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2. Aus der Finsterthaler Dorfchronik.

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1.

A Als eine fleißige Hausfrau einmal eine Zeitlang dagesessen und gesponnen hatte ist ihr der Teufel in Gestalt einer Maus das Spinnrad gelaufen. Ueber die ungewöhnliche Kühnheit der Maus am helllichten Tage hatte sich die erstaunte Frau zuerst nicht genug wundern können, weil sie nicht anders dachte, es sei eine gemeine Landmaus. Als nun die Maus wieder verschwunden war, wurde sie gewahr, daß ihr Garn an der Spule zerrissen war und auseinanderfiel, als wenn es zerhackt und mit einem scharfen Messer zerschnitten worden wäre. Als sie darauf diese geheimnisvolle Sache weiter verfolgte, stellte sich heraus, daß allen Leuten im Hause ihre Leinwand in den Kästen und ihre Kleider, die sie am Leibe trugen, zerschnitten waren, ganz gleich, ob es alt oder neu war: alles fiel auseinander. Auch wenn diese Leute bei Tisch saßen und ein ganz neues Tischtuch aufgelegt hatten, so wurde dieses, obgleich sie nichts sahen und hörten, vor ihren Augen von unsichtbarer Hand in kleine Stücke zerschnitten. Diese Beobachtung machte auch das Gesinde: wenn es glaubte, ein Stück Leinen unversehrt aus dem Kasten zu nehmen, so fiel es plötzlich stückweise auseinander. Dieser Spuk dauerte viele Wochen fort, dann hörte er plötzlich wieder auf.

 

2.

Einer Hexe hatte der Teufel einmal versprochen, ihr zu großem Reichtum verhelfen zu wollen. Eines Tages kam der Satan zu ihr, und verlangte von ihr, sie solle ihren Bund mit ihm erneuern und dies mit ihrem Blute unterschreiben. Die Hexe aber sagte, sie könne nicht schreiben; da hat der böse Feind ihr einen Riß am linken Arm gemacht, mit dem aufgefangenen Blut die Feder gefüllt und diese ihr in die Hand gedrückt. Als die Hexe unterschrieben hatte, nahm der Teufel das Papier zu sich und verschwand.

 

3.

Einmal sollte eine regelrechte Bauernhochzeit sein. Die Gäste waren bereits versammelt und saßen bei Tische. Die Fische, welche eben vom Feuer genommen und angerichtet waren, sollten aufgetragen werden, siehe, da kommt urplötzlich ein heftiger Wind durch den Schlot, durch alle Fenster und die Tür gefahren und weht sämtliche Lichter aus; die Nessel über dem Feuer stürmen um, so daß die Glut erlischt. Alle, die in der Küche zugegen waren, erschraken gewaltig, wie man sich leicht denken kann. Als sie wieder zu sich gekommen waren, zündeten sie die Lichter aufs neue an und suchten die Fische; aber auch nicht ein Grätlein war zu finden; sogar die übrigen Speisen und Getränke waren spurlos aus der Küche verschwunden! Wer anders aber wird all diese Speisen geholt haben als eine Hexe, welche selbst Gäste geladen, für diese aber nichts zubereitet hatte? Denn auch die Hochzeitsgäste waren verhext: ihre Hände waren auf einmal zu Klauen geworden, so daß sie die Speisen, die bereits aufgetragen waren, nicht einmal anrühren, geschweige denn essen konnten! Auf ihrer Stirne trugen sie plötzlich Hirschgeweihe; wenn sie zum Fenster hinaussahen, dann konnten sie ihre Köpfe nicht mehr zurückziehen und hatten so zu allem Unglück noch den hellen Spott der Vorübergehenden. Nach diesem unheimlichen Geschehnis besprach sich der junge Bauer mit seiner jungen Frau: sie beschlossen ihr Haus samt allen Ställen au beräuchern um die Hexe fernzuhalten; denn sie hatten nun keinen Zweifel mehr, daß ihr ganzes Grundstück verhext war. Die beiden Bauersleute hatten wohl ihr Vorhaben zu oft und zu laut besprochen; die Hexe erhielt nämlich hievon Kenntnis; sie erschien deshalb in der Nacht, die dem Räuchertag vorausging, und bestrich sämtliche Tische, Stuhle und Bänke, alle Fensterkreuze und Türriegel mit einer giftigen Salbe. Und wer am andern Morgen mit einem so bestrichenen Gegenstand in Berührung kam, der mußte bald hernach unter gräßlichen Schmerzen sterben. So geschah es denn, daß die jungen Bauersleute mit ihrem Gesinde elend zugrunde gingen.

Zufolge dieses neuerlichen und sehr schrecklichen Vorfalles hat der Dorfschulze seine Gemeinde auf dem Kirchplatz versammelt und ihr die Beobachtung folgender zehn Gebräuche oder Gebote wiederum ans Herz gelegt:

1. Rührt keinen Besen an, den Ihr auf der Straße liegen seht! Er könnte ein Hexenpferd sein; und wer so einen Besen aufhebt und mit nach Hause nimmt, dem können die Hexen etwas anhaben.

2. Macht in der Walpurgisnacht an alle Zugänge und Türen Euerer Häuser drei Kreuze! Das gewährt Euch Schutz gegen die Hexen.

3. Legt ein paar Stachelbeerstauden unter die Türschwelle! Das nimmt den Hexen die Macht, dann können sie nicht herein!

4. Wenn Ihr aber glaubt, es sei schon eine Hexe in Eurer Stube, dann legt schnell den Brotlaib verkehrt auf den Tisch oder den Hausschlüssel unter einen umgestürzten Milchtopf! Dann kann sie nicht mehr zur Tür hinaus!

5. Auch drei Nägel von einem Sarge schützen Euch gegen Hexengefahr. Aber Ihr müßt diese Nägel in die Ecken einschlagen! Denn die Hexen sehen zuerst in die Ecken der Stube.

6. Wer einen Hexenschemel hat, der benütze ihn vor allem in der Christnacht! Der Schemel muß aber aus neunerlei Holz sein! Wer in der Mette bis zum Segen darauf kniet, erkennt die Hexen, die alle den Kopf nach hinten zu wenden. Vor dem letzten Segen dürft Ihr aber die Kirche unter keinen Umständen verlassen, sonst zerreißen sie Euch womöglich das Herz. Seid also auf Euerer Hut und denkt dabei an unsern Dorfbäcker selig! Der kniete auch einmal in einer Christnacht auf einem Schemel aus neunerlei Holz und sah alle Hexen, die in der Kirche waren; denn sie standen wirklich mit verkehrtem Gesichte da. Der Bäcker war aber nicht vorsichtig genug und ging zu früh aus der Mette: er kam ganz zerschunden und verkratzt zu Hause an, so daß ihn seine erschrockenen Angehörigen kaum wieder erkannten.

Wer keinen Hexenschemel oder Hexenstuhl hat, der stecke sich ein Ei in die Tasche! Auch der wird die Hexen unter den anderen Leuten erkennen! Das Ei darf aber nicht zerdrückt werden!

7. Schlagt an Eueren Stalltüren Hufeisen an! Denn diese vertreiben jede Hexe und helfen auch gegen Hexenwetter, Blitz und Feuer!

S. Zündet auch Wermutblätter in Eueren Ställen an, auf daß es recht brennt und riecht! Dieser unangenehme Geruch verscheucht nämlich die Hexen.

9. Wenn Euere Kühe keine Milch geben, dann vergrabt unter der Stalltürschwelle Hagebutten! Da müssen die Hexen wieder um kehren!

10. Redet schließlich überhaupt nicht von Hexen! Denn wer von ihnen spricht, den quälen und behexen sie samt seinem Vieh!

 

4.

Ein Jägersmann hatte viele Hunde, die er immer zum Hetzen auf die Jagd mitnahm. Unter dieser Meute befand sich ein schwarzer Hund, vor dem alles Wildbret, ob groß oder klein, still stehen mußte, bis er es erlegt und getötet hatte. Als der Häger diesem Hunde einmal gedroht hatte, ist er in die Luft gefahren und verschwunden. Wer anders aber steckte in diesem Hunde als eine Hexe, welche diese Gestalt angenommen hatte?

 

5.

Eine arme alte Frau ging einst in den Wald um für den Winter Holz zu sammeln. Sie fand da auch einen großen Holzklotz und dachte sich: »Auch den will ich mitnehmen; den kann ich zuhause schon klein machen.« Sie lud den Klotz also auf und trug ihn mit sich. Als die Frau aber vor ihrer Haustür angelangt und froh war, ihre schwere Last abladen zu können, da fing der Klotz auf einmal zu reden an: »Alte! Du hast mich lange genug getragen! Ihm laß mich wieder gehen! Ich will mich nicht »klein machen« lassen; denn ich bin groß und mächtig!« Mit diesen Worten verschwand der Stock und mit ihm die Hexe, die diesen Spuk mit der guten alten Frau getrieben hatte.

 

6.

Ein Bauer kaufte sich zwei prächtige Hengste, die er sehr teuer bezahlen mußte. Als der Pferdehändler sein Geld in der Tasche hatte, machte er seinen Käufer darauf aufmerksam, daß er die Rosse so bald nicht ins Wasser zur Schwemme treiben dürfe. Darauf hatte der Bauer nicht geachtet oder vielleicht ganz vergessen: er trieb die schönen Pferde noch am selben Tage zur Roßtränke; doch als die beiden Hengste das Wasser betraten, wurden sie in demselben Augenblicke in Strohwische verwandelt, die sogleich mit den Fluten fortschwammen. Ganz ergrimmt eilte der Dauer sogleich ins Wirtshaus, um den Pferdehändler noch anzutreffen. Er fand dort den Händler, der ziemlich viel Schnaps zu sich genommen hatte, auf einer Bank liegen und schlafen. Um den Schläfer aufzuwecken, packte er ihn ziemlich kräftig am Arm. Doch siehe! Der Arm blieb dem höchlich erstaunten Bäuerlein in der Hand und wurde alsbald zu einem Strohwisch! Der Pferdehändler war verschwunden. Ganz zornig ging der betrogene Bauer wieder heim und verwünschte den Teufel samt seinen Hexen.

 

7.

Zu einem Schuhflicker, der einen kranken Knaben hatte, kam einst eine Hexe, die ihm versprach, sein Kind wieder gesund zu machen. Sie verlangte aber von ihm, daß er der Katze, die sie zu dem Knaben schicken werde, nichts zuleide täte. Als die Alte wieder ihres Weges gegangen war, sahen der Schuster und seine Frau eine große Katze, wie sie noch nie zuvor eine gesehen hatten, in die Stube kommen und auf das Krankenbett zugehen. Da sich das Kind vor dem Tiere fürchtete, trieben sie es wieder fort und waren sehr ungehalten, daß die Katze trotzdem sehr oft wieder kam. Schließlich ging dem Schuhflicker die Geduld aus: eines Tages schloß er die Stubentür, trieb die Katze von einem Eck zum andern und gab ihr dabei so viele Stöße, bis sie zum Fenster hinaussprang und vor dem Hause tot liegen blieb. Was es mit dem Tiere für eine Bewandtnis hatte, ob es etwa feinen Knaben noch ganz verhexen sollte, das konnte der Schuhflicker nicht herausbringen. Als er aber vors Haus ging, um die tote Katze beiseite zu schaffen, fand er statt derselben die alte Hexe am ganzen Körper zerschlagen und zerstoßen tot daliegen.

 

8.

Ein Landmann hatte eine Tochter, namens Barbara, die eben zwanzig Jahre alt war. Als diese einmal den Sonntagsbraten zubereitete und eben geschickt mit der Spicknadel hantierte, trat wider ihr Vermuten ein altes Weib in die Küche und fragte sie, wie es ihr ginge. Barbara gab der unbekannten Frau eine bescheidene Antwort, worauf diese ohne ein weiteres Wort zu sprechen wieder zur Türe hinausging. Bärbel fuhr nun in ihrer Arbeit wieder fort und wollte zu diesem Zweck die Spicknadel wieder zur Hand nehmen. Aber die Nadel war nicht mehr zu finden, so fleißig sie dieselbe auch suchte. Da erblickte das Mädchen beim Suchen einen schrecklichen schwarzen Hund, der unter dem Tische am Bauch lag und seine scharfen Zähne bleckte; er stand alsbald auf und ging aus der Küche. Plötzlich hatte Barbara das Gefühl, als lief ihr etwas Kaltes über den ganzen Rücken hinunter; sie bekam ein heftiges Fieber und fiel alsbald in eine tiefe Ohnmacht, aus der sie nicht mehr erwachte. Bei der Oeffnung ihrer Leiche fand man in ihrem Magen die Spicknadel, die ihr das alte Weib, die eine böse Hexe war, hineingezaubert hatte. Im Leibe ihres Vaters, der bald nach seiner Tochter starb, fand der Bader zwei rauhe eiserne Feilen, die ebenfalls von dieser Hexe herrührten.

 

9.

Etliche Burschen beobachteten einmal einen Schwarzkünstler, der mit einem Kristallspiegel einen Waldabhang nach Schätzen absuchte. Daraufhin gingen die Burschen in der nächsten Vollmondnacht an jene Stelle und gruben nach einem Schatze. Als sie Hacken und Spaten angesetzt und eine Weile gegraben hatten, hörten sie eine geheimnisvolle Stimme, die ganz nahe an ihr Ohr drang und schrecklich lautete: »Fasset die Diebe! Fasset die Diebe!« Darob sind die Schatzgräber dermaßen erschrocken, daß sie eiligst die Flucht ergriffen. Aber die Berggeister, die den Schatz hüteten, jagten den Dieben nach und schlugen tapfer auf sie ein, bis ein jeder hinter seiner Haustüre verschwunden war. Die folgenden Tage nun kamen diese gereizten Geister allabendlich um die Mitternachtsstunde mit einem großen Gefolge von Plage-, Quäl-, Polter- und Rumpelgeistern in jene Häuser und trieben dort ihr unheimliches Unwesen: es rumpelte und polterte, es rasselte und prasselte, es zischte und krachte, es blitzte und donnerte; die Menschen wurden aus den Betten, das Vieh aus dem Stall gezogen. Kurz, das Oberste wurde zu unterst, das Unterste zu oberst gekehrt. Nach fünf Tagen nahm dieser gruselige Spuk sein Ende. Seitdem haben sich diese Burschen gelobt, zeitlebens keine verborgenen Schätze mehr zu suchen.

 

10.

Ein Bauer fällte in seinem Obstgarten einen abgestorbenen Apfelbaum. Als er den Wurzelstock ausgrub, fand er darunter eine Menge Kohlen, die ganz eigentümlich glitzerten. Darob verwundert steckte er sich etliche Handvoll in die Rocktaschen. Als er in seine Stube gekommen und die Kohlen herausnehmen wollte, siehe, da hatte er soviele Goldgulden, als er Kohlen in seine Taschen gelegt hatte. Voll Freude lief er gleich wieder in den Garten und war willens, sich noch mehr solche Kohlen zu holen, aber da war nichts mehr zu finden.

 

11.

Alles Bürgervolk war einmal auf einer Hochzeit und belustigte sich eben am Tanze. Darüber ärgerte sich eine Hexe, weil sie zu dem Feste nicht geladen war. Aus Neid und Zorn fuhr die Böse auf ihrer Gabel auf einen Hügel, der nahe beim Dorfe lag. Dort schüttete sie in eine Grube, die sie schon früher zur Erregung von Unwetter gegraben hatte, einen Kübel Wasser, rührte dasselbe um und murmelte dabei etliche Worte. Alsbald wurde der Himmel, der hell und klar gewesen, ganz trübe und dunkel; ein furchtbares Gewitter brach aus; Regen, Reif, Hagel und Schloßen waren im Gefolge. Das schreckliche Hagelwetter, das nur über das Dörflein niederging, vernichtete alles Korn, die Feld- und Gartenfrüchte, die Weinstöcke! Das alles hatte die neidische Hexe mit ihrem Wettermachen angerichtet.

 

12.

Ein Bauer ist einst ins Holz gegangen. Als er sich einer Waldwiese näherte, sah er etliche Reiter in voller schwarzer Rüstung. Davor erschrickt er, läuft zurück und sagts im Dorf. Weil man aber von solchen Reitern dazumal nie etwas gehört hat, so dachte man sofort, daß es Gespenster seien. Deshalb machten sich die Beherztesten auf und zogen in den Wald: auch sie sahen die schwarzen Reiter, deren sie etwa vierzehn Geschwader zählten. Sie teilten sich alsbald in zwei Haufen und stellten sich gegen einander in Schlachtordnung auf. Ein großer schwarzer Mann, der lange weiße Hahnenfedern auf seinem Hute hatte, kam dann aus jedem Haufen hervor und musterte die Reihen. Hernach stiegen sie wieder auf und die ganze Schar, welche die weite Wiese ausfüllte, verschwand plötzlich wieder.

 

13.

Schon oft und vielmals haben um das Haus oder Zimmer herum, in welchem ein sterbender Mensch lag, Hunde greulich geheult oder Katzen verdrießlich gemiaut; auch Eulen haben sich vor Todesfällen oder vor großem Unglück sehr oft schon sehen lassen. Ehe die Römer vor Numantia überfallen und geschlagen wurden, hat sich zu Rom ein jämmerlich Eulengeschrei hören lassen. Auch allhier ist auf der Eulen stetiges Geschrei gar bald der einen oder anderen Person Absterben erfolgt. So erinnert man sich: an einem Freitag flog eine Eule an ein Fenster, hinter dem zwei junge Burschen saßen. Nach Mittag fuhren die beiden mit ihren Büchsen auf einem Kahn in den See hinaus und schossen wilde Enten, die im Wasser schwammen. Plötzlich fiel der Kahn um und beide ertranken.

Auch anderer Tiere Verhalten hat schon oft auf den nahen Tod hingewiesen. Wie oft erfährt man, daß kluge Pferde, wenn sie an den Wagen gespannt und man aufgesessen hat, nicht von der Stelle wollen; denn sie merken es, wenn ihrem Herrn auf der Reise etwas bevorsteht; sie können es nur nicht sagen, sonst könnte man sich darnach richten. So wollte ein Handelsmann einst ausfahren; als er in den Wagen gestiegen war, wollten die Pferde nicht zum Tor hinaus. Er ließ auf die Pferde mit der Geißel einhauen und sie mit Gewalt forttreiben. Der Handelsmann fuhr also davon, bald hernach aber wurde er im Walde von einem Meuchelmörder überfallen und getötet. Daher das Sprichwort: Pferde und Hunde wittern den Tod.

 

14.

Ein neugieriges Bürschlein beobachtete einst eine Hexe, die sich Gesicht, Hände und Füße mit einer Salbe einrieb und gleich darauf nicht mehr zu sehen war. Aufs höchste verwundert sah der Bursche um sich, ob er allein sei, und schmierte sich dann mit dem Rest der Salbe ein. Sogleich fuhr er durch die Luft und landete in dem Weinkeller eines reichen Grafen. Dort fand er die Hexe mit vielen anderen bei einem fröhlichen Gelage. Als die Hexe den Burschen sah und erkannte, wer er sei, gab sie ein bestimmtes Zeichen: alle fuhren davon und ließen den unwillkommenen Eindringling alleine im Keller stehen. In größter Angst brachte der Betrogene die Nacht in dem dunklen Kellerloche zu, bis ihn am Morgen der Kellermeister fand. So sehr sich der arme Bursche auch entschuldigte und verteidigte, es half ihm alles nichts: er wurde vor den Grafen gebracht und als Dieb verurteilt und gefangen gesetzt.

 

15.

Ein Bursche war einmal irre gegangen und kam tief in die Nacht hinein, bis er den rechten Weg wieder fand. Da begegnete ihm im Walde ein Gespenst. Der Erschrockene richtete sein Messer stoßbereit zurecht und lief, so schnell er konnte. Aber das Gespenst folgte ihm unentwegt auf den Fersen nach. Im Dorfe trat der Geist an seine Seite und führte ihn an den Dorfbrunnen; dort deutete er in die Tiefe und verschwand. Tags darauf erzählte der Bursche dem Schultheiß sein nächtliches Abenteuer. Der Schulze berief sogleich einen Gemeinderat und man beschloß, den Brunnen zu untersuchen. Da fand man am Grunde des Brunnens die Leiche einer längst vermißten Frau.

 

16.

Ein Bauer ritt einst von der Stadt, in der er den Jahrmarkt besucht hatte, nach Haus. Es dunkelte bereits sehr. Im Walde stolperte sein Roß. Der Reiter stieg ab und sah nach der Ursache. Da fand er auf dem Waldwege einen toten Hund liegen. Der Bauer band den Hund seinem Pferde in den Sattel und ritt weiter. Im Dorfe angelangt warf er den Hund in den Hof des Bürgermeisters, dem er schon lange nicht gut war. Als der biedere Dorfschulze am anderen Morgen den toten Hund liegen sah, zog er ihm das Fell ab. Und siehe: der Leib des Hundes war mit Goldgulden vollgestopft. Seitdem war der Bürgermeister, dem der Bauer einen Streich spielen wollte, ein gemachter Mann.

 

17.

Es war in der Nacht vor Walburgis. Ein Bursche belauschte einige Hexen, die sich eben einsalbten und zur Fahrt auf den Hexenball rüsteten. Der Lauscher hörte, wie die Hexen beim Einsalben unter anderem auch die Worte wisperten: » Ueber Hecken und Stauden!« Als die Hexengesellschaft ausgefahren war, trat der Bursche aus seinem Verstecke hervor und rieb sich tüchtig mit der zurückgelassenen Salbe ein. Entweder hatte er den Zauberspruch nicht deutlich genug verstanden oder er war zu erregt, kurz, er sprach: « Durch Hecken und Stauden!« Sogleich fuhr der Vorwitzige dahin durch alle Hecken und Stauden und kam mit zerschundenen Gliedern und blutenden Wunden auf dem Blocksberg an. Dort fand eben das Hexenmahl statt. Als der erstaunte Bursche unter den Gästen den Teufel an seinen Bocksfüßen erkannte, bekreuzte er sich: im Nu war die unheimliche Gesellschaft verschwunden. Der erschrockene Bursche war nun allein auf dem ihm unbekannten Berge und fand erst nach langer, mühevoller Wanderung wieder in seine Heimat zurück. Er getraute sich aber kaum mehr aus seinem Hause heraus; denn da er ein ähnliches Schicksal wie jener Dorfbarbier gehabt hatte, so rief ihm die boshafte Dorfjugend auf Weg und Steg nach: »Dorfbader! Dorfbader!«

 

18.

Ein armer Schneider wollte einst einen Schatz heben, auf den ihn ein Hausgeist aufmerksam gemacht hatte. Um Mitternacht führte der Schatzgräber seine Absicht aus. Je tiefer er in den Wald hineinging, desto mehr wunderliche Dinge sah er. Der tapfere Schneider ließ sich aber durch nichts von seinem Vorhaben abbringen und gelangte schließlich an einen Bergesabhang, wo ihn ein Berggeist erwartete. Das gespensterhafte Wesen schloß eine verborgene Türe auf, worauf es verschwand. Ohne Furcht und Zagen trat der verwegene Schatzgräber in die geöffnete Bergeshöhle ein, in der es sehr finster war; er zündete sich deshalb ein geweihtes Wachslicht an und setzte dann seinen Weg fort. Der kühne Schneider durchwanderte viele Gewölbe, bis er endlich in einen großen Blumengarten gelangte; in dessen Mitte saß auf einem goldenen Stuhle eine überaus schöne Jungfrau; zu ihren Füßen stand eine eiserne Kiste, auf der ein schwarzer Hund mit feurigen Augen lag. Als sich der Schatzgräber näherte, fing das Untier schrecklich zu bellen an; und aus seinen Augen sprühte Feuer. Ein stechender Blick der schönen Fee genügte und das wütende Tier sprang sogleich von der Kiste und zog sich in eine Ecke des Gartens zurück. Durch eine Handbewegung bedeutete die stumme Gestalt der schönen Jungfrau dem fremden Eindringling, er solle den eisernen Kasten auf seinen Rücken nehmen und forttragen. Der glückliche Schneider führte diesen Auftrag sogleich frohen Herzens aus. Als er wieder ins Freie gelangt war, setzte er seine schwere Last nieder und rastete ein wenig. Da erschien der Berggeist wieder und übergab ihm den Schlüssel zu der Kiste, worauf er abermals verschwand. Die Kiste, die der Schneider sofort öffnete, war von oben bis unten mit Gold- und Silbermünzen angefüllt. Als der habsüchtige Schneider seine Hände nach diesem Gelde ausstreckte, verwandelte sich das Gold samt dem Silber zu Kohle; aus dem Kohlenstaub aber fuhr eine feurige Schlange blitzschnell empor, die den aufs höchste bestürzten Schatzgräber durch einen giftigen Biß tödlich verletzte. Am andern Morgen fand ein Holzknecht den sterbenden Schneider, der eben noch die Kraft hatte, sein schauerliches Erlebnis zu erzählen.

Dieses Unglück hat des Schneiders Hausgeist angestiftet. Man sieht also, daß auf die Hausgeister, die doch gewöhnlich für gut gehalten werden, kein rechter Verlaß ist; ja viele dieser Geister stellen sich nur fromm, in Wirklichkeit aber haben sie nichts anderes als der Menschen Verderben im Auge.

 

19.

Seit uralten Zeiten erhebt sich im nahen Talgesenke alljährlich mehrmals des Nachts ein fürchterlicher Sturm.

Das schwarze Nachtgewölke zieht unheimlich über die einsame Gegend und ihre zitternden Bewohner dahin.

Zuerst leises Wimmern und geheimnisvolles Flüstern, dann Heulen, Tosen, Rollen, Krachen, Geschrei und Gebell und allerlei wüste Stimmen werden vernehmbar und setzen Menschen und Tiere in Angst und Schrecken.

Der Wirbelwind braust durch den Wald; ungestüm bricht er auf einmal aus dem schwankenden Gehölze hervor und treibt schauerliche Gestalten vor sich her: Der wilde Jäger reitet im Sturme voraus, ihm folgen Gespenster, geisterhafte Tiere, Hexen, arme Seelen ungetaufter Kinder, kopflose Reiter, Geister aller Art in rasender Eile.

Alles, was ihr in den Weg kommt, nimmt diese wilde Geisterschar unbarmherzig mit sich. Wer unter diesen Höllensturm kommt und sich nicht sofort auf den Boden wirft, wird schonungslos mitgerissen und ist verloren.

Auch zu Hause ist niemand sicher, der nicht klug und vorsichtig ist. Da hat einmal eine naseweise Jungfer zum Fenster hinausgeguckt, als eben so ein wilder Wind übers Dorf dahinfegte; in ihrem Uebermut rief sie: »Gleich ging ich mit, wenn ich geschürzt und gegürtet wär'.« Kaum hat die vorwitzige Maid diese unseligen Worte über die Lippen gebracht, da stehen zwei stumme Gestalten vor ihr: Die eine bindet ihr die Schürze um, die andere legt ihr den Gürtel an; dann ergreifen die Geister das bebende Mädchen und tragen es durch die brausenden Lüfte in stürmischer Nacht davon. Die Jungfer aber kam nie wieder zum Vorschein.

Nach solch heillosen Stürmen sind Wald und Flur am andern Morgen immer übel zugerichtet und jammervoll verwüstet: Die mächtigsten Eichen und Tannen liegen zerschmettert am Boden, die Bäume des Waldes sind wie Ruten gebogen.

Das war das »wüthende Heer«, das seit Menschengedenken überall Unheil und Verderben anrichtet.

 

20.

In unserem Dorfe lebte vor Jahren eine reiche Hofbäuerin, der einmal ein goldener Ring abhanden gekommen war. Da sie nicht wußte, ob ihr der Ring gestohlen wurde oder ob sie selbst ihn verloren hatte, wandte sie sich an eine weise Frau; denn es war ihr der Ring, der ein Erbstück war, sehr teuer und wertvoll. »Euer gülden Ringlein,« sprach die weise Frau, »ist Euch gestohlen worden!« »Gut«, entgegnete die rachsüchtige Bauersfrau, »dann tut dem Diebe den Tod an!« Sie gab der Wahrsagerin ein Goldstück und der Handel war abgeschlossen. Als die Hofbäuerin wieder nach Hause kam, lag ihr Büblein todkrank im Bette. Ein heftiges Fieber hatte den Knaben plötzlich überfallen, so daß er gegen Abend verstarb. Der Ring aber wurde in einer Tasche des Kindes gefunden.

 

21.

Unser Krämer kam einst spät abends von der Stadt, wo er Waren eingekauft hatte, nach Hause. Frau und Kinder schliefen bereits. Als er in der Stube Licht machte, sah er plötzlich auf dem Lehnstuhl, in dem früher die Großmutter saß, sich selber sitzen. Auf den Angstschrei, den der Krämer vor Schrecken ausstieß, kam sein Weib bestürzt aus der Schlafstube gelaufen. Der Mann erzählt seiner Frau von seinem zweiten Gesicht, das inzwischen wieder verschwunden war, und legt sich dann ebenfalls ins Bett. Am andern Tag fühlt er sich so matt und krank, daß er nicht mehr aufstehen kann. Eine Woche darauf ist er gestorben.

 

22.

Von unserem ersten Dorfbader erzählt man sich folgende Geschichte: Dieser Bader, der sich sehr geschmeichelt fühlte, wenn ihn einer »Doktor« titulierte, wollte gar zu gerne ein gelehrter Mann werden. Er wandte sich deshalb in seiner Wißbegierde an einen berüchtigten Zauberer, der ihm gegen ein hohes Entgelt versprach, ihn in seine Kunst einzuweihen. Der Schwarzkünstler gab seinem eitlen Schüler einige Weisungen und bestellte ihn zu einer bestimmten Stunde an einen bestimmten Ort. Als die Nacht des verabredeten Tages angebrochen war, führte der Zauberer den Bader über viele Berge und Täler, welche dieser sein Lebtag nie gesehen hatte. Der erstaunte Bartscherer hatte auch den Eindruck gewonnen, daß sie in kurzer Zeit einen weiten Weg gemacht hätten. Ihr Endziel war eine große Feldwiese, die ringsum von hohen Bergen umgeben war. Dort war bereits eine große Anzahl Männer und Frauen versammelt, die alle in frohester Stimmung waren. Die Anwesenden begrüßten den Bader ungemein freundlich und taten, als ob ihnen seine Gesellschaft sehr angenehm wäre. Der harmlose Dorfbarbier fühlte sich darob sehr glücklich und war über alle Maßen auf die kommenden Dinge gespannt. Es war inmitten des Feldes ein großer und kostbarer Thron, auf dem ein häßlicher und abscheulicher Bock saß. Um die Mitternachtsstunde stiegen alle, die bei der Versammlung zugegen waren, einige Stufen zu diesem Throne hinauf und küßten dem Bocke den rechten Vorderfuß. Als der Zauberer merkte, daß sich der Bader über diesen Vorgang entsetzte, trat er rasch an ihn heran und forderte ihn auf, das gleiche zu tun. Da riß dem betrogenen Bartscherer die Geduld; denn eine innere Stimme sagte ihm, daß dieser Bock der Teufel sei; in seiner Erregung fing der Dorfbarbier zu schreien an und bat mit lauter Stimme Gott um Hilfe. Alsogleich entstand ein wüstes Getümmel und ein so schrecklicher Donner rollte, als wenn Himmel und Erde in den Abgrund versinken wollten. Einsam und verlassen stand der Bader auf weiter Flur; er konnte sich nicht von der Stelle bewegen und war ohne jede Empfindung. Wie lange er in diesem Zustande war, wußte er selbst nicht. Als er wieder zu sich gekommen war, sah er nur rauhe, kahle Berge um sich; dabei fühlte er sich wie zerschlagen und war so matt, daß er meinte, er hätte nicht ein Bein mehr an sich, das noch gesund und ganz wäre. Da der hintergangene Barbier doch wissen wollte, an welchem Ort er sich befände, so ging er talwärts und gelangte alsbald in ein Dorf. Aber, o weh! Die Leute verstanden ihn nicht, sie redeten eine andere Sprache! Er konnte sich also nur mühsam durch Zeichen und Deuten verständigen. Der Bader schweifte drei volle Jahre auf der Welt herum, ehe er wieder in unser Dorf kam. Nach seiner Rückkehr lebte dieser Bartscherer sehr zurückgezogen und bescheiden; er wollte kein gelehrter Mann mehr werden; er war vollauf zufrieden mit dem, was er wußte. Denn sein großer Vorwitz, für den er empfindlich gestraft worden war, gab ihm zugleich eine heilsame Lehre fürs weitere Leben.

 

23.

Es gab aber auch gute Zauberer in unserer Gegend. In unserem Kirchhof wurde einmal aus Versehen eine verdächtige Person begraben. Ob sie eine heimliche Hexe oder ein anderes zweifelhaftes Leut war, mußte niemand genau; das tut auch nichts zur Sache. Kurz, die Tote konnte die ewige Ruhe nicht finden und geisterte und spukte des Nachts ganz gewaltig. Die Leute im Dorfe fürchteten sich sehr, namentlich konnten die Kinder und die Kranken vor Angst nicht schlafen. Da ließ der Dorfschulze einen Zauberer kommen, der diesen bösen Geist bannen sollte. Der Schwarzkünstler verstand seine Kunst sehr gut; er fing den Geist um Mitternacht in einer Flasche und vergrub ihn samt der Flasche unter einer Totenblume. Seitdem ist Ruhe und Frieden auf unserem Gottesacker. Dieser Zauberer hat es also gut mit uns gemeint, allerdings hat er sich ordentlich dafür bezahlen lassen.

 

24.

Auf dem nahen Schloßberg, den nur mehr ein paar spärliche Ruinen schmücken, stand vor Zeiten eine mächtige, stolze Burg, die viele Stockwerke hoch war. Darin hauste ein ungeschlachter, boshafter Riese, der allen Leuten ihr Geld abnahm und die ganze Umgegend unsicher machte. Dieser Unhold, der es auch mit dem Teufel und mit den Hexen hielt, schleuderte einst einen unförmlichen Felsbrocken in unser Dorf, um die Kirche einzuwerfen. Gott aber hat dieses Unglück gnädig verhindert. Der Felsblock, der längst mit Moos überwachsen ist, liegt noch neben der Dorfkirche unter einem Ahornbaum an derselben Stelle, an der er damals aufgefallen ist. Das letzte Burgfräulein wurde in einen Drachen verwandelt und muß nun solange für seinen unmenschlichen Vater büßen, bis dessen Untaten allesamt gesühnt sind. Der Drachen wird manchmal des Abends sichtbar und erleuchtet mit seinen fürchterlich feurigen Augen weithin das Land. Um diese Zeit ist es nicht ratsam, sich dem Schloßberg zu nähern.

Es gab aber auch gute Riesen in unserer Gegend. So haben uns unsere Großväter erzählt, daß die alte Kapelle, welche vor dem Dorfe am Kreuzweg steht, von Riesen an einem Tage erbaut worden ist. Die Bausteine haben die Riesen in ihrer Schürze selbst herbeigetragen und zugehauen.

 

25.

Der Koller Bartl, von Beruf ein Holzwart, war unter unserem dritten Dorfschulzen auch Gemeindediener. Dieser Bartl saß einst an einem Waldabhang auf einem Baumstamm und verzehrte gemächlich sein Dreiuhrbrot. Es war ein prachtvoller Sommertag; die blühende Natur glänzte im hellen Sonnenlichte; ein leises Lüftchen wehte wohltuend über Wald und Flur. Während der Holzwart stillvergnügt sein kärgliches Vesperbrot genießt, gewahrt er plötzlich neben sich ein Erdmännlein mit langem Barte, das ihn flehentlich um ein Stücklein Brot bittet. Der Koller Bartl war kein Neidkragen, sondern hatte auch ein Herz für andere Leute, er besann sich also nicht lange und gab dem Zwerglein die Hälfte seines Butterbrotes. Mit Wohlbehagen verschlingt das kleine Männlein gierig die willkommene Gabe; dann gibt es dem freigebigen Holzwart einen Wink, als wollte es sagen: »Geh mit mir!« Bartl, der keineswegs auf den Kopf gefallen war, begriff sofort und folgte dem Erdmännlein. Es lief bergan und bergab, endlich blieb es vor einem Brombeerstrauch stehen und sprach: »Hier unter dieser Staude grabe und Du wirst aller Not los sein!« Dann verschwand der kleine Wicht. Der erstaunte Holzwart machte sich sogleich an die Arbeit und grub nicht tief: alsbald stieß er auf lauteres Gold. Bartl war außer sich vor Freude; denn er war jetzt ein steinreicher Mann, er konnte für sich und seine Kindeskinder reichlich sorgen. Der überglückliche Holzwart konnte jedoch sein schönes Geheimnis nicht lange bei sich behalten; geschwätzig, wie er war, erzählte er einmal dem Dorfschulzen seine Schatzgräbergeschichte. Der Herr Gemeindevorstand setzte eine ernste Miene auf, runzelte bedenklich die Stirn und sprach also: »Von heute ab, Bartl, verbiete ich Dir das Graben! Denn dieser Wald ist Eigentum der Gemeinde, auf diesen Schatz hat demnach niemand anderer als die Gemeinde ein Anrecht! Und wir haben ohnehin Geld sehr nötig. Das Gold, das Du Dir bis jetzt aus dem Walde geholt hast, kannst Du meinetwegen als Finderlohn behalten!« Der Koller Bartl machte ein sehr saueres Gesicht und ärgerte sich gewaltig über seine Schwatzhaftigkeit; die Reue kam jedoch zu spät; nun war nichts mehr zu ändern. Der Schultheiß, der ein recht geiziger und habsüchtiger Mensch war, dachte natürlich gar nicht an seine Gemeinde, sondern lediglich an sich selbst. Eines Abends machte er sich heimlich auf den Weg und grub im Schweiße seines Angesichts an der bezeichneten Stelle. Je tiefer er aber grub, desto steiniger wurde das Erdreich; und so sehr sich der gewinnsüchtige Schulze auch plagte, er fand nichts als lauter wertloses Gestein. Denn das Erdmännlein, das diesem schändlichen Geizhals keinen roten Heller gönnte, hatte den Schatz beizeiten beiseite geschafft.

 

26.

Wenzel, unser alter Dorfhirt, lag einst, als er noch jung war, in seiner ganzen Länge auf einer Wiese und sonnte sich behaglich. Dabei schlief er ein und träumte und träumte immer weiter. Als der Faulpelz aus seinem Schlummer wieder erwachte, leuchtete bereits das Abendrot im Westen. Schnell sprang er auf, blies in sein Horn und trieb seine Herde zusammen: da fehlten drei Zicklein. Der pflichtvergessene Hüter bekam Angst und begab sich sogleich auf die Suche; nirgends aber konnte er die vermißten Tierlein entdecken; er gab schon die Hoffnung auf. Horch! Jetzt hört er etwas und zwar in nicht allzu weiter Entfernung. Sind das nicht jene zitternden Stimmen, die nur den Ziegen eigentümlich sind? Froh geht er dem Gemecker nach und gelangt bald an eine Waldhöhle, aus der die bekannten Laute an sein Ohr dringen. Wenzel steht einen Augenblick still, horcht nochmals auf, dann tritt er hastig in die Höhle ein. Des Hirten Herz schlägt höher: er hat sie wiedergefunden, seine verlorenen Geißlein, die eben von einem Zwerglein gefüttert werden. Anfangs erschrak unser Dorfhüter, als er das struppige Waldmännlein mit seinem eisgrauen Barte erblickte. Bald aber faßte er wieder Mut; denn der Zwerg war gar freundlich zu ihm, lud ihn zum Essen ein und bewirtete ihn überaus reichlich. Als sich der Hirte tiefgerührt verabschiedete und herzlichst bedankte, überreichte ihm das gutmütige Erdmännlein zum Andenken noch ein Gastgeschenk: es war ein weißes Tischtuch; damit brauchte Wenzel seinen Tisch nur decken und alle Speisen, welche auch immer er wünschte, standen darauf. Der armen Hüterfamilie ging es lange sehr gut; sie konnten sich alle satt essen, so oft sie nur wollten. Einmal fragte Frau Wenzel, die immer etwas neugierig war, ihren Mann nach dem Geheimnis dieses merkwürdigen Tuches. Ohne dabei an etwas zu denken erzählte ihr der arglose Hirte bereitwillig, wie er zu diesem kostbaren Tuche gekommen war. Seitdem aber hatte dieses Tischtuch seine Wunderkraft verloren: Wenzel war wieder ein armer Teufel und mußte mit seiner Familie wieder hungern und darben wie ehedem.

 

27.

Den Stockhammer Michel haben unsere Urgroßväter noch gut gekannt. Der war ehemals Müller im Dorfe und ist als steinreicher Mann gestorben. Sein Vater war Schäfer bei uns und lebte bis zu seinem Lebensende in sehr ärmlichen Verhältnissen. Wie nun der junge Stockhammer auf einmal zu Gut und Geld kam, das ging so zu: Michel, der nach seines Vaters Tode vertragsgemäß die Dorfschäferei erhielt, weidete einst seine Herde am Thorheimer Grenzstein. Als er so sinnend und träumend dastand und über dies und jenes nachdachte, da kam flugs querfeldüber ein Zwerglein auf ihn zugelaufen, das von einem tollen Hunde verfolgt wurde. Beherzt stürzte sich unser Schäfer auf das rasende Tier und brachte es mit einem kräftigen Stockhieb zur Strecke. Das Erdmännlein erwies sich seinem Retter überaus dankbar; es wußte, daß Michel gar gerne ein Müller geworden wäre; aber der alte Stockhammer war so arm, daß er nicht einmal das Lehrgeld für seinen Buben hätte zahlen können. Das Zwerglein kam also in der Nacht mit seinen Gefährten und baute mit diesen dem braven Schäfer Mühle und Wohnhaus; dann schleppten die kleinen Wichte Getreide in Menge herbei und füllten Säcke, Körbe, Kasten, Kisten, Keller und Boden bis obenan voll. So war aus dem Schäfer urplötzlich ein Müller geworden. Das Geschäft ging über Erwarten gut und brachte reichen Gewinn; denn die dankbaren Zwerglein stellten sich auch des Nachts beim Müller zur Arbeit ein: sie mahlten das Getreide, scheuerten die Mühlstube, schmierten das Mühleisen, reinigten Mühlrad und Mühlrechen von Schmutz und Unrat und bewährten sich jederzeit als treffliche Mühlknappen.

Der Segen, den Michel durch seine wackere Tat in sein Haus brachte, kam auch der Gemeinde zugute. Die friedfertigen Zwerglein gewannen zu den Finsterthalern immer mehr Zutrauen und fühlten sich bald heimisch im Dorfe; sie gingen mit der Zeit auch in viele andere Häuser und halfen den Leuten bei ihren Arbeiten ganz merklich. Die dienstbaren Wichte fütterten das Vieh, warteten die Pferde, verrichteten Feld- und Gartenarbeiten, machten und löschten das Feuer, kochten die Suppe und rösteten den Kaffee, spülten die Schüsseln und Teller, die Näpfe und Töpfe, fegten Tische und Bänke, kehrten die Stuben, buken dem Bäcker das Brot und die Semmeln, hämmerten und klopften beim Schmied und besorgten jegliches Geschäft gut und verlässig, still und geräuschlos. Die Leute arbeiteten nicht mehr viel, dabei wuchs aber ihr Vermögen sichtlich. Denn für die Arbeit sorgten ja die braven Männlein.

Als Michel ein wohlhabender Mann geworden war, zog er sich vom Geschäfte zurück und übergab die Mühle seinem Sohne Florian. Der junge Müller aber war durch den Reichtum seines Vaters übermütig und hartherzig gegen jedermann geworden; auch auf die Zwerglein war er nicht gut zu sprechen; er hatte schon lange im Sinne, diese harmlosen Hausgeister mit List oder Gewalt zu verscheuchen. Eines Tages nun ließ Florian diesen kleinen Hausgenossen einen fetten Braten vorsehen und gab sich dabei den Anschein, als ob er ihnen eine besondere Freude machen wollte. Der boshafte Mensch wußte aber ganz genau, daß die Zwerge das Fleisch verschmähen und sich am liebsten von Mehl und Milch nährten. Die armen Wichte rührten davon nichts an und waren sehr traurig; denn sie durchschauten den Bösen gar wohl. Darüber empfand Florian eine höllische Freude, und kränkte von nun ab die Zwerglein, so oft er konnte. Da ging den gutmütigen Erdmännlein die Geduld aus; sie waren gereizt; nun wurden sie auch boshaft und sannen auf Rache. Während der Nacht trugen die flinken Geister alles Mehl aus der Mühle und verteilten es unter die Armen; das noch vorrätige Getreide schleppten sie zum Thorheimer Müller, der gegen diese Fügung des Schicksals durchaus nichts einzuwenden hatte; denn sein Finsterthaler Zunftgenosse hatte ihm schon manch bösen Streich gespielt. Als Florian am andern Morgen erwachte und seinen gewohnten Geschäften nachgehen wollte, gewahrt er zu seinem größten Schrecken, daß alles öde und leer war; ja Haus und Mühle waren sogar ganz wacklig und baufällig geworden. So war aus dem reichen Müller über Nacht ein armer Mann geworden»wie es vordem sein Großvater gewesen.

Der Fluch der bösen Tat traf aber nicht nur den undankbaren Müller, auch von der Gemeinde war Glück und Segen gewichen. Die arbeitsamen Zwerge waren tief beleidigt und zogen sich eilig zurück; sie kamen seitdem nie wieder; sie sind mit Sack und Pack ausgewandert und kein Finsterthaler konnte jemals erfahren wohin.

 

28.

In dem kleinen Gehölz, das rechts an der Straße nach Thorheim liegt, wurden früher Verbrecher, wie Diebe, Grenzverrücker, Marksteinversetzer, dann Erhängte und andere verdächtige Personen begraben. An dieser Stelle, die setzt das, »verrufene Feld« heißt, ist es auch heute noch nicht geheuer. Die Geister dieser Ruchlosen, die aus Strafe für ihre Missetaten keine Grabesruhe finden können und zum Umgehen oder Waizen verurteilt sind, erscheinen gar oft des Nachts und machen die Straße unsicher; sie sagen den Wanderern schreckliche Angst ein und führen sie gewöhnlich vom richtigen Weg ab. So ist es unserem Dorfschmied erst neulich auf dem Heimweg passiert, daß er dreimal die Kirche von Finsterthal ganz deutlich vor sich sah und obwohl er ganz bestimmt in dieser Richtung ging, immer wieder nach Thorheim kam. Erst am Morgen fand er den rechten Weg hieher; er war totenbleich und ganz krank vor lauter Schrecken, sodaß er drei Tage im Bett bleiben mußte.

 

29.

Als Schulmeister Thomas ziemlich bejahrt aus seinem Amte schied, kaufte er sich am östlichen Dorfende ein kleines Haus und lebte dort nur mehr seinen Wissenschaften; er war ja von jeher ein Bücherwurm. In diesem Hause aber ging ein Gespenst um; es erschien stets in der Gestalt eines alten Mannes mit magerem Gesicht, langem Barte und scheußlichen Haaren; an den Händen trug es Ketten, an den Schenkeln Fußeisen. Als der Schulmeister am ersten Abend über seinen Büchern saß und eben etwas schrieb, hörte er von weitem eiserne Ketten klirren; er kümmerte sich jedoch nicht weiter um dieses Geräusch und schrieb emsig fort; denn er war zu vertieft in sein Studium. Bald aber kam das Geklirr in die Studierstube selbst herein; da sah Thomas um und erblickte das Gespenst an der Türe, das ihm winkte. Darauf gab der Schulmeister dem Geist mit der Hand einen Wink und meinte, er solle ein wenig warten; dann schrieb er wieder ruhig weiter. Dem Gespenst dauerte es aber zu lange: es ging an den Schreibtisch vor, rasselte mit seinen Ketten und winkte wie zuvor. Nun stand Thomas auf und ging mit ihm; der Geist führte den Schulmeister über die Stiege hinunter an einen Ort des Hauses und verschwand alsdann. Thomas zeichnete die geheimnisvolle Stelle mit Kreide an und ließ am andern Tag hier nachgraben. Man fand allda etliche Totengebeine und Kettenglieder. Diese Gebeine ließ der Schulmeister auf Anraten des Pfarrers im Kirchhof begraben. Seitdem erschien das Gespenst nicht mehr. Kein Mensch weiß, was es im Leben angefangen hatte, daß es so geistern mußte.

 

30.

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Der Köhler Martin war ein kreuzbraver Mensch, dem nur das Wohl der Seinen am Herzen lag; unverdrossen arbeitete er vorn frühen Morgen bis zum späten Abend. Seine kleine Lore brachte ihm täglich das Essen in seine Waldhütte. Einmal blieb ihm das Mädchen zu lange aus. Von einer unerklärlichen Angst getrieben ging der Kohlenbrenner dem Kinde entgegen. Er kam nicht weit, da traf er seine liebe Lore im Gespräch mit einer schönen Frau, welche die Kleine durch allerlei Versprechungen an sich locken wollte. Martin erschrak ungemein; denn sein Inneres sagte ihm, daß diese seltsam schöne Frau eine böse Hexe sei. Und wie oft hatte er schon gehört, daß Hexen kleine Mädchen entführen, um sie zu Gespielinnen junger Feen zu machen. Wutentbrannt stürzte sich der erregte Vater auf die rätselhafte Frau und beschwor sie bei Gott, von seinem Kinde zu lassen. Kaum hatte der Köhler das Wort »Gott« ausgesprochen, da flüsterte die unbekannte Frau einen unverständlichen Fluch und verschwand nach Hexenart flugs durch die Luft. Vater Martin hatte sich also nicht getäuscht; die schöne Frau war wirklich eine böse Hexe. Seitdem wachte der Kohlenbrenner über sein geliebtes Kind mit größter Sorgfalt, aber er merkte nicht, daß die arglistige Hexe sein Töchterlein auf Schritt und Tritt verfolgte; denn das tückische Weib hatte ihm grimmige Rache geschworen; und wenn eine Hexe es einmal auf jemand abgesehen hat, den läßt sie nimmer los, dem tut sie was an, ob früher oder später.

Inzwischen waren Jahre vergangen. Lore war zu einer blühenden Jungfrau herangewachsen; sie und der junge Hofbauer war bereits ein versprochenes Brautpaar. Der Tag für das Hochzeitsfest war bestimmt. Die Gäste waren vom Hochzeitlader geladen. Und es war ein wundervoller Maientag, als der Brautzug unter Glockengeläute sich zur Kirche bewegte: kleine Mädchen mit Blumensträußen und Kränzen gingen voraus, diesen folgten die Brautjungfern, in der Mitte schritten die Braut in dunkelfarbigem Gewande und der Bräutigam, der auf der linken Brustseite einen Buschen trug; dann kamen die Eltern, die Ehrenväter, die Unverwandten, die Männer und die ledigen Burschen, den Schluß machten die weiblichen Gäste. Auf dem Hin- und Herweg wurden von der Dorffeuerwehr Freudenschüsse abgegeben. Nach der Rückkehr wurde im Hause allen Geladenen der Hochzeitskrug zum Willkomm gereicht; dann fand allgemeine Beglückwünschung statt; hierauf begann das Hochzeitsmahl. Festlich frohe Stimmung herrschte in der anmutig geschmückten Stube; die Gäste ergötzten sich weidlich an dem reichlichen Mahle; der Dorfschulze wollte eben einen Trinkspruch auf das Glück des jungen Brautpaares aussprechen, als urplötzlich ein heftiger Wirbelwind durch die frohe Stätte fegte und mitten aus der Hochzeitsgesellschaft die glückliche Braut mit sich riß. Wie gelähmt saßen die Gäste da; vor Schrecken erstarrten ihnen die Glieder. Wie ein böser Traum erschien allen dieses geheimnisvolle Geschehnis; aber die schöne Lore war wirklich fort und kam nicht wieder; die rachsüchtige Hexe hatte die liebliche Braut sich geholt, die sie vordem als Kind schon einmal entführen wollte.

 

31.

Ambros, unser Dorfbäcker, war einmal in gar großer Verlegenheit. Er bekam eines Nachmittags eine große Bestellung und sollte für einen Taufschmaus allerlei Weißbrot und Kuchen backen. Am andern Tag schon sollte das Mahl sein. Meister Ambros hatte gerade sehr viel zu tun und wußte nicht woan und woaus vor lauter Arbeit. Dabei wollte sich aber der tüchtige Geschäftsmann diesen unerwarteten Auftrag nicht entgehen lassen; er überlegte ein wenig und sagte dann zu; er hatte sich nämlich vorgenommen, mit der feinen Bäckerei in aller Frühe anzufangen.

Als unser Bäcker am Abend bei seiner Suppe saß, hörte er auf einmal in seiner Backstube ein Schlagen und Stoßen, ein Kneten und Walken, Feuern und Prasseln. Erstaunt sprang er auf, lief an die Tür und spitzte durchs Schlüsselloch: siehe, da arbeiteten langbärtige Wichtelmännchen flink und schnell, formten Semmeln, Brezeln, Zöpfchen, Hörnchen, Kuchen und schoben sie in den Öfen. Und am andern Morgen war alles Gebäck für das Taufmahl fix und fertig. Ambros hatte seine helle Freude daran. Dabei fanden seine Bäckereien außerordentlichen Anklang; alle Taufgäste lobten Meister Ambros, der auch zur Kindtaufe geladen war, und sagten, sein Handwerk sei ihm noch nie so gut gelungen wie diesmal. Unser Bäcker ging hochbefriedigt und tief gerührt ob all der schönen Worte nach Hause.

Seitdem kamen die arbeitsamen Zwerglein jedesmal wieder, wenn Ambros viel Arbeit hatte. Einmal merkte der Bäcker, daß die kleinen Männlein recht armselig und zerlumpt angezogen waren; sie taten ihm herzlich leid; und weil er sich den hilfreichen Männlein schon lange erkenntlich und gefällig zeigen wollte, schenkte er ihnen verschiedene Kleider. Von da an sind die Zwerge nie wieder in des Bäckers Haus gekommen. Denn es ist eine alte Geschichte: Wenn man den Wichtelmännchen mehr gibt als drei Stücklein Brot, so glauben sie, man zahle sie aus und sage ihnen den Dienst auf. Auch diese Zwerglein hatten die gute Absicht unseres Bäckers falsch aufgefaßt; und darum blieben sie aus.


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