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Eine drückend schwüle Hitze lagert schon am Vormittage über der Stadt.

Die Kastanien des Hofgartens lassen ihre breitschattenden Blätter schlaff hängen. Seit Wochen liegt der feine graue Staub darauf, den der warme Morgenwind von der Straße aufwirbelt, und den kein Regen bis jetzt wieder abgewaschen hat.

Ein Paar Sperlinge baden sich in dem heißen Straßenstaube und fliegen dann zankend auf, um in proletarierhaftem Dünkel vom Dache der Residenz ihr Geschrei über den Wagen, der sie verscheucht hat, ertönen zu lassen. –

Das alte Weib in Männerstiefeln, trotz der Hitze ein gelbes Tuch um den Kopf gewunden, mit ihrem Männerhute und dem hundertfach geflickten, durch Regen und Sonne völlig farblosen, schlichten Rocke, hat einen Augenblick mit ihrem Straßenkehren aufgehört, um den Wagen vorüberzulassen.

Dann wirbelt sie weiter den Staub auf; denn alles Wassersprengen vermag nicht, ihn der trockenen Gluthitze zu berauben.

Die Sperlinge kommen wieder auf die Straße herab und zanken sich um frischgefallenen Pferdedünger; und glühendheiß prallt die Morgensonne von dem ausgedörrten Erdboden zurück. –

Ein fernes, leises Rollen läßt das alte Weib mit dem runzligen Gesichte und den abgemagerten, farblosen Händen, die den Stiel des Besens umklammern, aufhorchen.

Ist es Militär oder nur ein fern hinrollender rasselnder Wagen? –

Es klingt näher und näher. Es ist Trommelwirbel, der seltsam dumpf in diese brütende Morgenhitze hinein tönt.

Nun biegen die Tamboure um die Ecke und schwenken in das Arkadenthor des Hofgartens ein.

Der Tambourmajor senkt seinen Stab, beschreibt wagerecht die Schwenkung, schwingt ihn zwei- dreimal elegant im Kreise und weist dann mit der Spitze in die neue Richtung.

Wieder geht es geradeaus, während er leicht bei jedem Schritt den Takt angiebt.

Hinter ihm drein schnurgerade die Sektionskolonnen des Bataillons, das vom Exerzierplatze in die Kaserne einrückt.

Der Tambourmajor giebt das Schlußzeichen, die Trommelwirbel verstummen, die Musik fällt ein, und der Schritt wird sofort stramm und energischer. Es gilt, vor dem Einrücken noch einen guten Parademarsch zu machen. –

Das alte Weib ist beiseite getreten, dem Hofgarten zu, wo die überhängenden Zweige der Bäume einen spärlichen, nutzlosen Schatten spenden.

Sie sieht die Musiker an sich vorüberziehen, die Stabsoffiziere auf ihren müden Pferden vorüberreiten, – dann kommt die Kolonne.

Den Soldaten perlt der Schweiß an den sonnenverbrannten, braunen Schläfen herab und mischt sich mit dem von den schweren Stiefeln in dichten Wolken aufgewirbelten grauen Staube, daß die Gesichter unter den Helmen noch wilder aussehen.

Auf den Stiefeln, den Pickelhauben, auf den Schultern und den Gewehrläufen liegt dicht der feine, farblose Staub.

Und boshaft dringt er in die Augen ein, in Nase und Mund, daß die Kehle noch trockener wird, als sie schon von der Hitze ist, daß die Zunge am Gaumen klebt.

Gleichmäßig geht es im Marsche fort, eins – zwei, eins – zwei. –

Das alte Weib stützt sich auf den Besen.

Schlampig genug sieht sie aus neben dem Militär. Das gelbe Sonnentuch fällt ihr über die Augen, unter dem ein paar wirre, graue Haarsträhne sich hervorstehlen, und den großen schmutzigen Hut hat sie tief in das runzelige Gesicht gezogen.

Der Rock hängt zerfetzt an ihr herum; Sonne, Regen und Schnee haben die Farben längst ausgezogen. Die hohen Stiefel sind schiefgetreten und zappen an den Seiten weit auf, daß Schmutz und Nässe eindringen können.

Ein Bild von Not und Verkommenheit. –

*

Aber wie das Militär jetzt in festem Gleichtritte mit straffer Haltung vorüberzieht, leuchtet es in den alten, tief in ihren Höhlen liegenden, entzündeten Augen auf: ein Blitzstrahl der Erinnerung.

Sie sieht sich wieder, wie sie vor vielen, vielen Jahren, zuerst vom Lande herein in die Stadt als Magd gekommen.

Ihr erster Schatz war Gefreiter gewesen.

Wie stolz war sie an dem freien Sonntage mit ihm ausgegangen, wie hatte ihr die schmucke bunte Uniform gefallen.

Er hatte ihr versprochen, sie zu heiraten, und sie hatte nicht gezögert, ihm zu glauben und alles für ihn zu thun.

Täglich zählte sie die Zeit ab, wann er frei kommen würde.

Als endlich die drei Jahre vorüber waren, ging er in sein Heimatsdorf, nur auf kurze Zeit, wie sie meinte.

Sie wartete, daß er wiederkommen werde, wie er versprochen. Sie schrieb Briefe auf Briefe. Aber er kam nicht, und antwortete nicht einmal. –

Ein Paar Jahre später heiratete sie einen kleinen Handwerker, einen Tapezierer, der für ihre Herrschaft gearbeitet, und den sie so kennen gelernt hatte.

Den ersten hatte sie allmählich vergessen. Sie hatte sich zu trösten gesucht.

Bald aber wünschte sie sich in ihre alte Stellung zurück, denn sie hatten um das tägliche Brot oft bitter zu ringen.

Ein Mädchen und zwei Buben kamen, und die verlangten was. Aber sie wuchsen auf, stark und rüstig.

Als der Krieg gegen Frankreich ausbrach, zogen sie mit ins Feld.

Wie stolz war sie, die beiden in ihren schmucken Uniformen zu sehen.

Sie dachte nicht an die Gefahren, die ihnen drohen konnten. –

Sie standen beide in einer Kompagnie, und beide fielen sie an einem Tage. – –

Der Krieg war beendet. Die Sieger kehrten heim. Ihre Buben waren nicht dabei. Sie schliefen in fremder Erde.

Ihr Mann begann zu kränkeln. Das Geschäft ging schlecht, und Not und Elend mehrten sich täglich. –

Eines Tages wurde sie ihrer letzten Stütze beraubt. Ihre Tochter lief aus dem Hause und kehrte nicht wieder. Sie hatte eine Liebschaft mit einem Offizier angefangen, und war auf und davon gegangen.

Sie hörte später einmal wieder von ihr, aber sie machte keinen Versuch, ihr nachzuforschen. Es war ihr gleichgiltig.

Wenn sie zurück gekommen wäre, sie hätte sie jetzt höchstens wieder aus dem Hause gejagt. –

Dann eines Tages starb ihr Mann, und nun stand sie ganz allein in der Welt.

Eine Zeitlang hielt sie sich kümmerlich hin, dann mußte sie ihre Wohnung verlassen. Sie wurde daraus vertrieben.

Sie war alt und ungeschickt geworden, zu nichts mehr zu gebrauchen, außer um die Straßen zu kehren.

So verdiente sie sich nun mit dem Besen ihr Brot.

*

Die letzte Kompagnie ist an ihr vorübermarschiert.

Am Eingange der Hofgartenkaserne sind die Spielleute eingeschwenkt, und der Parademarsch ist abgenommen. –

Die Trommeln wirbeln zu der lärmenden Musik, wie ein grollendes Murren.

Ein Wagen kommt aus dem Thore der Residenz gejagt. Beinahe hätte er das alte Weib überfahren, das noch immer auf den Besenstiel gelehnt im hellen Sonnenschein ihre Vergangenheit durchträumte. –

Die Musik ist verstummt. Dort um die Mauerecke verschwindet die glitzernde Schlange.

Die zusammengelaufenen Menschen strömen wieder auseinander.

Die Alte aber ballt plötzlich die Faust und sendet dem letzten Manne, der gerade noch um die Ecke zum Kasernenhofeingang biegt, einen unverständlichen Fluch nach. Sie weiß selbst nicht, weshalb.

Dann greift sie wieder zum Besen und fegt rechts und links, voller Groll, daß der graue Staub hochaufwirbelt; unermüdlich kehrt sie im glühenden Sonnenbrande weiter, bis sie einmal selbst vom Besen des Todes auf den allgemeinen Kehrichthaufen gefegt wird. –


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