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Achtes Kapitel

Wie sehr das moderne französische Duell von gewissen Neunmalklugen auch lächerlich gemacht wird, ist es in Wirklichkeit doch eine der gefährlichsten Einrichtungen unserer Tage. Da es stets im Freien ausgefochten wird, ist es so gut wie sicher, daß sich die Duellanten erkälten. M. Paul de Cassagnac, der besessenste der französischen Duellanten, hat so oft auf diese Weise Schaden erlitten, daß er nunmehr chronisch krank ist; und der beste Arzt von Paris hat der Meinung Ausdruck gegeben, er werde, wenn er sich noch weitere fünfzehn oder zwanzig Jahre duelliere, sich möglicherweise den Tod holen - es sei denn, er machte es sich zur Gewohnheit, in einem behaglichen Raum zu kämpfen, in den Feuchtigkeit und Luftzug nicht eindringen können. Diese Tatsache sollte das Gerede jener Leute im Zaume halten, die so hartnäckig darauf bestehen, das französische Duell sei der allergesündeste Zeitvertreib, weil es einem Bewegung in frischer Luft verschaffe. Und sie sollte auch das dumme Gerede einschränken, wonach französische Duellanten und von den Sozialisten gehaßte Herrscher die einzigen unsterblichen Menschen sind.

Aber es wird Zeit, daß ich zum Thema komme. Sobald ich von dem letzten hitzigen Streit zwischen M.Gambetta und M.Fourtou in der französischen Nationalversammlung gehört hatte, wußte ich, daß es Ärger geben. würde. Ich wußte es, weil eine langjährige persönliche Freundschaft mit M. Gambetta mir die verwegene und unversöhnliche Wesensart des Mannes enthüllt hatte. So mächtig seine körperlichen Proportionen auch sind, wußte ich doch, daß der Rachedurst bis in die entferntesten Randbezirke seines Körpers dringen würde.

Ich wartete nicht ab, bis er mich aufsuchte, sondern ging sogleich zu ihm hin. Wie ich es vorausgesehen hatte, traf ich den tapferen Burschen in tiefe französische Ruhe versunken an. Ich sage französische Ruhe, weil französische Gemütsruhe und englische Gemütsruhe Unterschiede aufweisen. Er lief hastig zwischen den Trümmern seiner Einrichtung auf und ab, wobei er dann und wann zufällig daliegende Bruchstücke mit dem Fuß quer durch das Zimmer stieß; er knirschte eine ununterbrochene Flut von Flüchen durch die zusammengebissenen Zähne; und alle paar Augenblicke hielt er an, um eine weitere Handvoll seiner Haare auf dem Berg abzulegen, den er bereits auf dem Tisch aufgehäuft hatte.

Er schlang mir die Arme um den Hals, bog mich über seinen Bauch an die Brust, küßte mich auf beide Wangen, drückte mich vier- oder fünfmal an sich und setzte mich dann in seinen eigenen Sessel. Sobald ich mich wieder erholt hatte, gingen wir sofort ans Geschäft.

Ich sagte, ich nähme an, er wünschte, daß ich ihm sekundiere, und er sagte: »Natürlich.« Ich sagte, man müsse mir gestatten, unter einem französischen Namen aufzutreten, damit ich vor Schande in meinem Vaterlande bewahrt bliebe, falls sich ein tödlicher Ausgang ergeben sollte. Hier zuckte er zusammen, vermutlich wegen der Andeutung, daß in Amerika das Duellieren nicht mit Hochachtung angesehen wird. Er stimmte jedoch meiner Forderung zu. Dies erklärt die Tatsache, daß nach allen Presseberichten der Sekundant M. Gambettas anscheinend ein Franzose war.

Zunächst setzten wir das Testament meines Mandanten auf. Darauf bestand ich und hielt auch daran fest. Ich sagte, ich hätte noch nie von einem Manne im Vollbesitz seines Verstandes gehört, der losgegangen wäre, um ein Duell auszufechten, ohne vorher sein Testament gemacht zu haben. Er sagte, er hätte noch nie von einem Manne im Vollbesitz seines Verstandes gehört, der so etwas gemacht hätte. Als er das Testament fertig hatte, wollte er darangehen, sich seine »letzten Worte« zurechtzulegen. Er wollte wissen, wie mir die folgenden Worte als Sterbeausruf gefielen: »Ich sterbe für meinen Gott, für mein Vaterland, für die Freiheit der Rede, für den Fortschritt und für die weltweite Brüderlichkeit unter den Menschen!«

Ich wandte ein, daß dafür ein allzu langwieriger Tod erforderlich wäre; es wäre eine gute Rede für einen Schwindsüchtigen, aber den Erfordernissen auf dem Felde der Ehre nicht angemessen. Wir stritten uns über eine ganze Anzahl von ante-mortem-Ausbrüchen, aber schließlich bekam ich ihn dazu, seinen Nachruf wie folgt zu kürzen, und das schrieb er in sein Notizbuch, weil er es auswendig lernen wollte:

»ICH STERBE, AUF DASS FRANKREICH LEBE.«

Ich sagte, diese Bemerkung schiene mir nicht ganz zu passen, aber er sagte, ob sie paßten, sei bei letzten Worten unwichtig - sie müßten nur packend sein.

Der nächste Punkt war die Wahl der Waffen. Mein Mandant sagte, er fühle sich nicht wohl, er wolle diese und die anderen Einzelheiten des geplanten Treffens mir überlassen. Deshalb schrieb ich folgendes Briefchen und brachte es M. Fourtous Freund:

Mein Herr,

M. Gambetta akzeptiert die Herausforderung M. Fourtous und ermächtigt mich vorzuschlagen: als Ort des Treffens Plessis-Piquet; als Zeit morgen früh bei Tagesanbruch; und als Waffen Äxte. Ich verbleibe, mein Herr,

mit vorzüglicher Hochachtung
Mark Twain

Der Freund M. Fourtous las dieses Briefchen und erschauerte. Dann wandte er sich zu mir und sagte mit einer Spur von Strenge im Ton:

»Haben Sie berücksichtigt, mein Herr, was das unvermeidliche Ergebnis eines derartigen Treffens wäre?«

»Na, was wäre es denn zum Beispiel?«

»Blutvergießen!«

»Stimmt genau«, Sagte ich. »Nun gestatten Sie mir wohl die Frage, was Ihre Partei zu vergießen gedachte?«

Da hatte ich ihn erwischt. Er merkte, daß er einen Schnitzer gemacht hatte, und beeilte sich, ihn wegzuerklären. Er Sagte, er habe im Scherz gesprochen. Dann fügte er hinzu, daß er und sein Mandant sehr gern zur Axt greifen würden und sie tatsächlich allem anderen vorzögen, aber der französische Ehrenkodex schließe solche Waffen aus, deshalb müßte ich meinen Vorschlag ändern.

Ich schritt auf und ab, überdachte die Angelegenheit, und schließlich fiel mir ein, daß Mitrailleusen auf fünfzehn Schritt ein geeigneter Weg wären, auf dem Felde der Ehre eine Entscheidung zu erzielen. Also erhob ich diesen Einfall zum Vorschlag.

Aber er wurde nicht angenommen. Der Kodex war wieder im Wege. Ich schlug Büchsen vor, dann doppelläufige Schrotflinten, dann Marinerevolver. Da diese alle zurückgewiesen wurden, überlegte ich eine Weile und schlug dann sarkastisch Ziegelbrocken auf dreiviertel Meilen vor. Ich hasse es, eine witzige Bemerkung an einen Menschen zu verschwenden, der keinen Sinn für Humor hat, und es erfüllte mich mit Bitterkeit, als dieser Mann nüchtern und gelassen davonging, um seinem Mandanten den letzten Vorschlag zu unterbreiten.

Er kam bald zurück und sagte, sein Mandant sei entzückt von der Idee der Ziegelbrocken auf dreiviertel Meilen Entfernung, müsse aber wegen der Gefahr für dazwischenbefindliche unbeteiligte Personen ablehnen. Dann sagte ich:

»Na, ich bin jetzt mit meinem Latein am Ende. Vielleicht hätten Sie die Güte, eine Waffe vorzuschlagen? Womöglich haben Sie die ganze Zeit eine im Sinn gehabt?«

Seine Miene hellte sich auf, und er sagte eifrig: »Oh, zweifellos, Monsieur!«

Also fing er an, in seinen Taschen zu suchen -Tasche auf Tasche, und er hatte viele - und murmelte die ganze Zeit:

»Na, wo können sie denn hin sein?«

Schließlich hatte er Erfolg. Er angelte aus der Westentasche ein paar kleine Dinger, die ich ans Licht trug und als Pistolen erkannte. Sie waren einläufig, mit Silber beschlagen und sehr niedlich und hübsch. Vor Ergriffenheit konnte ich nicht sprechen. Schweigend hängte ich eine an die Uhrkette und gab die andere zurück. Mein Komplice entfaltete nun eine Briefmarke, in die mehrere Patronen gewickelt waren, und gab mir eine davon. Ich fragte, ob er damit andeuten wolle, daß unsere Leute nur je einen Schuß haben dürften. Er antwortete, der französische Kodex gestatte nicht mehr. Daraufhin bat ich ihn, fortzufahren und eine Entfernung vorzuschlagen, denn mein Geist werde allmählich unter der Belastung, der er ausgesetzt worden sei, schwach und verwirrt. Er nannte fünfundsechzig Yard. Ich verlor fast die Fassung.

Ich Sagte: »Fünfundsechzig Yard mit diesen Instrumenten? Wasserpistolen wären bei fünfzig noch gefährlicher. Bedenken Sie, mein Freund, Sie und ich haben uns zusammengetan, um Leben zu vernichten, nicht um es unsterblich zu machen.«

Aber mit allen meinen Überredungskünsten, allen meinen Argumenten konnte ich ihn nur dazu bewegen, die Entfernung auf fünfunddreißig Yard zu verkürzen; und selbst dieses Zugeständnis gewährte er widerwillig und sagte mit einem Seufzer:

»Ich lehne die Verantwortung für dieses Blutbad ab; es komme auf Ihr Haupt.«

Es blieb mir nichts weiter übrig, als nach Hause zu meinem alten Löwenherz zu gehen und meine beschämende Geschichte zu erzählen. Als ich eintrat, legte M. Gambetta gerade seine letzte Haarlocke auf den Altar. Er sprang auf mich zu und rief aus: »Sie haben die verhängnisvollen Abmachungen getroffen - ich sehe es an Ihrem Blick!«

»Ja.«

Sein Gesicht erbleichte etwas, und er lehnte sich haltsuchend gegen den Tisch. Einen oder zwei Augenblicke lang atmete er schwer und mühsam, so ungestüm waren seine Empfindungen; dann flüsterte er heiser: »Die Waffe, die Waffe! Schnell, was für eine Waffe?«

»Diese!« und ich zeigte das silberbeschlagene Ding vor.

Er warf einen einzigen Blick darauf, dann fiel er ohnmächtig zu Boden.

Als er zu sich kam, sagte er düster: »Die unnatürliche Ruhe, der ich mich unterworfen habe, hat sich auf meine Nerven ausgewirkt. Aber fort mit der Schwäche! Ich will meinem Geschick wie ein Mann und ein Franzose entgegentreten !

Er erhob sich und nahm eine Haltung an, deren Erhabenheit kein Mensch je erreicht und Statuen selten übertroffen haben. Dann sagte er in seinem tiefen Baß: »Sie sehen, ich bin ruhig, ich bin bereit, verraten Sie mir die Entfernung.«

»Fünfunddreißig Yard...«

Ich konnte ihn natürlich nicht aufheben; aber ich rollte ihn herum und goß ihm Wasser den Rücken hinunter. Er kam bald zu sich und sagte: »Fünfunddreißig Yard ohne Zugabe? Aber warum frage ich? Da die Absicht dieses Mannes Mord war, warum sollte er sich mit Kleinigkeiten abgeben? Aber merken Sie sich das eine: Aus meinem Untergang soll die Welt ersehen, wie Frankreichs Kavaliere dem Tode entgegentreten.«

Nach langem Schweigen fragte er: »Ist nichts darüber gesagt worden, daß die Familie dieses Mannes mit ihm antreten sollte, als Gegengewicht zu meinem Umfang? Aber das ist gleich; ich würde mich nicht erniedrigen, einen solchen Vorschlag zu machen; wenn er nicht so anständig ist, es selbst vorzuschlagen, mag er diesen Vorteil genießen, den kein ehrenwerter Mann wahrnehmen würde.«

Nun versank er in eine Art nachdenklicher Starre, die einige Minuten anhielt; dann brach er das Schweigen:

»Die Zeit - welche Zeit hat man für den Zusammenstoß bestimmt?«

»Morgen bei Sonnenaufgang.«

Er schien ungemein überrascht zu sein und sagte sofort:

»Wahnsinn! So etwas habe ich noch nie gehört. Niemand ist um diese Zeit unterwegs.«

»Aus diesem Grunde habe ich sie angegeben. Wollen Sie damit sagen, daß Sie Publikum wünschen?«

»Es ist jetzt nicht der Augenblick für einen Wortwechsel. Ich bin erstaunt, daß M. Fourtou einer so seltsamen Neuerung überhaupt zugestimmt haben soll. Gehen sie sofort hin und verlangen sie eine spätere Zeit. Ich lief die Treppe hinab, riß die Haustüre auf und fiel dem Sekundanten M. Fourtous beinahe in die Arme. Er sagte: »Ich erlaube mir mitzuteilen, daß mein Mandant entschiedene Einwände gegen die festgesetzte Zeit vorbringt und Sie um Ihr Einverständnis bittet, diese auf halb zehn zu ändern.«

»Jede Gefälligkeit, mein Herr, die zu erweisen in unserer Macht liegt, steht Ihrem hochgeschätzten Mandanten zu Diensten. Wir sind mit der vorgeschlagenen Änderung der Zeit einverstanden.«

»Bitte nehmen Sie den Dank meines Klienten entgegen.« Dann wandte er sich zu einer Person hinter ihm und sagte:

»Sie hören, M. Noir, die Zeit ist auf halb zehn abgeändert.« Woraufhin sich M. Noir verneigte, bedankte und entfernte. Mein Komplice fuhr fort: »Wenn es Ihnen angenehm ist, werden Ihre Hauptärzte und die unseren wie üblich im gleichen Wagen zum Kampfplatz fahren.«

»Es ist mir durchaus angenehm, und ich bin Ihnen sehr dafür verbunden, daß Sie die Wundärzte erwähnt haben, denn ich fürchte, ich hätte nicht an sie gedacht. Wie viele werde ich brauchen? Ich nehme an, daß zwei oder drei reichen werden.«

»Man rechnet gewöhnlich zwei für jede Partei. Ich spreche von Hauptärzten; aber unter Berücksichtigung der hervorragenden Stellung, die unsere Klienten einnehmen, dürfte es richtig und schicklich sein, daß jeder von uns mehrere beratende Wundärzte unter den namhaftesten ihres Standes auswählt. Haben Sie einen Leichenwagen bestellt?«

»Wie dumm von mir, ich habe überhaupt nicht daran gedacht! Sofort erledige ich das. Ich muß Ihnen sehr unwissend vorkommen; aber haben Sie bitte Nachsicht mit mir, denn ich habe noch nie ein so elegantes Duell mitgemacht. An der pazifischen Küste habe ich eine ganze Menge mit Zweikämpfen zu tun gehabt, aber jetzt sehe ich ein, daß das rohe Angelegenheiten waren. Ein Leichenwagen - herrje! wir ließen die Auserwählten frei herumliegen, und es konnte sie zusammenbündeln und wegkarren, wer wollte. Haben sie noch etwas vorzuschlagen ?

Nicht nur, daß die Oberbestatter zusammenfahren sollten wie es üblich ist. Die Untergebenen und Statisten werden zu Fuß gehen, wie es ebenfalls üblich ist. Ich werde Sie um acht Uhr morgens aufsuchen, und dann legen wir die Reihenfolge des Zuges fest. Ich habe die Ehre, guten Tag.«

Ich kehrte zu meinem Klienten zurück, der sagte: »Also gut, um wieviel Uhr soll das Treffen anfangen?«

»Halb zehn.«

»Wirklich sehr gut. Haben Sie die Nachricht an die Zeitungen gegeben?«

»Mein Herr! Wenn Sie mich nach unserer langen engen Freundschaft auch nur einen Augenblick lang eines so niedrigen Verrates für fähig halten können...«

»Aber, aber! Was sind das für Worte, mein lieber Freund? Habe ich Sie verletzt? Ah, vergeben Sie mir; ich überlaste Sie mit Arbeit. Fahren Sie daher mit den anderen Einzelheiten fort und lassen Sie das weg. Der blutdürstige Fourtou wird das bestimmt erledigen. Oder ich selbst - ja, zur Sicherheit werde ich meinen Freund, dem Journalisten M. Noir, ein Briefchen schicken.«

»Oh, da fällt mir ein, die Mühe können Sie sich sparen; der andere Sekundant hat M. Noir informiert.«

»Hm! Das hätte ich mir denken können. Das sieht diesem Fourtou ähnlich, der sich immer zur Schau stellen muß.«

Um halb zehn Uhr morgens näherte sich der Zug in folgender Ordnung dem Felde von Plessis-Piquet: Zuerst kam unser Wagen - nur M. Gambetta und ich saßen darin; dann ein Wagen mit M. Fourtou und seinem Sekundanten; dann ein Wagen mit zwei Festrednern, die nicht an Gott glaubten und aus deren Brusttaschen Manuskripte mit Nachrufen herausragten; dann ein Wagen mit den Hauptärzten und ihren Instrumententaschen; dann acht Privatwagen mit beratenden Wundärzten; dann ein Mietwagen mit einem Leichenbeschauer; dann die zwei Leichenwagen; dann ein Wagen mit den zwei Oberbestattern; dann ein Zug Gehilfen und Statisten zu Fuß; und nach diesem kam ein langer Zug von Schlachtenbummlern, Polizisten und Bürgern aller Art durch den Nebel gestapft. Es war ein prächtiger Aufzug und hätte einen schönen Anblick geboten, wenn wir Wetter mit besserer Sicht gehabt hätten.

Es wurde nicht gesprochen. Ich sprach meinen Mandanten mehrmals an, vermute aber, daß er es nicht bemerkte, denn er schaute dauernd in seinem Notizbuch nach und murmelte zerstreut: »Ich sterbe, auf daß Frankreich lebe.«

Auf dem Felde angekommen, schritten der andere Sekundant und ich die fünfunddreißig Yard ab und losten dann aus, wer den Standort wählen dürfte. Das letztere war nur eine dekorative Handlung, denn bei solchem Wetter war jede Wahl gleich. Nachdem diese Vorbereitungen abgeschlossen waren, ging ich zu meinem Mandanten und fragte ihn, ob er bereit sei. Er dehnte sich zu seiner vollen Breite aus und sagte mit strenger Stimme: »Bereit! Laßt die Geschütze laden!«

Das Laden geschah in Gegenwart ordnungsgemäß ernannter Zeugen. Wir hielten es für zweckmäßig, diese heikle Aufgabe mit Rücksicht auf das Wetter unter Zuhilfenahme einer Laterne auszuführen. Nun stellten wir unsere Männer auf.

Zu diesem Zeitpunkt bemerkte die Polizei, daß sich das Publikum rechts und links des Feldes zusammengedrängt hatte; sie bat deshalb um einen Aufschub, damit sie diese armen Menschen an einen sicheren Platz verweisen könnte. Dem Ersuchen wurde stattgegeben.

Nachdem die Polizei die beiden Haufen angewiesen hatte, sich hinter den Duellanten aufzustellen, waren wir wieder bereit. Da die Sicht noch schlechter wurde, kam ich mit dem anderen Sekundanten überein, daß vor Abgabe des verhängnisvollen Signals jeder einen lauten Ruf ausstoßen sollte, um es den Kämpfenden zu ermöglichen, den Standort des anderen auszumachen.

Nun kehrte ich zu meinem Mandanten zurück und bemerkte mit Sorge, daß er ein Großteil seines Kampfgeistes verloren hatte. Ich versuchte mein Bestes, ihn zu ermutigen.

Ich sagte: »Wirklich, die Dinge stehen nicht so schlecht, wie es aussieht. Wenn man die Art der Waffen bedenkt, die begrenzte Anzahl der festgesetzten Schüsse, den reichlichen Abstand, den undurchdringlich dichten Nebel sowie den weiteren Umstand, daß einer der Kämpfer nur ein Auge hat und der andere schielt und kurzsichtig ist, scheint mir, daß diese Auseinandersetzung nicht unbedingt tödlich ausgehen muß. Es besteht die Aussicht, daß Sie beide am Leben bleiben. Fassen Sie Mut, seien Sie unverzagt.«

Diese Rede übte eine so gute Wirkung aus, daß mein Mandant sogleich die Hand ausstreckte und sagte: »Ich habe mich wieder gefaßt; geben Sie mir die Waffe.«

Ich legte sie ganz einsam und verlassen mitten in die weiträumige Einöde seiner Handfläche. Er sah sie an und erschauerte. Und während er sie noch immer düster betrachtete, murmelte er mit brüchiger Stimme: »Ach, nicht den Tod fürchte ich, sondern Verstümmelung.«

Ich ermutigte ihn noch einmal, und zwar mit solchem Erfolg, daß er bald sagte: »Das Trauerspiel mag beginnen. Stellen Sie sich hinter mich; verlassen Sie mich nicht in dieser ernsten Stunde, mein Freund.«

Ich gab ihm mein Wort. Nun half ich ihm, seine Pistole auf die Stelle zu richten, wo ich seinen Gegner vermutete, und ermahnte ihn, scharf hinzuhören und sich weiterhin von dem Ruf meines Mitsekundanten leiten zu lassen. Dann stemmte ich mich gegen M. Gambettas Rücken und ließ ein schallendes »Hu-hu« ertönen. Es wurde weit aus den Tiefen des Nebels beantwortet, und ich rief sofort »Eins - zwei - drei - Feuer!«

Zwei kleine Geräusche wie piff! piff! drangen an mein Ohr, und im selben Augenblick wurde ich unter einem Fleischberg zu Boden gemalmt. So zerschlagen ich war, konnte ich doch noch einen schwachen Laut von oben vernehmen, und zwar wie folgt: »Ich sterbe für - für - verdammt wofür sterbe ich denn - 0 ja - Frankreich! Ich sterbe, auf daß Frankreich lebe!«

Die Ärzte wedelten mit ihren Sonden in der Hand heran und setzten ihre Mikroskope an M. Gambettas gesamter Oberfläche an, mit dem erfreulichen Ergebnis, daß sie nichts von einer Wunde fanden. Dann folgte eine in jeder Hinsicht beglückende und begeisternde Szene. Die beiden Gladiatoren fielen einander mit Strömen stolzer und glücklicher Tränen um den Hals; der andere Sekundant umarmte mich; die Ärzte, die Redner, die Leichenbestatter, die Polizei, alle umarmten einander, alle gratulierten sich, alle weinten, und die ganze Atmosphäre war von unbeschreiblicher Dankbarkeit und unaussprechlichem Glück erfüllt.

Mir war, als wollte ich lieber der Held eines französischen Duells sein als der Herrscher eines großen Reiches mit Zepter und Krone.

Als der Aufruhr sich etwas gelegt hatte, hielt die Ärzteschaft eine Beratung ab, und nach vielem Debattieren kamen sie zu dem Schluß, es bestünde Grund zu der Annahme, daß ich unter geeigneter Pflege und Betreuung meine Verletzungen überstehen würde. Meine inneren Verletzungen sah man als besonders ernst an, da sich herausstellte, mir war eine gebrochene Rippe in den linken Lungenflügel gedrungen, und viele meiner Organe waren von der Stelle, wo sie hingehörten, so weit nach der einen oder anderen Seite verschoben worden, daß es zweifelhaft erschien, ob sie jemals lernen würden, ihre Funktionen an so fernen und ungewohnten Orten zu verrichten. Dann renkten sie mir den linken Arm an zwei Stellen ein, ließen meine rechte Hüfte wieder in ihr Gelenk einschnappen und richteten mir die Nase wieder auf. Ich war Gegenstand großer Anteilnahme, ja, sogar Bewunderung; und viele aufrichtige und warmherzige Leute ließen sich mir vorstellen und sagten, sie wären stolz darauf, den einzigen Mann kennenzulernen, der seit vierzig Jahren in einem französischen Duell verletzt worden sei.

Ich wurde in einem Krankenwagen ganz an der Spitze des Zuges untergebracht; und so wurde ich als hervorstechendste Person dieser großen Schau mit angenehmem Edat nach Paris gebracht und im Hospital abgeliefert.

Man hat mir das Kreuz der Ehrenlegion verliehen. Es entgehen jedoch nur wenige dieser Auszeichnung.

Das ist die wahrheitsgetreue Darstellung der denkwürdigsten privaten Auseinandersetzung unseres Zeitalters. Ich habe keine Beschwerden gegen irgend jemanden vorzubringen. Ich habe in eigener Verantwortung gehandelt, und ich kann die Konsequenzen tragen. Ich glaube, ohne zu prahlen, sagen zu können, daß ich mich nicht fürchte, vor einem modernen französischen Duellanten zu stehen, aber solange ich meinen klaren Verstand behalte, werde ich nie wieder darauf eingehen, mich hinter einen zu stellen.