Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.
Der Scheiterhaufen

Der entzückte Setok machte aus seinem Sklaven seinen vertrauten Freund. Er konnte ihn ebensowenig entbehren, wie es der König von Babylon gekonnt hatte; und Zadig war glücklich, daß Setok keine Frau hatte. Er entdeckte an seinem Herrn eine zum Guten geneigte Natur, viel Geradheit und gesunden Verstand. Es tat ihm leid, daß er, nach dem alten arabischen Brauch, noch das himmlische Heer anbetete, das heißt Sonne, Mond und Sterne. Er sprach manchmal mit großer Vorsicht darüber. Schließlich sagte er ihm, daß es Körper seien wie andere, die seine Anbetung nicht mehr verdienten als ein Baum oder ein Felsen. »Aber«, sagte Setok, »es sind doch ewige Wesen, von denen alles Gute kommt; sie beleben die Natur; sie regeln die Jahreszeiten. Im übrigen sind sie so weit von uns entfernt, daß man gar nicht anders kann als sie verehren.« – »Du empfängst«, antwortete Zadig, »mehr Gutes vom Wasser des Roten Meeres, das deine Waren nach Indien trägt; warum sollte das Meer nicht ebenso alt sein wie die Sterne? Wenn du nur anbetest, weil etwas weit entfernt von dir ist, so kannst du auch das Land der Gangariden anbeten, das am Ende der Welt liegt.« – »Nein,« sagte Setok, »die Sterne sind zu glänzend, als daß ich sie nicht anbeten müßte.« Als der Abend kam, entzündete Zadig eine große Zahl Fackeln in dem Zelt, in dem er mit Setok zu Nacht speisen sollte. Als sein Herr erschien, warf er sich vor diesen Wachslichtern auf die Knie und sagte zu ihnen: »Ewige und glänzende Klarheiten! seid mir stets wohlgesinnt!« Nach diesen Worten setzte er sich zu Tisch, ohne Setok anzusehen. »Was tust du denn?« fragte Setok erstaunt. – »Ich tue, was du tust,« antwortete Zadig; »ich bete diese Lichter an und vernachlässige ihren und meinen Herrn.« Setok verstand den tiefen Sinn dieses Vergleiches. Die Weisheit seines Sklaven trat in seine Seele. Er verschwendete keinen Weihrauch mehr an die Dinge der Schöpfung und bewunderte lieber das ewige Wesen, das sie geschaffen hat.

Es gab damals in Arabien einen furchtbaren Brauch. Er war ursprünglich von Skythien gekommen, wurde dann durch den Einfluß der Brahmanen in Indien eingeführt und drohte im ganzen Orient um sich zu greifen. Wenn ein verheirateter Mann gestorben war und seine Frau heilig werden wollte, ließ sie sich öffentlich auf dem Leichnam ihres Gatten verbrennen. Es gab ein feierliches Fest, das der »Scheiterhaufen der Witwenschaft« genannt wurde. Der Stamm, in dem sich die meisten Frauen hatten verbrennen lassen, war der angesehenste. Ein Araber von Setoks Stamm war gestorben. Die Witwe, namens Almona, die sehr fromm war, kündigte Tag und Stunde an, wo sie sich beim Klang von Trommeln und Trompeten ins Feuer werfen würde. Zadig erklärte Setok, wie sehr dieser entsetzliche Brauch dem Wohle des menschlichen Geschlechtes widerspräche: daß man täglich junge Witwen verbrennen lasse, die dem Staat noch Kinder schenken könnten oder doch ihre eigenen erziehen. Er überzeugte ihn, daß man, wenn irgend möglich, diesen barbarischen Brauch abschaffen müsse. Setok antwortete: »Es sind mehr als tausend Jahre, daß die Frauen das Recht haben, sich verbrennen zu lassen. Wer wird wagen, ein Gesetz zu ändern, das die Zeit geheiligt hat? Gibt es etwas Ehrwürdigeres als einen alten Mißbrauch?« – »Die Vernunft ist älter«, antwortete Zadig. »Sprich mit den Häuptlingen der Stämme; ich werde die junge Witwe aufsuchen.«

Er ließ sich bei ihr einführen. Nachdem er durch das Bewundern ihrer Schönheit ihr geschmeichelt und ihr gesagt hatte, wie schade es sei, so viele Reize dem Feuer zu opfern, pries er sie noch wegen ihrer Festigkeit und ihres Mutes. »Du liebtest also deinen Gatten aufs innigste?« sagte er. – »Ich? Keineswegs,« antwortete die arabische Dame; »er war ein brutaler, eifersüchtiger und unerträglicher Mensch; trotzdem bin ich fest entschlossen, mich für ihn auf den Scheiterhaufen zu werfen.« – »Es ist«, sagte Zadig, »offenbar ein köstliches Vergnügen, lebendig verbrannt zu werden.« – »Ach,« sagte die Dame, »die Natur schaudert davor, aber man muß darüber wegkommen. Ich bin fromm; ich würde meinen Ruf verlieren, und jedermann würde über mich spotten, wenn ich mich nicht verbrennen ließe.« Nachdem Zadig sie überzeugt hatte, daß sie sich für die andern und aus Eitelkeit verbrennen ließe, sprach er lange mit ihr in einer Art, die sie das Leben ein wenig lieben lehrte; es gelang ihm sogar, ihr etwas Wohlwollen für den, der mit ihr sprach, einzuflößen. »Was würdest du tun,« sagte er, »wenn dich nicht die Eitelkeit zur Verbrennung triebe?« – »Ach!« sagte die Dame, »ich glaube, ich würde dich bitten, mich zu heiraten.«

Zadig war zu sehr erfüllt von dem Gedanken an Astarte, um dieser Liebeserklärung nicht auszuweichen. Doch ging er sofort zu den Häuptlingen der Stämme und erzählte, was geschehen war. Er riet ihnen, ein Gesetz zu erlassen, das einer Witwe erst gestatten solle, sich verbrennen zu lassen, nachdem sie sich eine Stunde lang allein mit einem jungen Manne unterhalten hätte. Seit dieser Zeit läßt sich keine Dame in Arabien mehr verbrennen. Zadigs Verdienst ist es, an einem einzigen Tag einen grausamen Brauch zerstört zu haben, der seit so vielen Jahrhunderten bestand. So wurde er der Wohltäter Arabiens.


 << zurück weiter >>