Iwan Turgenjew
Der Duellant
Iwan Turgenjew

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VI

Kister lag schon zu Bett, als Lutschkow zu ihm ins Zimmer trat. Das Gesicht des Kampfhahns drückte niemals ein einziges Gefühl aus, so auch jetzt: geheuchelte Gleichgültigkeit, rohe Freude, Bewußtsein seiner Überlegenheit. Seine Züge spiegelten eine Menge verschiedener Gefühle wider.

»Nun, was gibt's?« fragte ihn Kister ungeduldig.

»Was soll's geben! Ich war dort. Sie lassen dich grüßen.«

»Nun, geht es ihnen allen gut?«

»Was soll ihnen fehlen?«

»Haben sie gefragt, warum ich nicht gekommen bin?«

»Ich glaube, ja.«

Lutschkow blickte auf die Decke und sang etwas, doch falsch. Kister senkte die Augen und wurde nachdenklich.

»Da hat man es«, sagte Lutschkow mit heiserer, schneidender Stimme. »Du bist ein kluger Mensch, ein gebildeter Mensch, und doch redest auch du, mit Verlaub zu sagen, zuweilen Unsinn.«

»Wieso?«

»Nun, zum Beispiel über die Frauen. Du stellst sie über alles! Du dichtest sie an! Sie alle sind für dich Engel . . . Das sind mir nette Engel!«

»Ich liebe und achte die Frauen, aber . . .«

»Ja, gewiß, gewiß«, unterbrach ihn Awdej. »Ich streite nicht mit dir. Wie soll ich es auch! Ich bin natürlich ein einfacher Mensch.«

»Ich wollte sagen, daß . . . Warum hast du aber gerade heute, gerade jetzt die Rede auf die Frauen gebracht?«

»So!« Awdej lächelte bedeutungsvoll. »So!«

Kister sah seinen Freund durchdringend an. Er glaubte (die reine Seele!), daß Mascha ihn schlecht behandelt habe. Vielleicht hatte sie ihn auch gequält, wie es nur die Frauen verstehen, einen Menschen zu quälen.

»Du bist betrübt, mein armer Awdej, gestehe es!«

Lutschkow lachte.

»Nun, ich glaube, ich habe keinen Grund, betrübt zu sein«, sagte er langsam, sich selbstgefällig den Schnurrbart streichend. »Nein, siehst du, Fedja«, fuhr er belehrend fort, »ich wollte dir nur sagen, daß du dich in den Frauen täuschst, mein Freund. Glaube es mir, Fedja, sie sind alle gleich. Man braucht sich nur ein wenig zu bemühen, ein wenig zu scharwenzeln, und die Sache ist gemacht. Zum Beispiel diese Mascha Perekatowa . . .«

»Nun?«

Lutschkow klopfte mit dem Absatz auf den Boden und schüttelte den Kopf.

»Ich glaube, an mir ist doch nichts Besonderes und Anziehendes, nicht wahr? Ich glaube, nichts. Es ist doch nichts an mir? Und doch bin ich für morgen zu einem Rendezvous bestellt.«

Kister richtete sich auf, stützte sich auf einen Ellenbogen und blickte Lutschkow erstaunt an.

»Abends, im Wäldchen . . .« fuhr Awdej Iwanowitsch ruhig fort. »Denk dir aber nichts dabei. Ich gehe nur so hin. Weißt du, es ist so langweilig. Das Mädel ist recht hübsch . . . ich denke mir: Was kann das schaden? Heiraten werde ich sie doch nicht, will nur meine Jugend wieder aufleben lassen. Ich mag mich nicht mit Weibern abgeben, aber so einem Mädel mach ich gerne das Vergnügen. Wir wollen zusammen die Nachtigallen hören. Eigentlich wäre das was für dich, aber diese Weiber haben gar keine Augen. Was bin ich gegen dich?«

Lutschkow sprach noch lange. Kister hörte ihm aber nicht zu. Der Kopf schwindelte ihm. Er erbleichte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Lutschkow wiegte sich im Sessel, kniff die Augen zusammen, streckte sich und erstickte schier vor Freude, weil er die Erregung Kisters der Eifersucht zuschrieb. Es war aber nicht Eifersucht, was Kister quälte: Nicht das Geständnis hatte ihn verletzt, sondern die rohe Geringschätzung Awdejs, seine gleichgültige und verächtliche Äußerung über Mascha. Er sah den Kampfhahn durchdringend an, und es war ihm, als hätte er zum erstenmal seine Züge richtig durchschaut. Darum hatte er sich also so bemüht! Dazu hatte er seine eigene Neigung geopfert! Das war die segensreiche Wirkung der Liebe!

»Awdej . . . liebst du sie denn nicht?« murmelte er schließlich.

»Oh, Unschuld! Oh, Arkadien!« entgegnete Awdej mit boshaftem Lachen.

Der gute Kister gab auch jetzt noch nicht nach: Er glaubte, daß Awdej vielleicht nur aus Gewohnheit so boshaft Theater spiele. Er hatte noch keine neuen Worte für seine neuen Empfindungen gefunden. Und steckt nicht in ihm selbst, in Kister, hinter dieser Entrüstung vielleicht auch noch ein anderes Gefühl? Vielleicht hatte ihn das Geständnis Lutschkows nur darum so unangenehm berührt, weil es sich um Mascha handelte? Wer kann das wissen, vielleicht ist Lutschkow in sie wirklich verliebt . . .? Doch nein, tausendmal nein! Dieser Mensch und verliebt. Abscheulich ist dieser Mensch mit seinem galligen, gelben Gesicht, mit seinen krampfhaften, katzenartigen Bewegungen, mit dem vor Freude geblähten Hals . . . abscheulich! Nein, mit ganz anderen Worten würde er, Kister, einem treuen Freunde das Geheimnis seiner Liebe mitteilen. In überfließender Freude, mit stummem Entzücken, mit Tränen in den Augen würde er sich an seine Brust schmiegen.

»Nun, Bruder?« sagte Awdej. »Hast es doch nicht erwartet, gestehe nur! Und jetzt ärgerst du dich? Wie? Beneidest mich? Gestehe doch, Fedja! Wie? Ich habe dir das Mädel doch vor der Nase weggeschnappt!«

Kister wollte ihm alles sagen, wandte sich aber mit dem Gesicht zur Wand. »Mich aussprechen? Vor ihm? Um nichts in der Welt!« flüsterte er vor sich hin. »Er versteht mich nicht. Gut! Er schreibt mir lauter schlechte Beweggründe zu, soll er nur!«

Awdej erhob sich.

»Ich sehe, du willst schlafen«, sagte er mit geheuchelter Teilnahme. »Ich will nicht stören. Schlaf wohl, mein Freund . . . schlaf!«

Und Lutschkow ging, über die Maßen mit sich zufrieden.

Kister konnte bis zum Tagesanbruch nicht einschlafen. Mit fieberhaftem Trotz grübelte er immer über denselben Gedanken – eine Beschäftigung, die den unglücklich Verliebten nur zu gut bekannt ist; sie wirkt auf die Seele wie ein Blasebalg auf glimmende Kohlen.

Und wenn Lutschkow gegen sie auch gleichgültig ist, dachte er sich, wenn sie sich ihm selbst an den Hals geworfen hat, so durfte er doch nicht zu mir, zu seinem Freund, so unehrerbietig, so verletzend von ihr sprechen! Was hat sie verbrochen? Wie, hat man nicht mit so einem armen, unerfahrenen jungen Mädchen Mitleid?

Hat sie ihm aber wirklich ein Stelldichein gewährt? Ja, es wird wohl so sein. Awdej lügt nicht, er lügt niemals. Vielleicht ist es aber nur so eine Laune von ihr.

Sie kennt ihn aber nicht. Er ist vielleicht imstande, sie zu beleidigen. Nach dem heutigen Abend will ich für nichts bürgen.

Haben Sie ihn, Herr Kister, nicht selbst gelobt und gepriesen? Haben Sie nicht selbst ihre Neugierde geweckt? . . . Wer konnte es aber wissen? Wer konnte es voraussehen?

Was voraussehen? Hatte er denn aufgehört, mein Freund zu sein? Ja, war er denn überhaupt je mein Freund? Diese Enttäuschung! Diese Lektion!

Alles Vergangene drehte sich vor den Augen Kisters wie im Wirbel. »Ja, ich habe ihn geliebt«, flüsterte er endlich. »Warum habe ich ihn zu lieben aufgehört? So schnell? Liebe ich ihn denn nicht mehr? Nein, warum habe ich ihn liebgewonnen? Ich allein?«

Das liebende Herz Kisters hing eben darum an Awdej, weil alle anderen ihn mieden. Doch der gute junge Mann wußte selbst nicht, wie groß seine Güte war.

»Meine Pflicht ist«, fuhr er fort, »Marja Ssergejewna zu warnen. Doch wie? Welch ein Recht habe ich, mich in fremde Angelegenheiten, in eine fremde Liebe einzumischen? Woher kann ich wissen, wie diese Liebe geartet ist? Vielleicht ist auch in Lutschkow selbst . . . Nein! Nein!« sagte er laut, geärgert, beinahe weinend, indem er seine Kopfkissen zurechtrückte. »Dieser Mensch ist wie Stein.«

Ich bin selbst schuld. Ich habe einen Freund verloren . . . Ein netter Freund! Auch sie ist nett! Was bin ich doch für ein abscheulicher Egoist! Nein, nein! Aus tiefster Seele wünsche ich ihnen Glück . . . Glück! Er macht sich doch über sie lustig! Und warum färbt er sich den Schnurrbart? Ich glaube wirklich . . . Ach, wie bin ich doch lächerlich! sagte er sich im Einschlafen.


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