Jules Verne
Der Südstern
Jules Verne

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Zehntes Capitel.

Worin John Watkins nachdenkt.

Mit gebrochenem Herzen hatte Cyprien die Farm verlassen und begab sich, fest entschlossen, zu thun, was er für Ehrenpflicht hielt, von Neuem zu Jacobus Vandergaart, den er jetzt allein traf; der Händler Nathan hatte alle Eile gehabt, ihn zu verlassen, um als der Erste im Lager die Neuigkeit zu verbreiten, welche die Lebensinteressen aller Insassen desselben so tief berührte.

Seine Mittheilung erregte hier natürlich ein ungewöhnliches Aufsehen, obwohl die Leute noch nicht einmal wußten, daß der Diamant des »Monsieur«, wie man Cyprien zu nennen pflegte, ein Kunstproduct war. Der »Monsieur« kümmerte sich freilich blutwenig um das Geschwätz in der Kopje. Ihm lag es nur am Herzen, mit Hilfe des alten Vandergaart die Qualität und Farbe seines Steines festzustellen, ehe er einen Bericht über die ganze Angelegenheit aufsetzte, und aus diesem Grunde begab er sich eben zu dem alten Manne.

»Mein lieber Jacobus,« begann er, neben diesem Platze nehmend, »erweisen Sie mir doch den Gefallen, an diesen Kloß eine Facette zu schleifen, damit wir einigermaßen erkennen können, was sich unter seiner Gangart verbirgt.«

»Das soll bald geschehen sein,« erklärte der alte Steinschleifer, den Stein aus der Hand seines jungen Freundes entgegennehmend. »Sie haben da übrigens eine recht passende Stelle bezeichnet,« fügte er hinzu, als ihm eine Ausbuchtung an einer Seite des Steines auffiel, nach welcher Cyprien gewiesen hatte. Letzterer bildete nämlich bis auf diese Unregelmäßigkeit ein ganz vollständiges Oval. »Wenn wir ihn hier anschleifen, kann seine zukünftige Gestalt nicht beeinträchtigt werden.«

Jacobus Vandergaart ging ohne Zögern an's Werk; und nachdem er aus seiner Kommode einen rohen Stein von vier bis fünf Karat entnommen und diesen an einer Art eisernem Griffe sorgfältig befestigt hatte, begann er die beiden äußeren Schichten kräftig gegeneinander zu reiben.

»Es wäre schneller geschehen, wenn ich eine Spaltung vornähme,« sagte er. »Wer möchte aber wagen, auf einen Stein von solchem Werthe einen Hammerschlag zu führen!«

Die lange und sehr einförmige Arbeit nahm nicht weniger als zwei Stunden in Anspruch. Als die Facette breit genug erschien, um die Natur des Steines beurtheilen zu lassen, mußte sie noch auf der Mühle polirt werden, was wiederum zwei Stunden Zeit erforderte.

Bei Beendigung dieser Vorarbeiten war es indeß noch immer voller Tag. Jetzt konnten nun Cyprien und Jacobus Vandergaart ihre gespannte Neugier befriedigen und sahen sich das Ergebniß der vorherigen Operationen an.

Eine schöne Facette von Gagathfarbe, aber vollkommenster Durchsichtigkeit und unvergleichlichem Glanze bot sich ihren Blicken.

Der Diamant war schwarz! Eine merkwürdige Eigenthümlichkeit, welche nur selten gefunden wird, und seinen Werth womöglich noch weiter erhöht.

Jacobus Vandergaart's Hände zitterten, als er den Krystall in den Strahlen der Abendsonne funkeln ließ.

»Das ist der merkwürdigste und schönste Edelstein, der jemals das Licht des Tages wiedergestrahlt hat!« rief er mit wirklich religiöser Ehrfurcht. »Wie wird er erst aussehen, wenn seine Facetten alle kunstgerecht geschliffen sind!«

»Würden Sie zustimmen, diese Arbeit zu übernehmen?« fragte Cyprien eifrig.

»Ja, gewiß, liebes Kind! Das wäre der höchste Ruhm, die Krone meiner langen Lebensbahn! . . . Vielleicht aber möchten Sie lieber eine jüngere und sicherere Hand dazu wählen, als die meinige?«

»Nein,« antwortete Cyprien mit Wärme. »Ich hege die Ueberzeugung, daß Niemand dieser Aufgabe mehr Sorgfalt und Geschick widmen wird, als Sie. Bewahren Sie diesen Diamanten, lieber Jacobus, und schneiden ihn, wie Sie es für gut finden. Sie werden ein Meisterstück liefern. Die Sache ist hiermit abgemacht!«

Der Greis drehte und wendete den Stein zwischen den Fingern und schien unschlüssig zu sein, was er thun solle.

»Es beunruhigt mich nur eins,« sagte er endlich. »Wissen Sie, daß ich mich nicht recht mit dem Gedanken befreunden kann, ein Juwel von solchem Werthe in meiner Behausung zu haben? Das sind mindestens fünfzig Millionen, vielleicht noch mehr, was ich hier in der hohlen Hand halte. Es scheint mir nicht rathsam, eine solche Verantwortlichkeit auf mich zu nehmen.«

»Wenn Sie nichts davon sagen, wird es ja kein Mensch wissen, Herr Vandergaart, und was mich angeht, so verpflichte ich mich zur Wahrung des strengsten Stillschweigens.«

»Hm! Vermuthungen werden deshalb nicht ausbleiben! Es kann Ihnen Jemand gefolgt sein, als Sie zu mir gingen! . . . Man wird die Veranlassung annehmen, wenn sie auch Keiner sicher kennt! Den Leuten hier ist nicht über den Weg zu trauen! Nein, ich könnte keine Nacht ruhig schlafen!«

»Vielleicht haben Sie recht,« erwiederte Cyprien, der die Einwendung des alten Mannes sehr wohl begriff. »Doch was ist da zu thun?«

»Das überleg' ich eben!« antwortete Jacobus Vandergaart, der einige Augenblicke still schwieg.

Dann nahm er wieder das Wort:

»Hören Sie mich an, liebes Kind,« sagte er. »Was ich Ihnen vorzuschlagen gedenke, ist sehr delicater Natur und ich setze dabei voraus, daß Sie unbegrenztes Vertrauen zu mir haben. Sie kennen mich jedoch zu gut, um es auffällig zu finden, daß ich in diesem Falle alle nur denkbare Vorsicht walten lassen möchte. Ich muß sofort mit meinen Werkzeugen und dem Stein von hier fort, um mich in einen Winkel zu verkriechen, wo mich Niemand kennt – vielleicht in Bloemfontein oder in Hope-Town. Da werd' ich mir ein bescheidenes Zimmer wählen, mich einschließen, um ganz im Geheimen und ungestört zu arbeiten und erst nach Vollendung dieser Aufgabe zurückkehren. Vielleicht gelingt es mir auf diese Weise, gewisse Leute, die gelegentlich zu Allem fähig sind, fern zu halten . . . Doch ich wiederhole Ihnen, ich schäme mich fast, Ihnen einen solchen Vorschlag zu unterbreiten.«

»Einen Vorschlag, den ich völlig gerechtfertigt finde,« erwiderte Cyprien, »und ich bitte Sie nur inständigst, denselben ohne Zögern auszuführen.«

»Rechnen Sie darauf, daß die Sache ziemlich lange dauern kann, daß ich wenigstens einen Monat dazu brauche, und vergessen Sie nicht, daß mir auch unterwegs ein Unfall zustoßen könnte.«

»Das schadet Alles nichts, Herr Vandergaart, wenn Sie glauben, daß das der beste Weg ist, zum gewünschten Ziele zu gelangen. Und wenn der Diamant ja verloren ginge, ist ja das Unglück nicht gar so groß!«

Jacobus Vandergaart betrachtete seinen jungen Freund mit seltsamem Erstaunen.

»Sollte ihn ein solcher Glücksfall um den Verstand gebracht haben?« fragte er sich.

Cyprien verstand seine Gedanken und begann zu lächeln. Nun erst erklärte er ihm, woher der Diamant stamme und daß er deren in Zukunft so viel herstellen könne, als ihm beliebte. Ob der alte Steinschneider dieser Mittheilung nur halben Glauben schenkte oder ob ihn persönliche Gründe bestimmten, jetzt nicht in der allein liegenden Hütte bleiben zu wollen, wo ihm ein Edelstein von fünfzig Millionen an Werth als gefährlicher Hausgenosse erschien – kurz, er bestand darauf, noch zur Stunde abzureisen.

Nachdem er also in einem alten Ledersack seine Werkzeuge und die nöthigsten Habseligkeiten untergebracht, befestigte er an der Hausthür einen Zettel mit der Aufschrift: »In Geschäftsangelegenheiten abwesend,« steckte den Schlüssel in die Tasche, verbarg den Diamanten unter seiner Weste und brach unverzüglich auf.

Cyprien begleitete ihn zwei bis drei Meilen weit auf der Landstraße nach Bloemfontein und verließ ihn nur erst auf seine ernstliche Bitte.

Es war schon dunkle Nacht, als der junge Ingenieur nach seiner Wohnung zurückkehrte, während er dabei sicherlich mehr an Miß Watkins, als an seine berühmte Entdeckung dachte.

Ohne sich bei dem von Matakit bereiteten und schon zurecht gestellten Abendessen aufzuhalten, verfügte er sich an seinen Arbeitstisch und begann den Bericht aufzusetzen, den er mit dem nächsten Courier an den ständigen Secretär der Akademie der Wissenschaften abzusenden dachte. Dieser enthielt eine ganz genaue und vollständige Beschreibung seines Experimentes, welche er mit einer höchst geistreichen Theorie über die Reaction, durch die jener prächtige Kohlenstoffkrystall entstanden sein mochte, begleitete.

»Die bemerkenswertheste Eigentümlichkeit dieses Erzeugnisses,« schrieb er unter Anderem, »liegt offenbar in seiner unzweifelhaften Identität desselben mit dem natürlichen Diamanten und vor Allem in dem gleichzeitigen Vorhandensein der äußerlichen Gesteinsgangart.«

Cyprien hegte die feste Ueberzeugung, daß dieser merkwürdige Erfolg nur der sorgfältigen Auskleidung des Rohres mit der Erde zu verdanken sei, die er der Vandergaart-Kopje entnommen hatte. Der Vorgang, durch welchen ein Theil dieser Erde sich von der Wand losgelöst, um rings um den Krystall eine wirkliche Schale zu bilden, war freilich nicht leicht zu erklären und blieb ein Punkt, über den spätere Experimente jedenfalls weitere Aufklärung bringen würden. So lag zum Beispiel der Gedanke nahe, daß hier eine ganz neue Bethätigung einer chemischen Verwandtschaft anzunehmen sei, und der Autor nahm sich vor, diesen Gegenstand später gründlich zu studiren. Er maßte sich übrigens keineswegs an, in dieser Zuschrift schon eine vollständige und abgeschlossene Theorie geben zu wollen. Die Veranlassung zu derselben bildete vielmehr der Wunsch, dieselbe ohne Verzug der ganzen gelehrten Welt vorzulegen, die Priorität Frankreichs zu sichern und Andere zu Studien anzuregen, welche geeignet wären, das, was ihm bisher selbst noch dunkel geblieben war, aufzuhellen und zu erklären.

Nachdem er diese Abhandlung aufgesetzt und seine wissenschaftliche Befähigung nachgewiesen hatte, während er noch immer darauf hoffte, dieselbe durch weitere Erfahrung zu vervollständigen, ehe er sie an die richtige Adresse absandte, aß der junge Ingenieur ein wenig zu Abend und legte sich dann ruhig nieder.

Am folgenden Morgen verließ Cyprien seine Wohnung und lustwandelte nachsinnend durch die verschiedenen Theile der Mine. Gewisse und wahrlich nicht besonders freundliche Blicke trafen ihn, wo er auch vorüberkam. Wenn er diese kaum beachtete, kam das daher, daß er alle möglichen Folgen seiner wichtigen Entdeckung fast ganz vergessen hatte, obgleich sie John Watkins ihm so handgreiflich vor Augen führte, nämlich den mehr oder weniger nahe bevorstehenden Ruin aller concessionirten Inhaber und aller Concessionen des Griqualandes. Immer war das ganz dazu angethan, ihm in einem halbwilden Lande einige Besorgniß einzuflößen, hier, wo man gar nicht zögerte, sich mit eigener Hand Recht zu verschaffen, und die Sicherheit der Arbeit und demgemäß den daraus hervorgehenden Handel füglich als allererstes Gesetz betrachtete. Sobald die Herstellung künstlicher Diamanten sich zur praktischen Industrie fortentwickelte, waren alle jene Bergwerke Brasiliens, wie die in denen des südlichen Afrika festgelegten Millionen, ohne von der Unzahl Existenzen zu reden, welche davon lebten, unwiderbringlich verloren. Der junge Ingenieur konnte zwar sein Geheimniß für sich behalten; in dieser Beziehung aber lautete seine abgegebene Erklärung zu bestimmt und zu bindend; er war entschlossen, das nicht zu thun.

Auf der anderen Seite konnte der Vater Alices während der Nacht – eine Nacht quälender Unruhe – in der John Watkins von nichts Anderem als von noch gar nicht dagewesenen Diamanten im Werthe von so und so vielen Milliarden träumte – wohl folgenden Gedankengang haben. Jedenfalls erschien es ganz natürlich, daß Annibal Pantalacci und die übrigen Steingräber mit grollender Unruhe die Umwälzung betrachteten, welche Cypriens Entdeckung bezüglich der Ausbeutung der Diamantendistricte herbeiführen mußte, da sie solche ja für eigene Rechnung bearbeiteten. Für ihn aber, als einfachen Eigentümer der Farm Watkins, gestaltete sich die Sachlage noch anders. Wenn die Claims infolge der Werthverminderung der Edelsteine verlassen wurden, wenn die ganze jetzt hierher zusammengeströmte Bevölkerung das Gebiet des Griqualandes wieder verließ, so sank natürlich auch der Werth seiner Farm in beträchtlichem Maße, seine Felderzeugnisse fanden nicht mehr so bequemen Absatz, seine Häuschen und Hütten mußten wegen Mangels an Abmiethern leer stehen bleiben, und schlimmsten Falls konnte er sogar in die Lage kommen, ein Land zu verlassen, in welchem alle Quellen seiner bisherigen Einkünfte versiegt waren.

»Schön,« sagte John Watkins, »bis dahin werden schon ein paar Jahre vergehen! Die Herstellung künstlicher Diamanten ist selbst durch den von Herrn Méré angegebenen Proceß noch nicht so weit gediehen, um von praktisch einschneidender Bedeutung zu sein. Vielleicht hat ihn bei der ganzen Geschichte nur ein besonders glücklicher Zufall begünstigt. Doch ob Zufall oder nicht, jedenfalls hat er einen Stein von ungeheurem Werthe erzeugt, und wenn dieser, den Maßstab für natürliche Diamanten zu Grunde gelegt, schon einige fünfzig Millionen werth ist, so wird er gerade wegen seiner Erzeugung auf künstlichem Wege einen weit höheren Preis bedingen. Ja, der junge Mann muß um jeden Preis zurückgehalten werden, eine Zeit lang wenigstens müssen wir ihn hindern, seine hochwichtige Entdeckung von allen Dächern hinauszuposaunen! Der Stein muß endgiltig in der Familie Watkins bleiben und wird von dieser nur gegen eine beträchtliche Anzahl Millionen abgegeben werden. Was den jungen Mann betrifft, der ihn hergestellt hat, so lasse ich mir darüber kein graues Haar wachsen, das wird sich leicht genug bewerkstelligen lassen. Ich habe ja Alice, und mit deren Hilfe wird mir's schon gelingen, seine Abreise nach Europa zu verzögern . . . Ja, und wenn ich sie ihm zur Frau versprechen . . . selbst wenn ich sie ihm zur Frau geben sollte!«

Ja, unter dem Drange einer wahrhaft verzehrenden Begierde wäre John Watkins sogar dazu entschlossen gewesen. Bei der ganzen Angelegenheit hatte er nur sein Ich im Auge und dachte er nur allein an sich! Und wenn der alte Egoist an seine Tochter dachte, so geschah es einzig und allein, um sich zu sagen:

»Nun, Alles in Allem wird Alice sich nicht zu beklagen haben. Der junge gelehrte Narr ist eigentlich ganz gut. Er liebt sie, und mir scheint, sie ist gegen seine warme Zuneigung nicht unempfindlich geblieben. Was kann's nun Besseres geben, als zwei für einander geschaffene Herzen zu vereinigen . . . oder ihnen die Vereinigung wenigstens bis zur vollständigen Klärung der Sachlage in Aussicht zu stellen. Ah, beim heiligen John, meinem Schutzpatron, zum Teufel mit Annibal Pantalacci und seinen Spießgesellen! Jeder ist sich selbst der Nächste, auch hier im Griqualande!«

So räsonnirte John Watkins, und wenn er die ideale Wage betrachtete, auf der er die Zukunft seiner Tochter mit einem Stück krystallisirter Kohle in's Gleichgewicht gebracht, war er ganz glücklich in der Vorstellung, daß beide Schalen derselben sich vortrefflich in einer horizontalen Linie hielten.

Am folgenden Morgen stand sein Entschluß fest; er wollte nichts vom Zaune brechen, sondern die Dinge an sich herankommen lassen, ohne sich viel um den Weg zu kümmern, den sie dabei nehmen möchten.

Zunächst lag es ihm am Herzen, seinen Abmiether einmal wiederzusehen – was ja bei den täglichen, auf der Farm abgestatteten Besuchen ziemlich leicht war – aber auch den berühmten Diamanten, der in seinen Träumen schon zu fabelhaften Größenverhältnissen angewachsen war, sehnte er sich noch einmal zu betrachten.

Mr. Watkins begab sich also nach dem Häuschen Cypriens, der in dieser frühen Morgenstunde noch hier anwesend war.

»Nun, mein junger Freund,« begann er im Tone guter Laune, »wie haben Sie denn die Nacht hingebracht, diese erste Nacht nach Ihrer hochwichtigen Entdeckung?«

»O, sehr gut, Herr Watkins, sehr gut,« erklärte der junge Mann frostig.

»Wie, Sie haben schlafen können?«

»Ganz wie gewöhnlich!«

»Alle die Millionen, welche aus diesem Ofen hervorgequollen sind,« fuhr Mr. Watkins fort, »haben nicht einmal Ihren Schlaf gestört?«

»In keiner Weise!« versicherte Cyprien. »Vergessen Sie überhaupt nicht, Herr Watkins, daß der fragliche Diamant einen Werth von Millionen nur besäße, wenn er das Werk der Natur wäre, nicht aber das Erzeugniß eines Chemikers . . .«

»Ja . . . ja freilich, Herr Cyprien! Doch sind Sie sicher, noch einen oder gar noch mehrere machen zu können? . . . Würden Sie dafür einstehen können?«

In der Ueberzeugung, daß ein derartiges Experiment wohl auch auf einen Mißerfolg hinauslaufen könne, zögerte Cyprien mit der Antwort.

»Da haben wir's ja,« fuhr John Watkins fort, »Sie getrauen sich das nicht! Bis auf weitere Versuche und Erfolge bleibt also Ihrem Diamanten sein ungeheurer Werth! . . . Nun, warum wollen Sie's dann, wenigstens gleich jetzt, Jedermann predigen, daß es nur ein künstlicher ist?«

»Ich wiederhole Ihnen,« erwiderte Cyprien, »daß ich ein wissenschaftliches Geheimniß von solcher Tragweite nicht für mich behalten darf!«

»Ja . . . ja . . . weiß schon!« erwiderte John Watkins, indem er dem jungen Manne durch ein Zeichen bedeutete, zu schweigen, um nicht draußen gehört zu werden. »Ganz richtig! . . . Davon sprechen wir später. Jedenfalls sorgen Sie sich nicht wegen Pantalacci's und der Uebrigen; die werden bezüglich Ihrer Entdeckung gewiß reinen Mund halten, denn das liegt in ihrem eigenen Interesse. Seien Sie überzeugt und – nun ja – glauben Sie vorzüglich von meiner Tochter und von mir, daß wir uns über Ihre Erfolge ganz besonders freuen. Ja gewiß, wir sind ganz glücklich darüber! . . . Aber könnt' ich den wunderbaren Diamanten denn nicht noch einmal sehen? . . . Gestern hatt' ich ja kaum Zeit, ihn aufmerksamer zu betrachten. Würden Sie wohl gestatten . . .«

»Ja, ich hab' ihn leider nicht mehr,« antwortete Cyprien.

»Sie haben ihn schon nach Frankreich geschickt?« rief Mr. Watkins, fast vernichtet von diesem Gedanken.

»Nein . . . das noch nicht! . . . Im jetzigen Rohzustande würde man seine Schönheit nicht zu beurtheilen vermögen; deshalb also beruhigen Sie sich.«

»Wem haben Sie ihn aber dann übergeben? Bei allen Schutzheiligen Alt-Englands, wem?«

»Ich übergab ihn dem Jacobus Vandergaart zum Schleifen und weiß nicht, wo dieser ihn mit hingenommen hat.«

»Sie hätten dem alten Narren einen Diamanten von solch ungeheurem Werthe anvertraut?« rief John Watkins wirklich wüthend. »Aber das ist wahnwitzig, Herr Ingenieur, rein wahnwitzig.«

»Bah!« erwiderte Cyprien sehr gleichmüthig, »was, meinen Sie, könnte Jacobus oder ein beliebiger Anderer beginnen mit einem Diamanten, dessen Werth für Die, welche seinen Ursprung nicht kennen, mindestens fünfzig Millionen beträgt? Glauben Sie etwa, es ginge so leicht, denselben heimlich zu verkaufen?«

Mr. Watkins schien über dieses Argument einigermaßen betroffen. Ein Diamant von so hohem Preise konnte offenbar nicht so leicht aus einer Hand in die andere übergehen. Trotzdem fühlte sich der Farmer beunruhigt; er hätte viel – ja, viel darum gegeben, wenn der unvorsichtige Cyprien jenen nicht dem alten Steinschneider anvertraut hätte, oder wenn dieser wenigstens mit dem überaus kostbaren Juwel nach dem Griqualande zurückgekehrt gewesen wäre.

Jacobus Vandergaart hatte jedoch einen Monat Zeit verlangt, und trotz seiner brennenden Ungeduld mußte John Watkins sich wohl oder übel fügen.

Natürlich säumten im Laufe der folgenden Tage seine gewöhnlichen Tischgenossen Annibal Pantalacci, Herr Friedel und der Jude Nathan nicht, über den ehrbaren Steinschneider herzufallen. In Abwesenheit Cypriens sprachen sie sehr häufig von ihm und gaben John Watkins dabei jedesmal zu hören, daß die Zeit verstreiche und Jacobus Vandergaart doch nicht wieder erscheine.

»Und warum sollte er eigentlich nach dem Griqualande zurückkehren,« bemerkte Friedel, »da es ihm ja leicht genug gemacht ist, den unermeßlich kostbaren Diamanten, dessen künstlichen Ursprung bis jetzt doch nichts verräth, einfach für sich zu behalten?«

»Weil er keine Gelegenheit finden dürfte, ihn zu verkaufen,« entgegnete Mr. Watkins unter Anführung des Argumentes, welches der junge Ingenieur beigebracht hatte, obgleich ihn das jetzt nicht mehr vollständig beruhigte.

»Ein recht triftiger Grund!« meinte Nathan.

»Ja, ein recht triftiger Grund!« wiederholte Annibal Pantalacci, »und glauben Sie mir, das alte Krokodil ist damit in dieser Stunde schon über alle Berge. Es wird ihm wohl besonders schwer fallen, den Stein äußerlich zu verändern und unkenntlich zu machen! Sie wissen ja nicht einmal, welche Färbung er hat. Wer hindert ihn, denselben in vier oder fünf Stücke zu theilen, oder durch Spaltung daraus auch noch mehr Diamanten von immerhin beträchtlichem Werthe herzustellen?«

Solche hingeworfene Andeutungen senkten schwere Zweifel in die Seele des Mr. Watkins, und er gab sich schon dem Glauben hin, daß Jacobus Vandergaart niemals wiedererscheinen werde.

Nur Cyprien glaubte fest an die Ehrbarkeit des alten Steinschneiders und erklärte unentwegt, daß dieser sich schon am vorherbestimmten Tage einstellen würde. Er sollte damit Recht behalten.

Jacobus Vandergaart traf achtundvierzig Stunden später wirklich ein. Sein Fleiß und Eifer für die Arbeit hatten es ermöglicht, den Schliff des Diamanten schon in siebenundzwanzig Tagen zu vollenden. Er schlüpfte des Nachts wieder in sein Haus, um dem Juwel auf der Mühle die letzte Politur zu geben, und am neunundzwanzigsten Tage sah Cyprien den Greis wieder bei sich erscheinen.

»Hier ist der Stein!« sagte er einfach und setzte bei diesen Worten einen kleinen Holzkasten auf den Tisch.

Cyprien öffnete das Etui und stand wie versteinert da.

Auf einer Unterlage von weißer Baumwolle ruhte, in Form eines dodecaëdrischen, das ist zwölfflächigen Rhomboïds ein ungeheurer schwarzer Krystall, der seine prismatischen Strahlen mit solchem Feuer aussandte, daß das ganze Laboratorium davon erleuchtet schien. Dieses Kunstproduct von tintenschwarzer Farbe, diamantener Durchsichtigkeit und unerreichtem Brechungsvermögen brachte einen wunderbaren, wirklich aufregenden Effect hervor. Man empfand es, daß man hier einer einzig dastehenden Erscheinung, einem Naturspiel, das wahrscheinlich seines Gleichen nicht hatte, gegenüberstand. Von dem Werthe desselben ganz abgesehen, nahm der Glanz des Edelsteins schon allein alle Sinne gefangen.

»Das ist nicht bloß der größte, sondern auch der schönste Diamant, den es auf Erden giebt!« sagte Jacobus Vandergaart in ernstem Tone, dem sich ein gewisser Vaterstolz beimischte. »Er wiegt vierhundertzweiunddreißig Karat! Sie dürfen sich also schmeicheln, ein Prachtstück erster Ordnung geschaffen zu haben, liebes Kind, und Ihr einfacher Versuch hat gleich ein Meisterwerk geliefert!«

Cyprien hatte auf die Lobpreisung des alten Steinschneiders nicht geantwortet. Er betrachtete sich eben nur als den Urheber einer merkwürdigen Entdeckung. Ohne Zweifel hatten schon Viele sich auf dem Gebiete der anorganischen Chemie nach gleichem Zwecke strebend vergeblich abgemüht, wo er so unerwartet leicht zum Ziele gekommen war. Doch welche nützliche Folgen konnte die Herstellung künstlicher Diamanten für die menschliche Gesellschaft haben? Denn unvermeidlicher Weise mußte diese in gewisser Zeit alle Diejenigen welche vom Edelsteinhandel lebten, zu Grunde richten, und würde deshalb doch Niemand bereichern.

Mit dieser Vorstellung verfiel der junge Ingenieur wieder in die Berauschung, der er sich während der ersten Stunden nach seiner Entdeckung hingegeben hatte. Ja, jetzt, wo dieser Diamant in vollem Glanze aus den Händen Jacobus Vandergaart's wiederkam, erschien er auch ihm selbst nicht mehr als werthloser Krystall, dem vielleicht in naher Zeit nicht einmal mehr der Vorzug der Seltenheit zukam.

Cyprien hatte das Kästchen wieder ergriffen, in welchem der unvergleichliche Edelstein funkelte, und nachdem er noch die Hand des Greises warm gedrückt, begab er sich geraden Weges nach der Farm des Mr. Watkins.

Der Farmer saß noch immer unruhig, noch immer erregt wegen der für ihn so unwahrscheinlichen Rückkehr des Jacobus Vandergaart in seinem Zimmer zu ebener Erde. Seine Tochter befand sich bei ihm und suchte ihn nach Kräften zu besänftigen.

Cyprien stieß die Thür auf und blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen.

»Nun? . . .« fragte John Watkins lebhaft, während er sich überraschend schnell erhob.

»Nun, der ehrliche Jacobus Vandergaart ist heute Morgen heimgekehrt!« antwortete Méré.

»Mit dem Diamanten?«

»Mit dem meisterhaft geschnittenen Diamanten, der noch immer vierhundertzweiunddreißig Karat wiegt.«

»Vierhundertzweiunddreißig Karat!« stieß John Watkins hervor. »Und Sie haben ihn mitgebracht?«

»Hier ist er.«

Der Farmer hatte das Kästchen hastig ergriffen, hatte es aufgerissen, und seine großen Augen funkelten jetzt fast ebenso stark wie der Diamant, den er mit einer fast stumpfsinnigen Bewunderung, gleich einem Geisteskranken anstarrte. Jetzt, als er denselben in so leichter, tragbarer, körperlicher und doch glänzender Form zwischen den zitternden Fingern hielt, den colossalen Werth, den der Edelstein darstellte, in der Hand fühlte, steigerte sich sein Entzücken zu solchem Grade, daß es beinahe lächerlich erschien. Mr. Watkins hatte Thränen in der Stimme und sprach auf den Diamanten wie auf ein lebendes Wesen.

»O der schöne, der stolze, der köstliche Stein! . . .« rief er. »Du bist also wiedergekommen, mein Herzlieb! . . . Wie prächtig Du aussiehst! . . . Wie schwer Du bist! . . . Wie viel magst Du in guten, klingenden Guineen werth sein! . . . Was soll aus Dir werden, mein Schatz? . . . Sollen wir Dich nach dem Cap und von da nach London senden, um Dich bewundern zu lassen? . . . Wer wäre aber reich genug, Dich kaufen zu können? . . . Die Königin selbst könnte sich einen solchen Luxus nicht gestatten! . . . Das verzehrte ihre Civilliste für zwei bis drei Jahre! . . . Es wird sich wohl ein Parlamentsbeschluß, eine nationale Subscription nothwendig machen! . . . Nun, sei nur ruhig, das wird ja geschehen! . . . Dann wirst auch Du im Tower zu London ausruhen können, zur Seite des Koh-i-noor, der Dir gegenüber nur noch ein Knabe sein wird! . . . Was magst Du wohl werth sein, mein Herzensschatz?«

Er rechnete ein Weilchen im Kopfe.

»Der Diamant des Zaren ist von Katharina II. mit einer Million Rubel baar und sechsundneunzigtausend Francs lebenslänglicher Rente bezahlt worden. Es erscheint gewiß nicht übertrieben, für diesen hier eine Million Pfund Sterling und fünfhunderttausend Francs fortlaufende Rente zu verlangen!«

Da fiel ihm plötzlich noch etwas Anderes ein.

»Glauben Sie nicht, Herr Méré, daß der Eigenthümer eines solchen Steines zum Pair erhoben werden müßte? Alle Arten des Verdienstes sollen doch in dem hohen Hause vertreten sein, und einen solchen Diamanten zu besitzen, ist doch kein gewöhnliches Verdienst zu nennen! . . . Sieh doch, Alice, schau doch her, zwei Augen sind wahrlich nicht genug, einen solchen Stein zu bewundern!«

Zum ersten Male in ihrem Leben betrachtete Miß Watkins einen Diamanten mit Interesse.

»Er ist wirklich ausnehmend schön! Er leuchtet wie ein Stück Kohle, was er ja im Grunde ist, aber wie ein Stück glühende Kohle!« sagte sie, während sie ihn sorgsam aus seinem Baumwollenlager herausnahm.

Darauf näherte sie sich durch eine instinctive Bewegung, welche wohl bei jedem jungen Mädchen aufgetreten wäre, dem Spiegel über dem Kamine und hielt sich das kostbare Juwel an die Stirn, mitten zwischen ihr blondes Haar.

»Ein in Gold gefaßter Stern!« sagte Cyprien galant, der sich einmal gegen seine Gewohnheit zu einem Complimente verleiten ließ.

»Das ist wahr! . . . Einen Stern könnte man ihn nennen!« rief Alice freudig in die Hände klatschend.

»Nun gut, lassen wir ihm diesen Namen: nennen wir ihn den Stern des Südens. Wollen Sie, Herr Cyprien? Ist er nicht ebenso schwarz wie die eingebornen Schönheiten dieses Landes und glanzvoll wie die Sternbilder unseres südlichen Himmels?«

»Der ›Südstern‹! meinetwegen,« sagte John Watkins, der auf den Namen nur sehr mittelmäßigen Werth legte. »Aber hüte Dich, ihn fallen zu lassen!« fuhr er bei einer raschen Bewegung seiner Tochter erschrocken fort; »er würde wie Glas zerspringen!«

»Wirklich? . . . So zerbrechlich wäre so ein Ding?« antwortete Alice, während sie den Edelstein ziemlich verächtlich in das Kästchen zurücklegte. »Armer Stern, Du bist also nur ein Gestirn zum Lachen, ein gewöhnlicher Glasflaschenstöpsel!«

»Ein Glasflaschenstöpsel! . . .« rief Mr. Watkins halb erstickt. »Die Kinder haben doch vor gar nichts Respect.«

»Fräulein Alice,« sagte da der junge Ingenieur, »Sie waren es, die mich zur Herstellung künstlicher, aber echter Diamanten veranlaßt hat. Ihnen allein verdankt der Stein seine heutige Existenz! In meinen Augen ist er freilich ein Spielzeug, das keinen Handelswerth haben wird, wenn man dessen Ursprung erfährt. Ihr Herr Vater wird jedenfalls gestatten, daß ich Ihnen denselben als Erinnerung an Ihre glückliche Beeinflußung meiner Arbeiten als Geschenk anbiete.«

»Wie?« stieß Mr. Watkins hervor, der nicht verhehlen konnte, was er bei diesem unerwarteten Vorschlage empfand.

»Fräulein Alice,« wiederholte Cyprien, »dieser Diamant gehört Ihnen. Ich biete Ihnen denselben an . . . ich schenke ihn Ihnen!«

Statt jeder Antwort reichte Miß Watkins dem jungen Manne die Hand hin, welche dieser zärtlich zwischen den seinen drückte.

 


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