Ludwig Tieck
Die Versöhnung
Ludwig Tieck

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Der Abend dämmerte schon, als ein junger Ritter mit seinem Rosse ein einsames Thal durchtrabte; die Wolken wurden nach und nach dunkler, der Schein des Abends ward bleicher, ein kleiner Bach murmelte leise, unter den überhängenden Gebüschen des Berges versteckt.

Der Ritter seufzte und überließ sich seinen Gedanken; – die Zügel lagen schlaff auf dem Nacken des Rosses, es fühlte nicht mehr den Sporn des Reiters, und ging jetzt mit langsamem Schritt auf dem schmalen Pfade, der sich um den steilen Felsen wand.

Das Geräusch des kleinen Baches ward lauter, der Huftritt dröhnte durch die Einsamkeit, die Schatten wurden dichter, die Ruinen einer alten Burg lagen wunderbar auf dem Abhange des gegenüberstehenden Berges. Der Ritter vertiefte sich immer mehr in seinen Gedanken, er sahe starr in die Dunkelheit hinaus und bemerkte die Gegenstände kaum, die ihn umgaben.

Jetzt ging der Mond hinter ihm auf, sein Glanz vergoldete die Wipfel der Bäume und Gebüsche, das Thal ward noch enger und der Schatten des Ritters reichte zum gegenüberstehenden Berge; silbern schäumte der Strom über Felsenstücke, und eine Nachtigall begann leise ihr entzückendes Lied, das bald lauter aus dem Walde wiederhallte. – Der Ritter sahe jetzt vor sich eine krummgewachsene Weide, die sich über den Bach beugte, das Wasser floß durch ihre überhängenden Zweige. 112 Als er näher kam, gewannen die dunkeln Umrisse eine bestimmtere Form, er sahe jetzt deutlich die Gestalt eines Mönchs, tiefgebückt stand sie da und ließ die kleinen Wellen durch die Höhlung der Hand laufen, ein leises Wimmern ächzte: »sie kömmt nicht, sie kömmt nicht; ach ewig wird sie nicht herbei schwimmen.«

Das Roß sprang scheu von der Seite, ein plötzliches Grauen ergriff den Ritter, er schlug beide Sporen in die Seiten des Pferdes, das lautwiehernd mit ihm davon sprengte.

Der enge Pfad erweiterte sich und führte in einen dicken Eichenwald, der Mond schoß nur einzelne Strahlen durch die dichtverflochtnen Zweige. Bald stand der Ritter vor einer Höhle, aus der ihm ein kleines Feuer entgegen leuchtete, er stieg ab, band sein Roß an einen Baum, und ging in die Höhle.

Vor einem hölzernen Crucifixe lag ein alter Einsiedler in tiefer Andacht auf den Knieen, er bemerkte den eintretenden Ritter nicht, sondern betete inbrünstig weiter. Ein langer weißer Bart floß auf seine Brust hinab, die Jahre hatten tiefe Furchen in seine Stirn gezogen, seine Augen waren matt, er hatte das Ansehn eines Heiligen. Der Ritter stand entfernt, faltete die Hände und betete einige Ave Maria's, dann erhob sich der Greis, trocknete sich eine Thräne vom Auge und bemerkte den Fremden in seiner Wohnung.

Sei mir willkommen! rief er aus, und bot dem Ritter die Hand, die von Alter zitterte. –

Der Ritter drückte sie ihm herzlich, er fühlte sich zu ihm hingezogen und seine Ehrfurcht ging in Liebe über.

Du thatest gut bei mir einzukehren, fuhr der 113 Einsiedler fort, denn du findest hier auf mehrere Stunden kein Dorf oder keine Herberge. – Aber warum bist du so still? Setze dich zum Feuer und ruhe aus, dann will ich dir ein kleines Mahl auftragen, so gut und reichlich als es diese Höhle vermag.

Der Ritter nahm den Helm vom Haupte, seine braunen Locken fielen um seinen Nacken, der Alte betrachtete ihn mit einem prüfenden Blick.

Warum irrt dein Auge so scheu und unstät umher? fing er von neuem freundschaftlich an.

Der Ritter schien sich zu sammeln. Ein wunderbares Grauen hat mich befallen, antwortete er, seit ich durch jenes Thal ritt. – Erkläre mir, wenn du kannst, die seltsame Erscheinung, die ich dort sah. – Oder ist es kein Geist, ist es ein Bewohner dieser Gegenden? – Aber es ist nicht möglich, ich sah' ihn wie Nebeldampf im Schein des aufgehenden Mondes hin und her wanken, ein kalter Schauder jagte mich hieher. – Erkläre mir dies Räthsel und die Worte, die ich durch das Gesäusel der Büsche vernahm.

Du sahst die Erscheinung? fragte der Eremit mit einem Tone, der von inniger Theilnahme zeugte. – Nun, so setze dich zum Feuer, ich will dir die unglückliche Geschichte erzählen.

Sie setzten sich beide. Der Greis schien im Nachsinnen verloren, der Ritter war aufmerksam. Nach einem kurzen Stillschweigen begann der Einsiedler:

Jetzt sind es fast dreißig Jahr, als ich so wie du, das Land nach Abentheuern und Fehden durchstreifte, als meine Locken eben so um meine Schultern flossen, mein Blick eben so kühn den Gefahren entgegen sah. Der Gram hat mich vor der Zeit zu einem hinfälligen Greise 114 gemacht, du findest keine Spur mehr von dem kraftvollen Manne, der damals die Achtung der Ritter und die Herzen der Mädchen gewann. Alles liegt jetzt wie ein Traum hinter mir. Leiden und Freuden stehn in einer dämmernden Ferne. Lebt wohl ihr glücklichen Tage der Vergangenheit, kaum ein Schimmer von euch dringt jetzt zu meinem kalten Herzen zurück. –

Ich hatte einen Bruder, der nur zwei Jahre älter war, als ich. Wir waren uns ähnlich an Gestalt und Gesinnung, nur war er feuriger und stürmischer, vorzüglich zum Jachzorn geneigt. Wir liebten uns innig, wir genossen keine Freude ohne einander, in jeder Fehde kämpfte er an meiner Seite, wir schienen nur für einander zu leben.

Er lernte ein Fräulein kennen, deren Liebe bald einen vollendeten Mann in ihm erzog. Ihre Zartheit milderte seine wilde Seele, sie gab ihm jene Sanftheit, die jedem Menschen unentbehrlich ist, wenn ihn das Auge des Freundes liebenswürdig finden soll. Klara ward sein Weib und nach einem Jahre Mutter eines Knaben. Seinem Glücke schien nichts mehr zu fehlen.

Um diese Zeit ward das Kreuz von neuem gegen die Ungläubigen gepredigt, von heiligem Eifer entbrannt gürtete er das Schwert um seine Hüfte, er nahm das Zeichen des Erlösers auf seinen Mantel und zog mit der begeisterten Schaar den Gefahren und dem Ruhm entgegen. Meine Bitten und die Thränen seines Weibes waren zu schwach, ihn zurückzuhalten, sein entbrannter Eifer riß ihn aus unsern Armen. – Ach Himmel! ich hoffte damals noch, ihn zu unsrer Freude einst wieder zu sehn, ich ahndete Gefahren für ihn, aber nicht jene 115 traurigen Vorfälle, die mich um alle Freuden meines Lebens betrogen haben.

Wir erwarteten jetzt vergeblich einen Boten, unsre bange Ungeduld ließ uns tausend Unfälle fürchten, so wie sie uns stets wieder mit neuer Hoffnung nährte. Eine Woche nach der andern, ein Monat nach dem andern verfloß, ohne daß unsre Erwartung auf irgend eine Art befriedigt wurde. Wir vernahmen zwar, daß schon auf dem Wege nach dem gelobten Lande tausendfältiges Ungemach die Kreuzfahrer getroffen, sie waren von wilden Horden angefallen und dem Elend und jedem Mangel Preis gegeben, der größte Theil von ihnen hatte sich in die Wälder zerstreut, um dort dem Hunger oder den wilden Thieren zur Beute zu werden; aber wir hatten keine Nachricht, die meinen Bruder besonders betraf, und wir mußten uns an den Gedanken gewöhnen, daß auch er zu der großen Anzahl jener Unglücklichen gehöre. Seine verlassene Wittwe weinte täglich um ihn, sie hörte nur wenig auf die Trostgründe, die ohne Kraft aus dem wehmüthigen Herzen eines leidenden Bruders kamen.

Fünf lange kummervolle Jahre waren uns so unter Klagen und Thränen verflossen, als ich auf einem Turniere die Tochter Wilhelms von Orlaburg sahe. O Ritter, laßt mich bei diesem glänzenden Zeitpunkte meines Lebens einen Augenblick verweilen, daß ich meinen Geist an der schönen Vergangenheit labe. Ach mir ging ein reizender Frühling auf, aber der Winter kam finstrer zu meinem Herzen zurück, keine Blume ist mir aus jenen sonnigten Tagen übrig geblieben, alle hat ein schadenfroher Sturmwind gepflückt. – Ida von Orlaburg war das reizendste weibliche Geschöpf, 116 anmuthig und voll Majestät, ihre hohe Gestalt forderte von jedermann Verehrung, und ihre Menschenliebe gewann ihr alle Herzen. Sie verband die Liebenswürdigkeit des Weibes mit dem Adel der männlichen Stärke.

Sie sahe auf dem Turniere ihres Vaters Klara, ihre Seele ward von dem tiefen Kummer angezogen, der aus den Blicken des verlassenen Weibes sprach; Freundschaften werden im Unglück am schnellsten und festesten geschlossen. Beide sahen sich häufig, sie liebten sich wie zwei Schwestern, die mit einander aufgewachsen, sich keinen Gedanken verschweigen, und als Ida's Vater starb, hatte Klara ihre Freundin als einen beständigen Gast in ihrer Burg. Ida war's, die ihr endlich die Thränen von den mattgeweinten Augen trocknete, die sie wieder beim Aufgang der Sonne lächeln lehrte, und die mir endlich, da ich sie so oft sah, mein Herz und meine Ruhe raubte.

Ich erfuhr alle Quaalen und Seligkeiten der Liebe, meine Nächte waren schlaflos, meine Tage ohne Rast, schöner lag die Welt vor meinen Blicken da, allenthalben blühten Reize und Lieblichkeiten unter meinen Fußtritten auf, eine stürmende Sehnsucht drängte mich zu ihr hin, und doch klopfte in ihrer Gegenwart mein Herz noch ungestümer.

Bin ich nicht ein Kind, zu dir so weitschweifig von meinen Thorheiten zu reden? – Nach einigen Monden entdeckte ich ihr meine Liebe, sie versicherte mich mit einer Engelsstimme ihrer Zuneigung, wir wurden verlobt und – wer konnte mein Glück mit mir empfinden? – nach zweien Monaten ward unsre Vermälung festgesetzt. – Wie zählte ich jeden Tag und jede Stunde! 117 der Strom der Zeit floß mir mit verdrüßlicher Trägheit vorüber, ich wünschte ihn im schäumenden Sturze meinen Füßen vorüberrollen zu sehn. –

Jetzt erhielten wir endlich einen Boten, der uns Nachrichten von meinem Bruder brachte. Es war ein Ritter aus Spanien, der ihn in Afrika gesehn hatte. Corsaren hatten das Schiff, mit welchem er reiste, erobert, und ihn als Sklaven nach Tunis verkauft, man hatte für seine Freiheit ein sehr hohes Lösegeld festgesetzt.

Wir waren über diese Nachricht mehr erfreut als betrübt, weil wir seinen Tod schon als gewiß angenommen hatten. Klara trocknete sich jetzt die Thränen von den Augen und überließ sich ihrer Freude. Sie brachte, so schnell als möglich, die verlangte Summe zusammen, und machte sich fertig, ihrem Manne selbst entgegen zu reisen.

Der fremde Ritter reiste nämlich nach Spanien zurück, in seiner Gesellschaft wollte sich Klara auf den Weg machen, und Ida faßte den Entschluß, in Ritterskleidern ihre Freundin, von der sie sich unmöglich trennen könne, zu begleiten.

Meine dringenden Bitten waren vergebens, ich mußte endlich ihrem beiderseitigen Verlangen nachgeben; der junge Sohn meines Bruders ward der Aufsicht eines Klosters anvertraut. – Sie reisten ab, ahndungsvoll sah ihnen mein thränendes Auge nach.

Wie brannt' ich vor Begierde, sie zu begleiten, aber ich war in eine Fehde verwickelt, ich hatte einem Freunde meine Hülfe zugesagt, und mein gegebenes Wort hielt mich in Deutschland zurück. – Ach! zur unglücklichen Stunde reisten sie ab, ich sahe sie seitdem nicht wieder.

118 Von diesem Augenblicke fängt der schwarze Theil meines Lebenslaufes an. – Ich war in der Fehde glücklich. – O, wär' ich doch unter dem Schwerte eines Feindes niedergesunken, um nicht von jahrelangen Martern gefoltert zu werden, um den fürchterlichen Stunden zu entgehn, in denen ich zuerst – o vergieb mir diese Thränen, sie fließen noch oft dem Andenken meiner Ida und meines Bruders, das Alter kann uns nicht so abstumpfen, daß der Schmerz nicht zuweilen mit neuer Gewalt in unsere Brust zurückkehrte.

Auf dem Wege bekam Ida den unglücklichen Gedanken, sich meinem Bruder nicht zu entdecken, bis sie alle in ihr Vaterland zurückgekommen wären, um ihn dann als meine Braut desto freudiger zu überraschen. – Sie kamen in Spanien an, und sandten die verlangte Summe nach Tunis. Mein Bruder ward frei; auf den Flügeln der Sehnsucht eilte er über's Meer, er fand seine Gattin wieder, und vergaß an ihrem Halse in einem Augenblick des Entzückens die Leiden, die er seit Jahren erduldet hatte.

Ida ward ihm bald darauf als ein Freund vorgestellt; er empfing sie mit Zärtlichkeit, und genoß einige Tage, in der Nähe seiner Gattin, ein Glück, das er so lange hatte entbehren müssen. Bald aber wurzelten seine Augen auf Ida, er bemerkte die Zärtlichkeit zwischen ihr und seiner Gattin, und ein Verdacht schlich in seine Seele. – Sie ist mir untreu geworden! rief er aus, wenn er allein war; sie theilt ihr Herz zwischen mir und diesem verhaßten Fremdling!

Er beobachtete nun Beide genauer als vorher, und glaubte bald seinen Argwohn gerechtfertigt zu sehn; er glaubte Liebe zu entdecken, welche zu verheimlichen, beide 119 nicht einmal bemüht wären. Er ward nach und nach kälter gegen seine Gattin, und verheimlichte ihr die Wunde, die sie seinem Herzen geschlagen hatte, indeß sie unbefangen und ohne Furcht ihre Liebe fast gleich zwischen ihren Gemal und ihrer Freundin vertheilte.

Die Eifersucht wüthete im Herzen meines Bruders, er fing an Klara und ihren Begleiter zu hassen, er gab jeder Miene und jeder Bewegung Bedeutung, die innre Wuth raubte ihm den Schlaf, oder sein Argwohn schreckte ihn in verhaßten Träumen.

Darum also bin ich über Meere gekommen? sprach er, wenn er allein war; dies ist meine Freude des Wiedersehns? Dies sind also die Freuden meiner Liebe? Ich bin gekommen, um wüthende Schmerzen einzusammeln, an der Seite eines treulosen Weibes seh' ich meine Heimath wieder, und sie kömmt mir selbst entgegen, um mir recht früh ihre Frechheit und ihre gebrochenen Eide anzukündigen!

Er machte einen alten Knappen zum Vertrauten seines Grams, beide beobachteten nun mit unermüdeter Aufmerksamkeit die beiden Freundinnen. Sie sahen tausend Beweise der vermeinten Untreue, ohne den wahren Zusammenhang der Sache auch nur zu vermuthen, die Wuth meines Bruders stieg immer höher, und ein schwarzer Entschluß fing endlich an in seiner Seele reif zu werden. –

Er war mit ihnen und seinem vertrauten Diener auf einem kleinen Nachen, der Mond war aufgegangen, und das Schiff trieb langsam den ruhigen Strom hinunter; er saß kalt und ohne Bewußtsein neben Klara, die ihre Hand in die seinige legte. Mit einem prüfenden Blick sah' er ihr in's Auge, ihr Gemal war ihr fremd, sie 120 schlug scheu die Augen nieder. Ida hatte die andre Hand seiner Gemalin ergriffen. –

Verrätherin! rief er plötzlich, – Betrügerin, die du mit der Ruhe eines Mannes, mit Treue und Schwüren spielst. – Ach, sein guter Geist trat zurück; er stieß knirschend den Dolch in Klara's Busen, Ida sank ohnmächtig an der Seite ihrer Freundin nieder, er nahm den blutigen Dolch, hob' ihn schäumend auf, – und traf auch das Herz meiner Ida. –

Die sterbende Klara entdeckte ihm seinen schrecklichen Irrthum. – Ihr Blut schwamm den Strom hinab, – ihr Auge brach. Er stand lange wie betäubt, dann sprang er in den Fluß, ohne Bewußtsein schwamm er an's Land, taub und stumm, ohne Gefühl und Klagen trat er seine Rückkehr nach Deutschland an. –

So hatte denn ein unglücklicher Scherz alle meine Freuden und Hoffnungen zertrümmert: ich stand indeß am Fenster der Burg und harrte auf die Rückkehr meiner Geliebten. Ich sprang aus meinem Nachdenken oft auf, wenn ich den Hufschlag eines Rosses vernahm, mein Auge sah starr über das Feld und die Berge hin, ein freudiger Schauder ergriff mich, wenn ich in der Ferne eine weibliche Gestalt wahrnahm.

Endlich kam ein Ritter auf einem schwarzen Rosse herangesprengt: es war mein Bruder, – aber ach! ich hatte mich vergebens gefreut. Sein Gesicht war verfallen, seine Augen rollten wild, sein Herz klopfte ungestüm.

Wo ist Ida und Klara? rief ich aus.

Eine Thräne antwortete mir, er hing stumm an meinem Halse. – »Im Grabe,« sprach er endlich unter heftigem Schluchzen.

O Himmel, es waren fürchterliche Stunden, die ich 121 damals durchlebte! – Meine Faust zuckte, mein Herz zog sich krampfhaft zusammen, eine Stimme flüsterte mir leise Mord und Rache zu, – aber ich sah das Elend meines Bruders, ich vergab ihm, und wohl mir, daß ich es that!

O hätte er sich nur selber vergeben. Aber sein Unglück und sein Verbrechen stand bei Tage und in der Nacht vor seiner Seele. Klara kam zu ihm in seinen Träumen zurück, und zeigte ihm den Dolch, an dem das Blut ihres Herzens klebte, – er lächelte seitdem nicht wieder.

Ich bin zum grimmigsten Elende verdammt, rief er, indem er meine Hand ergriff; auch jenseits werd' ich keine Ruhe finden, mein Geist wird umherirren und Klara suchen, und sie niemals finden, eine fürchterliche Zukunft schleppt sich mir langsam vorüber; – ach Bruder! auch im Tod' ist keine Hoffnung mehr für mich.

Mein Herz war gebrochen, aber mein Leben war jetzt dazu bestimmt, ihn zu trösten; wir verließen die Burg und legten die Ritterkleidung ab, ein heiliges Gewand bedeckte uns, so wallfahrtete ich mit meinem Bruder durch Wälder und über einsame Fluren, bis uns endlich diese Höhle aufnahm.

Er stand oft Tage lang an jenem Strom und sahe starr in die Wellen hinein, selbst in der Nacht war er zuweilen dort, und saß auf einem abgerissenen Felsenstück, seine Thränen rannen in den Fluß, mein Trost war vergebens.

Endlich entdeckte er mir, Klara sei ihm im Traum erschienen, sie könne sich nicht eher versöhnen, habe sie ihm angekündigt, bis ihr Blut den kleinen Strom herunterschwimme: darum sitze er nun an jenem Ufer, zähle und beobachte jede Welle, um die Blutstropfen 122 wiederzufinden, die in jener unglücklichen Stunde aus ihrem Herzen sprangen.

Ich weinte, als ich den Wahnsinn meines Bruders sah', ich wollte diesen Gedanken von ihm entfernen, aber unmöglich. – Ach! rief er aus, und im fernen Spanien ist ihr Blut vergossen worden, es floß den Strom hinunter, in's Meer hinab, – wie lange soll es nun währen, ehe es zu den Quellen bis hieher zurückkehrt?

Er verließ nun fast den Bach nicht mehr; sein Schmerz so wie sein Wahnsinn, vermehrte sich mit jedem Tage, – endlich brach ihm das Herz. – Ich habe ihn hier bei meiner Höhle begraben.

Seitdem habe ich oft seinen Schatten am Strome sitzen sehn, er beobachtete noch immer die vorüberfließenden Wellen und seufzt leise: Sie kömmt nicht, sie kömmt nicht! – Ein Grauen hat mich jeglichesmal ergriffen, und ich bete bis zur Mitternachtsstunde für die Ruhe seines Geistes. –

Der Eremit schwieg jetzt, sah vor sich nieder, und betete still seinen Rosenkranz. Der Ritter hatte mit gespannter Aufmerksamkeit der Erzählung zugehört, und fragte nach einiger Zeit:

Und wo blieb der Sohn deines Bruders?

Wir suchten ihn, antwortete der Greis, vergebens im Kloster, er war den Mönchen heimlich entsprungen. –

Dein Name?

Warum siehst du mich so starr an? – Ulfo von Waldburg!

O mein Oheim! rief der Ritter, und warf sich an die Brust des erstaunten Einsiedlers. – Zweifelt nicht, rief er aus, ach! jene unglückliche Schattengestalt am Fluß, sie ist der Geist meines Vaters.

123 Deines Vaters, – der hieß –

Karl von Waldburg! – Ich entsprang den Mönchen, weil mir ihr einsames Kloster ein Gefängniß schien, – ich diente bei einem Ritter, – und jetzt hab' ich seit einigen Jahren meinen Vater und Euch gesucht!

O mein Sohn! rief der Greis, und schloß ihn inniger in seine Arme. – Ja, du bist's! Ich kenne dich an diesem Auge, dies sind die Züge deines Vaters, seine braunen Locken.

O mein unglücklicher Vater! seufzte der Jüngling. – Könnt' ich seinem irrenden Geiste Ruhe schaffen! O könnten meine Gebete den Himmel und den Schatten meiner Mutter versöhnen! –

Er stand nachdenkend und mit gefalteten Händen. – Oheim! rief er aus, – wenn ich den Sinn des Traumes recht deutete, wenn der Geist meiner Mutter den Elenden auf mich verwiesen hätte! – O kommt! –

Sie verließen die Höhle. – Wolken hingen vor dem Monde, eine heilige Stille war über die Welt ausgegossen, sie traten wie in einen Tempel in den einsamen Wald. – Karl kniete auf den Grabhügel seines Vaters.

Geist meines Vaters, betete er mit Inbrunst – höre deinen Sohn, – höre deinen Sohn, o Mutter! und du, gütiger Himmel! laß mein Flehen nicht unerfüllt. Schenke dem Unglücklichen Ruhe, laß in diesem Grabe den furchtbaren Pilger eine Herberge finden. – O laß mich von dir vernehmen, Geist meines Vaters, ob ich den Sinn der Weissagung faßte; o würdige mich eines Winkes, ob du mit dem Geiste meiner Mutter ausgesöhnt bist. –

Wie der Wiederhall einer leisen Flöte flüsterte es in den Wipfeln, zwei glänzende Erscheinungen sanken herab, 124 in einander geschlungen. Sie kamen näher. – Wir sind versöhnt! wehte eine überirdische Stimme, zwei Hände streckten sie über den Knieenden, wie ein sanfter Wind flogen die Worte über ihn hin: Sei bieder! –

Eine Wolke trat vor dem Monde zurück, die Erscheinungen zerflossen in den hellen Silberglanz. – Mit frohem Erstaunen sahen ihnen lange die beiden Sterblichen nach. –

 


 


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