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Sechzehntes Kapitel

Zwei Flintenschüsse.

Am andern Tage, wie auch während der ersten Septembertage, kam Aristobulos Ursiklos nicht wieder zum Vorschein. Ob er Jona mit dem Vergnügungsdampfer wieder verlassen hatte, nachdem er eingesehen, daß er bei Miß Campbell bloß Zeit verlöre? Dafür hätte niemand Auskunft gewußt. Auf alle Fälle tat er aber gut, sich nicht sehen zu lassen. Denn er flößte dem jungen Mädchen, dem er bisher bloß gleichgiltig gewesen war, jetzt geradezu Abscheu ein. Nachdem er ihr den Grünen Strahl aller Poesie entkleidet, nachdem er ihren Traum zerstört, nachdem er die Schleppe oder Schärpe einer Walküre als eine gewöhnliche optische Erscheinung hingestellt hatte – war der Uebergang zu dieser Empfindung nichts weniger als unverständlich. Vielleicht hätte sie ihm alles andere nachgesehen: in dieser Hinsicht war aber von Nachsicht bei ihr keine Rede.

Die Brüder Melvill durften nicht einmal Nachfrage halten, was aus Aristobulos Ursiklos geworden sei.

Wozu auch? was hätten sie denn ihm sagen können und welche Hoffnung war für sie noch am Platze? Ließ sich wohl noch an die Möglichkeit einer Verbindung denken zwischen zwei einander so unsympathischen Menschen, die jener weite Abgrund scheidet, der zwischen der alltäglichen Prosa und der göttlichen Poesie gähnt? von denen der eine von der Manie befallen ist, alles auf wissenschaftliche Formeln zurückzuführen, der andre bloß im Ideal lebt, das die Ursachen geringschätzt und sich an den Eindrücken genügen läßt?

Partridge hatte jedoch, von Frau Elsbeth angespornt, in Erfahrung gebracht, daß dieser »altkluge junge Herr«, wie er ihn nannte, seine Abfahrt noch nicht bewirkt habe, sondern nach wie vor in seiner Fischerhütte wohne und dort seine Mahlzeiten einsam und allein verzehre.

Was auf alle Fälle dabei von Wichtigkeit war, war eins: daß sich Aristobulos Ursiklos nicht mehr sehen ließ. Tatsächlich standen die Dinge so, daß, wenn er sich nicht, über irgend einen wissenschaftlichen Gedanken brütend, in seinem Stübchen absperrte, er draußen am Strande herum lief, mit der Büchse über der Schulter, und seiner schlimmen Laune durch fleißiges Niederknallen von schwarzen Tauchenten und Möven, die seiner Meinung nach dort überflüssig wären, Luft machte. Trug er denn noch eine Hoffnung im Herzen? Sagte er sich vielleicht, daß Miß Campbell besseren Empfindungen den Weg zu ihrem Herzen offen halten werde, wenn erst die Grille mit dem Grünen Strahl Befriedigung gefunden hätte? Wer seiner Persönlichkeit volle Rechnung trug, der durfte das schließlich für möglich halten.

Eines Tages passierte ihm aber ein ziemlich garstiges Abenteuer, das einen sehr schlechten Ausgang für ihn hätte nehmen können, ohne die ebenso großmütige wie unerwartete Dazwischenkunft seines Nebenbuhlers.

Es war am Nachmittag des 2. September. Aristobulos Ursiklos war nach der äußersten Südspitze von Jona hinausgewandert, um die Felsen zu studieren, welche dort aufgetürmt liegen. Eine von diesen Granitmassen, ein » stack«, zog seine Aufmerksamkeit in ganz besonderem Maße an, so zwar, daß er den Entschluß faßte, sich auf ihre Spitze hinauf zu schwingen. Mit solchem Versuch, der aller Klugheit und Vorsicht zuwider lief, hatte es aber insofern seine Schwierigkeiten, als der Felsen nur glibbrige Flächen bot, so daß der Fuß keinen Halt finden konnte. Aber Aristobulos Ursiklos mochte nicht zugeben, daß es Dinge gäbe, die außerhalb der Möglichkeit für ihn lägen. Er kletterte also an den Felsenwänden frisch drauflos, suchte an ein paar Moosbüscheln Halt, die hie und da auf dem Felsen standen, und kam auf diese Weise, wenn auch nicht ohne Anstrengung und Mühe, bis zu dem Gipfel des Felsens hinauf.

Oben angelangt, widmete er sich seiner gewohnten kleinen Mineralogen-Arbeit. Als er sich hiernach aber an den Abstieg machte, boten sich größere Schwierigkeiten, trotzdem er zuerst sorgfältig untersuchte, auf welcher Wandseite es sich am besten abrutschen lasse. Noch hiermit beschäftigt, kam sein Fuß ins Gleiten: es gelang ihm nicht, irgendwo Halt zu finden, und hätte ihn nicht beim Absturz ein mitten durchgebrochener Ast aufgehalten, so wäre er mitten hinein in die tobende Brandung gestürzt.

Aristobulos Ursiklos befand sich nun in einer Situation, die recht gefährlich und zugleich recht lächerlich war. Wieder hinauf konnte er nicht, und hinunter noch weniger.

So verstrich eine Stunde, und niemand weiß, was geschehen sein würde, wäre nicht zufällig Olivier Sinclair, mit seinem Malerrucksack auf dem Buckel, in diesem Augenblick an dieser Stelle vorübergegangen. Er hörte Hilferufe und blieb stehen. Der Anblick, den Aristobulos Ursiklos in dreißig Fuß Lufthöhe bot, wo er baumelnd wie eine der bekannten Weidenfiguren am Aushängeschilde von Schenken und Herbergen hing, war so drollig, daß ihm zuerst das Lachen ankam; trotzdem besann er sich, wie man sich wohl denken kann, keine Sekunde, sich selber in Gefahr zu stürzen, um den in Gefahr befindlichen Menschen zu retten.

Ohne Mühe ging das nicht von statten. Olivier Sinclair mußte erst auf den Felsen hinaufklettern, mußte dann den am Baume hängenden Aristobulos hinauf lotsen, dann ihm beim Wiederabstieg an der andern Wand hinunter behilflich sein.

»Herr Sinclair,« sprach Aristobulos Ursiklos, sobald er sich in Sicherheit befand, »ich hatte den Neigungswinkel schlecht berechnet, den diese Wand mit der Senkrechten bildet. Infolgedessen dieser Abrutsch und diese Schwebe ..."

»Herr Ursiklos,« erwiderte Olivier Sinclair, »ich schätze mich glücklich, das; mir der Zufall vergönnt hat, Ihnen zu Hilfe zu kommen.«

»Erlauben Sie nichtsdestoweniger, daß ich Ihnen meinen Dank ausspreche!«

»Das ist ja gar nicht der Mühe wert, Herr! Wäre ich in solcher Situation gewesen, so hätten Sie doch ganz sicher an mir gleiches getan!«

»Ganz ohne Zweifel.«

»Nun also, dann sind wir quitt, Revanche vorbehalten!«

Hierauf schieden die beiden jungen Männer voneinander.

Olivier meinte, über diesen Vorfall, der sonst von keinerlei Bedeutung war, nicht erst sprechen zu sollen. Aristobulos Ursiklos hatte seinerseits hierzu noch weniger Ursache: da ihm aber im Grunde seine Haut nicht wohlfeil war, wußte er es seinem Nebenbuhler doch recht viel Dank, daß er ihn aus dieser bösen Patsche gezogen hatte.

Wie stand es nun aber um den vielgerühmten Grünen Strahl? Soviel mußte man ihm lassen, daß er sich auf höchst merkwürdige Weise betteln ließ! Dabei war wirklich keine große Zeit mehr zu verlieren. Die herbstliche Jahreszeit drohte nun ehestens den Himmel mit seinem Nebelschleier zu bedecken. Dann würde von hellen klaren Abenden, mit denen der September unter diesen hohen Breitegraden ohnehin geizt, schwerlich noch viel die Rede sein: von scharf begrenzten Horizonten, die mehr aussehen wie mit dem Zirkel eines Feldmessers »gerissen«, als mit dem Pinsel eines Malers skizziert, noch weniger! Sollte man also noch darauf Verzicht leisten, diese Naturerscheinung, nun schon die Ursache so mannigfachen Ortswechsels, zu sehen? Sollte man sich wirklich gezwungen sehen, die Beobachtung derselben auf das nächste Jahr zu verschieben, oder starr daran festzuhalten, die Möglichkeit der Beobachtung unter andern Himmelsstrichen zu suchen?

Fürwahr! nicht bloß für Miß Campbell, sondern nicht minder auch für Olivier Sinclair war der Fall im höchsten Maße ärgerlich, sie wurden beide tatsächlich fuchswild, daß der Horizont der Hebriden immer und immer unter den Dünsten des hohen Meers verfinstert blieb.

Während der ersten vier Tage dieses nebligen Septembermonats wurde es nicht anders. Abend für Abend saßen Miß Campbell, Olivier Sinclair, die Brüder Sam und Sib, Frau Elsbeth und Partridge auf irgend einem der von den leichten Wellen der Flut bespülten Felsen und wohnten gewissenhaft dem Sonnenuntergänge bei, der jedenfalls einen Strahlenreichtum von weit erhabenerer Schönheit zeigte, als wenn er an völlig reinem Himmel stattgefunden hätte.

Angesichts solcher gloriosen Apotheosen, wie sie sich hier abspielten, wenn der Tag zu Rüste ging – angesichts solcher blendenden Farbenskala, wie sie sich von einer Wolke zur andern abschattierte, vom Violett des Zeniths bis zum Rotgelb des Horizonts – angesichts solches blendenden Feuerregens, wie er über Luftgebilde von Felsen niederschoß, hätte jeder Künstler in die Hände geklatscht: hier aber waren die Felsen Wolken, und diese die Sonnenscheibe benagenden Wolken saugten mit ihrem letzten Strahl jenen Strahl auf, den vergeblich das Äuge der Beobachter suchte.

Wenn dann das Gestirn hinter dem Horizont verschwunden war, standen alle enttäuscht auf, wie die Zuschauer eines Zauberstücks, dessen Schlußeffekt durch die Schuld eines Maschinisten versagt hat, und kehrten auf dem weitesten Wege nach der Herberge »Zur Rüstkammer Duncans« zurück.

»Auf morgen!« sprach dann Miß Campbell.

»Auf morgen!« antworteten die beiden Oheime ... »es ahnt uns so, als ob morgen ...«

Und Abend für Abend hatten die Brüder Melvill ihre Ahnung, die einmal wie allemal mit einer Enttäuschung abschloß.

Der 5. September setzte jedoch mit einem prächtigen Morgen ein. Die im Osten lagernden Dunstmassen zerschmolzen in der Wärme der ersten Sonnenstrahlen.

Das Barometer, dessen Zeiger seit ein paar Tagen auf schöne Witterung wies, stieg noch weiter und blieb endlich auf Schön stehen. Es war schon nicht mehr warm genug, daß der Himmel mit jenem zitternden Stöbern der sengenden Sommertage gesättigt gewesen wäre. Die Trockenheit der Atmosphäre war an der Meeresfläche ganz ebenso zu verspüren, wie man sie auf einem Berge in ein paar tausend Fuß Höhe, in verdünnter Luft, gespürt haben würde.

Mit welcher Unruhe alle vier Personen den Phasen des Tages folgten, das läßt sich unmöglich beschreiben. Mit welchem Herzklopfen sie zusahen, ob sich im Himmelsraum ein Wölkchen zeige, das zu schildern, muß man sich versagen. Mit welcher Herzensangst sie den Blick auf die Bahn gefesselt hielten, die von der Sonne auf ihrem täglichen Wege beschrieben wird, dafür einen Ausdruck suchen zu wollen, wäre Verwegenheit.

Zum großen Glück wehte vom Lande her eine leichte aber anhaltende Brise. Da sie über die Höhen im Osten und über die weiten Wiesenflächen des Hintergrundes strich, war es ihr benommen, sich mit den feuchten Bestandteilchen zu füllen, die von großen Wasserstrecken abgegeben und abends von den Seewinden herbeigeführt werden.

Wie lange dauerte aber dieser Tag! Miß Campbell hatte keine Ruhe auf einem Flecke. Der Hundstagshitze trotzend, lief sie hin und her, während Olivier Sinclair die Höhlen der Insel nach einem Standpunkt absuchte, von wo aus sich der Horizont weiter umfassen ließ. Das ehrsame Brüderpaar räumte heute, getreulich halbpart, mit einer ganzen Dose Schnupftabak auf, und Partridge, wie wenn er auf Posten geschickt worden wäre, verharrte in der Haltung und Stellung eines Flurhüters, dem die Wache über die himmlischen Gefilde überwiesen worden.

An diesem Tage sollte, laut Absprache, um 5 Uhr gegessen werden, um recht frühzeitig auf dem zur Beobachtung ausersehenen Standpunkte sein zu können. Um 6 Uhr 49 Minuten würde, wie sich rechnen ließ, die Sonne verschwinden, nicht früher – also würde man die ganze Zeit von etwa 5 bis 6 Uhr 49 Minuten – ziemlich also anderthalb Stunden – zur Beobachtung freihaben!«

»Diesmal, glaube ich, haben wir ihn sicher!« sagte, sich die Hände reibend, der Bruder Sam.

»Ich glaube das auch!« erwiderte, der gleichen Pantomime beflissen, der Bruder Sib.

Gegen 3 Uhr aber setzte es Alarm. Im Osten stieg eine dichte Wolkenschicht, eine Bildung von Haufenwolken, herauf und trieb, von der Landbrise gejagt, nach dem Ozean zu.

Die erste Person, die ihrer ansichtig wurde, war Miß Campbell. Sie war außer stande, einen Ausruf der Enttäuschung zurückzuhalten.

»Sie tritt allein auf, diese Wolke, und wir haben von ihr nichts zu befürchten, sagte der eine Oheim: »es wird nicht lange dauern, so verschwindet sie wieder.«

»Wenn sie nicht schneller zieht als die Sonne,« versetzte Olivier Sinclair, »und nicht noch vor ihr hinter dem Horizont verschwunden ist.«

»Wenn nun aber diese Wolke der Vorläufer einer Nebelbank ist?« fragte Miß Campbell.

»Das muß man eben sehen,« antwortete Olivier Sinclair und begab sich im Laufschritt zu den Klosterruinen. Von dort konnte sein Blick weiter nach Osten, über die Berge von Mull hinaus, dringen.

Diese Berge zeichneten sich mit außerordentlicher Schärfe am Himmel ab; ihr Grat hatte Aehnlichkeit mit einer mit Bleistift auf einem vollständig weißen Hintergrunde gezeichneten Schlangenlinie. Am Himmel war kein anderer Dunst, und der scharf herausgehobene Ben More war bei 3000 Fuß über dem Meeresspiegel von Nebel gänzlich frei.

Nach einer halben Stunde kehrte Olivier Sinclair mit ein paar beruhigenden Worten zurück. Diese Wolke war bloß ein einziges im Weltenraume verirrtes Kind, das obendrein in dieser ausgedörrten Atmosphäre keine Spur von Nahrung finden würde und deshalb unterwegs an Erschöpfung eingehen müßte.

Der weiße Wolkenbüschel rückte inzwischen zum Zenith herauf. Zum großen Verdruß aller Beteiligten verfolgte er die Sonnenbahn und kam unter dem Einfluß der Brise derselben näher. Auf ihrem flinken Zuge durch den Raum veränderte die Wolke die Form in der Gegenströmung der Luft. Zuerst hatte sie wie ein Hundskopf ausgesehen, dann zeigte sie die Konturen eines Fisches, am ehesten einem Riesenhai vergleichbar; dann ballte sie sich zur Kugel zusammen, schwarz und finster im Mittelpunkte, hellglänzend an den Rändern, und erreichte als solche gerade im richtigen Moment die Sonnenscheibe.

Da entrang sich Miß Campbells Kehle ein Schrei und ihre Arme streckten sich gen Himmel.

Das hinter diesem Dunst- und Nebelgestirn versteckte Strahlengestirn sandte keinen einzigen seiner Strahlen mehr auf die Insel. Iona, das außerhalb der direkten Bestrahlungszone befindlich war, hatte sich eben mit einem großen Schatten verhüllt.

Aber bald verrückte sich der große Schatten. Die Sonne wurde wieder sichtbar in all ihrem Glanze. Die Wolke senkte sich nach dem Horizont hernieder. Sie sollte ihn nicht einmal erreichen, denn nach Verlauf von einer halben Stunde zerfloß sie, fast als ob sich am Himmel ein Loch gebildet hätte.

»Ach! endlich, endlich ist sie verflogen!« rief das junge Mädchen – »ach! wenn doch keine mehr hinter ihr herkäme!«

»Nein! beruhigen Sie sich, Miß Campbell,« versetzte Olivier Sinclair; »wenn diese Wolke so schnell verschwunden ist und auf solche Weise verschwunden ist, so müssen wir den Grund in dem Umstande suchen, daß sie keine andern Dünste weiter in der Atmosphäre angetroffen hat, daß der ganze Raum nach Westen hin von absoluter Reinheit ist.«

Um 6 Uhr abends nahmen die Beobachter an einem Platze, von wo sie einen weiten freien Blick hatten, geschickt gruppiert Aufstellung.

An der Nordspitze der Insel, auf dem obern Grate des Abteihügels, standen sie. Von dieser Höhe aus konnte der Blick im Osten den ganzen hochgelegenen Teil der Insel Mull im Kreise fassen. Im Norden tauchte wie ein in die Fluten der Hebriden geschleuderter Schildkrötenpanzer das Eiland Staffa auf. Jenseits von Staffa hoben sich die Eilande Elva und Gometra von der langgestreckten Küste der großen Insel ab. Nach Westen, Südwesten und Nordwesten zu dehnte sich das unermeßliche Meer.

Rasch sank die Sonne auf einer schrägen Bahn. Der Umkreis des Horizonts skizzierte sich mit einem schwarzen Striche, der ganz den Eindruck machte, als sei er mit chinesischer Tusche gemalt. Auf der entgegengesetzten Seite glühten sämtliche Fenster der Häuser oder Hütten von Iona wie im Widerschein eines Feuers, dessen Flammen goldige Flammen gewesen sein würden.

Miß Campbell und Olivier Sinclair, die Brüder Melvill, Frau Elsbeth und Partridge saßen, von diesem erhabenen Schauspiel ergriffen, in tiefem Schweigen. Die Lider halb schließend, betrachteten sie die Scheibe, die sich zu andrer Form umbildete, die sich mit der Wasserlinie parallel weitete und die Umrisse einer ungeheuren Montgolfiere von scharlachroter Farbe annahm.

»Diesmal, glaube ich, halten wir ihn fest,« sagte Bruder Sam.

»Ich glaube das auch,« versetzte Bruder Sib.

»Ruhig, liebe Oheime!« rief Miß Campbell.

Sie hielten den Mund und hielten auch den Atem an, ganz so, als wenn sie Furcht gehabt hätten, ihr Atem möchte sich zu leichtem Gewölk verdichten, das die Sonnenscheibe hätte verschleiern können. Das Gestirn hatte endlich mit seinem untern Rande den Horizont benagt. Er verbreiterte sich, verbreiterte sich noch immer, ganz so, wie wenn er im Innern mit einem leuchtenden Fluidum erfüllt wäre.

Alle sogen mit den Augen die letzten Sonnenstrahlen auf.

So lauerte Arago in der Einsamkeit von Palma an der spanischen Küste, auf das Feuerzeichen, das auf dem Gipfel der Insel Ibiza aufflammen und ihm den Schluß seines letzten Meridiandreiecks ermöglichen sollte.

Endlich vom obern Bogen noch ein schmales Segment! das letzte, was von der Scheibe noch über der Wasserfläche blieb. Keine 15 Sekunden mehr, und der letzte Strahl würde in den Weltenraum hinausschießen und den zu seiner Aufnahme bereiten Augen den ersehnten Eindruck eines paradiesischen Grün bereiten ...

Plötzlich knallte es mitten zwischen den Felsen längs der Küste, unterhalb des Hügels, zweimal hintereinander. Rauch stieg auf, und zwischen den Schlangen, die er zog, stieg eine ganze Wolke von Seevögeln auf, Möwen, Meerschwalben, Sturmvögel, die durch die beiden unzeitgemäßen Flintenschüsse aufgeschreckt worden waren.

Die Wolke stieg kerzengerade auf, legte sich wie ein Schirm zwischen Horizont und Insel und glitt vor dem scheidenden Gestirn in dem Augenblicke vorbei, als dieses seinen letzten Lichtstrahl über die Wasserfläche hinsandte.

In diesem Augenblicke tauchte über einer Spitze des Küstensaumes, mit der rauchenden Büchse in der Hand, und dem Vogelschwarm mit den Augen folgend, der unvermeidliche Aristobulos Ursiklos auf.

»Ha! jetzt ist es aber genug!« rief Bruder Sib.

»Jetzt wird es tatsächlich zu viel!« rief Bruder Sam.

»Ich hätte den Kerl auf seinem Felsenstück hängen lassen sollen!« sprach Olivier Sinclair bei sich. »Dann hinge er wenigstens noch.«

Miß Campbell preßte die Lippen zusammen, blickte starr vor sich hin und sprach kein einziges Wort.

Abermals, und abermals durch die Schuld von Aristobulos Ursiklos, war der Grüne Strahl verpaßt worden!


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