Jules Verne
Robur der Sieger
Jules Verne

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XVIII.

Welches diese wahrhafte Geschichte zu Ende führt, ohne sie zu beendigen.

Am 29. April des folgenden Jahres, sieben Monate nach der so unerwarteten Rückkehr des Onkel Prudent und Phil Evans, war ganz Philadelphia in reger Bewegung. Um politische Fragen handelte es sich dabei nicht, ebenso wenig um Wahlen oder Volksversammlungen. Der auf Betreiben des Weldon-Instituts nun vollendete Aerostat »Go a head« sollte endlich seinem natürlichen Element übergeben werden.

Als Aeronaut für denselben war der berühmte Harry W. Tinder, dessen wir schon zu Anfang dieser Erzählung erwähnten, bestimmt worden, und ihm hatte man noch einen erfahrenen Gehilfen beigegeben.

Die Passagiere bildeten der Vorsitzende und der Schriftführer des Weldon-Instituts, denen diese Ehre gewiß vor allen Anderen zukam, da es für sie so zu sagen eine Lebensaufgabe geworden war, persönlich gegen jeden Apparat, der auf dem Principe »Schwerer, als die Luft« beruhte, Einspruch zu erheben.

Doch auch jetzt, nach sieben Monaten, sollten sie immer noch erst anfangen, über ihre Abenteuer zu berichten. Selbst Frycollin hatte, wie sehr es ihn auch dazu drängte, noch nicht vom Ingenieur Robur und von dessen wunderbarer Maschine gesprochen. Offenbar wollten Onkel Prudent und Phil Evans als eingefleischte und unverbesserliche Ballonisten überhaupt nicht, daß von dem Aeronef oder einer anderen Flugmaschine jemals die Rede sei. Auch wenn ihr Ballon, der »Go a head«, noch nicht die erste Stelle unter den zur Fortbewegung durch die Luft bestimmten Apparaten einnehmen sollte, so wollten sie doch keine, von irgendwelchem Anhänger der Aviation herrührende Erfindung dabei anwenden lassen. Sie glaubten noch immer und wollten auch später nur glauben, daß das einzig wahre atmosphärische Vehikel der Aerostat sei, und daß ihm allein die Zukunft gehöre.

Uebrigens existirte ja Derjenige, an dem sie eine so furchtbare, ihrer Ansicht nach aber nur gerechte Rache genommen hatten, jetzt schon längst nicht mehr. Keiner von Denen, die er trug, hatte seinen Untergang überleben können. Das Geheimniß des »Albatros« lag jetzt in den unergründlichen Tiefen des Stillen Oceans begraben.

Die Annahme, daß der Ingenieur Robur einen Zufluchtsort, eine rettende Insel im ungeheuren, verlassenen Ocean gefunden habe, erschien nur als eine sehr gewagte Hypothese. Die beiden Collegen behielten sich für später die Entscheidung darüber vor, ob es angezeigt erscheine, nach dieser Richtung besondere Nachforschungen zu veranlassen.

Man schritt also endlich zu dem großen Experimente, welches das Weldon-Institut so lange Zeit und mit so großer Sorgfalt vorbereitet hatte. Der »Go a head« war der vollendetste Typus dessen, was im Bereiche der Aerostatik bisher erfunden war – dasselbe wie der »Inflexible» und der »Formidable« (zwei neuere französische Panzerschlachtschiffe) in der Schiffsbaukunst.

Der »Go a head« besaß alle für einen Aerostaten nur wünschenswerthen Eigenschaften. Sein Volumen gestattete ihm, bis zu den allergrößten Höhen, die ein Ballon nur erreichen kann, aufzusteigen; seine Undurchlässigkeit für Gas, sich unbegrenzt lange in der Luft zu erhalten; seine Festigkeit, jeder Ausdehnung der Gase ebenso zu widerstehen, wie dem heftigsten Platzregen und stärksten Sturmwinde; sein Fassungsvermögen, eine genügende Auftriebskraft zu entfalten, um außer dem sonst nöthigen Zubehör eine elektrische Maschine mitzunehmen, die seinen Propellern eine, jeder bisher erreichten überlegene Treibkraft verleihen konnte. Der »Go a head« hatte eine längliche Gestalt, um die horizontale Fortbewegung zu erleichtern. Seine Gondel, eine derjenigen des Ballons der Capitäne Krebs und Renard ähnliche Plattform, enthielt alles für Luftschiffer nothwendige Geräth und Werkzeug, physikalische Instrumente, Taue, Anker, Rollen u. s. w., außerdem die Apparate, Batterien und Accumulatoren, welche seine mechanische Kraft lieferten. Diese Gondel trug vorne eine Schraube und hinten neben einer gleichen Schraube ein Steuerruder. Aller Wahrscheinlichkeit nach mußte jedoch die Arbeitsleistung der Maschinen des »Go a head« weit hinter der der Apparate des »Albatros« zurückbleiben.

Der »Go a head« war nach vollendeter Füllung nach der Waldblöße im Fairmont-Park übergeführt worden, d. h. genau nach derselben Stelle, an welcher früher der Aeronef einige Stunden gelegen hatte.

Wir brauchen wohl nicht zu betonen, daß ihm die Auftriebskraft durch das leichteste aller Gase verliehen worden war. Das gewöhnliche Leuchtgas entwickelt per Cubikmeter nur eine solche Hebekraft gleich 700 Gramm – was gegen die umgebende Luft nur einen unbeträchtlichen Gewichtsunterschied darstellt. Das Wasserstoffgas dagegen besitzt bei gleichem Volumen eine auf etwa 1100 Gramm zu schätzende Steigekraft. Solches, nach dem Verfahren und in den Special-Apparaten des berühmten Henry Giffard dargestellte reine Wasserstoffgas erfüllte den ungeheuren Ballon. Da der »Go a head« nun einen Fassungsraum von 40.000 Cubikmetern besaß, so entsprach die Steigkraft seines Gases einem Gewichte von 40.000 mal 1100 Gramm oder 44.000 Kilogramm.

Am Morgen des 20. April war Alles bereit. Um elf Uhr schon schwankte der riesige Aerostat wenige Fuß über dem Boden und fertig, sich in die Luft zu erheben, majestätisch hin und her.

Es herrschte ein prächtiges und wie für diesen Versuch eigens gemachtes Wetter. Vielleicht wäre eine etwas größere Windstärke wünschenswerther gewesen, da sie die Probe mehr beweisend gestaltet hätte. Man hat ja niemals bezweifelt, daß ein Ballon in ganz ruhiger Luft nach Belieben gelenkt werden könne, in bewegter Atmosphäre ist das aber ein anderes Ding und nur unter solchen Verhältnissen sollten derartige Proben ausgeführt werden.

Genug, jetzt war weder Wind zu verspüren, noch deutete etwas darauf hin, daß solcher auftreten würde. An jenem Tage sendete Nordamerika aus seinem unerschöpflichen Vorrathe ausnahmsweise keinen Sturm nach dem westlichen Europa, und niemals hätte ein Tag günstiger als dieser zur Vornahme eines solchen aeronautischen Experimentes gewählt werden können.

Kaum brauchen wir der ungeheuren, im Fairmont-Park aufgestauten Menschenmenge, ebenso wenig der zahlreichen Bahnzüge zu erwähnen, welche Ströme von Neugierigen aus allen Nachbarstaaten über Philadelphia ergossen hatten; auch nicht der Unterbrechung jeder industriellen und commerciellen Thätigkeit, welche es Allen – Chefs, Beamten, Handwerkern, Männern und Frauen, Greisen und Kindern, Congreßmitgliedern, Vertretern der bewaffneten Macht, Magistratspersonen, Reportern, weißen und schwarzen Eingeborenen, die auf der Waldblöße zusammengelaufen waren – gestattete, diesem Schauspiele beizuwohnen. Oder sollten wir das geräuschvolle Durcheinanderwogen dieser Volksmengen schildern, die unerwarteten Bewegungen, das plötzliche Drängen und das Jauchzen und Rufen des Mobs? Sollen wir die Hipp! Hipp! Hipp! nachzählen, welche von allen Seiten gleich dem Krachen von Feuerwerkskörpern laut wurden, als Onkel Prudent und Phil Evans auf der mit dem amerikanischen Sternenbanner geschmückten Plattform erschienen? Oder müßten wir es erst besonders aussprechen, daß der größte Theil dieser Neugierigen vielleicht nicht gekommen war, um den »Go a head« zu sehen, sondern um sich die zwei außerordentlichen Männer zu betrachten, um welche die Alte Welt die Neue beneidete?

Warum aber nur Zwei und nicht Drei? Warum nicht auch Frycollin? – Das kam daher, daß Frycollin die Reise mit dem »Albatros« für seine Berühmtheit als genügend erachtete und er die Ehre, seinen Herrn zu begleiten, bescheiden abgelehnt hatte. Er bekam also keinen Theil von den tollen Jubelrufen, welche den Vorsitzenden und den Schriftführer des Weldon-Instituts empfingen. Es versteht sich von selbst, daß von allen Mitgliedern der berühmten Gesellschaft keiner auf dem für diese reservirten Platze innerhalb der Pfähle und Leinen fehlte, welche einen Theil der Lichtung abgrenzten. Hier waren Truk Milnor, Bat T. Fyn, William T. Forbes, der seine beiden Töchter Miß Doll und Miß Mat an den Armen führte. Alle waren erschienen, um durch ihre Anwesenheit zu bekräftigen, daß nichts jemals im Stande sei, die Anhänger des »Leichter, als die Luft« zu trennen.

Gegen elf Uhr zwanzig Minuten verkündigte ein Kanonenschuß die Beendigung der letzten Vorbereitungen.

Der »Go a head« erwartete nur noch das Signal zum Aufsteigen.

Ein zweiter Kanonenschuß donnerte um elf Uhr fünfundzwanzig.

Der nur noch durch seine Leitseile gehaltene »Go a head« erhob sich gegen fünfzehn Meter über die Lichtung. Am anderen Ende der Plattform stehend, legten Onkel Prudent und Phil Evans die linke Hand auf die Brust, was bedeuten sollte, daß sie mit dem Zuschauerkreise eines Herzens wären. Dann streckten sie die rechte Hand nach dem Zenith aus, um anzudeuten, daß der größte, bis jetzt bekannte Ballon endlich in Begriff stehe, von seinem überirdischen Reiche Besitz zu ergreifen.

Da legten sich hunderttausend Hände auf hunderttausend Brüste; und hunderttausend andere erhoben sich zum Himmel.

Um elf Uhr dreißig krachte ein dritter Kanonenschuß.

»Alles los!« rief Onkel Prudent, die hergebrachte Redensart benützend.

Und der »Go a head« erhob sich »majestätisch« – das immer gebrauchte Beiwort in der Beschreibung von beginnenden Luftfahrten.

In der That, es war ein prächtiges Schauspiel! Man hätte ein Seeschiff zu sehen gemeint, das eben vom Stapel lief. Und war das hier nicht auch ein Schiff, das in's Luftmeer abgelassen wurde?

Der »Go a head« stieg genau lothrecht in die Höhe – ein Beweis für die vollkommene Ruhe der Atmosphäre – und hielt etwa zweihundertfünfzig Meter über der Erde still.

Hier begann nun die Vorführung der Fahrt in wagrechter Richtung.

Der von seinen zwei Schrauben getriebene »Go a head« zog mit der Geschwindigkeit von zehn Metern in der Secunde der Sonne entgegen. Das ist die Geschwindigkeit des Walfisches im freien Wasser. Es ist auch gar nicht falsch, jenen mit dem genannten Riesen der nördlichen Meere zu vergleichen, zumal da er auch die Gestalt jenes Cetaceers hatte.

Eine neue Salve von Hurrahs drang zu den geschickten Aeronauten empor.

Hierauf führte der »Go a head« unter der Wirkung seines Steuers allerlei kreisförmige, schiefe und geradlinige Bewegungen aus, welche ihm die Hand seines Steuermannes aufnöthigte. Er wendete in engem Kreise, ging nach vorwärts, nach rückwärts, um selbst die zähesten Widersacher der Lenkbarkeit von Ballons eines Besseren zu belehren ... wenn es solche Widersacher hier gab! Und wenn es dergleichen gegeben hätte, hätte man sie in die Pfanne gehauen!

Warum fehlte aber der Wind diesem herrlichen Experimente? Das war bedauerlich. Unzweifelhaft hätte der »Go a head« alle Bewegungen ohne Zögern ausgeführt, indem er entweder eine schräge Richtung einhielt, wie ein Schiff, das dicht beim Winde segelte, oder der Luftströmung gleich einem Dampfer gerade entgegentrieb.

In diesem Augenblicke stieg der Aerostat um einige hundert Meter höher hinauf.

Man begreift wohl die Absicht. Onkel Prudent und seine Begleiter suchten in den höheren Luftschichten eine Strömung zu finden, um die Probe zu vervollständigen. Ein System von inneren Ballons, entsprechend der Schwimmblase der Fische, in welche man mittelst Pumpen eine gewisse Menge Gas hineindrücken konnte, gestattete ihm nämlich, auf- und niederzusteigen. Ohne je Ballast auszuwerfen, um höher, oder Gas zu verlieren, um tiefer zu gehen, war er im Stande, sich nach Belieben des Luftschiffers in der Atmosphäre zu heben oder zu senken. Außerdem war er jedoch am oberen Scheitel mit einem Ventil versehen, für den Fall, daß er einmal sehr schnell herabzugehen gezwungen wäre. Hier waren demnach nur bereits bekannte Mittel vorgesehen, diese aber bis zum höchsten Grade der Vollkommenheit entwickelt.

Der »Go a head« erhob sich also in lothrechter Linie. Durch optische Wirkung verringerten sich seine Dimensionen allmählich den Blicken. Gewöhnlich erscheint das ziemlich merkwürdig für die Zuschauer, die sich, um gerade hinauf zu sehen, fast die Halswirbel brechen. Der ungeheure Walfisch wurde so nach und nach zum Meerschwein, um endlich bis zur Größe des gewöhnlichen Gründlings herabzusinken.

Da die aufsteigende Bewegung nicht unterbrochen wurde, erreichte der »Go a head« eine Höhe von viertausend Metern, blieb aber bei dem reinen, keine Spur von Dunst enthaltenden Himmel vollkommen klar sichtbar.

Indeß hielt er sich fortwährend über der Lichtung, als würde er daselbst von divergirenden Leinen festgehalten. Und wenn eine riesenhafte Glocke über die Umgegend gestürzt gewesen wäre, hätte die Luft darunter nicht ruhiger sein können. Weder in jener, noch in irgend einer anderen Höhe regte sich der leiseste Hauch. Stark verkleinert durch die Entfernung, als ob man ihn durch ein verkehrt gehaltenes Fernrohr betrachtet hätte, manövrirte der Aerostat, ohne den geringsten Widerstand zu finden.

Plötzlich drang ein Aufschrei aus der Menge, ein Schrei, dem sofort hunderttausend andere folgten. Alle Arme richteten sich nach einem Punkte am Horizont, und zwar nach Nordwesten hin.

Dort im tiefen Azur ist ein sich bewegender Körper erschienen, der näher herankommt und größer wird. Ist es ein Vogel, der mit mächtigem Flügelschlage durch die höchsten Luftschichten schwebt? Ist's eine Feuerkugel, deren Bahn die Atmosphäre in schiefer Richtung durchschneidet? Jedenfalls ist der räthselhaften Erscheinung eine bedeutende Schnelligkeit eigen und sie muß bald über die erstaunte Volksmenge hinwegrauschen.

Ein Verdacht, der sich gleichsam elektrisch allen Gehirnen mittheilt, verbreitet sich über die ganze Lichtung.

Es scheint jedoch, als ob auch der »Go a head« den fremdartigen Gegenstand bemerkt hätte. Offenbar hat er das Gefühl einer drohenden Gefahr empfunden, denn plötzlich steigert sich seine Geschwindigkeit und er flieht nach Osten hin.

Ja, die Menge hat Alles begriffen. Ein von einem der Mitglieder des Weldon-Instituts ausgerufener Name wird von zweihunderttausend Lippen wiederholt: »Der 'Albatros'! ... Der 'Albatros'!«

In der That, es ist der »Albatros«. Robur ist es, der in den Höhen des Himmels wieder erscheint! Er ist's, der gleich einem gigantischen Raubvogel auf den »Go a head« losstürzt!

Und neun Monate vorher war der durch die Explosion zersprengte Aeronef, die Schrauben zerbrochen und das Verdeck in zwei Stücke zerrissen, doch vernichtet worden. Ohne die wunderbare Besonnenheit des Ingenieurs, der die Drehbewegung des vorderen Propellers veränderte, und diesen als Auftriebsschraube wirken ließ, wäre die ganze Besatzung des »Albatros« schon durch die Schnelligkeit des Sturzes erstickt worden. Doch wenn sie auch dieser Gefahr glücklich entronnen, wie kam es, daß sie nicht in den Fluthen des Pacifischen Oceans ertrunken war?

Das kam daher, daß die Trümmer des Verdecks, die Flügel der Triebschrauben, die Wände der Ruffs und was sonst noch vom »Albatros« übrig war, ihn zur schwimmenden Seetrift verwandelt hatten. Der verwundete Vogel war in's Wasser gefallen, seine Flügel aber hielten ihn noch auf den Wellen. Einige Stunden lang blieben Robur und seine Leute noch auf diesem Wrack, dann flüchteten sie in das auf dem Ocean wieder gefundene Kautschukboot.

Die Vorsehung, für Diejenigen, welche an einen göttlichen Eingriff in irdische Dinge glauben – der Zufall, für Diejenigen, welche die Schwäche haben, an keine Vorsehung zu glauben – kam den Schiffbrüchigen zu Hilfe.

Wenige Stunden nach Sonnenaufgang wurden sie von einem Schiffe bemerkt, das nicht allein Robur und seine Leute, sondern auch die umher schwimmenden Trümmer des Aeronefs aufnahm. Der Ingenieur begnügte sich mit der Angabe, sein Fahrzeug sei durch eine Collision zerstört worden, und sein Incognito blieb auch bei dieser Gelegenheit gewahrt.

Jenes Schiff war ein englischer Dreimaster, der »Two Friends« von Liverpool. Es segelte nach Melbourne, wo es nach wenigen Tagen eintraf.

Nun war man zwar in Australien, aber sehr fern von der Insel X, nach der man doch baldigst zurückkehren mußte.

Unter den Trümmern des hinteren Ruffs hatte der Ingenieur noch eine beträchtliche Geldsumme gefunden, die ihm, ohne einen Anderen anzusprechen, alle Bedürfnisse seiner Leute zu bestreiten gestattete. Kurz nach der Ankunft in Melbourne erwarb er eine kleine Goelette von hundert Tonnen und auf dieser begab sich Robur, der auch ein tüchtiger Seemann war, nach der Insel X zurück.

Jetzt erfüllte ihn nur noch eine einzige fixe Idee – sich zu rächen. Doch um das zu können, mußte ein zweiter »Albatros« gebaut werden, was für den, der den ersten construirt hatte, ja eine leichte Aufgabe war. Man verwendete dabei, was noch vom alten Aeronef brauchbar erschien, unter anderen Maschinentheilen auch dessen Propeller, die mit allen Trümmern auf der Goelette verladen gewesen waren. Der Mechanismus wurde mittelst neuer Batterien und Accumulatoren wieder in Stand gesetzt. Kurz, binnen weniger als acht Monaten war die ganze Arbeit beendigt und ein neuer »Albatros«, ganz gleich dem durch die Explosion zerstörten und eben so mächtig wie dieser, stand bereit, durch die Luft abzusegeln.

Selbstverständlich trug er auch dieselbe Mannschaft und ebenso selbstverständlich schäumte diese Mannhaft vor Wuth auf Onkel Prudent und Phil Evans im Besonderen, wie auf das ganze Weldon-Institut im Allgemeinen.

Mit den ersten Tagen des April verließ der »Albatros« die Insel X. Während dieser Luftfahrt sollte sein Vorüberkommen von keinem Punkt der Erde aus gemeldet werden können. So schwebte er also immer zwischen den Wolken hin. Ueber Nordamerika an einer Einöde des Far-West angelangt ging er zur Erde. Das tiefste Incognito bewahrend, erfuhr der Ingenieur hier, was ihm das größte Vergnügen gewähren mußte: daß das Weldon-Institut nun so weit sei, mit seinen Probefahrten zu beginnen, und daß der »Go a head« mit Onkel Prudent und Phil Evans am 29. April von Philadelphia aus aufsteigen sollte.

Welch' herrliche Gelegenheit zur Kühlung jener Rache, die das Herz Robur's und aller seiner Leute erfüllte! Eine schreckliche Rache, welcher der »Go a head« nicht entrinnen sollte! Eine öffentliche Rache, welche gleichzeitig die Ueberlegenheit des Aeronefs über die Aerostaten und alle Apparate dieser Art beweisen mußte!

Aus diesem Grunde also erschien an jenem Tage gleich dem Geier, der aus schwindelnder Höhe niederschießt, der Aeronef über dem Fairmont-Park.

Ja, das war der »Albatros«, leicht erkannt selbst von Denen, die ihn früher nie gesehen hatten.

Der »Go a head« floh noch immer. Er begriff jedoch, daß er durch eine Flucht in horizontaler Richtung niemals zu entkommen vermöge. Er suchte sein Heil also in verticaler Flucht, aber nicht durch Annäherung an die Erde, denn da hätte der Aeronef ihm den Weg verlegen können, sondern indem er sich in die Luft erhob, nach einer Zone, in der er vielleicht nicht angegriffen werden konnte. Das war sehr kühn, doch gleichzeitig recht logisch gehandelt.

Inzwischen erhob sich aber auch der »Albatros« mit ihm. Weit kleiner als der »Go a head« glich er dem Schwertfisch bei Verfolgung des Wals, den er mit seinem Stachel durchbohrt, oder dem auf das Panzerschiff zufliegenden Torpedo, der jenes mit einem Schlage in die Luft zu sprengen trachtet.

Die Zuschauer bemerkten das mit beklemmender Angst. Binnen wenigen Augenblicken hatte der Aerostat eine Höhe von fünftausend Metern erreicht. Der »Albatros« war ihm bei seiner aufsteigenden Bewegung nachgefolgt. Er tänzelte jetzt gleichsam um seine Seiten und umkreiste ihn in stetig vermindertem Umfange. Mit einem Sprung konnte er ihn vernichten, indem er seine dünne Hülle zerriß. Onkel Prudent und dessen Begleiter wären durch einen furchtbaren Absturz rein zerschmettert worden.

Die vor Schreck verstummten und nach Athem ringenden Zuschauer waren von jener Art Entsetzen gepackt, das die Brust einschnürt und die Füße lähmt, wenn man Einen aus großer Höhe herabstürzen sieht. Jetzt drohte ein Luftkampf, ein Kampf, der nicht einmal die geringen Aussichten für Rettung wie ein Wasserkampf darbot – der erste dieser Art, aber gewiß nicht der letzte, denn der Fortschritt gehört zu den ehernen Gesetzen dieser Welt. Und wenn der »Go a head« an seiner Seite das amerikanische Sternenbanner trug, so hatte der »Albatros« auch seine Flagge, das schwarze Fahnentuch mit der goldenen Sonne Robur des Siegers, entfaltet.

Der »Go a head« wollte aus dem Bereiche seines Gegners zu kommen suchen, indem er sich noch weiter erhob. Er warf den als Reserve mitgeführten Ballast aus. Noch einmal machte er einen Satz von tausend Metern und erschien jetzt nur noch als ein Punkt im Luftraum. Der »Albatros«, der ihm mit der größten Drehgeschwindigkeit seiner Schrauben nacheilte, war schon völlig unsichtbar geworden.

Plötzlich erhob sich von der Erde ein Schreckensschrei.

Der »Go a head« nahm sichtlich an Größe wieder zu, während auch der sich mit ihm senkende Aeronef auf's Neue erschien. Jetzt war der Sturz da! Das in der furchtbaren Höhe zu stark ausgedehnte Gas hatte die Hülle des Ballons gesprengt, und nur noch halb aufgeblasen fiel dieser rasch herunter.

Der Aeronef dagegen, der nur die Bewegung seiner Auftriebsschrauben gemäßigt hatte, sank mit abgemessener Geschwindigkeit herab. Er fuhr an den »Go a head« heran, als dieser nur noch zwölfhundert Meter von der Erde entfernt war, und näherte sich ihm Bord an Bord.

Wollte Robur ihm den Gnadenstoß geben? – Nein, er wollte helfen, wollte die Insassen retten!

Seine Manövrirgeschicklichkeit war eine so erstaunliche, daß der Aeronaut und sein Genosse auf das Verdeck des Aeronefs gelangen konnten.

Sollten Onkel Prudent und Phil Evans etwa die Unterstützung Robur's ablehnen, es verweigern, sich von ihm retten zu lassen? Sie wären es wahrlich im Stande gewesen! Die Leute des Ingenieurs bemächtigten sich jedoch derselben und schafften sie mit Gewalt vom »Go a head« nach dem »Albatros«.

Da machte sich der Aeronef von jenem klar und blieb an derselben Stelle, während der jetzt völlig gasleere Ballon auf die Bäume neben der Lichtung niederfiel, wo er gleich einem riesigen Fetzen hängen blieb.

Unten herrschte das Schweigen des Todes; es schien wirklich, als wenn alles Leben aus den Herzen der Menge entflohen wäre. Sehr Viele hatten gleich die Augen geschlossen, um das Ende der Katastrophe nicht mit anzusehen.

Onkel Prudent und Phil Evans waren also wiederum die Gefangenen des Ingenieurs Robur geworden. Sollte er, nun er sie wieder erlangt, mit ihnen noch einmal in's Luftmeer hinausfliegen, wohin ihm Keiner folgen konnte?

Das war vielleicht zu vermuthen.

Indessen senkte sich der »Albatros«, statt höher zu steigen, langsam zur Erde nieder. Man glaubte, er wolle bis auf's Land gehen, und die Menge drängte sich, um ihm Platz zu machen, auseinander.

Die Erregung der Leute hatte jetzt den höchsten Grad erreicht.

Zwei Meter über der Erde hielt der »Albatros« an, und unter tiefstem Stillschweigen ließ sich die Stimme des Ingenieurs vernehmen:

»Bürger der Vereinigten Staaten, sagte er, der Vorsitzende und der Schriftführer des Weldon-Instituts sind wiederum in meiner Gewalt. Hielte ich sie zurück, so würde ich nur von meinem Rechte der Wiedervergeltung Gebrauch machen. Bei der in ihrer Seele durch die Erfolge des »Albatros« entfachten Leidenschaft aber sehe ich ein, daß ihr geistiger Zustand doch nicht derart ist, um die Umwälzungen, welche die Beherrschung des Luftmeeres einst nach sich ziehen muß, vollständig zu begreifen. Onkel Prudent und Phil Evans, Sie sind frei!«

Der Vorsitzende, der Schriftführer des Weldon-Instituts, der Aeronaut und sein Gehilfe hatten nur einen Sprung zu thun, um auf die Erde zu gelangen.

Der »Albatros« erhob sich dann sofort um etwa zehn Meter über die Menge und Robur fuhr fort:

»Bürger der Vereinigten Staaten, mein Versuch ist glücklich durchgeführt, doch meine Ansicht geht dahin, nichts zu übereilen, auch nicht einmal den Fortschritt. Die Wissenschaft darf den Landessitten und Gewohnheiten nicht zu sehr vorauseilen. Die Menschheit soll nur schrittweise, nicht durch gewaltsame Umänderungen vorwärts kommen. Ich selbst würde heute noch zu zeitig auftreten, um alle widerstrebenden und getheilten Interessen zu vereinigen. Die Nationen sind zum wirklichen Bunde noch nicht reif.

»Ich ziehe also weiter und nehme mein Geheimniß mit mir. Für die Menschheit wird es deshalb nicht verloren sein, sondern ihr dereinst gehören, wenn sie unterrichtet genug sein wird, daraus Vortheil zu ziehen, und weise genug, um es nicht zu mißbrauchen. Heil Euch, Bürger der Vereinigten Staaten, Heil Euch, jetzt und immerdar!«

Die Luft mit seinen vierundsiebenzig Schrauben peitschend und von den beiden mit größter Kraft arbeitenden Propellern davongetragen, verschwand der »Albatros« im Osten inmitten eines Sturmes von Hurrahs, die jetzt der allgemeinen Bewunderung Ausdruck gaben.

Die beiden, jetzt wie das ganze Weldon-Institut tief gedemüthigten Collegen thaten das Einzige, was sie thun konnten – sie schlichen nach ihren Behausungen zurück, während die Menge infolge einer plötzlichen Sinnesänderung nicht übel Lust zeigte, sie mit jetzt ganz angebrachtem beißenden Spotte zu begrüßen.

*

Nun bleibt noch immer die Frage bestehen: »Wer ist jener Robur? Wird man das jemals erfahren?«

Man weiß es schon heute. Robur ist das Wissen und Können der Zukunft, vielleicht schon des nächsten Tages – er ist der sichere Schatz im Schooße kommender Zeiten.

Daß der »Albatros« noch immer durch die Erdatmosphäre hinschwebe, inmitten seines Reiches, das ihm Niemand streitig machen kann, ist nicht zu bezweifeln; auch Robur der Sieger wird seinem Versprechen gemäß eines Tages wiederkehren und das Geheimniß einer Erfindung offenbaren, welche die socialen und politischen Verhältnis der Erde gänzlich umgestalten dürfte.

Was die Zukunft der Luftschifffahrt angeht, so gehört diese den Aeronefs, nicht dem Aerostaten.

Den »Albatrossen« ist es noch vorbehalten, sich das Reich der Luft endgiltig zu erobern.


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