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II

Wir saßen auf der Wolke und ließen die Beine baumeln. »Was am schwersten war, dieses Mal?« sagte er und blies nachdenklich den Meteorstaub in die Luft, »am schwersten ... Am schwersten war der Knacks.« »Welcher Knacks?« sagte ich. »Der zwischen Jugend und dem andern, was dann kommt«, sagte er. »Manche nennen es: Mannesalter. Es hätte sollen ein Übergang sein, ein harmonisches Gleiten, ich weiß schon. Bei mir war es ein Knacks.« Der alte Herr probierte einen neuen Meteor aus, der sich emsig bemühte, die höhere Astronomie gänzlich durcheinanderzubringen – es war etwas ziemlich Hilfloses. Wir sahen erhaben zu, denn es ging uns so schön gar nichts an. »Ein Knacks«, sagte er. » Es war so: Sie hopsen da herum, Alles ist einfach klar – wenigstens scheint es Ihnen so. Was Sie nicht richtig durchschauen können, das umkleiden Sie mit einem herrlichen Nebel von Lyrik, Pubertät, Nichtachtung, Sorglosigkeit, tapsig hingehuschten Wolken; der tote Punkt in Ihrem Blickfeld ist eine Fläche, dahinein geht viel. Alles ist nur Spaß, wissen Sie, das macht die Sache, wenn auch nicht angenehm, so doch sehr erträglich. Alles ist nur Spaß.« »Und dann –?«, sagte ich. »Und dann – «, sagte er, »und dann ist das eines Tages – nein: nicht eines Tages, eines Tages ist es nicht aus. Viel schlimmer. Erst ist es nur ein leises Unbehagen, die Räder quietschten doch früher nicht? Dann wird Ihnen das Quietschen zur gewohnten Begleitmusik, dann schmeckt dies nicht mehr und dann jenes nicht, und dann fangen Sie auf einmal an, zu sehen.« Jetzt machte der Meteor einen Bogen, der Verfasser versprach sich wohl von diesem Kunststück etwas, das er »majestätisch« genannt wissen wollte. Es war ein rechter Ausverkauf an Majestät. »Sie sehen –«, sagte er. »Aber es ist doch schön, klar zu sehen –?« sagte ich. »Sie tun so«, sagte er, »als wären Sie nie unten gewesen. Es ist grauenhaft. Sie sehen: daß es wirklich nicht so schön einfach ist, wie es Ihre Bequemlichkeit und Eselei sich zurechtgemacht haben. Sie sehen: schräg hinter die Dinge, niemals mehr, das ist besonders aufreizend, jedenfalls sehen Sie nicht mehr glatt von vorn. Und dann die Andern –! Bis dahin haben sie Sie noch begleitet, man hat sich ganz gut verstanden, es ging gewissermaßen erträglich und verträglich zu. Nun heiraten die, nun haben sie Kinder, hören Sie: richtige lebende Kinder! die nehmen sie ernst; erst hatte Jeder eine Frau, jetzt hat das, was da neu entstanden ist, beide, und auf einmal, eines Tages, bekommen Sie einen freundlichen Rippenstoß von nebenan: »Nicht wahr, Alter – wir wollen uns doch nichts vormachen, das da: Samtvorhänge, Warmwasserspülung, Behäbigkeit, das ist doch das Wahre, was? Es ist wie ein Donnerschlag. Ihre Ideale bewahren sie sich getrocknet auf, im Herbarium ihrer Gefühle, manchmal, sonntags, sehen Sie sich das an. Und lachen darüber, verstehen Sie das? sie lachen darüber. So ziehen sie an Ihnen vorbei.« »Blieben Sie denn stehen?« sagte ich. »Ich blieb stehen«, sagte er. »Ja, ich blieb wohl stehen. Alle kamen an mir vorüber, der ganze Zug mit Roß und Mann und Wagen und allen Reisigen. Zum Schluß die alten Weiber, und dann wackelten da welche, die ich noch als kleine Kinder gekannt hatte: sie hatten den ganzen Nacken voll seriöser Sorgen und waren ehrgeizig und verdammt real. Sie brachten es Alle zu etwas, sehr ernsthafte Leute. Beinah hätten sie mir einen Groschen in den Hut geworfen. Ich hatte aber keinen Hut. Und da stand ich, ganz allein.« »Waren Sie denn kein Mann?«, sagte ich und mühte mich, das sehr neutral zu sagen. »Ein Mann?«, sagte er. »Doch auch, ja. Ich kroch auch später den Andern nach, und was früher Ideal gehießen hatte, hieß jetzt einfach: Zuspätkommen. Ein Mann erwachsen ... Aber in einer Ecke meines Herzens, wissen Sie, da wo es am hellsten und am dunkelsten zugleich ist – da bin ich doch immer ein Junge gewesen.« Wir schwiegen. Und als ich mich nach ihm drehte, da war er nicht mehr da. Er hatte sich fallen lassen, vermutlich aus Scham, denn so etwas sagt man nicht.

Wir standen in der Luft, ein Vergnügen, dessen man nicht satt wird, am Anfang. Es war einsam um uns, einmal hastete ein Geist an uns vorüber, im Frack; vielleicht war er zu einer spiritistischen Sitzung eingeladen. »Haben Sie das auch bemerkt«, sagte er, »das mit den sieben Jahren –?« »Ja«, sagte ich. »Sie meinen, daß es alle sieben Jahre wiederkam, Alles miteinander –?« »Ja«, sagte er. »Alle sieben Jahre. Bei mir war es ziemlich regelmäßig. Bei Ihnen auch? Sie waren länger am Leben als ich. Zweiundsiebzig Jahre ...« »Es war ziemlich lächerlich auf die Dauer«, sagte ich. »Alle sieben Jahre. So um das sechste Jahr herum fing es immer an, sich zu rühren, ich wußte es schon, wenn es so weit war. Meine Verhältnisse besserten sich, ich bekam Geld in die Finger, im siebenten Jahr war der Höhepunkt. Dann kam langsam der Abstieg. Das Glück versandete, es ging einem so gut, daß es langweilig wurde. Gewöhnlich war es eine Art reibungslosen Dahinlebens, ein Glück, das nur im Negativen bestand: keine Nervenschmerzen, kein Schnupfen, keine Geldsorgen, keine Frauenzimmergeschichten. Ein Glück, das man erst nachher voll erfaßte; erst nachher, wenn es vorbei war, begriff man, wie gut es einem gegangen war. Dann wurde der Horizont langsam dunkler, Wolken kamen, man zappelte sich ab, bis man eines Tages wieder drin war im schönsten Tohuwabohu. Und dann fing es wieder von vorne an. Alle sieben Jahre.« »Ich habe Ihn so oft gefragt«, sagte er, »was denn nur das Ganze zu bedeuten hätte – das mit den ständigen Wiederholungen und den sieben Jahren ... Er schweigt.« Wir nannten nicht gern Seinen Namen. Wir liebten Ihn nicht. »Und gerade sieben ...«, fing er wieder an. »Es soll so eine Art heilige Zahl sein«, sagte ich. »Genaues weiß man darüber nicht. Kannten Sie den Doktor Fließ –?« »Nein«, sagte er. »Er muß längst hier sein«, sagte ich. »Aber ich habe ihn noch nie getroffen. Wahrscheinlich rechnet er jetzt die himmlischen Gesetze aus. Aber es ist da etwas daran, mit Wachstum der Pflanze, einer Art männlicher Periode ... etwas sehr Gelehrtes. Zehnmal habe ich das also mitgespielt – etwa neunmal weiß ich davon. Gut, daß die Menschen nicht noch älter werden. Haben Sie sich nie gelangweilt –?« »Nein. Nie«, sagte er. »Ich ziemlich«, sagte ich. »Aber wie haben Sie das gemacht? Womit haben Sie sich so intensiv beschäftigt, daß Sie sich nicht langweilten –?« »Mit dem Leben«, sagte er. »Ich hatte reichlich zu tun, zu leben. Die Frage ›Warum‹ ist dem Ding angeklebt. So dürfen Sie nicht fragen.« »Ich habe mich gelangweilt«, murmelte ich leise und sah einer dekolletierten Geisterdame nach, die sich besonders schön unheimlich geputzt hatte. »Ich fand es nicht so sehr vergnüglich. Zehn Mal sieben Jahre ... Warum ...? Sagen Sie mir: warum –?«


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