischen Arbeiten vorwärts, und ich verfolgte von nun an das Ziel, mir die Mittel zu ihrer Ausführung zu verschaffen.

Da nun mit dem 15. August genau meine zwei an Dr. Vaillant gelobten Kurmonate zu Ende gingen, verliess ich den mir so wohlthätig gewordenen Aufenthalt, besuchte zunächst Karl Ritter, welcher sich mit seiner Frau für das Sommerhalbjahr in einem sehr bescheidenen einsamen Häuschen bei Lausanne niedergelassen hatte. Beide hatten mich einmal in Mornex besucht; nur als ich Karl auch zu einigen Wasserbehandlungen veranlassen wollte, erklärte er nach der ersten Probe, dass ihn auch das beruhigendste Verfahren aufrege. Doch hatten wir uns im Ganzen über mancherlei recht artig verständigt, und er kündigte mir für den Herbst seine Wiederkehr nach Zürich an. – So reiste ich mit Fips, um dessen Willen ich absichtlich die widerwärtige Eisenbahnstrecke umging, ziemlich wohlgelaunt im Postcoupé nach Hause zurück. Dort war ebenfalls meine Frau von ihrer Molkenkur auf dem Selisberg wieder zurückgekehrt, und bereits traf ich auch meine Schwester Klara an, welche als einzige meiner Verwandten in meinem Schweizer-Asyle mich aufgesucht hatte. Mit ihr machten wir sogleich einen Ausflug nach meinem alten Lieblingsorte Brunnen am Vierwaldstätter-See, und wir feierten dort einen wunderschönen Abend bei prachtvollem Sonnenuntergange und unter sonstigen schönen Einwirkungen der Alpen-Landschaft. Beim Einbruche der Nacht, als der Mond voll auf dem See aufging, stellte es sich denn nun auch noch heraus, dass mir an dem jetzt bereits öfter besuchten Orte durch die enthusiastische Aufmerksamkeit des Gastwirthes, Oberst Auf-der-Mauer, eine sehr hübsch sich ausnehmende Ovation dargebracht wurde. Auf zwei grossen, mit bunten Lampen erleuchteten Kähnen, nahte nämlich die Brunner Blech-Musik, lauter Dilettanten von ländlicher Herkunft, dem Ufer-Gestade, auf welches unser Gasthof hinausging. Dort wurden mit eidgenössischer Biederkeit, ohne peinliche Uebereinstimmung, einige Kompositionen von mir laut und unwiderleglich vorgetragen. Eine kleine Huldigungsrede, sowie deren gemüthliche Erwiderung meinerseits folgten, und bei einigen Flaschen Wein wurden am Ufer allerlei derbe Hände herzhaft von mir gedrückt. Noch in späteren Jahren passirte ich dieses sehr häufig von mir wiedergesuchte Gestade nie, ohne von irgend einem vertrauten Händedrucke und Anrufe begrüsst zu werden; da ich gewöhnlich im Zweifel war, was dieser oder jener Schiffsmann von mir wollte, erklärte es sich jedesmal, dass ich mit einem der Blechinstrumentisten zu thun hatte, welche an diesem heitern Abende es so gut mit mir meinten.

In Zürich belebte sich nun, durch den längern Aufenthalt meiner guten Schwester Klara in unsrer Wohnung, der Familienverkehr in ganz gemüthlicher Weise. Ich verkehrte sehr gern mit Klara, welche die eigentliche musikalische Seele meiner Geschwister war; auch that sie mir oft wohl, wenn ihre Anwesenheit zu einem freundlichen Dämpfer der verschiedenerlei häuslichen Auftritte ward, zu denen, bei der zunehmenden Ausbildung ihres Herzleidens, Minna durch steigende misstrauische Heftigkeit und Eigensinnigkeit Veranlassung gab. – Für den Oktober sollte ich den Besuch Liszt's erwarten, welcher diessmal in grösserer Begleitung längere Zeit in Zürich sich aufhalten wollte. Doch dauerte mir die Erwartung zu lang, um den Beginn der Komposition des Siegfried zu verzögern. Am 22. September begann ich bereits die Aufzeichnung des Entwurfes. Da stellte sich denn eine der Hauptplagen meines Lebens zu entscheidender Bedrängniss ein: unserem Hause gegenüber hatte sich neuerdings ein Blechschmied einquartiert, und betäubte meine Ohren den ganzen Tag über mit seinem weitschallenden Gehämmer. In meinem tiefen Kummer darüber, nie es zu einer unabhängigen, gegen jedes Geräusch geschützten Wohnung bringen zu können, wollte ich mich schon entschliessen, alles Komponiren bis dahin aufzugeben, wo mir endlich dieser unerlässliche Wunsch erfüllt sein werde. Gerade mein Zorn über den Blechschmied gab mir jedoch in einem aufgeregten Augenblicke das Motiv zu Siegfried's Wuthausbruch gegen den »Stümperschmied« Mime ein: ich spielte sogleich meiner Schwester das kindisch zankende Polter-Thema in G-Moll vor, und sang wüthend die Worte dazu, worüber wir alle denn so lachen mussten, dass ich beschloss, für diessmal noch fortzufahren. Diess gedieh auch bis zur Niederschrift eines guten Theiles der ersten Scene, als mit dem 13. Oktober mir Liszt's Ankunft gemeldet wurde.

Für erst kam Liszt allein an, und brachte sogleich vieles musikalische Leben in mein Haus. Er hatte seine »Faust« und »Dante«-Symphonien seitdem vollendet, und es war nun wohl ein Wunder zu nennen, sie von ihm auf dem Klavier aus der Partitur mir vorspielen zu hören. Da ich dessen gewiss war, dass Liszt sich von dem grossen Eindrucke überzeugt halten musste, welchen seine Kompositionen auf mich machten, durfte ich ihm auch offen von dem Fehlgriffe des Schlusses der Dante-Symphonie abrathen. Wenn mich etwas von der meisterlichen poetischen Konzeptionskraft des Musikers überzeugt hatte, so war es der ursprüngliche Schluss der Faust-Symphonie, welcher zart und duftig mit einer letzten, Alles bewältigenden Erinnerung an Gretchen, ohne alle gewaltsame Aufmerksamkeits-Erregung, gegeben war. Ganz so schien mir der Ausgang der Dante-Symphonie angelegt, in welchem das »Paradies« durch das zarte Eintreten des »Magnificat« ebenfalls nur als sanftes, weiches Verschweben angedeutet war. Desto mehr erschreckte es mich, plötzlich diese schöne Intention durch einen pomphaften plagialischen Schluss, welcher, wie mir gesagt wurde, den »Domenico« vorstellen sollte, in beängstigender Weise unterbrochen zu hören. Ich rief laut: »Nein, nein! Das nicht! Heraus damit! Keinen majestätischen Herrgott! Sondern bleiben wir bei dem sanften, edlen Verschweben!« »Du hast Recht«, rief Liszt, »ich habe es auch gesagt; die Fürstin hat mich anders bestimmt; aber es soll nun so werden wie Du meinst.« Das war nun schön. Desto grösser jedoch war mein Leid, später erfahren zu müssen, dass nicht nur dieser Schluss am »Dante« beibehalten, sondern sogar der von mir so besonders dankbar empfundene zarte Schluss des »Faust«, in einer mehr auf das Effektvolle hinauslaufenden Weise, durch den Eintritt von Chören umgeändert wurde. Da lag denn mein ganzes Verhältniss zu Liszt und seiner Freundin Caroline Wittgenstein ausgedrückt!

Diese Frau, mit ihrer Tochter Marie, wurde in Kurzem aber nun ebenfalls zu einem Besuch erwartet, und die nöthigen Vorbereitungen zu ihrem Empfang getroffen. Bevor die Damen eintrafen, kam es jedoch noch zu einem höchst verdriesslichen Auftritte zwischen Liszt und Karl Ritter in meiner Wohnung. Liszt schien, bereits selbst durch die Physiognomie Ritter's, noch mehr aber durch eine gewisse kurz absprechende Art seiner Aeusserungen, sich diesem gegenüber in einem leicht reizbaren Zustande zu befinden. Eines Abends sprach Liszt mit imponirendem Accente von den Verdiensten der Jesuiten; Ritter's ungeschicktes Lächeln hierüber, schien ihm aber widerwärtig gewesen zu sein: über Tisch kam das Gespräch nun auf den Kaiser der Franzosen, Louis Napoléon, dessen Verdienste Liszt etwas summarisch uns anzuerkennen auferlegte, während wir im Allgemeinen auf die ganzen französischen Zustände nicht vorzüglich zu sprechen waren. Als Liszt, um die Bedeutung Frankreichs für die europäische Kultur in einem bedeutenden Lichte darzustellen, unter anderm auch die französische Académie erwähnte, und Karl hierüber wieder in sein fatales Lächeln verfiel, reizte dies Liszt aufs Aeusserste, und in seiner Entgegnung lief etwas mit unter, welches ungefähr so lautete: »wenn wir diess nicht zugeben wollen, was bleiben wir dann? Paviane.« Ich lachte, Karl aber lächelte nur wieder, diessmal aber mit dem Lächeln der tödtlichsten Verlegenheit. Ich erfuhr später von Bülow, dass Jenem bei jugendlichen Raufdiskussionen eine »Pavian's-Physiognomie« vorgeworfen worden war. Bald war es nicht mehr zu verdecken, dass Ritter von dem »Herrn Doktor«, wie er ihn apostrophirte, sich auf das Grausamste beleidigt fühlte; er verliess in schäumendem Unmuthe meine Wohnung, um sie jahrelang nicht wieder zu betreten. Ich erhielt nach einigen Tagen von ihm einen Brief, worin er von mir, sobald er mich wieder besuchen sollte, zuvor eine vollständige Ehrenerklärung Liszt's, und wenn diese nicht zu erreichen wäre, die Ausschliessung Liszt's von meiner Wohnung verlangte. Sehr betrübend war es mir, bald auch von Ritter's mir so sehr werthen Mutter brieflich mein ungerechtes Verfahren gegen ihren Sohn, welchem ich zu keiner Genugthuung für eine in meiner Wohnung erhaltene Beleidigung verholfen hätte, mir vorgeworfen zu sehen. Ich gerieth für lange Zeit in eine höchst peinliche Spannung mit der mir so nahe befreundeten Familie, da es mir nicht möglich wurde, ihr den Vorgang im rechten Lichte begreiflich zu machen. Als mit der Zeit Liszt hiervon erfuhr, bedauerte auch er dieses Zerwürfniss, und führte seinerseits mit anerkennenswerther Grossmuth den entgegenkommendsten Schritt der Versöhnung aus, indem er Ritter einen freundlichen Besuch machte, wobei jedoch nichts von dem Vorfalle gesprochen wurde, und welchen Ritter nicht an Liszt, sondern an die bis dahin angekommene Fürstin erwiderte. Hier fand nun allerdings Liszt, nichts weiter thun zu können: somit blieb von jetzt an Ritter von uns ausgeschieden; er verlegte seinen Winteraufenthalt gänzlich von Zürich hinweg, und liess sich von nun an dauernd in Lausanne nieder.

Ein grosses Leben kam jetzt nicht nur über mein bescheidenes Haus, sondern über ganz Zürich, als die Fürstin Caroline mit ihrer Tochter für einige Zeit ihre Residenz in dem Hôtel Baur aufschlug. Die eigenthümliche Aufregung, welche die Dame sofort über Alles brachte, was sie in den Kreis ihrer Bekanntschaft zu ziehen wusste, erfüllte namentlich auch meine gute Schwester Klara, die um diese Zeit noch bei uns verweilte, mit einer wahrhaften Berauschung. Es war als ob Zürich mit einem Male eine Art von Weltstadt geworden wäre: Wagen fuhren hin und her, Bediente meldeten an und ab; Dîners, Soupers drängten sich; wir fanden uns plötzlich von einer zunehmenden Anzahl von interessanten Menschen umgeben, von denen wir keine Ahnung gehabt hatten dass sie in Zürich hausten, welche aber überall alsbald unläugbar auftauchten. Einen Musiker, Winterberger, welcher unter Umständen sich als Original geberden zu müssen glaubte, war schon von Liszt mitgebracht worden; den gewissen Schumannianer Kirchner aus Winterthur zog das neue Leben fast für dauernd auch herüber; er unterliess ebenfalls nicht, sich als excentrisch darzustellen. Hauptsächlich waren es aber die Professoren der Universität Zürich, welche die Fürstin Caroline aus ihren versteckten Züricher Gewohnheiten heraus zu ziehen wusste. Sie genoss bald jeden einzelnen von ihnen für sich, bald wurden sie uns von ihr en masse servirt. Trat ich von meiner regelmässigen Mittagspromenade für einen Augenblick ein, so dînirte die Dame mit Semper, das andere Mal mit Professor Köchly, ein drittes Mal mit Moleschott und sofort, en particulier. Selbst mein sonderbarer, so eigenthümlicher Freund Sulzer, wurde angezogen und, wie er nicht läugnen konnte, in gewisser Art berauscht. Bei dem Allem aber herrschte eine wirklich sehr erleichternde Freiheit und Ungezwungenheit; namentlich waren die einfacheren Abende bei mir, wo die Fürstin mit polnisch patriarchalischer Gemüthlichkeit der Hausfrau beim Serviren half, wirklich von grosser Behaglichkeit. Eines Mals, nachdem wir musizirt hatten, bildete sich vor mir eine gewiss nicht unanmuthige, halb sitzende, halb gelagerte Gruppe, welcher ich meine beiden neu konzipirten Dichtungsstoffe von » Tristan und Isolde« und den » Siegern« vortragen musste. – Die Krone unsrer kleinen Festlichkeiten war nun aber der Geburtstag Liszt's, welchen die Fürstin am 22. Oktober mit völligem Pomp bei sich feierte. Da war denn Alles vereinigt was nur irgend Zürich bieten konnte. Ein Gedicht brachte uns der Telegraph aus Weimar von Hoffmann von Fallersleben, welches Herwegh, von der Fürstin aufgefordert, mit wunderbar veränderter Stimme zum feierlichen Vortrag brachte. Dann trug ich mit Frau Heim, von Liszt accompagnirt, den ersten Akt und eine Scene des zweiten Aktes der Walküre vor. Ueber den Eindruck unserer Leistung konnte ich mir einen vortheilhaften Begriff machen, als Dr. Wille das Verlangen äusserte, diese Sachen, um über sie ein richtiges Urtheil fällen zu können, nun auch schlecht vorgetragen zu hören, weil er fürchten müsse, durch die Virtuosität des Vortrages bestochen worden zu sein. Ausserdem wurde von Liszt's symphonischen Dichtungen auf zwei Flügeln musizirt. Beim Festmahle kam es zu einem Dispute über Heinrich Heine, in dessen Betreff Liszt allerhand Verfängliches äusserte; wogegen Frau Wesendonck replizirte, »ob er nicht glaube, dass dennoch Heine's Dichtername im Tempel der Unsterblichkeit eingeschrieben sein würde?« Schnell antwortete Liszt: »Ja, aber mit Koth,« was begreiflicherweise nicht ohne Sensation vernommen wurde.

Leider widerfuhr unserer Vereinigung bald ein grosser Abbruch durch Liszt's Erkrankung an einem Hautausschlage, welcher ihn längere Zeit an das Bett fesselte. Als nur einige Genesung eintrat, gingen wir jedoch bald wieder an's Klavier, um unter uns meine zwei fertigen Partituren des »Rheingoldes« und der »Walküre« vorzunehmen. Prinzessin Marie hörte gut zu, und vermochte es sogar über einige schwierige Stellen der Dichtung verständnissvoll Anderen zur Hülfe zu kommen.

Auch der Fürstin Caroline schien ausserordentlich viel daran gelegen zu sein, über die eigentliche »Intrigue« im Betreff des Götterschicksal's in meinem »Nibelungenring« auf das Reine zu kommen. Ich wurde von ihr eines Tages, ganz wie einer der Züricher Professoren, en particulier vorgenommen, um ihr über diesen Punkt genügende Aufklärung zu geben, wobei ich gestehen muss unwiderleglich inne geworden zu sein, dass es ihr wirklich auf das Verständniss der zartesten und geheimnissvollsten Züge ankam, nur in einem etwas zu arithmetisch-mathematischen Sinne, so dass ich am Schlusse fast glaubte, ihr ein französisches Intriguenstück erklärt zu haben. Ihre Lebhaftigkeit in allen solchen Dingen war so gross, wie andrerseits wieder die eigenthümliche Gutgelauntheit ihrer Natur; denn sie ertrug es mit wahrer Lustigkeit, als ich im Betreff der ersteren Eigenschaft ihr eines Tages erklärte: ich würde, stets in ihrer Gesellschaft, nach den ersten vier Wochen umgebracht sein. – Trauer hatte ich über die Veränderungen, welche ich an ihrer Tochter Marie wahrnahm; sie war in den drei Jahren, seitdem ich sie zuerst gesehen, auffällig verblüht. Hatte ich sie damals »das Kind« genannt, so hätte ich sie jetzt nicht eigentlich als »Jungfrau« begrüssen können. Eine auflösende Erfahrung schien sie frühzeitig über ihr Alter hinweg gerückt zu haben. Nur bei grosser Anregung, besonders im abendlichen Kreise, trat das Einnehmende und Blendende ihres Naturells bedeutend hervor. Ich entsinne mich eines hübschen Abends bei Herwegh, wo ein abscheulich verstimmter Flügel Liszt in gleiche Begeisterung versetzte, wie die grässlichen Cigarren, welche er damals den feinen Sorten leidenschaftlich vorzog. Wir alle mussten wirklich nicht mehr an Zauberei, sondern an Hexerei glauben, als er auf diesem Flügel uns wundervoll vorphantasirte. – Eine auffallende, sehr übellaunige und eigentlich händelsüchtige Gereiztheit, wie sie schon in der fatalen Scene mit dem jungen Ritter vorgekommen war, trat mehrere Male, zu meinem wahren Schrecken, noch bei Liszt hervor. Namentlich war mit ihm, vorzüglich in Gegenwart der Fürstin Caroline, nicht gut über Goethe zu sprechen. Ueber den Egmont, den er geringschätzen zu müssen glaubte, weil er sich von Alba »dupiren« liess, wäre es selbst zwischen uns, da Liszt sehr aufgelegt dazu schien, zu einem Aergerniss gekommen. Ich war jedoch gewarnt, und besass so viel Ruhe, mich nur an die physiologische Eigenthümlichkeit meines Freundes bei dieser Gelegenheit zu halten, und vielmehr seinen Zustand, als den Gegenstand unseres Disputes in Betracht zu nehmen. Nie ist es zwischen mir und ihm zu einer Heftigkeit gekommen; nur blieb mir fortan für mein ganzes Leben das dunkle Gefühl davon, es könne einmal zu einer solchen kommen, und diese müsse dann furchtbar sein; und vielleicht war es auch eben dieses Gefühl, was jede zufällige Ereiferung von mir ferne hielt, wiewohl ich sonst wegen meines Aufbrausen's und meiner Reizbarkeit unter meinen Freunden bekannt genug war. –

Nach einem mehr als sechswöchentlichen Aufenthalte vereinigte uns schliesslich für die Rückreise meines so bedeutenden Besuches noch eine Art gemeinschaftlicher Unternehmung auf acht Tage in St. Gallen, wohin wir von einem jungen Musikdirektor, Schadrowsky; zur Unterstützung eines dortigen Gesellschaftskonzertes, eingeladen worden waren.

Hier logirten wir zusammen im Gasthof »zum Hecht«, wo die Fürstin uns für diese Zeit gleich wie im eigenen Hause bewirthete. So hatte sie auch mir mit meiner Frau ein Zimmer, neben dem für sie privatim bestimmten, angewiesen, was uns leider aber eine höchst schwierige Nacht bereitete. Frau Caroline hatte einen ihrer schweren Nervenbeängstigungs-Anfälle bekommen, und um die peinigenden Hallucinationen, von denen sie dann geplagt war, fern zu halten, war ihre Tochter Marie genöthigt, ihr die ganze Nacht über mit absichtlich sehr erhobener Stimme vorzulesen. Hierüber gerieth ich nun in unerhörte Aufregung, namentlich auch über die mir unbegreiflich erscheinende Rücksichtslosigkeit gegen die Ruhe des Nachbarn, welche sich in diesem Vorgange ausdrückte. In der Nacht um zwei Uhr sprang ich aus dem Bette, klingelte anhaltend einen Kellner wach, um mir in einer der entferntesten Lagen des Gasthofes ein Nachtquartier anweisen zu lassen. Wir zogen richtig um diese Stunde aus: dieses ward nebenan bemerkt, verursachte aber keinerlei Eindruck. Sehr verwundert war ich am andern Morgen, Marie ganz unbefangen, ohne die mindesten Spuren von dem Abenteuer, wie gewöhnlich erscheinen zu sehen, und erfuhr nun, dass man in der Umgebung der Fürstin an dergleichen Exzesse vollständig gewöhnt war. – Auch hier füllte sich das Haus bald von allerlei Eingeladenen: so kam Herwegh mit Frau, Dr. Wille mit Frau, Kirchner und manche Andre; und das Leben im »Hecht« stand dem im »Hôtel Baur«, bald in nichts nach. Diess alles galt, wie erwähnt, dem gemüthlichen Gesellschaftskonzerte des St. Galler Musikvereins. Liszt studirte in den Proben zwei seiner Kompositionen, »Orpheus« und die »Préludes«, zu meiner wahren Freude dem Orchester mit vollendeter Meisterschaft ein; trotz der sehr geringen Beschaffenheit der Instrumental-Mittel, fiel die Ausführung doch wirklich schön und schwungvoll aus. Namentlich freute mich das so maassvolle Orchesterstück »Orpheus«, dem ich von vornherein bereits eine grosse Ehrenstelle unter Liszt's Kompositionen angewiesen hatte; dem Publikum dagegen gefielen namentlich »Préludes«, von welchen auch der grössteTheil wiederholt werden musste. Ich führte die Eroica-Symphonie von Beethoven auf, und hatte dabei viel zu leiden, weil ich bei solchen Gelegenheiten mich stets erkältete, und dann meistens mich immer im Fieber befand. Auf Liszt, worauf es mir hierbei einzig ankommen konnte, machte meine Auffassung und Wiedergebung des Beethoven'schen Werkes einen bedeutenden und richtigen Eindruck. Wir beobachteten uns Beide bei unsern Leistungen mit wahrhaft belehrender Aufmerksamkeit und Theilnahme. Zur Nacht mussten wir noch einem kleinen Festmahle beiwohnen, bei welchem von Seiten der ehrenwerthen St. Galler Bürger es zu recht schönen und ernstlich gemeinten Auslassungen über die Bedeutung unseres Besuches kam. Da ich von einem dortigen Dichter in besonders eingehender Weise panegyrisch bedacht wurde, veranlasste mich diess ebenfalls in erregter Weise ernstlich zu antworten. Ja, Liszt gerieth in seiner dithyrambischen Begeisterung so weit, auf eine Mustervorstellung des »Lohengrin« in St. Gallen, womit das neue Theater geöffnet werden sollte, anstossen zu lassen, wogegen Niemand etwas einzuwenden hatte. – Am folgenden Tage, dem 24. November, waren wir alle zu verschiedenen Festlichkeiten im Hause eines Hauptmusikfreundes, des vermögenden St. Galler Kaufmannes Bourit vereinigt. Da ging es denn auch an's Klavier, und Liszt spielte uns unter anderm auch die grosse B-dur-Sonate von Beethoven vor, nach welcher Kirchner mit trockener Aufrichtigkeit äusserte: jetzt könne man doch wirklich sagen, etwas rein Unmögliches erfahren zu haben; denn für unmöglich müsse er immer noch halten, was er wiederum doch soeben gehört habe. – Bei dieser Gelegenheit ward denn auch der auf diesen Tag fallenden zwanzigsten Jahresfeier meiner Hochzeit mit Minna gedacht, und es ward nach den Klängen der Hochzeit-Musik aus »Lohengrin« ein ganz artiger polonaisengleicher Festzug durch die verschiedenen Zimmer ausgeführt.

Trotz allen diesen angenehmen Erlebnissen, hätte ich nun doch aber gern der Sache ein Ende gefunden, um in meine häusliche Stille nach Zürich zurückzukehren. Das Unwohlsein der Fürstin verwehrte aber noch, mehrere Tage über, die Abreise meiner Freunde nach Deutschland, und so fanden wir uns veranlasst, noch einige zwecklos spannende Zeit zusammen zu verweilen, bis ich am 27. November endlich meinem Besuche das Geleite nach Rorschach gab, und dort auf dem Dampfschiffe mich von ihm trennte. – Ich habe seitdem die Fürstin und ihre Tochter nie wieder gesehen, und vermuthe auch nie wieder mit ihnen zusammenzukommen. –

Nicht ohne Bangigkeit verliess ich die Freunde, von denen die Fürstin wirklich krank, und Liszt mir sehr angegriffen erschien. Ich empfahl ihnen schleunig nach Weimar, zu ihrer Pflege zurückzukehren: sehr war ich dagegen verwundert, bald von einem wiederum längeren geräusch- und kunstgenussvollen Aufenthalte in München zu erfahren, welcher unmittelbar unserem Abschiede folgte. Ich dachte mir da, dass ich doch wohl recht unberufen sei, so organisirten Menschen irgend etwas an- oder abzurathen. Dagegen kehrte ich sehr erschöpft, schlaflos, und vom Froste der kalten Jahreszeit gepeinigt, in meine Züricher Behausung zurück, in der Furcht, durch die vergangene Lebensweise mir wieder einen Rückfall meiner Gesichtsrose zugezogen zu haben. Mit grosser Befriedigung wachte ich jedoch des anderen Morgens auf, da ich nichts von dem Gefürchteten verspürte, und pries jetzt, sowie fortan immer wo ich nur konnte, meinen trefflichen Dr. Vaillant. Bald erholte ich mich so weit, dass ich mit Anfang Dezember die Komposition des Siegfried wieder aufnehmen konnte. Somit trat ich wieder in meine gleichmässige, äusserlich so wenig zu bezeichnende Lebensweise: Arbeit, grosse Promenaden, Lektüre, zu Zeiten des Abends einen der alten Hausfreunde. Nur belästigten mich die Nachwehen des Zerwürfnisses mit Ritter wegen jenes Vorfalles mit Liszt. Ich gerieth mit diesem, in so mancher Lebensphase mir nahe getretenen, jungen Freunde jetzt gänzlich ausser Verkehr; er verliess noch vor Ablauf des Winters Zürich, ohne mich wieder gesehen zu haben.

Während ich in den Monaten Januar und Februar (1857), diessmal mit ausführlicher Niederschrift der Komposition statt der früheren nur flüchtigen Skizzirung mit Bleistift, den ersten Akt des »Siegfried« vollendete, und darauf mich auch sogleich zur Instrumentation desselben anliess, befolgte ich das von Vaillant mir angerathene Verfahren wahrscheinlich mit etwas zu grossem Eifer: immer in Furcht vor einer möglichen Rückkehr der Gesichtsrose, suchte ich mich dagegen durch regelmässig alle acht Tage wiederholtes Schwitzen in der Einpackung, nach hydropathischem System, zu bewahren. Allerdings entging ich dadurch fortwährend dem befürchteten Uebel, nur griff mich diese Behandlung wiederum sehr an, und ich ersehnte die Rückkehr der warmen Jahreszeit, welche mir von der Strenge meiner Behandlung abzulassen gestatten sollte.

Zugleich aber steigerten sich jetzt die Leiden, welche mir durch die Belästigungen von Seite lärmender und musizirender Nachbarn bereitet wurden. Ausser dem tödtlich von mir gehassten Blechschmiede, mit welchem ich ziemlich jede Woche einmal einen furchtbaren Auftritt hatte, stellten sich auch immer mehr Klaviere in meinem Hause ein, zuletzt auch noch die sonntägliche Flöte eines Herrn Stockar unter mir. Ich verschwor es nun weiter zu komponiren. Da kamen eines Tages meine Freunde Wesendonck's von einem längeren Winteraufenthalte in Paris zurück, und eröffneten mir die erfreulichste Aussicht auf die Erfüllung meiner sehnlichen Wünsche im Betreff meiner zukünftigen Wohnungsverhältnisse. Wesendonck war schon früher geneigt gewesen, mir nach Wunsch auf einem Punkte, den ich mir aussuchen sollte, ein Wohnhäuschen bauen zu lassen. Meine mit täuschender Künstlichkeit ausgearbeiteten Pläne waren wirklich schon der Prüfung eines Architekten vorgelegt worden. Nur die Acquisition des geeigneten Grundstückes war und blieb von besonderer Schwierigkeit. Auf dem Hügelrücken, welcher in der Gemeinde Enge den Züricher See vom Sihlthale trennt, hatte ich seit lange auf meinen Spaziergängen ein Winterhäuschen in das Auge gefasst, welches das Lavater-Häuschen hiess, weil es diesem berühmten Physiognomen gehört hatte und von ihm gewöhnlich besucht worden war. Ich hatte nun meinen Freund, den Staatsschreiber Hagenbuch dafür gewonnen, sich mit allerhand List danach umzusehen, wie hier einige Jucharten Landes so wohlfeil wie möglich zu acquiriren sein möchten. Hierin erwies sich nun aber die grosse Schwierigkeit. Das Terrain hing überall parzellenweise mit grösseren Grundstücken zusammen, und es fand sich, dass, um den einen Punkt zu gewinnen, ein übermässig grosser Komplex von verschiedenen Besitzern hätte zusammengekauft werden müssen. Ich klagte Wesendonck meine Noth, und erregte in diesem allmählich die Lust, für sich selbst dieses grössere Terrain zu erwerben, und dort ein stattliches Grundstück mit grosser Villa für seine eigene Familie anzulegen. Für mich sollte dabei am Ende eine Parzelle abfallen. Die Herrichtung dieses Grundstückes und der Bau seines grossen Wohnhauses, welches stattlich und gediegen ausfallen sollte, nahm für jetzt aber meinen Freund genügend in Anspruch; auch fand er wohl, dass die Niederlassung zweier Familien in der gleichen Umzäunung mit der Zeit zu gegenseitigen Unbequemlichkeiten führen könnte. Dagegen fand sich, nur durch einen schmalen Fahrweg von dem seinigen getrennt, ein kleines sehr bescheidenes Landhäuschen mit Garten, welches ich selbst schon früher im Auge gehabt hatte, und dessen Acquisition für mich Wesendonck nun beschlossen hatte. Ich war durch die Mittheilung dieser Absicht wirklich über alle Maassen erfreut. Desto grösser war der Schreck, als der übervorsichtige Acquirant eines Tages erfuhr, dass der gegenwärtige Besitzer, mit welchem er zu zaghaft in Unterhandlung getreten war, soeben sein Grundstück anderwärts verkauft habe. Glücklicherweise fand sich, dass der Käufer ein Irrenarzt war, und in Folge des Kaufes nichts anderes beabsichtigte, als mit seiner Irrenanstalt sich meinem Freunde zur Seite niederzulassen; denn diese Nachricht wirkte nun, durch die Erweckung der schreckhaftesten Vorstellungen, auf die Anspannung der höchsten Energie Wesendonck's, welcher jetzt das Grundstück um jeden Preis von dem fatalen Narren-Doktor wieder zu gewinnen den Auftrag gab. So gelangte es denn, ziemlich theuer und in Verdruss erweckender Form, endlich in den Besitz meines Freundes, der es mir nun von Ostern dieses Jahres an, gegen den gleichen Miethzins, welchen ich bisher für meine Wohnung im Zeltwege bezahlt hatte, d. h. für jährlich 800 Francs, zur dauernden Benutzung übergab.

Die Herrichtung des Häuschens, die mich nun mit dem anbrechenden Frühjahre leidenschaftlich beschäftigte, ging nicht ohne manche Verdriesslichkeit vor sich. Das Häuschen, welches nur zur Sommerbewohnung eingerichtet war, musste durch Beschaffung von Heizung und durch sonstige Vorkehrungen erst noch für den Winter tauglich gemacht werden. Ward auch von Seiten des Besitzers hierfür das Nöthigste geleistet, so blieb doch immerhin genug übrig, was, sowohl bei der perennirenden Meinungsdifferenz zwischen mir und meiner Frau über alles und jedes, als auch bei meiner im Grunde doch immer gänzlich vermögenslosen bürgerlichen Lage, nie gänzlich endende Schwierigkeiten herbeiführte. In der letzteren Beziehung trat zwar immer von Zeit zu Zeit eine Wendung ein, welche recht gut geeignet war, einem sanguinischen Temperamente ein zuversichtliches Vertrauen auf die Zukunft zu geben: trotz der schlechten Aufführungen meiner Oper, brachte mir der »Tannhäuser« aus Berlin doch unerwartet gute Einnahmen zu. Jetzt hatte sich denn auch auf eine sonderbare Weise in Wien für mich etwas Luft gemacht. Immer nämlich blieb ich dort noch von dem Hofoperntheater ausgeschlossen, und mir war versichert worden, dass, so lange es einen kaiserlichen Hof gäbe, an eine Aufführung meiner »hochverrätherischen« Opern in Wien nicht zu denken wäre. Diese sonderbare Lage veranlasste den Direktor des Josephstädter Theater's, meinen alten Riga'schen Direktor Hofmann, in einem von ihm erbauten grossen Sommertheater im Lerchenfeld, ausserhalb der Linien von Wien, mit einer besondern Operntruppe den »Tannhäuser« zu wagen. Er bot mir für jede Vorstellung, die ich ihm erlauben würde, eine Tantième von 100 Franken. Als Liszt, den ich hiervon benachrichtigte, die Sache bedenklich fand, schrieb ich ihm: ich sei gesonnen mich in dieser Angelegenheit auf den Standpunkt Mirabeau's zu stellen, welcher, da er von seinen Standesgenossen nicht zu der Notablen-Versammlung gewählt wurde, sich den Wählern in Marseille als Marchand de drap vorstellen liess. Das gefiel denn wieder Liszt; und ich zog nun wirklich durch das Lerchenfelder Sommertheater in die österreichische Kaiserstadt ein. Von der Aufführung selbst wurden mir die allerwunderlichsten Dinge berichtet: Sulzer, welcher damals auf einer Reise durch Wien gekommen war, und einer solchen Vorstellung beigewohnt hatte, beklagte sich vornehmlich nur über die Finsterniss des Hauses, welche auch nicht ein Wort des Textbuches zu lesen erlaubte, sowie dass es sehr stark hinein geregnet hätte. Anders berichtete mir einige Jahre später der Schwiegersohn der Wittwe des Komponisten Hérold, welcher damals auf einer Hochzeitsreise ebenfalls Wien und diese Lerchenfelder Vorstellung besucht hatte: dieser versicherte mich, dass, trotz allen äusseren Mangelhaftigkeiten, die hiesige Vorstellung ihn wahrhaft erfreut und namentlich bei weitem wirkungsreicher ergriffen habe, als die ohne allen Vergleich schlechtere Aufführung im Berliner Hoftheater, welche er nach dieser ebenfalls besucht habe. Für jetzt brachte mir das energische Einschreiten meines alten Riga'schen Theaterdirektor's in Wien für zwanzig Vorstellungen, welche er vom »Tannhäuser« im Ganzen ermöglichte, wirklich 2000 Franken ein; und es war mir vielleicht verzeihlich, nach einem so eigenthümlichen, meine Popularität offen konstatirenden Vorgange, auf unberechenbare Wirkungen meiner Arbeiten, selbst nach der Seite des Gewinnes hin, für die Zukunft zu vertrauen.

Während mich unter solchen Umständen die Einrichtung des ersehnten Landhäuschen's beschäftigte, und ich die Instrumentation des ersten Aktes von Siegfried ausarbeitete, versenkte ich mich von Neuem in die Schopenhauer'sche Philosophie, als auch mit besonderer Angezogenheit in Scott'sche Romane. Auch beschäftigte ich mich ernstlich damit, meinem Eindrucke von den Liszt'schen Kompositionen eine bestimmte Bedeutung zuzuweisen; wofür ich zu der Form eines Briefes an Marie Wittgenstein griff, welcher in der Brendel'schen Musikzeitung veröffentlicht wurde. –

Als nun die Uebersiedelung nach der, wie ich vermeinte, letzten Wohnungszuflucht meines Lebens bevorstand, überlegte ich von Neuem, wie ich diesem Leben selbst, für den gemeinen Bestand, eine Grundlage verschaffen könnte. Noch einmal griff ich meine Unterhandlungen mit Härtels wegen der Nibelungen auf, musste sie aber spröde und abgeneigt gegen ein Geschäft für dieses Werk finden. Ich klagte diess Liszt, und stellte ihm offen die Zumuthung, dem Grossherzoge von Weimar, welcher den Aussagen meines Freundes nach sich fortwährend als Schutzpatron meines Nibelungenunternehmen's betrachtet wissen wollte, die Schwierigkeiten, auf welche ich hierbei stiesse, zu erkennen zu geben. Ich führte hierbei an, dass, wenn einem gewöhnlichen Musikhändler das Befassen mit einem so ausserordentlichen Unternehmen nicht wohl zuzumuthen sei, von dem Fürsten, welcher dasselbe zu seinem Ehrenpunkte zu machen gedenke, dagegen wohl zu verlangen stünde, dass er sich auch ernstlich an den Vorbereitungen dazu, unter welchen die Ausarbeitung des Werkes selbst wohl sehr füglich begriffen werden müsse, betheilige. In diesem Sinne wollte ich, dass der Grossherzog für Härtel's eintrete, das Werk mir abkaufe, und in dem Maasse der Vollendung der Arbeit es mir bezahle, wodurch er sich zum Eigenthümer derselben machen, und später nach Belieben sich dafür selbst durch einen Verleger entschädigen sollte. Liszt verstand mich sehr wohl, konnte jedoch nicht umhin, mir von meinen Annahmen im Betreff Sr. königl. Hoheit abzurathen. –

Dagegen zog jetzt die junge Grossherzogin von Baden meine Aufmerksamkeit auf sich. Seit mehreren Jahren war vom Grossherzog von Baden Eduard Devrient als Direktor seines Hoftheaters nach Karlsruhe gezogen worden. Ich war seit meinem Fortgange von Dresden, wenn auch mit langen Unterbrechungen, mit Devrient in Verkehr geblieben; er hatte sich noch brieflich über meine Schriften »das Kunstwerk der Zukunft« und »Oper und Drama« höchst anerkennend geäussert. Von dem Karlsruher Theater behauptete er mir, dieses sei so schwach, dass er an die Aufführung meiner Opern auf demselben nicht gut gehen zu können glaubte. Plötzlich änderte sich dieses, als der Grossherzog geheirathet hatte, und die von meiner alten Freundin, Alwine Frommann, für mich gewonnene junge Tochter der Prinzessin von Preussen, jetzt in Karlsruhe zur Selbständigkeit gelangt, eifrig nach der Aufführung meiner Werke verlangte. Jetzt wurden denn meine Opern auch dort aufgeführt, und Devrient musste mir von dem grossen Antheile der jungen Fürstin, welche selbst den Proben häufig beiwohnte, berichten. Diess machte auf mich einen sehr freundlichen Eindruck; aus freien Stücken äusserte ich mich hierüber anerkennend in einem Schreiben, welches ich an die Grossherzogin richtete, und dem ich als Albumblatt »Wotan's Abschied« aus dem Schlusse der Walküre beilegte.

So kam der 20. April heran, an welchem ich meine bisherige, nun bereits vermiethete, Wohnung im Zeltwege verlassen musste, ohne das noch nicht ganz fertig eingerichtete Landhaus selbst schon beziehen zu können. Bei unfreundlicher Witterung hatten sich, während der steten Besuche des von Maurern und Schreinern nachlässig okkupirten Häuschen's, Erkältungen bei uns eingestellt. In übelster Laune verbrachten wir eine Woche im Gasthofe, und ich überlegte mir, ob es denn überhaupt der Mühe verlohne, erst noch dieses Grundstück zu beziehen, indem es mir plötzlich ahnte, dass ich doch auch von dort wieder weiter wandern dürfte. Endlich setzten wir am Ende des April mit Gewalt unsere Einsiedelung durch; es war kalt und feucht, die neuen Heizungen wärmten nicht; wir Beide waren krank und vermochten kaum das Bett zu verlassen. Da erschien ein gutes Anzeichen: der erste Brief, der mir zukam, war ein versöhnendes, sehr liebevolles Schreiben der Frau Julie Ritter, wodurch sie mir die Beendigung des Zerwürfnisses wegen des Benehmens ihres Sohnes ankündigte. Nun brach auch schönes Frühlingswetter herein; am Charfreitage erwachte ich zum ersten Male in diesem Hause bei vollem Sonnenschein: das Gärtchen war ergrünt, die Vögel sangen, und endlich konnte ich mich auf die Zinne des Häuschen's setzen, um der langersehnten verheissungsvollen Stille mich zu erfreuen. Hiervon erfüllt, sagte ich mir plötzlich, dass heute ja »Charfreitag« sei, und entsann mich, wie bedeutungsvoll diese Mahnung mir schon einmal in Wolfram's Parzival aufgefallen war. Seit jenem Aufenthalte in Marienbad, wo ich die Meistersinger und Lohengrin konzipirte, hatte ich mich nie wieder mit jenem Gedichte beschäftigt; jetzt trat sein idealer Gehalt in überwältigender Form an mich heran, und von dem Charfreitags-Gedanken aus konzipirte ich schnell ein ganzes Drama, welches ich, in drei Akte getheilt, sofort mit wenigen Zügen flüchtig skizzirte.

Mitten unter der immer noch nicht beendeten und leidenschaftlich von mir betriebenen Einrichtung des Hauses, drängte es mich nun zur Arbeit: ich griff wieder zum » Siegfried«, und begann die Komposition des zweiten Aktes davon. Während ich nun unschlüssig darüber gewesen war, wie ich mein neu gewonnenes Asyl benennen wollte, musste ich, da die Einleitung dieses Aktes bei guter Laune mir sehr wohl gerieth, laut lachen, als mir einfiel, ich müsste, eben dieser ersten Arbeit entsprechend, mein neues Heimwesen » Fafner's Ruhe« nennen. Das durfte nun aber doch nicht sein; und somit blieb es dabei, das Grundstück einfach »Asyl« zu benennen, mit welcher Benennung ich es denn auch in der Datumangabe meiner Arbeit bezeichnete.

Meine fehlgeschlagenen Aussichten auf die Unterstützung des Grossherzogs von Weimar für die Nibelungen-Arbeit nährten aber in mir eine fortgesetzte Verstimmung; ich sah eine Last vor mir, deren ich mich nicht zu entledigen wusste. Zu gleicher Zeit war mir nun eine abenteuerliche Meldung zugekommen: ein Mensch, welcher, sehr natürlich, Ferreiro hiess, hatte sich als brasilianischer Konsul von Leipzig aus bei mir gemeldet, und mir Anzeige von der grossen Zuneigung des Kaisers von Brasilien für meine Musik gemacht. Meinen Zweifeln an dieser sonderbaren Erscheinung wusste der Mann in seinen Briefen recht hübsch zu entgegnen; der Kaiser liebte das Deutsche, und wünschte mich gerne zu sich nach Rio Janeiro zu haben, damit ich ihm daselbst meine Opern vorführe, wozu, da dort allerdings nur italienisch gesungen würde, es nur der Uebersetzung meiner Texte bedürfe, was er als sehr leicht und zugleich sehr vortheilhaft für dieselben ansah. Sonderbarer Weise wirkte die hierdurch angeregte Vorstellung in Wahrheit sehr angenehm auf mich, und es schien mir, als müsste ich sehr gut ein leidenschaftliches Musikgedicht zu Stande bringen können, welches sich im Italienischen ganz trefflich ausnehmen sollte. Wiederum gedachte ich mit stets neu auflebender Vorliebe an » Tristan und Isolde«. Zunächst übersandte ich Herrn Ferreiro, um der grossmütigen Neigung des Kaisers von Brasilien einigermassen auf den Zahn zu fühlen, die kostbar eingebundenen Klavierauszüge meiner drei älteren Opern, von deren gnädiger und splendider Aufnahme in Rio Janeiro ich mir längere Zeit etwas recht Angenehmes erwartete. Weder von diesen Klavierauszügen, noch vom Kaiser von Brasilien und dessen Konsul Ferreiro, habe ich in meinem Leben je wieder etwas gehört. Nur Semper gerieth noch mit diesem tropischen Lande in eine architektonische Verwickelung: für Rio war eine Concurrenz zum Bau eines neuen Opernhauses ausgeschrieben; Semper hatte sich zur Theilnahme gemeldet, und verfertigte wunderschöne Pläne dazu, welche uns viele Unterhaltung gewährten, und unter andern dem Dr. Wille eine besonders interessante Aufgabe zu bieten schienen, da er annahm, es müsse einem Architekten etwas Neues dünken, ein Operntheater für ein schwarzes Publikum zu entwerfen. Ich habe nicht erfahren, ob die Resultate von Semper's Verkehr mit Brasilien viel befriedigender waren als die des meinigen; jedenfalls weiss ich, dass er das Theater nicht gebaut hat.

Eine heftige Erkältung warf mich für einige Tage in ein starkes Fieber; als ich davon genas, war mein Geburtstag gekommen: des Abends wieder auf meiner Zinne sitzend, überraschte mich der Gesang der drei »Rheintöchter« aus dem Schlusse des Rheingoldes, welcher aus naher Ferne über die Gärten zu mir herüber drang. Frau Pollert, dieselbe, deren eheliche Leiden einst in Magdeburg die an und für sich schwierige Wiederaufführung meines »Liebesverbotes« verhindert hatten, war im vergangenen Winter immer noch als Sängerin, zugleich aber auch als Mutter zweier Töchter, am Züricher Theater-Himmel erschienen. Da sie immer noch eine gute Stimme hatte, und sich mit äusserster Willigkeit gegen mich benahm, liess ich sie den letzten Akt der Walküre für sich, und die Scenen der »Rheintöchter« aus dem Rheingolde mit ihren beiden Töchtern einüben. Oefter hatten wir im vergangenen Winter unseren Freunden kleine Anhörungen davon verschafft; jetzt, an diesem Geburtstagsabende, überraschte mich der Gesang der aufmerksamen Freundinnen in sehr rührender Weise, und plötzlich empfand ich einen sonderbaren Widerwillen gegen die Fortsetzung der Komposition der Nibelungen, um so dringender aber das Verlangen, sofort den » Tristan« aufnehmen zu können. Ich beschloss meiner langgenährten heimlichen Neigung zu gewähren, und diese neue Arbeit, welche ich nur als eine kurze Unterbrechung jener grossen gelten lassen wollte, alsbald zu beginnen. Um mir jedoch das Zeugniss zu geben, dass nicht etwa ein eingetretener Ueberdruss von jener älteren Arbeit mich zurückscheuchte, beschloss ich jedenfalls erst noch die kaum begonnene Komposition des zweiten Aktes von Siegfried bis zur Beendigung fortzusetzen; was auch mit grosser Lust geschah, während ich andererseits immer deutlicher den Tristan in mir aufdämmern liess.

Einigermassen mitwirksam zur Erfassung des Tristan waren jedoch auch äussere Beweggründe, welche das auf die Ausführung dieses Werkes bezügliche Unternehmen mir anziehend und vortheilhaft erscheinen liessen. Diese Motive kamen vollends zu Reife, als Eduard Devrient Anfangs July, mich besuchte und drei Tage bei mir verweilte. Er berichtete mir die gute Aufnahme, welche meine Sendung an die Grossherzogin von Baden erfahren hatte. Im Ganzen erschien es mir, als ob er beauftragt sei sich mit mir für irgend ein Unternehmen zu verständigen; ich theilte ihm mit, dass ich gesonnen sei meine Nibelungen-Arbeit durch die Ausführung eines Werkes zu unterbrechen, welches, seinem Umfange und seinen Erforderlichkeiten nach, mich von Neuem in den Verkehr mit den Theatern, wie sie nun eben seien, setzen sollte. Gewiss würde ich mir Unrecht thun, wenn ich mir selbst nachsagen wollte, dass ich aus diesem äusserlichen Grunde die Ausführung des Tristan in das Auge gefasst und beschlossen hätte; dennoch muss ich zugestehen, dass in Betreff der Stimmung, in welcher ich vor mehreren Jahren die Ausführung jenes grösseren Werkes in Angriff nahm, bei mir eine merkliche Veränderung eingetreten war. Damals kam ich soeben von meinen Kunstschriften, in welchen ich mir die Gründe des Verfalles unsrer öffentlichen Kunst, und namentlich des Theaters, durch Erforschung eines weiten Zusammenhanges dieser Gründe mit den allgemeinen Kulturzuständen zu erklären gesucht hatte. Damals wäre es mir unmöglich gewesen, mich an eine Arbeit zu begeben, bei welcher ich sofort die Aufführung auf unsern Theatern in das Auge zu fassen gehabt hätte. Nur ein gänzliches Absehen hievon konnte, wie ich diess gelegentlich früher bezeugte, mich zur Wiederaufnahme meiner künstlerischen Arbeiten bestimmen. Während ich nun für eine Aufführung der Nibelungendramen unverrückt das Eine festzuhalten genöthigt war, dass diese Aufführung nur unter so ausserordentlichen Umständen, wie ich sie später in dem Vorworte zu der Herausgabe der Dichtung bezeichnete, stattfinden könnte, hatte doch die geglückte Verbreitung meiner älteren Opern soweit Einfluss auf meine Stimmung geübt, dass ich jetzt, indem ich mich der Vollendung meiner grossen Arbeit über die Hälfte derselben näherte, nach einer Möglichkeit auch der Aufführung dieses Werkes immer ernstlicher aussah. Bis dahin hatte nun Liszt in seinem Vertrauen auf den Grossherzog von Weimar die verborgene Hoffnung meines Herzens genährt; nach den neuesten Erfahrungen hatte sich diese jetzt aber als gänzlich nichtig herausgestellt, während andererseits die Hoffnung mir bestätigt wurde, dass ein neues, dem »Tannhäuser« oder »Lohengrin« ähnliches Werk von mir mit grosser Bereitwilligkeit überall aufgenommen werden würde. Die Weise, in welcher ich endlich den Entwurf des Tristan ausführte, zeigt zwar deutlich, wie wenig ich hierbei an unsere Operntheater und die Fähigkeit ihrer Leistungen dachte, dennoch, da ich immer zugleich mit einer äusseren Nöthigung meiner Lebenslage zu kämpfen hatte, vermochte ich soweit mich selbst zu täuschen, dass ich mir einbilden konnte, mit der Unterbrechung der Komposition der Nibelungen und dem Angriffe des Tristan, im praktischen Sinne eines klugerwägenden Menschen zu verfahren. Devrient hörte nun sehr gern von einem solchen, für praktisch ausgegebenen Unternehmen meinerseits; er frug mich, an welches Theater ich für die erste Aufführung meiner neuen Arbeit dächte; worauf ich erwiederte, dass ich natürlich nur ein solches in's Auge fassen könnte, bei welchem persönlich mich an der Aufführung zu betheiligen mir möglich sein würde. Entweder, so meinte ich, würde diess in Brasilien der Fall sein, oder, da das Gebiet des deutschen Bundes mir verschlossen blieb, eine den deutschen Grenzen nahe gelegene Stadt, von der ich annehmen dürfte, dass sie mir einige Kunstmittel zu Gebote stellen könnte. Ich hatte hiefür Strassburg in das Auge gefasst: aus vielen praktischen Gründen war jedoch Devrient vollständig gegen ein solches Unternehmen eingenommen; eine Aufführung in Karlsruhe, so meinte er, würde dagegen weit eher und erfolgreicher zu bewerkstelligen sein. Ich hatte hiergegen nur dieses Eine einzuwenden, dass ich dort mich ja eben nicht persönlich an dem Studium und der Aufführung meines Werkes würde betheiligen können; da es nun aber diesen Punkt betraf, glaubte Devrient, in Berücksichtigung der mir geneigten und zu energischer Theilnahme gestimmten Absicht des Grossherzogs von Baden, mir entscheidende Hoffnung machen zu können. Diess war mir nun recht angenehm zu erfahren. Auch hörte ich Devrient mit vieler Theilnahme von dem jungen Tenorsänger Schnorr erzählen, welcher, bei vorzüglichen Mitteln, grosse Hingebung gerade für meine Werke besässe. – In bester Laune bewirthete ich jetzt Devrient so gut ich konnte; an einem Vormittage spielte und sang ich ihm das ganze »Rheingold« vor, welches ihm recht zu gefallen schien. Halb ernsthaft, halb scherzend sagte ich ihm, ich hätte bei dem Mime an ihn gedacht; denn, wenn es damit nicht zu spät würde, sollte er ihn einmal auszuführen bekommen. Da nun einmal Devrient zugegen war, ging es auch nicht ohne Vorlesung seinerseits ab; ich lud meine Hausfreundschaft, mit Semper und Herwegh, zusammen, und Devrient las uns die Scenen des Antonius aus Shakespeare's »Julius Cäsar« in so glücklicher Weise vor, dass selbst Herwegh, welcher von vornherein spöttisch dagegen gestimmt war, den Erfolg der Geschicklichkeit des geübten Schauspieler's willig anerkannte. – Von meiner Wohnung aus schrieb Devrient an den Grossherzog von Baden, darüber berichtend, was er an mir gefunden und wie er mich angetroffen habe. Kurz nach seiner Verabschiedung von mir erhielt ich nun vom Grossherzoge einen sehr erfreulichen eigenhändigen Brief, in welchem jener zunächst für das seiner Frau geschenkte Album-Blatt in anerkennendster Weise dankte, und zugleich mir seinen Willen eröffnete, in Zukunft für mein Schicksal und namentlich meine Wiederkehr nach Deutschland eintreten zu wollen.

Die Absicht der Ausführung des nun erst in Angriff zu nehmenden Tristan war von jetzt an mit stärkster Schrift in meinem Lebensplan eingeschrieben. Zunächst verdankte ich dem Allen aber die Forterhaltung der guten Laune, in welcher ich für jetzt erst noch den zweiten Akt des Siegfried zu Ende komponirte. Meine täglichen Spaziergänge richtete ich an den heiteren Sommernachmittagen nach dem stillen Sihlthal, in dessen waldiger Umgebung ich viel und aufmerksam nach dem Gesange der Waldvögel lauschte, wobei ich erstaunt war, die mir gänzlich neuen Weisen von Sängern kennen zu lernen, deren Gestalt ich nicht sah, und deren Namen ich noch weniger wusste. Was ich von ihren Weisen mit nach Hause brachte, legte ich in der Waldscene »Siegfrieds« in künstlicher Nachahmung nieder. Anfangs August war ich mit der sorgfältig skizzirten Komposition auch dieses zweiten Aktes zu Ende. Ich freute mich, für den dereinstigen Wiederbeginn der Fortarbeit mir gerade den dritten Akt, mit der Erweckung Brünnhilde's, vorbehalten zu haben; denn es war mir, als ob alles Problematische meiner Arbeit nun glücklich gelöst, und jetzt nur noch der eigentliche Genuss derselben zu gewinnen übrig sei.

So war ich, im guten Glauben an die Richtigkeit der Oekonomie meiner künstlerischen Kraft, gerüstet, an die Niederschrift des » Tristan« zu gehen. Zu einiger Prüfung meiner Geduld kam nun gerade der treffliche Ferdinand Praeger aus London an, über dessen Besuch ich andrerseits mich recht zu freuen hatte, da ich in ihm einen bewährten und ausdauernden Freund erkennen musste. Nur bildete er sich ein, ausnehmend nervös und vom Schicksale verfolgt zu sein, was mir, da ich mit dem besten Willen nach dieser Seite hin keine Theilnahme zu fassen vermochte, einigermassen peinlich wurde. So halfen wir uns mit einem Ausflug nach Schaffhausen, wo ich zum ersten Mal den berühmten Rheinfall besuchte, und nicht unbedeutende Eindrücke davon empfing. – Ausserdem bezogen um jene Zeit Wesendonck's endlich ihre, von den Pariser Stuccatur-Arbeitern und Tapezierern gesäuberte, Villa. Hiermit begann nun eine, nicht eigentlich bedeutende, doch aber auf die äussere Wendung meines Lebens einflussreiche neue Phase meines Umganges mit dieser Familie. Wir waren uns jetzt durch die unmittelbare, eigentlich ländliche Nachbarschaft so nahe gerückt, dass eine starke Vermehrung der Beziehungen bloss durch die einfache tägliche Berührung nicht ausbleiben konnte. Ich hatte schon öfter bemerkt, dass Wesendonck, in seiner rechtschaffenen Offenheit, durch mein Heimischwerden in seinem Hause sich beunruhigt fühlte; in vielen Dingen, wie in der Heizung, der Beleuchtung, auch den Mahlzeitstunden, wurden Rücksichten auf mich genommen, welche ihm seinen Rechten als Hausherr nahe zu treten schienen. Es bedurfte hierüber einiger vertrauter Mittheilungen, um andererseits eine halb verschwiegene, halb ausgesprochene Uebereinkunft festzustellen, welche mit der Zeit eine bedenkliche Bedeutung im Auge Anderer anzunehmen geeignet war. Somit entstand im Betreff unseres nun so nahe gerückten Verkehres eine gewisse Rücksicht, welche unter Umständen für die beiden Eingeweihten unterhaltend wurde.

Sonderbarer Weise traf der Zeitpunkt dieser nachbarlichen Annäherung mit dem Beginne der Ausführung meiner Dichtung von » Tristan und Isolde« zusammen. Jetzt traf Robert Frantz zum Besuche in Zürich ein, und erfreute mich durch angenehme Seiten seiner Persönlichkeit, während eben sein Besuch mich darüber beruhigte, dass eine gewisse Spannung, welche seit seinem ersten Auftreten für mich, bei Gelegenheit des Lohengrin, namentlich durch die Einmischung seines Schwagers Hinrich (welcher eine Brochüre über mich geschrieben hatte) eingetreten war, nicht von tiefer gehender Bedeutung sei. Wir musizirten; er begleitete meinem Gesange einige seiner Lieder; meine Nibelungencompositionen schienen ihm zu gefallen. Als ihn jedoch eines Tages Wesendonck's, um eine gemeinschaftliche Vereinigung zu bereiten, zum Dîner einluden, bat er sich aus, dass er hierbei ohne weitere Gäste mit der Familie allein sein dürfe, weil er befürchtete, neben mir nicht aufkommen zu können, woran andrerseits ihm doch einigermassen gelegen sein müsste. Wir scherzten hierüber, was mir um so leichter fiel, als ich zu Zeiten wirklich sehr gern der Mühe der Unterhaltung so eigenthümlich kurzathmig und dürftig sich äussernder Menschen, als welchen ich auch Frantz zu erkennen hatte, überhoben war. Er verliess uns, ohne mich je wieder etwas von sich hören zu lassen.

Als ich jetzt ungefähr den ersten Akt meiner Dichtung von » Tristan« vollendet hatte, stellte sich dagegen ein neu vermähltes junges Paar in Zürich ein, welches allerdings hervorragende Ansprüche an meine Theilnahme geltend machen durfte. Gegen Anfang September traf Hans von Bülow mit seiner jungen Frau, Liszt's Tochter Cosima, im Gasthof zum »Raben« ein. Von dort holte ich sie ab, um für ihren längeren, mir vorzugsweise zugedachten Besuch, sie in meinem kleinen Häuschen aufzunehmen.

Der Monat September verfloss uns gemeinschaftlich in sehr anregender Weise. Zunächst vollendete ich während dem die Dichtung von » Tristan und Isolde«, von welcher Hans mir sogleich aktweise eine Reinschrift besorgte. Aktweise las ich sie bereits auch den Freunden vor, bis ich endlich eine kollektive Privat-Vorlesung davon halten konnte, welche viel Eindruck auf die wenigen nah befreundeten Zuhörer machte. Da Frau Wesendonck von dem letzten Akte besonders ergriffen schien, sagte ich tröstend, dass man hierüber nicht zu trauern habe, da es im allerbesten Falle bei so ernster Angelegenheit diese Art von Wendung nähme, – worin mir Cosima recht gab. Im Uebrigen musizirten wir sehr viel; denn nun endlich hatte ich an Bülow den richtigen Spieler für die furchtbaren Klindworth'schen Arrangements meiner Nibelungen-Partituren gewonnen. Aber auch die nur im Kompositions-Entwurfe niedergeschriebenen beiden Akte des Siegfried wusste Hans sofort sich derart anzueignen, dass er sie wie aus einem wirklichen Klavierauszuge zu spielen vermochte. Ich sang dazu, wie gewöhnlich, alle Partien; manchmal hatten wir einige Zuhörer, unter denen sich Frau Dr. Wille am besten anliess. Cosima hörte mit gesenktem Kopfe, und gab nichts von sich; wenn man in sie drang, fing sie an zu weinen.

Gegen Ende September's verliessen mich meine jungen Freunde, um nach ihrem Aufenthaltsorte Berlin, zum bürgerlich geschäftlichen Antritt ihrer Ehe, zurück zu reisen.

Wir hatten den »Nibelungen«, durch unser vieles Musiziren daraus, vorläufig eine Art von Grabgeläute gegeben, da sie nun gänzlich von mir bei Seite gelegt, und in der Folge bei ähnlichen Zusammenkünften nur mit immer vergilbterem Ansehen, wie zur Erinnerung, aus ihren Mappen hervorgeholt wurden. Anfang's Oktober begann ich dagegen sofort die Komposition des » Tristan«, davon ich den ersten Akt bis Neujahr vollendete, und bereits schon auch das Vorspiel instrumentirte. In dieser Zeit bildete sich bei mir eine träumerisch bange Zurückgezogenheit aus. Arbeit, weite Spaziergänge trotz rauher Witterung, des Abends Lektüre des Calderon, hieraus bestand die Gewohnheit, in welcher ich nur zu meinem grössten Missmuthe gestört wurde. Mein Zusammenhang mit der Welt bezog sich fast nur auf meine Verhandlungen mit dem Musikhändler Härtel wegen der Herausgabe des » Tristan«; da ich diesem meldete, ich hätte, im Gegensatze zu dem ungeheuren Nibelungen-Unternehmen, ein praktikables Werk im Sinne, welches in seinen Anforderungen für die Darsteller sich lediglich auf ein paar gute Sänger beschränke, zeigte er so grosse Lust auf mein Anerbieten einzugehen, dass ich mich unterstand, von ihm 400 Louisd'or zu fordern. Hierauf schrieb mir Härtel, ich möge seine Gegen-Anerbietungen in einem verschlossen beigelegten Briefe nur dann lesen, wenn ich zunächst von meinen Forderungen gänzlich abzustehen mich geneigt finden sollte, da er meinem beabsichtigten Werke nicht die Eigenschaft einer leichten Ausführbarkeit ansehen könnte. In dem verschlossenen Papiere fand ich nun, dass man nur 100 Louisd'or anbot, jedoch sich verpflichtete, nach fünf Jahren den Ertrag des Geschäftes mit mir zu theilen, oder aber meine Ansprüche hierauf durch eine abermalige Zahlung von 100 Louisd'or mir abzukaufen. Hierauf musste ich denn eingehen, und machte mich nun bald an die Instrumentation des ersten Aktes, um die Partitur sofort heftweise dem Stich zu übergeben.

Ausserdem interessirte mich in dieser Zeit eine im Monat November eintretende Krisis auf dem amerikanischen Geldmarkte, deren Folgen während einiger verhängnissvollen Wochen das ganze Vermögen meines Freundes Wesendonck in Frage zu stellen schienen. Ich entsinne mich, dass die Katastrophe von den Betroffenen mit vielem Anstand getragen wurde; doch gaben die Unterhaltungen über die Möglichkeit des Verkaufes von Haus, Hof und Pferden unseren abendlichen Zusammenkünften eine unvermeidlich schwermüthige Stimmung. Wesendonck verreiste, um mit verschiedenen auswärtigen Banquiers sich einzurichten; während dem ward regelmässig bei mir, wo ich des Vormittags am » Tristan« komponirt hatte, am Abend immer wieder Calderon vorgelesen, welcher um diese Zeit, nachdem ich mich durch Schack genügend auf das Bekanntwerden mit der dramatischen Litteratur der Spanier vorbereitet hatte, einen tiefen und nachhaltigen Eindruck auf mich machte. – Endlich ging die amerikanische Krisis glücklich vorüber, und das bald sich herausstellende Ergebniss davon war, dass Wesendonck's Vermögen sich dadurch um ein Bedeutendes vergrösserte. Nochmals las ich in diesen Winterabenden den » Tristan« einem weiteren Kreise von Freunden vor. Gottfried Keller erfreute namentlich die knappe Form des Ganzen, welches eigentlich nur drei ausgebildete Scenen enthielt. Semper ward aber böse darüber: er warf mir vor, Alles zu ernst zu nehmen; das Wohlthätige der künstlerischen Bildung eines solchen Stoffes bestünde eben darin, dass der Ernst desselben gebrochen würde, um selbst an dem Tieferregendsten einen Genuss gewinnen zu lassen. Das gerade gefalle ihm so an Mozart's Don Juan, dass man die tragischen Typen dort nur wie auf der Maskerade anträfe, wo dann selbst der Domino der Charakter-Maske noch vorzuziehen sei. Ich gab zu, dass ich mir es in vielem bequemer machen würde, wenn ich es mit dem Leben ernster, mit der Kunst dagegen etwas leichter nähme; nur würde es bei mir für jetzt wohl bei dem umgekehrten Verhältnisse verbleiben. Im Grunde schüttelte Jeder den Kopf. – Nachdem ich den ersten Akt in der Komposition entworfen, und den Charakter meiner musikalischen Ausführung näher erkannt hatte, gedachte ich allerdings wohl mit sonderbarem Lächeln meiner ersten Annahme, mit diesem Werke eine Art von »italienischer Oper« zu schreiben, und dass ich aus Brasilien nichts mehr erfuhr, beunruhigte mich allmählich immer weniger.

Dagegen ward ich am Ende dieses Jahres dringend auf die Vorgänge aufmerksam gemacht, welche in Paris meine Opern zu betreffen schienen. Von dorther meldete sich mir ein junger Auteur mit dem Wunsche, von mir mit der Uebersetzung meines »Tannhäuser« betraut zu werden, da der Direktor des Théâtre lyrique, Herr Carvalho, damit umginge, diese Oper in Paris aufzuführen. Ich erschrak hierüber, weil ich fürchten musste, meine Eigenthumsrechte für meine Werke seien für Frankreich nicht gesichert und man könne, was mir sehr widerwärtig war, nach Belieben dort darüber schalten. In welcher Art dieses aber eben auch an diesem Théâtre lyrique geschähe, hatte ich kurz zuvor aus einem Berichte über die Aufführung von Weber's »Euryanthe«, und der widerwärtigen Bearbeitung oder vielmehr Verstümmelung derselben zum Zwecke dieser Aufführung, ersehen. Da nun vor Kurzem die ältere Tochter Liszt's, Blandine, sich an den berühmten Advokaten E. Ollivier verheirathet hatte, und mir dadurch ein sehr ergiebiger Beistand gesichert war, fasste ich jetzt den Entschluss, auf etwa acht Tage nach Paris zu gehen, um der mir berichteten Angelegenheit dort nachzusehen, und jedenfalls mich der Bewahrung meiner Autorenrechte für Frankreich rechtsgültig zu versichern. Ausserdem war ich in schwermüthiger Seelenstimmung, wozu wohl wirkliche Ueberarbeitung, und zwar stetes Befassen mit eben solchen Arbeiten, an denen Semper, wenigstens im Betreff der Anspannung meiner Seelenkräfte, nicht mit Unrecht den zu grossen Ernst rügte, das Meiste beigetragen hatte. Von dieser Stimmung, in welcher ich andrerseits alle eigenthümlichen weltlichen Sorgen verachtete, legte ich, so viel ich mich entsinne, am Sylvestertage dieses Jahres (1857) in einem Briefe an meine alte Freundin Alwine Frommann ein Zeugniss nieder.

Mit dem Beginn des neuen Jahres 1858 nahm das Bedürfniss einer Unterbrechung in meiner Arbeit unabweisbar zu, so dass ich, ehe ich den gewünschten Ausflug mir nicht gestattet hätte, wahrhafte Scheu trug, an die Instrumentation des ersten Aktes von » Tristan und Isolde« zu gehen. Denn leider bot mir jetzt Zürich, mein Haus, und mein Freundesumgang auch gar keine Erholung mehr. Selbst die, als so annehmlich vorausgesetzte, unmittelbare Nachbarschaft der Familie Wesendonck musste mein Unbehagen nur steigern, da es mir wahrhaft unerträglich wurde, Abende hindurch Gesprächen und Unterhaltungen mich hinzugeben, an welchen, allermindestens zu gleichem Theile mit mir und allen Uebrigen, mein guter Freund Otto Wesendonck sich betheiligen zu müssen glaubte. Die Aengstlichkeit darüber, dass, wie er vermeinte, in seinem Hause sich bald Alles mehr nach mir als nach ihm richten würde, gab ihm ausserdem die eigenthümliche Wucht, mit welcher ein sich vernachlässigt Glaubender bei den von ihm empfundenen Befürchtungen, sich auf jedes Gespräch wirft welches in seiner Gegenwart geführt wird, ungefähr wie ein Löschhut auf das Licht. Mir ward bald Alles Druck und Last; nur wer diess gewahrte, und einiges Verständniss hiervon verrieth, konnte mir eine unter solchen Umständen immerhin nicht erheiternde Theilnahme erwecken. So beschloss ich denn mitten im harten Winter, trotzdem ich mit Geldmitteln hierfür augenblicklich ganz und gar nicht versehen war und deshalb allerhand ungeduldige Vorkehrungen treffen musste, die Ausführung meiner Excursion nach Paris, wobei ich den immer dunkel mir zu Grunde liegenden Gedanken eines Fortganges auf Nimmerwiederkehr deutlich wieder hervordämmern fühlte. Zu sehr angegriffen, um sogleich weiter reisen zu können, kam ich am 15. Januar in Strassburg an, und schrieb von dort an Eduard Devrient nach Karlsruhe, mit dem Vorschlage, es beim Grossherzoge zu vermitteln, dass auf meiner beabsichtigten Rückreise von Paris ich in Kehl etwa von einem Adjutanten desselben in Empfang genommen, und zu einem Besuche nach Karlsruhe begleitet werden könnte; denn dort wünschte ich vor Allem die für die Aufführung meines » Tristan« zu bestimmenden Sänger kennen zu lernen. Ich ward bald darauf über diese meine Anmaassung, herzogliche Adjutanten zu meiner Disposition haben zu wollen, von Eduard Devrient abgekanzelt; woraus ich ersah, dass er der Meinung war, ich hätte es dabei nur auf eine unsinnige Ehrenbezeugung abgesehen, wogegen ich nur die einzige praktische Möglichkeit, als politisch Geächteter zu einem rein künstlerischen Zwecke mich nach Karlsruhe wagen zu dürfen, in's Auge gefasst hatte. Ueber dieses Missverständniss musste ich denn lächeln; zu gleicher Zeit erschreckte mich aber dieser Zug von Seichtigkeit an meinem älteren Freunde genügend, um von hier an über dessen künftiges Benehmen gegen mich mir meine Gedanken zu bilden. – Für jetzt schleppte ich mich noch zur Erholung meiner abgespannten Nerven in der Abenddämmerung mühsam durch die öffentliche Promenade von Strassburg, und wurde beim Hinblick auf eine Theater-Affiche durch den Namen des » Tannhäuser« überrascht. Bei näherer Betrachtung war es die Ouvertüre zum Tannhäuser, welche beim Beginne der Vorstellung eines französischen Stückes aufgeführt werden sollte. Was hiermit gemeint sei, schien mir durchaus unbegreiflich; natürlich nahm ich auch meinen Platz im Theater, wo es sehr leer war: desto vollzähliger stellte sich aber das Orchester ein, welches in einem schönen Raume sich bis zu bedeutender Stärke versammelte, und unter der Leitung seines Kapellmeisters eine wirklich recht gute Aufführung meiner Ouvertüre zu Gehör brachte. Da ich ziemlich nah in den Sperrsitzen sass, hatte mich der Pauker, welcher im Jahre 1853 in meinen Züricher Aufführungen mitgespielt hatte, erkannt. Nun war es wie ein Lauffeuer durch das ganze Orchester bis zu dessen Chef gegangen, wo meine Anwesenheit jetzt eine grosse Aufregung verursachte. Das geringe Publikum, offenbar nur des französischen Schauspiels wegen gekommen, und gar nicht im Mindesten geneigt, von der Ouvertüre besondere Notiz zu nehmen, wurde nun sehr überrascht, als am Schlusse des Musikstückes der Kapellmeister mit dem ganzen Orchester nach meinem Sperrsitze sich hinwandte und einen enthusiastischen Applaus zu hören gab, gegen welchen ich mich denn allerdings zu verneigen hatte. Sehr gespannt folgten mir Aller Blicke, als ich nach diesem Auftritte den Saal verliess, um gebührender Weise den Kapellmeister aufzusuchen: dieser nannte sich Hasselmann, war Strassburger, und schien ein sehr gutmüthiger wohlwollender Mensch; er begleitete mich in meinen Gasthof, und berichtete mir unter Anderm auch, welche Bewandtniss es mit dieser, für mich so überraschenden Aufführung meiner Ouvertüre hatte. In Folge des reichen Legates eines Strassburger Bürger's und Musikfreundes, welcher schon zu dem Bau des Theater's das Meiste beigetragen, war dem Orchester, dessen guter Beschaffenheit seine Dotation galt, auferlegt, wöchentlich einmal bei gewöhnlichen Schauspiel-Aufführungen ein grösseres Instrumental-Stück im Theater mit voller Besetzung zu Gehör zu bringen. Diessmal war nun zufällig die Tannhäuser-Ouvertüre daran gekommen. Mir blieb hiervon nichts so lebhaft im Eindruck, als der Neid auf Strassburg, welches einmal solch' einen Bürger hervorgebracht hatte, dessengleichen in allen den Städten, wo ich je etwas mit Musik zu thun hatte, ganz besonders auch in Zürich, nie einer das Tageslicht erblickt hatte.

Während ich mit Kapellmeister Hasselmann die Strassburger Musikzustände besprach, fand in Paris das famose Attentat Orsini's auf den Kaiser statt; schon bei meiner Weiterreise am andern Morgen hörte ich die unklaren Gerüchte, ward aber, als ich am 17. in Paris ankam, vom Kellner meines Hôtels mit genauer Angabe der Umstände davon unterhalten. Ich hielt den Vorfall für einen boshaften, auf mich persönlich berechneten Zug des Schicksals; denn ich befürchtete noch beim Frühstück am andern Morgen sofort meinen alten Bekannten, den Agenten des Ministeriums des Innern, eintreten und mich als politischen Flüchtling zum sofortigen Verlassen von Paris auffordern zu sehen. Ich vermuthete desshalb, als Gast des grossen Hôtel du Louvre, welches um jene Zeit neu eröffnet war, in ein besseres Ansehen bei der Polizei zu gerathen, als in dem kleinen Winkel-Hôtel der rue des filles St. Thomas, welches ich der Wohlfeilheit wegen zunächst aufgesucht hatte. Eigentlich hatte ich mich in einem mir von früher her bekannten Hôtel der rue le Pelletier einquartieren wollen; gerade von hieraus war nun aber das Attentat verübt worden, und in diesem Hôtel hatte man die Hauptverbrecher aufgesucht und festgenommen. Wie sonderbar, wenn ich etwa zwei Tage früher in Paris angekommen und dort abgestiegen wäre!

Nach dieser Berathung mit dem Dämon meines Schicksals suchte ich zunächst Herrn Ollivier und dessen junge Frau auf. An ersterem fand ich alsbald einen sehr einnehmenden und thätigen Freund, welcher die Angelegenheit, die mich, der äusserlichen Bestimmung nach, Paris zugeführt hatte, sofort entschlossen in die Hand nahm. Wir gingen eines Tages zu einem ihm befreundeten, und wie es schien verpflichteten Notar; ich stellte dort eine geharnischte und wohl verklausulirte Vollmacht, zur Vertretung meiner Eigenthumsrechte als Autor, an Ollivier aus, und wurde, trotzdem viele Stempelformalitäten vor sich gingen, dort mit vollendeter Gastfreiheit behandelt, so dass ich mir unter meines neuen Freundes Schutz recht geborgen vorkam. Nun aber sollte ich, im Palais de Justice in der Salle des pas-perdus an Ollivier's Seite promenirend, erst noch den berühmtesten Advokaten der Welt, welche da in Barrett und Robe herumwandelten, vorgestellt und sogleich bis auf den Grad vertraulich bekannt gemacht werden, dass ich einem Kreis von ihnen, welcher sich um mich bildete, das Sujet des »Tannhäuser« zu expliziren veranlasst werden konnte. Das gefiel mir Alles sehr wohl. Nicht minder befriedigten mich meine Unterhaltungen mit Ollivier über dessen politische Aussichten und Stellung. Er glaubte nur noch an die Republik, welche nach dem unzweifelhaften Sturze der Napoleonischen Herrschaft von Neuem und dauernd hervortreten werde. Er und seine Freunde gingen nicht damit um, eine Revolution hervorzurufen, sondern nur sich darauf vorzubereiten, diese, wenn sie, wie nothwendig, eingetreten sein würde, nicht wieder der Ausbeutung durch Intriganten zu überlassen. In den Prinzipien ging er auf die äussersten Consequenzen des Sozialismus ein; er kannte und respektirte Proudhon, jedoch nicht als Politiker: nichts aber, so meinte er, könne sich für dauernd begründen, als durch die Initiative der politischen Einrichtung. Auf dem Wege der einfachen Gesetzgebung, auf welchem schon bisher aus Gründen der öffentlichen Nützlichkeit bedeutende Maassregeln gegen den Missbrauch des Privatrechtes eingeführt worden seien, würden allmählich die anscheinend kühnsten Forderungen für die Begründung eines gleichmässig vertheilten öffentlichen Wohles zur Geltung zu bringen sein. Ich bemerkte nun, zu meiner grossen Befriedigung, nicht unbedeutende Fortschritte in der Entwickelung meines Charakters gemacht zu haben, da ich dieses und manches andere anhören und besprechen konnte, ohne irgendwie in meine bei ähnlichen Diskussionen früher eintretende Aufgeregtheit zu verfallen.

Höchst angenehm wirkte hierbei Blandine auf mich, durch Sanftmuth, Heiterkeit und eine gewisse witzige Gelassenheit, bei andrerseits sehr schneller geistiger Apperzeption. Wir verstanden uns am Schnellsten; es genügte der leisesten Aeusserung, um uns über die Sache und die Personen, mit denen wir in Berührung kamen, sofort gegenseitig klar zu machen. – Es kam der Sonntag und mit ihm ein Conservatoire-Concert, wozu mir, da ich sonst nur zu Proben, nie aber zu Aufführungen davon gelangt war, die Freunde einen Platz zu verschaffen wussten, und zwar in der Loge der Wittwe des Komponisten Hérold, einer sehr sympathischen Frau, welche sich mir sofort als warme Parteigängerin für meine Musik beurkundete. Diese hatte sie zwar noch nicht selbst kennen gelernt; nur war sie durch den Enthusiasmus ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes, welche beide, wie ich früher erwähnte, auf ihrer Hochzeitsreise in Wien und Berlin den »Tannhäuser« gehört hatten, mitfühlend dafür gewonnen worden. Das kam mir alles recht angenehm wunderlich vor. Dazu hörte ich hier denn auch zum ersten Male in meinem Leben eine Aufführung der »Jahreszeiten« von Haydn, welche dem Publikum ein ganz ausserordentliches Vergnügen verursachte, da es namentlich die der modernen Musik entfremdeten, bei Haydn so überhäufig die musikalischen Phrasen abschliessenden, stabilen Cadenz-Melismen als besonders originelle und reizende Züge aufnahm. Der Rest des Tages ward im vollsten Schoosse der Familie Hérold auf recht angenehme Weise zugebracht; dort fand sich am Schlusse des Abends auch ein Mann ein, dessen Erscheinen gerade heute eine auffallende Wichtigkeit beigemessen wurde. Es war diess Herr Scudo, von dem ich erst nachher erfuhr, dass er, als sehr mächtiger musikalischer Mitarbeiter der Revue des deux Mondes, in andern Journalen einen grossen Einfluss ausübe, und zwar bisher in einem mir entschieden ungünstigen Sinne. Die freundliche Wirthin hatte gewünscht, bei dieser Gelegenheit ihn, durch sein Bekanntwerden mit mir, freundschaftlich für mich zu stimmen. Ich erklärte, dass durch Unterhaltungen an einem Salon-Abende hiefür wohl nicht viel erreicht werden könnte, und fand auch späterhin bestätigt, dass die Gründe, aus welchen ein solcher Herr, ohne irgend welche Kenntniss von dem Gegenstand erlangt zu haben, sich gegen einen Künstler erklärt, weder mit dessen Ueberzeugung, noch selbst seinem Gefallen oder Nichtgefallen etwas zu thun haben. Bei jener späteren Gelegenheit musste sogar, in einem Berichte des Herrn Scudo über meine Konzerte, die freundliche Familie es büssen, dass sie sich für mich verwendet hatte, da sie selbst als eine Familie von »akuten demokratischen Grundsätzen« dort dem Gespötte preisgegeben wurde.

Jetzt suchte ich auch meinen in London neu gewonnenen Freund Berlioz auf, und fand ihn im Ganzen freundlich gestimmt. Ich hatte ihm mitgetheilt, dass ich eben nur für einen kurzen Ausflug zu meiner Zerstreuung in Paris eingekehrt sei. Er war damals mit der Ausführung der Komposition einer grossen Oper »die Trojaner« beschäftigt; um von dem Werke einen Eindruck zu gewinnen, lag mir vor Allem daran, das Gedicht, welches er selbst verfasst hatte, kennen zu lernen. Er verwendete einen Abend dazu, mir allein dasselbe vorzulesen: hierbei ward mir sehr übel zu Muthe, sowohl was die Konzeption der Dichtung selbst, als andrerseits seinen sonderbar trockenen und dabei theatralisch affektirten Vortrag anbelangte. Ich glaubte namentlich in dem letzteren auch den Charakter der Musik zu gewahren, in welchem er seinen Text komponirt haben möchte, und verfiel darüber in vollständige Trostlosigkeit, da ich anderseits ersah, dass Berlioz dieses Werk für das Hauptwerk, und seine zu erzielende Aufführung für den Hauptzweck seines Lebens ansähe.

Mit Ollivier's wurde ich auch von der Familie Erard, in welcher ich meine alte Freundin, die Wittwe Spontini's, wieder antraf, eingeladen; wir brachten da einen ziemlich üppigen Abend zu, an welchem ich sehr sonderbarer Weise die musikalische Unterhaltung am Klaviere zu stellen hatte. Man behauptete, die verschiedenen Reminiszenzen, welche ich in meiner ungefähren Art auf diese Weise aus meinen Opern zum Besten gab, recht gut verstanden, und mit höchstem Gefallen genossen zu haben. Jedenfalls hatte der prachtvolle Salon nie gemüthlicher musiziren gehört. Ausserdem gewann ich den ungeheuren Vortheil, durch das freundliche Entgegenkommen der Mme Erard und ihres, nun seit dem Tode ihres Mannes das Geschäft führenden Schwagers Schäffer, mich des Besitzes eines der berühmten Flügel jener Fabrik zu versichern. Hiermit schien mir der dunkle Zweck meines Ausfluges nach Paris eigentlich sein helles Licht gewonnen zu haben; denn ich war so sehr erfreut hierüber, dass ich, jedes übrige Resultat für durchaus chimärisch erkennend, hierin einzig den wahren Erfolg ersah.

In erheiterter Laune verliess ich somit am 2. Februar Paris, um auf der Heimreise noch meinen alten Freund Kietz in Epernay aufzusuchen. Dort hatte Herr Paul Chandon, ein zufälliger Jugendbekannter Kietz's, sich des verunglückten Malers angenommen, indem er ihn völlig zu sich in das Haus gezogen, und ihm eine Reihe von Bestellungen auf Portraits zugewiesen hatte. Bei meiner Ankunft wurde ich sogleich unwiderstehlich in das gastfreundliche Haus Chandon's gezogen, und durfte mich nicht weigern, zwei Tage dort auszuruhen; denn auch ich traf in Chandon einen passionirten Freund meiner Opern, namentlich des Rienzi, dessen erster Aufführung er in Dresden seiner Zeit beigewohnt hatte. Hier besuchte ich denn auch jene fabelhaften Weinkeller, welche sich meilenweit in den Eingeweiden des Felsenbodens der Champagne hinziehen. Kietz traf ich über einem Oelportrait an, von welchem allgemein die Meinung herrschte, es werde fertig werden, was mich sehr interessirte.

Nach vieler unnöthiger Unterhaltung befreite ich mich endlich auch von dieser unverhofften Gastfreundschaft, und kam am 5. Februar nach Zürich zurück, wo ich brieflich zum Voraus sogleich für meine Ankunft eine Abend-Gesellschaft bestellt hatte, da ich vielerlei zu erzählen zu haben glaubte, und diess nicht, wie gewöhnlich, durch ermüdende Detail-Mittheilungen an meine einzelnen Freunde, sondern sogleich collective mit einem Male abmachen wollte. Semper, der sich in der Gesellschaft befand, und sich ärgerte, in Zürich gewesen zu sein, während ich in Paris war, wurde höchst übler Laune über meine heiteren Mittheilungen, und erklärte mich für einen »unverschämten Sohn des Glückes«, da er es offenbar als sein grösstes Unglück betrachtete, an sein »Züricher Nest« angekettet zu sein.

Wie hatte ich innerlich zu dieser Beneidung meines »Glückes« zu lächeln! Meine äusseren Geschäfte gingen schwerfällig vorwärts, da jetzt meine Opern ziemlich überall hin verkauft waren, und mir jetzt nicht viel von meinem Erwerbs-Kapitale mehr übrig blieb. Da ich nun einmal doch von allen diesen Aufführungen nichts anderes erfuhr und kennen lernte, als das wenige Geld, welches sie mir einbrachten, so war ich auch darauf verfallen, den » Rienzi«, als für unsere schlechten Theater eigentlich recht geeignet, noch in den Kauf zu bringen: um ihn anbieten zu können, war eine Wiederaufnahme desselben in Dresden wünschenswerth; diese ward aber durch den Eindruck des Orsini'schen Attentates, wie man wenigstens vorgab, verhindert. – So arbeitete ich denn an der Instrumentation des ersten Aktes von » Tristan« weiter, und konnte mir während dem immer weniger verheimlichen, dass gegen die Verbreitung dieser Arbeit auf den Theatern sich wahrscheinlich noch andere Einwände, als die der politischen Verfänglichkeit, einstellen würden. So arbeitete ich denn in das Blaue, eigenthümlich Hoffnungslose, hinein. –

Im Monat März eröffnete mir Frau Wesendonck, dass sie zur Feier des Geburtstages ihres Gemahles eine Art von Musikaufführung in ihrem Hause vor sich gehen lassen möchte; hierauf war sie durch eine kleine Morgenmusik verfallen, welche ich im Laufe des Winters an ihrem eigenen Geburtstagsmorgen, mit Hülfe von acht Züricher Musikern, freundnachbarlich bewerkstelligt hatte. Der Stolz der Wesendonck'schen Villa bestand nämlich in einem, verhältnissmässig nicht ungeräumigen, von Pariser Stukatur-Arbeitern recht elegant hergerichteten, Treppenhause, von welchem ich einmal behauptet hatte, Musik müsse sich da nicht übel ausnehmen. Diess war bei jener vorangegangenen Gelegenheit im Kleinen erprobt worden, und sollte sich nun im Grossen bewähren. Ich erbot mich, ein anständiges Orchester zusammen zu bringen, um Fragmente aus Beethoven'schen Symphonien, bestehend vorzüglich aus den heiteren Sätzen derselben, zur gesellschaftlichen Unterhaltung aufzuführen. Die nöthigen Vorbereitungen hierzu nahmen jedoch Zeit hinweg, und das Datum des Geburtstages musste überschritten werden. So gelangten wir bis in die Osterzeit, und unser Konzert ging an einem der letzten Tage des Monat März vor sich. Das Ganze des musikalischen Hausfestes glückte in der That recht nach Wunsche; ein für die Beethoven'sche Instrumentation vollzähliges Orchester spielte der, in den umgebenden Gesellschaftsräumen vertheilten, Gastversammlung eine kombinirte Auswahl von Symphonie-Fragmenten, unter meiner Anleitung, mit dem besten Gelingen vor. Das Unerhörte eines solchen Haus-Konzertes schien Alles in eine sehr erregte Stimmung zu versetzen; mir ward beim Beginn der Aufführung durch die junge Tochter des Hauses ein schöner, nach Semper's Zeichnung in Elfenbein geschnitzter Taktstock (der erste und einzige mir zum Ehrengeschenk gemachte) überreicht. An Blumen und Zierbäumen, unter denen ich beim Dirigiren stand, fehlte es auch nicht, und als wir, meinem Geschmacke für die Wirkung einer Musik-Aufführung gemäss, nicht mit einem rauschenden, sondern mit einem tief beruhigenden Stücke, dem Adagio der neunten Symphonie geschlossen, durfte man sich wohl sagen, dass die Züricher Gesellschaft etwas nicht ganz Gewöhnliches erlebt hatte.

Auch meine Freunde, denen zunächst die von mir erwiesene Auszeichnung gegolten hatte, waren davon tief und feierlich ergriffen. Auf mich wirkte der Eindruck dieses Festes in der wehmüthigen Weise, wie eine Mahnung daran, dass der mögliche Höhepunkt einer Lebensbeziehung erreicht, ja dass der eigentliche Gehalt derselben bereits überboten und die Sehne des Bogens überspannt sei. Mir wurde späterhin von Frau Dr Wille mitgetheilt, dass sie an jenem Abende von ähnlichen Empfindungen beherrscht worden sei. – Am 3. April sandte ich das Manuskript der Partitur des ersten Aktes von » Tristan und Isolde« zum Stiche nach Leipzig ab; die mit Bleistift skizzirten Blätter der Instrumentation des Vorspieles, welche ich früher bereits an Frau Wesendonck versprochen hatte, schickte ich dieser in die Nachbarschaft hinüber, und begleitete die Sendung mit einem Briefchen, in welchem ich ihr ernst und ruhig die damals mich beherrschende Stimmung mittheilte. Meine Frau war seit einiger Zeit über ihr Verhältniss zu unserer Nachbarin bedenklich geworden; sie beklagte sich immer gereizter, von ihr nicht mit der Aufmerksamkeit behandelt zu werden, als es der Frau eines Mannes, welchen man so gerne bei sich sähe, gebührte; und überhaupt fand sie, dass bei unseren geselligen Zusammenkünften es von Seiten unsrer Freundin sich weniger um Besuche bei ihr, als bei mir handle. Noch nicht hatte sie aber einen eigentlichen eifersüchtigen Verdacht laut werden lassen. Zufällig im Gärtchen sich aufhaltend, traf sie nun an diesem Morgen auf meine Sendung, nahm diese dem Dienstboten ab, erbrach und öffnete den Brief. Da ihr das Verständniss der in diesen Zeilen ausgesprochenen Stimmung durchaus unmöglich war, hielt sie sich desto mehr an eine, ihr geläufige, triviale Deutung der Worte, und glaubte sich demnach berechtigt, in mein Zimmer zu treten, um mir in dem Sinne einer solchen von ihr gemachten schrecklichen Entdeckung die sonderbarsten Vorwürfe zu machen. Sie hat mir nachher gestanden, dass sie hierbei nichts so sehr empört habe, als meine grosse Ruhe und die ihr dünkende Gleichgiltigkeit, mit welcher ich ihrem thörigten Benehmen entgegnete. Wirklich sagte ich ihr kein Wort, veränderte kaum meine Stellung, und liess sie einfach wieder zur Thüre hinaus gehen. Mir selbst sagte ich aber, dass diess also die Form sei, unter welcher die Unerträglichkeit meines nun vor acht Jahren wieder angeknüpften ehelichen Verhältnisses mir unabweisbar zum Bewusstsein kommen und mein Leben fortan entscheiden sollte. Durch eine sehr bestimmte Aufforderung, sich ruhig zu verhalten und sowohl in ihrem Urtheile, wie in ihrer Handlungsweise sich keiner Missgriffe schuldig zu machen, suchte ich auch Minna von der eigenthümlichen Bedeutung, welche der nichtige Vorgang für uns gewonnen habe, zu unterrichten. Wirklich schien sie etwas davon zu verstehen, und versprach mir, sich ruhig zu verhalten und ihrer thörigten Eifersucht keine Folge zu geben. Leider stand die Aermste aber bereits unter der Einwirkung einer bedenklichen Steigerung ihres Herzleidens auf ihr Gemüth; die eigenthümliche Schwarzsichtigkeit und qualvolle Unruhe, welche vollständige Herzerweiterungen auf die Leidenden ausüben, mochten sie nicht mehr verlassen: sie glaubte nach einigen Tagen sich das Herz erleichtern zu müssen, was ihr nur dadurch möglich dünkte, dass sie unsre Nachbarin, ihrer Ansicht nach wohlmeinend, vor den Folgen etwaiger unvorsichtiger Vertraulichkeiten gegen mich warnte. Von einem Spaziergange heimkehrend, traf ich Herrn und Frau Wesendonck im Wagen, soeben auf einer Ausfahrt begriffen; ich bemerkte ihre verstörte Haltung, und dagegen den sonderbar lächelnden zufriedenen Ausdruck in der Miene ihres Gemahl's. Mir war es sogleich klar, was hier vorgegangen; denn auch meine Frau traf ich merkwürdig erheitert an; sie reichte mir mit grosser Biederkeit die Hand, und kündigte mir ihre erneuerte Freundschaft an. Meiner Frage darnach, ob sie ihr Versprechen etwa gebrochen habe, antwortete sie zuversichtlich, dass sie allerdings als kluge Frau die Sache in Ordnung habe bringen müssen. Ich deutete hierauf ihr an, dass sie vermuthlich sehr üble Folgen ihres Wortbruches erleben würde; für's erste aber dünke es mich unerlässlich, dass sie, in der bereits zuvor zwischen uns berathenen Weise, auf einige Stärkung ihrer Gesundheit bedacht zu sein, und dazu den ihr empfohlenen Kurort Brestenberg am Hallwyler-See in den nächsten Tagen aufzusuchen haben werde. Wirklich war uns von vorzüglichen Kuren, welche der dortige Arzt gegen Herzleiden angewendet hatte, berichtet worden. Auch Minna war mit dem Antritte seiner Behandlung ihres Leidens einverstanden; und so begleitete ich sie bereits nach wenigen Tagen, während welcher ich Erkundigungen nach dem Vorgefallenen im nachbarlichen Hause auswich, mit ihrem Papagey nach dem etwa eine viertel Tagereise entfernten, angenehm gelegenen und erträglich eingerichteten Kurorte. Als ich sie dort zurückliess, überkam ihr beim Abschiede das Gefühl des peinlichen Ernstes unserer Lage; ich konnte ihr wenig mehr zum Troste sagen, als dass ich versuchen wollte, die gefürchteten Folgen ihres Wortbruches für unser ferneres Bestehen unschädlich zu machen.

Nach meiner Heimkehr hatte ich nun die üble Wirkung des Benehmens meiner Frau gegen unsre Nachbarin genauer zu erfahren. In ihrer gröblichen Missverkennung meines wirklichen, freundschaftlichen Verhältnisses zu der stets angelegentlich um meine Ruhe und um mein Wohlergehen besorgten jungen Frau, war Minna soweit gegangen, mit Mittheilungen an deren Mann zu drohen, und hatte diese, welche in Wahrheit keines Fehltrittes sich bewusst war, dadurch so sehr beleidigt, dass sie über mich selbst in Verwunderung gerieth, weil sie nicht begriff, wie ich meine Frau in solche Verwirrung hätte gerathen können lassen. Der Ausgang der hierdurch hervorgerufenen Verstörung der Lage gestaltete sich schliesslich, namentlich durch die besonnene Vermittelung unserer allerseitigen Freundin Frau Dr Wille, dahin, dass ich im Betreff des Benehmens meiner Frau wohl von jeder Art von Mitschuld frei gesprochen, jedoch es mir zu Gemüthe geführt wurde, dass fortan der Gekränkten es doch unmöglich sein würde mein Haus wieder zu betreten, noch überhaupt den Umgang mit meiner Frau fortzusetzen. Dass ich diesem nur durch das Aufgeben meiner Niederlassung und durch meinen Fortgang von Zürich entgegnen können würde, schien man sich nicht deutlich gemacht zu haben, und überhaupt nicht zugeben zu wollen. Selbst ich gerieth, da mein Verhältniss zu der befreundeten Familie, wenn auch gestört, doch in Wahrheit nicht untergraben war, in der Folge auf den Gedanken, es möchte sich mit der Zeit dieses Alles wohl ruhig entwirren, und musste hierfür natürlich vor Allem auf eine Besserung des Zustandes meiner Frau rechnen, durch welche es auch dieser ermöglicht werden dürfte, ihre begangenen Thorheiten einzusehen, und mit gutem Verstande fortan den Umgang mit den Nachbaren auch sich selbst wieder zu ermöglichen.

Hierüber verging einige Zeit, welche auch eine mehrwöchentliche Vergnügungsreise der Familie Wesendonck nach Ober-Italien einschloss. – Fast wehmüthig anregend wirkte auf mich die Ankunft des bisher versprochenen Erard'schen Flügels; ich ersah jetzt plötzlich, mit welchem tonlosen Instrumente, meinem alten Kapellmeister-Flügel von Breitkopf und Härtel, ich mich bis jetzt beholfen hatte, und verwies diesen sofort in den unteren Wohnungsraum, wohin meine Frau, als konservatives Element, sich denselben erbeten hatte. (Sie hat ihn später mit sich nach Sachsen gebracht und, ich glaube, für 100 Thaler verkauft.) Der neue Flügel schmeichelte meiner musikalischen Empfindung ungemein, und ganz von selbst gerieth ich beim Phantasiren auf die weichen Nachtklänge des zweiten Aktes von Tristan, dessen Komposition ich wirklich jetzt mit Anfang Mai zu skizziren begann.

Eine unerwartete Unterbrechung betraf mich hierin durch die Aufforderung des Grossherzogs von Weimar, ihn in Luzern, welches er auf seiner Rückkehr von einer italienischen Reise berührte, an einem bestimmten Tage zu treffen. Ich folgte dieser Einladung, und gelangte so, in einem Luzerner Gasthofe, auf dem Zimmer des Kammerherrn von Beaulieu, welcher mir schon aus der Zeit meiner Flucht bekannt war, zu einer längern Unterredung mit meinem ehemaligen anscheinenden Protektor. Es ging mir aus dieser Unterhaltung hervor, dass mein Vernehmen mit dem Grossherzoge von Baden, wegen der Aufführung des Tristan in Karlsruhe, einigen Eindruck am Weimarischen Hofe gemacht hatte. Denn, indem Karl Alexander dieses Verhältnisses ausdrücklich Erwähnung that, lag ihm daran, im Betreff meiner Nibelungen-Arbeit gegen seine eigenen Erklärungen, dass er stets noch vom lebhaftesten Interesse dafür erfüllt sei, meinerseits die Versicherung zu erhalten, dass ich die Aufführung dieses Werkes für Weimar bestimmen wollte. Es fiel mir leicht in dieser Hinsicht ihm keinerlei Schwierigkeiten zu machen. Im Uebrigen unterhielt mich die ganze Persönlichkeit des sehr ungenirt wohlwollend auf einem engen Kanapée mit mir plaudernden Fürsten, welcher andrerseits durch eine sonderbare Gewähltheit der Ausdrücke und der Sprache mir offenbar einen vortheilhaften Eindruck von seiner Bildung zu geben bemüht war. Auffallend war es, dass es ihn in seiner würdigen Haltung nicht im mindesten störte, als Herr von Beaulieu im allertrockensten Tone ziemlich plumpe Bemerkungen zu unsrer Unterhaltung machte. Nachdem mich der Grossherzog in den sorgfältigsten Ausdrücken um meine »eigentliche Meinung« über Liszt's Kompositionen gefragt hatte, erweckte es mir ein sonderbares Erstaunen, in seiner ganzen Haltung nicht das mindeste Unbehagen zu erkennen, als über seinen, von ihm so hochgeehrten Freund, der Kammerherr bei dieser Gelegenheit kurz heraus die allerabsprechendsten Meinungen hervorbrachte, nämlich in der Weise, dass Liszt's Komponiren doch wohl nur eine Raupe des grossen Virtuosen sei. Diess gab mir denn einen sonderbaren Einblick in dieses fürstliche Freundschafts-Verhältniss, während ich meine Mühe hatte einen ernsthaften Ton der Unterredung aufrecht zu erhalten. Noch einmal musste ich am Morgen des anderen Tages dem Grossherzoge einen Besuch machen; diessmal traf ich ihn ohne Kammerherrn, was jedenfalls vortheilhaft auf die Wärme der Aeusserungen des Fürsten über seinen Freund wirkte, von welchem er jetzt, unter vier Augen, mir laut bekannte, dass sein Rath und überhaupt sein anfeuernder Umgang von ihm nicht hoch genug geschätzt werden könne. Auch hatte ich nun die Ueberraschung, die Frau Grossherzogin zu uns treten zu sehen und von ihr mit einer höchst verbindlichen Verneigung, welche ihrer grossen Regelmässigkeit wegen mir unvergesslich geblieben ist, empfangen zu werden. Jedenfalls zählte die Begegnung mit mir bei den hohen Herrschaften zu einem erträglich angenehmen Reise-Abenteuer; im Uebrigen habe ich seitdem Diess ist im Jahre 1869 dictirt. nie wieder etwas von ihnen vernommen. Als ich später Liszt, kurz vor seinem Fortgange von Weimar, daselbst besuchte, war es ihm unmöglich den Grossherzog dazu zu bewegen mich bei sich zu empfangen!

Kurz nachdem ich von diesem Ausfluge zurückgekehrt war, traf eines Tages, mit einem empfehlenden Briefe Liszt's versehen, Karl Tausig bei mir ein. Er war damals 16 Jahre alt, und überraschte, bei grosser körperlicher Niedlichkeit, im Betreff seines Verstandes und seines ganzen Benehmen's durch eine ungemeine Frühreife. Bereits war er in Folge eines öffentlichen Auftreten's als Klavierspieler in Wien als » Zukunfts-Liszt begrüsst worden. Ungefähr in dieser Weise benahm er sich auch; nur rauchte er bereits schon jetzt die allerstärksten Cigarren welche aufzutreiben waren, so dass ich ein wahres Entsetzen darüber empfand. Andrerseits freute mich sein Entschluss, einige Zeit in meiner Nähe zuzubringen, um so mehr, als ich neben seinem unterhaltenden, halb kindischen und dabei sehr verständigen, ja bereits abgefeimten Wesen, mich an sein ganz erstaunlich fertiges Klavierspiel, wie überhaupt seine schnelle musikalische Fassungskraft, in erfreulichster Weise halten konnte. Er spielte, was man sich nur denken konnte, vom Blatt, und wusste seine ungemeine Fertigkeit für die muthwilligsten Streiche zu meiner Unterhaltung zu verwenden. Alsbald siedelte er sich ganz in meiner Nähe an, war mein täglicher Gast bei den verschiedenen Mahlzeiten und musste mich auch auf meinen regelmässigen Spaziergängen in das Sihlthal begleiten, wovon er sich jedoch bald zu befreien suchte. Auch zu einem Besuche Minna's in Brestenberg hatte er mich zu begleiten; als ich diese Ausflüge aus Antheil an dem Erfolge der Kur fast regelmässig alle acht Tage wiederholte, suchte sich Tausig jedoch auch hiervon bald frei zu machen, da ihm weder Brestenberg noch der Umgang mit Minna zu behagen schien.

Dafür konnte er einem wiederholten Zusammensein mit ihr nicht ausweichen, als sie Ende Mai's, durch ihre Sorge für das Hauswesen getrieben, ihre Kur unterbrechend auf einige Tage zu mir kam. Ich bemerkte an ihrem Benehmen, dass sie den vergangenen häuslichen Vorfällen jetzt keine weitere Bedeutung mehr beilegen zu dürfen glaubte, indem sie ungefähr der Meinung war, es habe sich hier um eine »kleine Liebschaft« gehandelt, welche sie in Ordnung gebracht hätte. Da sie hierüber mit einer gewissen unangenehmen Leichtfertigkeit sich äusserte, musste ich ihr eines Abends, so gern ich für jetzt aus Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand es ihr fern gehalten hätte, unsere Lage genau und bestimmt dahin zur Erkenntniss bringen, dass, durch die Folgen ihres Ungehorsames und ihres thörigten Benehmens gegen unsre Nachbarin, die Möglichkeit unsres Verbleibens auf dem, mit solcher Mühe kaum erst hergerichteten Grundstücke, von mir in den allerernstlichsten Zweifel gezogen werde, und ich sie eben darauf vorbereiten müsse, die Nothwendigkeit unsrer Trennung in das Auge zu fassen, da ich für den gefürchteten Fall entschlossen sei, an eine ähnliche gemeinschaftliche häusliche Einrichtung irgend wo anders nicht wieder zu gehen. Vieles Ernste, was ich bei dieser Gelegenheit meiner Frau über den ganzen Charakter unsres verflossenen Zusammenlebens zu Gemüthe zu führen hatte, schien sie, namentlich bei dem Innewerden davon, dass sie an dem Einsturze des letzten mühsamen Aufbaues unsres bürgerlichen Leben's Schuld trage, heftig zu erschüttern, so dass ich sie hier, zum ersten Male in unsrem Leben, in eine weiche und würdige Klage ausbrechen hörte. Zum ersten und einzigen Male gab sie mir das Zeichen einer liebevollen Demuth, indem sie mir, als ich in tiefer Nacht von ihr mich zurückzog, die Hand küsste. Dieses rührte mich ausserordentlich, und erweckte mir schnell den Gedanken an die Möglichkeit einer grossen und entscheidenden Umkehr im Charakter der armen Frau; und diess bestimmte mich selbst wiederum, meine Hoffnung auf die Möglichkeit eines guten Bestehens in der zuletzt eingenommenen Lebenslage zu setzen.

Diese Hoffnung zu unterstützen liess sich jetzt auch alles an: meine Frau kehrte zur Vollendung der zweiten Hälfte ihrer Kur nach Brestenberg zurück; die üppigste Sommerwitterung begünstigte meine Aufgelegtheit zur Arbeit am zweiten Akt des »Tristan«; die Abende mit Tausig erheiterten mich; meine Beziehungen zu meinen Nachbaren liessen sich, wie sie sich mir nie feindselig gezeigt hatten, ganz so an, wie ich es für die Gestaltung eines zukünftigen Verhältnisses als würdig und wünschenswerth ansehen musste. Es war leicht anzunehmen, dass, wenn meine Frau nach der gänzlichen Beendigung ihrer Kur noch für einige Zeit ihre Verwandten in Sachsen besucht hätte, endlich die Zeit genügend Macht gewinnen würde, um alles Geschehene der Vergessenheit anheim fallen zu lassen, so dass auch durch ihr Benehmen, sowie durch die anderseitige Stimmung der sich so ernstlich beleidigt wähnenden Nachbarin, ein tadelloser gegenseitiger Umgang sich von selbst wieder ermöglichen musste.

Was diese friedliche Stimmung mir noch erheiterte, war bald zu erwartender angenehmer Besuch, so wie zunächst bereits erfreuliche Beziehungen zu den zwei bedeutendsten deutschen Theatern. Im Juni meldete sich bereits der Berliner Intendant auch für Lohengrin, worüber es bald zu einer Einigung kam. Aber auch in Wien hatte das forcirte Eindringen des »Tannhäuser« seinen Eindruck auf die bisherige Haltung der Hoftheater-Direktion hervorgebracht: mit der technischen Leitung des Operntheaters war seit kurzem der gut berufene Kapellmeister Karl Eckert betraut worden; dieser ergriff den glücklichen Umstand eines damals an seinem Theater vereinigten vorzüglichen Sängerpersonales, sowie den andern, einer nöthig gefundenen Restauration des Theatersaales selbst, durch welche eine Schliessung der Vorstellungen herbeigeführt wurde und somit die günstige freie Zeit für das Studium eines neuen schwierigen Werkes gegeben war, um nun bei seiner Hofbehörde die Annahme meines Lohengrin durchzusetzen; und jetzt machte er mir darauf hin seine Anerbietungen. Ich wollte auf der Einräumung von »Autoren-Rechten«, wie sie in Berlin gewährt waren, bestehen; diese wollte man mir jedoch nicht gewähren können, weil das gegenwärtige alte Theaterhaus bei seinen höchst beschränkten räumlichen Verhältnissen nur sehr dürftige Einnahmen gewähre. Dagegen sah ich nun eines Tages den Kapellmeister Esser, eigenst hierzu von Wien entsandt, selbst bei mir eintreten, um jedenfalls alles sogleich in Richtigkeit zu bringen, indem er mir im Namen der Direktion für die ersten zwanzig Aufführungen des »Lohengrin« 1000 Gulden sofort auszuzahlen, und nach diesen zwanzig Aufführungen eine abermalige Zahlung von 1000 Gulden mir zuzusagen hatte. Das ganz zutrauliche und freundliche Benehmen des ehrlichen Musikers gewann mich sofort, und ohne Weiteres schloss ich mit ihm ab, was denn nun zur Folge hatte, dass Esser sofort mit mir die Partitur des »Lohengrin« eifrig und gewissenhaft durchnahm, und alle meine Wünsche sich wohl notirte. Mit dem besten Vertrauen auf einen guten Erfolg entliess ich ihn, als er dann von mir Abschied nahm um sich in Wien sofort an die Arbeit zu machen.

In guter Stimmung beendigte ich somit Anfang Juli die Compositions-Skizzen des zweiten Aktes von Tristan, und begann auch bereits die festere Ausführung davon, womit ich jedoch nicht ganz über die erste Scene hinaus gerieth, weil ich von nun ab andauernden Unterbrechungen in der Arbeit ausgesetzt war. Jetzt traf nämlich abermals Tichatschek zum Besuche bei mir ein, und bezog mein kleines Fremden-Stübchen, um sich von seinen letzten Anstrengungen, wie er sagte, bei mir etwas zu erholen; er hatte sich nämlich zu rühmen, nach abermaliger längerer Verpönung derselben, meine Opern wieder auf das Repertoire des Dresdener Theaters gebracht, und siegreich an ihnen mitgewirkt zu haben. Auch der Lohengrin sollte jetzt dort gegeben werden. War diess nun sehr erfreulich, so wusste ich mit dem guten Menschen in so grosser Nähe doch nichts anzufangen. Glücklicherweise konnte ich ihn an Tausig zuweisen; dieser verstand meine Verlegenheit, und zog Tichatschek ziemlich den ganzen Tag über durch Kartenspiel an sich. – Bald kam auch der junge, seiner grossen Begabung wegen mir so sehr gerühmte, Tenorist Niemann mit seiner Braut, der bedeutenden Schauspielerin Seebach an, und machte namentlich durch seine fast übermenschliche Gestalt auf mich den Eindruck, als sei er mir zum »Siegfried« bestimmt. Dass ich zwei berühmte Tenoristen zu gleicher Zeit bei mir hatte, führte den Uebelstand herbei, dass keiner von beiden mir etwas sang, weil sie sich vor einander genirten. Von Niemann nahm ich jedoch in gutem Glauben an, dass auch seine Stimme seiner imponirenden Persönlichkeit gleich kommen müsse.

Hierüber holte ich nun am 15. Juli meine Frau von Brestenberg ab, um sie wieder in unser Haus zu geleiten. Während meiner kurzen Entfernung hatte mein Diener, ein verschmitzter Sachse, geglaubt, durch Errichtung einer Art von Ehrenpforte dem Empfange der zurückkehrenden Hausherrin einige Feierlichkeit geben zu müssen. Diess führte zu grossen Verwirrungen: Minna überzeugte sich zu ihrer grossen Befriedigung sogleich davon, dass dieser blumengeschmückte Ehrenbogen unseren Nachbaren stark in die Augen fallen müsse, und vermeinte, dass Jenen hiermit genug gesagt sei, um ihre Zurückkehr in das Haus nicht etwa als eine demüthigende Wiederaufnahme in dasselbe betrachten zu können. Sie hielt mit triumphirendem Behagen darauf, dass diese Festzeichen mehrere Tage lang nicht entfernt würden. – In der gleichen Zeit waren nun auch Bülow's, ihrem Versprechen getreu, zu einem abermaligen Besuche bei mir eingetroffen. Immer verzögerte der unglückliche Tichatschek noch seine Abreise, und nahm somit das einzige kleine Gastzimmerchen fortwährend in Beschlag, so dass ich die Freunde für mehrere Tage noch im Gasthof lassen musste. Doch ward mir alsbald durch die Besuche, welche diese nicht nur bei mir sondern auch bei Wesendonck's machten, Gelegenheit zu erfahren, welche Wirkung die Ehrenpforte zu meiner grossen Ueberraschung auf das Gemüth der, fortwährend noch das Gefühl ihrer Beleidigung nährenden, jungen Frau unsres Nachbar's ausgeübt hatte. Als ich von den leidenschaftlichen Excessen dieser Seite benachrichtigt wurde, sah ich nun ein, bis zu welcher Confusion alles gediehen war, und gab sofort jede Hoffnung eines friedlichen Ausgleiches der zwistigen Lage auf. Es waren diess einige Tage der unausstehlichsten Verwirrung: ich wünschte mich in die fernste Einöde, und war in der sonderbaren Lage, andererseits mein Hauswesen von Gastlichkeit zu Gastlichkeit zu führen. Endlich reiste denn wenigstens Tichatschek ab, und ich konnte meinem Verbleiben doch nun wenigstens den angenehmen Zweck der Beherbergung eines lieben Besuches zuwenden. Wirklich kamen mir Bülow's wie vom Himmel, um der gräulichen Aufregung in meinem Hause einen Dämpfer aufzusetzen. Hans machte gute Miene, als er, am Tage des bestimmten Einzuges bei mir, mich gerade in einer fürchterlichen Scene mit Minna antraf; denn dieser hatte ich nun, wie ich den Stand der Dinge erkannt, gerade herausgesagt, dass unsres Verbleibens hier länger nicht mehr sei, und ich nur noch über die Zeit des Besuches unsrer jungen Freunde meine Abreise verzögern würde. Diessmal hatte ich ihr denn wirklich auch gestehen müssen, dass die Gründe zu meiner Verzweiflung nicht allein von ihrem Benehmen herrührten. – Noch einen vollen Monat brachten wir so gemeinschaftlich in dem von mir ahnungslos »Asyl« getauften Hause zu: eine lange, höchst qualvolle Zeit, da jeder Tag durch die mir gebrachten Erfahrungen meinen Entschluss, diese Niederlassung gänzlich aufzugeben, immer fester bestärken musste. Hierunter litten meine jungen Gäste nicht minder; meine Qual trug sich auf Alle über, welche ernstlich mit mir sympathisirten. Zu diesen Freunden gehörte bald auch noch Klindworth, welcher, um das Maass der Freudlosigkeit eines so sonderbaren gastlichen Zusammenseins voll zu machen, ebenfalls von London aus zum Besuche eintraf. So füllte sich plötzlich das Haus, und besetzte sich der Gasttisch mit bangen, besorgten und unheimlich beängstigten Freunden, für deren Bewirthung wiederum diejenige zu sorgen sich bemühte, welche nächstens für immer diesen Hausstand aufgeben sollte.

Es war mir, als ob es einen Menschen geben müsste, der ganz vorzüglich dazu befähigt sein könnte, Licht und Besänftigung, oder doch mindestens eine erträgliche Ordnung in die uns Alle befangende Verwirrung zu bringen. Auch Liszt hatte mir seinen Besuch versprochen: er stand so glücklich ausserhalb der verletzten Beziehungen und Verhältnisse, war so welterfahren und besass in hohem Grade das, was man »Aplomb« der Persönlichkeit nennt, um mir nicht sehr tauglich dafür erscheinen zu sollen, den gerade hier im Spiele begriffenen Uneinigkeiten vernünftig beizukommen. Fast war ich geneigt, meine letzten Entschlüsse von der Wirkung seines erwarteten Besuches abhängig zu machen. Vergebens wurde er von uns zur Beschleunigung seiner Reise veranlasst: er bot mir für einen Monat später ein Rendez-vous am Genfersee an! Nun sank mir der letzte Muth. Das Zusammenleben mit meinen Freunden war jetzt nur noch ein trostloses Dahinsiechen; denn, konnte einerseits niemand begreifen, wie ich aus einer mir so wohlthätigen häuslichen Niederlassung ruhelos hinausgetrieben werden sollte, so war andrerseits jedem es ersichtlich, dass ich so hier es nicht aushalten konnte. Noch musizirten wir dann und wann, aber in grosser Zerstreutheit und nur mit halbem Sinne. Wie um die Betäubung noch vollständiger zu machen, trat in dieser Zeit auch noch die Calamität eines eidgenössischen Sängerfestes ein, wobei ich mich gegen allerhand Zumuthungen zu wehren hatte, was nicht immer so gutmüthig abging, da ich, unter andren, Herrn Franz Lachner, welcher bei diesem Feste als Gast mitfungirte, von mir abzuweisen und seinen Besuch – nicht zu erwidern hatte. Tausig erfreute uns zwar durch das Absingen von Lachner's, für dieses Fest komponirten, altdeutschem Schlachtgesang in der erhöhten Oktave, welche ihm durch sein knabenhaftes Falset zu Gebote stand; doch vermochten auch seine Muthwilligkeiten nicht länger uns zu erheitern. Alles, was unter anderen Umständen diesen sommerlichen Monat zu einem der anregungsvollsten meines Lebens hätte machen können, trug nur zu dem Unbehagen dieser Zeit bei: so auch der Aufenthalt der Gräfin d'Agoult, welche, zum Besuch ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes gekommen, für diese Zeit sich unsrer Gesellschaft anschloss. – Um das Haus voll zu machen, kam nach langem Grollen und Schmollen endlich auch Karl Ritter zu uns, und bewährte sich von Neuem als interessanter, eigenthümlicher Mensch.

Als endlich sich die Zeit des allseitigen Abschiedes näherte, hatte ich zugleich alles die Aufhebung meines Domiziles Betreffende in Ordnung zu bringen. Ich erledigte das hierzu Nöthige durch einen persönlichen Besuch bei Wesendonck, und nahm auch in Bülows' Begleitung von dessen Frau Abschied, welche allerdings, trotz stets wiederkehrender Verwirrung ihrer Vorstellungen hierüber, schliesslich das sie einnehmende Missverständniss, welches nun die Aufhebung meiner Niederlassung zur Folge haben musste, sich selbst vorwurfsvoll zu Herzen zu nehmen schien. – Schmerzlich bewegt schieden alle meine Freunde von mir, während ich den klagenden Ausdrücken derselben fast nur noch meinen apathischen Zustand entgegen zu setzen vermochte. Am 16. August verliessen mich auch Bülow's, Hans in Thränen aufgelöst, Cosima düster schweigend. – Mit Minna hatte ich verabredet, dass sie noch etwa acht Tage nach mir zurück bleiben sollte, um das Haus zu räumen und nach Gutdünken über unser kleines Eigenthum zu verfügen. Ich hatte ihr zwar gerathen, diese widerlichen Besorgungen jemand andrem zu übergeben, weil ich nicht begreifen konnte, mit welchen Empfindungen sie an diese, unter solchen Umständen so abscheuliche Beschäftigung, gehen sollte. Sie erwiderte jedoch verweisend: das wäre nicht übel, wenn sie auch noch unsere Sachen bei allem unsren Unglück preisgeben sollte; Ordnung müsste sein! Wirklich betrieb sie, wie ich später zu meinem Leidwesen erfuhr, diesen Auszug und ihren Fortgang mit einer solchen praktischen Feierlichkeit, kündigte in den Tagblättern wegen plötzlicher Abreise wohlfeil zu verkaufende Wirthschaftsgegenstände an, und erregte damit ein so bedeutendes Aufsehen, dass alle Welt darüber in Bestürzung gerieth, und nun erst Fragen und Gerüchte entstanden, welche dem ganzen Vorgange und dem hierdurch berührten Verhältnisse die skandalöse Bedeutung gaben, welche seitdem mir und der Familie Wesendonck so peinliche und widerwärtige Erfahrungen zuzogen.

Am Tage nach Bülow's Abreise, – denn nur der Aufenthalt dieser Freunde hatte mich bisher selbst noch zurückgehalten, – am 17. August, erhob ich mich beim ersten Tagesgrauen nach schlaflos durchbrachter Nacht vom Bett, und stieg hinab in das Speisezimmer, wo mich bereits Minna zum Frühstück erwartete, da ich um fünf Uhr auf der Eisenbahn abreisen wollte. Sie war gefasst; nur als sie mich im Wagen zum Bahnhof geleitete, überwältigte sie die Rührung der schweren Stunde. Es war ein wolkenlos heiterer Himmel, der lachendste Sommertag; ich entsinne mich, nicht einmal mich umgeschaut, auch beim Abschied nicht eine Thräne vergossen zu haben, was mich selbst fast erschreckte. Als ich jedoch mit dem Dampfzuge dahin fuhr, konnte ich mir sogar ein zunehmendes Wohlgefühl nicht verbergen; es war also ersichtlich, dass die gänzlich nutzlose Qual der letzten Zeiten nicht mehr zu ertragen gewesen war, und eine vollständige Lostrennung aus den Zuständen, welche sie in sich schlossen, von meinem Lebenstriebe und seiner Bestimmung gefordert war. – Am Abend des gleichen Tages kam ich in Genf an; dort wollte ich mich zunächst ein wenig ausruhen und sammeln, um für meinen Lebensplan mit einiger Fassung über das Weitere zu verfügen. Da ich es auf einen erneuerten Versuch einer Uebersiedelung nach Italien abgesehen hatte, so wollte ich, nach meinen früheren Erfahrungen, den vollen Eintritt der frischeren Herbstzeit abwarten, um nicht wieder den üblen Einflüssen des ersten Klima-Wechsels zu weichen. Ich miethete mich für einen ganzen Monat in der Maison Fazy ein, und wollte mir einreden, es müsste dort eine Zeit lang recht gut auszuhalten sein. Ich meldete meinen Vorsatz und meinen weitern Plan, Italien aufzusuchen, an Karl Ritter in Lausanne: zu meiner Verwunderung erhielt ich von ihm als Antwort die Meldung, dass er ebenfalls seine bisherige Niederlassung aufzugeben und allein nach Italien zu gehen gedenke, da seine Frau in Familienangelegenheiten für diesen Winter nach Sachsen gehen würde. Er bot sich mir als Reisegenossen an. Diess war mir ganz recht, und da Ritter mir zugleich versicherte, dass er von einem vorjährigen Aufenthalte her das Klima Venedig's, als ein um diese Jahreszeit bereits ganz erträgliches kennen gelernt habe, ward ich hierdurch zu dem Entschlusse einer beschleunigten Abreise bewogen. Nur hatte ich noch die Ordnung meiner Pass-Angelegenheit zu besorgen; ich erwartete nämlich von den betreffenden Gesandtschaften in Bern die Bestätigung dessen, dass ich, immer noch als politischer Flüchtling, in Venedig, welches, obschon zu Oesterreich, dennoch nicht zum deutschen Bunde gehörte, nichts zu befürchten hätte. Liszt, an den ich mich ebenfalls um Auskunft hierüber gewendet, glaubte mir durchaus von Venedig abrathen zu müssen; dagegen lautete der Bericht, welchen einer meiner Freunde in Bern vom österreichischen Gesandten eingeholt, durchaus unverfänglich, und so meldete ich denn Karl Ritter, nach kaum achttägigem Aufenthalte in Genf, meine Reise-Bereitschaft, in Folge dessen ich ihn in seiner sonderbaren Villeggiatur bei Lausanne zum gemeinschaftlichen Antritt der Reise abholte.

Wir sprachen nicht viel auf der Reise und gaben uns schweigend unsrern Eindrücken hin. Die Reise führte uns über den Simplon nach dem Lago Maggiore, wo ich denn abermals von Baveno aus die Borromäischen Inseln besuchte. Hier, auf der Garten-Terrasse der Isola Bella, genoss ich in der Gesellschaft meines nie aufdringlichen, sondern eher zu schweigsamen jungen Freundes, einen wundervollen Spätsommermorgen; zum ersten Mal fühlte ich mein Gemüth vollkommen beruhigt und mit der Hoffnung auf eine neue und harmonische Zukunft erfüllt. – Unsere Reise setzten wir über Sesto Calende in dem Postwagen nach Mailand fort; kaum gönnte mir Karl dort die Bewunderung des berühmten Dom's, so stark zog es ihn nach dem von ihm so sehr geliebten Venedig; und mir war es recht, für so etwas eben wiederum angetrieben zu werden. Als wir am 29. August bei Sonnenuntergang zuerst von dem Eisenbahn-Damme herab Venedig aus dem Wasserspiegel heraus vor unsren Blicken auftauchen sahen, verlor Karl bei einer enthusiastischen Bewegung aus dem Waggon den Hut vor Freude; ich glaubte dahinter nicht zurückbleiben zu müssen, und warf meinen Hut ebenfalls hinaus: so kamen wir beide baarhäuptig in Venedig an, und bestiegen sogleich eine Gondel, um den ganzen Canal Grande entlang bis zur Piazzetta bei St. Marco vorzudringen. Das Wetter war plötzlich etwas unfreundlich geworden, das Aussehen der Gondel selbst hatte mich aufrichtig erschreckt; denn so viel ich auch von diesen eigenthümlichen, schwarz in schwarz gefärbten Fahrzeugen gehört hatte, überraschte mich doch der Anblick eines derselben in Natur sehr unangenehm: als ich unter das mit schwarzem Tuch verhängte Dach einzutreten hatte, fiel mir zunächst nichts andres als der Eindruck einer früher überstandenen Cholera-Furcht ein; ich vermeinte entschieden an einem Leichenkondukte in Pestzeiten Theil nehmen zu müssen. Karl versicherte: ja, das ginge jedem so; aber man gewöhne sich sehr schnell daran. Nun kam die sehr lange Fahrt durch den viel gebogenen Canal grande: die Eindrücke welche alles hier auf mich machte, wollten mich nicht von meiner bangen Stimmung befreien. Wo Karl neben zerfallenen Mauern nur eine Ca d'oro der Fanny Elsler, oder ein andres berühmtes Palais ersah, fiel mein wehmüthiger Blick immer nur auf die zerschellten Ruinen zwischen diesen interessanten Gebäuden. Ich schwieg endlich, und liess es mir gefallen an der weltberühmten Piazzetta auszusteigen und mir den Dogen-Palast zeigen zu lassen, welchen bewundern zu können ich mir vorbehielt, sobald ich zunächst von der ganzen melancholischen Stimmung, in welche ich mich durch die Ankunft in Venedig versetzt fühlte, befreit sein würde.

Von dem Hôtel Danieli aus, wo wir ebenfalls nur ein düstres Unterkommen in Zimmern nach den engen kleinen Kanälen zu, gefunden hatten, suchte ich am andern Morgen zu allernächst eine Wohnung für meinen längern Aufenthalt zu finden. Von einem der drei Paläste Giustiniani, unweit des Palazzo Foscari, hörte ich dass er zur Zeit, wegen seiner im Winter nicht sehr günstigen Lage, wenig und fast gar nicht von Fremden bewohnt sei: ich fand dort ausserordentlich weite oder bedeutende Räume, von denen man mir sagte dass sie sämmtlich unbewohnt bleiben würden; hier miethete ich denn einen stattlichen grossen Saal mit daranliegendem geräumigem Schlafzimmer, liess mein Gepäck schnell dort hinbringen, und sagte mir am 30. August Abends, dass ich nun in Venedig wohne. – Die Sorge dafür, hier ungestört arbeiten zu können, bestimmte mich in Allem. Ich schrieb sogleich nach Zürich, mir meinen Erard'schen Flügel und mein Bett nachzuschicken, da ich im Betreff des letzteren wohl fühlte, dass ich in Venedig kennen lernen würde was Kälte sei. Ausserdem ward mir sehr bald die grau geweisste Wand meines grossen Saal's verdriesslich, da sie so übel zu dem vollständig und, wie mich dünkte, in gutem Geschmack al fresco ausgemalten Plafond passte. Ich entschloss mich dieses grosse Zimmer mit einer, wenn auch sehr ordinairen, doch in vollständiges Dunkelroth gefärbten Tapete überziehen zu lassen: diess brachte zunächst viele Unruhe; doch schien es mir sie zu überstehen wohl der Mühe werth, wenn ich von dem Balkon aus mit allmählich immer grösserem Behagen auf den wunderbaren Kanal hinabblickte, und mir nun sagte, hier wollte ich den Tristan vollenden. Ich liess auch sonst noch Einiges tapezieren; namentlich um die gemeinen Thüren, welche der ungarische Wirth dem gänzlich verfallenen Palaste statt der, jedenfalls entwendeten kostbaren älteren, hatte einsetzen lassen, zu verdecken, besorgte ich dunkelrothe Portièren, wenn auch vom wohlfeilsten Kattun. Im übrigen hatte der Wirth schon für einige theatralische Ausstattung durch das Ameublement gesorgt: es fanden sich nämlich vergoldete Stühle, wenn auch mit gemeinem baumwollenem Plüsch überzogen, vor allem aber ein schön geschnitzter und vergoldeter Tischfuss, auf welchem ein gemeines Tannenholzblatt gesetzt war; darüber musste denn auch ein erträglich rother Teppich angeschafft werden. – Endlich kam der Erard an; er ward in die Mitte des grossen Saales gestellt, und nun sollte das wunderbare Venedig musikalisch in Angriff genommen werden.

Alsbald stellte sich aber die bereits von Genua her mir bekannte Dyssenterie ein, und machte mich auf Wochen zu jeder geistigen Thätigkeit unfähig. Bereits hatte ich jedoch die unvergleichliche Schönheit Venedig's zu würdigen begonnen, und ich war voller Hoffnung, aus dem Genusse derselben schöne Kräfte für meine wiederkehrende künstlerische Lebenslust zu ziehen. Auf einer meiner ersten Promenaden auf der Riva war ich von zwei Fremden angesprochen worden, von denen der Eine sich als einen Grafen Edmund Zichy, der andere als einen Fürsten Dolgoroukow vorstellte. Beide hatten vor kaum acht Tagen Wien verlassen, wo sie den ersten Aufführungen meines Lohengrin beigewohnt hatten: über den Ausfall derselben meldeten sie mir nun das Erfreulichste, und ihrem Enthusiasmus konnte ich wohl anmerken, dass der dort empfangene Eindruck ein ungewöhnlich günstiger gewesen sei. Graf Zichy verliess bald wieder Venedig; Dolgoroukow jedoch hatte es für den ganzen Winter zu seinem Aufenthalte gewählt. Lag es durchaus in meiner Stimmung, jedem Umgange auszuweichen, so verstand dieser etwa fünfzigjährige Russe es jedoch bald, in seinem Betracht mich nachgiebig zu stimmen. Er hatte eine ernste, sehr ausdrucksvolle Physiognomie (er rühmte sich von unmittelbarer kaukasischer Abstammung zu sein), und zeigte nach jeder Seite hin eine wirklich vortreffliche Bildung, hierzu feine Weltkenntniss, und vor allen Dingen auch Verständniss der Musik, mit deren besondrer Litteratur er wiederum so bekannt war, dass es auf eine andauernd dafür gepflogene Leidenschaft schliessen liess. Ich hatte ihm alsbald erklärt, dass ich meiner Gesundheit wegen auf jede Gesellschaft verzichte, und durchaus der Einsamkeit bedürfe; war es nun schwer, auf den beschränkten Promenaden Venedig's ihm gänzlich auszuweichen, so führte ausserdem das Restaurant im Albergo St. Marco, wo ich mit Ritter täglich für die Mahlzeit zusammentraf, zu unvermeidlicher Berührung mit dem, endlich aufrichtig lieb gewonnenen Fremden, welcher in diesem Hôtel seine Wohnung genommen hatte, und dem ich unmöglich verwehren konnte, dort auch seine Mahlzeit zu nehmen. Wir blieben für die Zeit meines Aufenthaltes in Venedig in fast täglichem, und wirklich angenehmem Umgang.

Bedenklicher ward ich andererseits überrascht, als ich eines Abends in meine Wohnung zurückkam und mir die soeben erfolgte Ankunft Liszt's in unserm Palaste gemeldet wurde. Ich stürzte eifrig nach dem mir angezeigten Zimmer, und erblickte dort zu meinem Schrecken den Klavierspieler Winterberger, welcher sich bei meinem Wirthe als mein und Liszt's Freund eingeführt, und ihn in der ersten Confusion dazu verleitet hatte anzunehmen, der Ankömmling selbst sei Liszt. Diesen jungen Mann hatte ich allerdings in Liszt's Gefolge zuletzt bei dem längern Besuche meines Freundes in Zürich kennen gelernt; er galt als vortrefflicher Orgelspieler, und wurde ausserdem, wann Arrangements für zwei Pianofortes zu spielen waren, als Sekundarius am Klaviere verwendet. Ausser einigem albernen Benehmen hatte ich sonst an ihm nicht viel beachtet. Vor allen Dingen war ich nun aber darüber verwundert, dass er gerade meine Wohnung für seine Unterkunft in Venedig aufgesucht hatte. Er behauptete, er sei nur der Vorbote einer Fürstin Galitzin, für welche er in Venedig Winter-Quartier zu machen habe; da er hier niemand kenne, in Wien aber von meinem Aufenthalte Kenntniss erhalten hätte, sei es sehr natürlich, dass er sich zu allernächst in mein Hôtel gewandt habe. Ich bestritt ihm nun durchaus, dass diess ein Hôtel sei, und erklärte dass, wenn seine russische Fürstin sich hier neben mir auszubreiten gedenke, ich sofort ausziehen würde. Da beruhigte er mich nun wieder und bekannte, er habe von der Fürstin nur dem Wirthe etwas vorgemacht; er glaube, diese habe schon wo anders gemiethet. Da ich ihn nun wieder frug, was er selbst denn gerade in diesem Palais wolle, ihn auch darauf aufmerksam machte, dass es hier sehr theuer sei, und ich die grossen Kosten meiner Wohnung nur aus dem Grunde trüge, weil es mir vor allem darauf ankäme, ungestört zu wohnen, keinen Nachbar zu haben und namentlich auch nicht Klavier spielen zu hören, suchte er mich durch die Versicherung zu besänftigen, er werde mir gewiss nicht lästig fallen; ich möge nur zunächst über seine Anwesenheit in dem gleichen Hause bis dahin, wo er die Mittel zur Beziehung einer andern Wohnung gefunden haben werde, mich beruhigen. – Seine nächste Bemühung war, sich bei Karl Ritter einzuschmeicheln; beide suchten ein Wohngemach des Palastes auf, welches genügend von meinen Zimmern getrennt war, um jede Klangverbindung abzuschneiden. Somit ergab ich mich darein, diesen Gast in meiner Nähe zu wissen, doch bedurfte es langer Zeit, ehe ich Ritter erlaubte, ihn einmal des Abends zu mir mitzubringen.

Besser als ihm glückte es einem venetianischen Klavierlehrer, Tessarin mit Namen, meine Geneigtheit zu gewinnen. Dieser war ein typisch schöner Venetianer-Kopf, mit einem sonderbaren Stammeln in der Sprache; übrigens von leidenschaftlicher Vorliebe für die deutsche Musik, mit Liszt's neueren Compositionen, sowie auch mit meinen Opern gut bekannt. Er selbst erkannte sich im Betreff der Musik als einen »weissen Raben« in seiner italienischen Umgebung. Seine Annäherung an mich erlangte er ebenfalls durch Ritter, welcher überhaupt in Venedig sich mehr dem Studium der Menschenkenntniss, als der Arbeit selbst zu ergeben schien. Er hatte sich an der Riva dei Schiavoni eine kleine, höchst bescheidene Wohnung in der Sonnenlage, welche er desshalb nie zu heizen nöthig hatte, gemiethet, weniger für sich als für sein schmales Reisegepäck, da er fast nie zu Hause war, am Tage nach Bildern und Sammlungen, des Nachts aber nach Menschen in den Cafés des Markusplatzes herumlief. Er blieb der Einzige, welchen ich regelmässig jeden Tag sah. Mit Strenge hielt ich im Uebrigen darauf, jeden weiteren Umgang, ja jede Bekanntschaft von mir fern zu halten. Von dem Leibarzt der Fürstin Gallitzin, welche selbst bald wirklich in Venedig eintraf und dort, wie es schien, ein grosses Haus hielt, ward mir ein Besuch dieser Dame wiederholt nahe gelegt; da ich einmal die Klavierauszüge von »Tannhäuser« und »Lohengrin« gebrauchte, und mir gesagt wurde, dass die Fürstin die einzige Person in Venedig sei, welche sie besässe, war ich unbefangen genug, sie mir von ihr auszubitten, ohne deswegen mich jedoch für verpflichtet zu halten, der Dame einen Besuch zu machen. Nur einmal drang ein Fremder zu mir hindurch, da mir seine Physiognomie, nachdem ich ihm im Albergo S. Marco begegnet, gefallen hatte: diess war der Maler Rahl aus Wien. Für diesen, den Fürsten Dolgoroukow, und den Klavierlehrer Tessarin, veranstaltete ich einmal sogar etwas einer Soirée Aehnliches, wobei Einiges von mir musizirt wurde. Hier debütirte auch Winterberger.

Auf diese wenigen Berührungen beschränkten sich alle meine äusseren Erlebnisse in den sieben Monaten, welche ich in Venedig verlebte, während ausserdem meine Tagesordnung mit der höchsten Regelmässigkeit die ganze Zeit über eingehalten wurde. Ich arbeitete bis zwei Uhr, bestieg dann die bereit gehaltene Gondel, um den ernsten Canal grande entlang nach der heiteren Piazzetta zu fahren, deren ungemein reiche Anmuth jeden Tag von Neuem belebend auf mich einwirkte. Dort suchte ich mein Restaurant auf dem Markusplatze auf, promenirte nach der Mahlzeit einsam, oder mit Karl, die Riva entlang nach dem Giardino pubblico, der einzigen mit Bäumen bepflanzten Anlage Venedigs, um dann mit dem Einbruche der Nacht auf der Gondel wieder in den immer ernster und schweigender sich anlassenden Kanal hinabzufahren, bis dahin wo ich aus der nächtlichen Façade des alten Palazzo Giustiniani einzig meine Lampe mir entgegenleuchten sah. Wenn ich dann Einiges noch gearbeitet hatte, traf, regelmässig um acht Uhr vom Plätschern der Gondel angemeldet, Karl bei mir ein, um beim Thee einige Stunden mit mir zu verplaudern. Nur selten unterbrach ich diese Lebensweise durch den Besuch eines der Theater, von welchen ich dem Schauspiel im Theater Camploi, wo Goldonische Stücke sehr gut aufgeführt wurden, den entschiedenen Vorzug gab, wogegen der Oper nur aus Neugierde eine vorübergehende Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Am häufigsten, namentlich wenn schlechtes Wetter an der Promenade hinderte, besuchten wir das am Tage sich produzirende Volksschauspiel im Theater Malibran; dort, wo der Eintritt sechs Kreuzer betrug, befanden wir uns unter einem vortrefflichen Publikum (meistens in Hemdärmeln), welchem am häufigsten Ritterstücke vorgespielt wurden. Doch sah ich hier auch eines Tages, zu meinem wahrhaften Erstaunen und völligen Entzücken, das groteske Lustspiel » le baruffe Chioggiote« welches bereits Goethe am gleichen Orte zu seiner Zeit so sehr angesprochen hatte, und welches mit einer Naturtreue gegeben wurde, wie ich dem nichts Aehnliches aus meiner Erfahrung zur Seite stellen kann.

Im Uebrigen bot sich aus dem so sehr bedrückten und entarteten venetianischen Volksleben wenig Fesselndes meiner Aufmerksamkeit dar, da ich von der prachtvollen Ruine dieser wundervollen Stadt, in Bezug auf menschliche Regung, nur den Eindruck eines für Fremde feilgehaltenen Bade-Ortes gewinnen konnte. Sonderbarer Weise war es das recht deutsche Element der guten Militär-Musik, wie es in der österreichischen Armee so vorzüglich gepflegt wird, welches mich hier auch in eine gewisse Berührung mit der Oeffentlichkeit brachte. Die Kapellmeister der beiden in Venedig cantonirten österreichischen Regimenter gingen damit um, Ouverturen von mir, wie die zu » Rienzi« und » Tannhäuser«, spielen zu lassen, und ersuchten mich darum, in ihren Kasernen den Einübungen ihrer Leute beizuwohnen. Hier traf ich denn auch das ganze Offizierscorps versammelt, welche sich bei dieser Gelegenheit recht ehrerbietig gegen mich benahmen. Ihre Musikbanden spielten abwechselnd des Abends bei glänzender Beleuchtung in Mitte des Markusplatzes, welcher für diese Art von Musikproduktionen einen wirklich vorzüglich akustischen Raum abgab. Mehre Mal wurde ich am Schlusse der Mahlzeit durch das plötzliche Erklingen meiner Ouvertüren überrascht; ich wusste dann, wenn ich vom Fenster des Restaurants aus mich dem Eindrucke hingab, nicht, was berauschender auf mich wirkte, der unvergleichliche, prachtvoll erleuchtete, von unzähligen sich ergehenden Menschen erfüllte Platz, oder die, alles dieses wie in brausender Verklärung den Lüften zutragende Musik. Nur fehlte es hierbei gänzlich an dem, was man so leicht sonst von einem italienischen Publikum hätte erwarten müssen: zu Tausenden schaarte man sich um die Musik und hörte ihr mit grosser Spannung zu; nie aber vergassen sich zwei Hände soweit zu applaudiren, weil jedes Zeichen des Beifalls an einer österreichischen Militair-Musik als ein Verrath am Vaterlande gegolten haben würde. – An dieser sonderbaren Spannung zwischen Publikum und Behörde litt nun eben alles öffentliche Leben in Venedig, und namentlich äusserte sich diess auffallend in dem Verhalten der Bevölkerung gegen die österreichischen Offiziere, welche in der venetianischen Oeffentlichkeit wie Oel auf dem Wasser herumschwammen. Nicht minder zurückhaltend, ja feindselig benahm sich das Volk jedoch auch gegen die Geistlichkeit, die doch meistens italienischer Herkunft war. Ich sah eine über den Markusplatz dahinziehende geistliche Prozession, in hohem Festornat, von dem Volke mit unverhohlenem Hohngelächter aufgenommen und begleitet.

Während ich von Ritter nur sehr schwierig zu bewegen war, zu Zeiten einmal meine Tagesordnung zu unterbrechen, um eine Galerie oder eine Kirche mir anzusehen, obgleich auf jeder nöthigen Wanderung durch die Stadt die namenlos mannigfaltigen architektonischen Eigenthümlichkeiten und Schönheiten derselben stets von Neuem mich entzückten, boten, fast die ganze Dauer meines Aufenthaltes in Venedig über, häufige Gondelfahrten nach dem Lido mir die Hauptgenüsse. Vor allem war es dann die Heimfahrt während des Sonnenunterganges, bei welcher ich stets von den unvergleichbaren Eindrücken überwältigt wurde. Sogleich in der ersten Zeit, noch im September dieses Jahres, genossen wir bei solcher Gelegenheit die zauberhafte Erscheinung des grossen Kometen, welcher damals in seinem hellsten Glanze sich zeigte und allgemein auf eine bevorstehende kriegerische Katastrophe gedeutet wurde. Dann nahm sich wieder der Gesang eines populären Chor-Vereines, welcher sich unter der Leitung eines venetianischen Arsenal-Beamten gebildet hatte, wie ein ächtes Lagunen-Idyll aus. Diese Sänger führten, meist nur dreistimmig, natürlich harmonisirte Volkslieder aus. Neu war es mir, die Oberstimme nicht bis über den Umfang des Altes, also ohne den Sopran zu berühren, sich erheben zu hören, wodurch der Chorklang eine mir bis dahin unbekannte männliche Jugendlichkeit erhielt. Sie fuhren an schönen Abenden, in erleuchteter grosser Gondel singend, den Canal grande entlang, hielten, wohl gegen Bestellung und Bezahlung, vor einzelnen Palästen, wie zur Serenade, an, und zogen gewöhnlich eine Unzahl anderer Gondeln als Begleitung nach sich. – In einer schlaflosen Nacht, wo es mich gegen drei Uhr des Morgens auf den Balkon meiner Wohnung hinaustrieb, hörte ich denn auch zum ersten Mal den altberühmten Naturgesang der Gondoliere. Mich dünkte, ungefähr von dem eine kleine Viertelstunde entfernten Rialto her, den ersten, wie rauhe Klage klingenden Anruf durch die lautlose Nacht zu vernehmen; aus wiederum weiterer Entfernung ward diesem von anderer Richtung her gleichmässig geantwortet. In oft längeren Pausen wiederholte sich dieser merkwürdig melancholische Dialog, welcher mich zu sehr ergriff, als dass ich seine jedenfalls sehr einfachen musikalischen Bestandtheile in meinem Gedächtniss hätte fixiren können. Doch war ich ein anderes Mal durch eine besondere Erfahrung auch darüber belehrt, dass dieser Volksgesang von überwiegend poetischem Interesse sei. Als ich einmal spät des Nachts durch den düstren Kanal heimfuhr, trat plötzlich der Mond hervor, und beleuchtete mit den unbeschreiblichen Palästen zugleich den, sein gewaltiges Ruder langsam bewegenden, auf dem hohen Hintertheile meiner Gondel ragenden Schiffer. Plötzlich löste sich aus seiner Brust ein dem Thier-Geheul nicht unähnlicher, von tief her anschwellender Klagelaut, und dieser mündete sich nach einem lang gedehnten »Oh!« in den einfach musikalischen Ausruf »Venezia!« Dem folgte noch einiges, wovon ich aber in Folge der grossen Erschütterung, die ich empfand, keine deutliche Erinnerung bewahrt habe. Die hiermit zuletzt berührten Eindrücke waren es, welche Venedig während meines Aufenthaltes daselbst für mich charakterisirten und bis zur Vollendung des zweiten Aktes von Tristan mir treu blieben, ja, vielleicht die, schon hier entworfene, lang gedehnte Klageweise des Hirtenhornes im Anfange des dritten Aktes mir unmittelbar eingaben.

Diese Ergebnisse meiner Stimmung stellten sich aber nicht so leicht und unterbrechungslos heraus. Körperliche Leiden und altgewohnte, nie mich ganz freigebende Sorgen, übten oft und andauernd Verhinderung und Störung meiner Arbeit aus. Kaum hatte ich in meiner nach der Nordseite zu gelegenen, häufigen Wirbelwinden ausgesetzten, im Betreff der Heizung so gut wie gar nicht verwahrten Wohnung mich behaglich eingerichtet, sowie den so sehr demoralisirenden Einfluss der Dyssenterie überstanden, und war nun eben erst im Begriff, den so grausam zerschnittenen Faden der Ausarbeitung meines zweiten Aktes wieder anzuknüpfen, als in Folge der gewaltsamen Veränderung des Klima's und der Luft ein spezifisch venetianisches Leiden, durch eine bösartige Furunkelbildung am Beine, sich einstellte. Da das anfänglich gering geschätzte Uebel sich bald ausserordentlich schmerzhaft steigerte, musste ich einen Arzt annehmen, welcher fast vier Wochen lang mich sorgfältig zu behandeln hatte. Es war im Spätherbst, gegen Ende November, als gerade jetzt mich Ritter verliess, um seinen Verwandten und Freunden in Dresden und Berlin einen Besuch zu machen; ich blieb während dieser längern Krankheitsperiode somit ganz allein, nur auf den Umgang mit der naiven Dienerschaft meines Hôtel garni's angewiesen. Zum Arbeiten unfähig, zerstreute ich mich durch die Lektüre der Geschichte Venedig's vom Grafen Daru, welcher ich hier an Ort und Stelle grosses Interesse abgewann. Namentlich verlor ich dadurch etwas von meinen populären Vorurtheilen gegen die tyrannische Regierungsweise des alten Venedig's. Der berüchtigte Rath der Zehn und die Staats-Inquisition erschienen mir viel mehr in dem Lichte einer eigenthümlichen, gewiss wohl grauenvollen, Naivität; die offene Ankündigung, dass in dem Geheimniss seiner Handlungsweise die Gewährleistung der Macht des Staates liege, schien mir so bestimmt ein jedes Glied der merkwürdigen Republik für die Bewahrung dieser Heimlichkeit zu interessiren, dass sehr vernünftiger Weise die Ausschliessung von jeder Mitwissenschaft zur eigentlichen republikanischen Pflicht gemacht wurde. Eigentliche Heuchelei blieb diesem Staatswesen somit gänzlich fern, wie denn auch das kirchliche Element, so ehrfurchtsvoll es dem Staate eingeschlossen blieb, doch nie hier den entwürdigenden Einfluss, wie anderswo in Italien, auf die Charakterbildung der Bürger ausübte. Die furchtbar rücksichtslosen Berechnungen der Staatsraison wurden zu Maximen ausgebildet, welche einen durchaus antik heidnischen Charakter, von keiner eigentlich finsteren Färbung, an sich trugen, und lebhaft an die gleichen Maximen der Athener erinnerten, welche, wie wir im Thukydides lesen, von diesen mit grösster Unumwundenheit als männliche Sittlichkeitsgrundsätze vorgetragen wurden.

Nebenbei griff ich zu meiner Stärkung, wie so oft schon, auch jetzt wieder zu einem Band Schopenhauer, dem ich mich von Neuem innig befreundete, während mir sogar die erhebende Einsicht aufging, nach einer sehr wichtigen Seite hin, allerdings nur vermöge der von ihm selbst mir angegebenen Hülfsmittel, beängstigende Lücken seines System's ergänzen zu können.

Meine wenigen auswärtigen Beziehungen gestalteten sich um diese Zeit immer beruhigender; nur betrübte mich eines Tages ein Brief Wesendonck's, in welchem dieser mir den Tod seines etwa vierjährigen Sohnes Guido meldete: mir fiel es dabei auf's Herz, dass ich von der Pathenschaft dieses Kindes unter dem improvisirten Vorwande, ich möchte ihm Unglück bringen, zurückgetreten war. Mich ergriff der Fall, und da ich in jeder Beziehung mich so sehr nach Ruhe sehnte, malte ich mir schnell auch eine kurze Reise über die Alpen, um etwa den Weihnachtsabend mit meinen alten Freunden zu feiern, in einem herzlich wohlthätigen Sinne aus. Ich theilte diesen Gedanken an Frau Wille mit, und erhielt, statt von dieser, sonderbarer Weise von ihrem Gemahle als Antwort einen höchst unerwarteten Bericht über das grosse und höchst unangenehme Aufsehen, welches durch meinen plötzlichen Fortgang von Zürich, namentlich aber durch die Art in welcher meine Frau ihren Theil daran ausgeführt hatte, erregt und der Familie Wesendonck aufgebürdet worden war. Da ich in Folge dessen auch wiederum erfuhr, wie klug und tüchtig hiergegen Wesendonck sich benommen hatte, so knüpfte sich hieran von selbst wieder manche freundliche und der Gestaltung eines guten Vernehmens günstige Berührung. – Den Beziehungen Minna's zu mir gerieth es sehr zum Vortheil, dass sie, welche jetzt in Dresden im Umgange mit älteren Bekannten sich ruhig verhielt und von mir stets freundlich versorgt wurde, in ihrer Korrespondenz sich klug und rücksichtsvoll benahm, und somit dem Eindrucke, welchen sie mir bei jenem ergreifenden nächtlichen Auftritte gemacht hatte, eine willige Nahrung zuführte. Auch ich stellte ihr eine dereinstige häusliche Wiedervereinigung mit mir gern in Aussicht, nur sollte diess auf der Grundlage einer Dauer versprechenden Niederlassung geschehen, welche ich mir jetzt eben nur in Deutschland, wo möglich in Dresden selbst vorstellen mochte. Um über die Möglichkeiten hiervon zu einer Ansicht zu gelangen, versäumte ich auch nicht, mich an Herrn von Lüttichau selbst zu wenden, da ich durch Minna, welche diesen meinen alten Chef selbst aufgesucht hatte, recht wohlthuende Berichte über dessen humanes Benehmen, ja sogar warme Anhänglichkeit an mich erhalten hatte. Ich ging wirklich so weit, ihm ausführlich und herzlich zu schreiben. Dagegen war es dann wieder lehrreich für mich, von ihm gelegentlich einmal nur ein paar trockene Zeilen in geschäftlichem Style zu erhalten, worin er mir anzeigte, dass zur Zeit im Betreff der von mir gewünschten Rückkehr nach Sachsen nichts zu thun wäre. – Andrerseits erfuhr ich durch die Polizeibehörde in Venedig, dass der sächsische Gesandte in Wien es sich auf das Eifrigste angelegen sein liess, mich selbst von Venedig auszutreiben. Diess glückte nun nicht, da ich durch einen eidgenössischen Pass, welchen die österreichischen Behörden zu meiner grossen Freude sehr ernstlich respektirten, genügend geschützt war. Somit verblieb mir im Betreff meiner gewünschten Rückkehr nach Deutschland einzig die Hoffnung auf die freundschaftlichen Bemühungen des Grossherzogs von Baden hierfür. Eduard Devrient, an den ich mich hierüber, namentlich auch in Beziehung auf unser Vorhaben einer ersten Aufführung des »Tristan«, um nähere Auskunft wendete, meldete mir, der Grossherzog sähe meine Anwesenheit bei dieser Aufführung jedenfalls als ausgemacht an; ob er, falls seine direkten Bemühungen bei dem Könige von Sachsen um dessen Erlaubniss dazu fruchtlos bleiben sollten, an einen eigenmächtigen bundeswidrigen Schritt hierbei denke, oder wie er sonst diess zu bewerkstelligen beabsichtige, bleibe ihm unbekannt. Somit erkannte ich, dass ich auf eine demnächstige Uebersiedelung nach Deutschland fürerst nur eine sehr geringe Rechnung mir machen könnte.

Nebenbei nahmen mich stets die Korrespondenzen um Herbeischaffung der, um diese Zeit namentlich auch des gespaltenen Haushaltes wegen, in nicht geringer Stärke zu beschaffenden Subsistenzmittel ziemlich anhaltend in Anspruch. Glücklicherweise hatten sich bisher einige grössere Theater gegen meine Opern noch renitent verhalten, und es waren somit von diesen noch Honorare zu erwarten, während diejenigen der eifrigeren Bühnen bereits aufgezehrt waren. So meldete sich denn auch, als letztes Theater für den »Tannhäuser«, das Stuttgarter Hoftheater. Für diesen Ort hatte ich aus dem angegebenen Grunde zu jener Zeit eine besondere Vorliebe, die sich auch noch auf Wien übertrug, welches erst den »Lohengrin« gegeben hatte, und nach dem Erfolge desselben noch zum »Tannhäuser« zu greifen sich genöthigt sah. Meine Verhandlungen mit dem damaligen Direktor K. Eckert führten sehr schnell zu für mich erfreulichen Resultaten.

Diess alles wickelte sich im Laufe des Winters bis zum Frühjahr 1859 ab. Ausserdem lebte ich, in der bezeichneten Weise, in grösster Stille und Regelmässigkeit fort. Nach der Heilung meines Beingeschwüres konnte ich, noch im Dezember, wieder meine regelmässigen Gondelfahrten nach der Piazzetta, mit der abendlichen Heimkehr antreten, und endlich auch mit einiger Ausdauer meiner musikalischen Arbeit mich hingeben. Gänzlich einsam brachte ich die Weihnacht und den Sylvesterabend zu. Nur des Nachts befand ich mich häufig in grösserer Gesellschaft, nämlich in den Träumen, welche damals mit grosser Lebhaftigkeit sich bei mir einstellten.

Im Anfang Januar 1859 trat plötzlich Karl Ritter wieder zur Stunde des gewohnten Abendbesuches in mein Zimmer. Ihn hatte während dem die Sorge für die Aufführung eines von ihm gedichteten Theaterstückes bis an den Strand der Ostsee getrieben. Diess bezog sich auf eine vor Kurzem von ihm vollendete Arbeit: Armide, von welcher sehr vieles wiederum das grosse Talent des jungen Mannes bezeugte; während die Tendenz des Ganzen wirklich abschreckende Blicke in die Seele des Dichters werfen, und demgemäss auch über Einzelnes der Aufführung kein vortheilhaftes Urtheil aufkommen liess, war Anderes, vorzüglich aber die Begegnung Rinaldo's mit Armiden, und die heftige Entstehung ihres Liebesverhältnisses mit wirklich poetischer Gluth empfunden und dargestellt. Wie bei allen solchen Arbeiten, welche im Grunde immer mit dem Schaden der dilettantenhaften Flüchtigkeit behaftet sind, hätte auch an diesem Drama sehr Vieles geändert und besser ausgeführt werden müssen, wenn es vor allen Dingen auch auf der Bühne Wirkung versprechen sollte. Davon wollte Karl nichts hören; dagegen glaubte er in einem intelligenten Theaterdirektor zu Stettin den Mann gefunden zu haben, der sich über Bedenken, wie sie mir zu eigen waren, hinwegzusetzen im Stande wäre. Er hatte sich auch hierin getäuscht, und kam nun, auch von dieser Seite her unbefriedigt, nach Venedig zurück, um, wie er sehnlich wünschte, fortan in das Blaue hinein zu leben. Rom in der Kapuzinerkutte zu durchwandern, und von Stunde zu Stunde sich Kunstschätze anzusehen, dünkte ihm das Loos, welches er allen übrigen Lebensbestimmungen vorziehen möchte. Von einer Umarbeitung der Armide wollte er nichts mehr hören, und erklärte dagegen, an die Ausführung eines neuen dramatischen Stoffes gehen zu wollen, welchen er aus Machiavelli's »Florentinischen Geschichten« entnommen habe, den er mir aber nicht näher angeben wollte, weil er fürchtete, ich würde ihm davon abrathen, da er eben nur Situationen und gar keine Tendenz enthielte. Musikalischen Arbeiten schien er jetzt nicht mehr nachhängen zu wollen, obgleich eine Phantasie für das Klavier, welche er bald nach seiner Ankunft in Venedig niedergeschrieben hatte, mir den jungen Mann auch von dieser Seite her durchaus als interessant erscheinen liess. – Desto verständigeren Antheil zeigte Karl mir an der, nun endlich andauernd von mir fortgesetzten Ausarbeitung des zweiten Aktes von Tristan. Oefter habe ich ihm, mit Winterberger, auch Tessarin, das eben Vollendete des Abends vorgespielt, und immer führten diese Mittheilungen zu einer warmen Erregtheit. Während der vorangehenden längeren Unterbrechung meiner Arbeit war von Härtel bereits der erste Akt der Partitur gestochen, und von Bülow für das Klavier arrangirt worden. So lag ein Theil bereits wie in monumentaler Vollendung vor mir, während ich andererseits noch in gebährungsvoller Aufregung im Betreff der Ausführung des Ganzen war. Bereits schritt in den ersten Monaten auch die Instrumentation dieses Aktes, welche ich immer heftweise dem Verleger zum Stiche zuschickte, ihrer Vollendung entgegen, und Mitte März konnte ich den letzten Bogen davon nach Leipzig senden.

Jetzt trat denn die Nöthigung zu neuen Bestimmungen für meine Lebensbeschlüsse ein, denn es frug sich, wo ich nun den dritten Akt komponiren würde, da ich ihn jedenfalls nur an dem Orte beginnen wollte, wo ich Aussicht hätte ihn auch ungestört vollenden zu können. Diess schien in Venedig nicht der Fall sein zu sollen. Meine Arbeit würde mich bis tief in den Sommer hinein beschäftigt haben, und diesen glaubte ich, schon meiner Gesundheit wegen, in dem um diese Zeit für mich unrathsamen Klima Venedigs nicht verbringen zu dürfen. Bereits hatte ich den üblen Einfluss des Mangels erkräftigender Fusswanderungen sehr nachtheilig empfunden. Um mich nun einmal tüchtig auslaufen zu können, hatte ich mich mitten im Winter auf der Eisenbahn nach Viterbo bringen lassen, um dort einige Meilen landeinwärts dem Gebirge zu mich auszuschreiten. Rauhes Wetter war mir dabei hinderlich gewesen; andere ungünstige Umstände trugen dazu bei, mich von diesem Ausfluge nur den für die Lagunenstadt vortheilhaften Eindruck dahin wieder mitbringen zu lassen, so dass ich mich hier wie in ein Asyl gegen Strassenstaub und misshandelte Pferde geflüchtet hatte. Ausserdem fand es sich nun auch, dass ich im Betreff meines ferneren Aufenthaltes in Venedig nicht mehr ganz nur von meinem Willen abhing. Ich war neuerdings sehr höflich vor einen Polizei-Commissair beschieden worden, welcher mir unumwunden mittheilte, dass gegen meinen Aufenthalt in einem Theile der österreichischen Staaten von Seiten der sächsischen Gesandtschaft in Wien unaufhörlich agitirt würde. Da ich erklärte, nur bis zum Eintritte des Frühlings noch meinen Aufenthalt ausdehnen zu wollen, wurde mir gerathen, auf ein ärztliches Zeugniss gestützt, mir aus Gesundheitsrücksichten vom Erzherzog Max, damals als Vicekönig in Mailand residirend, die Erlaubniss hierzu einzuholen. Ich that dieses, und der Erzherzog beschied hierauf sofort telegraphisch die venetianischen Behörden, mich in Ruhe zu lassen.

Bald ward mir nun jedoch auch klar, dass eine erneuete Wachsamkeit gegen Fremde durch die politischen Verhältnisse, welche das österreichische Italien in grosse Aufregung setzten, veranlasst sein mochte. Der Ausbruch des Krieges mit Piemont und Frankreich rückte immer näher, und eine ersichtliche grosse Aufregung zeigte sich immer deutlicher in der italienischen Bevölkerung. Als ich eines Tages mit Tessarin auf der Riva promenirte, geriethen wir in eine ziemliche Anhäufung von Fremden, welche dem Erzherzog Maximilian mit seiner Gemahlin, bei ihrem kurzen Besuche in Venedig, auf ihrem Ausgange neugierig und ehrerbietig entgegensahen. Ich erfuhr diess zunächst durch einen heftigen Ruck meines venetianischen Klavierspielers, welcher mich am Arme von der Stelle fortzuziehen sich bemühte, um, wie er sagte, vor dem Erzherzoge nicht den Hut abziehen zu müssen. Als ich die stattliche, sehr einnehmende Gestalt des jungen Fürsten daher schreiten sah, gab ich meinem Freunde lachend den Laufpass, und freute mich aufrichtig, durch meinen Gruss unbekannter Weise meinem freundlichen Beschützer danken zu können. – Bald nahm aber alles einen ernsteren, schwerfällig bedrückenden Character an, als nämlich Tag für Tag die Riva von neu ausgeschifften Truppen so übermässig besetzt war, dass sie für die Promenade gänzlich unbenutzbar wurde. Die Offiziere derselben machten meist einen sehr angenehmen Eindruck auf mich, und das gemüthliche Deutsche ihrer harmlosen Unterhaltung heimelte mich ganz traulich an. Dagegen war es mir unmöglich, zu der Mannschaft Zutrauen zu gewinnen, da ich bei ihr meistens den stumpfen und unfreien physiognomischen Character gewisser slavischer Hauptstämme der österreichischen Monarchie antraf. Hier war eine gewisse wuchtige Kraft nicht zu verkennen, dagegen ebensowenig ein gänzlicher Mangel an naiver Intelligenz, wie sie das italienische Volk so liebenswürdig auszeichnet. Ich konnte nicht umhin, jener Race den Sieg über diese nicht zu gönnen. Mir kehrte der physiognomische Ausdruck dieser Truppen in die Erinnerung deutlich zurück, als ich im Herbst desselben Jahres in Paris wieder die französischen Elite-Truppen, ihre Chasseurs de Vincennes und Zuaven, mit jenen österreichischen Soldaten unwillkürlich vergleichen musste; da verstand ich denn plötzlich, ohne jede strategische Kenntnisse, die Schlachten bei Magenta und Solferino. – Für jetzt erfuhr ich endlich, dass Mailand bereits im Belagerungszustande und gegen Fremdenbesuch fast ganz abgesperrt war. Da ich beschlossen hatte, mein Sommer-Asyl in der Schweiz am Vierwaldstätter See zu suchen, mahnte mich diese Nachricht an die Beschleunigung meines Aufbruches, um nicht etwa durch die Kriegs-Ereignisse von meiner Zuflucht abgeschnitten zu werden. So packte ich denn ein, schickte den »Erard« wieder über den Gotthard, und bereitete mich zum Abschiede von meinen wenigen Bekannten vor. Ritter hatte beschlossen, in Italien zu bleiben, und beabsichtigte, sich nach Florenz und Rom zu wenden, wohin soeben Winterberger, mit welchem Karl Freundschaft geschlossen hatte, ihm bereits vorausgeeilt war. Dieser behauptete nämlich, von einem Bruder mit genügenden Geldmitteln für den Genuss Italiens ausgestattet zu sein, welcher ihm ausserdem zu seiner Zerstreuung und Erholung, ich weiss allerdings nicht von was, nothwendig sei. Somit vermuthete Ritter in kürzester Frist ebenfalls Venedig verlassen zu können. Von dem guten Dolgoroukow, welchen ich sehr leidend verliess, nahm ich herzlich Abschied, und umarmte Karl auf dem Bahnhofe, vermuthlich zum letzten Male, da ich seitdem ohne alle direkte Nachricht von ihm gelassen wurde und bis heute ihn auch nicht wieder sah.

Am 24. März gelangte ich mit einigen Besonderlichkeiten, welche die militärische Fremdencontrolle veranlasste, nach Mailand, wo ich mir zur Besichtigung des Sehenswerthen einen dreitägigen Aufenthalt gönnte. Ohne alle Anleitung hierzu begnügte ich mich mit den einfachsten Nachweisungen, um die Brera, die ambrosianische Bibliothek, die Cena des Leonardo da Vinci, und den Dom zu besuchen, welchen letztern ich nach allen Richtungen hin auf den verschiedenen Dächern und Thürmen bekletterte. Wie immer von den ersten Eindrücken am lebhaftesten betroffen, hielt ich mich in der Brera vorzüglich nur an zwei Gemälde, welche ich sogleich am Eingange antraf, einen heiligen Antonius vor dem Jesuskinde, von van Dyck, und das Martyrium des Stephanus, von Crespi; wobei ich inne ward, dass ich zur Beurtheilung von Gemälden nichts tauge, da der Gegenstand, sobald er sich mir deutlich und sympathisch aussprach, mich sofort und einzig bestimmte, wie es eben bei mir der Fall war. Doch ging mir ein deutlicheres Licht über die Wirkung der rein künstlerischen Bedeutung eines Meisterwerkes auf, als ich vor der Cena des da Vinci die von Allen gemachte Erfahrung auch an mir erlebte, wie das als Gemälde fast gänzlich zerstörte Kunstwerk, nachdem man es in den restaurirenden Copien, welche ihm immer zur Seite stehen, näher untersucht hat, auf den Blick des dann nur noch geistig Schauenden wirkt, wenn er von jenen Copien ab nun wieder auf das zerstörte Original sieht, und hier plötzlich jetzt mit höchster Deutlichkeit das ganz Unnachahmliche wahrnimmt. – Des Abends suchte ich sogleich wieder das mir lieb gewordene Lustspiel auf, welches hier in dem winzigen Teatro Re vor einem geringen Publikum des letzten Ranges seinen, von den heutigen Italienern leider so verachteten, Platz eingenommen hatte. Auch hier gab man die Goldoni'schen Stücke, wie es mir schien, mit grosser, naïver Virtuosität. Dagegen musste ich dann wieder im Theater della Scala, unter ausserordentlichem äussern Glanze, einem Akte des Zeugnisses für die grosse Demoralisation des italienischen Kunstgeschmackes beiwohnen. Vor dem glänzendsten und lebhaftesten Publikum, welches man sich nur wünschen kann, ward in dem ungeheuren Theater ein unglaublich nichtswürdiges Opernmachwerk eines neueren Componisten, dessen Namen ich vergessen habe, aufgeführt. Doch erfuhr ich am gleichen Abende, dass dem als so sehr für Gesangsmusik passionirt geltenden italienischen Publikum das Ballet doch bereits auch zur Hauptsache geworden war; denn offenbar diente die vorangehende langweilige Oper nur als Vorbereitung für eine grosse choreographische Aufführung, welche nichts Geringeres als Antonius und Kleopatra zum Sujet hatte. Hier sah ich sogar den kalten Politikus Octavian, welcher bis jetzt selbst in keine italienische Oper noch sich verloren hatte, mit ziemlicher Bewahrung einer diplomatischen Würde pantomimisch agiren. Die Hauptsache blieb aber das Leichenbegängniss der Kleopatra, welches dem ungeheuren Personale des Ballets Gelegenheit zu den mannigfaltigsten Produktionen in höchst charakteristischen Costümen darbot.

Nach all diesen einsam genossenen Eindrücken reiste ich an einem wunderschönen Frühlingstage über Como, wo alles in üppigster Blüthe stand, über das mir von früher her bekannte Lugano und den Gotthard, welchen ich an hohen Schneewänden in kleinen offenen Schlitten passiren musste, nach Luzern, wo ich, im Gegensatze zu dem in Italien genossenen üppigen Frühlinge, bei unfreundlichster kalter Witterung ankam. Die Rechnung, die ich mir für den dortigen Aufenthalt gemacht hatte, beruhte auf der Annahme, dass das dortige grosse Hôtel zum Schweizerhof um diese Zeit, bis zu dem Beginne der eigentlichen Sommersaison, gänzlich leer stehe, und ich daselbst ohne weitere Vorbereitungen ein geräumiges und von Geräusch ungestörtes Unterkommen finden würde. Hierin konnte ich mich nicht getäuscht haben. Oberst Segesser, der humane Wirth des Gasthofes wies mir in dem linken Dependance-Gebäude eine ganze Etage zur beliebigen Bewohnung an, in deren Hauptgemächern ich es mir ohne grosse Kosten ganz bequem machen konnte. Einzig hatte ich mich, da der Gasthof in dieser Zeit nur in den beschränktesten Verhältnissen hiefür versehen war, der Bedienung wegen besonders abzufinden; und hiefür fand ich ein sorgsames, auf meine Bequemlichkeit gut bedachtes Frauenzimmer, welche ich für ihre Dienste, die sie mir namentlich späterhin, als der Gasthof belebter wurde, leistete, im Gedächtnisse behielt, und nach längeren Jahren demzufolge als Haushälterin zu mir berief. Bald kamen dann meine Sachen aus Venedig an. Der » Erard« hatte richtig wieder im Schnee die Alpen passiren müssen; als er in meinem geräumigen Salon aufgestellt war, sagte ich mir dann, alle diese Mühe und dieser Aufwand seien darum bestritten worden, dass ich nun den dritten Akt von »Tristan und Isolde« endlich noch fertig mache. Zuweilen kam mir diess wie eine extravagante Zumuthung vor, da die Schwierigkeiten, welche der Vollendung meiner Arbeit entgegen standen, diese fast verhindern zu sollen bestimmt schienen. Ich verglich mich mit Leto, welche, die Gebährungsstätte für Apollon und Artemis zu finden, ruhelos umhergejagt wurde, bis Poseidon mitleidsvoll ihr die Insel Delos aus dem Meere hervortreten liess.

Für dieses »Delos« wollte ich nun Luzern ansehen. Nur beherrschte der schreckliche Einfluss eines überaus kalten und anhaltend regnerischen Wetters für lange Zeit, bis zu Ende des Mai's, meine Stimmung in aller unfreundlichster Weise. Da dieses neue Asyl wiederum mit so grossen Opfern hergestellt war, glaubte ich jeden Tag vergebens und dieser Opfer unwürdig dahingebracht zu haben, an welchem ich nicht etwas an meiner Composition gearbeitet hatte. Da ich für den grössern Haupttheil meines dritten Aktes ausserdem mit einem so unerhört trüben Gegenstande beschäftigt war, kam es, dass ich der ersten Monate dieser Luzerner Ansiedelung mich nur mit Grauen entsinnen kann.

Nach den ersten Tagen meiner Ankunft hatte ich bereits Wesendonck's in Zürich besucht. Unser Wiedersehen war wehmüthig, doch in keiner Weise befangen. Ich verweilte einige Tage im Hause meiner Freunde, sah darin auch meine ältern Zürcher Bekannten wieder, und blickte so wie aus einem Traume in einen Traum. Wirklich war mir Alles recht wesenlos geworden. Ich wiederholte im Verlaufe meines Luzerner Aufenthaltes einige Male diesen Besuch, welchen ich zweimal, das eine Mal an meinem Geburtstage, in Luzern selbst erwidert erhielt.

Neben meiner, für jetzt trübsinnig gepflogenen Arbeit, beschäftigten mich auch die Sorgen für meine, so wie meiner Frau Erhaltung. Bereits in Venedig hatte ich mich veranlasst gefühlt, auf die mir treulich gewährte Unterstützung der Familie Ritter ebenso freiwillig, als durch die Berücksichtigung der in dieser mir befreundeten Familie eingetretenen Verhältnisse hierzu genöthigt, Verzicht zu leisten. Was aus meinen bisher aufführbaren Opern kläglicher Weise zu ziehen war, neigte sich jetzt der Erschöpfung zu. Da ich nach Beendigung des »Tristan« an die Aufnahme meiner Nibelungen-Arbeit gewiesen war, glaubte ich nochmals versuchen zu müssen, auf Grund dieser Arbeit, für welche der Grossherzog von Weimar nach seinen im vorigen Jahre mir gemachten persönlichen Eröffnungen immer noch eingenommen war, an eine Erleichterung für meine zukünftige Subsistenz zu denken. Ich schrieb desshalb an Liszt, und wiederholte ihm die Bitte, dem Grossherzog ernstlich den Vorschlag zu machen, das ganze Werk mit vollem Eigenthumsrecht in der Weise anzukaufen, dass auch die dereinstige Herausgabe, in sofern von einem Verleger hiefür etwas zu gewinnen war, ihm zufallen sollte. Ich legte hierbei meine gestörten frühern Verhandlungen mit Härtel's für einen billigen Anschlag des gewisser Maassen abzuschliessenden Geschäftes zu Grunde. Bald meldete mir Liszt mit beklommener Andeutung, dass die Sache S. k. H. nicht recht munden wolle, was mir denn genügend zu wissen gab.

Andererseits drängten mich die Umstände, jetzt endlich im Betreff des unglückseligen Verlagseigenthumes meiner ältern drei Opern bei Meser in Dresden zu einem Abschluss zu kommen, da namentlich einer meiner Hauptgläubiger, der Schauspieler Kriete jammernd nach Wiedererstattung seines Kapitals verlangte. Ein Dresdener Advokat Schmidt erbot sich, die Sache in Ordnung zu bringen, und, nach vielem ärgerlichen Hin- und Herschreiben, kam es dahin, dass der Nachfolger des seit Kurzem verstorbenen Meser, ein gewisser H. Müller, in das volle Eigenthum dieses Verlages eintrat. Ich erfuhr bei dieser Gelegenheit von nichts anderem als steten Kosten und Auslagen meines ehemaligen Commissionair's; über die Einnahmen war dagegen keinerlei Klarheit zu erlangen, nur gestand mir der Advokat zu, dass der verstorbene Meser allerdings einige Tausend Thaler bei Seite gebracht haben müsse, welche nun aber nicht wieder zu erlangen seien, da er seinen Erben nicht das mindeste Kapital hinterlassen habe. Um den jammernden Kriete zur Ruhe zu bringen, musste ich daher einwilligen, für gerade so viel als ich diesem, und einem geringeren zweiten Gläubiger, an Kapital schuldig war, nämlich für 3000 Thaler, schliesslich zu verkaufen. Im Betreff der rückständigen Zinsen, und wiederum der Interessen für diese Zinsen, blieb ich Kriete's persönlicher Gläubiger; diese zusammen beliefen sich im Jahre 1864 auf 1800 Thaler, welche um jene Zeit auch getreulich durch gerichtlichen Zwang von mir eingefordert wurden. Zu Gunsten meines grössten Gläubigers Pusinelli, welcher hierbei nur mit einer geringfügigen Zahlung bedacht werden konnte, behielt ich mir das Recht des Eigenthumes jener drei Opern für Frankreich vor, nämlich in dem Falle, dass durch meine Bemühungen dort einmal diese Musik aufgeführt und an einen französischen Verleger verkauft werden könne. Es ward dieser Vorbehalt, nach dem Wortlaut eines Briefes des Advokaten Schmidt, von dem nunmehrigen Dresdener Verleger anerkannt. Da Pusinelli den hieraus etwa fliessenden Vortheilen, im Betreff seines früher mir geliehenen Kapitals, welches er nie wieder von mir verlangen zu wollen erklärte, freundschaftlich entsagte, war mir hierdurch für die Zukunft, wenn wirklich meine Opern in Frankreich Eingang finden sollten, die einzige Möglichkeit, nicht etwa eines Gewinnes von diesen meinen Werken, sondern der Wiedererstattung der darauf von mir verwendeten Kapitalien, für welche ich hatte aufkommen müssen, eröffnet. Als es späterhin zwischen mir und dem Pariser Musikhändler Flaxland wirklich zu einem Vertrage kam, meldete sich jedoch jener Dresdener Nachfolger Meser's als absoluter Eigenthümer meiner Opern, und wirklich gelang es ihm, Flaxland in dem Betriebe seines französischen Geschäftes so sehr zu behindern, dass dieser sich genöthigt sah, durch eine Zahlung von 6000 Franken an jenen, sich Ruhe zu erkaufen; wodurch natürlich Flaxland sich in die Lage versetzt sah, mir seine Anerkennung als Eigenthümer meiner Werke für Frankreich zu verweigern. Hiergegen rief ich nun wiederholt das Zeugniss jenes Advokaten Adolph Schmidt an, indem ich von ihm nichts weiter forderte, als eine Kopie der auf jenen, durch die Luzerner Verhandlungen zur Gültigkeit gelangten, Vorbehalt bezüglichen Korrespondenz mir zukommen zu lassen. Auf alle in dieser Angelegenheit an ihn gerichteten Briefe bin ich jedoch hartnäckig ohne Antwort geblieben, und erfuhr auch später von einem Wiener Rechtskundigen, dass ich es aufzugeben habe ein solches Zeugniss erhalten zu wollen, da ich keine rechtlichen Mittel in den Händen hätte, jenen Advokaten, wenn er es nicht zu geben gesonnen sei, dazu zu zwingen.

Während ich auf diese Art wenig zur Besserung meiner Aussichten für die Zukunft erreichen konnte, hatte ich doch wenigstens die Genugthuung, die Partitur des »Tannhäuser« nachträglich noch im Stiche hergestellt zu sehen. Da meine früheren autographirten Exemplare, namentlich auch durch die Verschleuderung Meser's, zu Ende gegangen waren, hatte ich bereits von Venedig aus Härtels dazu vermocht, diese Partitur stechen zu lassen. Da nun der Nachfolger Meser's den ganzen Verlag eigenthümlich an sich gebracht hatte, war es ihm zum Ehrenpunkte geworden, die Partitur nicht einem fremden Verleger zu überlassen. Er übernahm daher die Herausgabe derselben für seine Rechnung. Leider fügte es aber das Schicksal, dass ich gerade ein Jahr später zu einer vollständigen Umarbeitung und neuen Abfassung der zwei ersten Scenen veranlasst wurde. Es ist mir bis auf den heutigen Tag bedauerlich geblieben, diese neue Arbeit der gestochenen Partitur nicht haben einfügen zu können.

Immer noch in der Annahme, dass der »Tristan« ein gutes Geschäft für die Theater würde abgeben können, liessen Härtels, während ich am letzten Akte arbeitete, auch bereits die Partitur des zweiten Aktes fleissig stechen. Auf mich wirkte der Umgang mit den Korrekturen hiervon, während ich andererseits in den grössten Nöthen an der Komposition des so ganz extatischen dritten Aktes arbeitete, höchst sonderbar, fast unheimlich; denn eben an den ersten Scenen dieses Aktes stellte sich mein Bewusstsein davon endlich klar heraus dass ich das allergewagteste und fremdartigste, was ich je geschrieben, gerade in dieser, einer sonderbar irrigen Annahme nach für leicht zu gebend angesehenen Oper, niedergelegt hatte. Während ich an der grossen Scene des »Tristan« arbeitete, musste ich mich unwillkürlich öfter fragen, ob ich denn nicht wahnsinnig sei, solches einem Verleger zum Druck für die Theater übergeben zu wollen. Nicht einen Schmerzensaccent hätte ich aber aufopfern mögen, obwohl alles mich selbst auf das äusserste quälte.

Dem üblen Zustande meines Unterleibes suchte ich u. a. auch durch einen Gebrauch von Kissinger Wasser in mässigen Dosen beizukommen; da mich das nöthige Promeniren hierzu namentlich am frühen Morgen ermüdete und zur Arbeit unfähig machte, gerieth ich auf den Gedanken, die abspannende Promenade durch einen kurzen Ritt zu ersetzen. Der Wirth meines Hôtels überliess mir zu diesem Exercitium ein altes 25jähriges Pferd, welches Lise hiess; auf diesem Thiere ritt ich jeden Morgen, so lange als es Lust hatte vorwärts zu gehen: es trug mich nie sehr weit, sondern kehrte an gewissen Stellen regelmässig um, ohne im allergeringsten meiner Reiter-Ermahnungen zu achten.

So waren die Monate April, Mai, und zum grossen Theil auch Juni vergangen, ohne dass ich, mit der trübseligsten Stimmung kämpfend, über die Komposition der Hälfte meines dritten Aktes hinaus gekommen wäre. Endlich meldete sich nun die Fremdensaison; der Gasthof mit seinen Dependancen füllte sich, und an die Aufrechthaltung meines bisherigen ausnahmsweisen Zustandes im Betreff der Benutzung der Lokalitäten, war ferner nicht zu denken. Man bot mir an, in den zweiten Stock des Hauptgebäudes überzusiedeln, weil dort gewöhnlich nur die für einen Abend durchpassirenden Schweizerreisenden untergebracht würden, während in den Dependancen Ansiedler für längere Zeit, welche somit auch den Tag über ihre Zimmer benutzten, Wohnung erhielten. In der That bewährte sich diese Einrichtung ganz überraschend gut: von jetzt an war ich in meiner kleinen Wohnstube mit Schlafkammer für die Stunden meiner Arbeit gänzlich ungestört, da die, nur für den Nachtschlaf von Fremden eingenommenen Zimmer dieses Stockwerkes, am Tage eben gänzlich leer standen. Endlich stellte sich auch eine, volle zwei Monate andauernde, von stets unbewölktem Himmel begünstigte, wahrhaft üppige Sommerwitterung ein. Ich genoss den eigenthümlichen Zauber der Verwahrung vor der äussersten Sonnengluth durch sorgfältig gepflegte Kühle und Dunkelheit in meiner Stube, während ich nur des Abends von meinem kleinen Balkon aus, mich der Wirkung der Sommerluft hingab. Sehr erfreuten mich da ein paar gute Hornbläser, welche fast regelmässig, in einem Nachen auf dem See, durch den Vortrag einfacher Volkslieder sich verdient machten. – Glücklicherweise war ich jetzt auch in meiner Arbeit über den eigentlichen Knotenpunkt hinausgekommen, und die mildere Stimmung desjenigen Theiles meines Gedichtes, welchen ich jetzt noch zu bewältigen hatte, versetzte mich, trotz ihres wehmüthigen Charakters, in eine fast geistig behagliche Extase, in welcher ich bereits im Anfang des August die Komposition des Ganzen, davon jetzt nur noch Einiges zu instrumentiren war, vollendete.

So einsam ich lebte, gewährten mir die damals so aufregenden Vorgänge des italienischen Krieges genügende Unterhaltung. Mit der gehörigen Spannung des Für und Wider begleitete ich diese, im ganzen ebenso unerwartete als bedeutende Begebenheit. Doch blieb ich auch nicht gänzlich ohne Gesellschaft. Im Juli traf der bis dahin mir unbekannte Felix Dräsecke zu einem dauernden Besuche in Luzern ein. Nachdem er in einer von Liszt veranstalteten Aufführung das Vorspiel zu »Tristan und Isolde« gehört, hatte er sich fast unmittelbar hierauf entschlossen, mir persönlich näher zu treten. Ich war durch seine Ankunft völlig erschreckt, und erklärte, nicht zu wissen, was ich mit ihm anfangen sollte. Da er mir ausserdem in einer gewissen witzelnden Weise viel von Personen und Verhältnissen erzählte, für welche ich immer mehr den Sinn verloren hatte, fiel er mir zunächst fast lästig, was er mir zu seiner Ueberraschung so lebhaft anmerkte, dass er glaubte nach wenigen Tagen sich wieder von mir fortwenden zu müssen. Diess machte nun mich wiederum betroffen; und nun liess ich es mir herzlich angelegen sein, ihm eine etwa entstandene schlimme Meinung von mir zu benehmen. Ich durfte ihn bald lieb gewinnen; und für längere Zeit, bis kurz vor seinem Fortgange von Luzern, bildete er meinen täglichen Umgang, an welchem ich, da ich es mit einem sehr begabten und nicht eingebildeten Musiker zu thun hatte, viele Freude gewann.

Auch Wilhelm Baumgartner, mein alter Züricher Bekannter, liess sich, mir zu Liebe, auf einige Wochen in Luzern nieder. – Schliesslich kam aber noch Alexander Seroff aus Petersburg, um einige Zeit in meiner Nähe verbringen zu können, an, ein sonderbarer, intelligenter Mensch, von ausgesprochener Parteinahme für Liszt und mich. Er hatte in Dresden meinen »Lohengrin« gehört, und wollte nun weiter von mir erfahren, wozu ich durch den Vortrag meiner Tristan-Komposition, in der mir eigenthümlichen summarischen Vortragsweise, verhelfen musste. Mit Dräsecke bestieg ich auch den Pilatus, bei welcher Gelegenheit ich wieder sympathische Aengste für einen mit Schwindel behafteten Gefährten zu erleiden hatte. Zum Abschied lud ich ihn noch zu einer Partie nach Brunnen und dem Grütli ein; worauf wir uns für jetzt trennten, da seine bescheidenen Mittel ihm keinen längeren Aufenthalt gestatteten, und auch ich ernstlich an meine Abreise dachte.

Bei dieser frug es sich nur darum, wohin ich mich eigentlich zu wenden habe. Ich hatte mich diessmal brieflich, durch Eduard Devrient, und endlich unmittelbar, an den Grossherzog von Baden gewendet, um von diesem die Zusicherung zu erhalten, wenn auch nicht in Karlsruhe selbst, so doch in irgend einem kleinen Orte der Umgebung mich niederlassen zu dürfen, da schon diess mir genügen würde, um meine endlich unabweisbar gewordenen Bedürfnisse, zu Zeiten mit einem Orchester und einem Gesangspersonale zu thun zu haben, ja sie nur zu hören, Befriedigung zu verschaffen. Ich erfuhr späterhin, dass der Grossherzog wirklich in dieser Angelegenheit sich brieflich an den König von Sachsen gewendet hatte; immer hiess es aber von dort her, man könne mich nicht amnestiren, sondern nur begnadigen, nämlich wenn ich zuvor der richterlichen Untersuchung mich gestellt hätte. Die Erfüllung meines Wunsches blieb also unmöglich, und mir bangte immer davor, wie es zu bewerkstelligen sein sollte, die immer noch beabsichtigte Aufführung meines »Tristan« unter meiner persönlichen Mitwirkung vor sich gehen zu lassen. Es hiess immer, hiefür werde der Grossherzog seine Massregeln zu ergreifen wissen. Allein, wo sollte ich mich hinwenden, um, mit einiger Aussicht auf Dauer, die endlich doch wieder ersehnte Niederlassung zu Stande zu bringen? Mir blieb, nach langer Erwägung, nichts als der Entschluss übrig, mich nach Paris zu wenden, sei es auch nur, um mich dessen zu versichern, dass ich dann und wann ein gutes Orchester, ein vorzügliches Quartett hören könnte; denn die Entbehrung dieser Anregungen war mir in Zürich doch endlich unerträglich geworden. Nirgends aber als in Paris, wo ich andererseits ungestört mich aufhalten konnte, durfte ich mit Sicherheit darauf rechnen, diese künstlerische Lebens-Erfrischung in genügend edler Weise mir verschaffen zu können.

Endlich musste ich mich doch auch in Betreff meiner Frau zu einem Entschlusse bewogen fühlen. Wir waren jetzt ein ganzes Jahr über getrennt gewesen; nach den harten Belehrungen, die sie von mir empfangen, und welche ihren Briefen nach nicht ohne grossen Eindruck auf sie geblieben waren, durfte ich wohl annehmen, dass ein erneutes Zusammenleben mit ihr, welches andererseits schon die Beseitigung der grossen Schwierigkeit ihrer Erhaltung mit einem besonderen Umstande zu gebieten schien, von jetzt an erträglich verlaufen würde. Ich kam also mit ihr überein, sie solle sich im Spätherbst mit mir in Paris vereinigen; bis dahin wollte ich für die Ermöglichung einer Niederlassung daselbst sorgen, wozu ich unser in Zürich verbliebenes Mobiliar mit allem Hausrathe dorthin zu dirigiren übernahm. – Zur Ausführung dieses Vorhabens waren mir durchaus finanzielle Hülfsmittel von Nöthen, für welche ich in irgend welchen mir bevorstehenden Einnahmen keine Quelle ersehen konnte. Was ich zuletzt durch den Grossherzog von Weimar im Betreff der Nibelungen zu ermitteln gesucht hatte, nämlich das Eigenthumsrecht für die Herausgabe derselben acquiriren zu lassen, bot ich jetzt Wesendonck an. Dieser ging nun ohne Widerspruch auf meinen Wunsch ein, und war bereit, für jeden der fertigen Theile meines Werkes mir ungefähr dasjenige Honorar, welches von einem spätem Verleger dafür zu erhoffen war, gegen das hiefür ihm abgetretene Eigenthumsrecht auszuzahlen.

Nun konnte ich meine Abreise feststellen, und ich führte sie am 7. September aus, zu welcher Zeit ich mich zunächst auf drei Tage zu einem Besuche bei meinen Züricher Freunden begab. Ich brachte diese Tage wohlgepflegt im Wesendonck'schen Hause zu, und sah dort meine früheren Bekannten, namentlich Herwegh, Semper und Gottfried Keller, mit denen ich einen Abend verlebte, welcher durch einen leidenschaftlichen Streit mit Semper über die damaligen politischen Ereignisse sich auszeichnete. Semper erkannte nämlich in dem neuerdings besiegten Oesterreich das unterliegende deutsche Nationalprinzip; in dem romanischen, durch Louis Napoléon vertretenen Elemente, erkannte er dagegen das assyrische Despotenthum, gegen welches er einen Hass in der Kunst wie in der Politik bezeigte. Er äusserte sich hierüber mit solcher Heftigkeit, dass er selbst den sonst so schweigsamen Keller zu lebhafter Diskussion reizte, welche wiederum Semper so stark affizirte, dass er mit wahrer Verzweiflung schliesslich mich beschuldigte, durch die Veranlassung seiner Einladung in das Wesendonck'sche Haus ihn in eine feindselige Falle gelockt zu haben. Schliesslich schieden wir doch wieder als Freunde, und seitdem wir uns später abermals begegneten, arteten unsere Diskussionen nie wieder zu solcher Leidenschaftlichkeit aus. – Von Zürich begab ich mich noch zu einem Besuche Sulzer's nach Winterthur. Ich traf meinen Freund selbst nicht an, dagegen seine Frau mit dem Knaben, welchen sie ihm seitdem geboren hatte; beide machten auf mich einen sehr rührenden und freundlichen Eindruck, welcher schon dadurch bestimmt wurde, dass ich den sonderbaren, so frühalten Freund mir jetzt offenbar als glücklichen Vater zu denken hatte. – –

Am 15. September gelangte ich nun nach Paris. Im Betreff der Wohnung hatte ich es auf die Umgebung der Champs-Elysées abgesehen, und suchte desshalb zunächst dort ein Absteigequartier, welches ich mir in der Avenue de Matignon nahm. Mein Hauptziel ging darauf, in einem abgelegenen einzelnen Häuschen mir das langersehnte stille Asyl aufzufinden; diess zu suchen bemühte ich mich nun zunächst. Ich glaubte hiefür jede meinem Gedächtniss erreichbare Bekanntschaft benutzen zu müssen. Ollivier's waren um diese Zeit nicht in Paris; Mme d'Agoult war krank, auf der Abreise nach Italien begriffen, und konnte mich nicht empfangen; dafür wies sie mich an ihre Tochter, Gräfin Charnacé, welche ich aufsuchte, ohne mich jedoch für meine Zwecke ihr verständlich machen zu können. Ich suchte auch die Familie Hérold, welche mich bei meinem letzten Pariser Besuche so freundlich empfangen hatte, auf; traf aber in Mme Hérold eine sonderbare krankhaft aufgeregte Zerstreuung an, so dass ich, wie es schien, statt der Hervorbringung meines Anliegens nur auf Beruhigung dadurch zu denken hatte, dass ich in keinerlei Weise durch irgend eine Zumuthung sie aufzuregen mich bemühte. So machte ich mich denn in meinem leidenschaftlichen Eifer, für den Hauptpunkt der Wohnung zu sorgen, ohne weiteren Nachweis selbst auf, um mir endlich in einer, der früheren Anlage nach noch unvollendeten, Seitenstrasse der Champs-Elysées, nahe der Barrière de l'étoile, nämlich der rue Newton, ein hübsches pavillonartiges Häuschen mit kleinem Gärtchen aufzufinden, welches ich, für 4000 Francs jährlich, zur dreijährigen Miethe erhielt. Jedenfalls hatte ich hier vollkommene Stille und gänzliche Entfernung von Strassengeräusch zu erwarten. Schon diess allein nahm mich sehr für diese neue Acquisition ein. In diesem Häuschen hatte zuletzt der bekannte, und damals vom kaiserlichen Hofe protegirte, Auteur Octave Feuillet gewohnt. Mich aber wunderte es nur, dass das Gebäude, trotzdem ich hier auf keine alte Construction traf, innerlich bereits so sehr vernachlässigt war. Der Eigenthümer war in keiner Weise dazu zu bewegen, für die wohnliche Herstellung desselben etwas zu thun, selbst nicht, wenn ich ihm den Miethpreis erhöht hätte. Der Grund hiervon ward mir allerdings nach einiger Zeit klar: das Terrain selbst war nämlich, in Folge der Neubauten-Pläne für Paris der baldigen Demolirung verfallen; noch war es jedoch nicht an der Zeit, den Eigenthümern diese Absicht offiziell anzukündigen, weil dadurch sogleich die Ansprüche derselben auf Entschädigung Gültigkeit erlangt haben würden. Demzufolge blieb auch ich im guten Glauben, dass, was ich zur inneren Säuberung und Herrichtung des Grundstückes verwenden dürfte, mir auf eine Reihe von Jahren sich als ergiebig erweisen würde; somit schritt ich unverzagt zu den hiefür nöthigen Bestellungen, liess mein Mobiliar von Zürich kommen, und glaubte nun, da das Schicksal mich einmal zu solcher Wahl gezwungen hatte, mich für Zeitlebens als Pariser Niedergelassener ansehen zu dürfen.

Während diese Einrichtung betrieben wurde, suchte ich mich nun andererseits darüber zu orientiren, was aus den bisher mir bekannt gewordenen Anzeichen einer günstigen Beachtung meiner künstlerischen Arbeiten für meine zukünftige Lage zu gewinnen wäre. Ich suchte zunächst wieder jenen, zuletzt mit der Bearbeitung meines »Rienzi« betrauten jungen Mann, Mr de Charnal auf, um mir von ihm Bericht geben zu lassen. Da fand sich denn, dass Herr Carvalho, der Director des Théâtre lyrique, durchaus immer nur vom »Tannhäuser«, und nichts anderem hören wollte. Diesen selbst vermochte ich nun zu einem Besuche bei mir, um die Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Er bestätigte, dass er im höchsten Grade geneigt sei, eine Oper von mir aufzuführen; nur müsse es der »Tannhäuser« sein, weil, wie er erklärte, der Name dieser Oper den Parisern für identisch mit dem meinigen gelte, so dass, wenn man etwas von » Wagner« aufführen wollte, und diess nicht der » Tannhäuser« sei, dieses für rein absurd angesehen werden würde. Im Betreff der von mir getroffenen Wahl des Bearbeiters des Poëm's dieser Oper schien er grosse Zweifel zu hegen, ob ich damit nicht einen Fehlgriff gethan hätte. Ich suchte mich nun mit Herrn de Charnal's Leistung genauer bekannt zu machen, und erkannte allerdings zu meinem Schrecken, dass der junge, recht liebenswürdige Mann, welcher sich seiner letzten Mitarbeiterschaft an einem Melodrama »Schinderhannes« (von ihm für ein deutsch-romantisches Sujet gehalten) rühmte, von dem Charakter der vorliegenden Arbeit gar keine Ahnung hatte. Da mich sein Eifer rührte, versuchte ich es dennoch, nur einige zur Musik gebrauchbare Verse mit ihm zu Stande zu bringen, erlahmte jedoch an der fruchtlos hierbei vergeudeten Mühe. –

Nun war ich durch Bülow auf einen jungen, nicht eigentlich mehr praktizirenden Arzt, Auguste de Gaspérini hingewiesen worden, dessen Bekanntschaft er in Baden-Baden gemacht, und an welchem er eine auffallende Neigung für meine Musik erkannt hatte. Auch diesen hatte ich alsbald aufgesucht, und, da ich ihn nicht in Paris antraf, mich brieflich an ihn gewandt. Jetzt sendete er mir, mit ebenfalls brieflicher Empfehlung, seinen Freund Leroy, einen gut gebildeten Pariser Musiklehrer, zu, welcher mich durch sein einnehmendes Wesen alsbald gewann, und mein Vertrauen namentlich dadurch erweckte, dass er mir sofort von dem Befassen mit einem obscuren Theaterjournal-Schreiber, als welcher sich mir endlich Mr de Charnal herausstellte, abrieth, und mich dagegen auf Roger, den so begabten, erfahrenen, und der deutschen Sprache mächtigen, bisher in Paris so beliebten Opernsänger, verwies. Mir fiel hiermit wirklich ein Stein vom Herzen; ich nahm die Einladung, welche Leroy durch Dazwischenkunft eines anderen Freundes vermittelte, an, in Folge welcher ich eines Tages nach Roger's Landgut zu einer Zusammenkunft mit demselben geleitet wurde. Ich habe den Namen dieser stolzen Besitzung des bis dahin so gefeierten Pariser Tenoristen vergessen; es war das ehemalige Schloss eines Marquis, im grossherrlichsten Styl, von einem ungeheuren Jagd-Parke umgeben. Eben die Lust, diesem Parke zu Liebe sich auch der Jagdgewehre zu bedienen, hatte dem liebenswürdigen Sänger vor ganz kurzem den schrecklichen Unfall zugeführt, welcher ihm den rechten Arm zerschmetterte. Ich traf Roger jetzt, nach einigen Monaten seit dem Unglücke, bereits vollständig genesen an, nur war ihm der rechte Vorderarm abgelöst, und es handelte sich nun darum, ob das Verfahren eines berühmten Mechaniker's, welcher ihm auch für die theatralische Aktion vollkommenen Ersatz des verlorenen Gliedes versprochen hatte, bewähren würde: diess ging, wie ich mich einige Zeit darauf überzeugte, wirklich mit genügendem Erfolge in Erfüllung; ich sah Roger in einer vom Theater der grossen Oper ihm gewährten Benefice-Vorstellung auftreten, und seines rechten Armes so glücklich sich bedienen, dass er gerade hierfür auf das Reichlichste applaudirt wurde. Dennoch hatte er zu erfahren, dass man ihn für »invalid« hielt, und seine Carrière an der grossen Oper von Paris war von hieran geschlossen. Für jetzt schien es ihm angenehm zu sein, auf dem ihm durch mein Anliegen eröffneten Wege sich auch einer Art von litterarischer Wirksamkeit zu versichern. Er ging mit vieler Freude auf meinen Vorschlag des Versuches einer praktischen Uebersetzung des »Tannhäuser« ein, und sang mir, nach einem bereits von ihm verfertigten französischen Texte einiger Hauptstellen daraus, selbst mehreres vor, was mir sehr geglückt erschien. So verliess ich, nachdem ich einen Tag bei ihm zugebracht und eine Nacht geruht, das Schloss des bis dahin so verwöhnten, und nun einem sehr traurigen Verfalle entgegengehenden Sänger's, in freundlicher, hoffnungsvoller Stimmung, da mir namentlich sein intelligentes Eingehen auf mein Werk einen angenehmen Begriff von der Kulturfähigkeit des französischen Geistes beigebracht hatte. – Dass ich dennoch alsbald auf Roger's Arbeit verzichten musste, kam daher, dass dieser für allernächst durch seine eigene Lage, und durch die Versuche, dieser unter den traurigen Umständen, in die er gerathen war, einen neuen Halt zu geben, für längere Zeit gänzlich in Anspruch genommen wurde, und somit auf meine Nachfrage desshalb kaum Antwort geben konnte. Ich verlor ihn hierdurch zunächst gänzlich aus dem Auge.

Selbst zu diesem Versuche mit Roger war ich jedoch mehr zufällig veranlasst worden, als dass ich mich selbst dazu gedrängt gefühlt hätte. Immer hielt ich nur noch den Plan fest, in Paris eben nur einen passenden Aufenthalt für mich zu suchen, wogegen meine ernstlich gemeinten künstlerischen Unternehmungen stets auf das, andererseits mir unzugänglich bleibende, Deutschland gerichtet blieben. – Bald gewann jedoch Alles eine andere Richtung, als die von mir immer noch im Auge behaltene Aufführung des »Tristan« in Karlsruhe schliesslich gänzlich abgemeldet wurde. Ich musste unentschieden darüber bleiben, auf welcher Seite der eigentliche Grund zu dieser Aufgebung des früher so ernstlich gemeint erschienenen Unternehmens lag. E. Devrient zeigte mir an, dass alle seine Bemühungen, die Rolle der Isolde geeignet zu besetzen, zuletzt an meiner Erklärung gegen die Sängerin Garrigues (damals bereits an den jungen Schnorr verheirathet) gescheitert seien, und dass er sich für alles Weitere um so weniger Rath wüsste, als selbst der mir ja so vorzüglich ergebene Tenorist Schnorr an der Ausführbarkeit des letzten Theiles seiner Aufgabe verzweifelt wäre. Ich erkannte sogleich, dass hier eine Störung vorliege, deren schädliche Wirkung ich sofort beseitigt haben würde, wenn es mir selbst gestattet gewesen wäre, auch nur auf eine kurze Zeit mich in Karlsruhe einzufinden. Allein gerade dieser Wunsch schien, sobald ich ihn von Neuem wieder kund gab, eine völlige Erbitterung gegen mich zu erwecken; hierin bezeigte sich namentlich Devrient mit solcher Heftigkeit und Härte, dass ich darauf gerathen musste, den Grund meiner Fernhaltung von Karlsruhe vorzüglich in seiner persönlichen Abneigung dagegen, in der Leitung seines Theaters von mir sich gestört zu sehen, aufzusuchen; wogegen ich den milderen Fall darin ersah, dass der Grossherzog sich peinlich davon berührt fühlte, seine früher mir eröffneten Aussichten auf meinen Besuch in seiner Residenz Karlsruhe mir nicht erfüllen zu können, und nun es ihm fast erwünscht erscheinen müsste, wenn die Veranlassung zu jenem Besuche aus anderen Ursachen von selbst hinwegfiele. Bereits erhielt ich jetzt durch Bülow, welcher wiederholt in Karlsruhe gewesen war, mehr als genügende Andeutungen über Devrient's Gesinnungen in dem erwähnten Betreff. Zur vollkommenen Klarheit hierüber zu gelangen, sollte mir noch für später vorbehalten bleiben; für jetzt war es mir von der wichtigsten Entscheidung, einsehen zu müssen, dass ich von Deutschland vollkommen abgeschnitten blieb, und namentlich für die so sehr mir am Herzen liegende Aufführung des »Tristan« an ein ganz neues Terrain denken musste. Schnell entwarf ich den Plan, für Paris selbst eine deutsche Theater-Unternehmung zu veranlassen, wie solche in früheren Jahren, namentlich unter Mitwirkung der Schröder-Devrient, bereits zu Stande gekommen waren. Ich glaubte mich dessen für gewiss halten zu können, dass die mir bekannten vorzüglichsten Sänger der deutschen Theater, wenn ich sie zu einer solchen Unternehmung nach Paris berufen würde, gern Folge leisteten; auch erhielt ich sofort von Tichatscheck, Mitterwurzer, dem Tenoristen Niemann, sowie auch von der Sängerin Luise Meyer in Wien, bereitwillige Zusage für den Fall, dass es mir glückte eine solide Unternehmung einer deutschen Opernsaison in Paris zu begründen. Somit verblieb mir zunächst die allerdings bedeutende Sorge, den hierfür geeigneten Mann in Paris selbst aufzufinden, welcher auf seine Gefahr die Ausführung meines Planes unternommen hätte. Dieser ging darauf hin, die Salle Ventadour, von der Schliessung der italienischen Opern-Aufführungen ab, mit der eintretenden Frühjahr-Saison für zwei Monate zu miethen und von einem ausgewählten deutschen Sänger- und Chorpersonale zunächst den »Tannhäuser« und »Lohengrin« und schliesslich den »Tristan« selbst, sowohl den Parisern, als vor Allem mir selbst, vorzuführen.

Mit diesem Vorhaben im Kopfe, war ich nun in eine ganz andere, und von der ersten Tendenz meiner neuen Pariser Ansiedelung sehr verschiedene Richtung meiner Sorgen und Bemühungen gerathen; es musste mir jetzt sehr daran gelegen sein, Bekanntschaften, und namentlich solche von Einfluss, zu machen. Aus diesem Grunde war es mir erwünscht, den zuvor nur flüchtig mir bekannt gewordenen Gaspérini für dauernd in Paris eintreffen zu sehen, und durch ihn, dem ich sofort meine neuen Pläne mittheilte, mit einem ihm besonders gewogenen, reichen, und, wie mir gesagt wurde, nicht einflusslosen Manne, einem Herrn Lucy, zu jener Zeit Generalpächter in Marseille, in freundschaftlichster Weise bekannt gemacht zu werden. In Folge unserer Besprechungen musste immer als das Nöthigste erkannt werden, den Mann zu finden, welcher als unerlässlicher finanzieller Garant für die projektirte Unternehmung aufgekommen wäre. Mein Freund Gaspérini konnte mir nicht bestreiten, dass es ein recht natürlicher Einfall meinerseits sei, unter den von ihm selbst mir beigebrachten Voraussetzungen Herrn Lucy für diesen nöthigen Mann zu halten; nur dünkte es ihm rathsam, seinem Freunde mit einiger Vorsicht unsere Zumuthungen zu stellen, da er zwar eine grosse »chaleur de cœur« besässe, dennoch aber vor allem Geschäftsmann sei, und von Musik wenig verstünde. Vor allen Dingen erschien es daher nöthig, in Paris selbst mich und meine Musik in bedeutender Weise bekannt zu machen, um auf einen in dieser Weise erzielten Erfolg unsere weiteren Unternehmungen begründen zu können. Aus dieser Rücksicht fasste ich nun den Entschluss, zunächst einige grössere Konzert-Aufführungen zu veranstalten. Zur Bewerkstelligung dieses Unternehmens hatte auch ich sofort meinen alten Freund Belloni, den ehemaligen Sekretär Liszt's, in den Kreis meiner angelegentlichen Bekanntschafts-Pflege aufzunehmen. Dieser gesellte uns sogleich seinen Compagnon, einen sehr intelligenten, und, wie ich nie anders erfahren habe, gutartigen Menschen, Namens Giacomelli, zu. Der letztere redigirte ein Theater-Journal, und wurde mir von Belloni besonders seines »schönen Französisch«, sowie seiner sonstigen ungemeinen Rührigkeit wegen, vorzüglich empfohlen. Das sonderbare Redaktionsbüreau meines neuen Protektors ward von jetzt an zu einem der wichtigsten, fast täglich von mir frequentirten Rendezvous mit allen den eigenthümlichen Wesen, mit denen für Theaterangelegenheiten und ähnliche Zwecke in Paris zu verkehren ist.

Zu allernächst handelte es sich darum, für meine beabsichtigten Konzerte den geeignetsten Saal zu erwerben. Es war ersichtlich, dass ich am aller vortheilhaftesten vor dem Pariser Publikum auftreten würde, wenn ich hierfür den Saal und das Orchester der grossen Oper selbst erlangen könnte. Desshalb hatte ich mich an den Kaiser Napoléon zu wenden, welches meinerseits in einem von Gaspérini redigirten, bündigen Schreiben ausgeführt wurde. Hierbei war jedoch vor Allem die, aus seinen freundschaftlichen Beziehungen zu Meyerbeer zu schliessende, mir feindselige Stimmung und Haltung des damaligen Haus- und Staatsministers Fould zu beachten. Seinem befürchteten schädlichen Einflusse sollte der des Hrn. Mocquard, des Sekretär's Napoléon's, und – wie Ollivier behauptete – des Verfassers der kaiserlichen Reden, entgegengesetzt werden. Auf diesem Punkte entschloss sich Hr. Lucy, in einem »Elan« feuriger Generosität, an seinen Jugendfreund, als welcher Hr. Mocquard in seinem Gedächtnisse lebte, selbst mit einem empfehlenden Schreiben sich zu wenden. Da selbst hierauf jede Gegen-Mittheilung aus den Tuilerien ausblieb, gerieth ich, unter den Berathungen mit meinen praktischeren Freunden Belloni und Giacomelli, in täglich sich bestärkende Zweifel über unsere Macht gegen den Staatsminister, und trat dagegen nun in Unterhandlungen mit Herrn Calzado, dem Direktor der italienischen Oper. Zu allernächst erfuhren wir hier einen direkten Abschlag; worauf ich mich endlich selbst zu einer Unterredung mit diesem Manne aufmachte. Hier gelang es mir wirklich durch eine, mich selbst überraschende Kraft meiner Ueberredungskunst, namentlich auch durch Vorspiegelung eines möglichen grossen Erfolges meiner zukünftig von den Italienern zu gebenden neuesten Oper »Tristan«, zunächst wenigstens das Zugeständniss der Vermiethung der Salle Ventadour für drei, im Zwischenraume von je acht Tagen sich folgende Abende, zu erlangen; von dem Miethpreise von 4000 Franken für den Abend, und zwar eben nur für das Lokal und die Beleuchtung allein, vermochte jedoch schliesslich auch meine feurigste Beredtsamkeit, welche von Giacomelli beim Nachhausegehen auf das höchlichste bewundert wurde, nichts mehr abzudingen.

Jetzt erschien bereits nichts wichtiger, als mir ein ausgezeichnetes Orchester zusammenzubringen, und es für meine Konzerte in Verpflichtung zu nehmen, wofür zunächst meine beiden Agenten vollauf zu thun hatten. In Folge ihrer Bemühungen in dieser Angelegenheit gewann ich nun auch die ersten Anzeichen einer bisher nicht vermutheten feindseligen Haltung meines alten Freundes Berlioz gegen mich und meine Unternehmung.

Noch voll von den guten Eindrücken, welche mein Zusammentreffen mit Berlioz im Jahre 1855 in London auf mich zurückgelassen, und welche er selbst durch eine freundschaftliche Correspondenz mit mir einige Zeit unterhalten hatte, war ich sogleich nach meiner diessmaligen Ankunft in dessen Wohnung gegangen; da ich ihn hier nicht antraf, kehrte ich auf die Strasse zurück, wo ich nun Berlioz im Nachhausegehen begegnete, und zu bemerken hatte, dass mein Anblick ihm einen krampfhaften Schrecken verursachte, welcher sich in seiner Physiognomie und ganzen Haltung in wahrhaft grauenhafter Weise ausdrückte. Keinen Augenblick im Zweifel darüber, wie es zwischen ihm und mir stünde, verbarg ich meinen eigenen Schrecken unter der andrerseits natürlichen Besorgniss für sein Befinden, von welchem er mir auch sogleich versicherte, dass es höchst qualvoll sei, da er gegen die heftigen Anfälle einer Neuralgie nur noch durch die Elektrisirmaschine, von deren Gebrauch er so eben nach Hause zurückkehre, sich aufrechterhalten könne. Um seine Schmerzen nicht zu vermehren, erbot ich mich, sogleich ihn zu verlassen, was ihn jedoch wieder bis dahin beschämte, dass er mich dringend ersuchte, nochmals in seine Wohnung mit ihm hinauf zu steigen. Hier gelang es mir, ihn durch die wahrhaftige Eröffnung meiner Absichten auf Paris einigermassen freundlich zu stimmen: selbst ein von mir vermuthlich auszuführendes Konzert-Unternehmen sollte nur den Zweck haben, die nöthige Aufmerksamkeit des Publikums mir so weit zuzuwenden, als es für das Zustandebringen einer deutschen Oper, durch welche ich mir meine, von mir selbst noch nicht gehörten, Werke vorführen zu lassen wünschte, erforderlich sei; wogegen ich auf eine französische Aufführung des »Tannhäuser«, wie sie der Direktor Carvalho im Sinne gehabt zu haben schien, durchaus verzichtete. – In Folge dieser Erklärungen gerieth ich für einige Zeit mit Berlioz in ein ganz erträgliches, ja anscheinend durchaus freundschaftliches Vernehmen. So glaubte ich denn auch meine Agenten im Betreff der Acquisition von Orchester-Musikern für die projektirten Konzerte sehr wohl darauf anweisen zu können, in dieser Angelegenheit den gewiss sehr kundigen Rath meines erfahrenen Freundes zu Hülfe zu nehmen. Auch meldeten jene mir, dass Berlioz sich anfänglich theilnahmvoll bezeigt, dass diess aber sich plötzlich geändert habe, als eines Tages Madame Berlioz zu ihren Verhandlungen in das Zimmer getreten, und in den, ärgerlicher Verwunderung vollen Ausruf ausgebrochen sei: »Comment, je crois que vous donnez des conseils pour les concerts de Mr Wagner?« In Bezug auf diese Dame hatte Belloni in Erfahrung gebracht, dass sie soeben ein kostbares Bracelet von Meyerbeer zugesandt erhalten habe. »Rechnen Sie nicht auf Berlioz!« Mit dieser Ermahnung war seitens meines kundigen Agenten diese ganze Angelegenheit in Ordnung gebracht.

Ueberhaupt sah ich von jetzt an die strahlende Physiognomie des guten Belloni nie anders mehr, als von den Wolken der bängsten Sorgen verhüllt. Er glaubte herausgefunden zu haben, dass die sämmtliche Pariser »Presse« mir im höchsten Grade feindselig gestimmt wäre, wobei er nicht den mindesten Zweifel darüber aufkommen liess, dass diess die Folge der ungeheuren Aufregung sei, welche Meyerbeer jetzt in Berlin auszustehen habe. Er wusste von einer leidenschaftlichen Correspondenz von dort her mit den hauptsächlichsten Feuilletonisten der Pariser Journale zu berichten, unter anderm: dass der famose Fiorentino Meyerbeer's Bestürzung über mein Pariser Vorhaben bereits dadurch ausgebeutet habe, dass er ihm gedroht, meine Musik gut zu finden; was diesen natürlich wiederum zu den ungeheuerlichsten Bestechungen veranlassen musste. Belloni gerieth hierdurch in wachsende Bekümmerniss, und gab mir den Rath, vor allem auf finanzielle Unterstützung für mein Vorhaben bedacht zu sein, oder aber, wenn ich in dieser Beziehung aussichtslos sei, so möchte ich einzig auf die kaiserliche Macht mich stützen zu können versuchen. Besonders seine Erklärung, dass die, in jeder Hinsicht auf meine Gefahr hin auszuführenden Konzerte, ohne finanziellen Rückhalt nicht zu wagen wären, musste auch mich von Neuem zur Vorsicht bestimmen, denn alle meine Geldhülfsquellen waren durch meine Uebersiedelung und neue Einrichtung in Paris durchaus erschöpft. Somit musste ich nochmals darauf gerathen, zu den zuerst angeknüpften Unterhandlungen mit den Tuilerien, bezüglich der kostenfreien Ueberlassung der grossen Oper und ihres Orchesters, mit erneuerter Energie mich zurückzuwenden. Hierfür trat nun Ollivier mit Rathschlägen und sinnreichen Empfehlungen ein, deren Befolgung mich in sehr fremdartige, wenn auch äusserst flüchtige Berührungen setzte; so gerieth ich unter anderen bis in das Kabinet des Herrn Camille Doucet (eines Chefs im Ministerium Fould's und zugleich dramatischen Auteur's) immer in der Absicht, auf solchem Wege dem unnahbaren und gefürchteten Staatsminister und Meyerbeerianer selbst beizukommen. In Folge einer einzigen dieser Empfehlungen gerieth ich jedoch in andauernde, sehr freundschaftliche, wenn auch für unsere nächsten Zwecke durchaus nutzlose Beziehungen, und zwar zu Herrn Jules Ferry. Der Kaiser und sein Sekretär schwiegen hartnäckig, und zwar selbst noch dann, als ich vom Grossherzoge von Baden die Verwendung seines Gesandten in Paris, endlich sogar die des schweizerischen Gesandten Dr. Kern für mich veranlasst hatte, welche angespannten Kräfte ihrerseits immer nur dahin wirken sollten, mir, und wohl auch dem Kaiser, über den gefürchteten Fould Aufklärung zu verschaffen. Vergebens: Alles schwieg. –

Unter diesen Umständen hatte ich es als eine recht sonderbare Einmischung des Schicksals in meine Lage anzusehen, dass Minna ihre Bereitheit zur Einkehr bei mir in Paris mir ankündigte, und ich demnächst ihre Ankunft zu erwarten hatte. Sowohl bei der Auswahl als der Einrichtung des Häuschens in der rue Newton, war ich mit besondrer Berücksichtigung des künftigen Zusammenlebens mit Minna ausgegangen; mein Wohnraum war von dem ihrigen durch eine Treppe geschieden, und ich hatte Sorge dafür getragen, dass auch der ihr zugetheilten Wohnung es nicht an Behaglichkeit fehle. Vor allem aber auch war ich in die, seit meiner letzten Wiedervereinigung mit ihr in Zürich gepflegte, Neigung verfallen, welche es mir eingab, durch besondere Annehmlichkeit der Ausstattung, bis dahin wo mir die Liebe zum Luxus vorgeworfen werden sollte, die Räume mir freundlich einzurichten, gleichwie um hierdurch das Zusammenleben mit der immer mir fremder werdenden Frau zu einer erträglichen Möglichkeit zu gestalten. Ausserdem bot sich in dem Häuschen der rue Newton auch die Gelegenheit einen Salon herzurichten, und, mochte ich hierfür auch keinesweges ausschweifend verfahren, so fand es sich doch endlich, dass ich, zu den ungeheuren Beschwerden eines nicht enden wollenden Verkehres mit den so unzuverlässigen Pariser Arbeitern, auch noch in zuvor nicht berechnete Unkosten gerieth. Doch tröstete ich mich damit, dass, da es nun einmal so sein sollte, Minna durch den Einzug in dieses Haus, welches sie fortan zu bewirthschaften hatte, in gute Stimmung gerathen würde. So glaubte ich namentlich auch auf die Anstellung einer Pflegerin für sie bedacht sein zu müssen, und liess mir von Mme Hérold eine hiefür besonders geeignet dünkende Person empfehlen. Ausserdem hatte ich mir sogleich bei meiner Ankunft einen Diener zugelegt, welcher, obwohl ein ziemlich alberner Walliser und früherer päbstlicher Leibgardist, doch bald mit grosser Liebe an mir zu hängen schien.

Zu diesem Personale brachte nun Minna selbst ihre frühere Züricher Köchin mit, in deren Begleitung ich sie endlich am 17. November auf dem Perron des Bahnhofes empfangen durfte. Hier übergab Minna mir sofort den Papagei und das Hündchen Fips, wodurch ich unwillkürlich an jene ihre frühere Ankunft im Hafen von Rorschach, vor nun zehn Jahren, erinnert wurde. Gerade wie damals gab sie mir auch jetzt sofort zu verstehen, dass sie nicht aus Noth zu mir käme, und wenn ich sie übel behandeln würde, sie recht gut wisse, wohin sie zurückzukehren hätte. Im Uebrigen hatte ich wohl nicht zu verkennen, dass gegen damals eine nicht unbedeutende Veränderung in ihr vorgegangen sei; sie bekannte mir, dass sie von der ähnlichen Angst und Besorgniss erfüllt wäre, wie eine Person, die einen neuen Dienst anzutreten habe, und nicht recht wisse, ob sie sich darin zurechtfinden würde. Hiergegen suchte ich sie durch die Bekanntmachung mit meiner äussern Lage, an der ich ihr Theilnahme zu verstatten nicht versäumte, zu zerstreuen. Leider hatte sie aber auch hierfür weder Sinn noch Verständniss, wogegen ihre Aufmerksamkeit sogleich einzig durch die Innerlichkeiten unseres Hauses in Anspruch genommen wurde. Dass ich mir einen Diener angenommen hatte, bemerkte sie mit Hohn; dass ich ihr aber unter dem Titel einer Kammerjungfer eine, wie ich wahrhaftig meinte, ihr sehr nöthige Pflegerin angestellt hatte, versetzte sie sogleich in Wuth. Dieses Frauenzimmer, von welcher mir Mme Hérold zu ihrer Empfehlung versichert hatte, dass sie sich mit engelhafter Geduld der Pflege ihrer kranken hochbejahrten Mutter unterzogen hätte, wurde alsbald durch das Verhalten Minna's gegen sie in dem Grade demoralisirt, dass ich nach kürzester Frist es mir selbst eifrig angelegen sein liess, sie wieder zu entlassen; bei welcher Gelegenheit ich mir heftige Vorwürfe darüber zuzog, dass ich der Dienerin eine kleine Gratifikation zuwandte. In noch höherem Grade gelang die vollständige Depravation meines Dieners, welcher schliesslich erklärte, keine Befehle von meiner Frau mehr annehmen zu wollen, durch meine Widersprüche hingegen sogar in fahrlässiges Benehmen auch gegen mich gerieth, und ebenfalls in kürzester Frist fortgeschickt werden musste. Er hinterliess mir eine sehr solide vollständige Livrée, welche ich ihm soeben erst für theures Geld angeschafft hatte, und welche fortan müssig dahing, da ich keine Neigung empfand, je wieder einen Bedienten in dieselbe zu stecken. Hiergegen muss ich allerdings der Schwäbin Therese, welche fortan während meines ganzen Pariser Aufenthaltes die Bedienung meines Hauses allein besorgte, für ihre Leistung das allervorzüglichste Zeugniss geben. Dieses Frauenzimmer, mit einem ungewöhnlichen natürlichen Verstande begabt, übersah nämlich auch vollständig meine peinliche Lage ihrer Herrin gegenüber, begriff namentlich die üblen Eigenschaften derselben, und wusste sie zu meinen Gunsten, wie zum Vortheil des Hausstandes selbst, durch eine nie ermüdende Thätigkeit für mich unschädlich zu machen.

So schloss sich denn um diese Zeit, durch diese letzte Wiedervereinigung mit Minna, ein nun wiederholt von mir durchlebter Kreislauf, um, wie es schien, ganz von Neuem wieder zu beginnen. Diessmal durfte ich es für ein Glück erachten, dass jetzt von keiner Einkehr in eine stille Zurückgezogenheit die Rede war, sondern dass es sich um den Antritt einer unendlichen Folge von äusseren Beziehungen und Thätlichkeiten handelte, zu denen wiederum ich ganz gegen meine Wahl und Neigung durch das Schicksal hingetrieben wurde. –

Mit dem Neujahr 1860 trat jetzt eine sehr unerwartete Wendung für die Möglichkeit des Gelingens meiner Unternehmungen ein. Der Kapellmeister Esser in Wien vermittelte an mich den Wunsch des Musikhändlers Schott in Mainz, eine neue Oper von mir für seinen Verlag zu erwerben. Hierfür hatte ich jetzt nichts anderes als das »Rheingold« anzubieten; die eigenthümliche Beschaffenheit dieses, nur als Vorspiel zu der grossen Nibelungen-Trilogie gedachten Werkes, machte es mir schwierig, ohne weitere Andeutungen in diesem Bezug, es einfach nur als »Oper« anzubieten. Dennoch erschien der Eifer Schott's, jedenfalls ein neues Werk von mir seinem Verlagskatalog einzureihen, so gross, dass ich endlich alle Bedenken überwand und, ohne Verhehlung der Schwierigkeiten für die Verbreitung dieses Werkes, es ihm zur Verfügung stellte, sobald er mir 10,000 Franken dafür zahlen wollte, wogegen ich ihm allerdings die Erwerbung der nachfolgenden drei Hauptstücke, zu dem gleichen Preise für ein jedes derselben, zusicherte. Sogleich fasste ich den Plan, falls Schott auf meine Forderung einginge, die hieraus sich ergebende so unerwartete Einnahme zur Betreibung meiner Pariser Unternehmung zu verwenden. Durch das hartnäckige Schweigen des kaiserlichen Kabinets ermüdet, gab ich jetzt an meine Agenten den Auftrag, mit Signor Calzado für das italienische Opernhaus zu drei Konzerten abzuschliessen, sowie das nöthige Orchester und die erforderlichen Gesangskräfte anzuwerben. Als diess im Gange war, ward ich wiederum durch zögernde Gegenanerbietungen von Schott geängstigt; um ihn mir nicht abwendig zu machen, trug ich bereits dem Musikdirektor Schmidt in Frankfurt brieflich auf, die Unterhandlungen mit Schott auf Grund einer bedeutend ermässigten Forderung meinerseits fortzusetzen. Kaum war dieser Brief abgesandt, als Schott's Schreiben eintraf, in welchem er mir schliesslich seine Bereitwilligkeit auf meine Forderung von 10,000 Franken einzugehen, kundgab. Diess veranlasste meinerseits ein Telegramm an Schmidt, durch welches ich den ihm gegebenen Auftrag angelegentlichst zurück nahm.

Mit gutem Muthe verfolgten nun ich und meine Agenten die eingeleitete Konzert-Unternehmung, deren Vorbereitung meine ganze Thätigkeit vollauf in Beschlag nahm. Ich hatte für einen Gesangchor zu sorgen, und glaubte hierfür das theuer zu bezahlende Personal der italienischen Oper durch einen deutschen Gesangverein verstärken zu müssen, welcher mir unter der Leitung eines gewissen Herrn Ehmant nachgewiesen wurde. Um die Mitglieder desselben mir geneigt zu machen, hatte ich eines Abends ihr Vereinslokal in der rue du Temple aufzusuchen, und mit guter Laune mich an den Bierdunst und Tabaksdampf zu gewöhnen, in welchem hier biedere deutsche Kunstbestrebungen sich mir offenbaren sollten. Ausserdem wurde ich aber auch mit Herrn Chevé, dem Lehrer und Dirigenten eines französischen Volksgesangsvereines, dessen Uebungen in der Ecole de médecine vor sich gingen, in Verbindung gesetzt, und traf hier auf einen wunderlichen Enthusiasten, welcher von seiner Methode, Leute ohne Noten Musik singen zu lassen, die Regeneration des französischen Volks-Geistes erwartete. Die peinlichsten Beschwerden verursachte mir aber die Nöthigung, den grössten Theil der Orchesterstimmen der von mir auszuführenden Fragmente erst kopiren zu lassen. Ich nahm hierfür mehrere arme deutsche Musiker in Sold, welche sich nun von früh bis in die Nacht in meiner Wohnung niederliessen, um unter meiner Anleitung und Aufsicht die oft schwierigen Einrichtungen vorzunehmen.

In diesen mit Leidenschaftlichkeit betriebenen Besorgungen traf mich jetzt Hans von Bülow an, welcher, wie es sich namentlich in dem Erfolge erwies, fast weniger um der Betreibung seiner eigenen Angelegenheiten als Konzert-gebender Virtuos, sondern um meinen Unternehmungen hülfreich sich zu erweisen, für längere Zeit in Paris eingetroffen war. Er wohnte bei Liszt's Mutter, verbrachte aber die grösste Tageszeit bei mir, um überall, wo es Noth that, so jetzt zunächst bei der Anfertigung der Kopien zu helfen. Nach jeder Seite hin war seine Mitthätigkeit ausserordentlich; namentlich aber schien er es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, seine, bei einem vorjährigen Besuche von Paris unter der Anleitung seiner Frau angeknüpften, gesellschaftlichen Verbindungen für meine Unternehmung nützlich zu machen. Der Erfolg hiervon ergab sich mit der Zeit; für jetzt half er bei der Ausführung der Konzerte selbst, zu welchen nun die Proben begannen.

Die erste dieser Proben fand im Herz'schen Saale statt, und führte zu einer Aufregung der Musiker gegen mich, welche fast einer Emeute glich. Ich hatte mich beständig mit ihnen zu streiten über Gewohnheiten ihrerseits, welchen nicht nachgeben zu dürfen ich meinerseits durch Vernunftgründe zu erweisen mich bemühte. Besonders empörte sie mein Sechsachtel-Takt, welchen ich ihnen nach dem Schema des Vier-viertel-Taktes schlug, während sie unter tumultuarischen Protestationen behaupteten, er müsse nach dem des Alla-breve-Taktes geschlagen werden. In Folge eines scharfen Appells meinerseits an die Disciplin eines wohlgeordneten Orchesters, erklärte man mir, man sei keine preussischen Soldaten, sondern freie Männer. Endlich sah ich wohl ein, dass eines der Hauptgebrechen diessmal in der fehlerhaften Aufstellung des Orchesters lag, und entwarf nun meinen Plan für die nächste zweite Probe. Nach einer Berathung mit meinen Freunden fand ich mich hierzu am frühesten Morgen im Konzertsaale ein, ordnete selbst eine zweckmässige Aufstellung der Pulte an, und bestellte vor Allem ein für alle Musiker ausreichendes Frühstück, zu welchem ich beim Beginn der Probe in folgender Weise einlud: ich sagte den Musikern, dass von dem Erfolge unserer heutigen Zusammenkunft das Zustandekommen meiner Konzerte abhänge; wir dürften den Saal nicht verlassen, ehe wir hierüber nicht ganz im Klaren seien; desshalb ersuchte ich die Herren, zunächst eine Probe von zwei Stunden zu machen, sodann ein im anliegenden Salon bereitetes frugales Frühstück zu sich zu nehmen, worauf wir dann sofort eine zweite Probe, welche ich ihnen als solche auch bezahlen würde, abhalten sollten. Die Wirkung dieser Proposition war ganz ausserordentlich: die vortheilhafte Orchesteraufstellung erleichterte die Unterhaltung der guten Stimmung; der günstige Eindruck, welchen das nun gespielte Vorspiel zu »Lohengrin« auf Alle machte, liess endlich den Enthusiasmus ausbrechen und bereits am Schlusse der ersten Probe war Alles, Spieler und Zuhörer, unter denen sich auch Gaspérini befand, zur höchsten Gunst für mich hingerissen. Wahrhaft erfreulich äusserte sich nun dieser gute Geist bei der auf der Bühne der italienischen Oper selbst abgehaltenen Hauptprobe; hier war es mir bereits möglich, einen nachlässigen Trompeter mit harten Ausdrücken aus dem Orchester fortzuweisen, ohne hierbei durch den Geist der Camaraderie im mindesten behindert zu werden.

Das erste Konzert ging endlich am 25. Januar (1860) von Statten; die Aufnahme aller Stücke, welche ich aus meinen verschiedenen Opern, bis zu »Tristan und Isolde«, gewählt hatte, war von Seiten des Publikum's eine vollständig günstige, ja enthusiastische. Ich erlebte es hier, dass ein Stück, der Marsch aus »Tannhäuser«, durch stürmischen Applaus unterbrochen wurde, und zwar, wie es schien, aus Freude an der Ueberraschung davon, dass meine Musik, von der man so viel Gegentheiliges behauptet hatte, so lang zusammenhängende Melodien aufwies.

Sehr befriedigt, sowohl von der Ausführung des Konzertes, als der Aufnahme, die es gefunden, hatte ich an den folgenden Tagen die entgegengesetzten Eindrücke zu überwinden, welche durch die Auslassungen der Presse hierüber in mir hervorgerufen wurden. Es zeigte sich jetzt, dass Belloni sehr richtig gesehen hatte, und dass gerade unsere durch seine Voraussehungen veranlasste Nicht-Einladung der Presse die Wuth der Gegner nur noch verstärkt hatte. Da bei der ganzen Unternehmung es jedoch mehr auf eine Anregung für energische Freunde, als auf das Lob der Rezensenten abgesehen war, so beunruhigte mich das Toben dieser Herren bei weitem weniger, als das Ausbleiben günstiger Anzeichen von jener Seite her. Vor Allem beängstigte es mich aber, dass das vollständig gefüllt erscheinende Haus keine grössere Einnahme, als es sich fand, abgeworfen hatte. Wir hatten zwischen fünf und sechs Tausend Franken eingenommen, aber über 11 000 Fr. Unkosten gehabt. Die letzteren hätten nun zum Theil ersetzt werden können, sobald bei dem zweiten, weniger kostbaren Konzerte eine möglichst gesteigerte Einnahme erwartet werden durfte. Belloni und Giacomelli hingen aber die Köpfe; sie glaubten sich der Einsicht nicht verschliessen zu dürfen, dass das Konzert nicht der Genre des Franzosen sei, welcher durchaus das dramatische Element, d. h. Kostüme, Dekorationen, Ballet und dergleichen verlange, um sich befriedigt zu fühlen. Die geringen Bestellungen zum zweiten Konzert, welches am 1. Februar gegeben wurde, hatten meine Agenten sogar in die Nöthigung versetzt, für eine künstliche Anfüllung des Saales Sorge zu tragen, um wenigstens den Anschein zu retten; ich musste sie hierin vollkommen gewähren lassen, und war späterhin verwundert zu erfahren, wie sie es angefangen hatten, die ersten Ränge dieses aristokratischen Theaters in einer Weise zu bevölkern, dass alle Welt, selbst unsere Feinde, hierdurch getäuscht wurden. Die wirkliche Einnahme betrug dagegen wenig über 2000 Franken, und nun bedurfte es allerdings meiner Hartnäckigkeit, und meiner Verachtung aller Nöthen, die mir hieraus entstehen konnten, um das für den 8. Februar angesagte dritte Konzert nicht abzubestellen.

Mein Schott'sches Honorar, von welchem ich allerdings einen Theil auf die Bedürfnisse meiner jetzt wiederum erschwerten häuslichen Existenz zu verwenden hatte, war darauf gegangen, und ich hatte mich nach Subsidien umzusehen. Diese erlangte ich zunächst mit schwerer Mühe, durch Gaspérini's Vermittlung von dem Manne, auf dessen Gewinn für mich in einem bei weitem wichtigeren Sinne es eigentlich bei der ganzen Konzertunternehmung abgesehen war. Diess war der bereits erwähnte Generalpächter aus Marseille, Herr Lucy, welcher um die Zeit meiner Konzerte in Paris ankommen sollte, und von welchem mein Freund Gaspérini annehmen zu dürfen glaubte, dass ein bedeutender Erfolg meinerseits vor dem Pariser Publikum ihn zu dem grossartigen Entschluss anregen würde, sich zur finanziellen Uebernahme der Durchführung meines Projektes einer deutschen Oper in Paris zu erklären. Dagegen blieb nun Herr Lucy im ersten Konzert gänzlich aus, und stellte sich nur zu einem Theile des zweiten ein, bei dessen Anhörung er einschlief. Dass er nun um einen Vorschuss von mehreren Tausend Franken für das Zustandebringen des dritten Konzertes angegangen wurde, schien ihn ganz natürlich gegen jede weitere Zumuthung unsererseits zu schützen, so dass er eine gewisse Befriedigung empfand, um den Preis dieses Darlehen's vor allem weiteren Eingehen auf meine Pläne bewahrt zu sein. Musste auch mir nun die Durchführung dieses dritten Konzertes im Grunde nutzlos erscheinen, so erfreute dieses mich doch, sowohl durch den guten Geist der Ausführung selbst, als durch die schöne Aufnahme von Seiten eines Publikum's, welchem meine Agenten zwar auch diessmal noch zu einem volleren Anscheine hatten verhelfen müssen, das doch aber eine merkliche Zunahme an zahlenden Besuchern in sich schloss.

Mehr als der Unmuth über diese, äusserlich betrachtet, verfehlte Konzert-Unternehmung, wirkte jedoch in dieser Zeit die Wahrnehmung des ausserordentlichen Eindruckes, welchen ich auf Einzelne hervorgebracht, auf meine Stimmung. Unverkennbar hatte sowohl dieser Eindruck unmittelbar, als die hierüber sich äussernde Presse mittelbar, ein ausserordentliches Interesse mir zugewendet. Dass ich sämmtlichen Journalen keine Einladungen zugestellt hatte, schien von allen Seiten als eine bewundernswürdige Kühnheit aufgefasst zu werden. Die Haltung der Rezensenten war im Allgemeinen von mir bestimmt vorausgesehen worden; nur erweckte es mein Bedauern, dass selbst solche, wie ein Herr Franc-Marie, Berichterstatter für die Patrie, welcher sich am Schlusse des ersten Konzertes in äusserster Ergriffenheit dankbar an mich gewendet hatte, dem Losungsworte der Camaraderie unweigerlich zu folgen sich genöthigt sahen, und schliesslich so weit gebracht wurden, ihre mir in Wahrheit geneigte Gesinnung zu verleugnen. Ein wahrhaft ärgerliches Aufsehen erregte jedoch Berlioz mit einem anfänglich in gewundenen Ausdrücken sich abmühenden, schliesslich in offenbar perfide Suppositionen sich ergehenden Artikel im Journal des Débats. Diesem, als meinem alten Freunde, entschloss ich mich sein schlechtes Benehmen nicht so leicht hingehen zu lassen, und antwortete ihm mit einem Briefe, welchen ich mit höchster Mühe in ein gutes Französisch übersetzen, sowie mit einiger Beschwerde in das Journal des Débats einrücken liess. Es schien nun, dass gerade dieser Brief Solche, auf welche mein Konzert selbst bedeutend gewirkt hatte, in einem sehr lebhaften Sinne mir zuwendete. Unter diesen meldete sich bei mir ein Herr Perrin, vormaliger Direktor der Opéra comique, jetzt vermögender Schöngeist und Maler, später jedoch Direktor der grossen Oper. Dieser hatte Lohengrin und Tannhäuser in Deutschland gehört, und erging sich in Aeusserungen, welche mich annehmen liessen, er würde, wenn er hiefür in die Lage komme, es sich zum Ehrenpunkte machen diese Werke nach Frankreich überzusiedeln. – In gleicher Lage der Bekanntschaft mit meinen Opern durch deutsche Aufführungen befand sich ein Graf Foucher de Careil, welcher mit mir ebenfalls in einen auszeichnenden andauernden Verkehr trat. Dieser hatte sich durch verschiedene Publikationen über deutsche Philosophie, namentlich durch eine Herausgabe des Leibnitz in Ansehen gesetzt, und es konnte mir nicht uninteressant sein, durch seine Gesellschaft mit einer ehrenwerthen, und von mir bisher durchaus ungekannten Seite des französischen Geistes in Berührung gebracht zu werden.

Uebergehe ich einige flüchtige Bekanntschaften, welche mir diese Zeit zuführte, und unter denen ein russischer Graf Tolstoi sich besonders vorteilhaft auszeichnete, so habe ich nun des vorzüglichen Eindruckes auf mich zu gedenken, welchen der Romancier Champfleury durch eine hinreissend liebenswürdige Brochüre, deren Gegenstand ich und meine Konzerte waren, auf mich machte. In anscheinend flüchtig hingeworfenen Aphorismen war hier eine so grosse Empfindung von meiner Musik und selbst meiner Persönlichkeit ausgesprochen, wie ich sie zuvor ähnlich nur in Liszt's Auslassungen über Lohengrin und Tannhäuser, seitdem aber in dieser prägnanten und schwungvollen Art nie wieder erfahren habe. Meine hierauf folgende persönliche Bekanntschaft mit Champfleury führte mir einen sehr einfachen und in einem gewissen Sinne gemüthlichen Menschen zu, dessen gleichen sonst nur selten, und zwar als einer aussterbenden Gattung der französischen Bevölkerung zugehörend, angetroffen werden dürfte.

In ihrer Art noch bedeutender war aber die Annäherung des Dichters Baudelaire an mich. Diese eröffnete sich durch einen Brief an mich, worin er mir seine Eindrücke von meiner Musik, als auf einen Menschen der durchaus nur Farben- aber keinen Tonsinn gehabt zu haben glaubte, bewirkt hätte. Seine, in der seltsamsten Phantastik mit bewusster Kühnheit sich bewegenden, Auslassungen hierüber zeigten mir in ihm sofort im mindesten einen Menschen von sehr ungewöhnlichem Geiste, welcher mit ungestümer Energie den von mir empfangenen Eindrücken in ihren weitesten Konsequenzen folgte. Seiner Namens-Unterschrift fügte er die Angabe seiner Wohnung nicht bei, um, wie er erklärte, mich nicht zu dem Gedanken zu verleiten, er wolle etwas von mir. Es versteht sich, dass ich auch ihn aufzufinden wusste, und ihn demjenigen Kreise von Bekanntschaften einreihte, welchen ich von jetzt an die Abende des Mittwoch zu ihrem Empfange bei mir ankündigte.

Diess war mir von meinen älteren Pariser Bekannten, unter denen Gaspérini sich fortgesetzt treu erhielt, als den Pariser Gewohnheiten entsprechend angerathen worden; und so kam ich dazu, in meinem kleinen Häuschen der rue Newton ganz nach der Mode »Salon« zu halten, wobei sich Minna, trotzdem sie sich nur jämmerlich mit einigen französischen Brocken zu helfen vermochte, in einer sehr respektabeln Stellung fühlte. Dieser Salon, an welchem auch Ollivier's freundschaftlichen Theil nahmen, bevölkerte sich einige Zeit über durch immer zunehmende Affluenz. Hier fand sich auch eine ältere Bekannte, Malwida von Meysenbug, wieder zu mir, um fortan für das ganze Leben mir nahe befreundet zu werden. Ich war ihr zuvor ein einziges Mal, und zwar während meines Aufenthaltes in London (1855), persönlich begegnet, nachdem sie bereits früher mit enthusiastischer Zustimmung sich mir über mein Buch »das Kunstwerk der Zukunft« brieflich zu erkennen gegeben hatte. Damals, in London, wo wir uns eines Abends bei einer Familie Althaus zusammen fanden, traf ich sie noch von all den Wünschen und Entwürfen für die Vervollkommnung des menschlichen Geschlechts erfüllt an, zu denen ich durch jenes Buch mich selbst bekannt hatte, von welchen ich aber jetzt, namentlich unter der Anleitung Schopenhauer's, durch die Erkenntniss der tiefen Tragik der Welt, sowie der Nichtigkeit ihrer Erscheinungen, in einem fast gereizten Sinne abgewendet worden war. Es war mir peinlich, bei meinen Diskussionen hierüber von der enthusiastischen Freundin nicht verstanden zu werden und ihr geradesweges als Renegat einer edlen Sache zu erscheinen. Wir schieden in grosser Verstimmung. Jetzt erschrack ich fast, Malwida wieder in Paris anzutreffen: gar bald löschte sich aber jede peinliche Erinnerung an jene Londoner Debatten aus, als sie mir sofort mit der Erklärung entgegen kam, dass der damalige zwistige Disput auf sie den entscheidenden Erfolg gehabt hätte, welcher sie bestimmte sich unverzüglich mit der Schopenhauer'schen Philosophie bekannt zu machen. Nachdem ihr diess durch das ernstlichste Studium gelungen, sei sie allerdings zu der Einsicht gelangt, dass ihre damals geäusserten und heftig behaupteten Ansichten über Weltbeglückung ihrer Seichtigkeit wegen mich mit grossem Verdruss erfüllt haben müssten. Sie erklärte sich jetzt als meine eifrigste Bekennerin, und fasste dieses Bekenntniss sogleich im Sinne einer um all mein Wohlergehen allerernstlichst besorgten Freundin auf. Wenn ihr, welche ich dem Anstande gemäss zunächst in die Stellung einer Freundin zu meiner Frau zu bringen hatte, das schreckliche Missbehagen unseres, nur noch scheinbar ehelichen Zusammenlebens, auf den ersten Blick nicht entgehen konnte, und sie gegen die aus dem Wahrgenommenen resultirenden Uebelstände mit herzlicher Fürsorge einzuschreiten sich angelegen sein liess, so blieb es ihr auch alsbald nicht verborgen, in welcher schwierigen Lage ich, bei meinen fast ziellosen Unternehmungen, bei gänzlich mangelnder materieller Sicherung meiner Existenz, in Paris mich befand. Die grossen Unkosten, in welche die gegebenen drei Konzerte mich gebracht, waren endlich Niemandem der sich um mich bekümmerte, unbekannt geblieben; auch Malwida hatte bald errathen, in welchen Schwierigkeiten ich mich befand, da nach keiner Seite eine Aussicht sich eröffnen wollte, welche als ein praktischer Erfolg meiner bisherigen Unternehmungen, und als ein Ersatz der ihnen gebrachten Opfer angesehen werden konnte. Ganz aus eigenem Antriebe fühlte sie sich verpflichtet an eine Hülfe für mich zu denken, und suchte diese in der mir zu verschaffenden Bekanntschaft einer Mme Schwabe, der Wittwe eines reichen englischen Kaufmannes, in deren Hause sie als Erzieherin der älteren Tochter ein Unterkommen gefunden hatte. Sie verhehlte sich und mir nicht, welch' übele Zumuthung mir mit der Pflege dieser Bekanntschaft gestellt war; dennoch hielt sie sich an die, von ihr angenommene Guthmüthigkeit dieser ziemlich grotesken Frau, so wie an die Eitelkeit derselben, welche mir die Auszeichnung des Besuches meines Salons gewiss zu vergelten suchen werde. In Wahrheit waren alle meine Subsistenz-Mittel zu Ende; und diese schlimme Lage zu verläugnen erhielt ich den Muth einzig durch den Abscheu, den ich empfand, als ich erfuhr, man gehe unter den Deutschen von Paris damit um, durch eine anzustellende Sammlung mich für die Unkosten meiner Konzerte zu entschädigen. Bei der Nachricht hiervon schritt ich sofort mit der Erklärung ein, dass jene Annahme meiner Bedürftigkeit in Folge von Verlusten auf einem falschen Gerüchte beruhe, und ich jede Bemühung in diesem Sinne ablehnen müsse. Mme. Schwabe, welche sich regelmässig in meinen Soiréen einfand, und ebenso regelmässig beim Musiziren einschlief, fand sich nun aber veranlasst, durch die sorgsame Meysenbug mir ihre persönliche Hülfe anbieten zu lassen. Diese erstreckte sich auf etwa 3000 Franken, welche mir in diesem Augenblick allerdings auf das Aeusserste nöthig waren; da ich das Geld nicht geschenkt annehmen wollte, stellte ich der Dame, welche diess in keiner Weise verlangte, freiwillig über die empfangene Summe einen Wechsel auf ein Jahr aus, welchen sie in der Annahme, einzig meinem Gefühle dadurch Genüge zu thun, nicht aber ihrerseits Rechte auf Wiedererstattung sich zu sichern, gutmüthig acceptirte. Als späterhin wirklich die Zeit der Fälligkeit dieser Wechsel erschien, wendete ich mich, da andererseits meine Lage mir die Einlösung derselben durchaus unmöglich machte, an die in Paris verbliebene Meysenbug, um bei der, seitdem wieder auswärts sich befindenden Besitzerin des Papieres sich für die Erneuerung desselben durch Verlängerung auf ein neues Jahr, zu verwenden: diese entgegnete mir nun mit ernstlichster Ueberzeugung, ich solle mir doch selbst diese geringe Mühe ersparen, da die Schwabe die mir übergebene Summe nie anders als eine freiwillige Beisteuer zum Gelingen meiner Pariser Unternehmung, für welches sie ernstliches Interesse zu empfinden sich geschmeichelt hätte, angesehen habe. Wir werden späterhin erfahren, welche Bewandtniss es damit hatte.

Ebenso überrascht als gerührt war ich, in dieser seltsam aufgeregten Zeit das Huldigungsgeschenk eines Dresdner Bürgers, Richard Weiland zugeschickt zu erhalten; es war eine nicht kunstlose Silber-Arbeit, ein von einem Lorbeerkranze umgebenes Notenblatt darstellend, auf welchem die Anfangstakte von Hauptthemen aus meinen Opern bis zu »Rheingold« und »Tristan« eingegraben waren. Der bescheidene Mann besuchte mich später einmal, und erklärte mir, dass er fast unausgesetzt den Aufführungen meiner Opern an verschiedenen Orten nachgereist sei, bei welchen Gelegenheiten er von der Prager Aufführung des »Tannhäuser's« im Gedächtniss behalten hatte, dass dort die Ouvertüre zwanzig Minuten gedauert, während sie unter meiner Leitung in Dresden nur zwölf in Anspruch genommen hatte.

In einer anderen Weise sehr freundlich anregend erwies sich für mich eine Berührung mit Rossini, welchem ein Witzreisser für die Journale ein bon-mot untergeschoben hatte, wonach er seinem Freunde Caraffa, als dieser sich für meine Musik erklärte, bei einem Dîner den Fisch ohne Sauce servirt und diess damit erklärt haben sollte, dass ja sein Freund auch die Musik ohne Melodie liebe. Hiergegen protestirte nun Rossini in einem öffentlichen Schreiben sehr förmlich und ernsthaft, erklärte das ihm untergelegte bon-mot für eine »mauvaise blague« und bezeugte zugleich, dass er derartige Scherze sich nie in Betreff eines Mannes erlauben würde, den er darin begriffen sehe das Gebiet seiner Kunst zu erweitern. Nachdem ich hiervon Kenntniss erhalten, zögerte ich keinen Augenblick Rossini meinen Besuch zu machen, und ward von ihm in der Weise freundlich empfangen, wie ich diess später in einem, meinen Erinnerungen an Rossini gewidmeten Aufsatze beschrieben habe. – Nicht minder war ich auch erfreut im Betreff meines alten Bekannten Halévy zu erfahren, dass er in dem Streite über meine Musik freundlich für mich Partei genommen hatte. Ueber meinen Besuch bei ihm, sowie die bei dieser Gelegenheit gepflogene Unterhaltung, verweise ich auf meinen früheren bereits vorgreifend gegebenen Bericht.

Bei allen diesen, mehrerentheils freundlichen und ermunternden Begegnungen, wollte dennoch aber nichts herauskommen, was für die Gestaltung meiner Lage einer sicheren Aussicht geglichen hätte. Immer noch musste ich darauf gespannt bleiben, ob mir auf mein an den Kaiser Napoléon deshalb gerichtetes Gesuch ein Bescheid gegeben, und die Mittel der grossen Oper zu einer Wiederholung meiner Konzerte mir zugewiesen werden würden. Denn nur hieraus, nämlich wenn ich gar keine Kosten zu tragen hatte, konnte mir auch ein immer nöthiger werdender Vortheil erwachsen. Es blieb ausgemacht, dass der Minister Fould mit höchster Leidenschaftlichkeit beim Kaiser mir entgegen stehe. Da ich nun hiergegen die sehr überraschende Erfahrung gemacht, dass der Marschall Magnan meinen sämmtlichen drei Konzerten beigewohnt hatte, durfte ich bei diesem Herrn, gegen welchen der Kaiser aus den Zeiten des zweiten Dezembers her besondere Verbindlichkeiten hatte, auf eine nicht ungünstig zu verwerthende Theilnahme für mich schliessen. Da ich es durchaus darauf absah, dem mir höchst widerwärtig gewordenen Herrn Fould etwas anzuhaben, meldete ich mich daher bei dem Marschall, und hatte in Folge dessen die grosse Ueberraschung, eines Tages einen Husaren an meinem Hause anreiten zu sehen, welcher vom Pferde herab die Klingel anzog und meinem erstaunten Diener das Schreiben Magnan's überreichte, in welchem dieser mich zu sich beschied. In der Commandantur von Paris empfing mich demzufolge der bis zur Verwogenheit stattliche Militär: dieser unterhielt sich sehr verständig mit mir, indem er mir seinen Gefallen an meiner Musik unverhohlen bezeugte, und hörte meinen Bericht über die so auffallend zwecklosen Versuche, welche ich beim Kaiser angestellt, sowie auch die Kundgebung meines Verdachtes in Bezug Fould's, mit wahrhaftiger Aufmerksamkeit an. Mir ward später berichtet, er habe noch am gleichen Abende in den Tuilerien Fould sehr bestimmt in meinem Betreff zur Rede gestellt.

Jedenfalls bleibt es gewiss, dass ich von jetzt an immer bestimmtere Anzeichen einer Wendung meiner Angelegenheiten von dieser Seite her erfuhr. Das Entscheidende trug sich aber zu, als von einer mir bisher gänzlich unbeachtet gebliebenen Seite her zu meinen Gunsten eine Bewegung sich kund gab. Bülow, welcher von der Theilnahme an dem Ausgange aller dieser Dinge gefesselt, seinen Aufenthalt in Paris immer noch verlängert hatte, war hier mit Empfehlungsbriefen der damaligen Prinzessin-Regentin von Preussen an den Gesandten Grafen Pourtalès angekommen gewesen. Seine Erwartung, von diesem Herrn endlich selbst den Wunsch, dass ich ihm vorgestellt werden möchte, ausgedrückt zu sehen, blieben bisher unerfüllt. Um ihn zur Bekanntschaft mit mir zu nöthigen, griff er endlich zu dem Mittel, den preussischen Gesandten nebst seinem Attaché, Grafen Paul Hatzfeld, zu einem Déjeuner in dem vorzüglichen Restaurant Vachette, zu welchem ich ihn begleiten sollte, einzuladen. Der Erfolg dieser Zusammenkunft war allerdings ganz nach Wunsch; namentlich erfreute mich Graf Pourtalès durch grosse Einfachheit und ungeheuchelte Wärme seiner Unterhaltung, wie seines Benehmens gegen mich. Von jetzt an besuchte mich Graf Hatzfeld, wohnte auch meinen Mittwochs-Empfängen bei, und überbrachte endlich Botschaften im Sinne einer am Hofe der Tuilerien vorgehenden Bewegung zu meinen Gunsten. Endlich ersuchte er mich, mit ihm den Grafen Bacciochi, den Oberstkämmerer des Kaisers, zu besuchen. Von diesem erhielt ich dann die ersten Anzeichen einer Antwort auf mein früheres Gesuch an den Kaiser: es hiess da, warum ich denn auf ein Konzert in der grossen Oper bestünde; ein solches interessire ja Niemanden ernstlich und könnte mir keinen weiteren Erfolg bringen; es wäre dagegen vielleicht besser, wenn man dem Direktor dieses kaiserlichen Institutes, Herrn Alphonse Royer, eine Verständigung mit mir über eine für Paris zu komponirende Oper anempfehle. Da ich hiervon nichts hören wollte, blieben mehrere solche Konferenzen fruchtlos; zu einer derselben begleitete mich jedoch Bülow, bei welcher Gelegenheit wir an dem wunderlichen Herrn Grafen, den Belloni in seiner Jugend als Billet-Controleur an der Scala in Mailand fungirend gekannt haben wollte, die lächerliche Bemerkung machten, dass er, vermuthlich in Folge nicht sehr ehrenwerther körperlicher Gebrechen, gewisse willenlose krampfhafte Bewegungen seiner Hand nur durch beständiges Spielen mit einem Stöckchen zu verbergen bemüht war, welches er mit scheinbarer Künstlichkeit an sich auf und ab springen liess. Auch nach diesem Beginne eines unmittelbaren Verkehres mit der kaiserlichen Behörde schien es in meiner Angelegenheit zu fast gar nichts kommen zu wollen, als eines Vormittags Graf Hatzfeld mich mit der Nachricht überraschte, der Kaiser habe am vergangenen Abende den Befehl zur Aufführung meines Tannhäuser ertheilt. Die entscheidende Veranlassung hierzu sei von der Fürstin Metternich gegeben worden. Diese sei, als man soeben in der Umgebung des Kaisers über mich sich unterhalten habe, hinzugetreten, und, vom Kaiser um ihre Meinung befragt, habe sie, welche die Oper in Dresden gesehen hatte, mit solch herausforderndem Enthusiasmus sich über den »Tannhäuser« geäussert, dass der Kaiser ihr sofort das Versprechen gegeben habe, den Befehl zur Aufführung desselben zu ertheilen. Zwar sei Fould, dem noch am selben Abende der kaiserliche Befehl zuging, in höchste Wuth hierüber ausgebrochen; Napoléon habe ihm aber bedeutet, er könne nicht zurück, denn er habe der Fürstin Metternich sein Wort gegeben. Nun wurde ich denn wieder zu Bacciochi geführt, welcher mich diesmal mit sehr ernster Miene empfing, zunächst aber die sonderbare Frage nach dem Sujet meiner Oper an mich richtete. Ich musste ihm dieses in Kürze mittheilen, und als ich zu Ende war, fuhr er befriedigt auf: »ah! le pape ne vient pas en scène? C'est bon! On nous avait dit que vous aviez fait paraître le Saint-Père, et ceci, vous comprenez, n'aurait pas pu passer. Du reste, monsieur, on sait à présent que vous avez énormément de génie; l'empereur a donné l'ordre de représenter votre opéra.« Er versicherte mich des Weiteren, alles würde mir zu Gebote gestellt werden, um meine Wünsche zu befriedigen; ich solle mich fortan hierüber einzig mit dem Direktor Royer in das Vernehmen setzen.

Diese Wendung der Dinge brachte mich in eine dumpfe Verwirrung, da meine innere Stimme zu allernächst mir nur die seltsamen Missverständnisse bezeichnete, welchen ich sie zu verdanken hatte. Allerdings war mir jede Hoffnung geschwunden, meinen ursprünglichen Plan, meine Werke mit einer ausgewählten deutschen Truppe in Paris aufzuführen, verwirklicht zu sehen, und ich durfte mir nicht verbergen, dass ich jetzt auf das gute Glück eines Abenteuers angewiesen war. Einige Unterredungen mit dem Direktor Royer genügten, um mich über den Charakter der mir zugeführten neuen Unternehmung aufzuklären. Er hatte keine angelegentlichere Sorge, als mich von der Nothwendigkeit einer Umänderung des zweiten Aktes zu überzeugen, weil hier die Einführung eines grossen Ballets unumgänglich sei. Auf diese und ähnliche Zumuthungen gab ich so gut wie gar keine Antwort, und frug, heimkehrend, mich nur, was ich nun anfangen sollte, wenn ich mich entschlösse der Aufführung meines »Tannhäuser« in der grossen Oper geradeswegs zu entsagen.

Hierzu nahmen mich andere, unmittelbar meine Lage berührende, Sorgen drängend genug ein, um ihrer Abhülfe zunächst meine ganze Thätigkeit zuzuwenden. In diesem Sinne beschloss ich ein von Giacomelli eingeleitetes Unternehmen, meine Konzerte in Brüssel zu wiederholen, zu allernächst auszuführen. Mit dem dortigen Théatre de la Monnaie war eine Uebereinkunft für drei Konzerte, deren Einnahme nach Abzug aller Kosten zur Hälfte mir überlassen sein sollte, abgeschlossen worden. In Begleitung meines Agenten reiste ich nun am 19. März nach der belgischen Hauptstadt, um zu versuchen, ob es mir gelingen würde, dort einigen Ersatz für mein an den Pariser Konzerten verlorenes Geld zu gewinnen. Unter der Anleitung meines Mentor's sah ich mich genöthigt, allerhand Zeitungsredaktoren, unter anderen belgischen Sommitäten aber auch Herrn Fétis père aufzusuchen. Von diesem wusste ich, dass er bereits vor Jahren von Meyerbeer gegen mich sich hatte erkaufen lassen; es war mir nun unterhaltend, mit diesem autoritätisch sich gerirenden Menschen in eine Art von Diskussion zu gerathen, in welcher er schliesslich gänzlich als gleicher Ansicht mit mir sich kundgab. – Hier machte ich aber auch die merkwürdige Bekanntschaft des Staatsrath's Klindworth, dessen Tochter, oder, wie Manche wissen wollten, Gattin, mir schon früher, als ich mich in London aufhielt, von Liszt empfohlen worden war; dort war sie jedoch damals nicht eingetroffen und ich hatte nun das Vergnügen, mich hier in Brüssel zu meiner Ueberraschung von ihr eingeladen zu sehen. Während sie sich ausserordentlich zuvorkommend um mich bemühte, sorgte Herr Klindworth selbst für eine unerschöpfliche Unterhaltung aus den Erfahrungen seiner wunderlichen Laufbahn als diplomatischer Agent in allerhand, mir undeutlich gebliebenen Interessen. Ich speiste mehrere Mal bei ihnen, und ward dort mit Graf und Gräfin Coudenhoven, letztere die Tochter meiner älteren Freundin, Frau Kalergis, bekannt. Herr Klindworth zeigte sich hierbei stets im höchsten Grade für mich eingenommen, so dass er eine Empfehlung an den Fürsten Metternich, dessen Vater er besonders nahe gestanden zu haben erklärte, mir aufzudringen für nöthig hielt. – Nur als mich bei einer letzten Unterhaltung seine bei aller sonstigen Frivolität seiner Maximen mich befremdende Berufung auf die alles lenkende »Vorsehung«, zu einer ärgerlichen Replik stimmte, verlor er alle Fassung, so dass ich bereits glaubte, er sei im Begriffe vollkommen mit mir zu brechen; eine Befürchtung, welche sich aber für jetzt, und selbst in späteren Zeiten, nicht erfüllen zu wollen schien. – Ausser dieser interessanten Bekanntschaft gewann ich in Brüssel jedoch nichts, als Kummer und nutzlose Anstrengung. Das erste Konzert war bei aufgehobenem Abonnement stark besucht: allein die, in Folge einer von mir missverstandenen Klausel, auf mich allein fallenden Kosten der eigentlichen musikalischen Aufführung, wurden von der Direktion so stark berechnet, dass auf meinen Gewinn-Antheil fast gar nichts fiel; diess sollte nun das zweite Konzert ausgleichen; dieses ging aber im Abonnement vor sich; da sich ausser den Abonnenten, von denen man mir sagte, dass sie eigentlich das ganze Haus besetzten, bezahlende Besucher nur spärlich eingefunden zu haben schienen, kam auch diessmal nicht so viel für mich heraus, dass ich die durch die Begleitung eines Agenten und Dieners verstärkten Reise- und Aufenthalts-Kosten damit decken konnte. Hierauf beschloss ich dann dem Versuch eines dritten Konzertes zu entsagen, und reiste von Mme Street, eben jener Tochter Klindworth's, mit einer böhmischen Glas-Vase beschenkt, in nicht besonders erfreulicher Laune nach Paris zurück. Doch hatte dieser Aufenthalt durch einen von hier aus unternommenen sehr kurzen Ausflug nach Antwerpen, mich doch einiger Massen zerstreut. Durchaus nicht in der Stimmung, die spärlich hierfür mir gegönnte Zeit zur Besichtigung von Kunstschätzen zu verwenden, hatte ich mich mit dem äusseren Anblicke der Stadt, welcher mir weniger Alterthümliches bot, als ich es vermuthet hatte, begnügt. Sehr verdriesslich jedoch blieb ich durch meine Enttäuschung über die Lage der berühmten Citadelle gestimmt. Ich hatte zu Gunsten der Scene des ersten Aktes meines Lohengrin angenommen, diese Citadelle, welche ich mir als die alte Burg von Antwerpen dachte, böte jenseits der Schelde einen irgend wie hervorragenden Punkt dar; statt dessen nun nichts als eine unterschiedslose Fläche, mit in die Erde eingegrabenen Befestigungen, zu erkennen war. Bei späteren Aufführungen des »Lohengrin«, welchen ich beiwohnte, musste ich nun gewöhnlich über die auf stattlichem Berge im Hintergrunde sich erhebende Burg des Theaterdekorateurs lächeln.

Ende März nach Paris zurückgekehrt, hatte ich zunächst wohl nichts weiter als meine gänzlich von Mitteln entblösste und dabei aussichtslose Lage zu bedenken. Ich musste mir unter dem Drucke dieser Sorgen um so sonderbarer vorkommen, als in meinem Hause, wo ich mir nichts davon merken liess, in Folge meiner Aufsehen erregenden Situation sich eine völlige Vogue einstellte; die Mittwochs-Empfänge wurden immer glänzender, interessante Fremde suchten sie auf, um durch mich zu gleicher Fortune zu gelangen; Fräulein Ingeborg Stark, die nachherige Gattin des jungen Hans von Bronsart, stellte sich mit hinreissender Elegance bei uns ein, um das Klavierspiel zu besorgen; Fräulein Aline Hund aus Weimar trat ihr bescheiden zur Seite; ein äusserst begabter junger französischer Musiker, Camille Saint-Saëns, nahm in sehr erfreulicher Weise an der musikalischen Unterhaltung Theil, und zu meinen übrigen französischen Bekanntschaften hatte sich eine der werthvollsten, diejenige des Herrn Frédéric Villot gesellt. Diesen Conservateur des tableaux du Louvre, einen sehr zarten und fein gebildeten Herrn, hatte ich im Laden des Musikhändler's Flaxland, mit welchem ich in nicht unwichtigen Verkehr getreten war, eines Tages angetroffen, als er dort so eben sich nach der Ankunft der von ihm bestellten Partitur des Tristan erkundigte; hierüber ganz erstaunt, hatte ich ihn, nachdem ich ihm vorgestellt und davon unterrichtet worden war, dass er bereits die Partituren meiner früheren Opern besässe, nach der Möglichkeit aus meinen dramatischen Kompositionen einen Genuss zu ziehen gefragt, da ich nicht begreifen wollte, wie er, ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein, gerade über diese Musik, welche so ganz mit der Dichtung zusammenhänge, sich Aufklärung verschaffen konnte; nachdem er mir hierauf die geistvolle Antwort gegeben, dass gerade meine Musik ihm als beste Anleitung zum Verständniss auch meiner Dichtung gedient hätte, fasste ich eine ernstliche Zuneigung zu diesem Mann, und blieb fortan sehr erfreut, mich mit ihm in anregender Berührung erhalten zu können. So glaubte ich späterhin ein sehr ausführliches Vorwort zu der Uebersetzung meiner Operndichtungen keinem Würdigeren als ihm widmen zu können. Die Partituren meiner Opern, die er selbst nicht zu spielen verstand, liess er sich durch den zuvor genannten, wie es scheint von ihm protegirten, jungen Musiker Saint-Saëns vorführen. Die Fertigkeit und das Talent Saint-Saëns lernte ich hierüber nun auch bis zu meinem wahrhaften Erstaunen kennen; mit einer ganz unübertrefflichen Sicherheit und Schnelligkeit im Ueberblicke der komplizirtesten Orchester-Partituren, verband dieser junge Mann ein nicht minder bewundernswürdiges Gedächtniss; er wusste meine Partituren, zu welchen sich nun auch der »Tristan« gesellte, nicht nur aus dem Kopfe zu spielen, sondern auch die, wesentlichen wie minder wesentlichen, Einzelnheiten derselben hierbei mit einer solchen Genauigkeit anzugeben, dass man glaubte er sähe die Partitur immer deutlich vor seinen Augen. Später erfuhr ich wohl, dass sich zu dieser stupenden Rezeptivität bei Erfassung alles technischen Materiales der Musik, keine intensive Produktivität bei ihm entwickeln wollte, so dass ich ihn unter seinen fortgesetzten Versuchen, als Komponist aufzutreten, mit der Zeit gänzlich aus den Augen verlor.

Jetzt hatte ich denn nun auch mit dem Direktor der grossen Oper, Herrn Royer, in nähere Vernehmung zu treten und zwar im Betreff der ihm befohlenen Aufführung des »Tannhäuser«. Es vergingen hierüber zwei Monate, ehe ich mir darüber klar wurde, ob zu der ganzen Sache Ja oder Nein zu sagen sei. Bei keiner Unterredung mit jenem Manne blieb die Ermahnung, an ein Ballet im zweiten Akte zu denken, unberührt; ich betäubte, aber überzeugte ihn nie durch meine Beredtsamkeit. – Zunächst konnte ich mich aber nicht weigern, an eine brauchbare Uebersetzung der Dichtung zu denken.

Im Betreff dieser Arbeit war es bereits sonderbar unstät zugegangen. Nachdem, wie ich schon früher berichtet Mr de Charnal hierfür sich als unfähig erwiesen, Roger mir andauernd aus den Augen geschwunden war, Gaspérini aber auch keinen rechten Ernst für die Uebernahme dieser Arbeit mir bezeigt hatte, stellte sich ein Herr Lindau bei mir ein, welcher mir mit Zuversicht erklärte, er getraue sich mit Hinzuziehung des jungen Edmond Roche die rechte Uebersetzung vom »Tannhäuser« zu Stande zu bringen. Dieser Lindau, aus dem Magdeburgischen gebürtig und vom preussischen Militärdienst flüchtig geworden, war mir von Giacomelli, als der von ihm für den Vortrag des » Etoile du soir« in einem meiner Konzerte engagirte französische Sänger plötzlich absagte, als sehr geübter Stellvertreter empfohlen worden. Er hatte sich sogleich bereit erklärt, ohne Probe den »ihm sehr vertrauten Vortrag« jenes Gesangstückes zu übernehmen, was mich dazu bestimmte, ihn für ein vom Himmel mir gesandtes Genie zu halten. Nichts glich dagegen meinem wahrhaften Erstaunen über die unerhörte Frechheit dieses Menschen, welcher mit der dilettantenhaftesten Scheu, ohne auch nur einen Takt des Gesanges deutlich vernehmen zu lassen, am Abend des Konzertes seiner Aufgabe sich in einer Weise entledigte, dass wiederum nur das Erstaunen des Publikums über diesen unbegreiflichen Vorgang den lauten Ausbruch eines allgemeinen Unmuthes zurückzuhalten schien. Nichtsdestoweniger wusste Lindau, welcher für seine Unthat allerhand Erklärungen und Entschuldigungen vorzubringen verstand, in meinem Hause, wenn auch nicht als glücklicher Sänger, so doch als theilnehmender Freund sich einzuführen, und, namentlich auf seine bald gewonnene Beliebtheit bei Minna hin, als fast täglicher Gast sich zu behaupten; weniger seinen Versicherungen, dass er über enorme Connexionen disponire, als seiner ausgesuchten Gefälligkeit bei allen nur möglichen Besorgungen, verdankte er jedoch die wirkliche Nachsicht, welche ich ihm, trotz beständigem innerem Widerstreben gegen seine Bekanntschaft, angedeihen liess.

Was mich nun aber für den Gedanken, ihn an einer Uebersetzung des »Tannhäuser« Theil nehmen zu lassen, bestimmte, war seine Anrufung der Mitarbeiterschaft des jungen E. Roche.

Mit diesem war ich sogleich nach meiner Ankunft in Paris (im September des verflossenen Jahres) in ausserordentlicher und einnehmender Weise bekannt geworden. Um mein damals von Zürich mir nachgesandtes Mobiliar in Empfang zu nehmen, hatte ich mich auf den Bureaux der Douane einzufinden; dort ward ich an einen bleichen, dürftig, aber lebhaft aussehenden, jungen Menschen gewiesen, mit welchem ich meine Angelegenheit zu erledigen hatte; als ich ihm meinen Namen nennen wollte, unterbrach er mich enthusiastisch: »O, je connais bien Mr Richard Wagner, puisque j'ai son portrait suspendu au-dessus de mon piano«. Ganz erstaunt frug ich dieser Bekanntschaft näher nach, und erfuhr, dass er wirklich durch genaues Studium der Klavierauszüge meiner Opern zu meinem enthusiastischen Anhänger geworden war. Nachdem er mir zunächst mit der aufopferndsten Gefälligkeit meine verdriesslichen Geschäfte auf der Douane abzumachen geholfen hatte, musste er mir versprechen mich zu besuchen; diess geschah, und ich konnte nun näher in die kümmerliche Lage dieses armen Menschen blicken, welcher mir, soweit ich diess zu beurtheilen mich getrauen durfte, Zeugnisse für eine edle poetische Begabung beibrachte, ausserdem mir erzählte, dass er auch als Violinist in den Orchestern der kleinen Vaudeville-Theater sich durchzuhelfen gesucht habe, hierbei aber in jeder Hinsicht so elend daran gewesen sei, dass er in Rücksicht auf seine Familie (denn er war schon verheirathet) eine geringe, aber dennoch mit festem Gehalte und Aussicht auf Avancement verbundene Bureau-Anstellung vorziehen musste. Von seiner innigen Bekanntschaft mit meiner Musik konnte ich mich wirklich überzeugen; er behauptete, sie biete ihm den einzigen Trost für sein trauriges Leben. Im Betreff seiner dichterischen Elaborate konnten mir Gaspérini und andere Competente nichts anders aussagen, als dass sie zum Mindesten schöne Verse darböten. Bereits hatte ich an ihn für die Uebersetzung des »Tannhäuser« gedacht, und da jetzt das einzige Gebrechen, welches ihn an dieser Arbeit verhindern musste, nämlich seine Unkenntniss der deutschen Sprache, durch Lindau's Hinzuziehung gehoben schien, sprach die Möglichkeit einer solchen Uebereinkunft sofort für die Annahme des Vorschlages dieses Letzteren.

Zu allernächst kamen wir überein, eine schlichte Prosa-Uebersetzung des ganzen Sujets, welche ich natürlich Lindau allein aufzugeben hatte, in das Werk zu setzen. Ehe ich diese zur Hand bekam, war eine sonderbare Zögerung eingetreten, deren Grund mir späterhin dadurch erklärt wurde, dass Lindau nicht einmal diese trockene Uebersetzung anzufertigen verstand, und sie einem armen Menschen, einem Franzosen, der aber deutsch verstand, gegen ein, für jetzt vorgespiegeltes, und mit der Zeit mir abzupressendes Honorar aufgedrängt hatte. Zugleich hatte Roche einige Hauptstrophen meiner Dichtung in Verse gebracht, welche mir sehr gefielen, und mit diesen beiden Zeugnissen der Tüchtigkeit meiner Mitarbeiter stellte ich mich nun bei Royer ein, um seiner Zustimmung zu einem Auftrage an Jene mich zu versichern. Es schien diesem nicht recht zu sein, dass ich zwei unbekannte Menschen hierfür bestellen wollte; doch behauptete ich, jedenfalls erst gründliche Versuche vornehmen zu müssen. Hartnäckig darauf bedacht, Roche den Auftrag nicht zu entziehen, betheiligte ich, der ich alsbald mich von Lindau's vollständiger Unfähigkeit zu jeder Mithülfe überzeugte, in angestrengtester Weise mich an der Arbeit. Oft sassen die beiden vier Stunden lang bei mir, um nur ein paar Verse zu Stande zu bringen, bei welcher Gelegenheit ich gewöhnlich in die Versuchung kam, Lindau, welcher nicht einmal das Verständniss des deutschen Textes verrieth, dennoch aber jeder Zeit mit den unverschämtesten Vorschlägen bei der Hand war, zur Thüre hinaus zu werfen. Nur weil ich für jetzt nicht wusste, wie ich dem armen Roche den Antheil an seiner Arbeit erhalten konnte, hielt ich jedoch unter fortgesetztem Aerger die unsinnige Assoziation aufrecht.

Diese qualvolle Arbeit hielt mehrere Monate an, während welcher ich andrerseits mit Royer nun näher über die Vorbereitungen zur Aufführung des »Tannhäuser«, namentlich im Betreff der Besetzung der Partien, zu verkehren hatte. Es musste mich seltsam dünken, dass fast keiner der Sänger der grossen Oper hierfür vom Direktor in Vorschlag gebracht wurde; wirklich waren sie alle auch mir selbst unsympathisch, mit Ausnahme einer Mme Gueymard, welche ich gerne zur »Venus« verwendet hätte, die mir aber (aus mir unklar gebliebenen Gründen) abgeschlagen wurde. Um übrigens gewissenhaft das vorhandene Personale zu mustern, hatte ich jetzt mehrere Male Vorstellungen von Opern wie »Favorite« »Trovatore« und »Semiramis«, beizuwohnen, bei welchen Gelegenheiten mir allerdings die innere Stimme so deutlich den Irrweg zeigte, auf welchen ich mich getrieben fand, dass ich beim Nachhausegehen mich stets entschlossen zu fühlen glaubte, dem ganzen Vorhaben mit Bestimmtheit zu entsagen. Dagegen verführte mich immer wieder die unverhohlene Freimüthigkeit, mit welcher Royer, der hierzu autorisirt war, mir die Herbeiziehung jedes irgend von mir gewünschten Sänger's anbot. In diesem Betreff handelte es sich vor allem um einen Tenoristen für die Hauptpartie: ich konnte hierfür auf keinen Andern, als auf den von allen Seiten mir so sehr gerühmten Niemann in Hannover verfallen. Selbst Franzosen, wie Foucher de Careil und Perrin, welche ihn gerade in meinen Partien gehört hatten, bestätigten seine besondere Tüchtigkeit; dem Direktor erschien eine solche Acquisition unter allen Umständen höchst wünschenswerth für sein Theater, und so ward Niemann jetzt eingeladen, zu dem Zwecke des Abschlusses eines Engagements, sich in Paris einzufinden. Ausserdem wünschte Herr Royer, dass ich mich für das Engagement einer Mme Tedesco welche »tragédienne« sei, und besonders ihrer Schönheit wegen dem Repertoire der Oper sehr nützlich sein würde, mich zu erklären, da er keine bessere als diese zur »Venus« vorschlagen könne. Ich gab, ohne die Dame zu kennen, diesem vortrefflichen Rathschlage meine Zustimmung, erklärte mich übrigens mit dem Engagement eines Fräulein Sax, einer noch unverdorbenen jungen Sängerin mit sehr schöner Stimme, so wie eines italienischen Baritonisten Morelli, dessen sonores Organ mir bei einer jener von mir besuchten Aufführungen, im Gegensatze zu den krankhaften Sängern dieses Genres der französischen Oper, aufrichtig gefallen hatte, einverstanden, und hatte somit für jetzt alle nöthig dünkenden Vorkehrungen, wie es schien, nach bestem Ermessen, in Wahrheit aber ohne allen inneren Glauben an die Sache, besorgt.

Während dieses Verkehres verstrich mein sieben und vierzigster Geburtstag unter mehr als missmüthigen Stimmungen, denen einzig am Abende dieses Tages ein besonders helles Leuchten des Jupiter eine ahnungsvolle Wendung gab. Die angebrochene schöne Jahreszeit, welche dem geschäftlichen Verkehr in Paris nie günstig ist, trug zur Steigerung meiner Nöthen bei: ich war und blieb fortgesetzt ohne Aussicht auf die Möglichkeit, mir die Mittel zur Bestreitung meines ziemlich kostspielig gewordenen Haushaltes zu verschaffen. Unter allen übrigen Beklemmungen fortwährend bemüht, hierfür Rath zu suchen, hatte ich mich auch mit dem Musikhändler Flaxland in einen Verkauf meiner für Frankreich so weit als möglich zu verwerthenden Eigenthumsrechte an den Opern »Fliegende Holländer« »Tannhäuser« und »Lohengrin« eingelassen. Der hierüber abgeschlossene Kontrakt besagte, dass der Verleger mir sofort 1000 Franken für jede der drei Opern auszahlen sollte, dagegen weitere Zahlungen erst nach den Aufführungen derselben auf einem Pariser Theater, und zwar mit 1000 Franken nach den ersten zehn, und abermals so viel nach den darauf bis zur zwanzigsten folgenden Repräsentationen in Aussicht gestellt wurden. Von diesem Vertrage gab ich sogleich meinem alten Freunde Pusinelli, zu dessen Gunsten im Betreff der Zurückzahlung seiner früher für die Herausgabe meiner Opern mir geliehenen Kapitale ich beim Verkaufe derselben an Meser's Nachfolger diess stipulirt hatte, Nachricht, indem ich ihn zugleich bat, die Erstattung der ersten Aconto-Zahlung Flaxland's mir zu erlassen, da ich eben, um jene Opern in Paris noch zur Möglichkeit einer Rentabilität zu bringen, mich jetzt mittellos bemühen müsste. Der Freund genehmigte in Allem meine Verfügung. Desto widerwärtiger benahm sich dagegen der Dresdner Verleger, welcher sofort sich über Beeinträchtigung seiner Eigenthums-Rechte auch für Frankreich beklagte, und hierdurch Flaxland in der Weise belästigte, dass dieser fortan wiederum gegen mich Schwierigkeiten zu erheben sich als berechtigt vorgeben konnte.

Fast war ich auch auf diesem Wege nur in neue Widerwärtigkeiten gerathen, ohne mir eine irgend wie ausreichende Hülfe zu gewinnen, als eines Tages Graf Paul Hatzfeld bei mir erschien, um mich zu bitten Mme Kalergis, welche so eben in Paris angekommen sei, zu besuchen, und von ihr Mittheilungen in Empfang zu nehmen. Ich sah die Dame, seit meinem Aufenthalte mit Liszt im Jahre 1853 in Paris, zum ersten Male wieder, und wurde von ihr mit der Erklärung empfangen, dass sie um so mehr bedauere bei meinen im vergangenen Winter gegebenen Konzerten nicht zugegen gewesen zu sein, als sie dadurch die Gelegenheit verloren habe, mir zur rechten Zeit in beschwerlichen Umständen behülflich zu sein. Sie erfahre, dass ich hierbei grosse Verluste erlitten habe, welche man ihr auf 10 000 Franken angebe, und sie ersuche mich nun, den Ersatz hierfür von ihr anzunehmen. Hatte ich zuvor es für schicklich erachten müssen, dem Grafen Hatzfeld, da man mit jener widerwärtigen Collecte sich auch an die preussische Gesandtschaft gewandt hatte, jene Verluste geradesweges zu leugnen, so fand ich jetzt nicht den mindesten Grund dafür, vor der grossherzigen Frau mich zu verstellen. Es war mir als ob sich nur etwas erfüllte, was ich von je erwarten zu dürfen mich berechtigt wähnte; und ich empfand hiergegen sofort nur das einzige Bedürfniss, dieser seltenen Frau ebenfalls zu erwidern, wenigstens ihr etwas sein zu können. Alle meine Beunruhigungen, welche mir der fernere Umgang mit ihr verursachte, entsprangen aus der Unbefriedigung dieses einen Wunsches, in welchem der sonderbare Charakter und der unstete Lebenslauf derselben mich erhielt. Für jetzt versuchte ich aber sogleich ihr irgend etwas zu erweisen, was ihr jenen Wunsch als einen wahrhaftigen bewähren sollte. Ich improvisirte eigens für sie eine Audition des zweiten Aktes von »Tristan«, bei welcher Mme Viardot, die ich mir bei dieser Gelegenheit näher befreundete, mit mir gemeinschaftlich die Gesangpartien übernehmen sollte, während ich für das Klavierspiel Klindworth aus London auf meine Kosten mir kommen liess. Diese sehr merkwürdige intime Aufführung ging im Hause der Viardot vor sich; ausser Madame Kalergis, für welche sie einzig stattfand, war nur Berlioz noch zugegen. Für seine Hinzuziehung hatte sich Mme Viardot ganz besonders verwendet, wie es schien, in der sehr bestimmten Absicht, die zwischen mir und Berlioz entstandenen Verstimmungen zu verwischen. Welchen Eindruck die unter solchen Umständen vor sich gehende Aufführung dieses exzentrischen Fragments auf die Betheiligten und Anwesenden hinterliess, ist mir undeutlich geblieben; Mme Kalergis blieb stumm, Berlioz äusserte sich einzig anerkennend über die »Chaleur« meines Vortrages, der sich allerdings von dem meiner Assistentin, welche Alles meist nur mit halber Stimme andeutete, merklich genug unterscheiden mochte. Von der hieraus entstehenden Situation schien besonders Klindworth zu grossem Unmuth berührt worden zu sein; er hatte sich zwar seiner Aufgabe vortrefflich entledigt, erklärte aber bei der Wahrnehmung des Benehmens der Viardot, welche vermuthlich aus Rücksicht auf den anwesenden Berlioz zu jener Lauheit im Vortrage ihrer Partie bestimmt worden sei, vor Aerger sich verzehrt zu haben. Dagegen empfanden wir grössere Befriedigung, als wir eines Abends bei mir den ersten Akt der Walküre vornahmen, bei welcher Aufführung diessmal, ausser Mme Kalergis, auch der Sänger Niemann zugegen war.

Dieser war nämlich auf die Einladung des Direktor Royer, um des Abschlusses eines Kontraktes willen, nach Paris gekommen. Ich erstaunte über die Art, die ihm zu eigen geworden, und mit welcher er sogleich unter der Hausthüre mit der Frage: »nun, wollen sie mich oder nicht?« sich vorstellte. Hiergegen hatte er sich bei unserem gemeinschaftlichen Besuche im Bureau des Direktors vortrefflich zusammen genommen, um einen guten Effekt zu machen, welcher denn auch nicht ausblieb, da alle Welt über das Phänomen erstaunt war, einen Tenoristen von solch übermässiger Leibesbeschaffenheit anzutreffen. Dennoch hatte er sich zu einer scheinbaren Audition zu bequemen, für welche er die Erzählung der Pilgerfahrt des »Tannhäuser«, auf der Scene der grossen Oper von ihm agirt und gesungen, gewählt hatte. Mme Kalergis und Fürstin Metternich, welche im Geheimen dieser Probe beigewohnt hatten, waren, wie nicht minder die Mitglieder der Direktion, sogleich enthusiastisch für Niemann eingenommen worden. Er wurde für acht Monate, mit einem monatlichen Gehalte von 10 000 Franken, engagirt, und es galt dieses Engagement einzig der Aufführung des »Tannhäuser«, da ich gegen ein vorheriges Auftreten des Sänger's in anderen Opern Protest einlegen zu müssen glaubte.

Es war eben der Abschluss dieses Engagements, welcher, im Betracht der ausserordentlichen Umstände unter denen auch dieses zu Stande kam, mich mit einem bisher unbekannten Gefühle einer Macht, die mir plötzlich zugetheilt war, erfüllte. Auch mit der Protektorin des ganzen Unternehmens, als welche unverkennbar die Fürstin Metternich angesehen werden musste, war ich jetzt in näheren Verkehr getreten, und fand mich von ihrem Manne, so wie von den weiteren gesandtschaftlichen Kreisen, welchen Beide angehörten, mit einer auszeichnenden Wärme aufgenommen. Namentlich der Fürstin schien man einen allmächtigen Einfluss an dem kaiserlichen Hofe von Frankreich zusprechen zu müssen; der sonst so einflussreiche Staatsminister Fould konnte in den Angelegenheiten, die mich betrafen, nichts mehr gegen sie ausrichten. Ich war von ihr angewiesen, für alle meine Wünsche mich stets nur an sie zu wenden: sie würde Alles durchzusetzen wissen, was ihr um so mehr am Herzen läge, als sie wohl sähe, dass ich selbst zu der ganzen Unternehmung noch kein rechtes Vertrauen habe.

Unter diesen Auspizien schien sich der Sommer bis zum Herbst, wo die Proben beginnen sollten, ganz erfreulich für mich anzulassen. Es war mir von Werth, gerade jetzt in dem Stande zu sein, für Minna's Gesundheit, welcher eine Kur im Bade Soden bei Frankfurt dringend anempfohlen war, gemächlich sorgen zu können; sie reiste Anfangs Juli dahin ab, und ich versprach ihr nach Ablauf ihrer Kur-Zeit, bei Gelegenheit eines jetzt mir ermöglichten Besuches am Rheine, sie von dort abzuholen.

In meinen Beziehungen zum Könige von Sachsen, welcher bisher aus »juristischen Gründen« hartnäckig meiner Amnestirung widerstrebt hatte, war jetzt nämlich eine Wendung zum Besseren eingetreten. Ich verdankte diese der wachsenden Theilnahme der übrigen deutschen Gesandtschaften, namentlich der österreichischen und preussischen, für mich. Herr von Seebach, der sächsische Gesandte und Gatte einer Cousine meiner grossherzigen Freundin, Kalergis, welcher mir sich ebenfalls in recht herzlicher Weise theilnahmsvoll erwies, schien es nicht länger ertragen zu haben, von seinen Collegen über meine so anstössige Lage als »politischer Flüchtling« interpellirt zu werden. Er hatte es demgemäss für seine Angelegenheit gehalten, beim sächsischen Hofe zu meinen Gunsten zu vermitteln. Hierzu schien auch von der damaligen Prinzessin-Regentin von Preussen, wiederum durch Vermittelung des Grafen Pourtalès, wohl gesinnt mitgewirkt zu werden. Ich erfuhr, dass bei einer in Baden stattgefundenen Zusammenkunft der deutschen Fürsten mit Kaiser Napoléon ein gewichtiges Wort von ihr beim Könige von Sachsen eingelegt worden sei. Nach der Beseitigung von allerlei lächerlichen Bedenken, welche Herr von Seebach mir hatte vortragen müssen, eröffnete dieser mir endlich, dass der König Johann mich zwar nicht amnestiren, somit auch die Rückkehr in das Königreich Sachsen mir nicht gestatten könnte, jedoch gegen meinen Aufenthalt in den übrigen deutschen Bundesstaaten, welche ich etwa zu künstlerischen Zwecken besuchen möchte, sobald von ihrer Seite kein Bedenken aufkäme, fortan nichts einzuwenden haben würde. Herr von Seebach empfahl mir selbst an, bei meinem ersten Besuche der Rheinländer der Prinzessin-Regentin von Preussen mich vorzustellen, um ihr meinen Dank für ihre Fürsprache auszusprechen, woran dem Könige von Sachsen selbst gelegen zu sein schiene.

Ehe ich zur Ausführung dieses Vorsatzes kam, hatte ich mit meinen Uebersetzern des »Tannhäuser« noch die quälendsten Mühen zu überstehen. In dieser, sowie aller vorangegangenen Beschwerde, befand ich mich wiederum in meinem alten Zustande des Leidens, welcher namentlich im Unterleibe seinen Sitz zu haben schien. Hiergegen verordnete man mir das Reiten; es fand sich ein freundlicher junger Mann, der Maler Czermak, welchen Fräulein Meysenbug mir zugeführt hatte, und der sich jetzt erbot, bei den mir verordneten Reitübungen behülflich zu sein. Ich hatte hierzu bei einem Pferdeverleiher ein Abonnement zu nehmen, in Folge dessen mir und meinem Genossen eines Tages die ausbedungenen geduldigsten Pferde des Stalles zugeführt wurden, auf welchen wir nun mit möglichster Vorsicht einen Ritt in das Bois de Boulogne wagten. Wir wählten hierzu die Vormittags-Stunden, um nicht mit den eleganten Cavalieren der hohen Welt zusammen zu treffen. Da ich mich auf Czermak's Erfahrung verlassen hatte, war ich nun erstaunt, bei dieser Gelegenheit, ihn, wenn nicht an Reitkunst, doch jedenfalls an Muth zu übertreffen, da ich den allerdings äusserst beschwerlichen Trapp meines Thieres ertrug, während er mit lauten Deprecationen sich gegen Wiederholung dieser Uebung erklärte. Kühn gemacht beschloss ich nun eines folgenden Tages allein auszureiten; der Stallknecht, welcher mir das Pferd gebracht hatte, behielt mich bis zur Barrière de l'Etoile im Auge, jedenfalls gespannt darauf, ob ich mit dem Pferde über diese Gegend hinauskommen würde: als ich mich der Avenue de l'Impératrice näherte, weigerte sich auch mein Schimmel hartnäckig weiter zu schreiten, bog seitwärts und rückwärts aus, blieb wiederum stehen, bis ich mich endlich zur Umkehr entschloss, welcher glücklicherweise der vernünftige Stallknecht vorsorglich entgegen kam; er half mir auf offenem Platze vom Rosse, und führte dieses lächelnd heim. Hiermit war mein letzter Versuch, es im Reiten zu etwas zu bringen, für alle Zeiten beendigt; er kostete mich zehn erworbene Abonnements, welche unbenutzt in meinem Pulte verblieben.

Dafür erquickten mich fortan die einsamen Fusspromenaden im Bois de Boulogne, auf denen mich das Hündchen Fips munter begleitete, und auf welchen ich von Neuem die Vortrefflichkeit dieser Kulturanlage schätzen lernte. Auch sonst war es um mich stiller geworden, wie diess immer der Sommer in Paris mit sich bringt. Bülow, seitdem er den unerhörten Erfolg seines Déjeuners bei Vachette an dem kaiserlichen Befehle zur Aufführung des »Tannhäuser« mit erlebt, hatte sich bereits vorlängst nach Deutschland zurückbegeben, und ich trat nun im August den wohl vorbereiteten Ausflug nach den deutschen Rheingegenden an, wo ich zunächst über Köln mich nach Coblenz wendete, um die dort vermuthete Augusta von Preussen aufzusuchen. Ich erfuhr jedoch, dass sie sich in Baden aufhalte, und schlug somit den Weg über Soden ein, wo ich Minna mit der, seit einiger Zeit von ihr angeworbenen Freundin Mathilde Schiffner, zur Weiterreise abholte. Hierbei berührten wir Frankfurt, wo ich meinen ebenfalls durchreisenden Bruder Albert seit Dresden zum ersten Male wieder sah.

Hier besann ich mich darauf, dass ich mich am Wohnorte Arthur Schopenhauer's befände; eine sonderbare Scheu hielt mich von einem Besuche bei ihm ab; meine Stimmung war viel zu zerstreut und von allem dem abliegend, was in einem Gespräche mit Schopenhauer, selbst wenn ich mich ihm ernstlich gewachsen gefühlt hätte, den einzigen Punkt ausmachen konnte, um dessen Willen andrerseits eine Begegnung mit Schopenhauer mir wichtig sein musste. Wie mit so vielem in meinem Leben es mir ergangen ist, verschob ich eine der wichtigsten Angelegenheiten desselben auf die sehnsüchtig erhoffte andere Zeit, welche nun endlich bald wohl erscheinen würde! Im Betreff Schopenhauer's dünkte mich wohl, dass schon ein Jahr nach diesem flüchtigen Besuche Frankfurt's, als ich mich in dieser Gegend für länger niederliess um meine Meistersinger auszuführen, diese Zeit gekommen wäre: dort war Schopenhauer gerade in diesem Jahre gestorben, – was mich zu einem selbstvorwurfsvollen Nachdenken über die Unberechenbarkeit des Schicksals stimmte.

Dagegen ward bereits jetzt eine andere Hoffnung mir zu nichte; ich hatte mir nämlich geschmeichelt, Liszt zu einem Zusammentreffen mit mir hier in Frankfurt bestimmen zu können: dort jedoch fand ich nur den Brief, worin er mir anzeigte, dass die Erfüllung meiner Bitte ihm unmöglich sei. – Von hier aus wendeten wir uns gerade nach Baden-Baden, wo, während Minna mit ihrer Freundin sich dem Reize der Verführung durch das Roulette-Spiel aussetzte, ich mich vermittelst eines Empfehlungsbriefes des Grafen Pourtalès an Gräfin Hacke, Hofdame I. K. Hohheit, um einen Empfang bei meiner hohen Gönnerin bewarb. Nach einigem Zögern erhielt ich von ihr den Bescheid, ich möge sie Nachmittags um fünf Uhr in der Trinkhalle aufsuchen. Es war ein nasskalter Tag, die ganze Umgebung des Lokales um diese Zeit wie ausgestorben, als ich mich der verheissungsvollen Trinkhalle zuwandte, in welcher Augusta mit Gräfin Hacke auf und ab schritt, und huldvoll anhielt, als sie an mir vorüberkam. Ihr Vortrag bestand fast lediglich in Betheuerungen ihrer gänzlichen Machtlosigkeit nach jeder Seite hin, gegen welche ich, unvorsichtig genug, des mir von Seiten des Königs von Sachsen gegebenen Winkes, bei ihr der mir gewährten Vergünstigung wegen mich zu bedanken, erwähnte. Diess schien sie offenbar zu verdriessen, und sie entliess mich unter gleichgültigen Bezeugungen einer ziemlich unbedeutenden Theilnahme. Später sagte mir meine alte Freundin Alwine Frommann, sie wisse nicht was der Prinzessin an mir misfallen haben müsste, vielleicht sei es meine sächsische Aussprache gewesen. – Für diessmal verliess ich somit das sonst so gepriesene Paradies von Baden, ohne irgend einen freundlichen Eindruck mit mir zu nehmen, bestieg mit Minna allein in Mannheim das Dampfschiff, welches mich zum ersten Male eine Rheinfahrt abwärts führte, wobei es mir in die Erinnerung kam, dass ich wiederholt den Rhein überschritten hatte, ohne diese so charakteristische Gedenkstrasse des deutschen Mittelalters kennen gelernt zu haben. Mit einer eiligen Zurückkehr über Köln beendigte ich diesen, nur achttägigen Ausflug, um von jetzt an der Lösung des peinlich ernst sich gestaltenden Problems meiner Pariser Unternehmung mich zuzuwenden.

Was mir die Beschwerden, denen ich entgegen ging, sehr erleichtern zu wollen schien, war das freundschaftliche Verhältniss, welches der junge Banquier Emil Erlanger mit mir einzugehen sich angelegen sein liess. Ein sonderbarer Mensch, Albert Beckmann, ehemaliger hannöverischer Revolutionär, späterer Privatbibliothekar des Prinzen Louis Napoléon, jetzt Press-Agent für verschiedene, mir nicht klar gewordene Interessen, hatte als erklärter Parteigänger für mich meine Bekanntschaft zu machen gewusst, und sich hierbei stets ausnehmend gefällig bewiesen. Jetzt erklärte er mir, dass auch Herr Erlanger, für welchen er ebenfalls in Press-Angelegenheiten thätig war, meine Bekanntschaft zu machen wünsche; ich war im Begriff, ihm diess rund abzuschlagen, indem ich ihm erklärte, von einem Banquier nichts nöthig zu haben als sein Geld; diesem Scherze wurde sogleich mit der ernsten Versicherung erwiedert, dass eben in dem ersichtlich mir nöthigen Sinne Erlanger mir nützlich zu werden wünsche. Ich lernte in Folge dessen einen wirklich recht angenehmen Menschen kennen, welcher zunächst von einer wirklichen Liebe zu meiner Musik, die er in Deutschland häufig gehört hatte, zu theilnehmender Gesinnung für mich bestimmt worden war. Er trug mir unverhohlen seinen Wunsch vor, meine finanziellen Geschäfte ihm von mir übergeben zu erhalten, worunter zunächst wohl nichts anderes zu verstehen war, als dass er sich zu den für die Dauer mir nöthig werdenden Subsidien verpflichten wolle, wogegen ich ihm alle meine aus Pariser Unternehmungen resultirenden Einnahmen zur Verwaltung übergeben sollte: es läge ihm daran, so sagte er, in Paris als mein Banquier zu gelten. Dieses Anerbieten war mir so neu, als es andrerseits meiner eigenthümlichen Lage zutreffend entsprach; wirklich hatte ich nach dieser Seite meines finanziellen Bestehens hin, bis zur Entscheidung meiner ganzen Pariser Situation, keine Belästigungen mehr zu bestehen. War auch der Umgang mit Herrn Erlanger von all den Umständen begleitet, welche die blosse Gutartigkeit eines Menschen nicht aufzuheben vermag, so fand ich doch in ihm zu jeder Zeit einen treu ergebenen, und für mein Wohlergehen, so wie für das Gelingen meiner Unternehmung ernstlich besorgten Menschen.

Diese höchst befriedigende Wendung, welche unter andern Umständen mir wohl den besten Muth zu geben geeignet war, vermochte jedoch gegenüber einem Unternehmen, dessen gänzliche Hohlheit und Ungeeignetheit für mich fast bei jeder Berührung mit ihm mir klar aufgehen musste, mir zu keiner Art freundlicher Stimmung zu verhelfen. Mit Missmuth ging ich an Alles, was diese Unternehmung, welche andrerseits die Grundlage des mir erwiesenen Zutrauens war, fördern sollte. Nur vermochte eine neue Bekanntschaft, welche hierdurch mir zugeführt wurde, in angenehmer Weise mich abermals über den Charakter meines Vorhabens in eine ermunternde Unklarheit zu versetzen: Herr Royer erklärte mir, dass er die Uebersetzung, welche ich unter unerhörten Bemühungen durch meine beiden Volontaire hatte zu Stande bringen lassen, nicht gelten lassen könne, und empfahl mir auf das Angelegentlichste Herrn Charles Truinet, mit dem Autornamen Nuitter, zur gründlichen Umarbeitung derselben. Dieser noch junge Mann, von ungemein einnehmendem, freundlich offenem Wesen, hatte sich schon vor einigen Monaten auf die Empfehlung E. Ollivier's, dessen College als Avocat au barreau de Paris er war, bei mir eingefunden, um mir seine Mithülfe zur Uebersetzung meiner Opern anzubieten. Stolz auf meine Verbindung mit Lindau hatte ich ihn jedoch abgewiesen; jetzt war aber die Zeit gekommen, wo, in Folge der Erklärungen des Herrn Royer, das erneuerte Anerbieten Truinet's in Betracht gezogen werden musste. Er verstand kein Deutsch, erklärte jedoch selbst hierfür an seinem alten Vater, welcher längere Zeit in Deutschland gereist und sich einiges Nöthige von unserer Sprache angeeignet hatte, einen genügenden Rückhalt zu haben. In Wahrheit bedurfte es nach dieser Seite hin aber keiner besonderen Kenntnisse, da es wirklich nur darauf anzukommen schien, den Versen, welche der arme Roche unter der unverschämten Domination durch den alles besser wissen wollenden Lindau ängstlich zusammen gebracht hatte, ein freieres französisches Ansehen zu geben. Mich nahm bald die unermüdliche Geduld, welche Truinet, um meinen Anforderungen auch in musikalischer Hinsicht zu entsprechen, auf immer neue Veränderungen verwendete, für diesen letzten Mitarbeiter ein. Von jeder Einmischung in diese neue Bearbeitung mussten wir fortan den als ganz unfähig erkannten Lindau entfernt halten, wogegen Roche in so fern als Collaborateur beibehalten wurde, als seine Arbeit zur Grundlage der neuen Versifizirung diente. Roche, der nur schwer von seinem Bureau der Douane abkommen konnte, blieb des Weiteren jeder Bemühung überhoben, da Truinet vollkommen frei war und sich täglich mit mir in Verbindung erhalten konnte. Ich ersah nun, dass sein Advokatentitel ihm nur als Schmuck diente, und er nie daran dachte einen Prozess zu führen, wogegen er sein Interesse hauptsächlich der Administration der grossen Oper zuwendete, welcher er ausserdem als Archivar derselben attachirt war. Bald mit diesem oder jenem Kameraden verbunden, arbeitete er aber auch an kleinen Theaterstücken für das Vaudeville und niederere Theater, ja selbst für die Bouffes parisiens, über welchen Theil seiner Thätigkeit er jedoch mit grosser Verschämtheit stets jeder Auskunft zu entgehen wusste. War ich ihm für die schliessliche Einrichtung eines singbaren und allgemein als acceptable beurtheilten Textes meines »Tannhäuser« recht verbunden, so entsinne ich mich doch nicht von seinen poetischen, ja selbst ästhetischen Anlagen hingerissen worden zu sein; wogegen sein Werth als kundiger, warm und unbedingt ergebener Freund zu jeder Zeit, und namentlich der allerschlimmsten, immer deutlicher erkannt werden durfte. Ich entsinne mich kaum, je wieder einen Menschen von so zartem Urtheil in den schwierigsten Dingen, und dabei von so energischer Bereitwilligkeit schliesslich für die von mir behauptete Ansicht einzustehen, angetroffen zu haben.

Zunächst hatten wir gemeinschaftlich eine ganz neue Arbeit zu fördern. Einem stets von mir gefühlten Bedürfnisse entsprechend, hatte ich nämlich die Veranlassung dieser sorgsam vorbereiteten Aufführung des »Tannhäuser« ergriffen, um die erste Scene der Venus in einem bedeutenden Sinne zu erweitern und zu vervollständigen. Hierzu verfasste ich den Text in zwanglosen deutschen Versen, um dem Uebersetzer die volle Freiheit einer geeigneten französischen Ausführung zu überlassen: man bezeugte mir dass Truinet's Verse nicht übel ausgefallen seien, und auf diese führte ich dann die Scene zuerst musikalisch aus, um später den deutschen Text der Musik schliesslich anzupassen. – Ausserdem hatten meine ärgerlichen Debatten mit der Direktion im Betreff eines grossen Ballet's mich dahin bestimmt, der einleitenden Scene des »Venusberges« ebenfalls eine bei weitem grössere Ausdehnung als früher zu geben, wodurch nach meiner Meinung dem Balletpersonale eine so ausschweifende choreographische Aufgabe gestellt sein sollte, dass man in dieser Hinsicht sich über meine Unwillfährigheit nicht mehr zu beklagen haben möchte. Die musikalische Komposition der beiden Scenen beschäftigte mich nun während des Monates September in bedeutender Weise, während ich zugleich im Foyer der grossen Oper die Klavierproben zu »Tannhäuser« begann.

Das zum Theil für diesen Zweck neu engagirte Personal war jetzt versammelt, und es interessirte mich nun, den Charakter des Studium's eines neuen Werkes bei der französischen Oper kennen zu lernen. Dieser lässt sich einfach bezeichnen durch: höchste Trockenheit bei ausserordentlicher Genauigkeit; in beiden Hinsichten excellirte der Chef du Chant, Mr Vauthrot, ein Mann, den ich, weil ich ihm nie eine warme Aeusserung abgewann, für gegen mich feindselig halten zu müssen glaubte, der aber andererseits durch die peinlichste Sorgfalt hierfür mir bewies, wie ernst er es mit der Sache meine. Er bestand noch auf namhaften Korrekturen des Textes, zum Zwecke einer vortheilhaften Unterlegung unter den Gesang. Ich hatte mich durch die Kenntniss Auber'scher und Boieldieu'scher Partituren zu der Annahme verleiten lassen, dass die Franzosen gegen die Betonung stummer Sylben in Poesie und Gesang gänzlich gleichgültig seien; Vauthrot behauptete, das seien nur die Komponisten, nicht aber gute Sänger. Seinen mannigfach aufstossenden Bedenken im Betreff von Längen, entgegnete ich mit der Bemerkung, dass ich nicht begriffe, wie man in der Oper mit irgend etwas das Publikum zu langweilen befürchten könne, nachdem man es daran gewöhnt habe, an der Rossini'schen »Semiramis«, welche jetzt dort häufig gegeben wurde, Gefallen zu finden: hier sann er nach, und gab mir Recht, was die Monotonie der Handlung wie der Musik beträfe; nur vergässe ich, dass weder Handlung noch Musik bei solchen Aufführungen vom Publikum in Betracht gezogen würden, sondern alle Aufmerksamkeit des Publikum's sich einzig auf die virtuose Leistung der Sänger richte. Auf diese war es nun beim »Tannhäuser« eben so wenig abgesehen, als sie mir anderen Falls auch irgend wie zu Gebote gestanden hätte; die einzige Virtuosin meines Personales war eine ziemlich groteske, aber üppige Jüdin, Mme Tedesco, welche aus Portugal und Spanien von italienischen Operntriumphen zurückkehrte; sie schien offenbar sehr zufrieden, durch meine willenlose Wahl zur »Venus« zu einem Engagement an der Pariser Oper gelangt zu sein, und gab sich auch alle erdenkliche Mühe, die ihr gänzlich fremdartige, nur für eine wahrhafte Tragödin bestimmte Aufgabe, so weit es möglich, zu lösen, was eine Zeitlang wirklich zu einem guten Erfolge sich anzulassen schien, als in vielen Specialproben mit Niemann es unverkennbar zu einer lebhaften Neigung zwischen »Tannhäuser« und »Venus« führte. Da Niemann auch mit grossem Geschick sich der französischen Aussprache bemächtigte, nahmen diese Proben, in denen sich auch Fräulein Sax erfreulich bewährte, einen wahrhaft Hoffnung erweckenden Fortgang, was für jetzt dadurch noch ungestört blieb, dass mir hierbei die Bekanntschaft des Herrn Dietzsch noch nicht näher trat; denn dieser assistirte als chef d'orchestre und zukünftiger Dirigent der Oper, vorläufig, nach dem Herkommen des Institutes, nur erst den Klavierproben, um in ihnen sich genau mit den Intentionen der Sänger bekannt zu machen. Noch weniger störte mich Herr Cormon, der Regisseur der Oper, welcher ebenfalls bei den Proben zugegen war, und von dem die häufigen sogenannten Setzproben, in welchen das Spiel der Scene bereits verabredet und angeordnet wurde, mit dem von den Franzosen gewohnten lebhaften Geschick geleitet wurden. Selbst wo dieser oder auch andere mich nicht verstanden, ordnete man sich doch immer willig meinen Entscheidungen unter, da ich stets noch für allmächtig angesehen wurde, und jeder der Meinung war, ich könne durch die Fürstin Metternich alles durchsetzen was ich wolle. Manches war geeignet, diesen Glauben zu bestärken: so hatte ich erfahren dass Prinz Poniatowsky mit der Wiederaufnahme einer seiner durchgefallenen Opern dem Fortgange unserer Proben beschwerlich zu fallen drohe; meiner Klage hierüber entsprach die unerschrockene Fürstin sogleich durch die Auswirkung eines Befehles, nach welchem die prinzliche Oper zurückgelegt wurde, was mir natürlicherweise nicht eben die Freundschaft dieses Herren gewinnen konnte, worüber mich ein Besuch bei ihm ziemlich deutlich aufklärte. –

Ausserhalb dieser Beschäftigung ward ich zugleich durch einen Besuch meiner Schwester Luise und eines Theiles ihrer Familie zerstreut. Dass ich sie nur mit höchster Schwierigkeit bei mir bewirthen konnte, lag in dem sonderbaren Umstande, dass es jetzt überhaupt lebensgefährlich geworden war in meine Wohnung zu gelangen; es enthüllte sich jetzt nämlich, warum, als ich diese Wohnung miethete, der Wirth zwar auf einen längeren Contrakt, durchaus aber auf keine Reparaturen in seinem Hause einging; denn es war bereits von der Pariser Umbaubehörde beschlossen, die rue Newton, mit allen Dependenzien, abzugraben, um von einer der Brücken aus einen breiten Boulevard nach der Barrière de l'Etoile hin anlegen zu können. Bis auf den letzten Augenblick wurde dieser Plan officiell aber desavouirt, um hiermit sich die Entschädigungszahlungen für die zu expropriirenden Grundstücke so lange wie möglich zu ersparen. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich, dass dicht an meiner Hausthüre die Strasse bis zu einer immer ansehnlicheren Tiefe abgegraben wurde; so dass, wenn man sie anfänglich nicht mehr mit Wagen passiren konnte, meine Wohnung endlich auch zu Fuss unerreichbar ward. Der Besitzer des Hauses hatte unter solchen Umständen gegen mein Verlassen der Wohnung nichts einzuwenden, und verlangte nur, dass ich ihn um Entschädigung verklagen sollte, weil diess der einzige Weg sei, um seinerseits wiederum zur Verklagung des Gouvernements gelangen zu können. Meinem Freunde Ollivier war um diese Zeit, wegen eines parlamentarischen Vergehens, auf ein Vierteljahr die Ausübung seiner Advokaten-Praxis untersagt worden; er wies mich nun für die Führung meines Prozesses an seinen Freund Picard, welcher, wie ich aus den späteren gerichtlichen Verhandlungen ersah, mit vielem Humor sich seiner Aufgabe entledigte. Dennoch blieb jede Entschädigung für mich (ob für den Propriétaire, weiss ich nicht) aus, und ich musste mich einfach mit der Entbindung von meinem Miethcontrakte begnügen. Somit hatte ich die Erlaubniss, mich nach einer anderen Wohnung umzusehen, welche ich jetzt in geringer Entfernung von der Oper aufsuchte, und dürftig und unfreundlich in der rue d'Aumale auffand. Bei rauhem Wetter vollzogen wir im Spätherbst den beschwerlichen Umzug, bei welchem Luise's Tochter, meine Nichte Ottilie, mir als tüchtiges Kind freundlich behülflich war. Leider hatte ich mich hierbei aber stark erkältet, wogegen ich auch hier mich nicht schonte, und von neuem mich den wachsenden Aufregungen der Proben aussetzte, bis mich endlich ein typhöses Fieber danieder warf.

Wir waren im Monat November angelangt; meine zur Heimkehr genöthigten Verwandten verliessen mich im Zustande der Besinnungslosigkeit, und ich blieb nun der Behandlung meines Freundes Gaspérini überlassen, zu welchem ich aber in meinen Fieberparoxismen alle erdenklichen Hülfsärzte herbeigezogen verlangte, von denen auch wirklich Graf Hatzfeld wenigstens den Arzt der preussischen Gesandtschaft herbei brachte. Das hiermit begangene Unrecht gegen meinen äusserst besorgsamen Freund beruhte keineswegs auf einem Misstrauen gegen ihn, sondern es war diess eine Ausgeburt meiner Fieberphantasien, welche mein Gehirn nur mit den übermüthigsten und üppigsten Phantasien erfüllten. Ausserdem, dass in diesem Zustande Fürstin Metternich und Mme Kalergis mir eine vollständige Hofhaltung einrichteten, zu welcher auch der Kaiser Napoléon von mir eingeladen wurde, bestand ich in Wirklichkeit darauf, dass Emil Erlanger mir eine Villa bei Paris zur Verfügung stellte, wohin man mich bringen solle, da ich doch unmöglich in dem finsteren Neste, wo ich wirklich lag, mich wieder erholen können würde. Endlich aber bestand ich mit Entschiedenheit darauf, nach Neapel gebracht zu werden, wo ich mir im zwanglosen Umgange mit Garibaldi eine sofortige Genesung versprach. Gegen allen diesen Unsinn hielt Gaspérini tapfer aus; er und Minna bewältigten mich wüthend sich sträubenden, um mir die nöthigen Senfpflaster auf die Fusssohlen zu appliziren. Oft sind mir in unruhigen Nächten meines späteren Lebens ähnliche eitel hochmüthige Phantasien wiedergekehrt, welche ich beim Erwachen mit Grauen als den in jenem Fieberzustande entsprungenen verwandt erkannte. Nach fünf Tagen wurden wir des Fiebers Herr; nur schien ich jetzt erblinden zu wollen, und meine Schwäche war ungemein. Endlich wich wohl auch die Affektion der Sehkraft, und nach einigen Wochen getraute ich mich wieder die wenigen Strassen bis zur Oper dahin zu schleichen, um meiner Sorge für den Fortgang der Proben Genüge zu thun.

Hier schien man, mit den sonderbarsten Gefühlen in diesem Betreff, mich für dem Tode verfallen gehalten zu haben; ich erfuhr dass die Proben ganz unnöthiger Weise bisher ausgesetzt worden waren. Des weiteren machte ich jetzt immer mehr Wahrnehmungen von einem inneren Verfalle dieser Angelegenheit, welche ich zunächst, da ich der Erholung zu sehr bedürftig war, mir zu verbergen gewaltsam mich bemühte. Ich erfreute mich dagegen mit sonderbarer Gelauntheit an der Publikation einer Uebersetzung meiner vier, bis dahin erschienenen Operndichtungen, welche ich mit einem sehr ausführlichen Vorworte, an Herrn Frédéric Villot gerichtet, eingeleitet hatte. Die Uebersetzung von allem diesem hatte mir Herr Challemel Lacour besorgt, ein Mann, den ich als früheren politischen Flüchtling bei Herwegh in Zürich gelegentlich kennen gelernt hatte, und welcher mir nun als geistvoller Uebersetzer so vortreffliche Dienste geleistet hatte, dass alle Welt über den Werth seiner Arbeit günstig urtheilte. Den deutschen Urtext des Vorwortes hatte ich dem Buchhändler J. J. Weber in Leipzig, unter dem Titel »Zukunftsmusik«, zur Veröffentlichung übergeben. Auch diese Brochure gelangte jetzt an mich, und erfreute mich als vermuthlich einzige Ausbeute meiner ganzen, äusserlich so glänzend sich ausnehmenden, Pariser Unternehmung. – Zugleich vermochte ich jetzt noch die neue Komposition zu Tannhäuser vollständig zu beendigen: von dieser war noch die grosse Tanz-Scene im Venusberg übrig geblieben, welche ich eines Morgens um drei Uhr, nach durchwachter Nacht, zum Schluss brachte, als gerade Minna, welche mit einer Freundin dem grossen Ball des Hôtel de Ville beigewohnt hatte, von dort zurückkehrend in die Wohnung trat. Ihr besorgte ich ausserdem ziemlich reiche Geschenke zur Weihnacht, während ich selbst auf den Rath meines Arztes fortfuhr, durch ein Beefsteak des Morgens und durch ein Glas bayerisches Bier vor Schlafengehen, in meiner lange sich verzögernden Wiedergenesung mich zu stärken. Das Sylvesterfest begingen wir jedoch in diesem Jahre nicht, wogegen ich ruhig in das neue Jahr 1861 hinüberschlief.

1861. Mit dem Beginn des neuen Jahres verwandelte sich auch die, mit meiner Erkrankung eingetretene schlaffe Betreibung der Proben zu Tannhäuser, in eine entschlossenere Inangriffnahme aller Accidentien der beabsichtigten Aufführung. Zugleich hatte ich aber auch zu bemerken, dass sich die Stimmung aller Betheiligten wesentlich verändert hatte. Die über die Gebühr zahlreichen Proben machten mir den Eindruck, als wenn man von Seiten der Direktion mehr an die strikte Ausführung eines Befehles sich hielte, als durch eine Hoffnung auf einen guten Erfolg geleitet wäre. Und allerdings gewann ich jetzt immer mehr den Einblick in die wirkliche Lage der Dinge. Von Seiten der Presse, welche ganz in Meyerbeer's Händen war, wusste ich längst was ich mir zu erwarten hatte. Auch die Direktion hatte jetzt, vermuthlich nach mannigfachen Bemühungen, die Hauptführer der Presse geschmeidig zu stimmen, die Ueberzeugung gewonnen, dass von dieser Seite her das Wagniss meines Tannhäuser nur eine feindliche Aufnahme finden würde. Diese Einsicht drängte sich selbst den allerhöchsten Kreisen auf, und man schien von dieser Seite her nun auf Mittel zu sinnen, die in der Oper Ausschlag gebende Partei des Publikum's für mich zu gewinnen. Fürst Metternich lud mich eines Tages ein, dem neuen Staatsminister, Grafen Walewsky, von ihm mich vorstellen zu lassen; diess geschah mit einiger Feierlichkeit, welche sich namentlich in der an mich gerichteten sehr persuasiven Rede des Grafen, kund gab, als dieser mich davon zu überzeugen suchte, dass man durchaus meine Fortune wünsche und mir den grössten Succès zu bereiten gedenke: ich habe diess, so schloss er, in meinen Händen, sobald ich mich dazu entschlösse, dem zweiten Akte meiner Oper ein Ballet einzufügen; es solle sich hierbei nicht etwa um ein Geringes handeln: es wurden mir die allerberühmtesten Tänzerinnen von Petersburg und London vorgeschlagen, unter denen ich nur wählen sollte; ihr Engagement sei sofort beschlossen, sobald ich ihrer Mitwirkung meinen Erfolg anvertrauen wollte. Ich glaube, dass ich mit nicht mindrer Beredtsamkeit erwiderte, als ich alle diese Propositionen ablehnte; dass ich damit aber gänzlich ohne Erfolg blieb, beruhte darauf, dass ich den Herrn Minister nicht zu verstehen schien, als er mir erklärte, ein Ballet im ersten Akte zähle für gar keines, weil diejenigen habitués, denen bei einem Opernabende einzig am Ballett es liege, neuerer Zeit erst um 8 Uhr dinirten und somit erst gegen 10 Uhr, also um die Mitte der Opern-Aufführung, das Theater zu besuchen gewohnt seien. Meiner Einwendung, dass, wenn ich diese Herrn mir nicht verpflichten könnte, ich dafür wohl auf einen andern Theil des Publikums im richtigen Sinne zu wirken vermöchte, entgegnete er mit unerschütterlicher Feierlichkeit, dass diese Herrn es einzig wären, auf deren Mithülfe zu einem guten Erfolge gerechnet werden könne, da sie Macht genug besässen, selbst dem üblen Verhalten der Presse Trotz zu bieten. Als ich auch für diese Rücksicht taub blieb, und mich erbot lieber mein Werk gänzlich zurück zu ziehen, ward mir wiederum mit grossem Ernste versichert, durch den Befehl des Kaisers, welchen alle Welt auszuführen habe, sei ich Herr der Sache; man würde in Allem meinen Wünschen nachkommen, wogegen er mir nur einen freundschaftlichen Rath ertheilen zu müssen geglaubt habe.

Das Resultat dieser Unterredung machte sich mir nun bald in vielen Anzeichen bemerklich. Mit Feuer warf ich mich auf die Ausführung der grossen und exzentrischen Tanzscenen des ersten Aktes, für welche ich jetzt auch den Balletmeister Petitpas mir zu gewinnen suchte; ich forderte Unerhörtes, vom gewohnten Balletwesen gänzlich Abliegendes; ich verwies auf die Tänze der Mänaden und Bacchanten, und versetzte ihn hiermit nur in ein Erstaunen darüber, dass ich vermeinte, es würde so etwas, was er sehr wohl verstünde, mit seinen niedlichen Tanz-Eleven heraus zu bringen sein: denn, so eröffnete er mir, auf die eigentlichen Tänzerinnen der Oper hätte ich, da ich mein Ballet in den Anfang des ersten Aktes verlegt, doch wohl von selbst verzichtet; wogegen er mir nun einzig etwa das Engagement von drei ungarischen Tänzerinnen, welche bisher in den Féerien der Porte St. Martin getanzt hatten, für die drei Grazien anzubieten vermöchte. War es mir im Grunde recht, mit jenen vornehmen Balletdamen nichts zu thun zu haben, so drang ich nun desto mehr darauf, dass das eigentliche Balletcorps in eine bedeutende Bewegung gesetzt werde. Ich wollte das männliche Personal auf einen bedeutenden Fuss gebracht wissen, erfuhr aber, dass hierfür, ausser einigen Schneidern, welche, für monatlich 50 Franken, während der Pas der Solotänzerinnen verlegen an den Coulissen figurirten, nichts aufzutreiben sei. Endlich wollte ich die Sache durch das Kostüm erzwingen, und erbat mir hierfür bedeutende Vorlagen; nun erfuhr ich aber, nachdem ich durch manche Hinterhältigkeit ermüdet war, durch die aufrichtige Mittheilung meines treuen Freundes Truinet, dass die Direktion entschlossen sei, für das gänzlich verloren erachtete Ballet nicht einen Sou auszugeben. Diess war das erste der Anzeichen, welche mich bald darüber aufklärten, dass der Tannhäuser selbst in den Kreisen der Verwaltung bereits als vergebene Arbeit und verlorene Mühe aufgefasst wurde.

Die hieraus sich ergebende Stimmung lastete von jetzt an mit immer zunehmendem Drucke auf Allem, was zur Vorbereitung der stets sich verzögernden Aufführung unternommen wurde. Die Proben waren mit dem Beginne des Jahres bereits in das Stadium der scenischen Arrangements und Orchesterübungen eingetreten: hier ging alles mit einer Sorgfalt zu, welche mir anfangs sehr angenehm auffiel, bis sie mir endlich lästig wurde, weil ich einsah, dass durch ewiges Repetiren die Kräfte erschlafften, während ich mich jetzt getrauen durfte, wenn ich Alles nach meiner Weise in die Hand genommen haben würde, die Sache schnell im besten Sinne an das Ziel zu bringen. Nicht aber die hieraus entstandene Ermüdung war es, welche den Hauptträger meines Werkes, den Sänger Niemann, schliesslich seiner, Anfangs mit so Hoffnung erweckender Energie erfassten Aufgabe, abwendig machte. Er war darüber aufgeklärt worden, dass meinem Werke der Untergang geschworen sei. Von jetzt an verfiel er in eine Schwermuth, welcher er mir gegenüber den Charakter des Dämonischen zu geben sich bemühte; er behauptete nur noch schwarz sehen zu können, und brachte hierbei einiges ganz vernünftig Lautende hervor, nämlich eine Kritik des ganzen Institutes der Oper und ihres Publikum's, die Beschaffenheit unseres Sängerpersonales, von welchem doch gewiss keiner in meinem Sinne für seine Rolle geeignet sei, und dazu alles das, was ich wohl selbst mir nicht verschweigen konnte, sobald ich, sei es mit dem Chef du Chant, dem Regisseur, Balletmeister und Chordirektor, besonders aber dem Chef d'orchestre, über mein Werk verkehrte. Vor allen Dingen bestand Niemann, welcher anfänglich die grösste Vollständigkeit der zu gebenden Partie mit vollem Bewusstsein sich zum Gesetz gemacht hatte, auf Kürzungen; meinem Erstaunen hierüber entgegnete er, ich möchte doch nur ja nicht glauben, dass es auf diese oder jene Stelle ankommen würde; wir seien in einer Unternehmung begriffen, die nicht summarisch genug abgethan werden könnte.

Unter diesen wenig ermuthigenden Umständen schleppte sich das Studium des »Tannhäuser« bis in die Nähe der sogenannten Generalproben hin. Von allen Seiten her strömten die Freunde meiner vergangenen Lebensjahre in Paris zusammen, um der »Glorie« der erwarteten ersten Aufführung beizuwohnen. Unter diesen befand sich Otto Wesendonck, Ferdinand Präger, der unselige Kietz, für welchen ich noch dazu Reise und Aufenthaltskosten zu zahlen hatte, glücklicherweise aber auch Herr Chandon aus Epernay mit einem Korb »fleur du jardin«, dieser seiner vorzüglichsten Champagnersorte, welche dem glücklichen Erfolge des »Tannhäuser« zugetrunken werden sollte. Aber auch Bülow kam, bedrückt und traurig von den Beschwerden seines eigenen Lebens, wie in der Hoffnung an einem guten Erfolge meiner Unternehmung sich ermuthigen und erfrischen zu können. Ich wagte nicht ihm den von mir erkannten schlimmen Stand der Sache trocken mitzutheilen; im Gegentheil, da ich ihn so entmuthigt sah, zeigte ich ihm gute Miene zum bösen Spiele; nur entging es ihm bei der ersten Probe, welcher er beiwohnte selbst nicht, wie hier alles beschaffen war; auch ich verhehlte ihm nun nichts mehr, und so verblieben wir die Zeit bis zu den stets von neuem sich verzögernden Aufführungen in einem wehmüthigen Verkehre, welchem blos die seinerseits unablässig gemachten Anstrengungen, mir nützlich zu sein, eine lebendige Bewegung gaben. Auf welcher Stelle wir nur unser groteskes Unternehmen auffassten, überall stiessen wir auf Ungeeignetes, Unbefähigtes: so war es nicht möglich, die zwölf Waldhörner, welche in Dresden so kühn die Jagdrufe des ersten Aktes hatten erschallen lassen, im grossen Paris zusammen zu bringen; ich hatte hierüber mit einem schrecklichen Menschen, dem berühmten Instrumentenmacher Sax zu verkehren, welcher mit allerhand Surrogaten von Saxophon's und Saxhorn's mir aushelfen musste, und ausserdem noch mit der Direktion der Musik hinter der Scene amtlich betraut war. Es ist unmöglich geblieben, diese Musik je richtig spielen zu lassen.

Das eigentliche Hauptleiden entstand uns jedoch durch die, in so hohem Grade, als wir sie jetzt erfanden, vorher nicht vermuthete Unfähigkeit des Orchesterdirigenten Mr Dietzsch. In den bisher abgehaltenen zahllosen Orchesterproben, hatte ich mich gewöhnt, dieses Menschen wie einer Maschine mich zu bedienen; von meinem gewöhnlichen Platze auf der Bühne, dicht vor seinem Pulte, hatte ich ihn mit dem Orchester zugleich dirigiert, und hierbei vor allen Dingen meine Tempi in der Weise behauptet, dass ich keinen Zweifel darüber haben konnte, alles Angegebene würde auch nach meiner Entfernung von der Mitwirkung fest bestehen bleiben. Dagegen fand ich nun, dass, sobald Dietzsch sich selbst überlassen war, Alles in das Schwanken gerieth, indem nicht ein Tempo oder eine Nuance mit Bewusstsein und Sicherheit festgehalten wurde. Jetzt erkannte ich die äusserste Gefahr in der wir schwebten. Wenn keiner der Sänger für seine Aufgabe geeignet war, und somit durch ihre richtige Lösung eine wahrhaftige Wirkung hervorzubringen versprechen konnte; wenn der eigentliche Lebensnerv der jetzigen Pariser Aufführungen, das Ballet und selbst die brillante Ausstattung, diessmal gar nicht, oder doch nur in bescheidenem Sinne, zu dem Ganzen mitwirken konnte; wenn der ganze Geist der Dichtung und das gewisse Etwas, was selbst bei den schlechtesten Aufführungen in Deutschland mein Werk dort das Publikum gewissermassen anheimeln lässt, hier fremd und höchstens nur sonderbar berühren konnte: so war es schliesslich der im Orchester prägnant sich aussprechende Charakter der Musik, welcher, wenn er energisch zum Ausdrucke kam, mit Bestimmtheit selbst auf ein Pariser Publikum Eindruck machen durfte. Gerade hier aber sah ich nun Alles in ein farbloses Chaos sich verlieren, und jede Linie der Zeichnung sich verwischen; ausserdem geriethen die Sänger in zunehmende Unsicherheit, ja selbst die armen Mädchen des Ballets fanden den Takt zu ihren trivialen Pas nicht mehr; und so glaubte ich endlich mit der Erklärung einschreiten zu müssen, dass die Oper eines anderen Dirigenten bedürfe, so wie dass im Nothfall ich mich selbst anböte, seine Stelle zu vertreten. Diese Erklärung trieb jetzt die Verwirrung, welche sich rings um mich zusammengezogen hatte, auf ihre Spitze; selbst das Orchester, welches die Unfähigkeit seines Dirigenten längst erkannte und laut verspottete, nahm jetzt, wo es sich um ihren notorischen Chef handelte, Partei gegen mich; die Presse wüthete über meine »arrogance«, und allen hieraus entstandenen Bewegungen gegenüber wusste Napoléon III. mir keinen anderen Rath ertheilen zu lassen, als, von meinem Begehren abzustehen, da ich dadurch meine Lage und die Aussichten meines Werkes nur auf das Aeusserste gefährden würde. Dagegen ward mir zugestanden, dass ich die Proben erneuern, und deren so viele halten lassen sollte, bis ich befriedigt sei. –

Dieser durch anbefohlene Erneuerung der Proben ergriffene Ausweg konnte zu nichts Anderem führen, als zur höchsten Ermüdung für mich und das gesammte aktive Personal, während es andrerseits immer dabei blieb, dass Herr Dietzsch für das Tempo unzurechnungsfähig war. Als ich mir hiernach endlich den gewaltsamen Anschein gab, durch Anforderungen für den rechten Vortrag der unvermeidlichen Aufführung zu nützen, brach die Opposition gegen das »Zuviel« des Probirens bei den impetuosen Musikern des Orchester's zuerst aus. Ich merkte hieran wohl, dass die Versicherung meiner relativ so aufzufassenden »Macht« von Seiten der Generaldirektion nicht sehr aufrichtig gemeint war, und gelangte, gegenüber der allmählich immer stärker werdenden Bewegung der Uebermüdung von allen Seiten, zu dem Entschlusse, meine »Partitur« – wie man es nannte – zurückzufordern, d. h. der Aufführung der Oper zu entsagen. Ich richtete ein ganz besonderes Postulat in diesem Sinne an den Staatsminister Walewsky, erhielt aber zur Antwort, dass meinem Verlangen unmöglich entsprochen werden könnte, und diess zwar schon der bedeutenden Kosten wegen, welche bisher die Vorbereitungen meiner Oper verursacht hätten. Ich wollte mit diesem Bescheide mich nicht zufrieden geben, und berief die näher für meine Angelegenheit sich interessirenden Freunde, unter denen sich Graf Hatzfeld und Emil Erlanger befanden, zu einer Conferenz zusammen, um mit ihnen über die mir zu Gebote stehenden Mittel zur Verbietung der Aufführung des »Tannhäuser« im Opernhause zu berathen. (Der Zufall fügte, dass dieser Conferenz auch Otto Wesendonck zugegen war, welcher immer noch auf die Freude, der ersten Aufführung beizuwohnen, in Paris wartete; hier überzeugte er sich wohl, wie hoffnungslos diese Angelegenheit stand, und flüchtete alsbald nach Zürich zurück. Ganz so war es bereits Präger ergangen; nur Kietz, welcher für sein Weiterleben in dieser Welt sich einiges Geld in Paris zu verschaffen bemüht war, hielt unter den Schwierigkeiten, hierzu zu gelangen, treulich aus.) Wenn das Resultat auch dieser Conferenz eine neue Vorstellung an den Kaiser Napoléon war, so war die gleiche Vergünstigung, mit welcher mir geantwortet wurde, immer wieder nichts anders als die Autorisation zur Veranstaltung neuer Proben; bis ich denn endlich, in tiefster Seele ermüdet, beschloss, der Sache, über welche ich mir bereits im pessimistischen Sinne vollkommen klar war, auch äusserlich ihren Verlauf zu lassen.

Während ich nun in dieser Stimmung zur endlichen Ansetzung der ersten Aufführung meiner Oper meine Zustimmung gegeben hatte, wurde ich auch andrerseits auf das Wunderlichste in dieser Angelegenheit bedrängt. Jeder meiner Freunde und Parteigänger forderte einen guten Platz für die erste Aufführung; von der Direktion ward mir jedoch bedeutet, dass die Besetzung des Auditoriums gerade bei solchen Gelegenheiten ganz in die Hände des Hofes und seiner Dependenzien gelegt sei. An wen man diese Plätze vorzüglich vergab, wurde mir bald auch klar genug; für jetzt hatte ich nur die grosse Beschwerde zu bestehen, vielen meiner Freunde nicht nach Wunsch dienen zu können. Unter diesen bezeigten sich einige ausserordentlich empfindlich gegen die vermeintlich von mir ihnen widerfahrene Vernachlässigung: Champfleury beschwerte sich in einem Briefe über flagranten Freundschaftsbruch; Gaspérini aber trat mit mir in ein offenes Zerwürfniss, da ich seinem Protektor und meinem Gläubiger, dem Generaleinnehmer Lucy aus Marseille, nicht eine der glänzendsten Logen reservirt hatte. Ja selbst Blandine, welche in den Proben der Oper, denen sie angewohnt hatte, vom liebenswürdigsten Enthusiasmus für mein Werk erfüllt worden war, vermochte schliesslich, als ich ihr und ihrem Gatten Ollivier nichts andres als ein paar Sperrsitze zuweisen konnte, den Argwohn einer gegen meine besten Freunde begangenen Zurücksetzung meinerseits nicht zu wehren. Es bedurfte der ganzen Kaltblütigkeit Emil's, um den Versicherungen der unerhörten Lage, in welcher ich mich als von allen Seiten verrathen darstellen musste, bei der tief beleidigt sich wähnenden Freundin gerechte Berücksichtigung zu verschaffen. Nur der arme Bülow verstand Alles; er litt mit mir, und unterzog sich jeder Bemühung, um mir in allen diesen Widerwärtigkeiten zu helfen. Die Aufnahme der ersten Aufführung am 13. März klärte nun wohl Alles auf, und namentlich meine Freunde begriffen, dass ich sie bei dieser Gelegenheit nicht darauf einzuladen gehabt hatte, einem meiner Triumphe beizuwohnen.

Ueber den Verlauf dieses Abends habe ich an andren Orten bereits genügend berichtet; ich durfte mir schmeicheln, dass schliesslich das Gefallen an meiner Oper die Oberhand behalten habe, da die eigentliche Absicht meiner Gegner jedenfalls auf die vollständige Abbrechung dieser Aufführung gezielt hatte, was zu erreichen ihnen eben unmöglich blieb. Nur betrübte es mich, andren Tages von meinen Freunden, an deren Spitze hier Gaspérini stand, nichts als Vorwürfe darüber zu empfangen, dass ich die Besetzung des Hauses bei dieser ersten Vorstellung gänzlich meinen Händen habe entwinden lassen; das habe Meyerbeer anders verstanden, welcher seit seinen ersten Erfahrungen in Paris nie die Creïrung einer seiner Opern zugelassen habe, ohne der Besetzung des Saales bis in seine innersten Winkel versichert zu sein; da ich jedoch für meine besten Freunde, wie für Herrn Lucy, nicht gesorgt hätte, habe ich mir nun den Misserfolg des erlebten Abends selbst zuzuschreiben. In diesen und ähnlichen Angelegenheiten hatte ich nun den ganzen Tag nichts wie Briefe zu schreiben und allerhand versöhnende Bemühungen mir angelegen sein zu lassen. Vor allen Dingen drang man jetzt in mich mit Rathschlägen dafür, wie das Versäumte bei den nächsten Vorstellungen gut zu machen sei; da mir von der Direktion nur eine sehr geringe Anzahl von Freiplätzen zu Gebote gestellt werden durfte, mussten jetzt zum Ankaufe von Billeten Geldmittel herbeigeschafft werden. Mir widerstand es, Emil Erlanger oder sonst irgend jemand in dieser widerwärtigen Angelegenheit, welche von meinen Freunden mit heiligem Eifer betrieben wurde, anzugehen; Giacomelli hatte aber herausgefunden, dass ein Geschäftsfreund Wesendonck's, der Kaufmann Aufmordt, seine Hülfe in dem Sinne, mit etwa 500 Fr. auszuhelfen, angeboten habe. Ich liess nun diese für mein Wohlergehen Besorgten ganz nach ihrer Ansicht verfahren, neugierig darauf, was diese früher von mir versäumten und nun nachgeholten Erfolgsmittel helfen würden.

Diese zweite Aufführung fand am 18. März statt, und wirklich liess sich der erste Akt vortrefflich an; die Ouvertüre war ohne Opposition rauschend applaudirt worden, und Mme Tedesco, welche schliesslich durch eine mit Goldstaub gepuderte Perrücke gänzlich für ihre Partie der Venus gewonnen worden war, rief mir in der Loge des Direktor's, als das sogenannte »Septuor« des Finale's wiederum lebhaft applaudirt worden war, triumphirend zu, dass jetzt alles in Ordnung sei und wir gesiegt hätten. Als dagegen im zweiten Akte plötzlich sich grelle Pfeifen vernehmen liessen, wendete der Direktor Royer mit dem Ausdrucke vollständiger Resignation sich zu mir um, und sagte: »ce sont les Jockeys; nous sommes perdus.« Mit den Herren dieses Jockey-Club's, welche die tonangebende Macht des Theaters ausübten, waren vermuthlich im Auftrage des Kaisers über das Schicksal meiner Oper völlige Unterhandlungen gepflogen worden; man hatte von ihnen nur das Gewährenlassen dreier Aufführungen der Oper verlangt, nach welchen man ihnen versprach die Oper dermaassen zu kürzen, dass man sie nur als lever de rideau für ein darauf folgendes Ballet geben werde. Die Herren waren aber hierauf nicht eingegangen: erstlich habe man an mir während der bereits so sehr bestrittenen ersten Aufführung keineswegs die Haltung eines Menschen bemerkt, welcher zu dem in Aussicht gestellten Verfahren seine Zustimmung geben werde; demnach, zweitens, vielmehr zu befürchten sei, dass, wenn man zwei Aufführungen der Oper noch ungestört gehen lasse, diese sich so viel Anhänger gewinnen dürfte, dass man sie den Ballettfreunden wohl noch dreissig Mal de suite serviren werde, wogegen man denn bei Zeiten Einspruch zu thun entschlossen sei. Dass diese Herrn es ernstlich gemeint hatten, erkannte jetzt der vortreffliche Herr Royer; und von nun an war jeder Widerstand seinerseits, trotz der Unterstützung des Kaisers und seiner Gemahlin, welche stoisch dem Toben ihrer eigenen Courtisans anwohnten, aufgegeben.

Die hierbei gewonnenen Eindrücke wirkten auf meine Freunde erschütternd; Bülow umarmte nach der Vorstellung schluchzend Minna; diese selbst war den Beleidigungen ihrer Nachbarn, die sie in der Eigenschaft meiner Frau erkannt hatten, nicht entgangen; unser treues Dienstmädchen, die Schwäbin Therese, war von einem wüthenden Tumultuanten verhöhnt worden, da sie aber merkte dass dieser deutsch verstand, hatte sie ihn mit einem kräftigen »Schweinhund« für einige Zeit zur Ruhe zu bringen vermocht; Kietz war sprachlos geworden, und Chandon's »Fleur du jardin« verkümmerte in der Vorrathskammer.

Mir stellten sich jetzt, da ich erfuhr dass trotz Allem eine dritte Vorstellung angesetzt blieb, nur zwei Auswege dar, von denen der eine ein nochmaliger Versuch der Zurückziehung meiner Partitur, der andere aber die Forderung war, meine Oper an einem Sonntage, nämlich ausser Abonnement, zu geben, wobei ich annahm, dass eine solche Aufführung als keine Provocation für die Habitués gelten könnte, welche an solchen Tagen ihre Logen dem gelegentlich sich meldenden, zahlenden Publikum zu überlassen gewohnt waren. Der Vorschlag dieses Stratagem's schien der Direktion, wie den Tuilerien, zu gefallen; man ging darauf ein: nur weigerte man sich, meinem Verlangen gemäss diese Aufführung als dritte und letzte zu bezeichnen. Sowohl ich als Minna blieben von dieser Vorstellung fern. Es war mir ebenso widerwärtig meine Frau, als die Sänger auf dem Theater misshandelt zu wissen. Wahrhaft bedauerte ich Morelli und Fräul. Sax, welche mir unweigerlich ergeben sich erwiesen. Bereits nach der ersten Vorstellung war ich Fräul. Sax in den Corridors beim Nachhausegehen begegnet, und hatte sie scherzhaft darüber verhöhnt, dass sie ausgepfiffen worden sei; mit stolzem Ernste erwiderte sie mir dagegen »je le supporterai cent fois comme aujourd'hui. Ah, les misérables!« In einen sonderbaren Widerstreit mit sich selbst war Morelli gerathen, als er die Stürme der Tumultuanten auszuhalten hatte. Sein Spiel beim Verschwinden der Elisabeth im dritten Akte, bis zum Beginn seines Gesanges an den Abendstern, war ihm von mir auf das Genaueste vorgezeichnet worden; er durfte sich durchaus nicht von der Felsbank entfernen, von welcher aus er, dem Publikum halb zugewandt, der Scheidenden seinen Gruss nachzusenden hatte. Der Gehorsam war ihm hier schwer angekommen, da er behauptete, es sei gegen allen Gebrauch der Oper, dass der Sänger eine so wichtige Gesangsstelle nicht ganz am Proscenium, dem Publikum unmittelbar zugewendet, vortrüge. Als er nun in der Aufführung seine Harfe ergriff, um den Gesang zu beginnen, rief es im Publikum: »ah! il prend encore sa harpe« worauf alle Welt in tobendes Lachen ausbrach, welchem neues Pfeifen so andauernd folgte, dass Morelli endlich den Entschluss fasste, kühn seine Harfe bei Seite zu legen, nach üblicher Sitte in das Proscenium vorzutreten, und nun ohne alle Begleitung (denn Dietzsch fand sich erst im zehnten Takte zurecht) entschlossen seine Abendphantasie vortrug, wobei denn alles ruhig wurde, endlich athemlos lauschte, und am Schlusse den Sänger mit Applaus bedeckte.

Da die Sänger somit den Muth bezeugten, neuen Stürmen entgegen zu treten, konnte ich nichts dagegen haben, vermochte aber nicht mehr, mich in der unactiven Lage eines leidenden Zuschauers bei so unwürdigen Vorgängen zu behaupten. Demnach blieb ich, wie gesagt, bei dieser, im Betreff ihres möglichen Erfolges zweifelhaften, dritten Aufführung zu Haus. Nun kamen aber nach den verschiedenen Akten die Boten, welche uns berichteten: Truinet war bereits nach dem ersten Akte gänzlich meiner Meinung geworden, die Partitur jedenfalls zurückzuziehen; es hatte sich gefunden, dass die Jockeys sich von dieser Sonntags-Vorstellung nicht, wie üblich, fern gehalten, sondern ausdrücklich von Anfang an sich eingestellt hatten, um auch nicht eine Scene ohne Tumult vorübergehen zu lassen. Es war, wie man mich versicherte, bereits im ersten Akte, zu einer zweimaligen gänzlichen Unterbrechung der Vorstellung durch fünfzehn Minuten lang andauernde Kämpfe gekommen. Der bei weitem grösste Theil des Publikum's ergriff, ohne damit irgend ein Urtheil über mein Werk aussprechen zu wollen, dem bubenhaften Benehmen der Tumultuanten gegenüber mit Hartnäckigkeit meine Partei; nur waren sie mit ihren Manifestationen den Angreifern gegenüber in einem grossen Nachtheile: wenn Alles sich durch Applaudiren und Beifalls- so wie Abwehrungsrufe bis auf das Aeusserste ermüdet hatte, und es nun wieder ruhig werden zu wollen schien, begannen die Jockeys ohne alle Anstrengung munter auf ihren Jagdpfeifen und Flageolets zu spielen, so dass die Entscheidung jedenfalls ihnen angehören musste. In einem Zwischenakte trat einer jener Herren in die Loge einer vornehmen Dame, welche ihn einer ihrer Freundinnen, vor Wuth schäumend, mit den Worten vorstellte: »c'est un de ces misérables, mon cousin«; dieser zeigte dagegen eine vollkommen heitere Miene: »was wollen Sie? Mir fängt die Musik selbst an zu gefallen; aber Sie werden begreifen, dass man sein Wort halten muss. Erlauben Sie mir, dass ich mich wieder an die Arbeit mache.« Mit diesen Worten beurlaubte er sich. – Den gemüthlichen sächsischen Gesandten, Herrn von Seebach, traf ich des andern Tages in vollständiger Heiserkeit an; er, so wie alle seine Freunde, hatte durch das nächtliche Toben die Stimme gänzlich eingebüsst. – Fürstin Metternich war zu Hause geblieben; sie hatte bereits während der beiden ersten Vorstellungen den offen beleidigenden Hohn unserer Gegner zu ertragen gehabt. Die Wuth, bis zu welcher es hierbei gekommen war, bezeichnete sie mir dadurch, dass sie ihre besten Bekannten nannte, mit welchen sie hierüber in einen so ausartenden Konflikt gerathen war; sie hatte ihnen gesagt: »geht mir mit Eurem freien Frankreich. Zu Wien, wo doch am Ende ein rechter Adel vorhanden ist, wäre der Fall, dass ein Fürst Liechtenstein oder Schwarzenberg aus seiner Loge pfeifend zu »Fidelio« ein Ballet verlangte, undenkbar.« Ich glaube, dass sie auch dem Kaiser in diesem Sinne zugesetzt hatte, und diesem zu Folge es in Ueberlegung gezogen worden war, ob man den Ungebührlichkeiten jener Herrn, welche leider zum grossen Theile dem kaiserlichen Hofstaate selber angehörten, durch polizeiliche Anordnungen ein Ziel setzen könnte. Hiervon hatte verlautet, und wirklich glaubten meine Freunde an einen vorbereiteten Sieg, als sie bei der dritten Vorstellung die Corridors des Theaters stark mit Polizei-Mannschaft besetzt sahen; nur stellte es sich später heraus, dass diese Vorsicht dem Schutze der Jockeys galt, da man vermuthete, sie könnten vom Parterre aus zur Strafe ihrer Frechheit angegriffen werden. Es scheint, dass die Vorstellung, welche übrigens doch wiederum zu Ende gebracht worden war, durchgängig von einem nie endenden Tumulte begleitet wurde. Nach dem zweiten Akte fand sich bei uns auch die Frau des ungarischen Revolutionsministers von Szemere ein, und zwar in völliger Auflösung und mit der Versicherung, es sei im Theater nicht mehr auszuhalten. Von dem Verlaufe des dritten Aktes konnte mir Niemand etwas Unterscheidbares berichten; er schien einem fortgesetzten Schlachtgewühle mit Pulverdampf geglichen zu haben.

Ich bestellte mir nun für den andren Morgen Freund Truinet, um mit ihm die Note an die Direktion zu redigiren, gemäss welcher ich zum Schutze der Sänger, welche ich von einem Theile des Publikum's, gegen den die kaiserliche Administration keine Sicherstellung zu ergreifen vermöge, nicht mehr statt meiner misshandelt wissen dürfte, meine Partitur zurückzöge, und jede weitere Aufführung als Autor verböte. Das Erstaunliche war, dass ich mit diesem Einschreiten gar nicht etwa eine Prahlerei ausübte; denn wirklich war eine vierte und fünfte Aufführung bereits angesetzt, und die Administration hielt mir entgegen, dass sie auch ihre Verpflichtungen gegen das Publikum habe, welches sich zu diesen Vorstellungen fortgesetzt herandränge. Ich veranstaltete hiergegen durch Truinet, dass mein Brief sofort Tag's darauf im Journal des Débats abgedruckt wurde, und nun erfolgte, nach wiederum einigem Zögern, die Erklärung der Administration, dass sie in die Zurücknahme meines Werkes einwillige.

Mit diesem Ausgange nahm jetzt auch ein Prozess sein Ende, den bis dahin Ollivier für mich gegen jenen Herrn Lindau geführt hatte, welcher um Theilnahme an den »Droits d'auteur« für den Text eingekommen war, an welchen er der dritte gleich berechtigte Mitarbeiter zu sein behauptete. Sein Advokat, Maître Marie, begründete die Gerechtigkeit seiner Forderung auf ein vermeintlich von mir aufgestelltes Prinzip, nach welchem es mir nicht auf die Melodie, sondern bloss auf die Richtigkeit der Deklamation der Worte des Textes ankomme, für welche doch ersichtlich weder Roche noch Truinet, da beide nicht deutsch verstünden, hätten sorgen können. Hiergegen ereiferte sich nun Ollivier beim Plaidoyer so lebhaft, dass er nahe daran schien, den Beweis für die rein musikalische Essenz meiner Melodie durch den Vortrag des »Abendsterns« zu führen. Hierdurch hingerissen wiesen die Richter die Forderung meines Gegner's zurück, gaben mir aber, da dieser einigen Antheil am Beginn der Arbeit gehabt zu haben schien, eine billige Entschädigung auf. Jedenfalls hätte ich diese aus den Revenuen der Pariser Aufführung des »Tannhäuser« nicht entrichten können, da ich bei der Zurückziehung der Oper sofort mit Truinet übereinkam, den vollen Betrag der Droits d'auteur, sowohl für den Text als die Musik, an den armen Roche abzutreten, dem mit dem Durchfalle meines Werkes eine einzige Hoffnung auf Besserung seiner kümmerlichen Lage verloren gegangen war.

Noch andere Beziehungen lösten sich sofort nach diesem Ausgange der Dinge. Bis dahin hatte mich in den letzten Monaten nämlich auch ein Cercle artistique in Bemühung gesetzt: dieser hatte sich, wie es schien unter bedeutender Mitwirkung der deutschen Gesandtschaften, in den aristokratischesten Kreisen zu dem Zwecke guter Aufführungen guter Musik ausserhalb des Theater's zur Belebung des Interesses hierfür eben in vornehmen Kreisen gebildet. Unglücklicher Weise gerieth er in seinem Manifeste darauf, seine Bemühungen um gute Musik mit denen des Jockey-Club's um gute Pferdezucht zu vergleichen. Jedenfalls wünschte man, Alles, was einen bedeutenden musikalischen Namen hatte, für sich zu gewinnen: ich musste, mit der Beisteuer von jährlich 200 Franken, mich als Mitglied aufnehmen lassen, und wurde dafür, mit Herrn Gounod und mehreren andren Pariser Notabilitäten, in ein artistisches Comité gewählt, zu dessen Präsidenten Auber gemacht wurde. Mit dieser Gesellschaft hielten wir öfters Sitzungen bei dem Grafen d'Osmond, einem lebhaften jungen Manne, der im Duell einen Arm verloren hatte und Musik-Dilettantismus trieb. In gleicher Weise lernte ich hier einen jungen Prinzen Polignac kennen, welcher mich vorzüglich durch seinen Bruder, dem man eine vollständige Uebersetzung des »Faust« zu verdanken hatte, interessirte. Ich musste eines Morgens bei ihm déjeuniren, und hier enthüllte er sich als Musikphantast: es kam ihm darauf an, mich von der Richtigkeit seiner Auffassung der A-dur-Symphonie Beethoven's zu überzeugen, in deren letztem Satze er alle Phasen eines Schiffbruch's deutlich nachweisen zu können behauptete. Unsere gemeinschaftlichen Sitzungen, welche zunächst den Anordnungen und Vorbereitungen zu einem grossen und klassischen Konzerte galten, für das aber auch ich etwas zu komponiren haben sollte, belebten sich einzig durch den pedantischen Eifer Gounod's, welcher mit unermüdlicher süsslicher Breite das Sekretariat führte, während Auber stets nur mit kleinen, unverkennbar zum Schluss der Discussion drängenden, nicht immer sehr delikaten bon mots die Verhandlungen mehr unterbrach als leitete. Wirklich erhielt ich, auch nach dem entscheidenden Durchfalle des Tannhäuser, noch einmal eine Einladung zur Theilnahme an den Sitzungen dieses Comités zugesandt, besuchte sie aber nie wieder, und erklärte auch an den Präsidenten der Gesellschaft, wegen vermuthlich baldiger Abreise nach Deutschland, meinen völligen Austritt.

Nur mit Gounod verblieb ich auch hiernach noch in freundschaftlichen Beziehungen. Mir wurde von diesem berichtet, dass er in der Gesellschaft überall mit Enthusiasmus für mich eingetreten sei; er solle ausgerufen haben: »que Dieu me donne une pareille chûte«. Zur Belohnung hierfür schenkte ich ihm eine Partitur von »Tristan und Isolde«, denn sein Benehmen freute mich um so mehr, als mich keine freundschaftliche Rücksicht dazu hatte bewegen können, seinen »Faust« anzuhören.

Jetzt wurde ich überhaupt mit vielen energischen Verfechtern meiner Sache bekannt gemacht; namentlich in den kleinen, von Meyerbeer noch nicht beachteten Journalen, wurde ich wirklich gefeiert, und manche sehr gute Phrase kam hierbei zum Vorschein. Irgendwo las ich, mein Tannhäuser sei »la Symphonie chantée«. – Baudelaire zeichnete sich durch eine sehr geistreiche und scharfe Brochüre in der gleichen Angelegenheit aus; und endlich überraschte mich selbst Jules Janin durch sein Feuilleton im Journal des Débats, in welchem er mit voller Indignation, seiner Weise gemäss, eine etwas abschweifende Notiz von dem ganzen Vorgange gab. – In den Theatern wurden Parodien des »Tannhäuser« dem Publikum zum Besten gegeben, und Musard glaubte das Publikum nicht stärker in seine Konzerte ziehen zu können, als wenn er täglich mit ungeheuren Lettern die Ouverture zu »Tannhäuser« annoncirte. Auch Pasdeloup gab häufig Stücke von mir in demonstrativem Sinne. – Endlich gab die Frau des österreichischen Militärbevollmächtigten, Gräfin Löwenthal, eine grosse Matinée, in welcher Madame Viardot verschiedenes aus »Tannhäuser« singen musste, wofür sie 500 Franken erhielt. – Sonderbarer Weise vermischte man mein Schicksal auch mit dem eines Herrn de la Vaquerie, welcher mit einem Drama, les funérailles de l'honneur, ebenfalls in skandalöser Weise durchgefallen war. Diesem gaben seine Freunde ein Ehrenbankett, zu welchem auch ich eingeladen wurde. Wir beide wurden bei dieser Gelegenheit enthusiastisch gefeiert; man hörte glühende Reden über die »Encanaillirung« des Publikums, und schweifte etwas in das politische Gebiet hinüber, welches meinem Festgenossen durch seine Verwandtschaft mit V. Hugo leicht zuzuweisen war. Leider hatten meine speziellen Enthusiasten ein Pianino angeschafft, an welchem ich nun, von höchster Gewalt genöthigt, beliebte Stücke aus »Tannhäuser« schliesslich zum Besten geben musste, wodurch das Fest sich gänzlich in eine Huldigung für mich allein verwandelte.

Noch bedeutsamer erschien es, als man auf die eigenthümliche Popularität, welche man mir zuerkannte, grössere Unternehmungen zu berechnen sich anliess. Der Direktor des Théatre lyrique sah sich mit allen Kräften nach einem Tenor für den »Tannhäuser« um, und nur dass er ihn nicht fand, nöthigte ihn auf die Absicht, meine Oper sogleich wieder zu geben, zu verzichten. Mr de Beaumont, Direktor der Opéra comique, befand sich am Bankerott, und hoffte sich mit dem »Tannhäuser« zu retten, in welchem Sinne er mit Anträgen mir auf das Lebhafteste zusetzte. Allerdings hoffte er zu gleicher Zeit hiermit die Hülfe der Fürstin Metternich beim Kaiser, welcher ihn aus seiner Verlegenheit ziehen sollte, zu gewinnen. Er schalt mich kalt, als ich auf seine glänzenden Vorspiegelungen nicht einging, wozu ich allerdings aus keinem Grunde Lust hatte. Doch liess es mich nicht ohne Interesse, als ich erfuhr, dass kurz hierauf Roger, welcher jetzt bei der Opéra comique war, einen Theil des letzten Aktes von »Tannhäuser« einer zu seinem Besten gegebenen Vorstellung einflocht, womit er sich die wüthendsten Angriffe der grossen Presse zuzog, beim Publikum jedoch eine gute Aufnahme gewann. Nun mehrten sich aber die Projekte. Im Namen einer Gesellschaft, an deren Spitze ein ungeheuer reicher Mann stünde, meldete sich ein Mr de Chabrol, mit dem Journalistennamen Lorbach, zur Gründung eines »Théâtre Wagner«, von welchem ich nichts hören wollte, ausser wenn man einen gut renommirten und erfahrenen Mann zum Direktor gewänne. Hierzu wurde Herr Perrin auserwählt. Dieser lebte seit Jahren in der festen Zuversicht, eines Tages zum Direktor der grossen Oper ernannt zu werden, und glaubte sich daher nicht kompromittiren zu dürfen. Zwar schrieb er den Durchfall des »Tannhäuser« einzig der Unfähigkeit des Herrn Royer zu, dessen Sache es ja eben gewesen wäre, die Presse für die Unternehmung zu gewinnen: die Beweise dafür zu liefern, dass, wenn er es in die Hand nähme, Alles sogleich ein anderes Ansehen gewinnen, und der »Tannhäuser« reussiren würde, reizte ihn somit sehr zur Theilnahme an; jedoch äusserst kalt und vorsichtig, glaubte er den Propositionen des Herrn Lorbach ersichtliche Schwächen abzumerken; da dieser mit ihm über gewisse Provisionen unterhandelte, glaubte Perrin sofort den Charakter einer nicht ganz tadellosen Spekulation zu erkennen, und erklärte, wenn er ein Wagner-Theater gründen wollte, würde er hierzu schon die nöthigen Fonds in seiner Weise finden können. In diesem Sinne trug er sich wirklich auch ernstlich mit dem Gedanken, einmal ein grosses Kaffeehaus »Alcazar«, das andere Mal den »Bazar de la bonne nouvelle« für ein solches Theater zu acquiriren. Für seine Unternehmung schienen sich nun auch die rechten Kapitalisten finden zu wollen; Herr Erlanger glaubte mit Erfolg zehn Banquiers werben zu können, von denen jeder mit 50,000 Franken an der Unternehmung sich betheilige, wonach dann ein Fonds von 500,000 Franken Herrn Perrin zur Führung übergeben worden wäre. Gar bald verlor jener aber den Muth, als er gewahr wurde, dass die von ihm angegangenen Herren wohl auf ein Theater zu ihrem persönlichen Amüsement, nicht jedoch aber für die serieuse Tendenz, meine Werke in Paris einheimisch zu machen, ihr Geld verwenden wollten.

Mit dieser niederschlagenden Erfahrung trat denn auch Herr Erlanger von seiner ferneren Theilnahme an meinem Schicksale zurück; im kaufmännischen Sinne betrachtete er den mit mir eingegangenen Vertrag als eine Art von Geschäft, welches nun eben nicht reussirt habe. Die Ordnung meiner finanziellen Lage schien somit jetzt von anderen Freunden zu übernehmen zu sein, und hierfür meldeten sich mit grosser Zartheit die deutschen Gesandtschaften, welche den Grafen Hatzfeld beauftragt hatten, bei mir nach meinen Bedürfnissen sich zu erkundigen. Hiergegen fasste ich meine Situation einfach so auf, dass ich in Folge des Befehl's des Kaiser's zur Aufführung meiner Oper meine Zeit an eine Unternehmung vergeudet habe, deren Fruchtlosigkeit nicht meine Schuld sei. Nicht mit Unrecht machten meine Freunde mich auf meine Fahrlässigkeit aufmerksam, mit welcher ich beim ersten Beginn gewisse Entschädigungsstipulationen festzusetzen versäumt hätte, welche dem praktischen Sinn der Franzosen sehr geläufig und einleuchtend gewesen sein würden. In Wahrheit hatte ich mir für meine Mühe und Zeit keinen Ersatz ausbedungen, und blieb somit einfach auf die im günstigen Falle des Erfolges mir zukommenden Droits d'auteur angewiesen. Da es mir unmöglich fiel, wegen der Nachholung des Versäumten an die Administration der Oper oder an den Kaiser selbst mich zu wenden, so liess ich mir es schon gefallen, dass die Fürstin Metternich es übernahm, für mich einzutreten. Graf Pourtalès hatte sich soeben in Berlin aufgehalten, um dort den Prinzen Regenten von Preussen zu dem Befehl einer Aufführung des »Tannhäuser« zu meinem Vortheile zu bewegen. Leider hatte dieser aber gegen seinen Intendanten Herrn von Hülsen, welcher mir durchaus feindselig gesinnt war, seinen Befehl nicht durchsetzen können. Da ich einer langen Periode vollständiger Hülflosigkeit entgegensah, überliess ich daher nothgedrungen es der Fürsorge meiner fürstlichen Patronin, meine Ansprüche auf Entschädigung zu vertreten, und begab mich für jetzt am 15. April (denn in der kurzen Zeit eines Monats seit den Aufführungen des Tannhäuser's hatten sich alle diese Nachspiele abgespielt) auf eine kurze Reise nach Deutschland, um dort für meine Zukunft mir einigen Boden zu gewinnen.

Auf den gleichen Weg hatte sich der Einzige, der meine wahren Bedürfnisse vollständig begriff, mitten aus dem Wirrsaal der Pariser Aufführungen mir voraus begeben: Bülow hatte mir jetzt aus Karlsruhe von den guten Dispositionen der grossherzoglichen Familie für mich Nachricht gegeben, und ich fasste nun schnell den Plan, jene so unselig verzögerte Aufführung meines »Tristan« dort jetzt ernstlich in das Werk zu setzen. Demnach traf ich in Karlsruhe ein, und wenn für die Ausführung meines schnell gefassten Planes mich etwas bestimmen konnte, so war es die ungemein biedere Aufnahme, welche ich hier von Seiten des Grossherzogs von Baden fand. Der hohe Herr schien ein herzliches Bedürfniss darnach zu haben, mir ein ernstes Zutrauen zu sich zu erwecken; in der vertraulichsten Unterredung, an welcher auch seine junge Frau Theil nahm, liess der Grossherzog es sich angelegen sein, mich darüber zu belehren, dass seine gründliche Theilnahme nicht sowohl mir als Operncomponisten, den zu beurtheilen er ebenso wenig Neigung empfand als Kenntniss sich zutraute, sondern dem Manne, der um seiner deutschen und freien Gesinnung wegen viel zu erleiden gehabt habe, gelte. Da ich aus ganz natürlichen Gründen der politischen Bedeutung meiner Vergangenheit keinen besonderen Werth beizumessen vermochte, dünkte ihm diess misstrauische Zurückhaltung, und er ermuthigte mich dagegen durch die Versicherung, dass, wenn auf diesem Gebiete Fehler, ja grosse Verschuldungen vorgefallen seien, diess mehr Diejenigen träfe, welche auch in Deutschland verbleibend nicht glücklich geworden, und dafür durch innere Leiden gewiss ebenfalls gebüsst hätten; wogegen es nun die Pflicht der Schuldigen sei, ihre begangenen Fehler gegen die damals Ausgestossenen gut zu machen. Gern stellte er mir sein Theater zur Verfügung, und ertheilte hierfür die nöthigen Befehle an den Direktor desselben. Dieser, mein alter »Freund« Eduard Devrient, rechtfertigte durch die peinliche Befangenheit, in welche ihn meine Ankunft versetzt hatte, die von Bülow mir gemachten Mittheilungen über die vollendete Nichtigkeit der bisher von ihm erheuchelten theilnahmvollen Gesinnungen für mich. In der freudigsten Stimmung, welche mir die schöne Aufnahme beim Grossherzoge hervorgerufen, wusste ich aber auch Devrient bald, wenigstens scheinbar, dahin zu bringen, wohin ich ihn haben wollte. Er musste mit mir jetzt ernstlich auf die beabsichtigte Vorstellung des »Tristan« eingehen, und da es ihm nicht zu leugnen einfiel, dass, namentlich seit dem Abgange Schnorr's nach Dresden, er die nöthigen Sänger für mein Werk nicht besitze, verwies er mich auf Wien, wobei er seine Verwunderung darüber nicht unterdrückte, dass ich überhaupt dort meine Opern nicht zur Aufführung bringen wollte, wo eben alles dazu vorhanden sei. Es kostete mich Mühe ihm begreiflich zu machen, warum ich einige ausserordentliche Vorstellungen meines Werkes in Karlsruhe der möglichen Einreihung derselben in das Repertoire des Wiener Operntheaters vorzöge. Ich erhielt somit die Genehmigung für mein Vorhaben, zu Schnorr, welcher jedenfalls hierfür als Gast nach Karlsruhe herbeigezogen werden sollte, in Wien die mir sonst noch nöthigen Sänger für die beabsichtigte »Mustervorstellung« in Karlsruhe, auszusuchen.

Somit war ich auf Wien angewiesen, und hatte jetzt nach Paris zurückzukehren, um dort meine Angelegenheiten bis auf den Punkt zu ordnen, dass ich für die Ausführung meines weiteren Projektes genügend ausgerüstet sei. Leider hatte mich hier, wohin ich nach sechstägiger Abwesenheit zurückkehrte, nichts andres zu beschäftigen, als wie ich mich mit den für meine Lage nöthigen Geldmitteln versähe, unter welchen Umständen mir gewisse theilnahmvolle Annäherungen und Versicherungen, wie sie mit gesteigerter Wärme mir zukamen, ebenso beunruhigend als gleichgültig waren. Während die in weiterem Maassstabe aufgefassten Operationen für eine mir zu bietende Entschädigung von Seiten der Fürstin Metternich mit geheimnissvoller Langsamkeit sich vollzogen, war es ein Kaufmann Stürmer, welchen ich früher in Zürich kennen gelernt hatte, und der sich in Paris fortwährend mit biederer Theilnahme um mich bekümmerte, durch dessen Hülfe es mir jetzt möglich ward, mein Haus für das Erste zu versorgen und mich selbst auf die Reise nach Wien zu begeben. – Liszt war seit längerer Zeit in Paris angekündigt, und während der abgelaufenen verhängnissvollen Zeit oft sehnlich von mir herbeigewünscht worden, weil es wohl nahe lag anzunehmen, dass gerade er, in der nur ihm zuerkannten Stellung zu den Notabilitäten des Pariser Lebens, ungemein hilfreich auf die Entwirrung der so arg verwickelten Verhältnisse hätte einwirken können. Ein geheimnissvolles briefliches Achselzucken war auf jede meiner Anfragen wegen der Verzögerung seiner Ankunft die Antwort gewesen. Es klang wie Ironie, als ich gerade jetzt, wo ich mich zur Reise nach Wien fertig gemacht hatte, erfuhr, dass Liszt in den nächsten Tagen in Paris ankommen werde. Da ich jetzt nur der Bedrängniss meiner Lage nachzugehen hatte, welche durchaus verlangte, dass ich neue Fäden für meinen Lebensplan anknüpfte, verliess ich gegen Mitte Mai Paris, ohne meines alten Freundes Ankunft abzuwarten.

Ich stellte mich zunächst zu einer erneueten Unterredung mit dem Grossherzoge in Karlsruhe ein, fand die gleiche freundliche Aufnahme, und erhielt die Erlaubniss, die in Wien von mir auszuwählenden Sänger für eine Musteraufführung des »Tristan« im Karlsruher Theater anzuwerben. Dem zu Folge reiste ich nun nach Wien, stieg im Erzherzog Karl ab, und erwartete die Erfüllung des vom Kapellmeister Esser zuvor brieflich mir gegebenen Versprechens, mir einige Vorstellungen meiner Opern vorzuführen. Hier war es denn, wo ich zum ersten Male den »Lohengrin« aufgeführt hörte. Trotz dem die Oper bereits sehr häufig gegeben war, fand sich das ganze Personal doch zunächst zu einer vollständigen Theaterprobe, wie ich es gewünscht hatte, ein. Das Orchester trug sogleich das Vorspiel mit so schöner Wärme vor, die Stimmen der Sänger, und manche ihrer guten Eigenschaften, traten bei der Ausführung des ihnen bereits höchst vertrauten Werkes so überraschend wohlthätig hervor, dass ich, von dem hierdurch auf mich gemachten Eindrucke überwältigt, jede Neigung zur Kritik der Gesammtleistung verlor. Man schien die tief gerührte Stimmung in welcher ich war zu bemerken, und Herrn Dr Hanslick mochte diess der geeignete Moment dünken, sich mir, der ich zuhörend auf der Bühne sass, freundschaftlich vorstellen zu lassen: ich grüsste ihn kurz, wie einen gänzlich Unbekannten, worauf der Tenorist Ander mir ihn abermals mit der Bemerkung, dass Herr Hanslick mein alter Bekannter sei, vorstellte; ich erwiderte kurz, dass ich mich sehr wohl des Herrn Hanslick erinnerte, und wendete mich wieder einzig der Probe zu. Es scheint, dass es nun meinen Wiener Freunden gerade so ergieng, wie früher meinen Londoner Bekannten, als diese mich jedem Versuche, dem gefürchtetsten Rezensenten meine Beachtung zuzuwenden, abgeneigt fanden. Dieser Mensch, welcher sich als angehender Student seiner Zeit bei einer der ersten Aufführungen des »Tannhäuser« in Dresden eingefunden, und damals mit glühendem Enthusiasmus über mein Werk referirt hatte, war seitdem, wie sich diess bei Gelegenheit der Aufführung meiner Opern in Wien entschied, zu meinem bissigsten Gegner geworden. Das mir wohl gesinnte Personal der Oper schien von jetzt an keine andre Sorge zu haben, als mich, wie sie es verstanden, mit diesem Rezensenten zu versöhnen; da diess nicht gelang, mögen Diejenigen nicht Unrecht haben, welche mein ferneres Missgeschick in jeder auf Wien berechneten Unternehmung dieser von Neuem mir zugezogenen Feindschaft beimessen.

Für jetzt schien aber der Strom der mir günstigen Meinung alles Widerwärtige hinwegschwemmen zu wollen. Die Aufführung des »Lohengrin«, welcher ich beiwohnte, ward zu einer jener ununterbrochenen heissblütigen Ovationen, wie ich sie nur bei dem Wiener Publikum erlebt habe. Man wünschte mir noch meine beiden Opern in gleicher Weise vorzuführen; doch empfand ich eine gewisse Scheu vor der Wiederholung des an jenem Abend Erlebten; da ich ausserdem von den grossen Schwächen der Aufführung des »Tannhäuser« unterrichtet war, nahm ich nur noch eine Vorstellung des bescheideneren »fliegenden Holländer« an, namentlich weil es mir daran lag, den in dieser Oper exzellierenden Sänger Beck kennen zu lernen. Auch diessmal erging sich das Publikum in den gleichen Freudenbezeigungen, und ich durfte nun, von allseitigem Wohlwollen getragen, an die Erledigung meines eigentlichen Geschäftes denken. Die akademische Jugend hatte mir die Ehre eines Fackelzuges zugedacht, welche ich jedoch ablehnte, wodurch ich namentlich Esser ausserordentlich für mich einnahm. Er, sowie die obersten Behörden der Oper, frugen sich nun, in welcher Weise diese Triumphe auszubeuten sein möchten. Ich stellte mich dem Grafen Lanckoronski, Oberhofmeister des Kaisers vor, der mir als sonderbarer, und von der Kunst und deren Bedürfnissen gänzlich nichts verstehender Herr geschildert worden war. Als ich ihm mein Gesuch dahin vortrug, er möge, in einer gewissen Zeit, den Hauptsängern seiner Oper, namentlich Frau Dustmann (früher Luise Meyer) und Herrn Beck, vielleicht auch Herrn Ander, für die von mir in Karlsruhe projektirte Aufführung des »Tristan«, einen längeren Urlaub ertheilen, entgegnete mir der alte Herr sehr trocken, dass das nicht möglich sei. Er fand es dagegen weit vernünftiger, dass, da mir sein Personal zusagte, ich mein neues Werk doch lieber in Wien geben möchte. Mir entfiel alsbald der Muth, diesem Ansinnen mich entgegen zu stellen.

Als ich, mit dieser neuen Wendung meiner Angelegenheit beschäftigt, die Treppen der Hofburg hinabstieg, trat am Thore ein stattlicher Mann von ungemein sympathischem Ansehen auf mich zu, um mir seine Begleitung im Wagen bis zum Gasthof anzubieten. Diess war Joseph Standhartner, ein vorzüglich in der vornehmen Welt beliebter Arzt, grosser Musik-Enthusiast, und dazu bestimmt, in alle Zukunft mir als innig ergebener Freund zu dienen. – Schon hatte sich aber auch Karl Tausig zu mir gefunden, welcher damals sich auf Wien geworfen, und die beabsichtigte Eroberung dieses Terrains für Liszt'sche Kompositionen durch mehrere, im vorangegangenen Winter von ihm eingeleitete und selbst dirigirte Orchester-Konzerte, in Angriff genommen hatte. Er führte mir den ebenfalls nach Wien verschlagenen Peter Cornelius, den ich nur von jener Begegnung in Basel 1853 her kannte, zu. Beide schwärmten damals in dem kürzlich erschienenen, von Bülow arrangirten Klavierauszuge des »Tristan«. In meinem Gasthofzimmer, wohin Tausig einen Bösendorff'schen Flügel besorgt hatte, ging es bald heissblütig musikalisch her: man hätte gern sogleich die Proben von »Tristan« begonnen: jedenfalls ward mir die Annahme des Vorschlages, mein Werk zuerst hier aufzuführen, so nahe gelegt, dass ich schliesslich mit dem Versprechen, nach einigen Monaten wiederzukommen um sofort das Einstudiren zu beginnen, von Wien abreiste.

Ich fühlte einige Beklommenheit dem Grossherzoge von Baden meinen veränderten Entschluss mitzutheilen; so dass ich dem Einfalle, erst nach einem sonderbaren Umwege Karlsruhe zu berühren, gern nachgab. Mein Geburtstag fiel in die Zeit der Zurückreise, und ich beschloss ihn in Zürich zu feiern. Ueber München gelangte ich ohne Verzug nach Winterthur, wo ich meinen Freund Sulzer anzutreffen gedachte; leider war dieser abwesend, und ich traf nur seine Frau, welche viel Rührendes für mich hatte, sowie seinen kleinen Sohn, einen lebhaft mich einnehmenden Knaben, an. Ihn selbst wusste ich am folgenden Tag, eben am 22. des Monates, in Zürich anzutreffen, und verbrachte so den nicht unbedeutenden Rest des Tages hier in einem engen Gasthofzimmer, in welchem mich meine Reiselektüre, die »Wanderjahre« Goethe's, zum ersten Male mit dem vollen Verständnisse dieser wunderlichen Komposition fesselte. Namentlich war es die eigenthümliche Schilderung des Aufbruches der Gesellen, in welcher es zu einer fast wilden Lyrik kommt, durch deren Eindruck auf mich der Geist des Dichters auch für dieses Werk mir vertraulich nahe trat. Des anderen Morgens gelangte ich beim ersten Anbruche des Tages nach Zürich. Ein wundervoller klarer Morgen bestimmte mich, auf weiten Umwegen die alt gewohnten Spaziergänge im Sihlthal bis zu dem Gute Wesendonck's aufzusuchen. Hier war ich vollkommen unangemeldet; ich erkundigte mich nach den Gewohnheiten des Hauses, und hörte, dass Wesendonck um diese Zeit nach dem Speisesaale herabkäme, um allein zu frühstücken. Dahin setzte ich mich in eine Ecke und erwartete nun den gutmüthigen langen Menschen, wie er schweigend zu seinem Kaffee herantrat, und endlich in herzliches Erstaunen, mich hier zu finden ausbrach. Der Tag verging sehr freundschaftlich; Sulzer, Semper, Herwegh, auch Gottfried Keller, wurden herbeigeschafft, und ich genoss die Befriedigung einer recht gelungenen Ueberraschung unter so eigenthümlichen Umständen, welche soeben noch mein Schicksal zum aufgeregten Tagesgespräch der Freunde gemacht hatten.

Eilig wandte ich mich dann des anderen Tages nach Karlsruhe, wo von dem Grossherzoge meine Mittheilungen mit freundlicher Billigung aufgenommen wurden. Ich konnte ja mit Recht melden, dass eben mein Gesuch um den Urlaub der Sänger abgeschlagen worden, und die zuvor projektirte Aufführung in Karlsruhe dadurch unmöglich gemacht worden war. Ohne alle Wehmuth, sondern mit unverhohlenem Wohlgefühl, nahm Eduard Devrient diese Wendung auf, und er verhiess mir in Wien eine glänzende Zukunft. – Für jetzt holte mich hier Tausig ein, welcher bereits in Wien sich zu einer Reise nach Paris, um dort mit Liszt zusammen zu treffen, entschlossen hatte, und jetzt von Karlsruhe aus mit mir gemeinschaftlich über Strassburg die Reise fortsetzte.

In Paris wieder angelangt, traf ich meinen dortigen Hausstand bereits der Auflösung sich nähernd an. In diesem Betreff lag es mir jetzt an nichts Weiterem, als an der Beschaffung der Mittel zum Fortgange von Paris, sowie zu einer nächsten Verfügung über eine gänzlich aussichtslose Zukunft. Einstweilen hatte jedoch Minna noch Gelegenheit, ihre Talente zur häuslichen Bewirthung zu zeigen. Liszt, der bereits in Paris in seine alte Strömung gerathen war, und von seiner eigenen Tochter Blandine nur im Wagen, in welchem er von Besuch zu Besuch fuhr, gesprochen werden konnte, fand, durch sein gutes Herz geleitet, auch die Zeit, sich einmal bei mir zum »Beefsteak« einzuladen; ja er gelangte dazu, mir einen ganzen Abend zu schenken, für welchen er freundschaftlich zur Abmachung meiner kleinen Verbindlichkeiten sich mir zu Verfügung stellte. Vor einigen Freunden aus den vergangenen Nothzeiten her, spielte er an diesem Abende auch Klavier; und hier begegnete es, dass der arme Tausig, welcher Tag's zuvor in einer einsamen Stunde mir Liszt's Phantasie über den Namen »Bach« zu meinem wahrhaften Erstaunen vorgespielt hatte, nun vor Liszt, als dieser wie von ungefähr uns dasselbe Stück produzirte, zu einem wahrhaft zermalmenden Gefühle der Ohnmacht gegen diesen, über alles Erstaunliche hinausragenden Koloss, zusammenschrumpfte. – Ausserdem waren wir zu einem Frühstücke bei Gounod versammelt, welches ungemein langweilig verfloss, und nur durch des armen Baudelaire, wie im Geleise der Verzweiflung sich bewegenden, Esprit belebt wurde. Dieser, » criblé de dettes« wie er mir sagte, täglich genöthigt auf extravagante Mittel für seine Erhaltung zu sinnen, hatte sich mir wiederholt mit den abenteuerlichsten Vorschlägen zur Ausbeutung meines ruhmvollen Fiasco genähert. Ganz unfähig, meinerseits auf irgend einen derselben einzugehen, musste ich mich jetzt freuen, diesen geistvollen Menschen unter die Adlerflügel des Liszt'schen »Ascendants« geflüchtet anzutreffen. Liszt führte ihn überall hin, wo unter gewissen Umständen Fortune zu verschaffen war; ob ihm diess zu etwas verhalf, konnte ich nicht erfahren, sondern nur dass er bald nach dieser Zeit, und zwar, wie ich glaube, nicht im Uebermaasse des Glückes starb. – Ausser an diesem festlichen Morgen traf ich noch einmal mit Liszt zu einem Dîner im österreichischen Gesandschaftshôtel zusammen, welche Gelegenheit mein Freund auf das Artigste benutzte, um durch Andeutung einiger Stellen aus »Lohengrin« auf dem Klavier vor der Fürstin Metternich mir seine Sympathie zu bezeugen. Ohne dass man meine Begleitung hierbei für nöthig gehalten hätte, war er auch zu einem Dîner in den Tuilerien gezogen worden; von dort her berichtete er mir eine recht schickliche Unterhaltung des Kaisens Napoléon mit ihm über die Angelegenheit meines »Tannhäuser« in Paris, deren Ausgang festgestellt zu haben schien, dass ich mit meinem Werke eben in der »grossen Oper« am unrechten Platze gewesen sei. Ob Liszt auch mit Lamartine hierüber verkehrt hatte, blieb mir unbekannt; nur weiss ich, dass er durch diesen älteren Freund mehrere Mal abgehalten worden war, meinem Wunsche einer Zusammenkunft mit ihm zu entsprechen. Tausig, welcher Anfangs sich meistens zu mir geflüchtet hatte, gerieth schliesslich in seine natürliche alte Abhängigkeit von seinem Meister, so dass auch er mir endlich gänzlich verschwand, als er mit Liszt zu einem Besuch der Mme Street nach Brüssel abreiste. –

Ich wünschte nun auf das Sehnlichste von Paris fortkommen zu können. Von meiner Wohnung in der rue d'Aumale war ich, vermöge eines Geschenkes von 100 Franken an den Portier, durch geglückte Weitervermiethung losgekommen: somit hatte ich nur abzuwarten, welche Mittheilungen mir endlich von Seiten meiner Protektoren zukommen würden. Da ich hier nicht drängen konnte, verzögerte sich meine Lage in der peinlichsten Weise, wobei es jedoch an neckenden Einmischungen freundlich sich ausnehmender Zwischenfälle nicht fehlte. So hatte ich die wunderliche Zuneigung eines Fräulein Eberty, der ältlichen Nichte Meyerbeer's gewonnen; sie hatte mit fast wüthender Theilnahme für mein Geschick die widerwärtigen Erfahrungen der Tannhäuser-Aufführungen durchgemacht, und schien es sich nun herzlich angelegen sein zu lassen, zur Aufheiterung meiner unangenehmen Lebenslage beizutragen: so veranstaltete sie bei einem vorzüglichen Restaurant des Bois de Boulogne im schönsten Frühlingswetter für uns und Kietz, welchen wir noch nicht losgeworden waren, ein ganz artiges Dîner. – Auch die Familie Flaxland, mit welcher ich zuvor wegen der Herausgabe des »Tannhäuser« in einiges Zerwürfniss gerathen war, bemühte sich jetzt nach allen Seiten hin, mir Annehmlichkeiten zu erweisen, von denen ich allerdings gewünscht hätte, das sie ohne Veranlassung gewesen wären.

Unter allen Umständen blieb es doch fest, dass wir mit Nächstem Paris zu verlassen hätten. Für Minna war eine Fortsetzung ihrer vorjährigen Kur im Bade Soden in Aussicht genommen, worauf sie zu ihren älteren Bekannten nach Dresden sich begeben sollte, während ich meine Zeit abwarten würde, um zum Beginn des Studiums von meinem »Tristan« nach Wien zu gehen. Allen unsren Hausrath beschlossen wir wohlverpackt bei einem Spediteur in Paris zurück zu stellen. Während wir so mit dem Gedanken der so peinlich sich verzögernden Abreise uns beschäftigten, erwogen wir auch die Beschwerlichkeit des Transportes unsres Hündchen Fips, auf der Eisenbahn. Eines Tages, am 22. Juni kam meine Frau von einem Ausgange mit dem, bei dieser Gelegenheit auf eine unerklärt gebliebene Weise tödlich beschädigten Thiere zurück; nach dem Berichte Minna's mussten wir glauben, der Hund habe auf der Strasse ein dort ausgestreutes heftiges Gift verschlungen; sein Zustand war jammervoll: ohne irgend eine äussere Beschädigung zu zeigen, athmete er nur so heftig, dass wir an eine bedeutende Verletzung der Lunge glauben mussten; im ersten wüthenden Schmerze nach dem Vorfalle hatte er Minna gewaltig in den Mund gebissen, so dass ich jetzt schnell einen Arzt herbeiholte, welcher uns jedoch jede Befürchtung, dass es sich hier etwa um die Verletzung durch einen tollen Hund handle, sofort benahm. Nur dem armen Thiere war in gar keiner Weise Hülfe zu leisten, da er nur still zusammengekauert da lag, und immer kürzer und heftiger athmete. Gegen eilf Uhr des Nachts schien er unter Minna's Bett eingeschlafen zu sein; als ich ihn hervorholte, war er jedoch todt. Der Eindruck dieses Trauerfalles blieb zwischen mir und Minna unausgesprochen. Die Hausthiere hatten in unsrem kinderlosen Zusammenleben eine sehr wichtige Bedeutung gewonnen; der jähe Tod dieses so muntren und liebenswürdigen Thieres trat wie ein letzter Riss in ein längst unmöglich gewordenes Zusammenleben ein. Für jetzt hatte ich keine eifrigere Sorge, als die Leiche dem gewöhnlichen Loose gestorbener Hunde in Paris, nämlich auf die Strasse geworfen und des Morgens vom Unrathabräumer mit aufgelesen zu werden, zu entziehen. Herr Stürmer hatte in unsrer Nähe, in der rue de la Tour des dames, einen kleinen Garten hinter seinem Hause, wo ich anderen Tages Fips beerdigen wollte; es kostete einen seltenen Aufwand von Ueberredung, die Haushälterin des eben verreisten Besitzers zu der Erlaubniss zu bewegen, dass ich mit dem Concierge meines Hauses unter dem Gebüsch des Gärtchens eine möglichst tiefe Grube zur Aufnahme des armen Hündchen's graben lassen dürfte. Der traurige Akt ging vor sich, ich bedeckte die Grube auf das Sorgfältigste und suchte die Stelle so unkenntlich wie möglich zu machen; denn mir ahnte es, dass Herr Stürmer einen Widerwillen gegen die Beherbergung der Hundesleiche empfinden und sie wieder entfernen lassen möchte, welchem wirklich eintretenden Missgeschick ich hierdurch gewehrt hatte.

Endlich kündigte mir Graf Hatzfeld in der freundschaftlichsten Weise an, dass mir unbekannt bleiben wollende, an meiner unverdienten Lage theilnehmende Freunde meiner Kunst sich vereinigt hätten, mir die nötigen Mittel zur Hebung der mich belastenden Schwierigkeiten anzubieten. Ich erachtete es schicklich, für diesen guten Erfolg einzig meiner Gönnerin, der Fürstin Metternich mich dankbar zu erklären, und gieng nun an die Anordnung zur schliesslichen Aufhebung meiner Pariser Niederlassung. Es lag mir daran, dass, sobald alle hierauf bezüglichen Bemühungen überstanden waren, Minna unverzüglich zur Antretung ihrer Kur nach Deutschland abreiste, wogegen ich dort für das Erste kein näheres Ziel vor mir sah, als einen Besuch bei Liszt in Weimar, wo im August ein deutscher Musikertag mit Abschieds-Aufführungen Liszt'scher Compositionen vor sich gehen sollte. Ausserdem wünschte Flaxland, welcher den Muth gefasst hatte, auch meine übrigen Opern noch französisch heraus zu geben, mich noch für so lange in Paris fest zu halten, bis ich die Uebersetzung des Textes vom »fliegenden Holländer« mit Truinet zu Stande gebracht hätte. Hierzu bedurfte ich noch einiger Wochen, welche ich unmöglich mehr in unsrer gänzlich ausgeräumten Wohnung verbringen konnte: Graf Pourtalès, hiervon unterrichtet, lud mich nun ein, für diese Zeit im preussischen Gesandtschaftshôtel meinen Aufenthalt zu nehmen, was ich als ein seltenes, ja nie in gleicher Weise mir wiederfahrenes Entgegenkommen, mit ahnungsvollem Danke annahm. Am 12. Juli entliess ich Minna nach Soden, und kehrte am gleichen Tage im Gesandtschaftshôtel ein, wo man mir ein freundliches Stübchen, mit der Aussicht auf den Garten und weitem Blick über die Tuilerien, anwies. In einem Bassin daselbst badeten zwei schwarze Schwäne, zu denen ich mich mit träumerischer Neigung hingezogen fühlte. Als der junge Hatzfeld mich hier aufsuchte, um sich im Namen meiner Gönner nach meinen Bedürfnissen zu erkundigen, überwältigte mich zum ersten Male seit langen Zeiten eine grosse Ergriffenheit, ein tiefes Gefühl des Wohlbefinden's im Zustande völliger Besitzlosigkeit und Losgelöstheit von Allem, was man gewöhnlich unter dauernden Lebensverhältnissen versteht.

Ich erbat mir, meinen »Erard«, welchen ich nicht mit dem übrigen Mobiliar hatte einpacken lassen, für die Zeit meines Aufenthaltes herbeischaffen lassen zu dürfen, und es wurde mir hierfür ein schönes Zimmer in der Belétage eingeräumt. Hier arbeitete ich des Morgens an der Uebersetzung des »fliegenden Holländers«, und verfasste zwei musikalische Albumblätter, von denen das für die Fürstin Metternich bestimmte, ein seit langer Zeit mir vorschwebendes artiges Motiv enthaltend, späterhin zur Veröffentlichung gelangte, während ein gleiches für Frau von Pourtalès mir abhanden gekommen ist. – Nicht nur beruhigend, sondern wahrhaft befriedigend wirkte der Umgang mit der Familie meines Gastfreundes auf mich; wir speisten täglich gemeinschaftlich, und sehr häufig erweiterte sich das häusliche Mittagsmahl zu dem bekannten »diplomatischen Dîner«. Ich lernte hier den ehemaligen preussischen Minister Bethmann-Hollweg, den Vater der Gräfin Pourtalès kennen, und gerieth mit ihm in nähere Besprechung meiner Tendenzen bezüglich des Verhältnisses der Kunst zum Staate. Als es mir gelungen war, den Minister hierüber in das Klare zu bringen, erfolgte sofort auch die desperate Erklärung, dass mit dem Staatsoberhaupte eine ähnliche Verständigung stets unmöglich bleiben werde, weil für diesen die Kunst nur in das Gebiet der Belustigung gehöre. – Neben Graf Hatzfeld nahmen an den häuslichen Zusammenkünften auch die beiden andren Attachés, ein Prinz Reuss und Graf Dönhoff öfter Theil. Der Erstere schien der Politicus der Gesandtschaft zu sein, und wurde mir wegen seiner grossen und geschickten Mitwirkung in der Betreibung meiner Angelegenheit am kaiserlichen Hofe gerühmt, wogegen der Letztere mich einfach durch seinen physiognomischen Charakter und seine einnehmende biedere Freundlichkeit vortheilhaft ansprach. Auch mit Fürst und Fürstin Metternich traf ich hier wieder in geselligem Verkehr zusammen. Es konnte mir nicht entgehen, dass in unser gegenseitiges Vernehmen eine gewisse Befangenheit sich eingestellt hatte; durch ihre energische Theilnahme für das Schicksal des »Tannhäuser« war Fürstin Pauline eine Zeit lang nicht nur den rohesten Berührungen von Seiten der Presse, sondern auch einem sehr unritterlichen, boshaften Benehmen von Seiten der sogenannten höheren Gesellschaft ausgesetzt gewesen: ihr Gemahl schien diess alles gut ertragen, ohne Zweifel jedoch sehr widerwärtige Augenblicke verlebt zu haben. Es war mir nun schwer darüber klar zu werden, in welchem Sinne die Fürstin für alles Ausgestandene durch eine wahrhafte Sympathie mit meiner Kunst Entschädigung gefunden hatte; aller Welt galt sie nur als ein höchst launenhaftes, im unausgesetzten Effektmachen geübtes Weib. Mir selbst war es nie möglich gewesen, in meinem vorangehenden Umgange mit ihr irgend einen Weg wahrhafter Annäherung aufzufinden: Alles, was ich im Betreff ihres Wesens zu bestätigen hatte, war nur ein keckes Selbstbewusstsein, eine hierauf sich gründende rücksichtslose Energie, und eine sehr geübte Klugheit in der Beurtheilung der realen Verhältnisse. Was sie mit der Versicherung, welche sie mir mit fast kindischer Verschämtheit eines Tages gab, dass sie nämlich »Fugen« sehr gern höre, mir sagen wollte, ist mir undeutlich geblieben. Was den, seinem Naturell nach ziemlich dürftigen und kalten Fürsten, zu mir hinzuziehen schien, gieng mir aus seiner Neigung, selbst das Komponiren zu erlernen, hervor; doch war er so klug, von dieser Seite mich nicht zu belästigen, wogegen ich Gelegenheit fand, den richtigen Takt in der Beurtheilung der politischen Dinge zu würdigen, welcher, wie es mir schien, diesem Manne weniger durch Ausbildung natürlicher Anlagen, als durch den Instinkt seiner Geburt und seiner Stellung zu eigen war. – Nachdem ich öfter mit meinen liebenswürdigen Gastfreunden die Abende in vertraulichem Verkehre zugebracht, und sogar zu dem Versuche, hierbei über Schopenhauer zu belehren, Veranlassung erhalten hatte, führte eine grössere Abend-Gesellschaft zu völlig berauschenden Anregungen. Hier wurde in einem Kreise mir durchaus gewogener Freunde lebhaft aus meinen verschiedenen Werken musizirt; Saint-Saëns hatte das Klavier übernommen, und ich erlebte das Seltsame, dass eine neapolitanische Fürstin Campo-Reale die Schluss-Scene der »Isolde« mit schöner Aussprache des Deutschen und überraschender Sicherheit der Intonation, zu des tüchtigen Musiker's Begleitung, uns zum Vortrag brachte.

Während ich so im Verlaufe dreier Wochen mich hier angenehm ausruhte, besorgte Graf Pourtalès für meine bevorstehende Reise nach Deutschland mir einen vornehmen preussischen Ministerialpass, nachdem seine Bemühungen, mir einen sächsischen Pass zu verschaffen, an der Aengstlichkeit des Herrn von Seebach gescheitert waren. Bevor ich diessmal, wie ich glaubte auf immer, von Paris Abschied nahm, drängte es mich noch, den wenigen französischen Freunden, welche an meinen überstandenen Nöthen treulich Theil genommen hatten, ein vertrauliches Lebewohl zu sagen. Mit Gaspérini, Champfleury und Truinet kam ich in einem Café der rue Lafitte zusammen; wir unterhielten uns hier bis in die späteste Nacht, und als ich meinen Nachhauseweg nach dem Faubourg St.-Germain antreten wollte, erklärte Champfleury, welcher hoch am Montmartre wohnte, mich nach Hause geleiten zu müssen, weil wir doch nicht wüssten ob wir uns je wiedersehen würden. Ich erfreute mich hierbei des wunderbaren Eindruckes, welchen in hellster Mondnacht die jetzt gänzlich menschenleeren Strassen von Paris auf mich machten; nur die bis in die höchsten Stockwerke der Häuser hinausreichenden Firmen des ungeheuren geschäftlichen Verkehres, wie er namentlich die rue Richelieu im Beschlag hat, schienen in pittoresker Weise den Lärmen des Tages in die Nacht hinüberzutragen. Champfleury rauchte sein Pfeifchen und unterhielt mich über die Chancen der französischen Politik: sein Vater sei ein alter Bonapartist vom reinsten Wasser; da er jedoch täglich die Zeitungen lese, sei er kürzlich zu der Aeusserung veranlasst worden: pourtant, avant de mourir je voudrais voir autre chose. An der Thüre des Gesandtschaftshôtels nahmen wir einen sehr freundlich gerührten Abschied.

Doch auch mit einem jungen Pariser Freunde, den ich bisher noch nicht erwähnt, kam es zu einem ähnlichen freundschaftlichen Lebewohl. Gustave Doré war mir schon im ersten Anfange meines Pariser Auftretens durch Ollivier zugesandt worden; er hatte beabsichtigt, eine phantastische Zeichnung von mir im Akte des Orchesterdirigirens zu entwerfen. Zur Ausführung hiervon kam es allerdings, aus mir unbekannten Gründen, nicht, vielleicht, weil ich nicht mit besonderer Neigung darauf einging. Doch blieb mir Doré fortgesetzt zugethan, und jetzt gehörte er zu Denjenigen, welche, mit höchster Entrüstung über die mir angethane Schmach, es sich angelegen sein liessen, mir ihre Freundschaft zu beweisen. Unter die vielen Illustrationen, welche der ungemein produktive Mensch ausführte, beabsichtigte er auch die »Nibelungen« aufzunehmen; ich wünschte ihn nun hierfür mit meiner Auffassung dieses Mythen-Cyclus bekannt zu machen; diess fiel allerdings sehr schwer; da er mir jedoch versicherte, er habe einen Freund, der in deutscher Sprache und Litteratur sehr bewandert sei, so erlaubte ich mir, ihm den vor kurzem erschienenen Klavier-Auszug des »Rheingoldes«, aus dessen Texte ihm der Grundzug meiner Gestaltung des Stoffes am besten verdeutlicht werden könnte, zum Geschenk zu machen, womit ich ihm zugleich das von ihm zuvor mir überreichte Geschenk eines Exemplares seiner soeben erschienenen Illustration des »Dante« erwiderte.

Voll guter und freundlicher Eindrücke, welche mir als die eigentliche Ausbeute meines so mühevollen Pariser Unternehmen's von wahrem Werthe gelten durften, verliess ich in der ersten Woche des August das wohlthätige Asyl meiner preussischen Freunde, um über Köln zunächst nach dem Bade Soden mich zu begeben. Hier fand ich Minna in der Gesellschaft der bewussten Mathilde Schiffner an, welche ihr als leicht zu tyrannisirende Freundin unentbehrlich geworden zu sein schien. Ich verweilte hier höchst beschwerliche zwei Tage, welche ich dazu verwendete, der armen Frau begreiflich zu machen, dass sie sich in Dresden wo ich für jetzt noch nicht mich aufhalten durfte, niederzulassen habe, während ich in Deutschland, zunächst in Wien, nach einer neuen Basis meiner Unternehmungen mich umsehen würde. Sie vernahm, mit einer eigenthümlichen Genugthuung auf ihre Freundin blickend, meinen Vorsatz und mein Versprechen, unter allen Umständen darauf bedacht sein zu wollen, sie mit 1000 Thalern jährlich zu versorgen. Diese Abmachung blieb fortan auch die Norm meines Verhaltens zu ihr für den Rest ihres Lebens. Sie begleitete mich noch nach Frankfurt, wo ich, um mich zunächst nach Weimar zu wenden, von ihr Abschied nahm. Hier war vor kurzem Schopenhauer gestorben. –


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