Ludwig Tieck
Das Zauberschloß
Ludwig Tieck

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nach einer kleinen Pause rief die Dichterin: Unnatürlich! der ganze Charakter des Frauenzimmers ist nur Chimäre! Ich glaube doch auch das Geschlecht zu kennen, aber eine solche Person wird niemals in der Natur gefunden werden. Und dazu finde ich die Geschichte selbst ungeziemlich, und mich wundert nur, wie sie uns Herr Mansfeld hat vortragen können.

Der alte träge Schwieger seufzte und erwiederte: ich nehme am meisten daran Theil, daß die gute Person in acht langen Tagen fast gar nichts gegessen hat, da kann ich mich am besten hineindenken, denn mich fängt auch an zu hungern, und noch werde ich hier auch nicht die kleinste Anstalt gewahr, diesem Uebelstand abzuhelfen.

Mansfeld sagte, die Blätter einwickelnd: ich kann mir diesen weiblichen Charakter sehr gut vorstellen und glaube auch an die Geschichte, als eine wahre. Aber schlimm ist es freilich, daß sich von unsern Freunden, die wir hier erwarten, noch gar Nichts bemerken läßt, denn außer dem Hunger und Durst, die wir erleiden müssen, ist, so fürchte ich, ein Gewitter im Anzuge. Die schwüle Hitze war fast unerträglich, jetzt ziehn elektrische Wolken auf und ein plötzlicher Wind weht stoßweise über das Feld, und treibt den Staub vor sich hin.

O weh! weh! wenn Sie wahr gesagt hätten, rief die Dichterin; ein Gewitter hier im Freien! Ich ängstige mich vor allen Gewittern, dazu, wenn Regen einbrechen sollte, würden meine Manuskripte verderben und auch mein Anzug, der sehr dünn und leicht und nur für die größte Sommerhitze eingerichtet ist.

Ich fürchte, fuhr Mansfeld fort, unser guter Freimund hat in seiner Zerstreuung es wieder einmal ganz vergessen, daß er uns hieher beordert hat, daß er ein Fest der Verlobung feiern will, daß er eine Tochter zur Verzweiflung bringt und uns hier in der Einsamkeit, wo in einer Meile kein Wirthshaus und Dorf, und kein Mensch zu errufen ist, den Elementen Preis giebt, daß wir hier in der Wildniß, so wie der ausgestoßene Lear, nach Herzenslust herumrasen können.

Himmel! rief die Sängerin, es fallen schon Tropfen! Es wird plötzlich kühl, der Wind weht stärker, das Gewitter kommt aus der Ebene herüber. Kann denn ein Mensch so abscheulich zerstreut seyn?

O dieser, antwortete Schwieger, sich verdrüßlich in der Landschaft umsehend, hat wohl schon andre, noch ärgere Dinge möglich gemacht. Aber in der That, es ist außer allem Spaß. Die Bäume hier werden uns vor Sturm und Gewitter nur wenig schützen können, auch muß man daran denken, daß es in diese am ersten einzuschlagen pflegt.

Jetzt erhob sich ein Sturm, die Bäume brauseten heftig, es wurde finster und große Tropfen fielen dicht und dichter, nur in Pausen vom Sturme wieder hinweg geweht. Das Haus ist verschlossen, die Grotte dort schützt uns nicht, aber hier im Kirschbaum werde ich eine Leiter gewahr, rief der junge Mann.

Mansfeld hob sie aus dem Baum und setzte sie an das Haus. Ich steige, rief er aus, auf den kleinen Balkon, vielleicht ist die Glasthür offen, so kann ich entweder von innen das Haus eröffnen, oder Ihr müßt mir nachklettern, und wir sind wenigstens gegen die Anfälle des Sturmes geschützt.

Er kletterte hinauf, ohngeachtet der Einwendungen, die die Dichterin erhob, Schwieger hielt ihm die Leiter. O weh! rief Mansfeld, als er oben auf dem kleinen und engen Altan eingepreßt stand, die Glasthüren sind nicht nur verschlossen, sondern sogar von innen die Laden vor, die gewiß auch verriegelt sind.

Unglück über Unglück! schrie der erzürnte Schwieger, ich bin schon ganz naß! – Und ich erst, seufzte die Sängerin, halb weinend; zu einfachen, vernünftigen Einrichtungen sollten doch die prosaischen Menschen wenigstens brauchbar seyn.

Hilft nichts! rief Schwieger, ich steige auch hinauf, halten Sie mir nur die Leiter, poetisches Kind, oben schlagen wir die Glasthür ein, und brechen die Laden in Stücken, daß wir wenigstens dort gegen das Ungewitter unterducken können.

Ein heftiger Donnerschlag krachte jetzt so gewaltig, zugleich mit dem blendenden Blitze, daß das Haus in seinen Fundamenten zu erschüttern schien. Schwieger setzte den Fuß, der schon auf der Leiter stand, erschreckt wieder auf die Erde, die Dame sank fast vor Entsetzen zu Boden und Mansfeld schien im Begriff, wieder herunterzusteigen, weil er in der ersten Betäubung wohl glauben mochte, der Blitz habe in das Haus geschlagen. Bleibt oben! rief Schwieger, als er sich wieder gesammelt hatte; da der Donner nicht das Haus eröffnet hat, so klettre ich hinauf, und wir schlagen lieber das ganze Zauberschloß zu Trümmern, als daß wir hier im Freien in dieser Sündfluth ersaufen. Halten Sie die Leiter, vortreffliche Freundin, damit ich nicht den Hals breche, und Sie mir dann nachsteigen können.

Die Freundin hatte vor Angst keine Sprache mehr. Schwieger war schon mit den Füßen auf dem zweiten Tritt, als sich hinter ihm ein lautes Fluchen erhob, und er zugleich einen so heftigen Schlag auf den Rücken empfand, daß er von der Leiter nieder auf den Boden hinstürzte.

Halt! halt! Donnerwetter! Spitzbuben! schrie der taube, alte Gärtner, indem er die Leiter wegriß und hinwarf: – komm, Kerl, rief er noch lauter, und ein Knecht trat hinzu, – den saubern Herrn da in den Stall eingesperrt, das Mamsellchen hier neben an; das ist eine schöne Wirthschaft! der dritte Patron kann da oben bleiben, den haben wir sicher genug.

Es half kein Widersprechen, kein Entgegenschreien von allen Seiten, der Alte war taub und nahm keine Vernunft an, der Knecht verstand nicht, wovon die Rede war, er war nur Zeuge des Einbruchs gewesen, dazu rauschte der Platzregen so gewaltig, der Donner brüllte so furchtbar, ein Hagelschlag fiel prasselnd nieder, so daß für Verständigung, Erörterung und feines Unterscheiden zwischen Einbruch und Einsteigen in das Haus eines Bekannten kein Raum und keine Zeit, noch weniger Begreifen sich fand. Als der taube Alte, wie er überzeugt war, seine Pflicht gethan hatte, sendete er den Knecht nach dem Dorfe hinab, um Polizei, Soldaten, oder die Bauerngerichte herbeizurufen und jene räuberischen Verbrecher der Gerechtigkeit zu überliefern. Wie er Alles vollbracht hatte, begab er sich in sein Häuschen, schloß sich ein und nahm ein Gebetbuch, um mit lauter Stimme ein Lied bei Gefahr des Gewitters abzusingen.

Als Schwieger sich besonnen hatte, betrachtete er den finstern Stall, so viel er es vermochte, und kletterte dann auf einige Balken, um aus einer kleinen Maueröffnung herauszuschauen. Ihm fast gegenüber stand Mansfeld, an das eiserne Geländer des Balkons geklemmt, von Regen und Sturm gegeißelt. Im kleinen Gemach, wo Brennholz aufbewahrt wurde, schaute sich die Sängerin ebenfalls um, und konnte eben ein kleines Gitter oder Sparrwerk erreichen, von wo sie von der andern Seite den bedrängten Mansfeld auf seiner Warte beobachten konnte.

Sapperment! rief Schwieger verdrüßlich: das ist eine schöne Invitation! Mansfeld! hat Sie der Teufel noch nicht geholt?

Noch nicht! erwiederte der junge Mann kläglich; aber die Sache wird und muß bald vor sich gehn.

O meine Herren, wimmerte die Dichterin, das gemahnt mich an die furchtbare Hochzeit der Nibelungen.

Sind Sie auch da? rief Schwieger von der Seite; Sie wollten ja die Wunder des Zauberschlosses kennen lernen: nun haben wir deren überlei!

So standen die betrübten Gesichter sich im Dreieck gegenüber, einander Leidensmienen zusendend, seufzend und laut klagend. Ich stehe hier, rief Mansfeld, halb lachend, halb verzweifelnd, noch unter einer verruchten Dachtraufe, die von oben aus einem Drachenhalse die Fluthen auf mich herabgießt. So weit ist noch nicht einmal die Kultur und Baukunst an dieses Zaubernest gedrungen, daß die Röhren an den Seiten den Platzregen hinabführen.

Sehen Sie denn Nichts, rief Schwieger hinauf, von unserm verwünschten Freunde?

Nein, rief Mansfeld zurück, er sitzt ruhig und sicher daheim in seiner angenehmen Stube. Wie der Knecht, der dem gefallnen Selbitz vom Thurm zuschreit, wie Pindarus vom Hügel dem verzweifelnden Cassius, wie die Schwester Anna, die nach den rettenden Brüdern ausschaut, so bin ich hier angepflöckt; rechts, links, von oben und von unten vom Regen umgeben, und nicht einmal Staub sehe ich aufsteigen, keine Heerde Schaafe, denn alle Wege schwimmen und alle vernünftige und unvernünftige Thiere sind unter Dach und Fach gekrochen.

O machen Sie keine Scherze! winselte und krächzte die Dichterin aus ihrem Gitter; denn wir sind ja in einer mehr als erbärmlichen Lage.

Die Desperation spricht ja nur aus mir! rief Mansfeld; was, in des Satans Namen, bleibt uns denn noch übrig, als die Zähne auf einander zu beißen und lustig zu seyn?

Ich könnte den alten Freimund, den Hasenfuß, erwürgen, wenn ich ihn hier hätte! rief Schwieger in wilder Bosheit.

Ja, antwortete Mansfeld, wenn der Sünder nur hier wäre, er sollte gewiß auch gewahr werden, was Ungewitter und Dachtraufen zu bedeuten haben! Aber, wie könnt Ihr da unten, Ihr sicher Geborgenen, nur die Frechheit haben, Euch zu beklagen, da ich eigentlich, so blank und baar hingestellt, für Euch Alle büße?

Schweigt, rief Schwieger, Ihr könnt doch noch Euer Elend sehn und nach Hülfe ausschaun; aber hier, der verfluchte, finstre Stall, dies feuchte Loch!

Und ich! wimmerte die Dichterin; Alles voll nassen Holzes hier, dumpfes Stroh und Hexel, oder was es seyn mag!

O Sie Allerglückseligste! rief Mansfeld hinunter; hätte ich nur nicht schon Halsschmerzen, so würde ich in lauten Tönen Ihr Glück besingen. Ich aber, der ich hier kaum stehen kann, viel weniger sitzen oder gar liegen! Schutt, Scherben, feuchte Erde, um mich nur, ohne von oben überschwemmt zu werden, ausstrecken zu können, wäre ja Wonne für mich. Und umschauen? Wie lange noch? Bald bricht die Nacht herein. Unser einziger Trost ist die Wache oder Polizei, die uns einstecken soll. O welche himmlische Freude, in einem Gefängniß zu sitzen! Giebt es nächst dem Olymp eine Seligkeit wie diese?

Aber Keiner, schrie Schwieger wild, hat Prügel bekommen, außer ich! Und welchen Schlag! So wie ihn etwa die alten Riesen mögen ausgetheilt haben! Himmelkreuzdon –

Schweigt! rief Mansfeld; es donnert ohne Euch schon genug. Ihr seid noch gar nicht zahm gemacht, nach drei Stunden werdet Ihr schon sanftere Arien singen. So gegen Sonnenaufgang wird aus dem Löwen wohl schon ein Lamm geworden seyn.

Das Unglück, klagte die Sängerin, das uns so unvermuthet überfallen hat, ist von so gemeiner Art, und trägt auch nicht eine Spur des Poetischen in sich.

Wie man's nimmt, antwortete Mansfeld; es kommt nur darauf an, wie man es genießt. Trocken und prosaisch ist es wahrlich nicht, aber höchst nüchtern: Ihr Delphin hat Sie doch wenigstens, den weiblichen Arion, aus den Fluthen hier außen ans Land geschafft.

Die Zähne klappern mir vor Frost, sagte die Dame.

Könnte man ihnen wenigstens was unterlegen, rief Schwieger, worauf sie tanzen, drücken und knarren könnten, und hätte uns der ungeschlachte Schuft nur wenigstens eine trockne Brodrinde mit hereingeworfen.

Ja, ja, sagte Mansfeld, ein Riese, ein Zauberschloß, Ihr dort in Ketten und Banden, ich auf diese schwindelnde Höhe hinaufgehext, wir alle Drei winselnd, fluchend, auf das Schicksal scheltend, auf unwahrscheinliche Hülfe hoffend, nach den Sternen seufzend, die diese Nacht wohl nicht scheinen werden.

Regnet es noch immer eben so stark, Ihr Hans Dampf von Windbeutel dort oben? schrie Schwieger.

Diese einzige Frage, antwortete Mansfeld, spricht Euer ganzes Glück und Eure ungeheuere Undankbarkeit aus. Wer so fragen kann, der sitzt ja in Abrahams Schooß. Aber so sehr ich der Verdammte bin, so muß ich doch der Wahrheit die Ehre geben und aussagen, daß der höllische Drache über mir schon gelinder und gelinder auf mich herniederspeit; heller wird die Finsterniß eben nicht, aber dünner: der Regen ist freilich noch eben so naß, aber etwas weniger wäßrig, man kann ihn nun doch schon mit Händen greifen, da er vor kurzem noch in Katarakten arbeitete. Ich werde als Wetterbeobachter ganz verdorben seyn; denn Ihr wißt, der Kapuziner, den man so für die Kinder kauft, kommt nur beim Sonnenschein heraus; mich und Euch werden sie aber mit Sonnenaufgang gerade ins Prison stecken.

Dummer Witz! rief Schwieger.

Begebt Euch einmal, antwortete Mansfeld, auf meinen Posten hierher und spielt und macht bessern, ich will Euch dann gern aus Euerm Souffleurloch da unten zuhören. – Halt! halt! ich sehe einen Wagen da unten, noch ziemlich weit: Ja, das müssen unsere göttlichen Freunde, der liebevolle Freimund muß es seyn.

Sollt' es möglich werden? rief Schwieger hoch erfreut.

Wenn es nur kein melancholischer Engländer ist, fuhr Mansfeld fort, der seine große Reise durch Europa macht und von Wind und Wetter keine Notiz nimmt. – Nein! nein! es sind keine Menschen oben auf dem Wagen: es scheint mir die Chaise unseres Freundes, und die neuen beiden muthigen Renner sind vorgespannt. Unsere Erlösung naht mit schnellen Schritten!

Schon kam der Wagen näher; er bog wirklich von der Landstraße ab und fuhr langsam den Hügel hinauf. Die muntern Pferde schnaubten, indem sie zur ziemlich steilen Anhöhe empor arbeiteten. Jetzt stand der Wagen oben, der alte Sebastian hielt, und Mansfeld schrie von seinem Balkon hinunter, so laut er es vermochte. Was giebt's denn da? fragte Freimund, indem er den Kopf aus dem Wagen in den Regen hinaussteckte, denn noch immer hielt der Regen an, wenn auch nicht mehr mit dem früheren Ungestüm. Himmel! rief Mansfeld: will mich denn kein Mensch hier von meinem Pathmos oder Pontus herunternehmen, wo ich so viele klägliche Elegien habe singen müssen? Wie Simeon Stylites habe ich hier auf einem Beine, oder wie ein Storch auf seinem Neste stehen müssen.

Die Gesellschaft mußte im Regen aussteigen, weil der taube Alte sich nicht sehen ließ, um den Schuppen aufzuschließen. Freimund eilte, um nur mit dem Hausschlüssel das Zauberschloß zu öffnen. Im untern Saal fand er die Zimmerschlüssel, so wie jenen zum Balkon. Er eilte die Wendeltreppe hinauf, öffnete den obern Saal und dort die Thüre nach dem kleinen Altan, um nur den armen Märtyrer zuerst von seiner Qual zu erlösen. Dann wurde der taube Alte in seinem Häuschen aufgesucht; man schrie, lärmte und tobte so lange, bis er die Sache halb begriff und die Eingesperrten, so wie die neue Herrschaft, die er kaum noch kannte, um Vergebung bat.

Man hatte sich endlich im obern Saale versammelt; man saß, klagte, erzählte. Freimund hatte allerdings die ganze Abrede vergessen, erst spät war es ihm beigefallen, daß die Verlobung am heutigen Abend seyn sollte. Man war ausgefahren, aber Sturm und Gewitter hatten die Reisenden gezwungen, in einem Dorfe unterwegs zu rasten, um die Hefe des Wetters erst vorüber zu lassen. Das Nöthigste war, die so ganz Durchnäßten durch trockne Kleider und Wäsche zu erleichtern. Aber hier war guter Rath und Hülfe im eigentlichen Sinne theuer, denn da man bei heißem Wetter ausgefahren war, so hatte man nur einige Ueberröcke für die Rückkehr in der Nacht mitgenommen. Aus der Noth mußte, wie so oft, eine Tugend gemacht werden. Louise half im Nebenzimmer der Dichterin, deren Schmetterlingsflügel am meisten gelitten hatten, und die, vom Regen aufgeweicht, in ihren Hüllen fast durchsichtiger, als eine Ballettänzerin erschien. Sie kam in einem ganz zugeknöpften tuchenen Ueberrocke zurück. Schwieger zog einen Rockelor Freimunds an, und Mansfeld mußte einen Reisecapot der Mutter überwerfen.

Der Küchenwagen, der schon am frühesten Morgen hätte ausreisen sollen, war auch erst nach Mittage ausgesandt worden; als sich daher, da man etwas besser im Trocknen saß, nach der Anstrengung und dem schlechten Wetter die Begierde nach Speise und Trank meldete, wußte man sich noch weniger zu rathen. Mansfeld nahm von Zeit zu Zeit seinen vorigen Platz auf dem Wartthurme draußen wieder ein, konnte aber mit seinen scharfen Augen Nichts entdecken, um so weniger, da die Dämmerung anfing, die, bei dem schwarz bedeckten Himmel, bald zur Finsterniß zu werden drohte. Die Dichterin hatte ihre Papiere indessen auf den Lehnen der Stühle ausgebreitet, allein, als man die Manuscripte näher besichtigte, war Alles erloschen. Ja wohl, sagte Mansfeld, ist die schöne, feurige Poesie, der ganze Glückwunsch für Fräulein Louise, Amor und Hymen, Tanz und Brautfackel, Alles zu Wasser geworden; eine Novelle, die ich bei mir hatte, die wir lasen, die aber unsere Sappho für unanständig erklärte, ist ebenfalls mit ihren Sündern und Sünderinnen von dieser Sündfluth verschlungen worden. Und so naß es auch hergegangen ist, so sitzen wir dennoch nun völlig auf dem Trocknen, und haben Nichts zu beißen und zu brechen. Soll man ein Omen für die Vermählung daraus ziehn?

Louise sah ihn mit einem sehnsüchtigen, bittenden Blick an, als wenn dieses Unwetter mit seinen Unfällen Trost bringen könne, als wenn wirklich Sturm und Regen und die lächerliche Noth der Anwesenden jene Verlobung, vor welcher sie zitterte, rückgängig machen würde.

Die Unbehaglichkeit der bleichen, gelangweilten Gäste stieg immer höher, denn auch den jungen Mansfeld schien seine erzwungene Laune zu verlassen. Da es in der That finster wurde, mußte man an Licht denken, und weil die Wachskerzen sich ebenfalls auf dem ausbleibenden Küchenwagen befanden, so konnte man sich fürs erste nicht anders helfen, als die kleine Oellampe des tauben Gärtners anzuzünden, deren trüber Schein wenigstens zeigte, wie finster die Dämmerung des Saals war. Da man einmal angefangen hatte, sich genügsam einzurichten, so trieb die Noth bald zu dem Entschluß, noch mehr vom Haushalt des tauben Alten zu benutzen. Er war selbst aber nicht eingerichtet, und hatte auf die Ankunft, auf den Gehalt seiner neuen Herrschaft gewartet; er hatte darum weder Federvieh, noch geräuchertes und gepökeltes Fleisch herbeigeschafft; er lebte, so viel er konnte, bei seiner Tochter im Dorfe, das eine Stunde und mehr entfernt war. Man fand daher weder Schinken, noch Eier, Gemüse wurde im Garten noch nicht gebaut; auch hatte der Alte keine Butter in seinem Hause, das Obst war noch nicht reif, hätte auch wohl bei dem feuchten, erkältenden Wetter zu keiner sonderlichen Erquickung gereicht. Man war daher froh, als man im Schatz der Gärtnerhütte noch einige Kartoffeln vom vorigen Jahre fand; diese wurden schnell auf dem Heerde gesotten, oder gebraten und mit schwarzem Brodte vorgesetzt, zu welchen Gerichten das Salz die einzige Würze ausmachte.

So beim kärglichen Mahle sitzend, welches sich keiner am Mittage als Erquickung hatte denken können, um die dämmernde Lampe im Saale, in dem mehr große Schlagschatten, als Menschen zu seyn schienen, ward die Gesellschaft noch durch einen jungen Vetter vermehrt, der ohngeachtet des schlechten Wetters auf seinem Engländer herausgeritten war, um die Gesellschaft zu überraschen und am Fest und Schmause Theil zu nehmen.

Man erkannte sich etwas mühsam und Mansfeld sagte: Treten Sie heran, junger Herr und Freund, und helfen Sie uns auch feierlichst den Ankauf dieses wunderbaren Zauberschlosses begehn. Wie unpassend, fast gemein wäre die Sache, mit Wein, Torten, Pasteten, Ueppigkeit und Champagner die Besitzergreifung eines Feen- und Geisterreiches zu feiern, das thut jeder Wirth, der an seiner Kneipe den goldnen Esel oder Löwen neu hat überfirnissen lassen. Diese Schmausereien, das Gläseranklingen, diese Toasts und Trinksprüche, Thränen der Rührung und Glückwünsche, Umarmungen und Lippendrücken und Wangen mit den Lippen streicheln, alles dieses, meine Freunde, ist längst bei hunderttausend patriotischen Veranlassungen, bei Jubelgreisen und Ordensfabricationen, bei wohlthätigen Zwecken und silbernen Hochzeiten, bei Confirmationen, Hauskränzungen so genutzt, abgenutzt und vernutzt worden, daß kein Bauverständiger mehr aus diesem Schutt das edle Gebäude einer ächten Feierlichkeit aufführen mag. – Recht so, junger Einweihling, setzen Sie sich so, daß wenigstens die Spitze Ihrer Nase etwas von diesem Oelschimmer, um nicht das unanständige Wort Thranlampe zu gebrauchen, auffängt. – Sie sehn selbst, wie wenig man hier sieht, in diesem Reich der Schatten und der Unformen, in welchem alle unsere noch so trefflichen Formen verwandelt und entstellt werden. – Die hohe, eleusinische Weisheit unseres edeln Wirthes und Mystagogen hat uns dieses schauerliche, unterirdische Fest bereitet, hier in grauenhafter Dunkelheit, von Geistern, wir selbst Geist und Gespenst, magisch umgeben, die erste große mystische Zusammenkunft der privilegirten Zauberer, Magier, Hexen, Hexenmeister und Zauberinnen. – Ja, theurer, einzuweihender Jüngling, in den Ersten Grad, – denn ein einzuweichender und eingeweichter, platzregendurchgossener, sturmdurchwühlter, ärger als jemals Tamino es seyn konnte, sind Sie immer noch nicht, und werden auch zu diesem Ausschuß ausbündiger Mysterien, wie wir Drei hier sie heut überstanden, vielleicht nicht zugelassen werden, und auch wohl den großen Schlag als Tempelritter niemals empfangen, der unserem edelsten Schwieger heut zu Theil geworden – ja, um in meiner Rede fortzufahren – nehmen Sie, fassen Sie eine dieser mystischen, symbolischen Früchte, vom gemeinen Mann Kartoffel genannt, die unterirdisch reift, von keinem Lichte geküßt, das ächte Symbol dunkler Geheimnisse, der ächten englischen Maurerei, in der höhern Sprache Pataten, Patatoes genannt – nehmen Sie die überjährigen, hie und da schon auswachsenden und geheimnißvolle Warzen treibenden – brechen Sie die grüngrauen Knospen ab, lösen Sie die schwarze Hülle des todten Buchstabens, daß Ihnen der lichte, weiße, nährende Geist appetitlich entgegen schimmere. Nicht wahr, wie leicht wird die Hülle abgestreift? Wie bald dringen wir zur Wahrheit hindurch? – Aber, halt, mäßigen Sie sich – fahren Sie bei dem allgemeinen Mangel nicht so in das wenige aufgespeicherte Salz, in den Witz hinein, begnügen Sie sich, wie wir Aelteren alle hier, mit gezählten Körnern. Trinken Sie nun, wir haben es selbst dem Brunnen entschöpft, das klare, ungefälschte Wasser. Der alte Cyclop dort, das Symbol der rohen Natur, ja der bösen Kräfte, wollte uns seinen Branntwein anbieten, den wir Alle verschmähten. – Die Weihe ist vollbracht! Aufgezehrt ist Alles. So das Bild des goldnen Zeitalters wieder herstellend, wünschen wir uns Alle Glück, daß der Himmel es uns vergönnt hat, jenen immerdar beneideten Stand der Unschuld einmal persönlich zu erleben. Unser Großmeister, Schwieger, scharrt noch die Krumen des Brodtes zusammen, Sappho lächelt uns an, die Braut denkt unsrer ernsten Symbolik nach, die Mutter betrachtet mich mißtrauisch, der hohe Freimund verliert sich, wie so oft, in Gedanken und der neu eingeweihte Jüngling ist begeistert und hoher, tugendhafter Entschlüsse voll.

Das Letzte wird auch nöthig seyn, sagte Freimund. Unser Küchenwagen kommt wahrscheinlich gar nicht, oder zu spät, wir haben auf eine schöne Sommernacht gerechnet, in welcher spät, oder selbst mit der Frühe, einige dieser Herren zu Fuß oder auf einem Schiff zurück nach der Stadt gelangten; der Sturm, der Regen ist da, das Schiff ist also fort, zurückgehn ist unmöglich, unsre Chaise zu klein. Mein Bastian ist dumm, er taugt zu keinem solchen Auftrage, ich muß also den Vetter bitten, einen Wagen, sei er auch, wie er sei, aus dem Dorfe zu holen, damit unser Schwieger und Herr Mansfeld zurückfahren, denn wir können in unserm Wagen nur noch einen, vielleicht die Madame zurücknehmen, die so gütig hat seyn wollen, das heutige Fest im Voraus zu besingen.

Der junge Vetter verbeugte sich und ließ sich sein Pferd wieder vorführen. Herr von Dobern wird heut gewiß gar nicht kommen, fuhr der Vater fort; auch kann ich mich wirklich nicht entsinnen, ob ich ihm den Tag oder Abend bestimmt habe, denn ich hatte so viel andere und wichtige Geschäfte zu besorgen, daß diese Nebensachen meinem Gedächtnisse völlig entwichen sind.

Ei, freilich! sagte Schwieger, wer kann an Alles denken; gab es doch einmal einen Raufer, der so zu einem Duell eilte, daß er in der Zerstreuung sein Bein zu Hause ließ.

Wie denn das? fragte Freimund nachdenkend.

Es war sein hölzernes, antwortete Schwieger, welches er wirklich vergaß, und wie er an Ort und Stelle kam, mußten ihm die Secundanten erst einen Baumzweig unterbinden, damit er seine Stellung mit Festigkeit einnehmen konnte.

Duell? Gevatter! sagte Freimund wieder – mir däucht, als Student habe ich auf der Universität auch einmal ein Duell ausgesogen.

Du? lieber Mann, fragte die Gattin mit dem Ausdruck des größten Erstaunens.

Freilich ist es so! antwortete Schwieger, und wir können uns die Sache wohl bei dieser traulichen Nachtlampe erzählen. Doch, da fällt mir zuvor noch eine andere sonderbare Geschichte ein, die ich berichten will. Hast Du wohl schon je, lieber Gevatter, einen recht zerstreuten Menschen gekannt?

Ich denke nicht, sagte Freimund, und kann mich eben keines recht auffallenden Exemplars erinnern. Doch, mir fällt bei. Du selbst, lieber Freund, hast mehr wie einmal zu seltsamen Dingen durch Deine Abwesenheit Veranlassung gegeben.

Kann wohl seyn! erwiederte Schwieger trocken; meine Abwesenheit zum Beispiel, als ich zum Assessor examinirt werden sollte, es vergessen hatte und verreiset war, und die Herrn Examinatoren lange vergeblich warteten, und ich nachher alle Hände voll zu thun hatte, daß die Männer sich nur wieder mit mir einließen.

Das ist Dir begegnet? fragte Freimund erstaunt; sieh, ich habe immer geglaubt, das sei mir selbst zugestoßen. Du hast mir aber die Sache vielleicht so oft erzählt, daß ich uns beide verwechselt habe.

Kann wohl seyn! sagte Schwieger mit boshaftem Lächeln, indem er die Uebrigen, so viel es die Lampe zuließ, bedeutend ansah. Um aber die Dämmerung zu überwinden, machte er eine solche Fratze, daß Alle über ihn lachen mußten.

Nun, Deine Geschichte? fragte Freimund.

Ja, fuhr Schwieger fort, die ziemlich seltsame Geschichte ereignete sich folgendermaßen: Ich war auf der Universität, und wie man denn in den Jahren Gelüste hat, so kam mir plötzlich das, auch Spanisch zu lernen. Das war damals noch ein seltener Fall, es war sogar nicht leicht, einen Lehrer aufzufinden. Ein alter trefflicher Mann, der fast alle Sprachen inne hatte, gab sich endlich dazu her, vorausgesetzt, daß noch einige meine Lust theilen und mit mir gemeinsam die Stunde nehmen wollten. Ein Theologe, ein junger Edelmann und ein Jurist, ein vorzüglicher Kopf, vereinigten sich, mir lernen zu helfen. Der Theologe war ein junger gesetzter Mann, der in seinen Studien hie und da aus der spanischen Literatur etwas Neues zu erfahren hoffte; der Edelmann, welcher nach Abgang von der hohen Schule seine militairische Laufbahn beginnen wollte, war etwas heftig, sogar jähzornig, sonst aber heiter und aufgeweckt, bis zum Uebermuth. Nun, ich war denn ich. Der vorzüglichste und hellste Kopf von uns Allen war aber ohne Zweifel der junge Jurist, ein ernsthafter Jüngling, der immerdar seinen Studien oblag und an dem vielleicht gar Nichts wäre auszusetzen gewesen, wenn er nicht manchmal an Zerstreutheit und Abwesenheit gelitten hätte. Der schönste Mann in unserm kleinen Zirkel war der Kavalier, schlank, feurigen Auges, edler Physiognomie: um so auffallender stach aus dem reinen weißen Antlitz, auf der Nase selbst, ein ziemlich großer und recht brauner Leberfleck hervor.

War dies eine auffallende Eigenthümlichkeit im Aeußern des Edelmanns, so hatte jener treffliche, gelehrte Jurist eine seltsame Gewohnheit, die uns Alle, die wir ihn näher kannten, dahin stimmte, ihm ungern Bücher zu leihen. Denn im Studiren konnte er es nicht unterlassen, jeden Strohfleck im Papiere, jede kleine Erhebung in demselben mit dem Nagel herauszukratzen. Da es nun nicht unbekannt ist, daß unsre deutschen Papiere an diesen Dingen, die wirklich, streng genommen, nicht zum eigentlichen Papiere gehören, einen großen Ueberfluß haben, so mangelte es dem jungen Juristen niemals während der geistigen auch an Handarbeit, und er war so unermüdet, selbst leidenschaftlich, daß viele Bücher, die er studirt hatte, voller Löcher waren, in welche auf der einen oder der andern Seite wohl einige schuldlose Buchstaben mit gestürzt wurden.

Mutter und Tochter sahen den Vater an, an welchem sie dieselbe Eigenheit kannten.

In unsern Lehrstunden, fuhr Schwieger fort, lasen wir, als wir etwas vorgeschritten waren, Cervantes Novellen, die uns der Professor vortrefflich erklärte. Es fehlte aber an Exemplaren, und der Theologe und ich arbeiteten in dem einen, der Edelmann und Jurist im zweiten; der Professor war seiner Sache so gewiß, daß er kein Buch nöthig hatte. An dem alten, seltnen Exemplar, in welches der Jurist mit hineinsah, hatte dieser schon manche Unebenheit mit seinem kritischen, fein fühlenden Nagel geebnet, manche Faser, kleines Hexel, oder was es war, künstlich aus dem saubern Text herausgearbeitet. Wer sich dieser Uebung hingeben will, hat bei der spanischen Literatur, die neuen Bücher abgerechnet, alle Nägel voll zu thun. An einem Tage machte ich aber die Entdeckung, daß mein juristischer Mitstudent in seiner Zerstreutheit auch andern Unebenheiten jenseit des papiernen Reiches den Krieg erklärte und ihnen abhelfen wollte. Indem er neben dem Edelmann in das Buch sah, kamen die Nasen der Speculirenden einander ziemlich nahe; sahe der Jurist nun an jenem den Leberfleck zum ersten Male, oder brachte dieser tiefer, als sonst, die Nase in das Buch, kurz, der zerstreute und doch tiefsinnige Jurist, Buch und Nase an jenem unseligen Tage verwechselnd, erhob den feinen und zu dergleichen Aetzarbeit geübten Finger und kratzte und arbeitete an dem Leberfleck jener Nase erst fein und leise, im mäßigen Tempo, dann eifriger und schneller, erst in der prickelnden, dann in der schabenden Manier, so daß ich, der ich gegenüber mit Sicherheit den Gang der Radirnadel beobachten konnte, besorgt seyn mußte, daß in der Länge, wenn auch der Leberfleck sich vertilgen ließe, die Nase selbst, der Grund und Boden, auf welchem jener wuchs, bedeutenden Schaden leiden möchte. –

Ich weiß nicht, sagte Freimund, wo ich die einfältige Geschichte schon sonst muß gehört haben; denn sie ist mir nicht unbekannt. –

– Der Edelmann, fuhr Schwieger fort, schien anfangs erstaunt, bewegte sich nicht und ließ den Arbeiter gewähren, vielleicht neugierig, was sich aus dieser Unternehmung ergeben solle. Endlich aber doch erhob er das Gesicht zusammt der Nase aus dem Buche, sah den Kratzenden groß an und that die billige Frage: Warum, Herr, oder aus welcher Absicht kratzen Sie mir an der Nase?

Ich? erwiederte der Jurist erstaunt; daß ich nicht wüßte.

Ja, mein guter Herr, wenn Sie es also noch nicht wissen, so erfahren Sie denn, daß dieses hier bis jetzt meine wahre, eigenthümliche Nase gewesen ist und auch in Zukunft bleiben soll.

Ich war der Meinung, sagte der Jurist, der Fleck dort sei nur hier im Buche.

Ich bitte mir aber zu glauben, sagte der Edelmann schon heftiger, daß er wirklich auf meiner Nase ist, und wenn Sie mir nicht glauben wollen, so können es diese Herren, so wie der Herr Professor selbst bezeugen.

Der Professor, der sehr kurzsichtig war, hatte von jenem Nasenanfalle Nichts bemerkt, und da die Stunde überdies geendigt war, verließen wir das Haus.

Unmöglich, sagte der Edelmann auf der Straße, kann ich glauben, daß Sie, mein Herr, mein Gesicht mit jenem gedruckten Buche haben verwechseln können, Sie haben offenbar Händel an mir gesucht, und ich stehe Ihnen zu Befehl. Der Theolog hatte sich schon entfernt, ich suchte die Sache wieder gut zu machen, aber sie war schon zu weit böse und es konnte ohne Duell nicht abgehen. Das ist Dein Duell, mein werther Freimund, in welchem ich Dein Secundant war. Du und Dein Gegner, ihr wurdet Beide verwundet, bald geheilt und nachher auf lange Zeit die besten Freunde.

Es ist wahr, sagte Freimund, jetzt erinnere ich mich dieser Sache wieder.

Und wer war dieser Gegner? fragte die Mutter.

Wer anders, antwortete Schwieger, als unser General, mit dem jetzt unser Alter schon seit so lange verfeindet lebt. Der Herr trägt immer noch denselben Leberfleck an seiner martialischen Nase, nur daß er in dem braun gewordenen Gesicht nicht mehr so hervorsticht.

So wie Schwieger den General genannt hatte, sprang Freimund auf und stampfte mit den Füßen. Er hatte sich aber mit so weniger Vorsicht erhoben, daß er heftig an den Tisch stieß und die kleine schwach brennende Lampe umwarf. In demselben Augenblick war die Gesellschaft in der dicksten Finsterniß begraben. O weh! jammerte die Dichterin, wie viele Unfälle müssen sich vereinigen, um den heutigen Tag und Abend und die Nacht merkwürdig zu machen!

Ja wohl! sagte Mansfeld, nun wissen wir erst, welchen Schatz wir an unsrer kleinen unscheinbaren Lampe, die allen Glanz verschmähte, besaßen! So geht es immerdar im Leben.

O Kinder, sagte die Mutter, keine Scherze jetzt: laßt uns doch Licht suchen, denn alle Geschichten von dem schlimmen Hause hier fallen mir jetzt ein, und in der Finsterniß kann uns ja was Schreckliches begegnen! O weh! so schrie sie auf, denn der umhertappende Freimund fuhr ihr so eben mit der starken Hand über das Gesicht. Ruhig! sagte der Vater, ich suche den Ausgang.

Mansfeld, der behendeste, hatte die Thür zuerst gefunden. Der alte Gärtner schlief schon seit lange. Als man ihn mit vieler Mühe ermuntert hatte, als er begriff, was man von ihm wolle, gestand er, daß er kein Oel mehr in Vorrath habe, und schlief weiter. Mansfeld tappte zurück. Sind Sie noch Alle hier, und wo? rief er in den Saal hinein.

Hier! hier! riefen die Stimmen zornig oder beklommen durch einander. Himmel! ächzte die Dichterin, das Unwesen heut ist schlimmer, als eine wirkliche Gespenstergeschichte. Man kommt nicht aus dem Grauen und den Schaudern.

Bleiben wir nur wenigstens im Winkel hier stille sitzen, sagte Louise, bis es endlich einmal wieder Tag wird.

Ich schlage vor, sagte Mansfeld, und halte die Arme steilrecht am Leibe hinunter, um keinem von Ihnen ins Gesicht zu schlagen – daß wir uns bei unsrer Noth an den Heerd in die Küche machen, jenes bescheidene Feuer, bei welchem unser sittiges Abendessen gesotten wurde, wieder anzufachen suchen, um wenigstens unterscheiden zu können, in welchem Welttheil wir uns befinden. Von Ländern oder gar Provinzen kann bei dieser finstersten Finsterniß gar nicht die Rede seyn. Nun fragt sich nur, wer von uns getraut sich in diesem uns ganz unbekannten Hause die ehemalige Küche wieder zu entdecken?

Alles schwieg. Wenn man nur nicht, sagte Schwieger verdrüßlich, indem man auf solche Entdeckungen ausgeht, noch Arm und Bein, oder gar den Hals bricht, denn man kann auf Treppen, Stiegen und Stufen gerathen, auf unsichtbare Fallthüren treten, in ungeahndete Kellergeschosse hinunterstürzen und am Ende diese gerühmte Verlobung noch mit einem Leichenmahl beschließen. An diese Weihe des furchtbaren Hauses werde ich gedenken!

So will ich selbst mein Heil oder Unheil versuchen! rief Mansfeld; ich weihe mich den unterirdischen Göttern; gehe ich zu Grunde, Freunde, so setzt dankbar meinen Aschenkrug zu den übrigen Töpfen dieses noch unbekannten Heerdes. Sollte ich, ein zweiter Columbus, glücklich landen, so werde ich aus der Ferne laut schreien, und Ihr könnt alsdann sicher meinem großen Rufe nachfolgen, um Feuer und Licht zu zünden. – Aber noch eins, Herr von Freimund, liegen auch nirgend, wie es bei so einsamen Schlössern wohl manchmal der Fall ist, Fußeisen oder gar Selbstschüsse?

Die Dichterin schrie so laut vor Entsetzen auf, daß die andern Frauen mitschrieen, in der Voraussetzung, es sei ihr eben ein furchtbares Unglück begegnet. Was giebt's? Ums Himmelswillen, was giebt's? riefen die beiden alten Männer aus voller Kehle. Und Mansfeld schrie draußen: Wahrlich! der Schuß ist schon gefallen! Alles lärmte, klagte, fragte, überschrie den andern, und keiner hatte den Muth, von der Stelle zu weichen, um nicht ebenfalls unglücklich zu werden. Endlich benutzte Freimund eine kleine Pause und donnerte: Schweigt! Alles geschwiegen! Frau! bist Du noch da? – Ja! – Ist Dir was begegnet? – Nein. – Dir, Louise? – Nein! – Der Frau Dichterin? – Gottlob, bis jetzt noch nicht, aber – Dir, Freund Schwieger? – Nein, außer daß ich hier bin! – Mansfeld! – Ich stehe hier außen und tappe nach der Küche, und schrie mit, weil ich denken mußte, drinnen habe der Satan Einigen schon den Hals umgedreht, oder eine ganze Räuberbande sei eingebrochen, um Alle zu ermorden.

Nun also, rief Freimund, so dankt Gott, daß Ihr noch Alle lebt, und jetzt bitte ich mir so viel Vernunft aus, was in der That nur wenig ist, daß Alles sich so lange ganz schweigend verhält, stockstill auf seinem Stuhle sitzen bleibt bis unser Küchenentdecker den Heerd gefunden hat, bis ein kleines Flämmchen dort wieder brennt und wir einander wieder ansichtig werden, denn es scheint wirklich, daß der Mensch, wenn er ohne alle Erleuchtung ist, nicht verständig seyn könne.

Noch finde ich nichts Bedeutendes, rief Mansfeld zurück, als einen leeren Raum, der sich fast allenthalben betreffen läßt, wo die übrigen interessanteren Gegenstände ein Ende nehmen. – Hier stoße ich auf eine Wand. Sogar ein Wandschrank scheint sich hier angesiedelt zu haben. – Fensterladen werden es doch nicht seyn! – Schlimm, daß von den vielen Berichterstattern, Reisebeschreibern, keiner einen Guide noch herausgegeben hat, damit ein armer Verirrter sich nach jenem berühmten Küchenheerde hinfinden könnte. – Eine Thür, – nein, ein Fenster! – Was in dem Augenblicke, wie ich es aufmachte, für eine Masse von Dunkelheit hereingequollen ist! – Es war wirklich vorher um ein Weniges heller. – Ich wende mich links. – Richtig, ich bin auf einem Gange, denn gegenüber, wenn ich beide Arme weit ausstrecke und etwas taumle, ist ebenfalls eine Wand. – Halt! hier stoß' ich an etwas. – Ich bücke mich. – Triumph! es ist die kleine irdene Schüssel des tauben Zauberers und Riesen, der jetzt schläft, – in dieser trug er selbst die Kartoffeln herüber. – Wir sind auf dem Wege. – Das giebt uns ähnlichen Muth, wie dem Columbus und seinen Gefährten, als sie schon verzweifeln wollten, jene Landvögel, die sie begrüßten. – Sacht! ich habe einen Topf entzwei getreten. – Das Geschrei der gemordeten Indianer. – O weh! meine Nase ist lädirt! Da kam mir eine Thür, die Dunkelheit benutzend, so schnell entgegen, daß ich unmöglich ausweichen konnte. – Ich klinke auf. – Ich wittre Geruch des Rauches. – Lebt Ihr noch dort im fernen Welttheil?

Seine Stimme war schwächer geworden, und jene im Zimmer riefen ihm nach, daß sie sich noch immer auf derselben Stelle befänden. – So hat des Menschen Geist, rief Mansfeld zurück, doch durch Brief und Post und Telegraphen Mittel gefunden, die entferntesten Theile der Erde in Verbindung zu erhalten. – Verweilt noch Alle dort, in den weiten Reichen, die so groß sind, daß die Sonne nicht darin aufgeht, bis ich wenigstens einen Funken angeblasen habe. – Potz tausend! da ist mir ein Funken Asche in die Kehle gerathen! – Ich werde gezwungen, zu husten, vielleicht zu niesen, und ich sage es Allen voraus, damit man nicht vermuthe, es wolle mich Jemand erdrosseln. Nehmt also freundschaftlich Theil, aber nicht zu innig und nicht mit Angst und Schmerz. –

Er hustete stark, er räusperte sich. – Der Mensch ist freilich, fuhr er nach ewiger Zeit fort, selbst nur Staub und Asche, aber wir können diese doch nicht ohne Unbequemlichkeit mit uns assimiliren; die zu nahe Freundschaft widersteht einer zärtlichen, ehehaften Verbindung. – Kein Hölzchen, Fädchen, Schwefel! – Nirgend; – Nirgend eine Kohle! – Ich arbeite wieder in der Asche – – da glimmt es, so schwach, wie die Spitze einer Stecknadel – o ein Körnchen Schwefel wäre Millionen werth! – Das Feuerauge wird sich gewiß wieder schließen – ich blase – ich hoffe den kleinen Span, den ich an den Funken halte, zu persuadiren, daß er teilnehmend sich entzünden lasse, – umsonst – der Teufel hat Funken und Span geholt, und ich muß wieder husten! –

Indem hörte man mehrere rauhe Stimmen durch einander, die sich dem Hause zu nähern schienen. Todtschlagen sollte man sie Alle! rief ein tiefer Ton, und die andern schienen durch Murren ihre Einwilligung zu geben. – O wir sind verloren! schrie die Dichterin von neuem mit dem Ton der Verzweiflung; jetzt kommen wirkliche Räuber und Mörder, um uns hinzurichten, so wie wir da sind! – Auch die Mutter wurde ängstlich, und Louise, die sich den ganzen Tag über leidend verhalten hatte und über ihr Schicksal völlig gleichgültig schien, ward ebenfalls mehr bewegt. – Sie sollen nur kommen, die Bösewichter! sagte Freimund entschlossen; ich und Freund Schwieger, so wie der junge Mansfeld, werden ihnen genug zu schaffen machen!

Ehe wir sie umbringen, sagte Schwieger gleichgültig, müssen wir sie vorher ersuchen, uns Licht anzünden zu helfen.

Indem schimmerte ein Lichtschein ihnen entgegen, es kam in die Thür herein und ging die Treppe herauf. – Herr Mansfeld! rief der Rath entschlossen. – Was soll er? fragte dieser aus der Ferne. – Wenn wir nur beisammen wären, sagte der Alte, denn es gilt jetzt vielleicht, uns unserer Haut zu wehren.

Die Thür öffnete sich. Man sah Laternen, eine Anzahl gemeiner Menschen in einer dunklen Gruppe, unter ihnen eine schlanke, große Gestalt, die besser bekleidet schien. Diese sprach mit tiefem Ton: Leuchtet her, Leute! Das sind also die Raubgenossen, die es gewagt haben, in ein ehrliches Haus fast bei hellem Tage einzubrechen?

Ja, Herr Landrath, sagte einer der Laternenträger, wir hatten sie eingesperrt, und einer stand hier draußen auf der Kanzel im Regen, aber sie müssen sich wieder mit Gewalt losgemacht haben, und sind nun hier im Hause selbst froh und guter Dinge.

Der große Mann ging näher und faßte Freimund bei der Schulter. Wie könnt Ihr es wagen? rief er: leuchtet dem Kerl ins Gesicht! – Es geschah. – Himmel! schrie er laut auf – mein verehrter Herr Schwiegervater! – Was ist das für ein Abentheuer?

Man klärte sich bald auf. Der Landrath, der Herr von Dobern, hatte keinen Boten erhalten und von dem großen Einweihungsfeste Nichts vernommen. Er war im Dorfe zu Besuch gewesen, der Knecht kam dorthin, die Gerichte aufzubieten, um einbrechende Kerle gefangen zu nehmen; er folgte dem Knecht, dem Schulzen und den Bauern aus Pflichteifer, und war nicht wenig erstaunt, Braut und Schwiegereltern so unvermuthet zu finden.

Die Bauern gingen hinaus, man ließ die Laternen im Zimmer, und Mansfeld fand sich aus der Küche auch wieder herbei. Alle begrüßten sich, so anständig und fein, als es das seltsame Costüm und die immer noch nicht sonderliche Erhellung zuließ. Die ganze Gesellschaft erstaunte aber, als der Landrath plötzlich darauf drang, daß, obgleich Anstalten und Feierlichkeit mangelten, man dennoch vor den Zeugen, welche zugegen waren, die Verlobung feiern solle. Ueber Kindereien, sagte er in seinem rauhen Ton, sind wir hoffentlich, als verständige Männer, hinweg, das Wesentliche kann eben so gut im Walde, in einer Felsengrotte, wie in einem erleuchteten Saale geschehn. Alsdann bin ich, wenn auch im Finstern und Regenwetter, zur guten Stunde hierher gekommen. Also, Freund Schwiegervater, entschließen Sie sich, und Sie, meine schöne Braut, fassen Sie ebenfalls einen Entschluß.

Der Vater schüttelte den Kopf, die Mutter flüsterte einige unwillige Worte, und da Louise dies bemerkte, faßte sie mehr Muth, als ihr sonst zu Gebote stand, und erklärte sich ganz bestimmt gegen ein so übereiltes und unziemliches Verfahren. Der Vater stand ihr bei, indem der Landrath gegen Beide stritt und sich nichts weniger als zart und empfindsam zeigte, welches auch die Dichterin bemerkte, die halblaut äußerte, unter solchen Umständen sei der Untergang ihres Gedichtes nicht allzusehr zu beklagen, weil sie den Bräutigam in ihren Versen mit viel zarteren Farben abgeschildert habe.

Der Streit, der sich außerdem wohl noch hingezogen haben würde, ward durch den jungen Vetter unterbrochen, welcher auf seinem Pferde zurückkam und einen Bauerwagen mit sich brachte, über welchen eine Leinwand gezogen war. Der Rath Freimund befahl, auch seine Chaise wieder anzuspannen, und so schnell als möglich nach der Stadt zurückzukehren, damit Frau und Tochter sich von der Angst dieser Nacht und dem Gewitter in der Ruhe dort erholen könnten. Er selbst, die Frau und Tochter, so wie die klagende Dichterin, sollten in seinem Wagen Platz nehmen; die Herren aber, von den beiden Reitern begleitet, auf dem schlichten Bauerwagen nachfolgen. Der alte Sebastian rieth zwar murrend, den Tag erst abzuwarten, weil die Nacht keines Menschen Freund sei, er ward aber überstimmt und ging verdrüßlich fort, seine beiden muthigen Rosse anzuschirren.

Als man noch über die Abfahrt, über Verlobung und andere Dinge sprach und stritt, als die Dichterin und die Mutter Louisen zuredeten, und Freimund und Schwieger mit einander zankten, sagte Mansfeld: Dies Alles, meine geehrten Freunde, wird, wenn ich nicht sehr irre, sich in der ruhigen Stadt besser berathen und abmachen lassen, denn in der That, mir scheint es endlich auch, als sei hier in diesem Zauberschlosse Alles nur auf Verwirrung gestellt. Wäre dies die Nacht des ersten Mais, so könnte es ja nicht schlimmer hergehn, und wir haben heut in der That eine Walpurgis im Kleinen gefeiert.

Nur der Hauptvorsteher dieses Festes, fiel Schwieger verdrüßlich ein, hat bis jetzt gefehlt, oder bis dahin nur die Sachen unsichtbar gelenkt und angeordnet.

Käm' er nur in Person, rief Freimund, daß man ihn doch wenigstens zur Rede stellen könnte!

Hervor, Alter! rief Mansfeld im tollen Muthe, der ihn jetzt von neuem anwandelte. Heraus aus Deiner alten Behausung, Du Unfreundlicher, Widerwärtiger! So wie der große König Ingurd stehe ich hier, stampfe den Boden und beschwöre Dich, uns sichtbarlich zu erscheinen, wenn Du irgendwo als Wesen bist, webst, lebst oder existirst, sonst werden wir kurzen Prozeß mit Dir machen, Dir den Stab brechen und behaupten, daß Du nirgend in rerum naturae als Ding seist!

Malen Sie den Bösen nicht an die Wand! sagte die Mutter schüchtern.

Aber poetisch macht sich die Sache doch, flüsterte die Dichterin, und diese feinere oder erhabene Art von Schauder hat uns in dieser Nacht noch gemangelt.

Indem der Vetter und der Landrath, so viel es die Lichter erlaubten, das Schauspiel betrachteten, welches ihnen der übermüthige Mansfeld gab, und sich ihm näherten, wichen die Frauen geängstigt nach der Wand zurück.

Wie man nur immerdar so verdreht seyn kann! bemerkte Freimund, und er wird auch des Dinges und alles dieses Spaßes nicht überdrüssig.

So komm denn, erscheine! fuhr Mansfeld in seiner Beschwörung fort; bist Du denn vielleicht der Geist des Vergessens, der Zerstreutheit, jener sonderbaren Abwesenheit, und bist Du wohl gar nur in dieser persönlich gegenwärtig? So komm denn. Du, mit dem irren, schielenden Blick, laß die Wasser in Ruh, die durch Deinen Drang übertreten und zerstören, hemme den unnützen Regen, der dem Landmann die Heuernte verdirbt; bist Du irgendwo heut in der Küche, oder im Keller, im Mißverständniß des tauben Gärtners, oder im Verderbniß edler Manuskripte und Dichtungen thätig gewesen, so komm, melde Dich, tritt auf, zögre nicht, wir sind Deiner gewärtig.

Sogleich! im Augenblick! rief eine Stimme dumpf aus dem Fußboden herauf. – Alle entsetzten sich, selbst Mansfeld fuhr mit einem Schrei des Erschreckens zurück, die Frauenzimmer kreischten und drängten sich näher zusammen. Auch Schwieger und Freimund, so wie der Landrath und der Vetter begriffen das Wunderbare des Ereignisses nicht. Aber noch mehr entsetzten sich Alle, als der Fußboden sich plötzlich aufthat und eine dunkle Gestalt heraufstieg.

Alles schrie durch einander, selbst der Keckste und Vorwitzigste hatte für einige Momente Muth und Besonnenheit verloren. Der Fremde, als sich der Fußboden wieder geschlossen hatte, nahm den Hut ab und sagte: Ich kenne diese Gesellschaft nicht und vermuthete Niemand hier. Entschuldigen Sie den Schrecken, den ich Ihnen Allen gemacht habe. Als ich sprechen hörte, und jene Aufforderung, sogleich zu kommen, konnte ich es nicht unterlassen, von unten zu antworten, sehr gespannt darauf, wer nach mir verlange, oder wer wissen konnte, daß ich schon auf dem Wege hieher sei.

Er sah sich um, so viel es die Laternen verstatteten. Alle waren verlegen, nur Mansfeld, der seinen Muth wieder gefunden hatte, sammelte sich zuerst und sagte: Sie, Herr Fremder, sind, wie es scheint, sehr gütig und gefällig, erst, daß Sie auf meine Einladung sich sogleich zu uns bemühen, und zweitens, daß Sie zugleich um Verzeihung bitten, da Sie uns erschreckt haben. Daß wir einigermaßen den alltäglichen Muth verloren, war wohl sehr natürlich. Sie wissen ja doch, wen wir zu rufen die Dreistigkeit hatten, und stellen sich ein für ihn und geben sich für ihn aus.

Ich habe meinen Namen noch nicht genannt, sagte die Erscheinung.

Braucht's auch nicht, erwiederte Mansfeld; wäre gewissermaßen gegen die Etikette; man kennt sich doch.

Sonderbare Ausdrücke und Redensarten, sagte der Fremde; ich muß besorgen, in eine Gesellschaft gerathen zu seyn, die wohl nicht so eigentlich hieher gehört.

Für wen halten Sie uns? rief Mansfeld.

Ich höre, erwiederte Jener, das Gütchen ist ganz neuerdings an einen simpeln, blödsinnigen alten Herrn verkauft, der gewiß niemals herauskommen wird; die Einsamkeit des Ortes ist so recht geeignet, Leuten, die ein gegründetes Vorurtheil gegen das Tageslicht haben, zum Schlupfwinkel zu dienen. Diese Trachten, Mienen, diese mehr finstern, als hellen Laternen, Alles dieses – –

Also für Spitzbuben, Falschmünzer, oder dergleichen nehmen Sie uns? rief Mansfeld: Sie, mein guter, fremder Herr ohne Namen, der aus der Erde aufsteigt, sollten gerade am wenigsten so anzügliche Reden führen!

Nun, sagte die Erscheinung, für was halten Sie mich denn?

Mit Respect zu sagen, erwiederte Mansfeld, für den Teufel selbst.

Der Fremde lachte so von Herzen, daß plötzlich Alle in den heitern Ton der Lustigkeit einstimmten und ein unauslöschliches Gelächter im Saal erschallte.

Ich kann Sie versichern, nahm endlich Freimund das Wort, daß der alte Mann, der das Gut hier getauft hat, bis jetzt noch nicht so ganz blödsinnig ist; aber als Eigenthümer darf ich nun wohl fragen: Wer sind Sie? Wie kommen Sie hieher? Und zwar auf diese unerwartete, ja wunderbare Weise?

O, rief der Fremde unwillig: wie bringt mich nur heut der Zufall dahin, mich unziemlich zu betragen und als ein ungezogener roher Mensch zu erscheinen. Daß ich um Vergebung bitte, macht mein Benehmen nicht wieder gut. – So erfahren Sie denn, daß ich der ehemalige Eigentümer dieses Hauses bin, welches ich nach dem Frieden verkaufte. Sie haben es wahrscheinlich aus der zweiten Hand erhalten.

Wie? rief Mansfeld aus: Sie sind damals im Kriege nicht umgekommen? Sie leben noch?

Gewiß, erwiederte jener; ich nahm meinen Abschied, heirathete meine Braut und wirtschaftete auf dem größern Gute meines Vaters, bis dieser starb.

Und Ihr Vater ist auch nicht im Kriege, und zwar recht tragisch, umgekommen? fragte Mansfeld.

Ich weiß, antwortete der Unbekannte, welche tolle Fabeln man sich von uns erzählt. Das müßige Landvolk hat diese Geschichten, wer weiß wodurch veranlaßt, ersonnen, und das Mährchen ist nachher immer mit albernen Zusätzen vermehrt worden. So viel ist wahr, ich vertheidigte damals diese Gegend, und mein Vater stand allerdings im feindlichen Heere, aber mir zum Glück nicht gegenüber, sondern in einer entfernten Provinz.

Ewig Schade! fuhr die Dichterin heraus: woher kommt denn aber, wenn alle jene tragischen Verwicklungen dahin sind, die Spukerei dieses Zauberschlosses?

Einiges von jenen Gerüchten, erwiederte der Fremde, habe ich wohl selber ehemals, als ich hier wohnte, veranlaßt. Mir hat es immer wohlgefallen, daß Rousseau auf der Peters-Insel sich jene Fallthür und kleine Treppe einrichtete, um plötzlich lästigen Besuchen zu entfliehen. Dort ist es nur ziemlich ungeschickt und plump angelegt, und ich schmeichle mir, dieselbe Anstalt feiner eingerichtet zu haben. Sie haben draußen, hinter dem Hause, die kleine Grotte bemerkt. Dort ist eine Feder angebracht, auf deren Druck sich von innen wie außen eine kleine Thür öffnet; ein schmaler Gang führt unmittelbar in diesen Saal, wo ebenfalls eine Feder die kleine Thür im Fußboden bewegt. Sah ich nun Volk von der Stadt, oder langweilige Kameraden, oder Leute kommen, die mir für den Augenblick unbequem fielen, so entfloh ich plötzlich in den nahen Wald, und keiner wußte, wo ich geblieben war. Da ich das Kunststück meinen Leuten verheimlicht hatte, so konnte ich auch plötzlich in meinem Zimmer seyn, wenn diese mich weit entfernt glaubten. Auf einer Reise durch diese Gegend, indem meine Frau einige ihrer Verwandten wenige Meilen von hier besuchte, kam mir dort das Gelüste, mein vormaliges Eigenthum wieder einmal in Augenschein zu nehmen. Im Walde überraschte mich Sturm und Gewitter, ich konnte mich kaum während des Platzregens in einer Köhlerhütte bergen. Als es finster wurde, begab ich mich hieher; und, in der Voraussetzung, daß das Haus noch ganz leer sei, ging ich durch die Grotte, wo ich das alte Kunststück noch unverletzt fand. Ich hörte über mir Stimmen; erscheine! komm! tönte es herunter, und ich konnte der Lust nicht widerstehn, hierauf zu antworten. Statt umzukehren, trieb mich die Neugier herauf, zu sehen, wer hier hausen möchte. Da Sie, der Eigenthümer, von der Einrichtung nichts wissen, so muß ich sie Ihnen, sobald es nur heller geworden ist, zeigen, damit Sie den Gebrauch kennen lernen.

Hätten wir, liebe Sappho, sagte Mansfeld, diesen trefflichen Schlupfwinkel gekannt! Weder so naß wären wir geworden, noch wären die Verse zu Grunde gegangen; weder hätte Herr Schwieger seinen zu vertraulichen Schulterschlag bekommen, noch hätte ich oben als eine verlorne Schildwacht stehen müssen. Wir wären wie die Mäuse hier hereingeschlüpft, und hätten nachher den neuen Gutsbesitzer ausgelacht, über seine Zerstreutheit doch einigermaßen getröstet.

Es ist doch aber allzu traurig, klagte Sappho, daß in unsern Tagen alles Wunderbare, Geistige und Gespenstige immerdar in Rauch verschwindet. Wo es auch scheint, daß sich einmal eine schöne, herzige Sage anheften und ausbilden will, so kommt gleich eine prosaische Kritik hinterdrein, um den schönen Glauben zu zerstören. So sind Sie, geehrter Herr Unbekannter, Ihr eigner Revenant, und treten hier selbst als Geist auf, um Ihre geistige Existenz abzuleugnen. O wie bequem hatten es darin unsre gläubigen Vorfahren! Nein, nein, ich sehe, jene Politiker haben Recht, welche behaupten, daß uns niemals ein Mittelalter zurückkehren werde. Die armen Gespenster! Allenthalben verfolgt und verdrängt, finden sie in unsern Tagen selbst nicht einmal in den Romanen, kaum noch in den Tragödien eine letzte Zuflucht.

Der Wagen war vorgefahren, man mußte aber mehrere Schritte den steilen Hügel hinuntergehen, zu einem ebenen Waldfleck wo die Pferde standen. Bastian sagte, indem Mansfeld die Dichterin im Finstern hinuntergeführt hatte, die zuerst einsteigen sollte: Mein Seel, es gehen hier Kobolde um, die dem Menschen Alles zum Possen thun; mir ist ein Knirps und Wicht rechts und links unter dem Wagen bei den Füßen vorbeigesprungen. – Sei kein Kind, sagte Mansfeld. – Hat sich was! murrte der Alte; und die Pferde selbst sind schon so unruhig, als wenn der Teufel in ihnen steckte.

Die Dichterin saß, Schwieger führte Louisen. Ich glaube, sagte dieser, die Finsterniß dieser Nacht hat alles Licht eingeschluckt; will sich doch immer noch keine Dämmerung wieder zeigen, man muß mehr tappen als gehn: wo ist der Wagen? – Hier; sagte der alte Kutscher, kommen's nur 'rab. – Louise setzte sich neben die Sängerin, und die Mutter, so wie Freimund, warteten zwei Schritt davon, sich führend. Plötzlich stieß Bastian, indem er aufsteigen wollte, einen lauten Schrei aus und lag zu des Vaters Füßen, und die Pferde flogen, frei und ohne Führer, mit dem Wagen die Anhöhe hinunter. Man hörte nur noch den Schrei der Frauenzimmer, dann war Alles still.

Himmel! mein Kind! rief Freimund außer sich. Die Mutter sank halb ohnmächtig dem Manne an die Brust. – Donner und Wetter! schrie Bastian, sich vom Boden aufraffend. Hab' ich's nicht gesagt? Ich steh' in aller Unschuld da und will aufsteigen, halte vorsichtig die Zügel, da zieht es mir dies und das Bein unter dem Leibe weg, schlägt mich auf die Faust, und heidi! davon, wie ein Blitz und Gewitter. Nun von dem Wagen und den Rossen bleibt ein Gebein übrig.

Komm, arme liebe Frau, in das unglückliche Haus zurück! sagte Freimund und faßte die weinende Gattin, die er mehr trug, als führte.

Die Gesellschaft war nun wieder im Saal versammelt, man zündete wieder einige Laternen an und der Rath sagte: Eilen Sie, lieber Vetter, besteigen Sie schnell wieder Ihr Pferd, jagen Sie nach, forschen Sie, bringen Sie uns Nachricht.

Wenn ich nur die Richtung finde, sagte der junge Mensch. Schnell war er in den Bügeln, er flog in der Dunkelheit davon.

Und Sie, Herr von Dobern? sagte der Vater zum erstaunten, verwirrten Bräutigam.

Was ist zu machen? antwortete dieser kaltblütig. In der Finsterniß kann man nicht um sich sehn; auf der Landstraße kann der Wagen eben so gut rechts wie links gelaufen seyn, oder, was am wahrscheinlichsten ist, die tollen Pferde sind sogleich geradeaus gesprungen, den ganzen Berg und Abgrund hinunter, und Alles führt vielleicht der Fluß schon in seinen Wogen. Wir müssen doch wenigstens die erste Dämmerung erwarten.

Wie können Sie, rief Freimund aus, nur so gefühllos seyn! Thut man doch lieber zu viel, als zu wenig. O mein armes Kind! Himmel! soll diese fatale, unglückselige Nacht sich noch so fürchterlich beschließen?

Fassen Sie sich, mein Herr, sagte der Fremde; zwar kann der Unbekannte einem Vater leicht so etwas sagen, werden Sie erwiedern: aber, wenn man Krieg, Schicksale erlebt und durchkämpft hat, wenn man in fernen Gegenden recht viel erfahren und gesehn hat, so lernt man auch, daß ein augenscheinliches Unglück sich mildert, daß eine offenbare Gefahr oft nicht rettungslos ist, daß Zufall und Glück uns eben so oft die Hände bieten, als sie uns verfolgen. Wenn noch ein Pferd übrig ist, so geben Sie es mir, und ich will nachjagen, erforschen, um, wo möglich, Ihnen einige Beruhigung zu verschaffen.

Mein Pferd, sagte der Landrath, will ich Ihnen wohl geben, es geht auch in der Nacht sicher, nur müssen Sie es mir nicht zu Schanden jagen.

Freimund murrte wieder. Sie sind gar zu vorsichtig, Herr von Dobern, sagte er endlich. Wenn alle Menschen so dächten, so würde niemals in der Welt etwas Besonderes oder Auffallendes geschehn.

Der Fremde ritt eilig fort. Ein Gerassel draußen ertönte, verschiedene Stimmen riefen laut und durcheinander. Sollten sie da seyn? schrie die Mutter. Freimund stürzte hinaus.

Es war der Küchenwagen, der nun endlich angekommen war. Die Leute waren auch während des Gewitters eingekehrt. Im Dorfe hatten Sie noch einige Bretter über den Wagen befestigen lassen, damit manche Sachen, die frei standen, nicht verderben möchten.

Setzen Sie sich nun Alle, rief der Landrath, und erquicken Sie sich wenigstens an dem, was endlich angekommen ist. Wir Alle haben in dieser sonderbaren Nacht vielfältige Strapazen überstanden.

Richten Sie sich hier ein, sagte Freimund im höchsten Unwillen, so bequem und unterhaltend, wie Sie es immer vermögen, ich und meine Frau, wir wollen sogleich nach der Stadt fahren. Wenn mein Kind verunglückt ist, so ist unser Leben überhaupt beschlossen.

So verweilen Sie mit mir, Herr Mansfeld, sagte der Landrath; wir begeben uns dann am Mittage nach der Stadt.

Verehrter Freund, sagte Mansfeld mit großer Rührung zu Freimund: jener Bauerwagen ist geräumig genug, mich und unsern Schwieger aufzuladen. Ich kann nicht ruhen und habe kein Gefühl, bis ich weiß, wie es Louisen ergangen ist. Ich hoffe, gut, leidlich; daß wir sie gesund und bald wiedersehen. Mein Reden und Schwatzen soll Sie unterwegs zerstreuen und vielleicht etwas mehr beruhigen. Der Herr Landrath kann sich auch besser ohne uns behelfen, fügte er mit einem Ton der Geringschätzung hinzu: da unsre Klagen ihn vielleicht in seinem philosophischen Wohlbehagen stören möchten.

So geschah es; Jene fuhren ab, als eben die erste Dämmerung sich unmerklich in die Dunkelheit mischte, und der Landrath blieb, wie selbst verzaubert, in dem sogenannten Zauberschlosse zurück.


In der nehmlichen Sturmnacht, als sich alle diese Zufälle und Verlegenheiten auf dem Zauberschlosse entwickelt hatten, saß der trostlose Hauptmann in seinem Zimmer bei zugezogenen Fenstern, und überlas noch einmal die Briefe, die er in glücklichen Zeiten von Louisen erhalten hatte. Plötzlich rollte ein Wagen heran, und der General umarmte seinen überraschten Sohn. In dem schrecklichen Wetter fahren Sie zu mir, mein Vater? sagte der Sohn verwundert. – Umzukehren, erwiederte der General, war es zu spät, und ich hatte Dir einmal meinen Besuch zugedacht. Begrüße doch auch Deinen alten Lehrer. – Wie? rief der Hauptmann, auch Ihr Feldprediger, der theure Magister, begleitet Sie?

Ja, mein Sohn, sagte der General in seiner frohen Laune, als sich Alle im Zimmer niedergelassen hatten: sieh, ich dachte so: entweder der Sohn ist rappelköpfisch und in einer stillen oder lauten Verzweiflung, da reicht mein väterlicher Trost allein nicht hin, darum habe ich unsern wackern Prediger mitgenommen, der, wenn mir die Worte ausgehn möchten, mit Philosophie, und, wenn auch diese nicht genügen sollte, mit religiösen Ermahnungen auf seine Desperation operiren sollte. Oder, fuhr ich fort, dein Sohn hat etwa gar einen tollen Streich gemacht, wer weiß, das Mädchen entführt, so nehme ich auf jeden Fall meinen lieben Prediger mit, damit die Trauung gleich vollzogen werden kann.

Wie Sie nur, mein theurer Vater, mit meinem Unglück so scherzen können! War es denn nicht Ihr ausdrückliches strenges Verbot, keinen unsinnigen Streich, wie Sie ihn in allen Briefen nannten, auszuführen? Meine Ehre bei der Armee und meinen Fürsten nicht zu compromittiren? Wie streng war Ihr Befehl, wie heilig mußte ich versichern. Ihnen zu gehorchen!

Ich meinte nur, antwortete der Vater, die tolle unbändige Jugend gehorche nicht immer. Und darum bin ich auch herübergekommen, um Dich zu beobachten, denn heut Abend, wie ich mir habe sagen lassen, vielleicht in dieser Stunde soll ja die Verlobung Deiner Geliebten mit dem widerwärtigen Bräutigam seyn. Nun sieh, was Du gleich für ein Gesicht ziehst, da ich Dich an diesen Umstand erinnere.

Sie sind mehr als grausam! rief der Hauptmann aus; hätte Louise nur etwas mehr Muth und Entschlossenheit, so würde ich dennoch, ich gestehe es, etwas unternommen haben, das mir Ihren Zorn, wohl die Ungnade meines Herrn zugezogen hätte. Aber sie, so wie die Mutter, verhalten sich dem eigensinnigen Vater gegenüber allzu leidend. Und Sie selbst, mein geliebter Vater, hätten Sie nicht für mein Glück etwas thätiger seyn können? Der Muthwille Ihrer Jugend hat jenen Mann zu Ihrem unversöhnlichen Feinde gemacht; konnten Sie nicht einige Schritte mehr ihm entgegenthun? Konnten Sie nicht diese Gelegenheit ergreifen, Alles wieder, zu meinem höchsten Glücke, in die alte Bahn zurückzulenken.

Du sprichst, sagte der General, wie junge Leute zu sprechen pflegen. Wenn die Gegenpart gar keine Raison annehmen will, so setzen mir mein Stand und meine Verhältnisse Schranken, die ich, ohne Verletzung meiner Ehre, nicht überspringen darf. Ich habe Alles gethan, was in meinem Vermögen war, ich bin weiter gegangen, als jeder Andere es vermocht hätte; aber Alles war umsonst, denn Jener bestand so auf seinem unvernünftigen Eigensinn, daß er nur um so ungezogener wurde, als ich mehr und mehr nachgab. Die Leidenschaft ist in der Regel immer um so stärker, als Gründe und Vernunft einer schlimmen Sache mangeln, sie soll diese dann ersetzen. Meinst Du, es wäre mir auch nur ein Opfer gewesen, diesen Mann, nach so vielen Jahren, selbst vor Zeugen, um Vergebung zu bitten? Von der Eitelkeit oder den Grillen, die mir dergleichen schwer gemacht hätten, bin ich weit entfernt. Und am Ende bekam ich denn auch Scrupel eigner Art. Ich dachte nehmlich, wenn Dein Fräulein Louise durch ihre Liebe nicht stark genug ist, den Zorn der Eltern auf das Spiel zu setzen, Dir an den Hals zu fliegen, da sie doch recht gut weiß, daß Du Dich ruhig verhalten mußt, so ist ihre Leidenschaft am Ende auch nicht so sonderlich mächtig, und der Himmel sorgt vielleicht am besten für Euch, wenn Ihr nicht zusammenkommt. Soll es aber dennoch geschehn, nun, so ist es auch in der allerletzten Minute immer noch nicht zu spät; so mag sich's denn zeigen, ob es noch glückliche Zufälle giebt, ob Feen oder Elfen sich noch der armen Sterblichen annehmen. Geschieht es nicht, sind alle diese hülfreichen Geister wirklich ausgestorben, nun, so müssen wir uns auch mit dem Bewußtseyn zufrieden stellen, daß wir Alles, was wir nur irgend konnten, gethan haben.

Ihr Vater, junger Mann, fing der Prediger in erbaulichem Tone an, spricht weise, und darum thun Sie gut, seinen Ermahnungen unbedingte Folge zu leisten.

Aber setzen wir uns zu Tische! rief der General; denn wir werden Alle hungrig seyn.

Indem trat auch der Freund des Hauptmanns, Ferdinand ein, der dem General seine Ehrfurcht bezeigte und mit Lust an dem heitern Gespräch des launigen Mannes Theil nahm, indeß der Hauptmann die Mahlzeit anordnete und oft schweigend vor sich niederblickte, ohne auf die Reden der Uebrigen zu hören. Nein, rief der General, laß die Tafel nicht drinnen im Saale anrichten, hier im Zimmer, und etwas nahe am Fenster. Habe ich doch meine Freude am Gewitter, Sturm und Platzregen, ich ziehe auch die Vorhänge wieder auf, um die Blitze recht beobachten zu können. Es ist ja auch möglich, daß wir noch Besuch erhalten, und so können wir die Ankommenden hier gleich besser begrüßen.

In diesem Wetter, antwortete der Sohn, wird kein Mensch ausreisen, als etwa ein alter Soldat, der im Freien wohl schon Schlimmeres hat überstehen müssen.

Der General, wie ausgelassen, ordnete selbst die Plätze und Stühle am Tisch. Neben seinen Sohn mußte für einen unsichtbaren Gast ein Sessel gestellt werden. Dieser da, sagte er, bedeutet Deine Geliebte; wenn Dir unser Gespräch zu langweilig wird, so wende Dich in Gedanken an diese, sage ihr Alles, schütte ihr Dein ganzes Herz aus; verklage mich und den alten Freimund, und sei so zärtlich, als Du es nur irgend vermagst. Wir andern Drei essen und trinken indessen und sind guter Dinge.

So geschah es auch, indem das Gewitter noch tobte. Der General war sehr heiter und der Prediger, wie der junge Officier, mußten mit einstimmen. Man saß lange, während viel Heiteres gesprochen und erzählt wurde, bei der Tafel. Das Gewitter hatte nachgelassen, nur der Regen strömte noch herab. Es schien, da es schon spät in der Nacht war, als wenn die Gesellschaft anfinge, ermüdet zu werden. Das Gespräch stockte zuweilen, und die Laune des Generals ging sichtlich erst in Ernst, dann in Verdruß über. Als der fremde Officier die Müdigkeit erwähnte, antwortete der General: Ich bin immer am fröhlichsten, wenn der Himmel recht tobt und stürmt; jetzt aber, statt daß es nach diesem tüchtigen Gewitter heiter werden sollte, tritt ein so langweiliger, phlegmatischer Regen ein, daß man wohl merkt, dies verdrüßliche Wetter wird nun einige Tage so fort lamentiren und quängeln. Darin ist unsre deutsche Atmosphäre unausstehlich. Wehe dem, dem es im Leben selbst auf ähnliche Art ergeht!

Man wollte sich schon vom Tische erheben, als man plötzlich aus der Ferne das Rasseln eines Wagens vernahm. So spät in tiefer Nacht? sagte der Hauptmann. Das klingt, fuhr er fort, als wenn Pferde liefen, die sich selbst überlassen sind. – Sollte ich mich täuschen, das ist ja wie der Trab meiner Rappen. Was hat das zu bedeuten? Indem standen die Rosse mit dem Wagen, die im schnellsten Trabe gelaufen waren, plötzlich vor der Thür still. Man hörte die hülferufende Stimme von Frauenzimmern. Alle stürzten hinaus, der Hauptmann voran; der junge Officier hielt die Pferde.

O mein Karl! war Louisens Ausruf, als sie ohnmächtig dem Hauptmann in die Arme sank, der sie zitternd aus dem Wagen gehoben hatte. Dieser trug die schöne Last mit freudeklopfendem Herzen, überrascht, betäubt, in das Zimmer auf das Sopha. Der Prediger bemühte sich indeß mit der Dichterin, die mit den leidenschaftlichsten Ausdrücken die ungeheure Gefahr schilderte, der sie eben entgangen war, sowie ihre Freude über diese plötzliche unvermuthete Rettung.

Louise erwachte. Sie erzählte von dem Schreck, den ihr die durchgehenden Pferde verursacht hätten. Sie konnte sich in die Freude nicht finden, im Hause, an der Seite ihres Geliebten zum Leben wieder zu erwachen. Die beiden Damen mußten durch Speise und Trank erquickt werden, die Tafel wurde wieder hergestellt und von neuem mit einigen Gerichten besetzt, und Louise war genöthigt, den Sessel einzunehmen, der vorher schon für ihren Geist war hingestellt worden.

Als man sich erst besonnen, die Gefahr und den höchst sonderbaren Zufall vielfältig besprochen hatte, waren Alle sehr fröhlich, der General ausgelassen und die beiden Liebenden ganz in das Bewußtsein ihrer beglückenden Nähe versenkt, die ein zauberähnlicher Umstand ihnen so unvermuthet gewährt hatte. Ei! rief plötzlich der Hauptmann aus, da ist ja mein kleiner wilder Jockey auch, den Sie mir, lieber Vater, mit diesen meinen vormaligen Pferden zugleich entzogen hatten.

Ja, sagte der Jockey mit der fröhlichsten Miene, ich habe den Herrn General vorher begleitet, ohne daß er es selber bemerkt hat. Und ein wahres Glück. Denn die guten lieben Rappen sind zwar verständig genug, sie kennen die Stadt und das Haus hier wohl, ihr altes gutes Quartier: also würden die kreuzbraven Thiere wohl von selbst Halt gemacht haben, denn ich glaube nicht einmal, daß sie in einem Koller durchgegangen sind, sie haben es nur benutzt, daß sie nicht unter Aufsicht standen, und sind so wieder zu ihrem Herrn Capitän gelaufen. Wie ich aber hier in der Hausthür stand und zusprang, ließen sich die freundlichen Creaturen um so williger greifen.

Ich will die Pferde, die so verständig sind, sagte der General, auch wieder an mich kaufen, und Du sollst sie wieder bedienen. – Ist es wohl gottlos, Herr Pastor, in dieser wunderlichen Begebenheit die Hand des Himmels, oder wenigstens einen Finger derselben erkennen zu wollen?

Gottlos eben nicht, erwiederte jener; aber vielleicht voreilig. Alle die Umstände, das Durchgehen der Pferde dann, die jener Herr von Freimund gekauft, daß die Damen keinen Schaden genommen, die Thiere, die, mit Verstand begabt, gerade hieher gelaufen, vor dem Hause Halt gemacht, in dem nicht nur der Herr Kapitän, sondern auch dessen Herr Vater gegenwärtig war, hat immer etwas Wunderbares.

Und noch mehr der Umstand, rief der General aufstehend, daß der ordinirte fromme Prediger zugegen war. Denn da uns das Glück so außerordentlich in die Hände gearbeitet hat, so wäre es frevelhaft, seine Güte nicht zu benutzen. Sie trauen mir also die beiden jungen Leute in diesem Augenblick, das Umgehen des Aufgebots und dergleichen mehr werde ich schon vertreten und vergüten; wenn es seyn muß, trage ich meinem gnädigen Fürsten den sonderbaren Fall selber vor, dem ich neulich schon von Louisens Unglück und des Vaters Eigensinn gesprochen habe. Heute schläft die Braut und junge Frau noch in dem uneingerichteten Hause eines bisherigen Junggesellen, morgen soll die Wohnung mit Allem, was zu einer Haushaltung gehört, ausgestattet werden.

Alles geschah, wie er es anordnete; die Liebenden waren selig, und die Dichterin beglückt, etwas so Wunderbares zu erleben, wie sie bis jetzt in ihren Romanen noch niemals erfunden hatte.


Mit der Dämmerung kehrte der Rath Freimund nach der Stadt zurück. An Schlaf und Ruhe war nicht mehr zu denken. Mansfeld blieb bei ihm und seiner Gattin und tröstete und beruhigte sie, so viel als möglich. Der junge Vetter, so wie der Fremde, erschienen nach einiger Zeit. Sie hatten in den verschiedenen Richtungen, weder oben in den Bergen, noch unten am Flusse, etwas von einem verunglückten Wagen gehört, und diesen Umstand benutzte Mansfeld vorzüglich, um durch seine Vermuthungen die Angst der Eltern zu mindern. Wäre ein Unglück geschehen, sagte er, so wäre es auch schon kund geworden, denn dergleichen verbreitet sich mit Blitzesschnelle; irgend ein früher Wanderer hätte den Wagen und die Rosse schon gefunden, es ist also die höchste Wahrscheinlichkeit, daß diese raschen Thiere, ohne sich zu beschädigen, ziemlich weit in die Landschaft hinaus gelaufen sind, so daß sich die Kunde von dem Orte, wo sie endlich standen oder aufgefangen wurden, bis hieher nothwendig verzögern muß. Nur fassen Sie sich, gewinnen Sie ein Vertrauen, daß Sie nicht erkranken, wenn nachher die Tochter wiedergefunden ist und gesund in Ihren Armen liegt.

Es schien, daß Mansfeld mehr über die Mutter, als den Vater vermochte, der trübselig blieb, zitternd und wie verlegen durch alle Zimmer ging, und hier und dort suchte und kramte, ohne etwas verloren zu haben. Er fühlte es seit diesem Unglück erst, wie fest sein Herz an diesem geliebten Kinde hing. Die muthwillige Henriette kam im leichten Morgenanzuge herübergelaufen und war außer sich, als sie das Abenteuer vernommen hatte. Da der Vater ihre Thränen sah, rief er: Ja, weinen Sie nur, diese Thränen und alle künftigen werden mir auf der Seele brennen; in welchem Lichte erscheint mir jetzt mein Eigensinn, daß ich sie mit Gewalt jenem unwürdigen Dobern anschmieden wollte, der weniger als der letzte Knecht meines Hauses dieses Unheil empfunden hat. Ja, einem solchen würde ich sie jetzt lieber überantworten, als diesem Gefühllosen.

Bei jedem Geräusch lief man ans Fenster, so oft die Thüre geöffnet wurde, waren Alle in banger Erwartung; als daher jetzt rasch und donnernd eine Equipage vorfuhr, sprangen Alle von ihren Sitzen auf. Der General trat dem unruhigen Freimund entgegen. – Wie, Excellenz, rief dieser, Sie erzeigen uns die Ehre?

Was bekommt der, sagte der General, der Dir und der Mutter Nachricht bringt, daß Deine Tochter gesund und wohlbehalten ist?

Was er verlangt! rief Freimund, mein Vermögen, Alles, was ich besitze.

Nun, alter, jetzt mein ältester Freund, sagte der General, so laß Deinen Eigensinn endlich fahren und gieb mir Deine Freundschaft wieder, die ich freilich verscherzte; aber vergieb mir, Bester, verzeih mir jenen Jugendstreich und begrüße mich wieder mit dem vertraulichen Du.

Und meine Tochter? rief Freimund.

Ist wohl, glücklich, heiter! rief der General und breitete die Arme aus, in die sich Freimund mit dem Ausruf der glückseligsten Freude stürzte. Nun wir ausgesöhnt sind, fuhr der alte Soldat fort, laß auch die Absicht, sie dem eigennützigen Landrath zu geben, fahren. – Gut, sagte Jener, aber wo ist sie? – Der General trat ans Fenster und winkte dem Jockey, der draußen zu Pferde hielt; der Knabe sprengte auf dieses Zeichen fort. Vorerst, sagte der General lächelnd, wirst Du meinen Sohn und dessen junge Frau sehn.

Wie? rief Freimund erstaunt, indem er zurücktrat; ich bildete mir ein, Alter, Du wolltest den Freiwerber für Deinen Sohn machen.

Das ist jetzt zu spät, antwortete der General. Indem fuhr schon ein zweiter Wagen vor und die beschämte, gerührte Tochter lag in den Armen der glücklichen Eltern.

Umständlich wurde jetzt das sonderbare Abenteuer erzählt, die glückliche Wendung des unglücklichen Zufalls. Alle wollten gerührt und erhoben eine wunderbare Lenkung des Schicksals erkennen, eine ausgesprochene Vorliebe einer unsichtbaren Macht für die Arme, der Gefahr Preisgegebene, so wie für ihre Liebe. Die Verzeihung der Eltern über die rasche Vermählung kam der erröthenden Bitte fast zuvor und Alle waren glücklich.

Um aber das verrufene Zauberschlößchen durch vernünftige Anordnung und Freude wieder zu Ehren zu bringen, wurde noch an diesem Tage, der nach dem Gewitter heiter und freundlich war, der Hochzeitschmaus draußen veranstaltet. Alle, die das Abenteuer mit bestanden hatten, außer dem Herrn von Dobern, waren zugegen; der Prediger folgte mit der neu bekleideten Sappho ebenfalls nach. Die glücklichsten Menschen waren versammelt und durch die Verlobung des jungen Mansfeld mit der muthwilligen Henriette ward der Frohsinn noch gesteigert.

Wie das Schicksal oft die Pläne der Sterblichen besser ausführt oder anders lenkt, so wollte es nach ewiger Zeit verlauten, als wenn der General diesmal dem Zufall oder Schicksal ein wenig nachgeholfen hätte. Auf die Zerstreutheit seines alten Freundes rechnend, dem er die Pferde seines Sohnes hatte verhandeln lassen, soll der alte Militär jenen Jockey heimlich in die Gebüsche des Zauberschlosses gesendet haben, um den Zufall zu spielen. Der Knabe habe, so spricht die unverbürgte Sage, dem alten Bastian wirklich die Zügel geschickt entrissen und die trefflich eingefahrenen Rosse nach jener Stadt im schnellsten Jagen getrieben. Sei es, wie es sei, die Familien waren wieder versöhnt und Eltern und Kinder glücklich. Auch ist nachher nie wieder von jenem Zauberschlosse etwas erzählt worden, daß man noch an die Nähe spukender Geister glauben könnte; Alles trug sich, vorzüglich da Freimund der Gattin die Anordnungen überließ, so zu, wie in der übrigen Welt.

 


 


 << zurück