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Von der Betrachtung des olympischen Originals hat jede moderne Studie über unseren Meister auszugehen. Mit Hilfe dieses verlässlichsten Prüfsteins sind die alten und neuen Zuweisungen namenloser Statuen an unseren Meister zu untersuchen. Bevor wir jedoch (innerhalb der Grenzen dieser Darstellung) daran schreiten, muss eines andern Originals, wenn nicht der Hand, so doch der Werkstatt des Praxiteles gedacht werden, das uns vor nicht langer Zeit der griechische Boden wiedergeschenkt hat.

Es handelt sich um jene drei Reliefplatten von der Basis einer praxitelischen Originalgruppe der Leto mit ihren Kindern in Mantinea; auch ihre Kunde verdanken wir dem »Führer« des Pausanias; ja er hat sogar eine der Reliefplatten, die interessanteste unter den drei uns erhaltenen, einer kurzen besonderen Erwähnung gewürdigt.

Geschildert ist der musische Agon zwischen Apollon und Marsyas, im Beisein eines Jünglings in barbarischer Tracht, der den besiegten Marsyas schinden wird, und der neun Musen. Die Erfindung und Komposition des Ganzen stehe ich nicht an, eine Meisterleistung zu nennen, die gebieterisch zur Annahme drängt, dass wenigstens der Entwurf auf Praxiteles selbst zurückgeht, während die Ausführung vielleicht anderen Händen überlassen wurde.

Voller Leben und Spannung ist die Erzählung auf der ersten Platte. Hier müht sich Marsyas mit grotesken Sprüngen, seiner Doppelflöte bezaubernde Töne zu entlocken, während ihm gegenüber in unheimlicher Ruhe, starr, die Augen fest auf den Satyr geheftet, in reicher Gewandung der Gott dasitzt, auf dem Schoss eine mächtige Kithara, die er mit der Linken stützt. In dem Gegensatz der feierlichen und grossen Haltung Apollos zu den eckigen Sprüngen des Satyrs lebt jener alte Kontrast zwischen Griechen- und Barbarentum, zwischen Kultur und Unkultur, den die griechische Kunst so gerne verherrlicht hat.

Sauroktonos. Marmor. Rom, Vatikan

Zwischen Gott und Satyr steht der Skythe, die Linke leicht in die Hüfte gestützt, die Rechte mit dem Messer hängen lassend. Er neigt den Kopf. Ihm, dem blossen Werkzeug der göttlichen Rache, scheint der Ausgang des Wettkampfes völlig gleichgültig zu sein. Auf den übrigen Platten sind je drei Musen, sitzend oder stehend, in der üblichen reichen Gewandung, aber noch nicht individualisiert wie in späterer Zeit, dargestellt. Ruhig, mit leisem Lächeln hören sie dem Spiel des Hüpfenden zu. Den Tadel, den auch ihre Verteidiger diesen Musengruppen zu Teil werden liessen, verstehe ich nicht. So sollen sie z. B. nicht komponiert sein; aber sie sind es sehr deutlich, wenn auch mit leisen Mitteln. Man beachte z. B., wie die Aussenfiguren jedesmal gegen die Mitte bewegt sind. Still stehen sie nebeneinandergereiht, wie die Heiligen einer venezianischen santa conversazione, und hier wie dort bewirkt diese lautlose Art zu komponieren eine ruhevolle, harmonische Stimmung.

Von den Gewandmotiven der Musen ausgehend, haben Amelungs schöne und ergebnisreiche Untersuchungen (»Die Basis des Praxiteles aus Mantinea«, München, 1895) allerlei stilistisch Verwandtes und Gleichartiges aus der Welt der Statuen um jenes Denkmal gruppiert und mit der Kunst unseres Meisters in bald engeren bald weiteren Zusammenhang gebracht. Hier ist auch der interessante Versuch gemacht, die Entstehung der berühmten Musengruppe im vatikanischen Oktogon auf Praxiteles zurückzuführen. Auf diese und andere Zuweisungen (worunter vor allen die des »Eubuleus« in Athen in Betracht käme) näher einzugehen, verbietet leider der Zweck dieser Schrift, in der nur das völlig Gesicherte und der Diskussion Entrückte zur Erkenntnis des Wesens der praxitelischen Kunst verwendet werden soll.

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