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Achtzehntes Capitel.
Die Wüste

Das Land vor den Schritten der Reisenden war wirklich zur Wüste geworden, und als am 25. December der Oberst Everest mit seinen Begleitern, nachdem sie einen neuen Meridiangrad gemessen und ihren achtundvierzigsten Triangel vollendet hatten, an der Nordgrenze des Karrou ankam, fanden sie zwischen der Gegend, welche sie verließen, und dem neuen dürren und versengten Lande, das sie durchziehen wollten, keinen Unterschied mehr.

Die zum Dienst der Karawane verwendeten Thiere hatten durch den Weidemangel sehr zu leiden. Auch an Wasser fehlte es, da die letzten Regentropfen in den Sümpfen versiegt waren. Der aus Sand und Thon gemischte Erdboden war für die Vegetation sehr ungeeignet. Die Gewässer aus der Regenzeit, welche durch Sandschichten sickerten, verschwanden fast augenblicklich auf diesem Boden, der mit Sandstein reichlich bedeckt, nicht das kleinste Wassertheilchen festhalten kann.

Durch solche unfruchtbare Gegenden ist Doctor Livingstone mehr als ein Mal auf seinen an Gefahren reichen Forschungsreisen gezogen. Nicht allein die Erde, sondern auch die Luft war so trocken, daß eiserne Gegenstände in der freien Luft nicht rosteten. Der Erzählung des gelehrten Doctors zufolge waren die Blätter der Bäume verschrumpft und welk; die der Mimosen blieben bei Tage, wie sonst bei Nacht, geschlossen; Käfer, die auf den Boden fielen, starben nach wenig Secunden; endlich zeigte ein Thermometer, dessen Kugel man drei Zoll tief in die Erde steckte, zu Mittag hundertvierunddreißig Grad Fahrenheit! (= 56° hundertth.)

So wie der berühmte Reisende manche Gegenden Süd-Afrika's antraf, ebenso zeigte sich dieser Theil des zwischen der Grenze des Karron und dem Ngamisee gelegenen Festlandes den Blicken der englischen Astronomen. Ihre Beschwerden waren groß, ihre Leiden außerordentlich, vornehmlich war's Wassermangel. Diese Entbehrung drückte noch empfindlicher die Thiere, da das spärliche, dürre, staubige Gras kaum hinreichende Nahrung gewährte. Diese weite Landstrecke war nicht allein durch Unfruchtbarkeit eine Wüste, sondern auch deshalb, weil sich kein lebendes Wesen hineinwagte. Die Vögel waren über den Zambese entflohen, um dort Bäume und Blumen wiederzufinden. Die reißenden Thiere wagten sich auch nicht in diese Ebene, die ihnen keine Nahrungsquelle bot. Kaum sahen die Jäger der Karawane während der ersten vierzehn Tage des Januar zwei oder drei Paar Antilopen, die mehrere Monate das Trinken entbehren können; es waren solche Oryx, wie die, welche dem Sir John Murray ein so lebhaftes Herzeleid bereitet hatten; besonders Kaamas, mit sanften Augen und aschgrauen mit ockerfarbigen Flecken gesprengtem Fell, unschuldige Thiere, die ihres Fleisches halber sehr geschätzt sind, und welche, wie es scheint, die dürren Gegenden den fruchtbarsten Weideplätzen vorziehen.

Indeß wurden durch die Wanderung unter dieser Sonnengluth, in einer Atmosphäre, die nicht ein Dunstatom enthielt, bei Verfolgung der geodätischen Arbeiten bei Tage und bei Nacht von keinem Lufthauch gekühlt, die Astronomen sichtlich erschöpft. Ihr Wasservorrath in den erwärmten Tonnen nahm ab. Schon hatten sie das Wasser auf tägliche Rationen beschränkt und litten sehr unter dieser Verminderung. Doch war ihr Eifer und ihr Muth so groß, daß sie den Beschwerden und Entbehrungen zum Trotz kein Detail ihrer unendlichen und peinlichen Arbeit vernachlässigten. Am 25. Januar war das siebente Stück des Meridians, einen neuen Grad enthaltend, vermittelst neun neuer Dreiecke ausgerechnet worden, was die Totalsumme der bis dahin construirten Triangel auf siebenundfünfzig brachte.

Man hatte nur noch einen Theil der Wüste zu passiren, und nach der Meinung des Buschmanns mußten sie die Ufer des Ngamisees vor Ende Januar erreichen. Der Oberst und seine Gefährten konnten bis dahin noch für sich selbst aushalten. Aber die Leute der Karawane, die Buschmänner, welche nicht von solchem Eifer beseelt waren, bezahlte Leute, deren Interesse Nichts mit dem wissenschaftlichen der Expedition gemein hatte, Eingeborene, die noch dazu wenig geneigt waren, vorwärts zu gehen, – diese litten sehr durch die Beschwerden des Weges. Der Wassermangel drückte sie sehr empfindlich. Schon hatte man einige durch Hunger und Durst ermattete Saumthiere zurücklassen müssen, und es stand zu befürchten, daß ihre Anzahl von Tag zu Tag geringer wurde. Das Murren, die Klagen wurden mit den Anstrengungen immer größer, Mokum's Rolle ward immer schwieriger und sein Einfluß geringer.

Es wurde bald klar, daß der Wassermangel ein unübersteigliches Hinderniß werden würde, daß man den Weg nach Norden werde aufgeben und sich wieder rückwärts wenden müssen, sei es auch rechts vom Meridian, auf die Gefahr hin, mit der russischen Expedition zusammenzutreffen, um Dörfer zu erreichen, die der Beschreibung David Livingstone's nach in einer weniger unfruchtbaren Gegend liegen.

Am 15. Februar machte der Buschmann den Oberst Everest mit den wachsenden Schwierigkeiten bekannt, gegen welche er vergeblich kämpfte. Die Wagenführer verweigerten ihm schon den Gehorsam. Jeden Morgen beim Aufbruch des Lagers fanden Scenen der Insubordination statt, an welchen sich die meisten Eingeborenen betheiligten. Man muß zugeben, daß diese von der Hitze niedergedrückten, von Durst verzehrten Unglücklichen Mitleid erregten. Zudem wollten die Ochsen und Pferde, durch das kurze, trockene Gras ungenügend genährt, nicht getränkt, nicht mehr fort.

Der Oberst Everest erkannte genau die Lage. Doch hart gegen sich selbst, war er es auch gegen die andern. Er wollte in keiner Weise die Arbeit des trigonometrischen Netzes unterbrechen, und erklärte, daß er, und sollte er auch ganz allein bleiben, vorwärts gehen werde. Uebrigens waren seine beiden Collegen mit ihm einstimmig, und bereit ihm zu folgen, so weit er gehen wollte.

Durch wiederholte Bemühungen gelang es dem Buschmann, die Eingeborenen zu bewegen, daß sie noch eine kurze Zeit lang mit fort gingen. Seiner Schätzung nach konnte der Ngamisee nur noch fünf oder sechs Tagemärsche fern sein. Dort würden die Pferde und Ochsen frische Weiden und schattige Wälder wiederfinden. Dort würden die Menschen ein ganzes Süßwassermeer zu ihren Erquickungen haben. Mokum machte den ersten Buschmännern gegenüber all diese Betrachtungen geltend. Er bewies ihnen, daß, um sich auf's Neue zu verproviantiren, es am kürzesten sei, nach Norden zu gehen. Wirklich, wieder nach Westen umzukehren, hieß auf's Geradewohl sich dem Zufall preisgeben; hinter ihnen lag das verödete Karrou, dessen strömende Wasser alle versiegt sein mußten. Endlich ergaben sich die Eingeborenen in all' diese Gründe und Vorstellungen, und die fast ganz erschöpfte Karawane setzte ihren Weg nach dem Ngami wieder fort.

Glücklicherweise gingen die geodätischen Operationen durch Pfähle oder Fahnenstangen leicht von Statten. Um Zeit zu gewinnen arbeiteten die Astronomen Tag und Nacht. Durch den Schein elektrischer Lampen geleitet, erhielten sie sehr klar gezeichnete Winkel, welche die gewissenhafteste Bestimmtheit befriedigten.

Die Arbeiten wurden also im Zusammenhang und methodisch fortgesetzt, und das Netz vergrößerte sich nach und nach.

Am 16. Januar glaubte die Karawane einen Augenblick, daß das Wasser, mit welchem die Natur hier so geizte, ihnen endlich im Ueberfluß wieder zu Theil werden sollte.

Ein kleiner, ein bis zwei Meilen breiter See wurde am Horizont wahrgenommen.

Man begreift, wie diese Nachricht aufgenommen ward. Die ganze Karawane eilte nach jener Richtung, einem weiten Wasserspiegel zu, in dem sich die Sonnenstrahlen widerspiegelten.

Der See wurde gegen fünf Uhr Abends erreicht. Einige Pferde zerrissen ihre Zügel, entschlüpften den Händen ihrer Führer und stürzten im Galop auf dieses lang ersehnte Wasser zu. Sie witterten, fühlten es und bald sah man sie bis an der Brust darin.

Doch fast augenblicklich kehrten die Thiere wieder an's Ufer zurück. Sie hatten sich nicht an diesem Gewässer erquicken können, und als die Buschmänner herankamen, fanden sie sich vor einem so stark mit Salz versetzten Wasser, daß sie sich nicht daran erfrischen konnten. Die Enttäuschung, ja man kann sagen die Verzweiflung war groß. Mokum glaubte, daß er darauf verzichten müsse, die Eingeborenen noch über den Salzsee hinaus mit fort zu bringen. Glücklicherweise für die Zukunft der Karawane befand sich dieselbe näher am Ngami und den Nebenflüssen des Zambese, als an jedem andern Punkt dieser Gegend, wo man sich trinkbares Wasser hätte verschaffen können. Das Wohl Aller hing also von dem Marsche vorwärts ab. Wenn die geodätischen Arbeiten sie nicht aufhielten, konnte die Expedition in vier Tagen die Ufer des Ngami erreicht haben. Man brach wieder auf. Die Bodenbeschaffenheit benutzend, konnte der Oberst Everest Dreiecke von größeren Verhältnissen errichten, welche die Aufstellung von Zielpunkten weniger häufig nöthig machten. Da man besonders in ganz klaren Nächten operirte, sah man die Feuersignale zum Erstaunen klar, und sie konnten, sei's mit dem Theodolit oder der Winkelmeßscheibe, auf's Genaueste aufgenommen werden. Damit war zugleich Zeit und Mühe gespart. Doch, offen gesagt, sowohl für die von wissenschaftlichem Eifer beseelten, muthigen Gelehrten, als für die in diesem schrecklichen Klima von brennendem Durst verzehrten Eingeborenen, und für die im Dienst der Karawane verwendeten Thiere war es hohe Zeit, den Ngami zu erreichen. Keiner hätte noch vierzehn Tage unter solchen Verhältnissen es aushalten können.

Am 21. Januar begann der flache, ebene Boden sich merklich zu verändern; er wurde holperig und uneben. Gegen zehn Uhr Morgens wurde ein kleiner fünf- bis sechshundert Fuß hoher Berg, nordwestlich, ungefähr fünfzehn Meilen entfernt, gemeldet. Es war der Scorzefberg. Der Buschmann betrachtete aufmerksam die örtliche Lage, und nach ziemlich langem Erwägen sagte er, die Hand nach Norden ausstreckend:

»Dort ist der Ngamisee!«

– »Der Ngami, der Ngami!« schrieen die Eingeborenen und begleiteten ihr Geschrei mit rauschender Beifallsbezeigung. Die Buschmänner wollten voraneilen und die fünfzehn Meilen, die sie noch vom See trennten, im Laufe zurücklegen. Doch gelang es dem Jäger, sie zurückzuhalten, indem er ihnen bemerklich machte, daß es wichtig sei, in diesem von den Makololo's unsicher gemachten Lande sich nicht zu theilen.

Indeß beschloß der Oberst Everest, um die Ankunft der kleinen Truppe am Ngami zu beschleunigen, die Station, die er jetzt einnahm, mit dem Scorzef durch einen einzigen Triangel direct zu vereinigen. Der Gipfel des Berges, durch einen sehr spitzen Kegel gebildet, konnte sehr genau visirt werden und eignete sich also zu einer guten Beobachtung. Man brauchte deshalb nicht bis zur Nacht zu warten, noch eine Abtheilung Matrosen und Eingeborene zur Aufstellung einer Reverbere auf dem Gipfel des Scorzef abzuschicken.

Die Instrumente wurden gerichtet und der die Spitze des letzten südlichen Triangels bildende Winkel wurde zur größeren Sicherheit auf dieser Station nochmals gemessen.

Mokum, der sehr ungeduldig war, die Ufer des Ngami zu erreichen, hatte nur ein provisorisches Lager errichtet. Er hoffte noch vor Anbruch der Nacht an dem ersehnten Gewässer anzukommen; dennoch versäumte er keine seiner gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln und ließ die Umgegend durch einige Reiter durchstreifen. Links und rechts gab es Gehölze, die es klug war, zu durchsuchen. Man hatte indeß seit jener Oryxjagd keine Spur mehr von den Makololo's gesehen, und es schien, als hätten diese das Ausspüren der Karawane aufgegeben. Dessenungeachtet war der Buschmann mißtrauisch auf der Hut, um auf Alles gefaßt zu sein.

Während so der Jäger wachte, beschäftigten sich die Astronomen damit, ihr neues Dreieck zu vollenden. Nach den von William Emery gemachten Aufnahmen würde dieser Triangel sie ziemlich nahe dem zwanzigsten Breitegrad bringen, an welchem der Endpunkt des Bogens, den sie in diesem Theile Afrika's zu messen beabsichtigten, ablaufen sollte. Noch einige Operationen jenseit des Ngami, und sehr wahrscheinlich würde man damit das achte Stück des Meridians erhalten. Dann, nachdem man eine Prüfung der Berechnung vermittelst einer neuen, direct auf dem Boden gemessenen Basis vorgenommen, würde das große Werk vollendet sein. Man begreift also, von welchem Eifer diese kühnen Männer beseelt waren, als sie sich dem Ziele so nahe sahen. Und wie hatten währenddessen die Russen ihrerseits operirt? Seit den sechs Monaten der Trennung der Mitglieder der internationalen Commission, wo waren wohl in diesem Augenblick Mathieu Strux, Nikolaus Palander, Michel Zorn? Hatten sie ebenso harte Mühseligkeiten als ihre englischen Collegen erdulden müssen? Hatten sie auch unter dem Wassermangel, der drückenden Hitze des Klimas gelitten? Waren die Gegenden, welche sie denen von Livingstone beschriebenen nahe brachten, weniger dürr?

Vielleicht, denn es gab von Kolobeng an Dörfer und Flecken wie Schokuané, Schoschong und andere, nicht weit rechts vom Meridian, in denen sich die russische Karawane wieder versorgen konnte. Doch stand nicht zu befürchten, daß in dieser weniger öden, und daher von Räuberbanden unaufhörlich belästigten Gegend, die kleine Truppe von Mathieu Strux sehr den Gefahren ausgesetzt gewesen? Mußte man nicht aus dem Umstand, daß die Makololos die Verfolgung der englischen Expedition aufgaben, schließen, daß sie sich der russischen auf die Spur geworfen hatten?

Der immer in Gedanken vertiefte Oberst Everest dachte oder wollte nicht an diese Dinge denken, aber Sir John Murray und William Emery unterhielten sich häufig über das Schicksal ihrer ehemaligen Collegen. Sollte es ihnen beschieden sein, sich einander wiederzusehen? Sollten die Russen bei ihrem Unternehmen Glück haben? Würde dasselbe mathematische Resultat, das heißt, der Werth des Längegrades in diesem Theile Afrika's bei beiden Expeditionen, die gleichzeitig, doch getrennt, die Errichtung des trigonometrischen Netzes verfolgt hatten, übereinstimmend sein? Dann gedachte William Emery an seinen Gefährten, dessen Abwesenheit ihm so schmerzlich war, und er wußte wohl, daß auch Michel Zorn ihn niemals vergessen würde.

Indessen hatte die Messung der Winkeldistanzen begonnen. Um den an der Station anliegenden Winkel zu erlangen, handelte es sich darum, zwei Zielpunkte zu haben, von denen einer durch den kegelförmigen Gipfel des Scorzef gebildet wurde. Zum andern, links vom Meridian, wählte man einen spitzen nur vier Meilen entfernten Hügel. Seine Richtung ergab sich durch eins der Gläser der Winkelmeßscheibe.

Wie schon gesagt, war der Scorzef verhältnißmäßig weit entfernt. Doch hatten die Astronomen keine Wahl, da dieser isolirt stehende Berg der einzige Kulminationspunkt der Gegend war. Es gab wirklich weder nördlich noch westlich, noch jenseits des Ngamisees, den man noch nicht bemerken konnte, irgend eine andere Anhöhe. Nun nöthigte die Entfernung des Scorzef die Beobachter, sich ziemlich weit rechts vom Meridian zu begeben, doch begriffen sie nach reiflicher Ueberlegung, daß sie noch anders verfahren konnten. Der allein stehende Berg wurde also mit größter Sorgfalt vermittelst des zweiten Glases der Winkelmeßscheibe visirt, und die Abweichung der beiden Gläser ergab die Winkeldistanz des Scorzef von dem Hügel, und demzufolge das Maaß des an der Station selbst gebildeten Winkels. Um noch genauere Annäherung zu haben, wiederholte der Oberst zwanzigmal dies Verfahren, wobei er die Stellung seiner Gläser veränderte; auf diese Weise theilte er die möglichen Irrthümer der Lesart durch zwanzig, und erhielt eine Winkelmessung von absoluter Genauigkeit.

Trotz der Ungeduld der Eingeborenen wurden diese Operationen von dem unempfindlichen Oberst Everest mit derselben Sorgfalt, wie in seinem Observatorium zu Cambridge gemacht. Der ganze 21. Februar verstrich auf diese Art, und erst zu Ende des Tages, gegen halb sechs, als das Lesen der Ränder schwierig wurde, beendete der Oberst seine Beobachtungen.

»Jetzt bin ich Ihnen zu Verfügung, Mokum, sagte er darauf zum Buschmann.

– Das ist wirklich nicht zu früh, Herr Oberst, antwortete Mokum, und ich bedaure, daß Sie Ihre Arbeit nicht vor der Nacht fertig bringen konnten, denn wir würden versucht haben, unser Lager an die Ufer des Sees zu verlegen!

– Aber was hindert uns, aufzubrechen? fragte der Oberst. Fünfzehn Meilen, wenn auch in dunkler Nacht zu machen, können uns nicht zurückhalten. Der Weg ist ein gerader, durch die Ebene selbst, und wir brauchen nicht zu befürchten, uns zu verirren.

– Ja! ... wirklich ... erwiderte der Buschmann, der mit sich zu Rathe zu gehen schien; vielleicht können wir dies Wagniß vornehmen, obgleich ich vorgezogen hätte, bei hellem Tage durch die dem Ngamisee benachbarten Landstrecken zu gehen. Unsere Leute verlangen sehnlichst, die Süßwasser des Sees zu erreichen. Wir wollen also aufbrechen, Herr Oberst ...

– Wann Sie wollen, Mokum!« antwortete der Oberst.

Dieser Entschluß wurde von Allen gebilligt, die Ochsen vor die Wagen gespannt, die Reiter bestiegen ihre Pferde, die Instrumente wurden in den Wagen gebracht, und um sieben Uhr Abends, nachdem der Buschmann das Zeichen zum Aufbruch gegeben, marschirte die Karawane, vom Durst gespornt, gerade auf den Ngamisee zu.

Getrieben von einem gewissen Instinct als Kundschafter der Gegend, hatte der Buschmann die drei Europäer gebeten, ihre Waffen zu sich zu nehmen und sich mit Munition zu versehen. Er selbst trug die Büchse, die ihm Sir John zum Geschenk gemacht, und in seiner Kugeltasche fehlte es nicht an Patronen.

Man brach auf. Die Nacht war finster und ein dichter Wolkenschleier verhüllte die Sterne. Doch war die Atmosphäre in der dem Erdboden nächsten Schicht frei von Nebel. Der mit außerordentlicher Sehkraft begabte Mokum spürte auf den Seiten und vorwärts.

Einige Worte, die er zu Sir John sprach, bewiesen, daß der Buschmann die Gegend nicht für ganz sicher halte. Daher hielt Sir John auch seinerseits sich auf jedes Ereigniß gefaßt.

Die Karawane zog so drei Stunden in nördlicher Richtung vorwärts, doch bei ihrer Erschöpfung und Müdigkeit ging sie nicht schnell. Man machte nicht mehr als drei Meilen die Stunde, und gegen zehn Uhr Abends war die kleine Truppe noch sechs Meilen vom Ngamisee entfernt. Die Thiere keuchten und konnten in dieser erstickenden Nacht kaum athmen, in einer so trockenen Atmosphäre, daß der empfindbarste Hygrometer keine Spur von Feuchtigkeit gezeigt hätte.

Ungeachtet der dringendsten Mahnungen des Buschmannes bildete die Karawane bald nicht mehr einen festen Kern. Die Männer und die Thiere zogen sich in einer langen Reihe hin. Einige Ochsen waren schon entkräftet auf dem Wege gestürzt. Abgestiegene Reiter schleppten sich mühsam fort, und die kleinste Anzahl Eingeborener hätte sie leicht entführen können. Mokum voll Besorgniß, sparte weder Worte noch Winke, ging von einem zum andern, und versuchte die Truppe auf's Neue zusammenzubringen, aber es gelang ihm nicht, und ehe er es noch bemerkt, war schon eine gewisse Anzahl seiner Männer abhanden gekommen.

Um elf Uhr Abends waren die Wagen, die sich an der Spitze befanden, nur noch drei Meilen vom Scorzef. Trotz der Dunkelheit sah man den Berg sehr deutlich, und er ragte im Dunkel wie eine ungeheure Pyramide empor. Die Nacht vermehrte noch seine wirklichen Dimensionen, verdoppelte scheinbar seine Größe.

Wenn sich Mokum nicht getäuscht hatte, so mußte der Ngamisee hinter dem Scorzef liegen. Es handelte sich also darum, den Berg so zu umgehen, daß man auf kürzestem Wege an die weite Süßwasserfläche gelangte.

Der Buschmann stellte sich an die Spitze der Karawane in Gesellschaft der drei Europäer und war im Begriff, sich links hin zu wenden, als deutliche, obwohl entfernte Schüsse ihn plötzlich zum Halt bestimmten.

Die Engländer hatten ebenfalls ihre Pferde angehalten und lauschten mit leicht begreiflicher Angst.

In einem Lande, wo die Eingeborenen sich nur der Lanzen und Pfeile bedienen, mußte das Knallen von Feuerwaffen sie ängstlich überraschen.

»Was ist das? fragte der Oberst.

– Schüsse! antwortete Sir John.

– Schüsse! rief der Oberst aus, und in welcher Richtung?«

Diese Frage war an den Buschmann gerichtet, welcher erwiderte:

»Diese Flintenschüsse sind vom Gipfel des Scorzef aus gefeuert worden. Sehen Sie, wie das Dunkel sich oben lichtet! Man schlägt sich dort. Das sind ohne Zweifel Makololos, die einen Trupp Europäer angreifen.

– Europäer, sagte William Emery.

– Ja, Herr William, erwiderte Mokum. Dieses starke Knallen kann nur von europäischen Waffen herrühren, und ich möchte hinzusetzen, von gezogenen Gewehren.

– Diese Europäer wären also? ...«

Doch unterbrach ihn der Oberst und rief:

»Meine Herren, wer diese Europäer auch seien, man muß ihnen zu Hilfe kommen.

– Ja! Ja! Auf! Vorwärts!« wiederholte William Emery, dessen Herz sich schmerzlich zusammenzog.

Ehe sie sich nach dem Berg zuwandten, wollte der Buschmann zum letzten Mal seine kleine Truppe sammeln, welche eine Räuberbande unversehens umzingeln konnte. Als der Jäger aber rückwärts kam, war die Karawane zerstreut, die Pferde abgespannt, die Wagen verlassen und einige auf der Ebene umherstreifende Schatten verschwanden schon südwärts.

»Die Feiglinge! rief Mokum aus. Durst, Müdigkeit, Alles vergessen sie, um zu fliehen!« Darauf kehrte er zu den Engländern und ihren tapfern Matrosen zurück, und rief:

»Vorwärts wir Andern!«

Die Europäer und der Jäger eilten unverzüglich nach Norden zu, und benahmen so ihren Pferden den Rest von Kraft und Schnelligkeit.

Zwanzig Minuten später hörte man deutlich das Kriegsgeschrei der Makololos.

Wie groß ihre Zahl war, konnte man noch nicht schätzen. Diese eingeborenen Räuber stürmten augenscheinlich den Scorzef, dessen Gipfel im Feuer strahlte. Man sah von Zeit zu Zeit Menschengruppen an den Seiten auftauchen.

Bald waren der Oberst Everest und seine Begleiter den Belagerern auf der Ferse. Sie saßen nun ab von ihren erschöpften Pferden und mit furchtbar schallendem Hurrah, welches die Belagerten hören mußten, feuerten sie die ersten Schüsse auf die Masse der Eingeborenen. Als die Makololos das Knallen dieser schnellschießenden Waffen hörten, glaubten sie sich von einer zahlreichen Truppe angegriffen. Dieser plötzliche Ueberfall überraschte sie, und sie zogen sich zurück, ehe sie noch Gebrauch von ihren Pfeilen und Wurfgeschossen gemacht.

Ohne einen Augenblick zu verlieren, warfen sich der Oberst Everest, Sir John, William Emery, der Buschmann und die Seeleute, unaufhörlich ladend und abfeuernd, mitten in die Räuberbande. Schon bedeckten ungefähr fünfzehn Leichen den Boden.

Die Makololos trennten sich, und die Europäer drangen in die Oeffnung ein, streckten die ihnen nächsten Eingeborenen zu Boden, und zogen sich dann rückwärts den Bergabhang hinauf.

In zehn Minuten hatten sie den im Dunkel verborgenen Gipfel erreicht, denn die Belagerten hatten ihr Feuer eingestellt, aus Furcht, diejenigen zu treffen, die ihnen so unerwartet zu Hilfe kamen.

Und diese Belagerten waren die Russen! Sie waren alle da, Mathieu Strux, Nikolaus Palander, Michel Zorn, ihre fünf Matrosen.

Von den Eingeborenen, die ehemals ihre Karawane gebildet, war nur noch der Forloper übrig. Diese elenden Buschmänner hatten sie ebenfalls im Moment der Gefahr verlassen.

In dem Augenblick, als der Oberst erschien, sprang Mathieu Strux von einer kleinen Mauer herunter, die den Gipfel des Scorzef krönte.

»Sie, meine Herren Engländer! rief der Astronom von Pulkowa aus.

– Wir selbst, meine Herren Russen, antwortete der Oberst mit ernster Stimme. Hier aber giebt es weder Russen noch Engländer, sondern nur Europäer, die zu ihrer Vertheidigung geeinigt sind.«


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