Vergil
Idyllen
Vergil

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Sechste Idylle

Varus

Der berauschte Silenus, von zwei jungen Satyrn gebunden, singt für die Lösung ein Lied vom Ursprunge der Welt nach Epikurs Vorstellung, und deren Geschichte bis zur Heroenzeit nach alten Volkssagen.

Varus, dem das Gedicht zugeeignet wird, scheint Lucius Alfenus Varus geheißen und Kriegskunde mit epikureischer Weltweisheit vereint zu haben. In der neunten Idylle erwartete von ihm Vergil die Rettung seines durch die Soldaten ihm entrissenen Eigentums; und die Grammatiker sagen, daß er ein Aufseher der Äckerverteilung im transpadanischen Gallien und nach Pollios Abzuge Befehlshaber der Gegend gewesen sei. Das dort versprochene Lob wird hier geleistet; und es erhellt, daß nach dem Brundusischen Frieden der Dichter unter Oktavians Herrschaft im ruhigen Besitz des väterlichen Gütchens war.

Auch dem Dichter Gallus, der in Silens Gesang verherrlicht wird, war Vergil nicht nur als Freund und Kunstgenossen, sondern auch als eifrigem Mitretter verbunden, indem jener, ein tapferer Krieger und Günstling Oktavians, den Auftrag hatte, diejenigen Städte zu schützen, deren Äcker nm verteilt wurden.

 

    Scherzhaft wagte zuerst den Ton syrakusischer Lieder,
Und ohn' Erröten bewohnte die Waldungen unsre ThaliaThalia, die Muse der heiteren und ländlichen Dichtkunst, der Komödie usw., wurde dargestellt mit der komischen Maske, dem Hirtenstab und Efeukranz. .
Als ich Schlachten besang und KönigeDas sind epische Dichtungen. Auch Horaz (Oden IV, 15 Anf.) sagte, er wolle nicht von Schlachten und eroberten Städten singen; Phöbus habe es ihm zornig widerraten. , zupfte das Ohr mir
CynthiusCynthus ist ein Berg auf Delos (heute Castro), Geburtsort des Apollo und der Diana. , sanft anmahnend: Ein Hirt, o Tityrus, weidet
5  Billiger Schafe sich fett und singt ein gedämpfteres Liedlein.
Jetzo, denn dir ist mancher noch übrig, welcher dein Loblied,
Varus, gerne beginnt und traurige Kriege verherrlicht,
Sinn' ich mit Feldgesange das schwächliche Rohr zu begeistern.
Nicht Ungeheißenes sing' ich. Jedoch, wenn einer auch dieses,
10  Wenn er mit Lust es vernimmt, dir, Varus, erschallt Tamariske,
Die mein ganzes Gebüsch. Auch ist nicht werter dem Phöbus
Irgendein Blatt, als welches sich Varus Namen voranschrieb.

    Auf, Pieriden, ans Werk. Es sah'n den entschlafnen SilenusSilenus, der Erzieher und Begleiter des Bacchus, wird hier, wie er im Zustand starker Angetrunkenheit eingeschlafen war, von zwei Frauen oder Satyrn (Chromis und Mnasylus), die Fesseln aus dem Kranze, den er eben noch getragen hatte, verfertigten, gefesselt und gezwungen zu singen. So singt denn Silenus, und sein Gesang begeistert seine Umgebung fast noch in höherem Grade als die Gesänge des Phöbus den Parnaß in Phocis und die des Orpheus die Berge Rhodope und Ismarus.
Chromis einst und Mnasylus, die Jünglinge, ruhn in der Grotte,

15  Starr von gestrigem Weine, wie stets, die geschwollenen Adern:
Ferne lag, nur eben dem Haupt entfallen, der Laubkranz,
Und schwer hing ihm der Humpen mit abgegriffenem Henkel.
Beide nahn, (denn es hatte der Greis mit des Liedes Erwartung
Oft sie getäuscht) und schlingen ihm selbst aus dem Kranze die Fessel.
20  Ihnen gesellt sich zugleich und stärkt die Furchtsamen Ägle,
Ägle, vor allen Najaden die schönere; jetzt, als er aufblickt,
Malet sie Stirn und Schläfen ihm rot mit blutigen Maulbeern.
Lachend der List, ruft jener: Wozu die umschlingende Fessel?
Bindet mich los, ihr Kinder; genug, daß zu können ihr scheinet.
25  Einen Gesang, den ihr wünschet, vernehmt; euch soll ein Gesang sein,
Diese bekommt was andres zum Lohn. Drauf hebt er sogleich an.
Jetzt nach dem Maß des Gesangs sah man Bergfaune und Bergwild
Hüpfen vor Lust; jetzt regte die starrenden Wipfel der Eichforst,
Nicht so freut sich des Phöbus entzückt der parnassische Felsen,
30  Auch nicht RhodopeRhodope und Ismarus sind Zweige des Hämus, wo Orpheus seine Gattin in Liedern beweinte. Der Ismarus ist berühmt durch Weinbau. staunt noch Ismarus also dem Orpheus.

    Denn er sang, wie einmal, durch unendliche Leere gerüttelt,
Hafteten Samen der Erd' und der wehenden Luft und des Meeres,
Auch der ätherischen Glut; wie hieraus jeglicher Ursprung
Ward, und selber erwuchs die zartere Kreisung des Himmels;

35  Wie den Boden zu härten und Nereus' Flut zu umufern
Anfing und allmählich Gestalt der Dinge zu nehmen.
Jetzt, wie die Welt aufstaune zur jugendlich scheinenden Sonne,
Und hochher sich ergieß' aus erhobenen Wolken der Regen,
Während keimende Wälder zuerst aufsteigen, und während
40  Sparsam Lebende irren durch unbekannte Gebirge.
Drauf der Pyrra geworfnes GesteinNach der Vertilgung des Menschengeschlechts durch eine große Überschwemmung (Sintflut) wurden Deukalion und Pyrra, die allein übriggeblieben, von den Göttern angewiesen, Steine hinter sich zu werfen, woraus Menschen entstanden. – Unter »saturnische Herrschaft« ist das goldene Zeitalter zu verstehen. und saturnische Herrschaft
Singt er, des Kaukasus Vögel zugleich und den Raub des PrometheusDer Titane Prometheus hatte dem Jupiter das Feuer entwendet und den Menschen gebracht. Zur Strafe dafür wurde er an einen Felsen des Kaukasus geschmiedet, und ein Adler fraß ihm die jede Nacht nachwachsende Leber aus. ,
Fügt dann hinzu, wo dem Hylas am Born die vermissenden Segler
Laut nachschrien, daß HylasDer Sage nach ein schöner Jüngling aus Öchalia, Begleiter und Liebling des Herkules auf der Argonautenfahrt, wurde von der Küste Mysiens beim Wasserholen von den Nymphen geraubt. der Strand, rings Hylas umherscholl.
45  Und, o PasiphaePasiphae, Tochter des Sol und Gattin des Minos auf Kreta, die auf Anstiften des auf Minos erzürnten Neptun von Liebe zu einem von ihm geschaffenen weißen Stier entbrannte und den Minotaurus gebar. , du so beglückt, wenn nimmer ein Rind war,
Jetzo tröstet er dich mit Genuß des schneeigen Stieres.
Ach, unseliges Weib, wie hat dich betöret der Wahnsinn!
Prötus' TöchterDrei Töchter des Prötus, Königs von Tiryns in Argolis, die wegen Verschmähung des Bacchusdienstes in Raserei versetzt, sich für Kühe hielten. erfüllten die Flur mit falschem Gebrülle:
Doch so empörender Lust hat die durch tierische Buhlschaft
50  Eine gefrönt, obzwar für den Hals sie gefürchtet das Pflugjoch,
Und sich oft nach Gehörn an glatter Stirne getastet.
Ach, unseliges Weib, du selbst nun schweifst in den Bergen:
Jener, die schneeige Seit' auf der sanften Blum' Hyacinthus,
Wiederkäut im Dunkel der Stecheich' hellere Kräuter,
55  Oder verfolgt, was ihm lieb in der Herd' ist. Sperret, o Nymphen,
Ihr diktäische Nymphen, die Windungen sperret des Forstes,
Ob ja vielleicht auf dem Wege sich darbiet' unseren Blicken
Vom umschweifenden Stiere die Spur. O es möchten vielleicht ihn,
Hab' auch grünendes Kraut, auch die reizende Herd' ihn verleitet,
60  Einige Küh' heimführen in unsre gortynische Stallung.
Drauf die hesperischen Äpfel, des MägdleinsAtalante, die Tochter des böotischen Königs Schönus (nach anderer Sage des argivischen Jasius), als kühne Jägerin gepriesen, versprach, den zu heiraten, der sie im Wettlauf besiegen würde. Die, welche sie einholte, tötete sie von hinten. Hippomenes (oder auch Milanion) warf goldene Äpfel auf die Bahn; Atalante ließ sich durch das Auflesen derselben aufhalten und wurde so besiegt. Wunder, besingt er
Drauf die PhaëthontidenDie Töchter des Sonnengottes, Phaethusa und Lampentia, wurden in ihren unaufhörlichen Klagen um den Verlust ihres Bruders Phaeton in Erlen oder Pappeln verwandelt. Die als Tropfen diesen entquillenden Tränen verhärtete sich zu dem Elektrum. in Moos und bittere Rinde
Kleidet er, daß sie dem Grund' als ragende Erlen entsteigen:
Drauf erzählt er, wie GallusDer Elegiendichter Cornelius Gallus, ein Freund des Vergil und Augustus, geboren 66 v. Chr. zu Forum Julii, endete 26 v. Chr. als Statthalter von Ägypten durch Selbstmord. – Der Permessus, ein Fluß Böotiens, der vom Helikon kommt und in den Kopaissee mündet. Um dem zeitgenössischen Dichter Gallus eine Huldigung darzubringen, läßt ihn der Dichter auf dem Helikon von einer Muse antreffen und in den Musenchor einführen. Alle Musen erheben sich und Linus gibt ihm die Hirtenpfeife des Hesiod mit der Aufforderung, den dem Apollo heiligen Hein bei Grynium in Mysien zu besingen. Gallus übertrug ein auf diesen Ort bezügliches Gedicht des griechischen Dichters Euphorion. , den Strom des Permessus umirrend,
65  Auf die aonischenDiesen Namen hatten die Berge von den Aoniern, den ersten Bewohnern Böotiens; auch ganz Böotien, namentlich aber das an Phocis grenzende Gebirgsland, hieß Aonien. Höh'n von der Göttinnen einer geführt ward,
Wie vor dem Manne gesamt Apollos Chor sich erhoben,
Wie dann LinusLinus heißt hier »Hirt« als Dichter des ländlichen Liedes. Nach der Sage soll derselbe sich mit Apollo in einen Wettkampf eingelassen und von diesem getötet worden sein. Der Klagegesang selbst über den frühen Verlust des Hirtenjünglings hieß Linos (λινος). Auf dem Helikon wurde ihm jährlich in Verbindung mit dem Musenopfer ein Totenopfer dargebracht. ihm nahend, der Hirt vom göttlichen Liede,
Schön geschmückt mit Blumen das Haar und bitterem EppichDer Eppichkranz war besonders wegen seines schönen, langdauernden Grüns zu Festkränzen gesucht. ,
Redete: Dieses Geröhr, schau, geben dir, nimm es, die Musen,
70  Welches der Greis aus Askra geführt, auf welchem er tönend
Pflegte die starrenden Ornen herab vom Gebirge zu locken.
Hiermit preise du selbst des gryneischenGryneum, eine in einem lieblichen Hain gelegene Stadt im kleinasiatischen Äolien, berühmt durch ein Heiligtum und Orakel des Apollo. Waldes Entstehung;
Daß kein Hain wo prange zu größerem Stolz dem Apollo.
Meld' ich noch, wie der SzyllaDie alte Sage kennt zwei Szyllen, die eine war die Tochter des megarischen Königs Nisus. Mit dieser verwechselt hier der Dichter die als Meerungeheuer gefährliche Tochter des Meergreises Phorkys. , des Nisus Tochter, besungen,
75  Welche, mit Hundegebell die glänzenden Hüften umgürtet,
Sagt man, dulichischeDie Insel Dulichium in der Nähe Ithakas gehörte zur Herrschaft des Odysseus (heute Curzolari). Barken geschleift, und im tiefen Gestrudel
Ach, die verzagenden Schiffer mit Meerscheusalen zerrissen?
Oder, wie Tereus'Der Thrazierkönig Tereus war mit Prokne, der Tochter des athenischen Königs Pandion und Schwester der Philomela, verheiratet, verbarg dieselbe aber, nachdem sie ihm den Itys geboren hatte, auf dem Lande, um sich mit Philomela zu verbinden. Als diese die Wahrheit erfahren hatte, gab sie ihrer Schwester durch ein Gewebe Kunde von ihrem Schicksal. Prokne kam herbei, tötete den Itys und setzte die Glieder dem Tereus zum Mahle vor. Als Tereus die fliehenden Schwestern einholte, wurden sie in Vögel verwandelt, die eine in eine Schwalbe, die andere in eine Nachtigall, Tereus in einen Wiedehopf oder Habicht. Die Philomela läßt die griechische Sage zur Schwalbe, die Prokne zur Nachtigall werden, später umgekehrt, namentlich bei den römischen Dichtern und auch bei den deutschen, vgl. z. B. Salis-Seemis »Das Mitleid« Str. 4: Herbergst an des Strohdachs Balken Proknes federlose Brut, und »Letzter Wunsch« Str. 4. Glieder er dargestellt in Verwandlung;
Welchen Schmaus und welches Geschenk Philomela ihm darbot:
80  Wie sie eilig entfloh in die Wüste, und wie sie befiedert
Erst noch das eigene Dach umflatterte jammerbelastet.

    Alles, was einst in Phöbus' entzücktem Gesang der EurotasPhöbus hatte häufig am Eurotas seinem Lieblinge Hyacinthus solche Mythen vorgesungen.
Freudig vernahm, und zu lernen gebot den horchenden Lorbeern,
Singet er; hoch zu den Sternen entfliegt aus den Tälern der Nachhall;

85  Bis in die Hürd' eintreiben die Schaf' und die Zählung erneuern
Hesperus hieß, und dem Himmel noch unwillkommen hervorging.

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