Ludwig Tieck
Ryno
Ludwig Tieck

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Tod war das einzige Gefühl, welches mit Ryno itzt tobte und spielte, dies der einzige Gedanke, der ihn wie ein gewappneter Riese mit allen Seelenkräften gefangen hielt. Er rang gegen die Stärke seines Feindes, wand sich unter den Qualen des Lebens, welches lachend ihm seinen Wermut bot, aber er zitterte vor dem Gedanken, zu sterben. Er wollte lieber geneckt sein von der schadenfrohen Gottheit, als sich dem Riesen in die Arme stürzen, dessen kleinste Fiber ihn zermalmt hätte.

Donner rollten furchtbarer, Blitze durchkreuzten leuchtender die schwarzen Wolken, die Stürme jagten sich lauter durch die Tannenwälder. »Nein, ich will leben!« rief Ryno, dessen Mut das Geräusch der empörten Natur wieder aufgerichtet hatte; »leben und glücklich sein, wie Malwina und Carno es ist! Ja, wahrlich, ich will es; und – müßt ich auch werden, wie sie sind!« Tränen stürzten häufig aus seinen Augen, ein Fieberfrost lief zitternd über seinen ganzen Leib. »O ich will vor meinem Bruder hinstürzen, er soll mein Freund, mein Bruder werden, er soll Ryno sich ähnlich machen! Tondal soll mich wieder lieben! Ich will mich nicht mehr über Unglück freuen, ich will glücklich und tugendhaft sein!«

Eine lange Pause, welche er endlich durch ein schallendes Gelächter unterbrach.

»Tugendhaft?« rief er, »Ryno! Aberwitziger! Das Kind zittert vor der Strafe und gelobt Besserung, der Mann verachtet sie! Entschluß und Tat kosteten ihn mehr als ihr Schmerz. Ha! Tugend und Biederkeit! Diese Schmuckbilder entnervter kraftloser Heuchler soll ich ehren? Ehren, was ich verlachte? Und Todesangst soll das vermögen? Welcher Geist denkt die Marter, die mich zwingt, nicht mehr Ryno zu sein? Und wenn ich mich unterwerfe, wenn ich feige nachgäbe, würden sie mir glauben? Würden sie Ryno vertrauen? Nein, Mißtrauen und Haß, das fühl ich, schlagen so tiefe Wurzeln, daß sie nur mit dem Herzen zugleich aus der Brust gerissen werden können; sie würden mich hassen, verachten, und, bei den Göttern, das sollen sie nicht! Es gibt noch andere Burgen, noch andere Mädchen! Was Vater, Bruder und Vaterland! Malwina ist nicht die einzige ihres Geschlechts! Nein, die Brücke ist hinter mir abgehoben; ich kann nur vorwärts eilen, und das will ich, ich will glücklich sein, ohne irgend einem den Stolz zu gönnen, zu sehen, daß Ryno sich ändern könne! Niemand soll sehen, daß ich mir selbst mißfiel; niemand soll Ryno einen gemeinen Menschen schelten! Selbstgefühl halte mein Herz aufrecht! Ich will fortfahren, wie ich begann; ich will in den Armen der Wollust schwelgen, Jahre an dem Busen der Freude vorüberrauschen lassen, den morden, der mich in dem Genuß meines Glückes stören will! Ryno soll sich selbst nicht verleugnen! So will ich mir treu bleiben und glücklich sein. Ich fodere das Schicksal und die Götter auf, mich unglücklich zu machen; sie können es nicht! In meiner Hand steht mein Glück und Unglück; ich selbst bin mir alles!«

»Alles?« fuhr er nach einer Pause fort, »alles? Ach nein! das bist du nicht! Du wirst einsam durch die Welt wandeln, du, weder Mensch noch Tier, der einzige deiner Art! Kein Freundeskuß, kein Freundeshandschlag wird dir entgegenkommen; du wirst dich in keiner andern Seele mit Wohlgefallen spiegeln, du bist der einzige deiner Art! Du wirst niemand lieben, und von niemand geliebt werden, du hassest die Welt, und sie verabscheut dich, alle deine Wünsche werden nach dem Schatten eines Ziels laufen, alle deine Kräfte im unnützen Kampfe ringen! Du stehst vor einem breiten Strom, vor deinen Augen eine angenehme Insel, die Sonne geht hinter dir unter, und streut Gold auf alle Blumen des Eilandes; du wünschest dich hinüber, aber nur dein verlängerter Schatten reicht über den Strom, du kommst nie hinüber! Ist die Sonne untergegangen, dann kommt die Nacht, die ewige Nacht!«

»O ihr Götter, laßt mich ein Wesen meiner Art finden, das mich verstehe, mich liebe, und ich lache eurer und eurer Strafe, und ich bin unter Qualen, die euch vernichten könnten, noch glücklich!«

»O Dunkan, Dunkan! Wie konntest du mich verlassen? Wo bist du? Ständest du noch zu meiner Seite, wir wollten beide der Menschheit den Rücken kehren, den schauerlichen Bund unserer Seelen fürchterlich halten! Gleich gräßlichen Unholden wollten wir über Leichname stolz unsere Bahn fortwandeln, Blut sollte unsere Fersen waschen, Schädel sollten unsere Trinkmuscheln, und Sterbegewinsel unsere Tafelfreuden, und Krämpfe und Zuckungen langsam Erwürgter unsere Ergötzlichkeit sein, wenn die Langeweile uns in ihre bleiernen Banden legen wollte! Ja, das sollten sie, aber – – ha! was schwärme ich? Ich bin ja allein! Dunkan war ein Mensch wie alle andere, nicht wert des leisesten Freundschaftsdruckes dieser Hand! Er ward bundbrüchig; Eigennutz band ihn an mich, nicht Gleichheit! Oder tue ich dir Unrecht, hält dich die Verwesung in ihrer dumpfen Halle? – Bist du tot? – – tot? – Dann will ich dir in das Grab dein Versprechen nachschreien, dich an deine Verheißung gebieterisch erinnern! O Dunkan, Dunkan! komm! Ryno, der schreckliche Ryno, ladet dich ein!«

»Ich komme«, schallte es aus tiefer Ferne entsetzlich durch alle Gemächer. »Ich komme!« sagte Ryno leise nach, und fühlte, wie sein Haar sich aufrichtete. »Du kommst? Warum denn dieser bange, wimmernde Ton?«

Es brauste wie Windesfittich durch die Halle, wie Gewänder rauschte es die Mauern hinab, es flüsterte über Rynos Haupt. Plötzlich sank das Rauschen hinter den Mauern hinab, und eine Totenstille folgte.

Es flimmerte durch die Ritzen der Tür wie ein Sternenstreif, wie ein einzelner Strahl des Mondes, der aus dem Wolkenschleier durch die grüne Nacht des Waldes schießt. Dumpf dröhnten langsam gezogene Schritte, und leise kreischend schlich der Riegel in seine Krampen.

Die Tür öffnete sich langsam beim Schein eines Blitzstrahls, und Dunkan stand in der Tür; er winkte Ryno mit stummer Gebärde. Ryno erhob sich und wollte auf die Gestalt zustürzen, aber Schauder lagerten sich zwischen ihn und das bleiche, bebende Bild; mit eiskalten Armen riß es ihn zurück. Er stand in der Ferne, starrte mit aufgerissenen Augen auf Dunkan hin und rief: »Dunkan, Dunkan! Bist du es! Sprich, rede! Sprich zu deinem Ryno! Ewig verflucht seist du dieses Stillschweigens wegen, womit du deinen Ryno ängstigst! Sprich! Welch ein matter Schimmer fließt aus deiner Gestalt! Wie? Wunden in der Brust? Ha, entsetzlich! Du bist Dunkans Geist!«

Er stürzte zurück und verhüllte sein Haupt. Sonderbar schrecklich war ihm das Gefühl, daß er jetzt vor Dunkan zittre, mit dem er sonst so brüderlich vertraut gewesen war. Schüchtern schlug er endlich die Augen wieder auf, zu sehen, ob der Schrecken noch in der geöffneten Tür stehe, und er stand noch da. Dunkans Augen rollten wie dämmernde Sterne gräßlich in den tiefen Höhlen umher, seine Züge waren zornig. Er wallte hin und her, wie vom Winde getrieben, und unablässig winkte seine Rechte.

Rynos Seele kämpfte einen entsetzlichen Kampf. In einem Augenblick schien ihm diese Erscheinung sein alter Freund Dunkan zu sein, und schon setzte er den Fuß vorwärts, ihm zu folgen; dann wagte er es, ihn genauer anzublicken, und plötzlich ward ihm das Bild fremd und noch schrecklicher. Schnell und zitternd zog er dann seinen Fuß zurück, als hätte ihn eine Schlange gestochen. Dunkan winkte noch immer. Wie eine Welle hob sich Rynos Brust und sank wieder; wie Wasserfälle brauste es um ihn her, Feuer tanzten vor seinen Augen mit roter Glut, und es war ihm, als zischten Drachen hinter ihm her, die klingend mit den grauen Schuppenflügeln rauschten, und die flammenden Schweife über die Decke herspreizten.

»Ich folge dir!« rief er im Wahnsinn. Er schritt vorwärts; der Geist wallte voran, gleich einer furchtbaren Gewitterwolke, die vor einem Sturme hergeht. Beide gingen durch die Hallen, die Stiegen der Burg hinab. Das Schweigen ging vor ihnen her, der Schreck schlich ihnen mit leisen Schritten nach. Die Wände glühten in einer blassen, schimmernden Glut, wenn Dunkans Geist vorüberschlüpfte, und Ryno folgte ihm, ohne zu wissen, was er tat.

»Horch!« so tönte es aus einem Zimmer, wo Ryno vorüberging; »horch, was schleicht da vor der Tür vorüber? Mich schaudert, mein Carno!« Es war die Stimme Malwinas, die sich fester und inniger an ihren Liebling schloß. Ryno hörte die Stimme, sie war ihm, was dem Zerschmetterten, der langsam auf dem Rade sein Leben verstöhnt, in der Nacht der ferne Ton einer Hirtenflöte ist. Er drängte sich an die Tür, aus welcher dieser sanfte Laut hervorgebrochen war; er hoffte Schutz oder zum wenigsten einen Genossen seines kalten Entsetzens, der seine haarsträubenden Erwartungen teilte. Mit Kampf schlich er weiter.

Vor dem Tor der Burg kam ihm sein liebster Jagdhund entgegen; aber kaum war er seinem Herrn nahe, als er schnell mit heulendem Gewinsel entfloh, als hätte er Moder und Leichenduft gewittert. Ryno wünschte ein Wesen bei sich zu haben, seine Blicke eilten ihm ängstlich nach, aber sie verirrten sich in der Dunkelheit der Nacht, und kehrten, von allmächtigem Zauber zurückgerissen, auf den vor ihm schwebenden gräßlichen Schimmer zurück.

Die Nacht wehte Ryno mit Regengestöber entgegen. Donner rollten leise hinter den fernen Gebirgen, Blitze schossen durch die düstern Pfade mit bleichem Schimmer. Ryno folgte dem leitenden Geiste über die Fluren, die ihm so bekannt waren, die er so oft beim Jagen durchirrt hatte. Wie Gefecht tönte es um sein Ohr, wie Schild an Schild und Schwert an Schwert geschlagen, so umklirrte es ihn und betäubte seine Seele. Vor seinen Augen schwammen Dunstgebilde von Kriegern auf Wolkenrossen wie Nebel vorüber, sie schwangen strahlende Schwerter, schüttelten die lichten Helmbüsche, und blickten verächtlich auf ihn, der durch sie hinwankte wie ein ehrloser Flüchtling. Er bückte sich vor ihrem Zorn, zuckte unwillkürlich unter den Luftstreichen, und knirschte.

Itzt stand er auf der Spitze des Felsens, der die ganze umliegende Gegend übersah. Er blickte nach der Burg zurück, und sah in der schwarzen Steinmasse nur noch ein Fenster erleuchtet, er glaubte in dem Schein aus der Ferne Malwinas Gestalt zu entdecken, und erwachte aus seiner Betäubung, um in eine noch tiefere zu versinken.

Ein neues empörendes Bild blühte vor seinen glühenden Sinnen auf. Noch lag schwarz und düster, wie Felsen, die Burg Toskars da. Im Augenblicke rollte sich die dunkle Hülle wie ein Gewölk auf, und eine glänzende Königsfeste trat aus der Nacht hervor. Wie eine sonnenbeglänzte Eiskoppe stand sie da in tausendfarbigem Schimmer, um sie her ein anmutiger Hain, in dessen Tauperlen der Morgen sich spiegelte. Sonnen rollten auf den Turmspitzen ihre strahlenschießende Scheibe, Sterne schossen vom Gebälk und den Zinnen herab ihren zuckenden Schein; ihr Schimmer floß in sanften Wellenbiegungen um das Gesims und um die Bogenfenster her. Trommeln und Hörner tönten aus der Burg, Pauken wirbelten ihren Donner in ihre Stimmen, und sanfte Flöten unterbrachen mit bescheidnem Ton das Prunkgetöse. In schimmernden Gewändern wandelten Diener über den langen Altan, und breiteten weiche Teppiche hin, Mädchen bestreuten sie tanzend mit Blumen; und lauter tönten Hörner und Trommeten, lauter rollten die Donner der Pauken und sanfter lispelten die Flöten darein.

In ein goldenes Feiergewand gekleidet, mit dem Purpurmantel umhangen, die Krone auf dem Haupte, trat Carno gebieterisch mit sanfter Würde daher, an der zitternden Hand der Königin Malwina. Silbern floß ein langer Bart ihm über die Brust, glänzendweiß lagen die Haare um seine Schläfe und wiegten sich in kleinen Locken; Blässe war über sein Angesicht hingebreitet, das Feuer der Augen flammte zum letzten Male auf. Ein Sohn stand zur Rechten des Königs, blühende Kinder im Kreise um ihn her, unten auf den breiten Stufen der Burg lag ein glückliches Volk, welches zitterte, den letzten Segensblick des besten Königs zu sehen.

Ryno wandte den Blick knirschend von dem Schauspiel; aber Dunkans Geist hob die Hand gebieterisch auf, und gehorsam folgten ihr Rynos Blicke.

Carno nahm die Krone vom Haupt, und setzte sie seinem Sohne auf, dann sank er in Malwinas Arme; ihr Kuß schloß sein Auge, und fing seinen letzten Seufzer auf. Das Volk um die Burg her schluchzte in Wehklagen. – Das Gesicht verschwand.

Ryno zitterte. »Dies sein Tod? – Und der meine?«

»Weh! Weh! Du gehst in den Tod!« so rief eine Stimme dumpf aus der Tiefe des Tals hervor; und wie Gespenster stiegen ihm Qual und Seelenangst entgegen. Schon wollte er seinen Fuß zur schnellen Flucht wenden, als Dunkans Geist zusammenschauerte und versank. Ryno tat unwillkürlich einen Schritt vorwärts, und stürzte zerschmettert von dem Gipfel des Felsens in das tiefe Tal hinab. – – Noch ein banges Wimmern von unten empor; dann gräßliche Totenstille.


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