Ludwig Tieck
Leben und Tod des kleinen Rothkäppchens
Ludwig Tieck

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Erste Scene.

Stube.

Die Großmutter sitzt und lies't.
Ist heute gar ein schöner Tag,
An dem man gern Gott dienen mag,
Das Wetter ist hell, scheint die Sonne herein,
Da muß das Herz andächtig sein.
Ich höre von ferne das Geläute,
Es ist ein lieblicher Sonntag heute,
Vor dem Fenster die Bäume sich rauschend neigen,
Als wollten sie sich gottsfürchtig bezeigen.
Ich wohn allhier vom Dorf abseitig,
Sonst ging ich gern zur Kirche zeitig,
Doch ich bin alt, dazu krank gewesen,
Da thu ich im lieben Gesangbuch lesen,
Der Herr muß damit zufrieden sich geben,
Eine arme Frau kann nicht mehr thun eben. –
        Gähnt und macht das Buch zu.
Ach Gott! so geht es in der Welt!
Ja, ja, es ist recht schlimm bestellt.
Meine Tochter Elsbeth backt heute Kuchen,
Da wird mich wohl klein Rothkäppchen besuchen.
Es geht die Thür oder es ist der Wind,
Ich glaube da kommt das kleine Kind.

Rothkäppchen tritt herein.

Rothkäppchen. Guten Morgen, lieb' Großmutter, wie geht es dir?

Großmutter. Großen Dank, mein Kind, es geht so so – was matt.

Rothkäppchen. Ich kam so sachtchen durch die Thür;
Ich dachte: wenn sie nicht gut geschlafen hat,
So mag sie wohl jezt ein bischen nicken,
Da mußt du sie nicht aus dem Schlummer wecken.

Großmutter. Ich bin schon heut früh munter gewesen
Und habe in Gottes Wort gelesen.

Rothkäppchen. Du bist recht fromm. Die Mutter hat heut
Einen schönen großen Kuchen gebacken,
Da schickt sie dir auch ein Stück.

Großmutter.                                         Du liebe Zeit!
Ei, Dank, mein Kind! Der schaut recht wacker.
Wo sind denn die lieben Eltern dein?

Rothkäppchen. Sie werden jezt in der Kirche sein.
Ich ging vorbei, die Orgel klung
Recht lustig, der Kanter mächtig sung.
Mit der Kirch ist es heut besonders bewendt,
Es predigt drin der Superdent,
Der Pastor ist noch krank, deswegen
Ists heute drin recht dick voll Leut;
Sie meinen, der könnte recht den Text auslegen. –
Du hast ja schönen frischen Sand gestreut.

Großmutter. Man muß doch auch wissen, daß Sonntag ist,
Sonst lebt man wie'n Heide und nicht wie ein Christ.

Rothkäppchen. Sie haben mich auch heute weiß angezogen,
Sieh nur die bunten Blumen, das neue Kleid!
Dem Käppchen bin ich besonders gewogen,
Das du mir schenktest zur Weihnachtszeit.
Sie sagen alle, es thäte Noth,
Daß ich das Käppchen ließe liegen
Und es nicht alle Tage trüge;
Aber es geht doch keine Farbe über Roth.

Großmutter. Ei, liebes Kind, trag du sie dreist,
Ich hab sie dir geschenkt zum heiligen Christ,
Sie kleidt dich hübsch, und wie du weißt,
Du seitdem Rothkäppchen geheißen bist;
Ist die aufgetragen, schafft man wohl Rath zu 'ner neuen.

Rothkäppchen. Wie wollt ich mich von Herzen freuen,
Wenn sie mich erst könnten konfirmiren!
Dazu mußt du mir wieder 'ne rothe Kappe schenken.

Großmutter. Daran ist jezt noch nicht zu denken,
Du bist kaum sieben Jahr, da führen
Sie noch kein Kind an den Tisch des Herrn,
Da können sie noch nichts von Religion verstehn,
Du dürftest auch nicht in 'ner rothen Mütze gehn,
Müßtest schwarz und ehrbar dich tragen,
Einen Muff, 'nen hohen Kragen;
Das kann Gott der Herr nicht vertragen,
Daß man zu ihm wie zum Tanzboden springt,
Sein Wort mit rothen Mützen in der Kirche singt.

Rothkäppchen. Bin doch schon so in die Kirche gegangen,
Und hat mir keiner was drum gethan.

Großmutter. Als Kind ist dirs so hingegangen,
Die Unmünd'gen sieht er so genau nicht an.

Rothkäppchen. Was hat aber Gott an so schönen rothen Mützen
Denn so gar großes auszusetzen?

Großmutter. Ei schweig, du böses Kind! Vor der Hand
Hast du davon noch keinen Verstand;
Wer da will in sein Himmelreich eingehen,
Muß sich wohl zu schwereren Dingen verstehen.
Ließe mich Gott nur so lange leben,
Daß ich dir zum Abendmahl könnt' ein Müffchen schenken!
Doch ist daran nicht zu gedenken,
Ich muß wohl bald den Geist aufgeben.

Rothkäppchen. Großmutter, nein, das thut nicht Noth.

Großmutter. Hin geht die Zeit, her kommt der Tod. –
Ich befehle mich in deine Hände! –
Wer weiß, wie nahe mir mein Ende.

Rothkäppchen. Großmutterchen, willst du mich lieben,
Mußt du mich auch nicht so betrüben.
Du sollst noch recht hübsch bei mir bleiben,
Wir wollen uns noch schön die Zeit vertreiben;
Ein andermal bring ich mein Püppchen mit,
Da sollst du gewiß brav lustig werden.

Großmutter. Ach, liebes Kind, auf dieser Erden
Ist man vom Grab oft nur zwei Schritt,
Und meint, man soll noch weit gelangen. –
Sieh, wie schön der Kuchen ausgegangen.
Was macht denn der Vater? Warum kömmt er nicht mal her?

Rothkäppchen. Er hats in den Beinen, das Gehn wird ihm schwer,
Das eine Knie ist ganz geschwollen.

Großmutter. Da hätt' er was zu brauchen sollen.

Rothkäppchen. Er hat auch mancherlei eingenommen,
Doch will es ihm nicht recht bekommen.
Der Kantor meint, vom Trinken käm es,
Das müßt er lassen bei Medicin;
Doch will er sich dazu nicht bequemen,
Er sagt, der Kantor vexire ihn,
Der tränke wohl dreimal mehr als er,
Und hätte doch keine Beine schwer.

Großmutter. Die bösen Leut'! Der Branntewein
Muß immer ihre erste Freude sein.

Rothkäppchen. Ja, es hat manchen Zank gesetzt;
Aber die Mutter hat Recht, denn sie versetzt,
Das Trinken wär ihm an Arbeit hinderlich.
Der Vater ist ganz bös und wunderlich.

Großmutter. Sei still, mein Tochter, es schickt sich weder,
Daß Kinder dergleichen merken noch reden.

Rothkäppchen. Das hat ihm Mutter auch zu Gemüth geführt,
Daß er sich nicht ein bischen vor mir genirt,
Wenn er des Abends betrunken heime schwärmt
Und ohne Ursach zankt und lärmt. –
Ich habe dir schöne Blumen mitgebracht,
Bald hätt' ich daran nicht gedacht,
Es lacht von rother Blüte der ganze Wald,
Von tausend Vögeln das ganze grüne Dickicht schallt.

Großmutter. Ei sieh, wie du in deiner Tasche fast
Die lieben Blümchen ganz zerknittert hast!
Du bist und bleibst ein wildes Ding.

Rothkäppchen. Als ich so auf dem Fußsteig ging,
Wars, als hätt ich sie pflücken müssen,
So lachten sie zu meinen Füßen;
Ich dachte, du könntest sie vors Fenster stellen. –
Horch, was müssen denn wohl die Hunde so bellen?

Großmutter. Man spricht, daß sich seit ein'gen Tagen
Ein Wolf hier zeigt, den mögen sie wohl jagen.

Rothkäppchen. Hier ist es recht lustig vor deinem Haus,
So dicht am Fenster der Wald da draus,
Vögel springen und singen ohne Rast
Und zwitschern munter von Ast zu Ast;
Magst du wohl die kleinen Vöglein leiden?

Großmutter. Ich sehe sie an mit vielen Freuden,
Sie sind schon immer recht frühe munter
Und singen den grünen Wald hinunter,
Sie musiziren mit solcher Pracht,
Daß einem das Herz im Leibe lacht.

Rothkäppchen. Was ist das für ein Baum da, dessen Blätter
So hastig flispern, als wenn sie zittern?

Großmutter. Der wird der Espenbaum genannt.

Rothkäppchen. Aha! Mir ist ein Sprichwort bekannt:
Er zittert wie 'ne Espe; das kommt daher!
Wovon zittert aber wohl der Baum so sehr?

Großmutter. Das will ich dir gern sagen, mein Kind,
Nur schlag es nicht gleich wieder in den Wind:
Als unser Herr Christus in Menschengestalt
Hatt' auf der Erde seinen Aufenthalt,
Da wandelt' er oft durch Berg und Wald.

Rothkäppchen. Er hat auch in der Wüsten gereist
Und da fünf tausend Mann gespeist;
Dann hat er viele Quaal erfahren,
Ist endlich gar gen Himmel gefahren.

Großmutter. Recht! es ist viel in deinen Jahren,
Daß du schon so viel Gottes Wort weißt.

Rothkäppchen. Im Katechismus steht es Wort für Wort.

Großmutter. Herr Christus reiste von Ort zu Ort,
Seine Lehr zu predigen, Kranke zu heilen,
Und uns sein Evangelium zu ertheilen.
So ging er auch einst durch einen Wald,
Die Bäum' erkannten ihn alsbald,
In ihrer Unvernunft fingen sie an sich zu neigen
Und bis auf die Erde herunter zu beugen,
Rauschten dazu, als wenn sie grüßten
Und seine heiligen Fußstapfen küßten,
Die Eiche, die Buche, und wie man sie nennt,
Machen vor Gottes Sohn ihr schön Kompliment.
Wie sich nun jeder Baum in Demuth wendt,
Sieht der Herr Jesus, daß das Espenholz
Grad aufrecht steht in seinem dummen Stolz,
Ihm auch durchaus will keine Ehr erzeigen,
Den steifen Rücken nicht zur Demuth neigen.
Da sprach der Herr: du willst mich nicht begrüßen,
Du stellst dich an, als wär ich nicht zugegen,
Dafür sollst du beständig rauschen müssen
Und dich in allen deinen Zweigen regen,
Und selbst im allerstillsten Wetter
Mit deinen grünen Läubern zittern!
Die Angst befiel den Baum, als er so sprach,
Er zittert fort bis an den jüngsten Tag.

Rothkäppchen. Ja, ja, wer nicht bei Zeiten hört, der fühle! –
Leb wohl, ich geh zurück, noch ist es kühle.

Großmutter. Mein Kind, eh du dich nun entfernt,
Sing noch das Lied, das du gelernt.

Rothkäppchen singt.
    Misekätzchen ging spazieren
    Auf dem Dach am hellen Tag,
    Macht sich an den Taubenschlag,
    Eine Taub' zu attrapiren.
                                Miau! Miau!
    Schlüpft wohl in das Loch hinein,
    Aber kaum ist sie darein,
    Ist der Appetit vergangen:
    Eine Falle, siehst du, fällt,
    Für den Marder aufgestellt,
    Und das Kätzchen muß drin hangen,
    Und im Sterben schreit sie: trau
    Nicht auf Diebstahl je, Miau!

Großmutter. Das ist ein schönes Lied, das nimm in Acht,
Untugend hat noch nie was eingebracht. –
Grüß deine Mutter, ich lasse mich bedanken,
Daß sie nicht vergißt die Alten und Kranken.

Rothkäppchen. Leb wohl, Großmutter! ich komme wohl wieder,
Und bringe Nachmittag noch Essen herüber. geht.

Großmutter. Da läßt der Ruschel die Hofthür auf!
Nun kann jeder zu mir den Hof hinauf;
Sie bleibt so wild wie sie nur war
Und kömmt doch in die erwachsene Jahr:
Doch hat es eben nichts zu bedeuten,
Es kömmt ja keiner zu mir heute.
Es ist wahr, nichts über das Mädchen geht,
Und wie ihr das rothe Mützchen steht!



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