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Endlich ist zweier Reliefs zu gedenken, deren Zusammenhang mit der Kunst des Phidias ausser allen Zweifel gesetzt ist; auch sie gehören zu den meistbewunderten Denkmälern der Kunst.

Das eine von ihnen steht im athenischen Nationalmuseum, eine hohe Platte mit flachem Relief, das oben und unten durch eine Randleiste rahmenartig begrenzt ist; der malerische warmgelbe Ton des Steines mit seinen grauen Flecken ersetzt beinahe die einstige Polychromie.

Es ist ein Dreifigurenbild, in der Mitte steht nach links gewendet ein Knabe, der aus der rechten Hand der vor ihm stehenden Frau etwas empfängt, während ihm das Mädchen hinter ihm einen Kranz um den Scheitel legt, der nicht plastisch gebildet, sondern aufgemalt war und heute geschwunden ist. Die Darstellung ist seit langem auf den Knaben Triptolemos, den Liebling der Demeter, gedeutet, den sie von Eleusis aus über die Erde entsendet, um die Menschen den Anbau des Getreides zu lehren. In Eleusis, dem wichtigsten Kultort Demeters und der Kore ihrer Tochter, ist denn auch unser Relief gefunden. Kore ist hier in der Fackelträgerin hinter Triptolemos dargestellt.

Wieder im ärmellosen dorischen, hier unter dem Überschlag gegürteten Chiton, auf rechtem Stand-, linkem Spielbein, mit der Linken das palmettenbekrönte Skeptron hochfassend, in der Rechten die (einst gemalte, jetzt geschwundene) Ähre haltend, steht Demeter vor uns. Der Kopf mit dem gewellten Haar, das bis in den Nacken fällt, ist freundlich geneigt. Wieder erinnert der Gegensatz zwischen den Steilfalten des Gewands am Standbein und dem plastisch heraustretenden Spielbein an die Parthenos. Während aber die Faltengebung hier sich in grossen und einfachen Motiven bewegt, ist sie oben am Überschlag flüssig und mannigfaltig belebt; aber auch hier spricht der Gegensatz zwischen Falten und plastisch heraustretenden Körperformen, zwischen Gewand und nackten Teilen.

Triptolemos, dem das rechts gescheitelte Haar auch bis in den Nacken reicht, steht auf vollen Füssen mit herausgenommener Brust und herausgedrückten Glutäen fest da; und fest fasst er die Ähre ins Auge, die ihm die Göttin darreicht, während er mit der Linken zierlich den Mantel aufnimmt, der über seine linke Schulter fällt. Die ruhige Fläche seines nackten Körpers ist vom reichen Faltenspiel dieses Mantels gleichsam umrahmt: ein Gegensatz, der auch farbig ausgedrückt war. In dieser Figur steckt noch viel Archaisches, so dass unser Relief, wie jener Apoll im Thermenmuseum, der frühen Jugend unsres Meisters zugeteilt werden muss.

Kore trägt gleichfalls den dorischen Chiton, aber ohne Überschlag, und einen Mantel, der von der linken Hüfte über die rechte Schulter gezogen ist und mit dem Zipfel über die linke Schulter vorfällt. Sie ist zierlich frisiert, das gewellte Haar, um das sich ein Kopfband schlingt, ist seitlich und hinten zu einem Knoten emporgenommen, so dass das Ohr frei bleibt. Der dicke Mantelstoff ist von dem dünnen des Chitons deutlich geschieden, dessen Behandlung, besonders über der Brust, durchaus an jene bei der lagernden Moira im Ostgiebel des Parthenon erinnert.

Aussendung des Triptolemos ( Marmorrelief aus Eleusis). Athen, Nationalmuseum

Der Kompositionsgedanke ist der, dass eine niedere Mittelfigur von den beiden mächtigen säulenhaften Gestalten rechts und links eingerahmt und der Blick des Beschauers durch die Bewegungen der Hände und Richtungen der Köpfe und Blicke dieser beiden Gestalten unvermeidlich wieder auf die Mittelfigur zurückgeleitet wird.

Dass wir Demeter in der Figur links, Kore in der Fackelträgerin zu erkennen haben, wird seltsamerweise immer wieder angezweifelt. Dadurch, dass sie das Skeptron hat und dem Knaben die Ähre überreicht, ist doch die Göttin links als die ehrwürdigere bezeichnet. Sie steht auch schon da, Kore kommt erst heran, um Triptolemos zu schmücken. Dass heute das offene Haar für das Mädchen Kore charakteristisch wäre, verschlägt natürlich nichts für jene Zeit; vielmehr dürfte dem Künstler das schlichte offene Haar ehrwürdiger und matronaler erschienen sein als die kokettere Frisur Kores. Kore neigt den Kopf stärker als ihre Mutter: das Mädchen braucht nicht so zurückhaltend zu sein. Endlich ist die Bildung der prallen jungen Brüste Kores im Gegensatz zu den flachen und mütterlich breiten Demeters bei der Deutung nicht zu übersehen.

Über dem eleusinischen Relief liegt eine religiöse Weihe wie über einem Altarbild. Tiefe, verhaltene Empfindung webt in dem anderen Dreifigurenrelief, das mehrfach wiederholt ist und daher auf ein berühmtes Original zurückgehen muss, dem sogenannten Orpheusrelief, dessen Original wahrscheinlich (nach einer Vermutung von Reisch) auf Anlass der siegreichen Aufführung einer Tragödie, die den Mythus von Orpheus und Eurydike darstellte, dem Dionysos zum Dank geweiht worden ist.

Ergriffen ist der verhängnisvolle Augenblick des letzten kurzen Zusammenseins. Dem thrakischen (hier durch die thrakische Mütze und Stiefel, sowie durch die Lyra bezeichneten) Dichter und Sänger war es gelungen, von den durch sein Lied bewegten Göttern der Unterwelt die Erlaubnis zu erwirken, die gestorbene Gattin, seine innig geliebte Eurydike, wieder ans Licht der Erde zurückzuführen; doch war daran die Bedingung geknüpft, dass Orpheus sich während der Rückkehr bezwingen müsse und nicht nach der Gattin umsehen dürfe. Jene Dichtung nun scheint dies so dargestellt zu haben, dass Eurydike von diesem Befehl nichts gewusst, und, von der ungewohnten Kälte des Geliebten befremdet, leise und fragend seine Schulter berührt habe, worauf sich Orpheus blitzschnell nach ihr umwandte, nun auch seinerseits ihre Hand ergreifend und seinen Blick tief in den ihren tauchend. Dann mochten sie auf der Bühne traute Worte gewechselt haben, bis Hermes, widerwillig und selbst gerührt, aber entschieden dazwischentrat und nach der kurzen Wonne des Wiedersehens der herzzerreissende Schmerz des Abschieds auf ewig mit seinem Jammer die Bühne erfüllte.

Die Entwicklung dieser Szene hat der Künstler in einem Bild zusammengedrängt. Kaum dass sich die Gatten wiedergefunden, tritt auch schon Hermes, der verkörperte Götterbefehl, dazwischen, um sie für immer zu trennen. Nicht gerne, wie die krampfhaft ins Gewand greifende Rechte zeigt.

Die starken und vielerlei Anklänge an den Stil des Phidias, die dieses Relief zeigt, lassen keinen Gedanken an einen anderen Meister aufkommen. Und wieder ist es ein Höchstes, das der Meister hier geboten hat. Gebändigte Empfindung, verhaltene Leidenschaft, gedämpfter Schmerz; aber welche Wehmut zittert in dieser Ruhe! Und wieder ist die höchste Wirkung mit dem geringsten möglichen Aufwand von Mitteln erreicht; die Köpfe an und für sich betrachtet sind völlig ausdrucksleer, aber die sich innig gegeneinander neigenden Linien der Komposition, die stillen Gebärden und leisen Bewegungen wirken so stark, dass sie für unser Auge den Ausdruck der tiefsten Empfindung in die Gesichter projizieren.


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