Ernst Toller
Feuer aus den Kesseln
Ernst Toller

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Auswahl aus dem dokumentarischen Anhang der Erstausgabe des historischen Schauspiels »Feuer aus den Kesseln«

Diese Dokumente sind   bis auf die besonders bezeichneten   entnommen der 4. Reihe im Werk des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses: »Die Ursachen des deutschen Zusammenbruches im Jahre 1918«. Herausgegeben im Auftrage des Deutschen Reichstags. Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte, Berlin 1928

 

Divisionsbefehl

»Allen Mannschaften und Unteroffizieren ist das Lesen sozialistischer Zeitungen und Schriften verboten.
Gegen alle Unbotmäßigkeiten der Mannschaften ist mit aller Schärfe vorzugehen.«

gez.: Bachmann

Aus Sachse: »Von der Mobilisation zur Rebellion«

Jeder rechtschaffene, unverzagte und ehrliebende Soldat darf der Anerkennung und des Wohlwollens seiner Vorgesetzten sicher sein.«

(Artikel 3 der Kriegsartikel)

 

Das Wohlwollen

Immer und immer wiederholen sich die Klagen von der Front her über Zurücksetzung der Mannschaften, Erbitterung erregende Bevorzugung der Offiziere bei der Verteilung der Liebesgaben, ja auch über direkte Hintanhaltung von für Mannschaften gelieferten Gaben pp. durch Stellen, welche die Verteilung vorzunehmen hatten. Es ist sehr betrübend, daß auf unser Offizierskorps durch solche Vorkommnisse einmal allgemein ein sehr schlechtes Licht fällt, andererseits wird dadurch die Arbeit der Frauenvereine und des Roten Kreuzes, für uns Werbende, in ganz unerträglicher Weise erschwert, zum Teil unmöglich gemacht. Zum Beispiel erfahre ich kürzlich:

Ein Mann verbietet seiner Frau, sich ferner an Liebesgaben zu beteiligen, weil er Zeuge war, daß bei Verteilung von Liebesgaben die Offiziere den Wein ausgetrunken hätten (30 Flaschen), die Mannschaften je etwa 7 Zigaretten erhielten. Auf einem Schiffe sind die Mannschaften zur Zufriedenheit und Sparsamkeit betreffend Verbrauch von Lebensmitteln durch die Offiziere ermahnt, am selbigen Tage veranstalteten die Offiziere ein Essen mit 7 (sieben) Gängen, so daß die Mannschaft vor Erbitterung schäumt. Während die Mannschaften schwerste Dienste tun müssen, betrinken sich die Offiziere und schikanieren nachher im angetrunkenen Zustande, die herrschende strenge Disziplin mißbrauchend, die Leute. Wieviel von dem allen übertrieben ist, weiß ich nicht, daß vieles über Erfragen vieler wahr ist, läßt sich nicht bestreiten, weil von Leuten, gelegentlich ihres Urlaubs, an die Ihrigen mit Erbitterung erzählt, deren Wahrhaftigkeit nicht angezweifelt werden darf. Bestimmte Fälle öffentlich oder behördlich zu kennzeichnen, darf sich niemand erlauben, aus Furcht davor, seinen Lieben draußen ihr schweres bitteres Los noch mehr zu erschweren. Meines Erachtens wäre es aber doch unbedingt notwendig, solche Fälle an der richtigen Stelle zur Sprache zu bringen, damit einmal mit kräftigstem Besen gekehrt wird. Es werden ja geradezu Sozialdemokraten gezüchtet und schlimmster Samen zur Lockerung der Disziplin durch solche Taktlosigkeiten einzelner Offizierskreise ausgestreut und die wunderbare Arbeit des Roten Kreuzes illusorisch gemacht. Überhaupt ist das Mißtrauen gegen Höhergestellte durch nachgewiesenermaßen vorgekommene selbstsüchtige Ausnutzung von Liebesgaben so in die Saat gegangen, daß fast jede Gebefreudigkeit dahin ist. Ich mußte dieses einmal niederlegen und zur Erwägung geben, ob von seiten des Ausschusses etwas zur Besserung getan werden kann. Ich stehe mitten im Volksleben, bin mehr, wie manch anderer in meiner Stellung, in der Lage, die Regungen der Volksseele zu belauschen. Ich gebe mich gern aus in der Aufrüttelung der niedergehenden Begeisterung und Kraft des Volkes zum Siegeswillen. Kein Opfer des Krieges, keine Entbehrung, kein Eingriff in die Selbstbestimmung wirkt so lähmend und ist so unüberwindlich hindernd in der Arbeit als die vielen Enttäuschungen und offenbaren Verfehlungen angegebener Art in der kämpfenden wie in der Heimarmee; wir können aber nicht entgegnen.

Aus dem Brief eines Pfarrers an Admiral Bachmann vom 16. 3.1917 (a. a. O. X, 1 S. 183 f.)

 

»Willkürherrschaft«

In der ganzen Flotte hatte die geringschätzige Behandlung der Unteroffiziere und der Mannschaft durch die Offiziere, durch die häufig eines gebildeten Mannes unwürdige Ausdrucksweise der letzteren, ihren Eigennutz und die lockere Dienstauffassung, kurz durch die während des Krieges in erschreckender Weise hochgekommene Willkürherrschaft der oberen Vorgesetzten eine solche Erbitterung unter den Besatzungen hervorgerufen, daß es kein Wunder ist, wenn es zur Meuterei im Jahre 1917 kam. Die Offiziere suchen aber hierbei nicht die Schuld bei sich selber, sondern wollen durch übermäßige Strafen ihre gesunkene Autorität wiederherstellen. Auf »Nürnberg« wurden vom November 1917 bis April 1918, also in fünf Monaten, allein vom 1. Offizier an Strafen verhängt:

Mittelarrest 230 Tage Gelinder Arrest 18 Tage Strafexerzieren 152 Stunden Strafwachen, Strafrapporte 59 Stunden

(a. a. O. X, 1 S. 175)

 

Die »Flottenmeutetei«

Am 31. Juli, abends 10 Uhr begann der Anfang vom Ende. Am 1. August hatte unsere 1. Heizerwache Freiwache, die morgens durch eine Kinovorführung ausgefüllt werden sollte. Unser Wachoffizier, Ing. Hoffmann, ein zwar nicht übler, aber etwas linkischer Vorgesetzter, gab am Abend vorher den Dienst als Freiwache heraus. Aber statt Kinodienst   der uns zustand   setzte er militärischen Dienst fest. Das war eine Strafe, und wir empfanden es auch so. Statt Freizeit: mit der ›Knarre‹ auf dem großen Exerzierplatz üben! Darnach sehnte sich niemand von uns. Aber wir fühlten die Absicht, uns zu schuriegeln, deutlich heraus. Wir besprachen die Maßnahme sofort und beschlossen, dem angekündigten Strafdienst auszuweichen. Zehn Tage vorher waren 240 Mann von der »Pillau«-Besatzung ausgerückt, weil man ihnen den versprochenen Urlaub willkürlich verweigert hatte. Der einsichtige Kommandant hatte diesen ›Ausflug‹ mit drei Stunden Strafarbeit gesühnt.   Das wirkte begünstigend auf uns.   Vor Mitternacht noch schrieb ich auf die Befehlstafel: »Wenn morgen früh kein Kino, dann Ausflug ohne Erlaubnis!«

Der 2. August war angebrochen, graue Wolken trieben am Himmel, und gegen 7 Uhr begann ein lebhaftes Treiben auf unserm Schiff. Alle rüsteten sich zum Ausmarsch. Allmählich leerten sich die Mannschaftsräume, und Scharen von Heizern und Matrosen strebten durch das in der Nähe liegende Werfttor, dem großen Exerzierplatz zu. Der wachhabende Offizier auf der Schanze muß wohl Verdacht geschöpft haben. Viele strömten an Land, aber keiner kehrte zurück!...

In Rüstersiel, das wir nach einer Stunde erreichten, zogen wir in den Saal der Wirtschaft »Zum weißen Schwan« ein. Das war ein Gewimmel! Das ganze glich einem Brutplatz großer Wasservögel nach einem Gewitterregen. Während ich mit einer Anzahl Matrosen unser Verhalten nach der Rückkehr an Bord besprach, bestieg Köbis die Bühne und setzte den Versammelten den Zweck und das Ziel unseres Ausmarsches auseinander. »Wir wehren uns, weil man uns bedrückt!« war der Sinn seiner Rede. Unter großem Beifall schloß er mit den Worten: »Nieder mit dem Krieg!« ...

Aus: Hans Beckers »Wie ich zum Tode verurteilt wurde« (Verlag Ernst Oldenburg, Leipzig 1928)

 

Prozeß gegen die Meuterer

Wer die Wahl hat, hat die Qual (Altes deutsches Sprichwort)

Manchmal wurden wir wohl zwanzigmal am Tage verhört. Man hat uns fast damit verrückt gemacht. Köbis sagte zu mir, Dobring hätte gesagt, er würde bestimmt das Todesurteil für ihn beantragen, und das Gericht müßte sich seinem Antrag beugen. Ich denke noch an das traurige und auch trotzige Gesicht von Köbis. Er machte sich weniger daraus. Vor Köbis hatte Dobring scheinbar Angst. Einmal war Köbis bei Dobring zum Verhör, sie waren allein, der Schreiber mußte wohl hinausgehen. Da legte Dobring seinen Dienstrevolver neben sich auf den Tisch, legte den kleinen Finger auf den Drücker der Klingel und lehnte sich zurück und sah Köbis mit höhnischer Miene an. So haben sie fünf Minuten gestanden. Er hat wohl Angst vor ihm gehabt. Köbis sagte: »Er meint wohl, ich greife ihm an die Gurgel; dazu ist er mir viel zu schlecht.« Zu gleicher Zeit erzählte mir Sachse und Reichpietsch, daß sie bei Dr. Dobring zum Verhör zusammengekommen wären. Da hätte Dr. Dobring auf ein Blatt Papier einen Galgen gemalt und einen Revolver daneben gelegt und gesagt: »Das ist ein Revolver und ein Galgen; entweder Sie werden nur erschossen oder erhängt, das hängt von, Ihrer Aussage ab, ob Sie nur erschossen werden oder erhängt.«

Aussage Beckers vor dem Untersuchungsausschuß des Reichstags (a. a. IX, 2 S. 284)

Der Brief zur Charakterisierung Reichpietschs, der in der 6. Szene des Dramas an Staatssekretär Capelle geschrieben wird, ist dokumentarisch und befindet sich in den Akten des Untersuchungsausschusses.

 

Wie Protokolle entstehen

Der Dobring erklärte damals, das das Eintreten für einen annexionslosen Frieden schon vollendeten Hochverrat bedeute und daß mich nichts vor einer Todesstrafe schützen könnte. Ich wurde mehrmals vernommen, ohne daß ich etwas Positives aussagen konnte, bis mir eines Tages Dr. Dobring ein Protokoll von dem Gerichtsschreiber vorlesen ließ, in dem geschildert wurde Aufbau und Ziele der Organisation (die gar nicht bestanden hat), mit dem Endzweck, durch Mithilfe der USPD, einen annexionslosen Frieden mit Gewalt und durch Aufstand zu erzwingen, und erklärte mir: »Nicht wahr, Michalski, dieses Protokoll ist richtig. Unterschreiben Sie es!« Dasselbe Manöver machte Dobring mit dem Heizer Adomeit. Adomeit sowie ich unterschrieben mit Vorbehalt, da uns der Kriegsgerichtsrat Dobring erklärte, daß nicht wahre Angaben sofort geändert und gestrichen würden ...

 

Artikel des Matrosen Michalski »Die Stimmen der Feldgrauen« im »Vorwärts« (a. a. O. IX, 1 S. 371)

Was hätte Dittmann im Prozeß gegen Köbis, Reichpietsch unter seinem Eid erklärt?

Dittmann: »Die Sozialdemokratie und auch die USP hatten immer offen erklärt, daß die Landesverteidigung Pflicht jedes Deutschen sei. Das hat Haase stets betont. Auch Ledebour hat gegen den Verteidigungsnihilismus sich immer gewandt.«

R. A. Martin: »Wie verträgt sich diese Äußerung des Zeugen mit seiner Tätigkeit in bezug auf die Flottenmeuterei?«

Dittmann (sehr erregt): »Ich verbitte mir diesen unerhörten Angriff. Ich bin nie an der Flottenmeuterei beteiligt gewesen. Ich werde Sie deshalb gerichtlich belangen.«

 

Prozeßbericht von Magdeburg im »Vorwärts« vom 10. Dezember 1924

Der Kampf der USP war ein politischer Kampf und hatte mit militärischer Sabotage nichts gemein, weder mit Deserteurpropaganda noch mit Meutereien von Heeres- und Marineangehörigen.

Jeder, der damals uns gegenüber von Dienstverweigerung gesprochen hätte, wäre von uns als Spitzel betrachtet und behandelt worden. So fern lag unseren in jahrzehntelanger sozialistischer Schulung entstandenen Vorstellungen der Gedanke der militärischen Sabotage.

Dittmann: Die Marine-Justizmorde S. 38 f.

 

Zum Tode verurteilt

Gericht des IV. Geschwaders.

Urteil in der Untersuchungssache gegen

1. Oberheizer Willy Sachse, Max Reichpietsch, Willy Weber S. M. S. »Friedrich der Große«

2. Heizer Köbis, Beckers S. M. S. »Prinzregent Luitpold« wegen Kriegsverrats hat ein auf Befehl des Gerichtsherrn und Chefs des IV. Geschwaders zusammengetretenes Feldkriegsgericht in der Sitzung vom 25. August 1917 für Recht erkannt: Die Angeklagten werden verurteilt:

1. Wegen vollendeter kriegsverräterischer Aufstandserregung: Reichpietsch, Beckers, Köbis, Sachse, Weber zum Tode, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebensdauer und Entfernung aus der Marine...

(A. a. O. X, 1 S. 321 ff.)

Aus der Urteilsbegründung

Bereits zu Beginn des Jahres 1917 machte sich in der Flotte, wohl infolge der russischen Revolution, eine Bewegung geltend, die aus vorhandenen oder vermuteten Mißständen genährt wurde. Ein Teil der Mannschaften glaubte, Kritik an der Verschiedenheit des Essens für Offiziere und Mannschaften üben zu müssen. Vornehmlich mag es aber die Untätigkeit sein, zu der das Gros der Schlachtflotte mehrfach für längere Zeiträume verurteilt ist, auch der Wunsch nach baldigem Frieden, der die Unzufriedenheit nährte und die Köpfe verwirrte ... Am 21. Juni fuhr der Angeklagte Reichpietsch von »Friedrich der Große« nach Berlin, um sich angeblich bei der Parteileitung der USPD Auskunft über Menageangelegenheiten und ein Verbot des Haltens sozialdemokratischer Zeitungen der USPD zu holen. Er hatte mit dem Abgeordneten Dittmann in dessen Schreibstube und weiterhin mit den Abgeordneten Vogtherr, Haase, nochmal wieder Dittmann und der Frau Luise Zietz im Reichtagsfraktionszimmer längere Unterredungen ... Nach der Rückkehr, des Reichpietsch von Berlin kam nach Angaben Sachses die Bewegung unter den bis dahin beteiligten Flottenmannschaften mit dem letzten Ziele der USPD, nötigenfalls die gewaltsame Durchführung der Stockholmer Konferenzbeschlüsse durch einen Flottenstreik zu unterstützen, mehr in Fluß. Insbesondere war man fest entschlossen, bei Hungerstreiks die Befehle, auf aufständische Massen zu schießen, nicht durchzuführen... Als Zentralleiter der ganzen Bewegung haben Reichpietsch, Sachse und Weber für ihre Tätigkeit und deren Folgen voll und ganz einzustehen. Es lag deshalb keine Veranlassung vor, bei diesen drei Angeklagten gemäß § 58 Abs. 2 einen minder schweren Fall anzunehmen. Ebenso verneinte das Gericht bei den Angeklagten Beckers und Köbis einen minder schweren Fall. Diese beiden Angeklagten haben ebenfalls eine Hauptrolle in der ganzen Bewegung gespielt, insbesondere auch einen wesentlichen Anteil an dem Massenstreik am 1. und 2. August auf S. M. S. »Prinzregent Luitpold«. Gegen diese fünf Angeklagten erkannte das Gericht daher gemäß § 58 Abs. 1 MilStGB. auf Todesstrafe.

(A. a. O. X, 1S. 321 ff.)

Bestätigungsorder

Ich bestätige das Urteil:

1. Bezüglich der Angeklagten Reichpietsch und Köbis unverändert.

2. Die gegen die Angeklagten Sachse, Weber und Beckers erkannte Todesstrafe mildere ich auf Zuchthausstrafen von je 15   fünfzehn   Jahren.

gez. Scheer

Die Richtigkeit der Abschrift beglaubigt gez. Martini Marine-Hilfs-Kriegsgerichtssekretär.

(A. a. O. X, 1 S. 321 ff.)

Abschiedsbrief Reichpietschs an seine Eltern

Donnerstag, den 30. 8.1917

Geliebte Eltern!

Ich hätte Euch schon lange geschrieben, was mit mir los ist, aber ich wollte erst mein Urteil abwarten. Nun ist der Tag gewesen, und er ist noch schlimmer ausgefallen, als ich gedacht hatte. Es ist ein Todesurteil geworden. Ob es vollstreckt wird oder ob es durch die Gnade des Kaisers verhindert wird, liegt in Gottes Hand. Ich habe keine Hoffnung mehr und habe mit dem Leben abgeschlossen. Das hatte wohl keiner gedacht als wir im Juni Abschied nahmen, daß es das letztemal sein sollte. Nun bitte ich Euch, liebe Eltern, verzeiht mir diese letzten Vergehen, damit ich ruhig in die andere Welt hinübergehen kann, wo wir uns alle einmal wiedersehen. Auch danke ich Euch für all das Gute, was Ihr an mir getan habt... Teilt mir bitte die Adresse und den Namen des Vorstehers oder Apostels der Gemeinde von hier mit... Und wenn Ihr noch mehr und Näheres über mein Vergehen wissen wollt, so schreibt an den, der Euch auf meinen Antrag hin zum erstenmal geschrieben hat. Nun entschuldigt, daß ich nicht mehr schreibe; aber mir ist das Herz so schwer, daß es mir unmöglich ist, noch mehr zu schreiben. Denn es ist traurig, als junger Mensch in der Blüte der Jahre, mit einem Herzen voll Hoffen und Sehnen, schon sterben zu müssen, sterben, durch harten Richterspruch. Grüßt Willi und Gertrud, und Euch selbst umarmt und küßt zum letzten Male

Euer Sohn Max.

Alles, was Ihr für mich machen könnt, ist, wenn Ihr durch einen Rechtsanwalt oder durch den Stammapostel ein Gnadengesuch an den Kaiser macht, in dessen Hand augenblicklich mein Leben ruht und dessen Hand auch mildtätig wirken wird.

(A. a. O. IX, 1 S. 77)

Diesen Brief haben die Eltern des Reichpietsch erst mehrere Wochen nach seinem Tode erhalten. Über seine Zurückhaltung äußert sich Korvettenkapitän Canaris, der Vertreter des Reichsmarineamts, in dem Untersuchungsausschuß des Reichstags:

»Hierzu ist zu sagen, daß tatsächlich der Brief durch ein Versehen zu spät abgeliefert worden ist. Es ist selbstverständlich, daß dieses Versehen als außerordentlich bedauernswert bezeichnet werden muß, es wird aber bis zu einem gewissen Grade dadurch erklärt, daß der ohnehin überlastete Kriegsgerichtsrat in den fraglichen Tagen Hunderte von Briefen vorgelegt bekam. Der Kriegsgerichtsrat, um den es sich hier handelt, ist seinerzeit, wie aus den Akten hervorgeht, gerügt worden. Von einer Absicht oder einer Roheit der Gesinnung kann keine Rede sein.«

(A. a. O. IX, 1 S. 135)

Abschiedsbrief Köbis' an seine Eltern

Köbis hat sich in der Angabe der Daten geirrt. Der Brief ist im Original erhalten.

Liebe Eltern!

Ich bin heute, den 11. 9. 1917 zum Tode verurteilt worden, nur ich und noch ein Kamerad, die andern sind zu 15 Jahren Zuchthaus begnadigt worden. Warum es mir so ergeht, werdet Ihr ja gehört haben. Ich bin ein Opfer der Friedenssehnsucht, es folgen noch mehrere. Ich kann der Sache nicht mehr Einhalt gebieten; es ist jetzt 6 Uhr morgens, um 6.30 Uhr werde ich nach Köln gebracht. Mittwoch den 12. 9. 4 Uhr morgens falle ich, ein Opfer der Militärjustiz. Ich hätte Euch gern noch einmal die Hand zum Abschied gedrückt, aber ich werde stillschweigend erledigt. Tröstet Paula und den kleinen Fritz. Ich sterbe zwar nicht gern so jung, aber ich sterbe mit einem Fluch auf den deutschen Militärstaat. Das sind meine letzten Zeilen. Vielleicht bekommst Du und Mutter diese einmal zugesandt.

Auf immer Euer Sohn.

Lieber Kamerad! Wenn Du solltest bald die Freiheit bekommen, sende dieses an
Herrn Karl Köbis Berlin-Reinickendorf Chausseestraße 16

 

Ruhe und Ordnung durch Noske

In der Kieler, Bahnhofshalle hat es stets ein Gewimmel von Blaujacken gegeben. Als ich die Bahnsperre passierte, stutzte ich doch beim Anblick der vielen Soldaten mit einem Gewehr in der Hand. In dem Augenblick rief jemand meinen Namen. Da erdröhnte die Halle von brausendem Hurra, und hundert Hände streckten sich mir entgegen. Eine Schar der Bewaffneten drängte meine Begleiter von mir ab und schob mich nach dem Ausgang zu. Die Leute hatten von meinem Kommen gehört. Dem Namen nach war ich vielen aus meiner Parlamentstätigkeit bekannt. Ohne Überlegung, was ich von ihrem Verhalten denken könnte, nahmen sie mich als ihren Wortführer in Beschlag...

Ein ganz klares Bild von der Lage in Kiel konnte ich naturgemäß noch nicht haben. In meiner kurzen Ansprache beschränkte ich mich deshalb auf allgemeine Betrachtungen, die der politischen Lage entsprachen, und schloß mit der nachdrücklichen, mit großem Beifall aufgenommenen Aufforderung, Ordnung zu bewahren...

Die Erfüllung der Forderungen (der aufständischen Matrosen, E. T.) hing nicht vom Willen der Offiziere ab, sondern sie konnten nur nach Berlin der Regierung übermittelt werden. Das viele Reden war deshalb zwecklos. Aber die deutsche Revolution ist ohne unendlich lange Sitzungen und zahllose Reden nicht denkbar...

Zu 1 Uhr mittags war wieder eine große Demonstrationsversammlung auf dem Wilhelmsplatz angesagt, in der Bericht erstattet werden sollte. Kurz vorher setzte ein heftiger Regen ein, den ich deswegen begrüßte, weil zu erwarten war, daß er eine ganze Anzahl von Leuten von der Straße vertreiben würde. Ich erinnerte mich, irgendwo gelesen zu haben, daß eine Revolution noch in den seltensten Fällen gemacht worden sei, wenn die Leute einen Regenschirm brauchten ...

Am Freitag, dem 8. November, ließ ich alle Kommandanten und höheren Beamten der Intendantur nach der Station kommen, um die Sachlage zu schildern und mich ihrer Mitarbeiterschaft zu vergewissern. Auch dabei war kein Soldatenratsmitglied zugegen. Statt in prunkender Uniform waren alle Offiziere im Zivilrock erschienen. Mir war daran gelegen, eine persönliche Kränkung der Herren möglichst zu vermeiden... Sie hatten in den letzten Tagen Furchtbares erlebt und waren tief erschüttert. Daß ich mit vollem Verständnis für ihre Lage zu ihnen sprach, hat mir bei ihnen ein Vertrauen verschafft, ohne das eine Erledigung der Geschäfte unmöglich gewesen wäre. Wer nicht überflüssig wurde, blieb auf seinem Posten, trotz vieler Widerwärtigkeiten, die in den Kauf genommen werden mußten...

Ein Kapitänleutnant von einem Schlachtschiff schrieb am 12. November, daß er alle seine Kraft in den Dienst des neugegründeten Staates stellen wolle:

»Ich will mitarbeiten an seinem Aufbau, dieser Organisation, wo immer meine Arbeitskraft zum Nutzen der sozialdemokratischen Sache gebraucht werden sollte...«

Aus einer Garnison schrieb mir am 14. November der Major beim Stabe eines Regiments:

»Als alter Militär erlaube ich mir, Euer Hochwohlgeboren meine ganz besondere Anerkennung und Hochachtung für die ganz ungewöhnliche umsichtige und hinreißende Art auszusprechen, mit der Euer Hochwohlgeboren Ruhe und Ordnung in Kiel und Umgebung hergestellt haben, wie sie so gründlich und vollkommen wohl kaum anderen gelungen wäre...«

Aus: Gustav Noske »Von Kiel bis Kapp«

 

Er war imstande, die »Leute« mit der größten Ruhe noch einmal zu erschießen

Ich habe mich sehr darüber aufgeregt, als ich bei Gelegenheit der Berichte über den Münchner Dolchstoßprozeß las, daß Herr Dr. Dobring die Stirn gehabt hat, in München bei dem Prozeß zu sagen, er habe niemals die Angeklagten beeinflußt. Herr Dr. Dobring hat wiederholt bei jeder möglichen Gelegenheit gesagt: »Sie sind doch dem Tode geweiht, Sie haben doch nichts zu riskieren.« Sogar als man etwas zur Ruhe gekommen war, wollte er noch aus uns herauspressen, daß Herre damals die Hauptkanone der USPD für uns gewesen sein soll. Er sagte: »Sie dürfen die Leute nicht in Schutz nehmen, Sie müssen das sagen.« Ich hatte tatsächlich das Gefühl, als wenn er mich dazu verleiten wollte, insofern gegen die Gesetze zu verstoßen, als ich etwas Unwahres aussagen sollte, von dessen Unwahrheit Herr Dr. Dobring selbst überzeugt war. Der Mann hat heftig auf meine ganze seelische Verfassung eingewirkt, daß ich das in meinem Leben nicht vergessen werde. Ich sagte Herrn Dr. Dobring einmal: »Haben Sie noch nicht eingesehen, daß es ein Unrecht war, daß man diese beiden Kameraden erschossen hat? Es waren doch Menschen wie wir, sie taten nur, was ein Kind begriff, sie wollten nur dieses himmelschreiende Unrecht beseitigen; belastet das wirklich nicht Ihr Gewissen?« Da sagte Herr Dr. Dobring mir mit einer Kaltblütigkeit, daß mir der Verstand stehenblieb: »Ich wäre imstande, diese Leute mit der größten Ruhe noch einmal zu erschießen, besonders den Reichpietsch.«

Aussage des Matrosen Weber vor dem Untersuchungsausschuß des Reichstags (a. a. O. IX, 2 S. 301)


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