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16.
Die singenden Möbel

In einem alten verlassenen Schlosse fingen um Mitternacht die Möbel an zu singen. Die Spiegel sangen:

In uns schaut nimmer
Ein liebes Gesicht,
Verdüsterter Schimmer
Uns grausig umflicht.
Es wanket und gleitet
Der grünliche Schein
Der Waldnacht hinein;
Uns Ärger bereitet.
Viel lieber wir sähen
Eines Faltenrocks Rauschen
Eines Busens Blähen,
Eines Auges Lauschen,
Eines Mundes Lächeln.
Eines Fächers Fächeln;
Das sind Sachen,
Die einem ehrlichen Spiegel
Freude machen.

Nachdem die Spiegel gesungen, blieb es eine Weile still, dann erhob sich eine grobe quäkende Stimme, und das Sofa sang:

Auf meinen Kissen,
Sollt ihr wissen,
Lag schon seit langem kein schöner Arm,
Keine Hüfte warm
Hat in die Ecke sich eingezwängt,
Es streckt sich nicht
Auf meinem Polster ein Bein.
Eines Nackens Licht
Gräbt nicht mehr in meine Kissen sich ein.
Ich steh allein.
Wann wird mir wieder Belebung geschenkt?

Die Kommode klapperte mit ihren Messingspangen und sang dann:

Seit langem bewahr ich
In meinen Fächern beiden
Nichts was haarig,
Nichts was seiden.
Kein Müffchen,
Kein Kinkerlitzchen,
Kein Atlaspüffchen
Kein rotes Mützchen.
Kein silbern Fläschchen,
Kein Nadelbüchschen,
Kein seiden Täschchen
Für goldne Füchschen! –
Wann füllen sich wieder
Mir Brust und Glieder
Mit Ambragedüfte?
Die Messingspangen
An meiner Hüfte,
Wann werden von zierlichen Händen
Sie wieder umfangen?
Wann fühl von Knie und Lenden
Ich liebliches Drücken
An meinen Nußbaumwangen?
Wann, o wann
Kommt die alte Kommode
Wieder in Mode?

Die Wanduhr tat einen gellenden Ruck, als wollte sie schlagen, aber statt des Schlagens sang sie:

Immer halb neun!
Ob Morgen, ob Abend, ob Mittag, ob Nacht,
Immer halb neun!
In mir arbeitet Gram.
Es setzt sich an meine Räder
Des Kummers Rost,
Ich bekenne mit Scham:
Verstockt ist jede Feder,
Verkleistert jede Wendung.
Ich verfehle meine Sendung.
Ich zeige nicht mehr an,
Wenn sich küßt Weib und Mann,
Wenn geboren wird ein Kind,
Wenn die alte Großmutter blind
Ihren letzten Faden spinnt.
Ich geh nicht mehr Schritt vor Schritt
Mit dem Hause mit;
Ich stehe still,
Es mag geschehen was will
Ich bleibe halb neun!
Das darf nicht sein.
Eine ehrliche Uhr bringt das um,
Bleibt sie ewig stumm;
Sie will sprechen, will erzählen,
Will für des Hauses Wohl
Sich mühen und quälen.
Der Kuckuck hol
Ein solch' ewiges Schweigen
Ein solch' ewiges Ruhn!
Man will sich zeigen,
Man will was tun.
Auf denn! Den Schlüssel herbei!
Hei! hei!
Hört mich denn niemand? Mich aufgezogen
Mit Öl mich getränkt!
Gott steh mir bei, was es nur denkt
Das träge Gesinde!
Dort an dem Spinde
Hängt ja mein Schlüssel!
Eingesteckt,
Aufgeschreckt,
Den Pendel geneckt,
Daß er wieder sich rührt,
Wie sich's gebührt,
Daß es wieder wird lebendig in meinem Haus.
Heraus! –
Rasch, rasch –
pasch, pasch!
Ha, wenn ich wieder ticke!
Wie stolz ich dann um mich blicke! –
Vergebens! Es bleibt alles stumm.
O wie dumm!
Hat man darum eine Uhr
Damit sie schweige? Das ist wider die Natur!

Das Himmelbette mit seinen Damastvorhängen fing nun auch an:

Was wollt ihr nur klagen,
Nur ich weiß zu sagen,
Was einsames Leid
Bedeutet in dieser bösen Zeit.
Wenns dunkel wird,
Und der Sonnenglanz schwächlich
Über Wände, Decke und Möbel irrt,
Wenn zur Ruhe gemächlich
Alles sich anschickt, in Nacht versinkt
Das ganze Haus,
Mit Kind und Kegel, mit Mann und Maus,
Wenn die Fliege nicht mehr summt,
Der Käfer nicht mehr brummt,
Im tiefen Kellerraum
Die kleine Maus liegt im Traum,
Die Vögel schlummern oben auf dem Dach,
Und selbst an den Wänden
Die Bilder nicht bleiben wach,
Da zog mit leisen Händen
Ein Etwas die Decke von meinem Leib,
Und zu mir hinein stieg das schönste Weib.
Den schneeigen Pfühl
Bot ich ihr kühl,
So daß die schöne Gestalt
Anfangs süß schaudernd zusammen sich ballt;
Doch immer wärmer verbreitet sich Leben,
Meine Federn zittern, meine Pfühle beben.
Ich dringe mit Inbrunst ganz auf sie ein,
Und sie ergibt sich mit liebendem Sein;
Wir schmiegen uns wonnevoll aneinander.
Ist's ihr Busen – ist's mein Kissen?
Nicht zu unterscheiden wir es wissen.
Ist's mein rundes Polsterende?
Ist's ihr Knie, das hinrutscht behende?
Beide sind glatt, sind weiß, sind warm
Beide sind wundervolle Polster, es ruht
Sich auf dem einen, wie auf dem andern gut.
Und um mein Kissen schlingt sich ein Arm.
Und, o wie fein,
Ein Ohr so klein
Legt sich auf den Pfühl,
Und eine Wange kühl
Gräbt tief sich ein.
Jetzt schlummert sie ein.
Rings wird es stille
Kein Lufthauch zittert
Am weiten Behänge,
Keine Falte knittert,
Die Nacht behauptet
Ihr Recht gar strenge.
Ich aber wahre
Mein köstlich Gut,
Bis die Morgensonne, die klare
Wieder auf den Scheiben ruht;
Dann steigt sie aus mir empor,
Lieblich gerötet bis über's Ohr.
Ich bleibe zurück, durchsogen von Glück
Und bilde mir ein, daß noch lange, lange
Die Jungfraunwange
An meiner ruht.

Ganz zuletzt hub noch mit feiner kläglicher Stimme ein kleines Porzellangefäß an, das unter dem Bette stand. Es sang:

Ach, ich schweige;
Den Kummer, den ich fühle
Ermißt kein Herz.
Wozu den Schmerz
Der kalten Welt erzählen? Neige
In Demut, wer wie ich
Zu darben bestimmt ist, sein Haupt.
Nur ein Wort sei mir erlaubt:
Seit Monden bin ich bestaubt
Der Veilchenstrauß gemalt
Von Meisterhänden auf meinem Grunde
Ihm fehlt zur Stunde
Der Tau, der ihn feuchtet,
Der Tau, der ihn tränkt.
Nun denkt selbst, ward je ein Wesen
So weit die Sonne leuchtet,
Schlimmer wie ich gekränkt?

Die übrigen Möbel gaben dem kleinen porzellanenen Gefäß völlig recht und erklärten es unter all dem Geräte, das hier in der Einsamkeit darbte und sich langweilte, für das Beklagenswerteste.

Könnt ihr euch noch besinnen, hub die Kommode an, auf die schöne Frau, die hier zuletzt in diesen Räumen sich bewegte?

O wie sollten wir nicht, rief der Spiegel. Ich nahm ihre schöne Gestalt noch in mir auf, bevor sie von Blut triefte und von den häßlich klaffenden Wunden entstellt war.

Ha! rief das Bett – ein Mord also? Ich hab davon nichts gesehen, denn meine Vorhänge waren zugezogen.

Auch ich hab nichts bemerken können, sagte das Sofa! denn ich lag voll abgelegter Kleider, Unterröcke, Leibchen und ein Hemde – da kann denn der Scharfsichtigste nichts beobachten.

Wer kann uns nur den Vorfall erzählen? fragte die Kommode. Ich brenne vor Begier, ihn zu erfahren von einem, der von Anfang bis Ende dabei war.

Die Badewanne könnte das, rief die Uhr, aber die spricht nicht. Sie ist zu träge und kümmert sich um nichts.

Sie gehört auch nicht zu den Möbeln, sagte das Sofa stolz. Ich möchte mich nicht mit ihr einlassen.

Eigentlich zur »guten Gesellschaft« gehört sie auch nicht, bemerkte der Spiegel. Man könnte dann auch das Waschbecken dazu zählen.

Ah – oh! Die Geschichte! rief die Uhr. Ist denn niemand da, der sie uns erzählen kann?

Im Winkel am Kamin rührte sich etwas, es war ein bestaubter und angelaufener silberner Leuchter mit einem Stümpfchen Wachskerze darin. Ich kann es euch erzählen, hub der Leuchter an, denn ich hab alles mit angeschaut und sogar dabei geleuchtet.

Erzähle, erzähle! riefen alle Möbel.

Es trat für einen Augenblick eine tiefe Stille ein, während man ein leises Wackeln und Rutschen in der Kaminecke vernahm. Der Leuchter, der sehr eitel war, schob sich etwas vor, um sich als Erzähler und Berichterstatter gehörig vor allen Möbeln in der Stube sehen zu lassen. Dann begann er:

In fälschlichen Verdacht
War unsre schöne Frau gesunken,
Als hätte ihrer Ehr nicht Acht,
Wär im Lasterpfuhl versunken,
Ihr Mann hatte geschworen,
Sie in der Nacht, von der ich spreche,
Mit einem Dolche zu durchbohren,
Im Wahn,
Daß er sich und seine Ehre räche.
Nun hört mich an:
Das Zimmer war wie jetzt;
Nur brannt' im Kamin ein Feuer,
Und ein Stuhl war hingesetzt,
Und ein Teppich, ein neuer
Tät flockig grün
Den Boden überziehn,
So daß der nackte Fuß gar mild
Tief einsank in das Blütgefild,
Wie wenn bei später Abendglut
Man über die Wiese wandeln tut
Und sinkt bei purpurrotem Schein
In Gras und Kräuter tief hinein.
Das Sofa stand wie jetzt, an der Wand
Mit rotem Plüsch
Und eingefaßt mit güldnem Band,
Die Tische will ich gar nicht schildern
Belegt mit Büchern, Mappen, Bildern,
Erwähnen will ich nur
An der Tür die Klingelschnur;
An diese faßte, und rief: Hanne!
Die Frau, wenn sie entstieg der Wanne.

Es war acht Uhr, da trat sie ein
Und bei dem milden Schein –
Man hatte mich gestellt zur Hand
Hinter die rote Seidenwand –
Macht sie sich zum Bade bereit.
O süße Zeit!
Fürs erste ging sie auf und nieder,
Und legte hier ein Bändchen,
Dort ein Schleifchen,
Ein Schlümperchen, ein Flatterendchen,
Ein Reifchen, und ein Steifchen,
Ein Geplättetes und ein Gerunzeltes,
Ein Gefälteltes und ein Gebunzeltes
Und endlich legt' sie zuletzt auch ihr Hemde ab
Und ging nun auf und nieder
Ganz nackig, und vom roten Schein
Umflossen die weißen Glieder.
In die Nacht,
Und dann wieder hervor mit Pracht,
Und wieder in die Nacht,
Und wieder hervor mit Pracht! –
So wandelte in ihrem Heiligtume,
Die schöne Frau wie eine prächtige Blume.
Dann steht sie vor dem Spiegel gut,
Der nimmt sie auf in seine schwarze Flut
Und frißt und trinkt in sich hinein
Der Glieder wundervollen Schein,
Wie ein Wolf trinkt des Lammes Blut,
So saugt er in sich der Brüste Glut,
Der Hüften Wölbung, den Schatten fein,
Der sich eingenistet,
Zwischen den Marmor der Schenkel ein!
Er möchte gern ewig sie bei sich haben,
Doch auch die andern Möbel wollen sich laben
Das Sofa schon brünstig die Arme ringt,
Vor Sehnsucht dem Stuhl die Feder springt,
Die schöne Frau spottet sein
Und steigt in die Wanne ein.
Das Wasser bedeckt sie mit heißem Schwall
Und drückt sich an, all überall –
Doch eh sie untersinkt,
Ein paar Stücklein Holz sie engelgut,
Dem Kamin gibt für seine Glut.
Ich seh sie noch, wie aus der Wanne,
Emporgebeugt mit weißem Schenkel,
Sie hinwirft den Gemahl der Tanne,
Und vom Lindenbaum den Enkel,
Und während es knurrt,
Auf dem Roste murrt,
Sinkt sie lächelnd hinab in den Grund
Und bleibt in der Wanne wohl eine Stund.

Indessen schleicht sich heran der Mord;
Es flüstert ein Wort
Draußen auf dem Gange,
Es wird ihr bange,
Sie will dem Bad entsteigen,
Da hält sie ein Arm
Ein Mund gebietet Schweigen.
Eines Dolches Spitze
Mit rotem Blitze
Trifft auf des Busens Glanz,
Sie ringt, sie windet sich, ein Kranz
Von nassen Haaren
Fliegt dem Mörder um Hüfte und Bein,
Sie zerrt ihn in die Stube hinein
Das nackte Weib;
Sie schlingt um seinen Leib
Den schneeigen Arm, er wankt
Sie hat mit dem nassen Schenkel
Sein Bein umrankt,
Will es biegen und niederdrücken,
Es kann nicht glücken,
Er ist der Stärkere –
Die geschwinde Faust
Um ihren Nacken saust,
Das Messer trifft das Herz;
Groß ist der Schmerz,
Gräßlich der Angstschrei,
Fürchterlich der Sturz
Der Kampf ist nicht kurz,
Endlich ist er vorbei.
Im Hofe steht ein Brunnen,
Mit schwarzer Flut,
In seiner Tiefe
Der Leichnam ruht. –
Den bösen Mann,
Als er die Tat getan,
Anwidert der Ort;
Er muß fort.
Er säuberte das Schloß
Von allem, was lebet;
Er selbst schließt die Tür
Und schleudert den Schlüssel
In des Sees Tiefe
Der unten sich hebet.
Daß ewig nun schliefe
Das Gedächtnis der Taten,
Die hier sind beraten.

O grausenvolles Geschick! riefen die Möbel einstimmig, als der Leuchter seine Erzählung beendet hatte. Wann wird nun wieder jemand hier einziehen, der Frieden und Ruhe bringt?

Ja wann? rief das kleine porzellanene Gefäß. Ein Narr kann viel fragen. Ich glaube, daß niemand kommen wird, um hier zu wohnen, und wir werden alle in Moder und Staub zerfallen.

Wie, wir alle? rief das Bette. Auch ich? Es soll niemand mehr in mir schlafen?

Und auf mir niemand sitzen? rief das Sofa.

Und in mich niemand hineinblicken? klagte der Spiegel.

Und ich, rief die Uhr, ich soll immer halb neun bleiben? Unmöglich.

Nun, ihr werdet sehn! entgegnete das Porzellanene. Der Schlüssel liegt im See. Wer soll kommen? Jedenfalls bin ich am meisten zu beklagen, wie ich schon vorhin die Ehre hatte zu sagen.

O verwünschtes Haus! riefen alle Möbel mit einer Stimme.

O glückseliges Haus! tönten Stimmen vom Gesims und aus den Ecken, und der Chor der Spinnen sang:

O Haus voller Wonnen!
Glückselige Wände!
Ohne Rast, ohne Ende
Spinnen wir hier,
Im öden Revier,
Und bekleiden die Wände;
Nie kommen Hände
Und reißen ein, was wir gesponnen,
O Haus voll Wonnen,
Glückselige Wände!


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