Ludwig Tieck
Prinz Zerbino
Ludwig Tieck

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Fünfter Akt.

Stallmeister mit einem Bündel auf dem Rücken.

Stallmeister. Das muß wahr sein, daß man auf Reisen seinen Verstand ganz ungeheuer erweitert; nur finde ich es schlimm, daß man an seinen Bemerkungen nachher so schwer zu tragen hat, denn die Manuskripte, die ich mit mir führe, kosten mich manchen Schweißtropfen. Er setzt sich nieder. Es ist eine sehr unartige Gewohnheit, daß ich die Zunge so herausstrecke, wenn ich echauffirt bin, aber alle meine Bildung und Bemühung hilft nichts dagegen.

Jeremias tritt auf.

Jeremias. Wo find' ich nun gleich einen Herrn wieder, der mir mit seiner Dummheit so vielen Spaß macht?

Stallmeister. Was ist das für ein Kerl?

Jeremias. Wer sitzt denn da und schöpft mit so großer Anstrengung frische Luft?

Stallmeister. Er sieht fast aus, wie ein Landstreicher.

Jeremias. Guten Tag, Freund; wo soll denn die Reise hingehn?

Stallmeister. Ich betrachte mir die Welt und reise zu meinem eignen Vergnügen im Lande umher.

Jeremias. Und was hat Er denn davon für Vergnügen?

Stallmeister. Mannichfaltig, denn bald werden meine Kenntnisse erweitert, bald wird mein Herz durch die Pracht der Natur auf eine gelinde Art erwärmt, dann beobachte ich wie der die Menschen und ihre Gesinnungen, dann kehre ich mal in den Wirthshäusern ein, in Summa, das Reisen macht mir tausendfältigen Spaß.

Jeremias für sich. Ich glaube gar, der Kerl ist ein Hund. – Richtig! das ist ja eine interessante Bekanntschaft. – Braucht Ihr vielleicht einen Bedienten?

Stallmeister. Ich könnte ihn gut genug brauchen, aber ob er mich brauchen könnte, das ist eine andre Frage.

Jeremias. Da Ihr solche Gesinnungen führt, will ich Euch ganz ohne Lohn dienen, denn mir ist es nur um einen Herrn zu thun.

Stallmeister. Auf die Art bin ich zufrieden. – Könnt Ihr schreiben?

Jeremias. Ich bin selbst ein Schriftsteller.

Stallmeister. Das trifft sich gut, so könnt Ihr mir immer die Unterabtheilungen in meinen Werken ausarbeiten.

Jeremias. Mit Freuden. Sie umarmen sich. Was schreibt Ihr denn?

Stallmeister. So ein bischen für die Menschheit; es geht alles so ein klein wenig in's Große, jetzt sorge ich für das Gesinde.

Jeremias. Das thut Noth.

Stallmeister. Auch diese Menschenklasse muß gebildet werden. Die Kindererziehung ist eigentlich meine Hauptstärke, und über den Unterricht der Jugend habe ich am allermeisten nachgedacht.

Jeremias. Wir beiden großen Männer müssen noch in der Welt unser Glück machen.

Stallmeister. Das wäre recht meine Sache, denn ich bin nur aus einem niedrigen Stande.

Jeremias. Wie heißen Sie denn?

Stallmeister. Stallmeister.

Jeremias. Ein schöner und gleichsam allegorischer Name, wenn Sie die Menschheit noch zureiten wollen.

Stallmeister. Wie heißt Er denn?

Jeremias. Jeremias, und bin von meiner Geburt an Bedienter gewesen.

Stallmeister. Also Er hat nicht studirt?

Jeremias. Niemals, außer unter der Anleitung des Polykomikus. Ich kann mich aber in alle erdenklichen Thiere verwandeln.

Stallmeister. O das ist schön, damit soll er mir die Herzen gewinnen helfen.

Jeremias. Und durch die Herzen das Geld.

Stallmeister. Natürlich, denn in unserm Zeitalter ist Coeur Trumpf. – Sie gehn Arm in Arm ab.

 


 

Polykomikus in seiner Höhle.

Polykomikus. Ich weiß nicht, was ich nun beginnen soll,
Ich werde noch vor langer Weile toll,
Es muß ein böses Schicksal mit mir walten,
Mir will jetzt keine Freude Stand mehr halten:
Wenn ich nun auch nach alter Laune handle
Und mich zum Spaß in Feuer und Rauch verwandle,
So friert mich mitten im Feuer, im Wasser ist mir heiß,
Als Baum ich mich vor den Sperlingen nicht zu lassen weiß,
Als harter Fels, wenn der Nordwind über mich weht,
Verlier' ich vollends meine Humanität:
Keine Bücher, meine eigne, wollen mich nicht erbauen
Und kein Hund läßt sich in dieser Wüste schauen,
Da forscht nun keiner weder früh noch spat
Nach meinem sonst geschätzten guten Rath.
O warlich, wär' ich nicht geschmückt mit so vielen Jahren,
Ich ging noch heute unter die Husaren.
O Menschheit! undankbare Race! wer, sprich frei,
Trug doch zuerst zu Deinem Glücke bei?
Ich will mich an den Hof begeben,
Vielleicht erneuert sich dort mein Leben.

Stallmeister tritt auf.

Stallmeister. Hab' ich das unaussprechliche Glück, den weltberühmten Herrn Polykomikus vor mir zu sehn?

Polykomikus. Allerdings! Es steht ja auch draußen an meiner Klingel angeschrieben, damit die Leute mich gleich finden können, wenn sie des Nachts zu mir kommen.

Stallmeister. O so bin ich ja beglückt, und dreifach beglückt, und ich möchte mich vor Freuden kreuzigen und segnen, wie man zu sagen pflegt.

Polykomikus. Sagt es lieber nicht, denn das ist eine Redensart, wodurch Ihr mir sonst verdächtig würdet, und Ihr scheint übrigens ein sehr verständiger und interessanter Mann zu sein.

Stallmeister. Ich thue wenigstens mein Möglichstes, und wenn es
nachher doch nicht geräth, so liegt die Schuld am Schicksal und nicht an mir.

Polykomikus. Braucht Ihr guten Rath?

Stallmeister. Unendlich vielen, denn ich bin ein junger Mann, der nunmehr in die Welt einzutreten gedenkt, um zu wirken und auf sich wirken zu lassen.

Polykomikus. Ihr seht schon ziemlich alt und überaus gesetzt aus.

Stallmeister. Das liegt in unserer Familie.

Polykomikus. Ihr wollt doch ordentlich nützlich sein?

Stallmeister. Ueber die Maaßen, und eben deswegen komme ich zu Ihnen.

Polykomikus. Nun, so kommt in meine Studierstube, da können wir besser mit einander sprechen.

Stallmeister. Mit Freuden und Entzücken wird mein zitternder Fuß und klopfendes Herz dies Heiligthum betreten.

Polykomikus. Kommt, denn Ihr fangt an, mir sehr lieb zu werden. Beide gehn ab.

 


 

Wald.

Dorus, Lila.

Dorus. Wir stehn hier wieder an der alten Eiche,
Du schaust nun wieder durch den grünen Wald
Und immer noch kehrt Cleon nicht zurück.

Lila.
        Vom Berge schau' ich nur nach ihm,
        Es fließt und klagt der klare Bach,
        Ich sehe seinen Wellen nach,
        Ich weine, wenn die Vögel ziehn.
        Die Bäume blühn,
        Die Rosen glühn
        Und winterlicher nur mein Herz,
        Vom Verlangen,
        Befangen,
        Zerrissen von der Trennung Schmerz.

Dorus.
        Er kehrt bald aus den Bergen wieder,
        Von ihm erzählen des Baches Wogen,
        Er kommt von Wellen heimgezogen,
        Der Frühling hat Dich nicht betrogen,
        Er streut dann seine Blüthen nieder
        Und balde
        Im Walde,
        Begegnet dein Fuß
        Dem treuen Geliebten,
        Dann eint die Betrübten
        Ein himmlisch belohnend-entzückender Kuß.

Lila.
        Und immer vergebens
        Die Sehnsucht ihn ruft:
        Ihr fernen Gestade,
        O dunkele Kluft,
        Ihr fesselt des Lebens
        Alleinige Freud',
        O bringet geschwinde
        Ihr gütigen Winde
        Den Liebsten den sehnenden Armen noch heut!

Dorus.
        Vertraue der Zeit,
        Sie bringet die Blüthen,
        Sie reifet die Trauben,
        Drum fasse den Glauben,
        Es wandeln die Stunden
        Hinauf und hinunter.
        Er kehret zurück,
        Bald seid Ihr verbunden,
        O herrliches Glück!

Lila.
        O Sonne mit deiner Morgenröthe,
        Mit deinem lieblichen Abendglanze,
        Du Mond mit dem freundlichen Schimmer,
        Ihr Sterne mit lieblichem Funkeln,
        Gesellig entzündet
        Euch alle zumal,
        Ihr Wolken verschwindet,
        Damit er ihn findet,
        Den Weg durch das Thal.

        O Nacht mit deinen düstern Schatten,
        Du im Hohlweg lauernde Finsterniß,
        Irrlichterschein, verführend Feuer,
        Regenschauer, durch den Himmel flatternd,
        Entflieht!
        Gestirnt und hell
        Sei der Weg, den er zieht,
        Mit Lichtern erblüht
        Die Nacht um ihn schnell.

        O ungetreuer Weg, der seinen Schritt
        Nur stets nach ferner fremder Gegend lenkt,
        Du nimmst mein Herz nach andern Fluren mit,
        Wie sich sein Fuß in ferne Thale senkt:
        Ihr Blumen, die ihr freundlich nach ihm blicket,
        Entgegen ihm mit bunten Sternen nicket,
        Und den Geliebten fern von mir entzücket:
        O wie ich Euch beneide,
        Wie ich eifersüchtig bin,
        Es wünscht mein tiefgestörter Sinn
        Sich zur Freude
        Daß Euch ein zürnender Sturm zerknicket.

Dorus.
        Mag wohl, daß Er die schönsten pflücket,
        Die blausten von dem Stengel bricht,
        Gedenkend deiner Augen Licht,
        Sich sinnend nach der Rose bücket
        Weil sie von Deinen Lippen spricht,
        Und alle Dir zum Strauße flicht.

Lila.
        Blumen, freundliche Kinder, vergebt mir,
        Ihr zarten, flüchtigen Bilder der Liebe,
        Die des Frühlings Finger
        Zum Trost der Liebenden aus kalter Erde steckt
        Und fein und lieblich mit bedeutungsvollem Schmuck bemalt:
        O vergebt! und treibt ihn fort,
        Richtet alle Eure Fäden,
        Alle rothen, blauen Sterne,
        Wie die Zeiger auf der Uhr,
        Wie die Nadel auf dem Compaß
        Sich nur nach dem Pole neigt,
        Nur nach dieser Gegend her.

Dorus.
        Nun kehre wieder mit mir nach der Hütte,
        Die kurze Zeit wird auch vorübergehn,
        Dann ist er ja auf immer, ewig Dein. Sie gehn.

Helikanus tritt auf.

Helikanus. Woher? – Wohin?
Zerstückter Sinn,
Was beginnst du?
Worauf sinnst du?
Wird das Glück sich niemals wenden?
Soll niemals dieses Leiden enden?
Wann ich zum Himmel aufwärts schaue
Und mir begegnet der Sonnenschein,
Und ich mir selbst vertraue
Und hoffe glücklich zu sein:
        So streck' ich die Hände
        Dem fernen, ewig fernen Glück entgegen,
        Ich flehe, daß ein Gott es sende,
        Ihn sende niederthauend den Segen:
        Ich hoffe ihn auf wundervollen Wegen, –

Und immer wieder
Fliehen zum Boden die Augen nieder!
Mein Herz innerlich drängt,
Die Brust sich sehnsuchtsvoll verengt,
        Es treibt mich weiter, weiter,
        Ich sehe um mich,
        Ich zittre, ich wanke,
        Wohin setz' ich den Schritt?
        Ach! nirgends heiter! –

O Cleora, steige aus der Nacht,
Die sich stürmend um mein Herz herzieht,
Daß mit Zittern jeder Schein entflieht;
Kommt ihr ersten Liebesgefühle in flammender Pracht,
Erinnerung alter Zeit, du voriger Stolz, erwacht!
Bringt mit Euch all das Sehnen,
Die schweren, brennenden Thränen,
Die Verschmähung, das kalte Verhöhnen,
Du Leidenschaft, du Liebe, kommt und facht
Das vorge Feuer, daß es glüht,
Und immer rascher, immer wilder
Sich drängen Bilder auf Bilder,
Die Verzweiflung mich endlich erfasse
Und dies mühselige Leben endigen lasse!
        Wie rauscht durch den Wald
        Der Herbstwind so kalt?
        Von den rauschenden Blättern
        Zur Erde zittern
        Gedanken des Unglücks
        Und Bilder von Leiden. –

Wie mich die Sehnsucht oft ergreift
Und mit mir durch das Land der dunkelsten Träume streift,
Wie ich mir wünsche fern von den Leiden
Und Lebensfreuden,
Zu schlafen, vom grünenden Hügel befangen,
Unbesucht von Wunsch und Verlangen,
Ueber mir wechselnd Gestirne und Mond,
Die Sonne aufsteigend und nieder,
Ich von ihren Strahlen verschont,
Taub für alle Frühlingslieder.

Wunderbar im Wechseln der Gestalten
Wirkte dann geschäftig die Natur,
Sich freuend neu zu verwandeln die alten,
Mit ihrem Eigenthume geizig hauszuhalten
Schmückte sie mit mir die grünende Flur.
Mein liebendes Herz erwüchse in Rosen,
Und triebe und ängstete sich nach dem Lichte.
Es spielten um ihn Sommerlüfte mit Kosen,
Es stünde ein neues Zeichen der Liebe,
Ein redendes Denkmal dem Gefallenen,
Ein lieblich Grabmal neuer Liebe,
Bei dem sie Eide schwüren und brächen.
Mein Blut ergösse sich in dunkelrothen Blumen,
Alles Regen
Und treibende Bewegen
Drängte sich mit Ungestüm zur freien Luft hinaus,
In Pflanzen umgewandelt:
Nur sie, nur sie zu sehn, zu fühlen, zu vernehmen.
Sie ginge auch vielleicht vorüber
Und rührte mich mit zarter leiser Hand,
Verwundert über die schnelle Beweglichkeit der Blätter,
Die, ohne daß sie es wüßte,
Vor Freude erbebten und erstarrten. –
Und ich sollte dann von neuem
Die Verschmähung und den Hohn erdulden?
Wieder nur mein Unglück sehn
Und in Neid und Schmerzen vergehn?
Meine Blätter welkend um mich streuen
Und im Leben mein Leben nur bereuen?

        Nein! ich entfliehe,
        Entziehe
        Mich nimmermehr Dir!
        Von Zaubergewalten
        Allkräftig gehalten,
        Gehör' ich im Leben, im Tode nur Dir!
Wie soll ich mich retten
        Und flüchten von hier?
        Es reißen mich Ketten
        Zu Dir! zu Dir! – Geht ab.

Cleon tritt auf.

Cleon.
Auf und nieder steigen in mir die Gedanken,
Weiß mich nicht zu fassen,
Ich fühle mich zittern, die Schritte schwanken,
Von aller Kraft verlassen.
Ist es ein böser Geist, der mich durch die Irre treibt?
Immer noch bin ich auf der Reise,
Mein Ziel mir immer noch ferner gerückt.
Oft glaubt ich denselben Boden zu betreten,
Die Sträuche und Gebüsche all zu kennen,
Und dann fühl' ich mich wieder so fremd
So einsam. –

        Oftmals durch den grünen Wald
        Eine liebe Stimme schallt,
        Meinen Namen ruft es,
        Ach! mich fällt so plötzlich dann
        Uebergroße Freude an;
        Ist es die Geliebte?

        Wieder glaub' ich sie zu sehn
        Vor mir durch die Büsche gehn.
        O mein Herz, wie treibt es!
        Aber dann verrauscht im Wind
        Das Gebilde so geschwind;
        Müde steh ich sinnend.

        Wenn der Bach vom Felsen springt,
        Mein' ich daß es mir gelingt,
        Und ich bin nicht säumig:
        Stolz sieht mich der Felsen an,
        Und ich schau ihn wieder an
        Eben auch nicht freundlich.

        Blumen, die am Wege blühn,
        Seh' ich Ihren Namen ziehn,
Jeder Baum rauscht Lila;
Was habt ihr damit gethan?
Bringt mich auf die rechte Bahn!
Keine Kunst ist Necken.

        Aber alles macht mich irr',
        Immer dummer vom Gewirr
        Seh' ich kaum den Weg mehr:
        Werd' ich aber vor Ihr stehn,
        Will ich um so klarer sehn,
        Oder gar erblinden. Geht ab.

Der Waldbruder tritt auf.

Waldbruder. Du eitles Streben menschlicher Gedanken,
Das sonst so gern den irren Busen füllte,
Wie bist Du mir auf immer nun entflohn?

        O holde Einsamkeit,
        O süßer Waldschatten,
        Ihr grüne Wiesen, stille Matten,
        Bei euch nur wohnt die Herzensfreudigkeit.

        Ihr kleinen Vögelein
        Sollt immer meine Gespielen sein,
        Ziehende Schmetterlinge,
        Sind meiner Freundschaft nicht zu geringe.

        Unbefangen
        Zieht ihr des Himmels blaue Luft,
        Der Blumen Duft
        In euch mit sehnendem Verlangen.
        Ihr baut euch euer kleines Haus,
        Haucht in den Zweigen Gesänge aus
        Von Himmels-Ruhe rings umfangen.

        Weit! weit!
        Liegst du Welt hinab,
        Ein fernes Grab
        O holde Einsamkeit!
        O süße Herzensfreudigkeit.

        Kommt ihr Beengten,
        Herzbedrängten,
        Entfliehet, entreißt euch der Quaal,
        Es beut die gute Natur
        Der freundliche Himmel,
        Den hohen gewölbten Saal,
        Mit Wolken gedeckt, die grüne Flur.
        Entflieht dem Getümmel!

        O holde Einsamkeit!
        O süße Freudigkeit! Geht ab.

Cleon kömmt zurück.

Cleon.
                Sind denn die Haine,
                Alle die Eichen,
                Mit den Gesträuchen,
                Nur mich zu irren,
                Mehr zu verwirren
                Geboren allhie?
                Müdere Beine
                Gab es noch nie.

                Nirgend noch Spuren
                Von einem Wege,
                Nirgend von Fluren,
                Nur dichter Gehege
                Von Bäumen und Sträuchen
                Und dunkelen Eichen.

                Wo find' ich nur heute,
                Vernünftige Leute?
                Der Tag wird verschwinden
                Und keiner mich finden!

Der Waldbruder kömmt.

Waldbruder. O süße Einsamkeit!

Cleon. Ist das nächste Dorf noch weit?

Waldbruder. Du holde Freudigkeit!

Cleon.
        Wo find' ich nur heut
        Vernünftige Leut?

Waldbruder. Was sucht Ihr doch mit wildem Treiben,
Niemals erhascht Ihr so das Glück:
Es liebt den stillen heitern Blick.

Cleon. Weist mir den Weg aus dem Walde zurück.

Waldbruder. Drum müßt Ihr in dem Walde bleiben.

Cleon.
        Mir schwanken die Sinnen, –
        Ich muß von hinnen,
        Es warten ja mein
        Die Freunde daheim.

Waldbruder.
        Die kleinen Vögelein
        Sie sollen Deine Freunde sein.

Helikanus tritt auf.

Helikanus. O schwere sorgenvolle Brust,
Hegst du noch stets die eitle Lust
Die leeren Tage fortzuspinnen,
Stets zu verlieren, nie zu gewinnen?

Cleon. Könnt Ihr mich aus dem Walde bringen?

Waldbruder. Die bunten Gesellen singen
In den Zweigen so Tag wie Nacht.

Helikanus. Was hat Euch denn hieher gebracht?

Cleon. Ein schlimmer Stern schien über die Hügel
Und lockte von friedlicher Heimath mich fort,
Mich lenkte das Unglück mit ehernem Zügel,
Ich eilte vergebens von Ort zu Ort,
Von Hügel zu Hügel.

Derweilen sehnt sich die Liebste daheim,
Zurück zieht zur Liebsten mich Sehnen;
Ich finde keinen Weg weder groß noch klein,
Das Schicksal achtet nicht Bitten, nicht Thränen,
Nicht die Liebste daheim.

Helikanus. O eitle Liebeslust!
O wahnerfüllte Brust!

Cleon. Könnt Ihr mich ohne Singen
Aus diesem Walde bringen?

Helikanus. Wer das Leben höher achtet,
Als ein ruhmbekränztes Grab,
Ist im Tode schon verschmachtet,
Er ist selbst sein eignes Grab.

Waldbruder. O süße Einsamkeit!
O edle Waldherrlichkeit!

Cleon.
                Mich gereut
                Nur die Zeit,
                Die ich verschwende,
                Ohne Ende
                Ihr Gesang;
                Mir wird bang.
                Lieber gehn
                Tagelang,
                Nächtelang,
                Als hier stehn
                Im Gesang.

Alle gehn ab.

Ein Chor von wandernden Handwerksgesellen tritt auf.

Chor. Die Welt ist groß und breit,
Und doch lebt sich's so enge darinne,
Doch trifft es fast keiner nach seinem Sinne,
Denn allewege wohnt Haß und Neid:
Doch bleibt mir mein Schätzlein getreu,
So fühl' ich mich frank und frei.

Ach! wie wird man geplagt und geschoren,
Heute so und morgen wieder so,
Man wird seines Lebens nicht froh
Und ist nur zur Plage geboren:
Doch bleibt mir mein Schätzlein getreu,
So fühl' ich mich frank und frei.

Doch weiß es nie recht wohinaus,
Heut ist es so und morgen wieder so,
Bald will es weinen und bald ist es froh,
Einmal geht's aus, dann bleibt es zu Haus,
Bald ist's gebildet und bald ist es roh: –
Doch bleibt mir mein Schätzlein getreu,
So fühl' ich mich frank und frei.

Jeremias tritt auf.

Jeremias. Hier sind' ich ja unverhofft recht lustige Gesellschaft.

Gesellen. Was soll man in der Noth anders thun, als lustig sein?

Jeremias. So seid Ihr also in Noth, meine werthen Herren?

Gesellen. Was sonst? der Himmel weiß, wie es mit uns noch werden soll.

Jeremias. Wenn ich fragen darf, wer oder was ist denn Euer Schätzlein, dessen Lob Ihr so laut heraussingt?

Erster Gesell. Ach das ist ein wetterwendisches Ding, ein launenhaftiges Wesen, das nimmermehr weiß, was es will, und zum Ueberfluß ziemlich publique ist.

Jeremias. Ei, wie das?

Erster Gesell. Es ist keinem recht getreu, bald liebt es diesen, bald zieht es jenen vor, bald verlangt es wieder nach einem andern.

Jeremias. Und Ihr alle seid in eine und dieselbige Creatur verliebt?

Erster Gesell. Natürlich, denn mit einem Wort, unser Schatz ist das sogenannte Publikum.

Jeremias. Ei, der Tausend! Doch, mit Erlaubniß, daß ich weiter frage, mit wem hab' ich eigentlich die Ehre, mich gegenwärtig zu unterhalten?

Erster Gesell. Wir sind dermalen auf der Wanderschaft, sonst aber unserm eigentlichen Charakter nach große Männer; was man so ordinäre große Männer nennt.

Jeremias. Ich verstehe vollkommen, was Sie meinen; die Zeit, die Mode bringt es einmal so mit sich, daß man auch diese Schwachheit mit macht. Indessen wird doch auch zuweilen aus großen Männern noch was Rechtliches, wenn sie sich nur erst die wilden Hörner des Genie's abgestoßen haben, wie man im Sprichwort zu sagen pflegt. – Darf ich mir nicht die Namen von den Werthgeschätzten allerseits ausbitten? ich pflege mir gerne alles Merkwürdige, das mir aufstößt, zu notiren, und habe das schon von meinem dritten Jahre an so gehalten.

Erster Gesell. Sind Sie auch vielleicht von der Bande?

Jeremias. Habe nicht die Ehre, aber ein überschwenglicher Dilettant von allem Großen und Schönen; wenn ich so gleichsam einen neuen Fortschritt der Menschheit gewahr werde, so läuft mir vor Freude das Wasser im Munde zusammen, und nicht selten überfällt mich's so, daß ich mich genöthigt sehe, einen Strom von
Freudenthränen zu vergießen.

Erster Gesell. Und auch mich drängt's, Dich, biedere Seele, an mein deutsches Herz zu schließen. O du guter deutscher Boden, welche Thatkraft, welche edle Mannichfaltigkeit bringst du doch immer noch hervor!

Jeremias. O mein Bester, die Güte Gottes läßt sich durchaus keine Gränzen vorschreiben. Aber Ihr Name?

Erster Gesell. Ihnen zu dienen mit dem edlen altdeutschen Namen Veit, meinem Gewerbe nach ein Weber. Aber ach! mein neustes Schicksal ist – Nackt und bloß!

Jeremias. Ach wie Sie mich dauern! Aber ich habe geglaubt, daß Sie sich sehr gut ständen, ich meinte immer, es könne Ihnen nicht fehlen, einen Humpen nach dem andern auszuleeren.

Erster Gesell. Das sind, mein Bester, Sagen der Vorzeit. Alles ist vergänglich, jener dort hat mir den meisten Schaden gethan.

Zweiter Gesell. Ja, er soll warlich an den Spieß sein Lebelang denken. Ich komme in aller Unschuld daher und treffe mein allerliebstes Publikum in seine Narrheiten vernarrt; mein Ehrenwerther, wenn ich den guten Geschmack retten wollte, mußte ich mich keine Unkosten und keine Mühe verdrießen lassen; Millionen Gespenster und Hexen, Luft- und Wassergeister habe ich dahinter her schicken müssen, um nur seine Humpen und Turniere und altdeutsche Blitz-Wurzel-Wörter nebst ihren etymologischen Erklärungen zu verdrängen.

Jeremias. Ich glaube Ihnen, denn auf einen groben Klotz gehört in der That ein grober Keil.

Zweiter Gesell. Nicht wahr? Es ist mir denn auch, mit Gottes Hülfe, so ziemlich gelungen. Ja, wo nichts helfen will, da muß der Spieß drein schlagen. Aber, à propos, wollen Sie sich vielleicht bei mir vermiethen? Ich brauche jetzt gerade einen Kettenträger.

Jeremias. Ich bedaure, daß ich nicht so glücklich sein kann, denn ich bin schon in Diensten bei einem andern würdigen Herrn.

Zweiter Gesell. Könnten sonst auch ein Elements-Regent werden, ich brauche auch dazu ein Modell. Wenn ich mich recht besinne, so gemahnen Sie mich fast wie das Petermännchen, dazu müßten Sie sich unvergleichlich schicken.

Dritter Gesell. Kommen Sie zu mir, Bester, bin ein brav Kerl, werden bei mir in einem Kraut-kräftigen Dialog geschrieben, sollen wohl gar der kluge Alte werden, wenn's Glück will, oder können mir auch als Jägermädchen, oder Harfnermädchen dienen, müssen aber dazu eine extra edle Seele im Leibe spüren.

Jeremias. Wie gesagt, ich bin schon anderweitig versorgt. Sonst, wer ist der Herr eigentlich?

Dritter Gesell. Ein Hauptdeutscher, ein Originalschriftsteller, ein Teufelskerl, bin ungemein im Gemeinen, so kräftiglich im Darstellen, daß nur die Stücke so davon fliegen, daß die Nerven krachen –

Erster Gesell. Nun sehn Sie, Herr unbekannter Dilettant, dergleichen Leute haben mir beim deutschen Publikum im Lichte gestanden.

Jeremias. Mit wem hab' ich denn hier die Ehre zu sprechen?

Vierter Gesell. Mit einem Schalke.

Jeremias. Der Profession nach ein Schalk?

Vierter Gesell. Allerdings.

Jeremias. Ei, da muß man sich ja wohl vor Ihnen in Acht nehmen?

Vierter Gesell. Es kann nicht schaden, denn ich habe mich sehr auf die Satire gelegt.

Jeremias. Aus was für Gründen?

Vierter Gesell. Aus zwei hauptsächlichen: erstens, weil in allen Lehrbüchern und auch anderswo die Klage geführt wird, daß die Deutschen die Satire noch am wenigsten angebaut hätten.

Jeremias. Die Satire wächst vielleicht am liebsten wild, und hat sich unvermerkt die Deutschen angebaut.

Vierter Gesell. Lassen Sie mich weiter reden, und zweitens reimt sich mein Name gar herrlich auf Schalk; und wer wollte nicht gern schalkhaft sein!

Jeremias. Ei so seh' ich ja also körperlich den Mann vor mir, in dem sich nach einer Weiland-Tradition acht oder neun feine und erhabene Geister verkörpert haben sollen.

Vierter Gesell. Aufzuwarten.

Jeremias. Welche lateinische, griechische und englische Autoren waren es doch gleich, die sich sammt und sonders in Ihnen verkörpert haben?

Vierter Gesell. Ich weiß es so eigentlich selbst nicht, denn da ich sie innerlich besitze, kümmern sie mich äußerlich nicht sonderlich.

Jeremias. Sie wurden ein wenig eilig so durch die Bank aufgehascht, daß Sie sich gewiß selber verwundert haben. Spüren Sie aber von diesen heterogenen Geistern nicht einige Beklemmungen?

Vierter Gesell. So wenig, als ob ich keinen einzigen in mir hätte. Seit ich mein Privilegium habe, treibe ich mit der größten Gelassenheit meinen Witz vor mir her.

Jeremias. Und Sie werden nie von ihm getrieben?

Vierter Gesell. O nein, ich besitze mich.

Jeremias. Wie reich! Wie edle Gesinnung!

Vierter Gesell. Haben Sie nicht vielleicht etwas geschrieben, das ich nachahmen könnte? Es fehlt mir an Stoff zu meinem künftigen Taschenbuche.

Jeremias. Ach nein, ich schreibe gar nichts, außer die Rechnungen für meinen Herrn.

Vierter Gesell. Theilen Sie mir diese immer gefälligst mit, vielleicht daß ich doch auch meine Rechnung dabei finde; Sie glauben gar nicht, wie herrlichen Stoff ich oft in Büchern erfinde, auf die kein andrer kommen würde. Vielleicht schildre ich, wenn Sie ein paar Wochen mit mir umgehn wollten, das Leben eines Bedienten recht nach der Natur.

Jeremias. Ein andermal. – Sie arbeiten jetzt den Swift um?

Vierter Gesell. Ja, er ist schon angekündigt und also im Netz.

Jeremias. Sein Sie nur dabei nicht zu sehr swift.

Vierter Gesell. Sorgen Sie nicht, man soll ihn vielleicht kaum wieder kennen. Unter uns, er wehrt sich manchmal mit allen Vieren und handthiert, daß es zum Erbarmen ist; aber ich denke, wir wollen ihn schon mit einem guten Lexikon zwingen.

Jeremias. Lesen Sie den Shakspeare?

Vierter Gesell. Zuweilen.

Jeremias. Im Antonius steht eine schöne Stelle:

Sometime, we see a cloud that's dragonish;
a vapour, sometime, like a bear, or lion,
A tower's citadel, a pendant rock,
A forked mountain, or blue promontory
With trees upon't, that nod unto the world,
And mock our eyes with air. - - - -
That, which is now a horse, even with a thought,
The rack dislimns; and makes it indistinct,
As water is in water.

Vierter Gesell. Eine schöne Stelle.

Jeremias. Ich will sie Ihnen jetzt etwas frei übersetzen, denn
ich weiß, daß Sie die freien Uebersetzungen lieben.

Oft sehn wir weiß Papier, nennt sich satirisch,
Ist Luftgestalt, doch thut's wie Löw' und Bär,
Heißt Helden, Menschen, heilge Gräber, und
Die leere Luftgestalt erscheint der Welt
Und giebt vor Lesern sich ein Air. –
Die Taschenbücher mit den Pferden vorn
Bald werden sie ohn' Spur auf immer schwinden:
Sei auf Autorität nicht gar zu keck ein Prasser,
Wie Land scheint manches dir, und ist nur Wasser in Wasser.

Vierter Gesell. Sehr unfreundschaftlich gedacht und überaus verwegen.

Jeremias. Meine Herren, ich rathe Ihnen allerseits, sich nach der Mühle dorthin zu verfügen; ich zweifle gar nicht, daß Sie dort ein gutes Unterkommen finden werden.

Alle. Wir müssen's versuchen.

        Bleibt mir mein Schätzlein getreu,
        So fühl' ich mich frank und frei.

Sie wandern weiter.

 


 

Feld und Hain.

Ein Schäfer tritt auf.

        Frühling wandelt durch die Matten,
        Blumen unter seinem Fuß,
        Dämmernd grün des Waldes Schatten,
        Nachtigall giebt ihren Gruß.

        Rückgezogen alle Gäste,
        Lerchen in dem Himmelblau,
        Wald begeht die frohen Feste,
        Vöglein singen, rauschen Weste,
        Duften Blumen auf der Au.
        Ach wie süß und holdes Sehnen,
        Nimmst gefangen meine Brust,
        Leiden sind ihr unbewußt,
        Wohlbewußt die Freudenthränen.

        Aus der Ferne kommt ein Grüßen,
        Gastlich kehrt es bei mir ein,
        Wohlbekannt mir ist der Schein,
        Liebe läßt ihn niederfließen:
        Rothe Lippen, euer Küssen
        Soll nun meine Andacht sein.

Nestor kömmt.

Nestor. Nirgend weder Prinz, noch Hund, noch Geschmack. O du verderbtes Zeitalter! Wie kann die Welt nur so fertig werden! Nur an Schuh und Stiefeln, die ich der Menschheit zu gefallen mir ablaufe, ist jetzt schon eine
ansehnliche Rechnung zusammen gekommen. Ich habe es auf alle Arten versucht, aber es will in keiner einzigen gelingen; die Menschheit ist zu unverschämt zurück gegangen. Der Prinz wird in seiner Krankheit sterben, und wir werden zehn Jahr unnütz herumirren, – ich bin der Possen satt und müde. Da ist an keine schöne Ruhe, an kein häusliches Glück, an keine ausgewählte Lektür zu denken, wenn man als Treibjäger für den guten Geschmack angestellt ist. – O du angenehmes Landleben, wie gelüstet mich nach dir, im Schooß einer wohlerzogenen Familie, am Busen der Freundschaft und Liebe, an der Seite des Hamburger Correspondenten mit seinen Beilagen, wie würde ich da meine mir zukommende Wonne und Seligkeit genießen! Aber das sind, ich merke es schon, Träume einer überspannten idealisirenden Phantasie, die sich niemals realisiren werden! – Warlich, da geht ein Schäfer, oder was es sonst für eine Creatur sein mag. – Ich bin nicht für die Schäfer, sie haben das mit der Revolution gemein, daß sie gar zu schlimme Folgen veranlaßt haben, denn alle die übertriebenen Idyllen und ländlichen Gemälde und Unwahrscheinlichkeiten sind durch die Schäfer entstanden, und haben immer eine Art von Entschuldigung für sich, daß es denn doch am Ende wirklich in der Welt einige Schäfer giebt.

Schäfer. Wer ist wohl jener Unzufriedne dort?
Er schaut nach allen Seiten um, vielleicht
Verlor er seinen Weg und wünscht zu fragen,
Um aus der Irre sich zurecht zu finden.

Nestor. Ich weiß nicht, – es wird mir hier so sonderbar zu Muthe, – mir ist es, als hinge ein neuer Himmel über mir, als wehten hier andre Lüfte, – kaum, daß ich mich enthalten kann, ein Lied zu singen.

Schäfer. Er ist nicht aus der hies'gen Gegend, wohl
Ist das aus seinem Gang, aus seinen wilden
Geberden zu vermerken. Nördlich scheint er
Und ungestalt und roh, auf allen Fall
Kein Schäfer, denn der Umgang mit den Heerden,
Die fromm und zahm, macht auch den Hirten sänftlich.

Nestor. Ich fürchte, mein Seel, meinen Verstand von neuem zu verlieren. Aber was in aller Welt ficht mich denn hier an?

Schäfer. Vergönnt die Frage, seid Ihr wohl ein Schäfer?

Nestor. Ah! Sieh da! – Ein Schäfer? Nun ja, das fehlte mir noch. Wie könnt Ihr Euch so was unterstehn! – Nein, mein Freund, ich bin, Gott sei Dank, ein Reisender, der sich, wenn er erst wieder zu Hause sitzt, zum Range eines Reisebeschreibers empor schwingen wird.

Schäfer. So seid Ihr glücklich, daß Ihr Erd' und Menschen
In mancherlei Gestalt betrachten mögt.

Nestor. Sie sind auch glücklich, daß Sie mich betrachten können.

Schäfer. Wollt Ihr den seltnen Garten wohl besuchen?

Nestor. Wie ist mir denn? – Schon vorher merkt' ich so was: –
    Wollt Ihr den seltnen Garten wohl besuchen?
Ihr sprecht ja wohl gar in sogenannten Jamben?

Schäfer. Nicht anders.

Nestor. So müßt Ihr toll, so müßt Ihr närrisch sein,
Denn das ist gänzlich gegen die Natur!
Wo bin ich denn, ich Armer, hingerathen?
Es fehlt nur noch, daß ich auf andre treffe,
Die im Gesang die Leidenschaft ausdrücken,
So hätten wir die Oper gar entschuldigt.

Schäfer. Beliebt zu merken, daß Ihr selbst nicht anders
Als nur im Vers gesonnen seid zu sprechen.

Nestor. Ich weiß recht gut, ich bin schon halb besessen,
Ich fühlt' es wohl, die Luft ist ungesund
Und voll Schimären, Narrenpoesie.

Schäfer. Wie könnt Ihr Euch darüber doch verwundern,
Da hier ganz nahe der allerholdseligste Garten
Mit tausend Blumen, duftenden Bäumen liegt,
Den Poesie mit ihren Getreuen bewohnt.

Nestor. Ei, was Ihr sagt! Ich glaub' es nimmermehr:
Ein Bedlam mags wohl sein, ein Narrenhaus,
Ein Invalidenstift, Phantastenkram,
Neumodsche Dichterei und Atheismus,
Was mir allhier in meine Nase beißt.

Schäfer. Nein, bei der Heiligkeit des Firmaments –

Nestor. Ein schöner Schwur! der Raserei ganz würdig!

Schäfer. In diesem Paradiese wohnt die Göttin
Und hält in Blumen und Farben ihre Haushaltung,
Von einem Himmel des klingenden Wohllauts bedeckt.

Nestor. Schon gut! und da das Aergste es nun erheischt,
So will ich bei Gott, die ärgsten Mittel brauchen!
        Er zieht ein Buch heraus.
Der Verfasser dieses Werks, mein edler Freund,
Gab mir dies Büchlein mit, im Fall der Noth,
Wenn mich Phantasterei, wenn mich Witz ergriffe,
Wenn ich nicht bei mir selber, dies zu lesen.
Mir sind so Tau' wie Segel schon zerrissen,
Ich stütze mich auf meinen Nothanker jetzt!

Er riecht an dem Buche, und liest nachher drinnen, aber nur ein wenig.

Ha ha! Nun brauch' ich nur über Euch und alle Eure Poesie zu lachen. Das nenn' ich mir eine herzstärkende Prose! Ich habe fast nur ein wenig daran gerochen, und schon ist der ganze Schwindel weg, gerade wie man auch am trocknen Brode riechen muß, wenn einem der Senf die Nase zu sehr begeistert. Seht Ihr wohl, die Verse sind wie weggeblasen.

Schäfer. Es scheint gewiß ein kräft'ger Talismann.

Nestor. Nun erzählt, was Ihr Lust habt, und es soll mich nicht sonderlich rühren.

Schäfer. Dieser Hain verdeckt den lieblichen Eingang,
In dem der Vöglein süße Stimmen
Das sehnende Herz gewaltig locken,
Den Weg nach dem Garten mit Gesängen zeigen.
Wundervoll, wundervoll,
Tönt's und rauscht es von dort herüber,
Der taumelnde Sinn wird staunend
Und wie mit glänzenden Ketten umwunden
Hin, hin zur glanzreichsten Welt gezogen.

Am Eingang dort sind wunderbare Zeichen,
Die keiner gleich beim ersten Blick verstand,
Bald scheinen sie den Dingen wohl zu gleichen,
Die wir in früher Kindheit schon gekannt,
Dann ist's, als ob Erinnrung will erbleichen
Und das Verständniß ist uns abgewandt:
So kämpfend jede Ahndung festzuhalten
Beschaut man still die magischen Gestalten.

Nicht lange, sieh, so klingt von selbst das Thor,
Vernehmlich wandelt her ein Geisterwehen,
Allseitig drängen Blumen sich hervor,
Im grünen Glanz sieht man die Bäume stehen,
Ehrfurcht gebeut dem Blick ein edles Chor,
Die Dichter sind's, die durch den Garten gehen,
Man sieht sie still in holder Eintracht ziehen,
Du fürchtest sie, doch magst du nicht entfliehen.

Betritt den Garten, größre Wunder schauen
Holdselig ernst, auf dich, o Wandrer, hin,
Gewalt'ge Lilien in der Luft, der lauen,
Und Töne wohnen in dem Kelche drin',
Es singt, kaum wirst du selber dir vertrauen,
So Baum wie Blume fesselt deinen Sinn,
Die Farbe klingt, die Form ertönt, jedwede
Hat nach der Form und Farbe, Zung' und Rede.

Was neidisch sonst der Götter Schluß getrennet,
Hat Göttin Phantasie allhier vereint,
So daß der Klang hier seine Farbe kennet,
Durch jedes Blatt die süße Stimme scheint,
Sich Farbe, Duft, Gesang, Geschwister nennet.
Umschlungen all sind alle nur Ein Freund,
In sel'ger Poesie so fest verbündet,
Daß jeder in dem Freund sich selber findet.

Und so wie Farb' und Blume andres klingen
Nach seiner Art in eignen Melodien,
Daß Glanz und Glanz und Ton zusammen dringen
Und brüderlich in einem Wohllaut blühn,
So sieht man auch, wenn die Poeten singen,
Gar manches Lied im Schimmer fröhlich ziehn:
Jedwedes fliegt in Farben seiner Weise
Ein Luftbild in dem goldenen Geleise.

Kein Sterblicher kann all die Freuden sagen,
Die Wohnung in dem sel'gen Zirk genommen,
Kein Sterblicher vermöchte sie zu tragen;
Beglückt, wer in der Nähe nur gekommen!
Ach jeder möchte gern die Reise wagen,
Doch wen'ge nur sind durch den Strom geschwommen,
Der ohrbetäubend durch die Welt hin tobet
Und nur die Welt mit jeder Welle lobet.

Drum halten sie, in Weltgeschäft versunken,
Für Fabel nur des Gartens schöne Kunde,
Sie lassen glücklich sich zu sein bedunken,
Erhaschen sie die gegenwärt'ge Stunde;
Nur wen'ge haben von der Lust getrunken,
Nur wen'ge flehten drum mit reinem Munde:
Sie stiegen göttlich zu den Göttlichkeiten,
Selbst Welt erkennt die Hochgebenedeiten.

Denn Ströme fließen von den Seligkeiten
Hinab in alle weite weite Welt,
Jedwedes Herz kann sie in's Innre leiten,
Daß es in sich die Lust gefangen hält.
Nur wenigen gelingt's in seltnen Zeiten,
In denen sich die Gottheit selbst gefällt,
Die Welt erstaunt wenn sie die Sprache führen,
Und Herz und Sinn mit hoher Kraft regieren.

Nestor. So?

Schäfer. Wann die Nacht herabsinkt
Und Mondschein sich ausstreckt,
Ist im Garten oft ein seltsamlich Geflimmer
Von tausend und tausend wechselnden Farben;
Durchsichtig sind die Blumen
Und ihre Geister steigen heraus,
Und wiegen sich und hüpfen sichtbarlich in den Kelchen,
Schmucke Geisterchen hängen in den Bäumen
Und necken die antwortende Nachtigall,
Um alle Blätter brennen Lichter,
Durch das wankende Gras schweifen Sterne,
Die Töne entzünden sich inniglicher, herzlicher,
Die Musik umarmt brünstiger
Die mit Träumen gaukelnde Natur.
Dann schwebt aus goldnen Himmelswolken
            Wallend, bebend,
            Schimmer strahlend,
            Segen thauend,
            Wonne singend,
Die Liebe, die Liebe zu den entzückten Blumen herab.

Wenn ich dann manchmal vorüber
Dem Garten gehe,
Die hohen Sänger schaue,
Die in des Mondes Kühle wandeln,
Und blicke mit irrendem Auge
In das blendende Farben- und Glanzgetümmel,
Das sich mir entgegen schüttet:
Klingen im Ohr die vollen wechselnden Töne,
Kann ich mich selbst nicht begreifen,
Halte nur alles für Traum,
Wünsche ein Dichter zu sein.

Nestor. Gar recht, vollends wenn Ihr noch hinzusetzt, ein schlechter. – Gehabt Euch wohl, Herr Rasender. Geht ab.

Schäfer. Sehr mannichfaltig ist des Menschen Sinn,
Und viel sehr unterschiedene Gemüther
Sind auf dem weiten Erdenrund verbreitet.
Ihm fehlt die innere Musik des Herzens,
Der Wohllaut geht vorüber seinem Ohr,
Es steht vielleicht die Frage selbst noch frei,
Ob er den Takt zu schlagen wohl versteht. Geht ab.

Cleora tritt auf.

Cleora. Ich suche dich und zittre dich zu finden:
Wohin, zu welcher Kluft bist du entflohn?
So manche Tage, Nächte such' ich schon,
Ich nenne deinen Namen Luft und Winden.

Bald soll mein Tod dir meine Treu verkünden,
Denn Wind und Quell und Baum spricht mir nur Hohn,
Sie rauschen, wo ich bin, mit finsterm Ton
Und schelten alle zürnend meine Sünden.

Ach Treuster, Liebster, mußt' ich dich verlassen?
Du meintest wohl das Härteste zu dulden
Als dir erlosch der Gegenliebe Schein;

Du starbst, mich weiht zum ärmeren Genossen
Das Unglück, denn für mein so schwer Verschulden
Ist mir versagt, von Dir verstoßen sein.

Sie setzt sich auf den Boden nieder.

Ach! wie fühl' ich mich verloren!
Warum schweif' ich noch durch diese Welt?
Was soll mir dies verhaßte Tageslicht,
Was gehn mich die Blicke dieser Blumen an?
Ich Schuldvolle
Darf nicht wagen zum Licht,
Zur Kinderunschuld dieser bunten Pflanzen
Das Auge aufzuheben.
Das flatternde Haar rauscht losgebunden
Vom Winde getrieben durch das Gras,
Meine Thränen netzen den Boden,
Meine aufgehobnen Hände flehen
Mein voriges Glück vom Himmel herab.

        Könnten Thränen dich versöhnen,
        Möchte Reue dich vermögen:
        Daß sie zu mir nieder zögen
        Alles Glück, die vor'gen Gaben,
        Nimmer wollt' ich sie verhöhnen.

        Aber nie wird Kühlung laben
        Den, der seine Bäume fällt;
        Ihm erstirbt das grüne Zelt;
        Wer sein Haus sich selbst verwüstet,
        Nie kann der sich wohl gehaben.

Ach! wie umfängt
Mich Seligkeit linde!
Was mich bedrängt,
Das Herz mir verengt
Entführten geschwinde
Mitleidige Winde.
Es heben sich heiter
Die Augen empor,
Die Fluren sind weiter,
Es kommen wie Blumen die Freuden hervor.

Wie bin ich in der Götter Schutz gekommen,
Daß sie auf mich die Ruhe freundlich gießen?
Die Last ist mir vom Busen weggenommen;
Wie Quellen, die von Bergen niederfließen,
Versiegend sterben, sind sie weggeschwommen
Die Sorgen, die mein armes Herz zerrissen.
Vom schönsten Troste fühl' ich mich umgeben,
Ich bin versöhnt mit Tod und auch mit Leben.

Wie Sturm und Regen oft die Felder schlägt,
Daß alle Pflanzen sich zur Erde beugen,
Das Laub am Baum erzitternd sich bewegt
Und Thränen sich an Gras und Blumen zeigen,
Doch alles sich mit neuem Leben regt,
Wenn endlich nun des Himmels Stürme schweigen,
So geht ein Tagesglanz durch meinen Kummer,
Mein Leiden floh, ein leichter Morgenschlummer.

Nur Traumgestalt hielt meinen Sinn gefangen,
Ich bin den schwarzen Schatten nun entronnen,
Zum neuen Leben fühl' ich neu Verlangen,
Zum neuen Spiel, von Träumen nur begonnen,
Die Parzen seh' ich in den Wolken hangen,
Die Zukunft wird von ihnen ernst gesponnen;
Ihr Götter, seid für das Geschenk gepriesen!
Ihr schenktet Ruh, habt gastlich euch bewiesen. Geht ab.

 


 

Der Garten.

Nestor tritt auf.

Nestor. Hab' ich in meinem Leben so was gesehn! Was das hier für eine Einrichtung ist! Kein Garten, sondern eine Wildniß. Ich glaube, wenn ich mich lange hier aufhielte, könnte ich in der That unsinnig werden. Und warum nicht? Ist es wohl andern ehrbaren Leuten aus wohlfeilern Ursachen begegnet. – Blumen, so hoch, wie kleine Bäume, Lilien, die höher sind als ich, mit einem Blumenstern, den man nicht umspannen kann, große Rosen an Rosen, zwischen himmelhohen Eichen, Baumgängen, die so hoch sind, daß der Blick sie kaum erreichen kann, – und alles in solchem Ueberfluß, alles so gedrängt an einander, daß der ganze Garten wie ein einziger dicht geflochtner Blumenkranz aussieht. Und alles brummt und singt, und hat ordentlich Einfälle! Ich möchte manchmal lachen, wenn ich nicht um meinen Verstand so sehr besorgt sein müßte.

Der Wald.
        Der frische Morgenwind
        Durch unsre Zweige geht,
        Rührt jedes Blatt geschwind,
        Wenn er so wohlgemuth durch alle Aeste weht.
        Rühr dich, o Menschenkind,
        Was soll die Bangigkeit?
        Wirf ab dein kleines Leid,
        Komm, komm in unsern Schatten grün,
        Wirf alle Sorgen hin,
        Erschließ dein Herz der Freudigkeit.

Nestor. Ist das nun nicht eine ganz verfluchte Art zu rauschen? Ich habe doch nun, so lange ich denken kann, schon manchen Wald gesehn, aber dergleichen ist mir noch nicht arrivirt.

Der Wald. Wir rühren mit Zweigen
In den Himmel hinein,
Und spüren so eigen
Den glänzenden Schein:
Mit Fingern, mit Zweigen, mit Aesten,
Durchrauscht von spielenden Westen,
Durchsungen von Vögelein,
Freun wir uns frisch bis in die Wurzeln hinein.
Wir rauschen, wir flüstern, wir wogen,
Geschirmt vom blauen Himmelsbogen,
Von freundlichen Lüften durchzogen.
Frühlingsglanz!
Frühlingsglanz!
Sei gegrüßt, sei gegrüßt von Abend zu Morgen,
Von Morgen zu Abend:
Komm, Mensch, sei frei von Sorgen
In unserm Schatten, der brüderlich labend. –

Nestor. Sei frei von Sorgen! Eben Euer verdammtes Geschwätz, das beinahe an das Vernünftige gränzt, macht mir die meisten Sorgen. – Das Tollste ist, wenn sie nun alle zusammen musiciren und zwitschern; wenn es nicht um die Merkwürdigkeit wäre, so wär' ich schon längst wieder weggelaufen.

Der Wald. Jeder sein eigen,
Birken, Tannen, Eichen,
Stehn wir durchsammen verwirrt,
Doch keiner den andern irrt,
Der streckt die Zweig' in die Weite,
Rührt schirmend das Gras mit der Hand,
Der steht zum Himmel gewandt,
Führt jeder ein Rauschen, sein eigen,
Und schüttelt sich frisch in den Zweigen;
Doch fließt der mannichfalt'ge Klang,
In Einen brüderlichen Chorgesang.
So auch die Menschen mitsammen
Die verschieden von Einem nur stammen,
Jeder rührt sich in seinen Zweigen,
Doch alle streben zum Licht zu steigen,
Wenn sich auch viele gegen die Erde neigen,
Sie alle Brüder sein,
Verschiedenheit ist nur Schein,
Sie rauschen verworren durch einander hinein,
Wird dem Klugen ein einziger Chorgesang sein.

Nestor. Sieh da, sieh da, predigt meiner Seel die Toleranz trotz dem Besten unter uns. Nur ein bischen konfuse, Ideen und Sprache etwas verworren; übrigens aber möchte man doch des Teufels darüber werden.

Rosen.
        Bist Du kommen, um zu lieben,
        So nimm unsre Blüthe wahr,
        Wir sind röthend stehn geblieben,
        Prangen in dem Frühlingsjahr.
        Als ein Zeichen sind die Büsche
        Mit den Rosen überstreut,
        Daß die Liebe sich erfrische,
        Ewig jung sich stets erneut.
        Wir sind Lippen, rothe Küsse,
        Rother Wangen sanfte Gluth,
        Wir bedeuten Liebesmuth,
        Wir bezeichnen, wie so süße
        Herz und Herz zusammenneigt,
        Liebesgunst aus Lippen steigt.

Nestor. Ich wette, daß in dieser Rose keine Spur von ächter Moralität zu finden ist.

Rosen.
        Küsse sind verschönte Rosen,
        Der Geliebten Blüthezeit,
        Und ihr süßes, süßes Kosen
        Ist der Wünsche schön Geleit,
        Wie die Rose Kuß bedeut't,
        So bedeut't der edle Kuß
        Selbst der Liebe herrlichsten Genuß.

Nestor. Ich hab's gleich gedacht, daß so etwas herauskommen würde.

Rosen.
        Liebe ist es, die die Röthe
        Allerwege angefacht,
        Liebend kommt die Morgenröthe,
        Roth steigt nieder jede Nacht;
        Rosen sind verschämte Röthe,
        Sind die Ahndung, sind der Kuß;
        In Granaten flammt die Röthe,
        Brennt in Purpurs voller Pracht,
        Deuten uns den innigsten Genuß.

Nestor. Immer dasselbe! Immer dasselbe!

Lilien.
    Wende Dich zu unsern weißen Sternen,
    Mondschein sind sie in der Sonne,
    Ahndung unbekannter Wonne,
    Freud' und Leid, doch in der Ferne,
    Nur Erinnrung, man hegt sie gerne.

Nestor. Das ist sehr unverständlich.

Lilien.
    Unser Lieben, unser Dichten,
    Liebe, dichte Dämmrung nur,
    Ernst und freundlich zeigen wir die Spur,
    Blumenandacht,
    Stille Nacht,
    Wen'ge Herzen, die sich zu uns richten.

Nestor. Das glaub' ich ungeschworen. Welche seltsame Reden! Drum hab' ich auch immer nicht gewußt, warum mir die Lilien so absonderlich vorgekommen sind.

Lilien.
    Blumenandacht,
    Heitre Nacht,
    Unschuld und Pracht:
    Wir stehn so hoch als stille Warten,
    Auf denen Sinn und Geist wohl ruht:
    Geht er vorüber Rosengluth,
    Ist ohne Wunsch und Glanz der fromme Muth,
    Dann mag die stille Sehnsucht seiner warten.

Nestor. Ich bin wohl ein rechter Narr, daß ich mich mit diesen Creaturen unterhalte.

Die Gebüsche.
        Komm! komm!
        Das Blättergeräusch,
        Es lockt Dich,
        Unser Glanz,
        Unser frisches Grün;
        Wir lieben Dich,
        Trag' uns Dein Herz entgegen,
        Was verschmähst Du uns?
        Alles kann nicht Wald sein,
        Alles kann nicht Blume sein,
        Muß auch Kinder geben.

Nestor. So? Eine schöne Entschuldigung. Und als Wald und Blum' wärt Ihr auch was Rechts!

Der Wald.
    Wandl' im Grünen,
    Willst Du die Blumen verstehn,
    Mußt Du erst den Wald durchgehn.
    Ist Dir erschienen
    Der Sinn des Grünen,
    Dann magst Du die Blumen verstehn.

Nestor. Nun seht nur die Unverschämtheit!

Der Wald.
    Grün ist das erste Geheimniß,
    In das die Natur Dich weiht,
    Grün schmückt rings die Welt,
    Ein lebendiger Odem,
    Ein lieblich Element,
    Das alles froh umgießt.
    Grüne bedeutet Lebensmuth,
    Den Muth der frohen Unschuld,
    Den Muth zur Poesie.
    Grün sind alle Blumenknospen
    Und die Blätter um die Blumen,
    Dann entspringt der Farbenglanz
    Aus dem mütterlichen Grün.

Die Tulipanen.
    Wer mag von Farben sprechen,
    Wenn wir zugegen sind?
    Keine andre Blum' gewinnt,
    Beginnen wir zu sprechen.
    Was soll Blumenandacht,
    Was der Kuß bedeuten?
    Wir prangen in der kühnsten Pracht,
    Kein andrer wag's mit uns zu streiten,
    Wir glänzen daher in vollster Macht,
    Brauchen nichts anders zu bedeuten
    Als daß in uns der Schein von tausend brennenden Farben lacht.
    Stehn wir in Beeten zusammen,
    Und geht der Wind durch uns Blumen hin,
    So wanken und zucken unzählige Flammen
    Und blenden, verwirren den fröhlichen Sinn.
    Kühn die Blätter sich formiren,
    Gold und Roth und Blau sie zieren,
    Glanz-Pokal, aus dessen Blinken,
    Sonne, Licht und Bienen trinken.
    Noch im Verblühen mit Farben wir prangen,
    Daß in voller Majestät
    Die Tulpe mit ausgespreiteten Flügeln steht:
    Wozu die Sehnsucht, wozu Verlangen?

Nestor. Ich merke, die Tulpe spielt den Freigeist unter den Blumen, und macht gewissermaßen Satiren auf die Lilien.

Veilchen.
    In der Stille
    Von Blättern, den grünen,
    In ferner Hülle
    Wir Blumen dienen.
    Wagen's nicht, uns aufrecht zu stellen,
    Fürchten die Sonnenblicke, die hellen.
    Gras unsre Geschwister,
    Ueber uns Buschgeflüster:
    Im einsamen Thal
    Gedeihn wir zumal.

Vergißmeinnicht.
    Wir Blümlein
    Am Bach,
    Mit blauem Schein
    Müssen gar kleine sein,
    Locken die Augen doch nach.
    Wir sehen
    Uns helle
    In der Welle
    An Seen.
    Unschuldige Kindlein
    Mit süßem blauen Schein;
    Möchten wir größer sein!

Feldblumen.
    Du gehst vorüber,
    O Lieber!
    Und siehst nicht,
    Fühlst nicht,
    Wie schön das grüne Gras,
    Wie erfrischend und kühl und naß,
    Und dazwischen die goldenen Sterne;
    Mußt Du denn stets nach der Ferne?

Vogelgesang.
    Wir lustigen Bürger in grüner Stadt
    Rauschen und schwärmen,
    Singen und lärmen
    Vom Morgen zum Abend, und stets sind wir satt.
    Die Bäume mit Schatten,
    Zur Wohnung bestellt,
    Zur Nahrung die Matten,
    Die freie, weite Welt, –
    Wie uns das gefällt!
            Gefällt!
    O herrliche Welt!

Das Himmelblau.
    Sie alle umschließ' ich mit Armen linde,
    Sie alle tränk' ich an meinen Brüsten
    Mit Lüsten,
    Ich sende die kühlenden Winde,
    Ich schaue tief auf sie hinunter,
    Sie alle schauen hoch zu mir daher,
    Alle macht mein klarer Anblick munter,
    Die herrliche Bläue im unergründlichen Meer.
    Wolken kommen, Wolken ziehn,
    Wolken fliehn,
    Treiben in meinem Gebiete hin und her;
    Sind dem größeren Blick des Waldes Blätter,
    Der Blumen Putz überfliegt der Glanz
    Des Abend- und des Morgenroth's heraufgezogen,
    Der kühn gespannte Regenbogen,
    Im goldnen Abendmeer die tausend Flammenwogen,
    Im furchtbaren Wetter,
    Der Wolken Tanz,
    Der Blitze zückender Glanz. –

Nestor. Es geht zu weit, – ich vergesse mich selbst; – immer und ewig allein zu stehn, und doch ein unaufhörliches Geschwätz anhören zu müssen, das ist zu toll. – Wer kömmt denn da? Ein Weib, dem Anscheine nach. Sie ist schön gewachsen, aber doch zu groß, gar zu groß. Das scheint hier der allgemeine Fehler.

Die Göttin tritt herein.

Göttin. Wer bist Du?

Nestor. Ich? Aufzuwarten, ein Reisender, im gegenwärtigen Augenblicke halb unsinnig, weil ich nicht weiß, ob ich verrathen oder verkauft bin.

Göttin. Gefällt es Dir so wenig im Garten der Poesie?

Nestor. Mit Eurer Erlaubniß, daß ich ein wenig zweifeln darf. Poesie? Der Garten der Poesie? Hm! Ihr wollt meinen Geschmack und gesunden Menschenverstand wohl nur ein wenig auf die Probe stellen.

Göttin. Wie das?

Nestor. Die Poesie müßte nach meinem Bedünken, nach meinen schwachen Einsichten wohl eine etwas andere Gestalt haben. Das ist ja gleichsam hier wie in einem Narrenhause.

Göttin. Ergötzen Euch denn diese Blumen nicht?

Nestor. Nein wahrhaftig nicht, denn ich sehe zu gut ein, daß es gar keine Blumen sind.

Göttin. Wie könnt Ihr diesen irr'gen Glauben hegen?

Nestor. Weil ich in meinem Leben schon gar zu viele Blumen gesehn habe. Ja wenn ich nicht die erstaunliche Erfahrung hätte, so könnte ich mir vielleicht eher eine Nase drehen lassen. Meine Eltern haben ja selbst einen Garten hinter dem Hause gehabt, und da hab' ich die Blumen selber oft gepflanzt und an die Stöcke gebunden.

Göttin. Wofür erkennt Ihr aber diese Pflanzen?

Nestor. Ich erkenne sie für Narren, denn etwas anders können sie auch wohl schwerlich sein, ehrliche Blumen sind sie wenigstens nicht. Seht sie doch nur an, sie scheinen ja wahre Ungeheuer. Nein, ich muß die Ehre haben Euch zu sagen, das Wesentliche an einer Blume ist eine gewisse Kleinheit und Niedlichkeit. Und dann nicht solche übertriebene Menge; ich mag sonst wohl Blumen, und sie geben uns eine gewisse Erquickung und Ergötzlichkeit, aber das muß sich mit diesen Dingen in Schranken halten, und bei Leibe nicht so in's Excentrische gehn.

Göttin. Ihr vergeßt, daß dies die wahren Blumen sind,
Die Blüth', die in Blüthe steht; die Erde
Kennt nur den schwachen Schatten dieser Herrlichkeit.

Nestor. Nun ja, das ist die rechte Höhe, so machen es diese Idealisten immer; wenn man an ihre Hirngespinnste nicht glauben will, so wollen sie einem gar weiß machen, daß dies die rechte und wahre Art sei, wie eigentlich alles übrige in der Welt sein müsse. Und wenn ich auch alles andre vertragen könnte, so ist mir das ewige Singen und Sprechen dieser Dinge äußerst fatal.

Göttin. Haben Euch die Blumen sonst nie angesungen?

Nestor. Ha! ha! für wen seht Ihr mich denn an? Die Blumen sollten gut angekommen sein, die sich dergleichen Ungezogenheiten unterfangen hätten.

Göttin. Was macht Ihr aber eigentlich in der Welt?

Nestor. Ich stelle einen Märtirer vor, ich gehe für die allgemeine Wohlfahrt zu Grunde. Ich bin auf der Reise, und mein Prinz kann nicht eher seine vollständige Gesundheit erhalten, bis wir den guten Geschmack angetroffen haben.

Göttin. Was nennt Ihr den guten Geschmack?

Nestor. Ich will es Euch schon anvertrauen, weil Ihr mir ziemlich lehrbegierig scheint. Seht, der Geschmack, – als wenn ich sagen wollte, ein Gedicht, – nun müßt Ihr aber recht begreifen, denn ich strenge mich pur so an, um Euch die Sache recht klar und deutlich zu machen, – also, wenn Ihr Euch ein klassisches vollendetes Gedicht denkt, – klassisch nämlich, was, – nun, das ergiebt sich von selbst, – oder so ein Epigramm, ein Heldengedicht, eine Tragödie, worin alle Regeln observirt, niemals verwandelt –

Göttin. Ich verstehe Euch nicht; meint Ihr vielleicht überhaupt die Kunst?

Nestor. Nun ja, es wird ohngefähr so zutreffen. Wenn Ihr die Klassiker gelesen hättet, da würdet Ihr mich schon eher verstehn. Hätt' ich doch nur meine Grundsätze der Kritik bei mir!

Göttin. Laßt sich den Kranken gleich hieher verfügen,
In diesem sel'gen Aufenthalte wird
Er gleich von allen Uebeln sich erlöst
Befinden, denn hier wohnt die Poesie.

Nestor. Hieher? Wahrhaftig, das fehlte ihm noch, um in die alte Raserei zurück zu verfallen. Ihr habt große Vorstellungen von Euch und Eurem Garten, ich sehe ja auch nicht einmal einen einzigen Dichter.

Göttin. Dort wandeln sie im dunkeln Gange, jetzt
Seh ich, wie sie die Schritte zu uns lenken.

Die Dichter treten herin.

Nestor. Sind das nun wirklich und in der That Dichter?

Göttin. Unnöthig scheinst Du zweifelhaft zu sein.

Nestor. Man muß sich ein bischen mit dergleichen Behauptungen in Acht nehmen. Seht nur, wie sie unhöflich sind, sie kümmern sich gar nicht um mich, und doch bin ich hier fremde.

Göttin. Sie haben Dich noch nicht bemerkt.

Nestor. Noch eins, ich werde ja in Eurem Garten gar keine Raupen gewahr, und doch ist jetzt die Zeit.

Göttin. Kein Ungeziefer naht dem heil'gen Wohnsitz.

Nestor. Nun das ist noch von allen Dingen das unnatürlichste und unwahrscheinlichste. Nein, das wird Euch nimmermehr ein einziger Mensch glauben; seht, meine liebe Frau, ein solcher Garten ist bisher noch gar nicht erhört gewesen. Da kommen die Dichter auf uns zu, nun will ich Ihnen doch, mit Eurer Erlaubniß, ein wenig auf den Zahn fühlen.

Göttin. Ihr seid von seltner Munterkeit des Geistes.

Nestor. Wie heißt denn der finstre alte Murrkopf hier?

Göttin. Bescheidner sprich, es ist der große Dante.

Nestor. Dante? Dante? Ach jetzt besinn' ich mich, er hat so eine Comödie, gleichsam ein Gedicht über die Hölle geschrieben.

Dante. Gleichsam ein Gedicht? Wer bist Du, daß Du also sprichst?

Nestor. Nu, nur nicht so böse, ich bin ein Freund von Dir und von Euch allen, denn ich liebe die Dichtkunst und bringe oft meine müßigen Stunden mit Euren Schnurrpfeifereien hin.

Dante. Schnurpfei – wie war das Werk, das Du so eben nanntest?

Nestor. Ha ha ha! Er kennt die Schnurrpfeifereien nicht und hat selbst welche gemacht. Das bedeutet so Euer dummes Zeug, Eure lustigen Lappalien, was Ihr gemacht habt, und womit man die Zeit ganz artig vertrödeln kann.

Dante. Wer bist Du, flache Unbedeutenheit,
Daß Du Dich dieser frechen Sprach' erkühnst?
Hat Dich kein Laut aus meinem Werk getroffen?
Bist Du in alter Blindheit ein Bewohner
Von Religion und Poesie verstoßen?

Nestor. Ereifert Euch nicht so, alter Mann, denn die Wahrheit zu sagen, so habe ich Euch niemals gelesen.

Dante. Und kommt da her und spricht von meinem Werk:
Die göttliche Komödie Schnurrpfeifrei!
Ein schändliches, barbarisch Wort, und kaum
Der frommen Zunge abzulocken!

Nestor. Seid stille, sag' ich Euch, und laßt uns einmal ernsthaft sprechen. Seid Ihr denn in der That jemals ein Dichter gewesen?

Dante. Ariost! Petrarca!

Nestor. Nun, nun, die Zeiten haben sich seitdem gewaltig geändert, damals, ja damals, – aber jetzt seid Ihr zu schwer zu lesen, und auch außerdem noch ennüyant.

Dante. Damals! was meinst Du damit, Wurm?

Nestor. Ein hitziger Kopf! – Nun damals will ich nur sagen, war es erstaunlich leicht ein Dichter zu sein, weil, wie ich gelesen habe, vor Euch in neuerer Zeit eben keine Poeten existirt hatten; darum müßt Ihr nur Euer Glück anerkennen, denn im Grunde wäre doch jeder andre damals eben so wie Ihr berühmt und bewundert worden.

Dante. Es hätte also nur an Dir gelegen,
Nur an der Zeit, die Dich an's Licht geworfen
In jenem früheren Jahrhundert, und
Du hättest auch wie ich die Welt erstaunt?

Nestor. Natürlich, ja was noch mehr ist, ich denke es sogar in unserm Zeitalter, wo es doch tausendmal schwerer ist, dahin zu bringen. Erst fang' ich so sachte, sachte mit Abhandlungen für Monatsschriften an, in denen ich meinen aufgeklärten Kopf entdecke und irgend einen Schwärmer oder Pietisten ganz artig und sauber in seiner Blöße darstelle, dann schreib' ich gegen Gespenster, dann einen Roman gegen Euch und alles was mir nicht in den Kopf will, dann lass' ich mir merken, daß mir im Grunde gar nichts in der Welt recht ist, bis ich am Ende immer höher, immer höher komme, anfange zu rumoriren und zu ennuyiren was man nur leisten kann, bis mich die Leute endlich aus Langerweile für den ersten Menschen in der Welt halten. – Aber dergleichen Zeug, wie Eure sogenannte Komödie, hätte ich doch auch meiner Seele nicht in jenem unaufgeklärten Zeitalter geschrieben. Hölle und Paradies! Und alles so umständlich, wie ich mir habe sagen lassen. Fi! schämt Euch, ein alter erwachsener Mann, und solche Kinderpossen in den Tag hinein zu dichten.

Dante. Die Gottheit hat es mir also verliehn,
Vom milden Himmel wurde mir vergönnt,
Ein kühner Sänger mein prophetisch Lied
Zur Glorie der katholischen Religion
In reinester Begeisterung zu sprechen.

Nestor. Nu, das ist es ja eben, wovon wir reden. Die katholische Religion, das ist mir, und uns übrigen vernünftigen Leuten gerade der Stein des Anstoßes.

Dante. Was denkt's Gewürm bei diesem Ausdruck denn?

Nestor. Verflucht hitzig vor der Stirn! – Was man sich dabei denken soll, weiß bei uns jedes Kind, daher es auch ein Sprichwort, sogar bei den gemeinen Leuten, geworden ist, daß wenn man etwas recht Tolles, Unvernünftiges, oder auch Langweiliges hört, man zu sagen pflegt: Ei, darüber könnte man katholisch werden.

Dante wendet sich unwillig von ihm, und geht in den Hain zurück.

Nestor. Die Dichter sind ein verfluchtes Volk. Nichts als Undank, wenn man sich für ihre Werke interessirt!

Ariost. Der Protestant protestirt ja gegen alles Gute, und besonders gegen die Poesie.

Nestor. Alle durch die Bank grob! Wer seid Ihr denn?

Ariost. Ich nenne mich Ludwig Ariost.

Nestor. Aha! Mit Euch bin ich schon ein wenig mehr bekannt, seid auch amüsanter wie jener Brummbär, aber verteufelt unmoralisch. Mensch, Mensch, wie habt Ihr so manches beim Durchfeilen können stehn lassen?

Ariost. Ha ha ha!

Nestor. Lacht nicht, lacht nicht, um Gotteswillen, wenn ich nicht gänzlich an Eurem Herzen verzweifeln soll. Aus Liebe zur Menschheit, aus Liebe zur Tugend, hättet Ihr manche von den argen Possen durchaus nicht niederschreiben sollen.

Ariost. Aus Liebe zu den Menschen habe ich es gethan, aber was ist die Menschheit?

Nestor. Die Menschheit, – mich wunderts, daß Ihr davon nichts wißt, – seht, das ist so die Welt en gros. Jetzt steigt übrigens die Menschheit erstaunlich, man hat sogar Erwerbschulen angelegt, man prügelt die Soldaten ein bischen weniger, man – nu, seht Ihr, das nennen wir so Menschheit.

Ariost. Darüber ließe sich vielleicht ein Lustspiel schreiben.

Nestor. Es geschieht ohne Euch genug, dazu kommt Ihr zu spät, alles für die Menschheit.

Ariost. Und sind sie sehr lustig, diese Lustspiele?

Nestor. Wo denkt Ihr denn hin? Nun ja, da sieht man Euch das rohe Zeitalter recht an, rührend ist's, zum Weinen, alles voller Prediger und Prinzen, und Bösewichter, und hoher edler Menschen.

Gozzi. Dieser wäre eine ziemlich gute Maske.

Ariost. Liest man denn meine bunten Lieder noch?

Nestor. So wie's kömmt, manche halten gar viel von Euch, im Grunde aber hat man jetzt mit seiner Veredlung so viel zu thun, daß einem zum Spaß nicht viele Zeit übrig bleibt, mich etwa und andre dergleichen Dichterfreunde abgerechnet. Wir haben nun einmal die Schwachheit.

Ariost. Närrischer, es muß jetzt eine erbärmliche Zeit auf Erden sein.

Nestor. Wie Ihr's versteht! Nein, mein Bester, das zu beurtheilen ist für Euch wohl zu hoch. Dergleichen Noth- und Hülfsbücher, dergleichen zarte vortreffliche Regenten, Taubstummen-Institute, Kabinetsordern, Lesebibliotheken, wohlthätige Journale, Pockennoth und Akazienbäume habt Ihr in Eurem Leben gewiß nicht vernommen.

Ariost. Du rasest.

Nestor. Und schöne Weiblichkeit und zuckersüße Häuslichkeit, und wahre Menschenempfindung, und Wohlwollen und Mitleiden einer mit dem andern –

Ariost. Das scheint mir in der That nöthig.

Nestor. Unentbehrlich. Ja, Ihr solltet nur jetzt leben. Man wäre im Stande, und verböte Euch zu existiren, wo Ihr Euch nur blicken ließet.

Ariost. O Schade, daß ich nicht zur Erde zurückkehren kann.

Nestor. Uebrigens kann man jetzt Euer Gedicht noch aus andern Rücksichten entbehren, denn der größte deutsche Poet hat so ohngefähr das Beste aus Eurer Manier genommen, und in seinem herrlichen Oberon trefflich verschönert; dabei hat er auch den sogenannten Stanzen eine schöne Originalität beigebracht, indem er sie freier, unkünstlicher, liebenswürdiger entstanzt und umgestanzt hat.

Ariost. So?

Nestor. Fleißig hat man Euch nachgeahmt und verbessert. – Wie ist denn Euer Name?

Petrarca. Ich heiße Petrarca.

Nestor. Ich habe also die Ehre ein sehr verliebtes Gemüth kennen zu lernen. Ihr werdet auch zu Zeiten übersetzt, das heißt, ein oder zwei von Euren Sonetten, denn viel von dem Zeuge ist über die Gebühr langweilig. Sagt mir nur, wie Ihr der Dinge nicht überdrüßig geworden seid?

Petrarca. Du bist ein wunderlicher Kauz. Hast Du denn meine Sonette verstanden?

Nestor. Ach, lieber Gott, was ist da sonderlich zu verstehn, immer Liebe und immer wieder Liebe, dergleichen ist für mich nicht. – Ich möchte fast darauf wetten, daß Ihr der bekannte Tasso seid.

Tasso. Nicht anders.

Nestor. Ja, Ihr habt's auch gut gemeint, das kann man gar nicht läugnen. – Wer ist der freundliche Mann dort?

Tasso. Er ist der Castilianische Poet Cervantes.

Nestor. Je Possenreisser, Possenreisser, komm doch vor und sei nicht so blöde, Dich mag ich erstaunlich gern leiden, denn Du bist ein lustiger Geselle.

Cervantes. Was willst Du von mir?

Nestor. Dein Ding, Dein Don Quixote ist zum Todtlachen, aber was sollen die Novellen drin?

Cervantes. Auch Don Quixote hat das gefragt.

Nestor. Nu, antworte darauf.

Cervantes. Was soll das ganze Buch?

Nestor. Das sag' Er nicht, mein Bester, denn erstens hat das Buch andre viel bessere veranlaßt, zum Beispiel den Don Silvio von Rosalvo, also ist das schon ein gewisser beträchtlicher Nutzen, und dann ist es ja zum Todtlachen, es ist keiner unter uns, der das dumme Zeug nicht gelesen hätte, nein, sei Er nur ruhig. Schade, daß Er nicht jetzt lebt, aus Ihm hätte was werden können.

Cervantes. Bin ich, der ich in meinem Leben schon so viel Schlimmes erfuhr, nach meinem Tode so tief heruntergesunken, daß der Pöbel mich für seinen Gesellen und Bruder erkennt?

Nestor. Sei Er nicht betrübt, von ganz reputirlichen Leuten wird er gelesen, und in den Uebersetzungen läßt man seine Gedichte und dergleichen, was nicht zur Sache gehört, aus, da hat das Ding denn ein recht feines Ansehn.

Cervantes. Und die zarte Galatea kümmert keinen?

Nestor. Je das sind ja Jugendschwächen, die vergiebt man ihm, lieber Freund.

Cervantes. Das muß ich doch meinem Freunde Shakspeare erzählen, wenn er wieder kömmt.

Nestor. Also der Teufelskerl ist auch hier? Eine kuriose Gesellschaft! Es giebt doch auch nicht einen einzigen klassischen und korrekten Menschen hier, an dem man sein Gemüth auf eine verständige Weise erquicken könnte. Und das soll der Garten der Poesie sein? Der Schwärmerei, der Phantasterei, das will ich eher zugeben.

Göttin. Wen vermissest Du?

Nestor. Da hat doch nun, nur ein schlechtes Beispiel zu geben, die deutsche Nation schon längst ihr goldnes Zeitalter der Poesie gehabt, und ich suche unter diesen Blumen und altfränkischen Dichtern vergebens einen Hagedorn, Gellert, Gesner, Kleist, Bodmer, – ich sehe keinen einzigen Deutschen.

Göttin. Die Du nennst, kennen wir nicht, aber dort steht der wackre Hans Sachs.

Hans Sachs. Kennst Du mein Fastnachtsspiel vom Doktor mit dem Narrenschneiden?

Göttin. Ein blumenvoller Hain ist zubereitet
Für jenen Künstler, den die Nachwelt ehrt,
Mit dessen Namen Deutschlands Kunst erwacht,
Der Euch noch viele edle Lieder singt,
Um Euch in's Herz den Glanz der Poesie
Zu strahlen, daß Ihr künftig sie versteht;
Der große Britte hofft ihn zu umarmen,
Cervantes sehnt nach ihm sich Tag und Nacht
Und Dante dichtet einen kühnen Gruß,
Dann wandeln diese heil'gen vier, die Meister
Der neuen Kunst, vereint durch dies Gefilde.

Nestor. Wer in aller Welt könnte denn das sein?

Bürger ihm leise in's Ohr. Goethe.

Nestor. O geht mir doch mit dergleichen, ich selbst habe erst neulich Herrmann und Dorothea, der Genius der Zeit foderte das, so rezensirt, daß man ja blind sein müßte, wenn man den Verfasser noch länger für einen Dichter halten wollte.

Sophokles tritt herin.

Sophokles. Was muß ich vom Dante hören? Ihr verschmäht es nicht, diesen Lästerer hier in diesem reinen Aufenthalte zu dulden?

Nestor. Wer ist der gewaltige Herr?

Cervantes. Es ist lustig, Sophokles, ihn sprechen zu hören.

Nestor. Ach, ist das der Grieche Sophokles? – Einen schönen guten Morgen, Ihr Gnaden.

Sophokles. Ich mag nichts mit ihm zu thun haben. Laßt einige Genien kommen, ihn fort führen, und ihm dann etwas Speise reichen.

Nestor, indem er fortgeführt wird. Ihro Gnaden sind ja ein Grieche, ich habe ja einen großen Respekt vor Ihnen, – nur sind, wie man sagt, Ihre Chöre etwas schwer, – so übel wird einem Freunde der Dichtkunst mitgespielt! –

Sophokles. Wie hatte sich dieser Barbar hier eingefangen?

Göttin. Er kam von selbst herein, war im höchsten Grade modern und ungläubig.

Sophokles. Unrecht thatet Ihr, o weise Dichter, auf seine Reden Acht zu geben, soll ich anders meine Meinung sagen.

Cervantes. Die Irdischen haben uns niemals begriffen, weshalb verwunderst Du Dich also? Sie gehn ab.

Die Blumen.
        Der Abend sinkt hernieder,
        Die Nachtviolen wachen auf,
        Und gießen in die Lüfte
        Die süßen Düfte.
        Wir singen leise Lieder,
        Die Nachtviolen wachen auf,
        Und strömen süße Düfte
        Durch die Lüfte.

 


 

Ein Zimmer.

Genien führen den Nestor herein.

Nestor. Das geht über alle Beschreibung, über allen Glauben hinaus. Wird ein reisender Mensch, ein gebildeter Kenner so in der Fremde behandelt? Der ganze Garten ist voller Menschen, und alle sehn mich als ein lächerliches Wunderthier an; der Grieche, der doch in der That mehr Manieren haben sollte, läßt mich endlich gar fortbringen, um mir Essen reichen zu lassen, – und doch seh' ich hier nichts.

Erster Genius. Sogleich wirst Du gespeist werden.

Zweiter Genius. Und getränkt.

Nestor. Schönen Dank! – Daß es aber nur gute und ordentliche Eßwaaren sind, und nicht so phantastischer Narrenkram, wie die Reden draußen in der freien Luft vorfielen.

Erster Genius. Der Irdische soll Irdisches genießen.

Nestor. Das ist es, was ich sagen wollte, Herr Genie. – Der Boccaz lief mir noch nach, um über mich zu lachen, und ein gewisser Benjamin Jonson schrie mir unaufhörlich lateinische Satiren nach. – Ist denn das wahr, daß der eine Träumer in dem dunkeln Gange der berüchtigte Jakob Böhm war?

Erster Genius. Du sagst es.

Nestor. Ja ich sage aber auch, daß Euer Garten der Poesie dann ein Garten für Schlingel und Bärenhäuter ist.

Erster Genius. Erzürn Dich nicht, Du magst ihn bald verlassen.

Nestor. Ja, ich will gewiß nach dem Essen nicht viele Zeit mehr hier verschwenden.

Der Tisch. O wie glücklich ist die Kreatur zu preisen, die endlich zu Erkenntniß kommt, und statt müßig zu sein, nützlich ist.

Nestor. Wer spricht denn hier so vernünftig? – Seid Ihr es etwa?

Die Genien. Wir nicht.

Der Tisch. Ich bin es, der hier vor Dir steht, mit meinem Namen Tisch genannt.

Nestor. Aber mir schwindelt, mir vergehn die Sinne; ich habe so etwas noch niemals gehört.

Der Tisch. Ich freue mich, daß nun das Essen bald auf meine Oberfläche wird gesetzt werden, dann nimmst Du meinen Bruder, den Stuhl, setzest Dich vertraulich und lächelnd zu mir heran, und ich bin Dir eine nützliche Bequemlichkeit.

Der Stuhl. Es wird Dir wohl thun, Dich auf mich zu setzen, denn ich bin dazu vortrefflich ausgearbeitet.

Der Tisch. Wie freuen wir uns, daß wir nicht mehr draußen als elende grüne Bäume im Freien stehn, und rauschen und uns schütteln, was keinem frommt. Hier sind wir zu einem nützlichen Zwecke umgearbeitet und erzogen.

Der Stuhl. Wir Möbeln können uns nur noch dunkel unsers rohen, grünen, unkultivirten Zustandes erinnern, aber die wilden Tage unsrer unnützen Jugend sind dahin, wir wuchsen und gediehen und wurden hernach ein trefflich dürres Holz, so daß wir uns auch gar nicht einmal geworfen haben; wer es nicht wüßte, würde es uns gar nicht ansehn, daß wir sonst einmal Bäume waren.

Der Tisch. Drum schämen wir uns auch nicht, sondern genießen in unserem Beruf einer beneidenswerthen Gemüthsruhe.

Nestor. Ei der Tausend! Ei der Tausend! Wo soll ich verwundernswürdige Verwunderung genug hernehmen, um mich auf die gehörige Art zu verwundern? – Ja, ich bin bei mir selber, ja ich bekenne es mir dreist, daß dieser Tisch und dieser Stuhl die edelsten, die vernunftreichsten Kreaturen sind, die ich noch, mich selber ausgenommen, bisher auf Erden angetroffen habe. Daß nicht, wie es doch sogar bei den meisten Menschen der Fall ist, Hände aus diesen verehrungswürdigen Personen heraus hängen, damit man sie ihnen mit Achtung und Biederherzigkeit drücken könnte! Ja, was soll ich thun, was, um meine Erkenntlichkeit zu bezeugen? Es bleibt mir nichts übrig, als mich in Dich, o allerliebenswürdigster Stuhl, hineinzusetzen.

Der Stuhl. Nicht wahr, es sitzt sich gut?

Nestor. Herrlich, herrlich, Du Edler. Nun rücken wir zum Tisch und machen die angenehmste Gesellschaft, – und nun fehlt zu meinem häuslichen Glücke nichts weiter, als daß man rasch das Essen hereinbringe.

Speisen werden aufgetragen.

Ein Schrank. Auch ich bin ein brauchbares Mitglied, in mir werden die Servietten und Tischtücher aufbewahrt, auch ich bin, ein ehemaliger Baum, zur Vernunft gekommen.

Nestor. Ihre Gesundheit, Herr Schrank, daß noch lange die verfluchten Holzwürmer Ihrer nützlichen Existenz kein Ende machen mögen!

Ein Schrank. Auch dann bin ich noch nützlich, man kann ja bei meinen Gebeinen immer noch eine Suppe kochen.

Nestor. Es ist wahr. – O Menschen, Menschen! wenn ich Euch doch nur einmal vor diesen beschämenden Spiegel führen könnte. Wie wenige Vortreffliche unter Euch können sich doch mit diesen messen!

Der Spiegel. Ich bin selbst ein Spiegel, belieben Sie in mich hineinzuschauen.

Nestor. Gleich. – Ach! wie schön bin ich! wie geistreich seh' ich aus! Kann man mehr Feuer im Auge besitzen? – Schönen Dank, liebwerthester Spiegel, daß Sie mir diesen köstlichen Genuß haben gönnen wollen.

Der Braten. Sie vergessen mich, Herr Nestor, Ihren Freund, ich glühe Ihnen zu schmecken und Vergnügen zu machen.

Andre Schüsseln. Nehmen Sie doch auch von uns eingemachten Früchten.

Der Wein. Und trinken Sie eins dazu.

Nestor. Wie soll ich so vielen Edelmuth vergelten? Ich erliege der Last der Dankbarkeit. – Aufopfrung, nichts als Aufopfrung! O ihr hohen Geister! – Mein Herz, meine Kinnbacken, mein Magen, – alles, alles ist Euch auf ewig zugethan. – Wie zweckmäßig ist doch die Einrichtung der schönen Welt! – O du, mein wackrer Freund, der mir dies Büchlein mitgab, hier würdest auch du Anker werfen, und nicht mehr über Idealismus winseln: hier würdest du deine goldenen Träume in Erfüllung sehn.

Der Tisch. Nicht wahr, ich halte die Schüsseln recht fest, eine brave starke Person, steh' ich auf kräftig tüchtigen Füßen.

Nestor. Unvergleichlich, Biedrer, Starker, ich rutsche vor Entzücken hin und her, mehr kann ich nicht thun. – Nun, Genien, sprecht doch nur dergleichen, – die Lumpenkerls haben sich sachte fortgeschlichen; nun, ich brauche Euch auch nicht, denn ich bin in guter Gesellschaft.

Der Stuhl. Ach großmüthiges Herz, Sie rutschen allzulebhaft, meine Konstitution ist etwas zarter, als die des Bruders Tisch, das können meine eleganten Beine nicht aushalten.

Nestor. Um Vergebung, bitte tausendmal um Vergebung, wenn das Herz recht voll ist, so regiert man sich oft nicht mäßig genug.

Der Tisch. Als ich noch im grünen Holze steckte, hatt' ich wie ein ächter Vagabunde meine Freude an Luft und Sonne, seit ich meine Bestimmung erfüllt habe, sind mir beide verhaßt.

Nestor. Und mit Recht, mein Freund, sie sind den Möbeln schädlich. – Jetzt bin ich gesättigt, jetzt werde ich mich wieder fortbewegen.

Die Flaschen. Je so trinken Sie doch noch.

Schüsseln. Essen Sie doch noch –

Nestor. Bin wahrhaftig nicht im Stande. – Ei, da hängen ja eine ganze Menge musikalischer Instrumente an der Wand. – Eine Geige! Ich bin ein ganz artiger Violinspieler; ich will doch einmal versuchen die Sonate zu spielen, die ein guter Freund ganz besonders für mich componirt hat. Er spielt.

Die Geige. O weh! o weh!
Wie mir das durch die ganze Seele reißt!
In's Henkers Namen, ich bin keine Flöte!
Wie kann man mich so quälen,
Alle meine Töne unterdrücken,
Und kneifen und schaben und kratzen,
Bis ein fremdes quinkelirendes Geschrei herausschnarrt!
Ich kenne meine eigene Stimme nicht wieder,
Ich erschrecke vor mir selber
In diesen unwohlthätigen Passagen.
Ei! ei! daß ein andrer Geist
Doch auch einmal so mit dir umspringen möchte,
Damit du alle Menschlichkeit verläugnen müßtest
Und dich dem Thiere gleich geberden.
Innerlich schmerzt mich die Musik,
Die da unten wohnt und von wilden Klängen vernichtet wird,
Eine Kolik ängstigt mich durch und durch,
Der Resonanzboden wird von Gicht befallen,
Der Steg winselt und wimmert.
Wie ein Clarinett soll ich mich geberden,
Jetzt dem Basson verglichen werden,
Er reißt mir noch die melodische Zunge aus,
Lange werd' ich liegen müssen und mich besinnen,
Eh' ich diesen Schrecken verwinden kann.
Ei so kneif du kneifender Satan!
Es wird ihm selber sauer,
Es neigt zu Ende mit der verfluchten Sonate,
Ach weh! o weh! o welche Gefühle!
Die Ribben, die Seiten der Rücken,
Alles wie zerschlagen! – –

Nestor. Erstaunlicher Ausdruck in dem Stücke! Je öfter man's hört, je mehr es gefällt.

Die Harfe. Wir sind, was des Menschen Hand
Aus dem trägen Holze nützlich bildet,
Die kindischen Dichter.

Nestor. Ihr seid Instrumente, und keine Dichter.

Harfe. Innewohnend in zarten Saiten
Sind die eignen Geistertöne;
Wer bannte sie hinein?
Rühr uns mit verwandtem Geiste
Körperlich uns Körper an,
So heben sich die bunten Schwingen,
So steigt der freundliche Geist heraus
Und schaut Dich mit den klaren Augen an,
Grüßt mit lieblicher Geberde,
Giebt sich Dir zu eigen,
Spielt heilig vor Dir hin,
Und sinkt Dein Freund in den Abgrund des Wohllauts zurück.
Magst Du ihn wieder rufen,
Er kommt dem bekannten Rufe wieder,
Klag' ihm was Dich bangt,
Sag' ihm wonach Dich verlangt,
Er faßt, er kennt Dein Herz, dein Sehnen,
Er schwingt mit Flügeln sich auf
Zu Landen, die Du nicht siehst,
Und bringt mit kindlicher Freude
Die glänzenden Gaben,
Die niegesehenen Wunder
Dem Freunde heimisch in's Herz.

Nestor. Wenn ich nur die Harfe spielen könnte, so sollte sie bald andre Reden führen.

Flöte. Unser Geist ist himmelblau,
Führt Dich in die blaue Ferne,
Zarte Klänge locken Dich
Im Gemisch von andern Tönen.
Lieblich sprechen wir hinein,
Wenn die andern munter singen,
Deuten blaue Berge, Wolken,
Lieben Himmel sänftlich an,
Wie der letzte leise Grund
Hinter grünen frischen Bäumen.

Hoboe. Ungewiß schreit' ich voran,
Seele willst du mit mir gehn,
Auf, betritt die dunkle Bahn,
Wundervolles Land zu sehn;
Licht zieht freundlich uns voran
Und es folgt auf grünen Matten
Hinter uns der braune Schatten.

Trompete. Die Erde wird freier, der Himmel wird höher,
Laßt muthig den Blick sich erheben!
Wie liegt die Noth, die Sorge,
Weit hinter den flammenden Tönen!

Geige. Funkelnde Lichte,
Durchschimmernde Farben,
Ziehn in Regenbogen,
Wie wiederglänzende springende Brunnen,
Empor in die scherzenden Wellen der Luft.
Es zucken die rothen Scheine,
Und spielen hinauf und sinken hinab:
Was willst du vom lieblichen Scherz?

Waldhorn. Hörst, wie spricht der Wald Dir zu,
Baumgesang –

Nestor hält ihm den Mund zu. Um Gotteswillen, schweige doch nur, denn Du bist mir das fatalste von allen diesen Instrumenten. Da ist ein Buch kürzlich herausgekommen, mich dünkt, Sternbalds Wanderungen, da ist um's dritte Wort vom Waldhorn die Rede, und immer wieder Waldhorn. Seitdem bin ich Deiner gänzlich satt. – Ich muß jetzt gehn. – Noch ein Glas Wein! Adieu Herr Tisch und Stuhl und Ihr alle meine Freunde, mein Herz wird Euch niemals vergessen.

Die Möbeln. Leben Sie wohl, sympathetisch-gesinnter Freund!

Nestor geht ab.

 


 

Gebirge.

Zerbino tritt auf.

Zerbino. Verirrt wandr' ich umher und kann aus diesen Felsen, aus diesen Labyrinthen den Rückweg nicht finden. – Wunderbare Gedanken kommen in meine Seele, Gefühle, die ich noch nie empfand. – Die Natur liegt groß und unermeßlich vor mir, Stürme brausen durch den nahen Wald, die Quellen rauschen. Wie nichtig und klein erscheint mir hier meine Existenz, die mir immer so groß dünkte, wie lächerlich der Zweck, um dessentwillen ich mich hier befinde. Warum ängstigen wir uns fast alle ohne Noth so ab, und genießen nicht lieber die gegenwärtig schönen Stunden in Ruhe und Zufriedenheit? Alles um mich her erhält bedeutende Gestalt und Umriß; wenn ich hier länger weile, so bilde ich mir bald halbtrunken ein, die Bäche hier, die Bäume führen in sich Zung' und Sprache, wie mit Geistesgestalt schaut es mich aus diesen hohen Bergen an.

Die Quellen. Wandle, wandle frohen Muthes,
Zu dem Gipfel steigt die Quelle,
Sinkt hinab und bleibet helle,
Tränkt mit jeder kleinen Welle
Wies' und Thal, die froh des Gutes.

Geister aus dem innern Kerne
Tiefer Erdenschlüfte, heben
Wir uns kräftiglich und weben
Irdisch in dem klaren Leben,
Ziehn uns an die goldnen Sterne.

Alles, alles ist verbunden,
Ein Herz nur das alles reget
In den fernsten Pulsen schläget,
Jede Kreatur beweget,
Kühn beherrschend alle Stunden.

Zerbino. Was vernehm ich? Ist es nicht, als wollte sich das unverständliche Rieseln freiwillig in Worte auflösen; in dunkeln Gedanken ordnet sich die räthselhafte Sprache, mein Blut erstarrt, meine Sinne schwindeln vor Schrecken und Erstaunen.

Bergstrom. Stürz, stürz hinab,
Woge hinab mit Eile zum Thal;
Findest die ruhigen Quellen zumal
Und nimmst sie reißend mit in das Grab.

Keine Ruh, keine Ruh nicht einen Augenblick,
Unaufhaltsam reissen die Wogen,
Reissen die Zeiten Unglück und Glück,
Werden große Thaten fortgezogen,
Sieht Vergangenheit nie zurück.

Nirgend Stillestand, nirgend Stillestand,
Alles durch einander sich schwingt,
Die Kraft mit fremden Kräften ringt,
Eins in das andre feindlich dringt,
Strebt zu durchbrechen das fesselnde Band!

Zerbino. Ist es ein Traum? Bin ich wahnsinnig? – Wie bin ich heute würdig, daß mir der Schleier vom Antlitz hinwegfällt, und die Natur sich mir offenbart?

Der Sturm. Ein belebender Othem geht durch die Natur,
Besuche die grünen Wälder, die Gebüsche,
Die hohen Berge, die niedre Flur,
Mit mir geht Kraft und Lebensfrische.

Mit Wolken ist in Lüften mein Spielen,
Auf Erden find' ich Gras und Laub,
Doch oft, wenn mir die Blüthen gefielen,
Sind sie auch meines Zornes Raub.

Doch bring' ich den Regen zur Nahrung der Wiesen,
Ich jage die Nebel in's Saatfeld hinein,
Ich lasse die Ströme durch Walddunkel fließen,
Muß Wechsel und Kampf allgegenwärtig sein.

Zerbino. Wohin soll ich mich retten? Ich trage es nicht länger, ich vermag mich selber nicht mehr zu fassen, es überwältigt mich von allen Seiten, sie steigen heraus die Riesengeister aus der Unsichtbarkeit, die sie bis jetzt noch gefangen hält.

Die Berggeister. Wir sind Dir, Sterblicher, verwandt,
Und innerlich von Dir gekannt,
Von Deinem Geiste dir genannt.

Dein Herz dich hoch entgegen treibt,
Zurück mit ird'scher Kraft dich hält
Dein todter Sinn, die Lust zur Welt,
Und in der Furcht die Seele bleibt.

Wirf kühn Dich in den Strom der Lust,
Laß Raum der überird'schen Brust,
Du findest Freuden, die Du nie gewußt.

Natur giebt sich mit Geistern Dir zu eigen,
Wird dienen Deinem Menschensinn,
Ziehst Du sie mächtig zu Dir hin
Und willst die Kraft von Deinem Geiste zeigen.

Zerbino. Ich versinke, unerträglich ist mir die Last dieser Gedanken, mir ist's, die Berge liegen schon auf mir, und über mir wandelt dahin die wildbelebte Schaar der Wälder und Ströme und Gebirge. So trennt sich einst gewaltsam am letzten Tage die Natur aus allen festverbundnen Fugen. – Aber welche göttliche Gestalt bewegt sich dort vom Gipfel herunter? Wie ruhig ist sein Gang, wie göttlich und wie menschlich sein Ansehn! Mit ruhiger Unbefangenheit wirft er einen sinnenden Blick in die große Natur: er kann keiner von den Sterblichen sein.

Die Gestalt steigt herunter.

Zerbino. Wenn ich fragen darf, wer bist Du?

Shakspear. Im Leben hieß ich Shakspear.

Zerbino. Shakspear? – Ei, wie sehr freu' ich mich, Dich zu sehen, auf Erden ist unter uns die Rede oft von Dir. – Mich verwundert, wie Du bei diesen Stimmen und Geistergesängen so ruhig und unbefangen bleibst.

Shakspear. Es ist mein Vergnügen, der Sprache der Natur zuzuhören.

Zerbino. Mich hat dies so erschüttert, daß ich kaum noch weiß, wo ich bin, der Schrecken hat mich fast wahnsinnig gemacht.

Shakspear. Du mußt es wie ein schönes Spiel genießen, denn als ich auch noch lebte, hat mich dergleichen nie erschreckt.

Zerbino. Du warst auch dafür schon damals ein großer Mann.

Shakspear. Was Ihr gewöhnlich so nennt, bin ich nie gewesen. – Wie denkt Ihr denn von mir?

Zerbino. Du meinst doch im allgemeinen?

Shakspear. Daß Einzelne den Freund in mir sehn und fühlen, weiß ich.

Zerbino. Nun, man hält Dich also für einen wilden, erhabenen Geist, der bloß die Natur studirt hat, sich ganz seiner Furie und Begeisterung überläßt und nun darauf los dichtet, was es giebt, gut und schlecht, erhaben und gemein durcheinander.

Shakspear. Und Du meinst es eben so?

Zerbino. Das ich nicht anders sagen könnte.

Shakspear. Grüß deine Bekannten von mir und sag' ihnen, daß sie sich irren.

Zerbino. Es sind aber treffliche Köpfe darunter, unter andern unser Hofgelehrter Leander.

Shakspear. Dennoch irren sie, aber es thut nichts. Verkündige ihnen, daß die Kunst immer meine Göttin war, die ich anbete.

Zerbino. Man wird mir nicht glauben.

Shakspear. Weil Du es selbst nicht glaubst. – Komm mit mir, Du hast Dich hier in der wilden erhabnen und großen Natur verirrt, ich will dich wieder herausführen und auf Deinen geraden Weg bringen.

Zerbino. Wie gütig Du bist!

Shakspear. Ich gehe doch den Weg nach Hause. Vor dem Garten der Poesie nehmen wir dann Abschied, denn Du wirst weiter wollen.

Zerbino. Allerdings, ich habe noch ein entferntes Ziel vor mir.

Sie gehen ab.

 


 

Gottlieb, Hinz von Hinzenfeld, Leander, Räthe.

Gottlieb. Das muß ein erstaunlicher Mann sein, in dessen Lobeserhebungen sich der verehrungswürdige Polykomikus so umständlich ergießt.

Hinz. Das Volk, die Menschheit wird allerdings viel gewinnen, wenn wir ihn hier auf eine vortheilhafte Art anzustellen suchen.

Leander. Vielleicht daß sich alsdann von hier die allgemeine Bildung durch die ganze Welt verbreitet.

Gottlieb. Man lasse ihn also denn hereintreten.

Stallmeister tritt mit Verbeugungen herein.

Gottlieb. Er ist also der Mann? – Wahrhaftig ein angenehmer Mann.

Stallmeister. Ich würde mich unendlich glücklich schätzen, wenn ich meine wenigen Talente in den Diensten von Ihrer huldreichsten Majestät aufbrauchen könnte.

Gottlieb. Es kann geschehn, es kann in der That geschehn. – Er ist aufgeklärt?

Stallmeister. Aufzuwarten.

Gottlieb. Richtig. Nun sieht Er, getreuer Aufgeklärter, das soll auch am Ende unter den Unterthanen hübsch um sich greifen, daß sie nicht mehr stockdumm, wie die Ochsen, oder ungebildet sein möchten, denn dann ist das Regieren wahrhaftig keine Freude.

Stallmeister. Man muß also für's Erste alle Vorurtheile von ihnen abwaschen, damit sie nachher der neuen Vernunft fähig werden; in dieser Rücksicht wäre es dienlich, gleichsam ein Journal für Aufklärung herauszugeben.

Gottlieb. Er müßte aber diese Wäsche besorgen.

Stallmeister. Mit freudenvollster Bereitwilligkeit.

Gottlieb. Nun Er hat ein gutes, ehrliches Gesicht, ich will mich auf Ihn verlassen. Wenn Er nur nicht selbst eine Art von Schwärmer ist; mich dünkt, Er hat so einen melankolischen Zug um's Auge.

Stallmeister. Das rührt vielleicht, mit Ihrer Majestät Erlaubniß, daher, daß ich zuweilen einige wenige Verse mache.

Gottlieb. So laß Er's künftig lieber, damit Er nicht auch umsetzt.

Stallmeister. In diesem Journale oder Wochenblatt würd' ich immer bestmöglichst für die Bedürfnisse der Menschheit sorgen, und ein Licht anzünden, das weit leuchten soll: anfangs wollen wir's nur aus Stroh machen, vielleicht daß sich nachher bessere Materialien finden. Alsdann muß ich mir die Gnade ausbitten, im Lande herumzureisen, um nachzusuchen, wo irgend Schwärmer stecken, damit ich diese aufstellen, beschreiben, und weitläuftig in allen ihren Blößen darstellen kann.

Gottlieb. Sie sollen ihm geliefert werden, mein Land hat von diesem Unkraute einen großen Ueberfluß.

Leander. Mir ist zum Beispiel für den ersten Anfang ein Mann bekannt, ein Korbmacher, der durchaus ein Prophet werden will.

Stallmeister. O dies Exemplar werde ich mir sogleich ausbitten.

Leander. Ein andrer hält, ein Schuhmacher, den Sonnabend für heiliger, als den Sonntag.

Stallmeister. Auch schön.

Gottlieb. Je da ist ja unter andern die alte Majestät, mein Schwiegervater, der besitzt einen zinnernen Mann aus Blei, mit Namen Sebastian, und glaubt dabei, daß er diesen Sebastian ganz wie er in Blei leibt und lebt, nächstens einmal lebendiger menschlicher Weise antreffen wird. Wenn es mit der gehörigen Mäßigung, Schonung und Namensverschweigung abgehandelt würde, so könnte Er ihn auch als einen Beitrag für Sein Buch nehmen.

Stallmeister, fällt ihm zu Füßen. Ich kann keine Worte finden, um für diese unbedingte Huld hinreichend zu danken, oder diese unbeschränkte Liebe zur wohlthätigen, Menschheit beglückenden Aufklärung auf die genügende Art zu erheben.

Gottlieb. Spar Er sich, es geschieht gar gerne.

Stallmeister. Wir wollen aber dabei Ihre schwiegerväterliche Majestät in Kupfer stechen lassen, in punktirter Manier.

Gottlieb. In Gottes Namen.

Stallmeister. Das wäre Ein Punkt. Das meiste aber könnte vielleicht dadurch bewirkt werden, wenn man die ganze bisherige Erziehung durchaus umarbeitet.

Gottlieb. Er meint, daß wir uns alle nochmal von vorne sollten erziehen lassen?

Stallmeister. Fern sei von Ihrem unterthänigsten Knecht dergleichen frevelhafter Gedanke. Ich wollte mich unterstehen, eine Schule anzulegen, in der die jetzige gegenwärtige Jugend zu ganz unbegreiflich großen Menschen sich ausbilden und heranwachsen sollte.

Gottlieb. Ei! ei! wie wollte Er das in's Werk richten?

Stallmeister. Auf einem neuen Wege.

Gottlieb. Es sei ihm zugestanden, ja Er soll mir alle Schulen im ganzen Lande reformiren und alleroberster privilegirter Schulmeister sein.

Hinzenfeld. Geht auch die königliche Güte nicht vielleicht zu weit? – Dieser Mann hat etwas in seiner Physiognomie –

Gottlieb. Ich verstehe Euch, Minister, Ihr habt Euch bisher so ein bischen mit der Aufklärung in meinem Lande abgegeben, nu, es soll Euer Schade nicht sein, nur laßt den Handwerksneid, laßt doch den Mann in Ruhe klären und schulmeistern, es ist Euch erlaubt, sein Patron zu sein.

Hinzenfeld. Ganz gut, wenn Sie mich auch in Kupfer stechen wollen.

Stallmeister. Punktirt?

Hinzenfeld. So wie ich bin, nach der Natur.

Stallmeister. Ihre Excellenz soll in aller Ihrer Würde repräsentirt werden.

Gottlieb. Nun ist es gut, Er soll seine Bestallung haben; jetzt bin ich müde, mehr zu reden. Geht mit Gefolge ab.

Jeremias tritt ein.

Stallmeister. O wie vielen, wie vielen Dank bin ich Dir schuldig! Alles ist so gekommen, wie Du es vorher gesehn hast.

Jeremias. Also sind alle Deine Wünsche in Erfüllung gegangen?

Stallmeister. Vollkommen, ich werde die Schulen durchaus reformiren, ich werde eine Wochenschrift herausgeben, alles, alles; der Kater ist mein Patron.

Jeremias. Gut, jetzt mußt Du vor allen Dingen die Kunst lernen, Programme zu schreiben.

Stallmeister. Ist das schwer?

Jeremias. Ich will Dir die ersten machen, damit Du es einsehn lernst. Zweitens, mußt Du Dich in Acht nehmen, daß Du nicht in die Thorheit fällst und selbst an die Narrheiten glaubst, die wir mit einander abgeredet haben.

Stallmeister. Müßt' ich nicht ein Block sein?

Jeremias. Dann mußt Du durchaus in Deiner Schrift die Veranlassungen suchen, Dir Feinde zu machen.

Stallmeister. Das würde mir aber schaden.

Jeremias. Gar nicht, wenn Du das Ding nur recht angreifst. Am besten, wir erfinden eine ganze Sekte, eine große Gesellschaft von Verfinstrern und Missethätern, die dem Lichte der Aufklärung im Wege stehn, diese suchen wir allenthalben zu entlarven, zu stürzen, finden tausend Spuren und sind grob. Das zieht sich der eine und andre zu Gemüthe, sogleich wird er für einen solchen Bösewicht ausgegeben, man schreibt und schreibt, und die Leute lesen und lesen, so vergeht die Zeit, das Geld kömmt ein, und Du bist auf dem lieblichsten und anmuthigsten Wege berühmt geworden.

Stallmeister. Wie komm' ich mir, gegen Dich gerechnet, nur wie ein Hund vor.

Jeremias. Davon laß Dir nur nichts merken, denn die Zeiten sind jetzt vorüber. Giebt es einen oder den andern Klugen, der es Dir anmerken möchte, so geh ihm aus dem Wege.

Stallmeister. Der verwünschte Kater war mir fast auf der Spur.

Jeremias. Bei ihm war es nur Instinkt, aber nicht Verstand. – Wieder auf unser voriges Gespräch zu kommen, so wird es sich gewiß fügen, daß der und jener auch einmal, nachdem Du es lange verdient hast, recht grob gegen Dich ist, und dann mußt Du Dich freuen.

Stallmeister. Ei warum nicht gar!

Jeremias. Nicht anders, denn dann giltst Du bei den Dummköpfen gar für einen Märtirer der Wahrheit, für einen Mann, der sich den Fortschritten des Jahrhunderts aufopfert, und da alle wirklich großen Männer immer Feinde gehabt haben, so mußt Du das benutzen und Dich sachte mit zu ihnen stellen, dabei immer zu zeigen suchen, wie schlecht das Herz Deiner Gegner sei, von ihrem Verstande und von Dir weislich schweigen, und sie immer nur für Feinde Deiner ausgemacht guten Sache ausgeben.

Stallmeister. Es ist aber ein erbärmlich lumpiges Ding um diese Aufklärung.

Jeremias. Natürlich, aber bist Du gestellt, die Vernunft zu predigen? Und würde Dich das zum Landoberschulmeister machen?

Stallmeister. Du hast Recht, wir wollen frisch an's Werk gehn.

Sie gehn ab.

 


 

Theegesellschaft.

Damen und Herren im Gespräch und Theetrinken.

Wirthin. Befehlen Sie nicht noch?

Erster Herr. Danke ganz gehorsamst.

Ein Bedienter.

Bedienter. Der Herr von Zerbino.

Wirthin. Sehr erwünscht..– Bedienter ab. Das ist der vornehme Reisende, den sie alle gern wollten kennen lernen.

Zerbino tritt herein. Complimente.

Erste Dame. Er scheint ein Engländer.

Zweite Dame. Und reich.

Dritte Dame. Er hat ein sehr interessantes Wesen.

Erste Dame. So überaus schmachtend, zart fühlend und ein wenig melankolisch.

Wirthin. Ich danke Ihnen gehorsamst für das Buch, das Sie mir überschickt haben.

Zerbino. Wie sind sie damit zufrieden?

Wirthin. Ich finde es sehr schön.

Zerbino. Im Ganzen gewiß, nur ist immer noch die Frage, ob man den Shakspeare auf's neue und so gar getreu hätte übersetzen sollen.

Erster Herr. Ja wohl.

Zerbino. Ich schmeichle mir, diesen Dichter ein wenig genauer zu kennen, aber er ist wirklich nicht für uns gebaut, er führt uns nur in die Irre.

Erster Herr. So viel Schönes er enthält, so muß man doch gestehn, daß er überaus absurd ist.

Zerbino. Und zu sehr ohne Kunst, unbekannt mit den Regeln, immer nur seinem Eigensinne folgend.

Wirthin. Sollte er nicht hie und da ein wenig Bildung verrathen?

Zerbino. Was will das Wenige sagen, gegen die große Masse von Rohheit?

Wirthin. Von je her ist doch über diesen Mann Klage geführt.

Bedienter kömmt.

Bedienter. Der Herr Gelehrte Nestor.

Wirthin. Sehr angenehm. Bedienter ab, Nestor herein.

Nestor. Ich freue mich, die Ehre zu haben, Sie allerseits kennen zu lernen; ich werde dieses Glück in meiner Reisebeschreibung nicht vergessen.

Zerbino. Nestor.

Nestor. Mein Prinz! Sie umarmen sich.

Alle. Prinz! das ist erstaunlich.

Zerbino. Hast Du den Geschmack gefunden?

Nestor. Ach nein. – Sie?

Zerbino. Ach nein. –

Nestor. Haben Sie den Hund gefunden?

Zerbino. Ach nein. – Du?

Nestor. Ach nein!

Beide. O wir Armen!

Wirthin. Nehmen Sie doch gefälligst Platz, meine Herren.

Zerbino. Ach wir müssen fort, wir sind unglückliche Menschen.

Wirthin. Was fehlt Ihnen?

Zerbino. Der Geschmack.

Wirthin. So bleiben Sie bei uns, hier kann Ihnen vielleicht abgeholfen werden; wir haben in dieser Stadt so viele wackre Männer, die sich insgesammt beeifern und sich eine Ehre daraus machen werden, Ihnen ein Weniges vom Geschmack beizubringen. Ich selbst kann vielleicht aushelfen, ich bin in Italien gewesen, ich habe alle schönen Denkmäler der Kunst besucht, Sie sollen mein Tagebuch lesen.

Zerbino. Wollen wir's versuchen?

Wirthin. Als Probe, ich habe im Apollo nicht den zürnenden Gott gefunden.

Nestor. Sie haben es vielleicht nur nicht gemerkt, daß er böse war, denn die Dichter –

Wirthin, erröthend. Ach, Sie meinen es so und ziehn es auf meine Verse, ich sprach aber von der bekannten Statüe.

Nestor. So wollen wir denn mit Ihrer Erlaubniß noch ein wenig hier bleiben, und unser Glück versuchen.

Der Vorhang fällt.

 


 

Der Jäger tritt als Chor auf.

Schon sinkt der Abend in dem Schauspiel nieder,
Und bald wird es die Endschaft nun erreichen,
Dann gehn die Hörer fort, der Dichter schweigt,
Und keiner weiß so recht, woran er ist.
Wie sich in Sommernächten oft Gewitter thürmen,
Man schon die Blitze sieht, den fernen Donner
Zu hören glaubt, doch alle schwarzen Wolken
Sich unvermerkt verlieren, warme Nacht
Schlafthauend auf der ganzen Schöpfung liegt
Und mit getäuschter Furcht und Freude sanft
Die Sterblichen den süßen Schlummer schlafen;
So wird sich auch dies bunte Spiel vollenden,
Der Vorhang sinkt zuletzt und jeder meint,
Wie er sechsmal sich aufgerollt, so könnt' er
Mit gleichem Grund es siebentens versuchen,
Und eben so zum achten, neunten mal,
Und dennoch wird er endlich ruhen bleiben
Und wie ich wette, ohne alle Ursach,
Wenn Willkühr nicht hinreichend Ursach ist.

    Der wilde Jäger bei dunkeler Nacht
    Im wildesten Dickicht des Forstes erwacht,
    Er höret den Sturm, und erhebt sich im Zorn,
    Er nimmt seine Hunde, das tönende Horn.

    Besteigt seinen Rappen, mit Blitzesgewalt
    Durchfährt er lautschnaubend den zitternden Wald,
    Es wiehert sein Roß, tönt das Horn in die Runde,
    Er hetzt die Gefährten, es bellen die Hunde.

    Wohlauf meine Jagd! wohlauf meine Jagd!
    Das Revier ist unser, denn jetzt ist es Nacht,
    Von flüchtigen Geistern wird gerne gehetzt,
    Wer sich vor Geheul und Gebell entsetzt.

    So fahren sie polternd durch Lüfte dahin,
    Ein Grauen dem frommen und furchtsamen Sinn,
    Doch wer sich vor Wald und vor Nacht nicht entsetzt,
    Der wird vom Getümmel der Geister ergötzt.

Dies zur Entschuldigung der vielen Frevel;
Hat jeder doch um sich Verwandten, Freunde,
Und Bruder, Schwester, oder zarte Gattin,
Auch Schüler, die ihn alle gerne loben.
Ist er verdrüßlich, täglich sein Verehren
Geduld'gen Muthes gnädig anzuhören,
So mag er sich Abwechslung freuen lassen
Mit dieser Jagd ein Stündchen zu verspaßen.
Wer christlich denkt, gewiß die Wahrheit kennt,
Daß Tod und jüngster Tag macht jedem Ding ein End! – Geht ab.

 


 


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