Ludwig Tieck
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Ludwig Tieck

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Wallroß hatte eine Zeitlang seine kürzlich erworbenen literarischen Freunde beinahe vor aller Welt versteckt gehalten. Diese Bekanntschaft hatte ihn so gefesselt, diese ihm so neuen Kenntnisse, welche ihm mitgetheilt worden, hatten ihn so berauscht, daß er seinen Mitbürgern diese Offenbarungen nicht gönnte, oder sie ihnen wenigstens durch seinen eignen Mund verkünden wollte. Als sich diese nun in ihrem Erstaunen gesättigt hatten und seiner hohen Bildung schon gewöhnt waren, dachte er darauf, seine Schützlinge den andern Menschen zu zeigen, und sich mit ihnen zu schmücken. Er hatte die Schriftsteller in einem kleinen Landhause vor der Stadt einquartiert, wo er sie täglich besuchte und gleichsam ein privatissimum bei ihnen hörte. Er war anfangs darüber verwundert, wie schnell man zur Höhe der Bildung gelangen und sogar seine ganze Zeit überragen könne. Er prägte sich jene Formeln der neusten Philosophie ein und konnte nun leicht für einen Schüler derselben gelten, wenige Redensarten machten ihn zum Politiker, und statt der Kritik dienten einige Kraftausdrücke der Verachtung. Der Brownianismus war schon eine liebliche Abkürzung im Studium 376 der Medizin, aber in unsern Tagen giebt es die Homöopathie noch viel wohlfeiler, und es ist nicht abzusehn, warum ein Laye nicht in wenigen Tagen zum Doktor sollte kreirt werden können. Die edle Wasserkur scheint einen noch kürzeren Weg zu gehen und so erfahren wir mit jedem Tage in allen Wissenschaften mehr (Maschinen, Dampf-Anstalten, Eisenbahnen ausgenommen), daß ernstes Studium, Wissen, Forschen und dergleichen völlig überflüssig sind.

So meinte wenigstens Wallroß, der sich ohne Mühwaltung, ohne Bücher oder Aufsitzen und Sinnen und Studiren bei nächtlicher Lampe durch einen starken, elastischen Aufhub und Nachschub seiner Genossen über alle jene altfränkischen Schwierigkeiten, wie aus dem Mörser die Bombe, hinübergeschleudert sah.

Jetzt saßen die drei Freunde im Saal jenes Gasthofes, in welchem sich Lindhorst und Amsel zuerst getroffen hatten. Wallroß wollte ihnen so wie seinen Bekannten in der Stadt ein Fest geben und man erwartete in behaglichen Gesprächen jene, die, von mancherlei Geschäften abgehalten, ihre Ankunft verzögerten. Auch der Redakteur Wolfram war eingeladen. Wallroß hatte diesem, auf Zureden Lindhorsts, ein Kapital in seine Handlung gegeben, um sein Geschäft erweitern zu können. Eine besondere Freude hatte sich der reiche Wallroß darin bereitet, mit dem Superintendenten zugleich den Küster einzuladen, der seither mit den dreien Gelehrten in besonderer Vertraulichkeit gelebt hatte.

Indem jetzt diese am offnen Fenster saßen, fuhr eine elegante Equipage vorüber. Eine Dame von ausgezeichneter Schönheit, von einer andern, die etwas jünger schien, begleitet, prangte im seidnen Kleide und mit einem kurzen himmelblauen Ueberwurfe geschmückt, im zierlichen Wagen. Wallroß lehnte sich weit aus dem Fenster, um dem 377 Fuhrwerke nachzusehen, und die Fremde lächelte, indem ihr Bewunderer sie höflich begrüßte. Als der Wagen um die Felsenecke verschwunden war, setzte sich Wallroß wieder nachdenklich in den Sessel, blieb stumm und fragte erst nach einer Pause: Kennt einer von euch, ihr lieben Brüder, dieses schöne Wesen? worauf Lindhorst sogleich das Wort nahm und ihm so erwiederte: Mir ist, lieber Freund, diese Dame sehr wohl bekannt. Sie heißt Elisa von der Mauer und stammt aus einem alten adligen Geschlecht, das sich bis in die Dunkelheit des Mittelalters hinaus verliert. Man kann von ihr sagen, daß sie das schönste Fräulein in der ganzen Provinz sei. Sie ist freundlich, liebevoll, geistreich und belesen, und mir kam schon gestern der Gedanke, daß diese herrliche Dame eine Frau für Dich seyn möchte, geliebter Wallroß, um Dein Leben zu verschönern und alle Deine Talente vollständig auszubilden.

Ach! seufzte Wallroß, an dergleichen darf ich wohl nicht denken. Sie ist zu schön und steht mir zu fern.

Deinem Geiste, Deiner Ausbildung, Deiner Persönlichkeit, wie Deinem Reichthum, sagte der Freund, ist kein Wunsch zu hoch, kein Besitz unerreichbar. Und, mein Geliebter, ich müßte mich wenig auf das menschliche Herz verstehen, oder Du hast bei diesem Vorüberfahren, das freilich nur einen kurzen Zeitraum einnahm, schon einen sehr bestimmten Eindruck auf sie gemacht. Sie erwiederte lächelnd Deinen Gruß, dort an der Ecke sahe sie sich noch einmal um, ja sie erhob sich sogar im Wagen, um Dich besser ins Auge zu fassen. Alle diese Symptome sprechen zu Deinem Vortheil, und – wer weiß – die Zukunft verbirgt Dir gewiß noch manchen Schatz und manche Freude, nur mußt Du selber Muth fassen, nicht geringe von Dir denken, Dein Glück kühn ergreifen, und Dich von der Ueberzeugung 378 begeistern lassen, daß für Dich auch das Allerbeste nicht zu gut sei. Der Mensch ist grade so viel, als er sich selber zu seyn erachtet.

Ganz gut, lieber Mann, sagte Wallroß, das klingt alles recht schön, ist aber schwer auszuführen.

Warum? rief Lindhorst aus: wärst Du der Erste in der Welt, der ein vornehmes, reiches und schönes Mädchen entführt hätte? Und diese nun gar! Du hast keine Vorstellung davon, wie sie sich aus ihrer Umgebung hinaussehnt, denn sie schmachtet in den fürchterlichsten Fesseln, die ihr so drückend sind, daß sie die Hand, selbst eine rohe und harte, küssen würde, welche sie löste und ihr die erwünschte Freiheit gäbe.

Wie hängt das zusammen? fragte der Neugierige.

Natürlich genug, wenn auch sonderbar, war die Antwort. Der Vater, einer der reichsten Edelleute, ist ohne Testament gestorben und hat zweien Söhnen nicht nur die unumschränkte Vollmacht über sein Vermögen gegeben, sondern ihnen auch die Erziehung, Aufsicht und das völlige Schicksal dieser Schwester anvertraut. Das wäre nun nicht so übel, denn dergleichen kömmt öfter vor; aber – diese Brüder sind der wahre Ausbund aller Schändlichkeit; Geiz, Habsucht, Grausamkeit, Lug und Trug und was man irgend schlechten Menschen nachsagen kann, hat die Natur in diesen beiden Bösewichtern vereinigt. Meineide schwören ist ihnen nur eine Kleinigkeit, ihre Handschrift ableugnen ein Scherz, und wenn sie in Italien lebten, würden sie gewiß ein Heer von Banditen in ihrem Solde haben, um all ihre abscheulichen Gelüste zu befriedigen. Sie selbst aber sind mit einer Riesenstärke begabt und hauen und schießen sich in Duellen wie die wildesten Räuber. Dabei ist ihr Anblick, ihr körperliches Wesen ebenso abschreckend, als die Erscheinung ihrer Schwester reizend und lieblich ist.

379 Bei dieser Schilderung wurde das Gesicht des aufmerksamen Wallroß immer länger, wodurch es einen so possirlichen Ausdruck bekam, daß Lindhorst auch endlich das Lachen nicht länger zurückhalten konnte und nachher ausrief: Dieses Verhältniß, Bruder, muß Dich aber mehr auffordern, als zurückschrecken. Denn Du kommst ja dadurch in die Stellung eines poetisch-romantisch irrenden Ritters der Vorzeit, dem es aufgegeben ist, eine verzauberte Prinzessin aus ihrem Bann zu erlösen. Denn gegen diese arme Schwester richten jene abscheulichen Brüder alle ihre List und Bosheit. Ein uralter, widerwärtiger Präsident, welcher der Familie mehrmals Summen vorgeschossen hat, soll nehmlich Elisen heirathen. Daß sie sich weigert und mit allen ihren Kräften diesem Plane widersetzt, versteht sich von selbst. Der alte Freier aber ist auch noch nicht ganz mit dieser verruchten Kabale einverstanden, denn es handelt sich darum, daß er die Schwester nicht nur ohne alle Aussteuer heirathen, sondern auch noch jenes große Kapital soll schwinden lassen, welches er in Zeiten der Noth, als es dem Vater an baarem Gelde gebrach, hergegeben hat. Daß der Alte, so verliebt er auch seyn mag, sich etwas dagegen sträubt, ist leicht zu ermessen, um so mehr, da diese Brüder noch die Bedingung hinzufügen, der Präsident solle ihnen Beiden, vermöge seines Einflusses, ansehnliche und einträgliche Stellen verschaffen. So stehen nun die Sachen dort, so weit ich mir von ihnen die Kenntniß habe verschaffen können.

Wallroß war nachdenkend geworden und sagte endlich: Ich sehe wohl, daß, wenn ein wohlhabender Mann das schöne Mädchen auch ohne alle Aussteuer nehmen wollte, die verruchten Menschen, diese Brüder, ihre Einwilligung niemals geben würden, vorzüglich da ich nicht einmal von Adel 380 bin, auch außerdem in keiner so hohen Stellung, um ihnen Vortheile vom Staate verschaffen zu können.

Brechen wir jetzt ab, sagte Lindhorst schnell, denn ich sehe da schon unsern Küster kommen, und kein Mensch darf von unsern Projekten und Gesprächen etwas erfahren, denn dadurch allein schon würden alle etwanigen Plane vernichtet werden.

Mit bestäubten Schuhen trat der schnell wandernde Küster Emmeran ein. Er freute sich, daß er der erste des Städtchens sei, welcher angelangt war, weil er, wie er erzählte, sehr leicht in Verlegenheit geriethe, wenn er eine große beisammenstehende oder sitzende Gesellschaft als Eintretender begrüßen sollte. Nicht lange, so kam ein Wagen angefahren, aus welchem der Superintendent, der Bürgermeister und der angesehene Kaufmann Enikel stiegen, sie verwunderten sich allerdings über die Gegenwart des Küsters, welcher aber, da er von Wallroß auffallend beschützt wurde, seine Haltung ihnen gegenüber nicht verlor. Zu Pferde trabte jetzt der Redakteur Wolfram herbei, und man begab sich in das Speisezimmer.

Wir erreichen, da wir acht sind, beinahe die Zahl der Musen, bemerkte Amsel, als die Gesellschaft an der Tafel Platz genommen hatte.

So verlangten es die Griechen, sagte der Küster Emmeran, höher durfte, behaupteten sie, die Gesellschaft nicht steigen, wenn die Grazien oder Musen zugegen bleiben sollten: daher nicht unter Drei, nicht über Neun. Wäre ich der Zehnte, und es hätte sich nicht ändern lassen, so würde ich freilich diesen Grundsatz nicht unbedingt loben.

Der Superintendent, welcher am obern Ende des Tisches neben dem Bürgermeister saß, schoß einen schrägen Blick zum Sprechenden hinüber, der diesem als Regulativ hieroglyphisch 381 für die ganze Tischzeit dienen sollte, nur etwa zu sprechen, wenn er gefragt würde; der übermüthige Küster fing aber diesen bedeutsamen, inhaltschweren Blick mit dem Schilde eines leichtsinnigen Lachens auf, so daß der Strahl unwirksam und ohne zu zünden in den Suppenteller des Geistlichen niederfiel, indem der Küster mit noch stärker erhobener Stimme bemerkte: So können uns also diese erleuchteten Griechen in allen Dingen zum Muster und Vorbild dienen, und wenn es mir heute ganz besonders schmecken wird, so habe ich es auch ihnen zu danken, indem ich, wie sie attisch und republikanisch gesinnt es liebten, die Stände zu vermischen, die Ehre habe, im Symposion mit meinem ehrwürdigen Herrn Superintendenten mein dialogisirendes Gemüth anmuthig zu mengen und zu mischen.

Lindhorst lachte ganz laut, und Wallroß sagte: Gut gegeben, Emmeran, ich glaube, daß Sie jetzt einer der gelehrtesten Männer in Deutschland sind; denn so weit ist der anmaßliche Unterschied der Stände doch wohl gebrochen, daß Ihre Stellung als Küster oder Schulmeister keinen Zweifel an Ihren Vorzügen erregen darf.

Custos, sagte der Küster, sollte als Wächter, Schildwacht, Verwahrer und Behüter des Wissens schon an sich eine ehrenvolle Stellung bedeuten. So war es auch in älteren Zeiten, wie ich aus manchem alten Buch beweisen könnte, wenn es sich der Mühe verlohnte.

Der Superintendent sprach heimlich zum Bürgermeister, welcher neben ihm saß, und so wurde auf diese Behauptung nichts erwiedert.

Der Kaufmann Enikel wendete sich zu Wolfram und fragte nach den neusten Erscheinungen der Literatur: Wir stiften jetzt, antwortete dieser, das wichtigste Blatt, welches wohl jemals mag erschienen seyn. Es umfaßt nicht weniger, 382 als alles menschliche Wissen, oder alles Dasjenige, was zu wissen und zu kennen würdig ist.

So ist es, rief Lindhorst, ihn lebhaft unterbrechend, und ich freue mich, daß die Anordnung der Gegenstände, so wie die wichtigsten Artikel von mir herrühren, damit meinen Landsleuten endlich die Augen geöffnet werden und sie lernen, was ihnen in diesen wichtigen Tagen heilsam und nothwendig ist.

Richtig! sagte Wallroß, mein Freund Lindhorst ist der einzige Mann, der einer solchen Aufgabe gewachsen ist. Ei was! wir leben in ganz andern Zuständen. Jetzt ist die Rede nicht mehr von deutscher Literatur, ja nicht einmal von einer europäischen. Welt-Literatur, so heißt es jetzt. Es ist einem gefühlvollen Manne, der mit seiner Zeit lebt, fast so zu Muthe, als wenn der Erdglobus selber zu enge würde. Wer weiß, was die nahe Zukunft noch hervorbringt.

Ja wohl, ja wohl, fing jetzt Amsel mit einem kläglich winselnden Tone an: Wer weiß! das ist überall jetzt die große Frage. Wer weiß denn noch etwas, oder auch, was dasselbe ist, wo lebt das Wesen, das nicht wüßte! Alles und Nichts wissen wir, denn dieser scheinbare Widerspruch fällt in der höchsten Potenz zusammen.

Lindhorst sah sich erschreckt und besorgt nach seinem Gefährten um, er wollte erwiedern, als Wallroß so fortfuhr: Was haben wir nicht alles den neusten und allerneusten Entdeckungen zu danken! Chemie, Erdkunde, Ethnographie, Naturstudium, alles arbeitet sich in die Hände, und aus der Erkenntniß hier erwächst gleich von selbst wieder eine neue Erfindung, und so ins Unendliche fort. Vulkanismus! Das allein ist ja schon ein großes Wort. Aus der Anschauung allein läßt sich schon die Geschichte der Erde, so wie der Staaten begreifen. Es zeigt sich immer deutlicher, daß, je 383 tiefer man in die Erde hinein gräbt, je heißer es wird. Unten nach dem Mittelpunkt ist alles nur noch Feuer. Vesuv, Aetna, Hekla und andere kleinere Feuerspeier sind nur wie die Schornsteine, wie die Ventile von dieser großen Feuer-Anstalt anzusehen. Mit einem Wort, unsre ganze Erde ist nichts, als eine große Dampfmaschine, das haben wir endlich durch die große Erfindung dieses Lokomotives einsehen lernen. Oder wenigstens seh' ich es ein, da ich mir schmeicheln darf, diese Wahrheit zuerst entdeckt zu haben. Nun ist es ja von selbst begreiflich, woher unsre Erde die ungeheure Schnelligkeit hat, mit der sie, so rastlos um sich selber walzend, um die Sonne her rennt. Begreiflich, wie wir so wenig von dieser fortreißenden Bewegung etwas merken, daß wir erst durch Reflexion und vielfache Erfahrung und Beobachtung nach Tausende von Jahren auf diese Wahrheit haben kommen müssen. Nun bleibt es auch nicht mehr unbegreiflich, wie dieser ungeheure Dampfkessel wohl einmal springen und platzen kann und mithin das entstehn, was man den Untergang der Welt nennen möchte. Nun wird es sich zeigen, ob Stücke der geborstenen, umherflatternden Erde sich dann vielleicht dem Monde, oder der Sonne aneignen, oder ob dem jetzigen Globus noch so viel Centripetal-Kraft übrig bleibt, daß er nach dieser Revolution wieder zusammenspringt und sich nun in sich selber einfügt und einkeilt. Ich bin aber überzeugt, daß, wenn dieser bedeutende Moment unsrer Weltgeschichte eintritt, und das Centripetal übrig bleibt, die Erde dann das Inwendige herauskehrt und ihre jetzige Oberfläche nachher ihr Inneres wird. So verjüngt, führt sie dann ein neues Jünglingsleben und läßt neue Paradiese hervor wachsen, denn nun stehen die verborgenen schaffenden Kräfte oben an und regieren nicht mehr auf verborgene Weise, sondern das Mysterium ist klar 384 geworden und hat sich selber offenbaret, und die Trivialität der Oberfläche sinkt nun in den unsichtbaren Mittelpunkt zurück und spielt dort auf ihre Weise ein Geheimniß für jene schwachen Geister, die es noch bedürfen.

Das ist, sagte der Superintendent, eine ganz neue Ansicht vom jüngsten Tage, wie wir Geistlichen ihn nennen, oder dem Tage des Gerichts. Verträgt sich das aber mit allen unsern Ueberzeugungen und Hoffnungen?

Jetzt nahm Amsel das Wort und sagte beinahe weinend: Männchen! lieber Einsichtsvoller! das Alles haben wir ja längst abgeschafft. Kommen Sie uns doch nicht mit jenen Perückenzeiten, die noch weit jenseit dem Zopfe liegen. Fühlen Sie denn gar nicht einmal die Consequenz dieser Ansicht? Ich will die ungeheure Tiefe gar nicht einmal erwähnen, denn in diese reicht ein schwaches Auge nicht hinunter. Fühlen Sie denn nicht, daß nun aus dem hervorgebrochenen Wärmstoff hier oben bei uns alles edler und vollendeter seyn muß? Der Mensch ist nun endlich idealisirt, er ist selig, glücklich. Die Erde steht nun still und braucht nun nicht mehr zu laufen. Die Abhängigkeit von der Sonne, dieses dunkle und unbegreifliche, ja, um es mit dürren Worten zu sagen, dieses feudalistische Verhältniß ist nun aufgehoben, die Erde ist selbst Sonne. Alles Triviale, Mittelmäßige, Nüchterne treibt sich nun in der ehemaligen Oberfläche, jetzt in der Unterfläche, herum, dort sind jene Geister auf ihre Art glücklich, und dieses ist die Hölle oder die Verdammniß. Aber Geist gehört dazu, um den Geist zu fassen, und den giebt uns natürlich weder Stand noch Gelehrsamkeit.

Lindhorst war über seinen prophezeienden Freund erzürnt. O weh! sagte er zu sich selber, – da haben sie dem Biertrinker doch wieder eine Flasche starken Rheinweins 385 hingesetzt. Nun wird er weinend und klagend Unsinn schwatzen. Man denkt nicht an Alles, und jetzt ist es zu spät, eine Aenderung zu treffen.

Ja, ja, fing Amsel wieder an, dergleichen Anekdoten sind Ihnen Allen noch zu neu.

Anecdota, sagte der Küster; es freut einen in der Seele, ein so gemißbrauchtes und mißhandeltes Wort einmal wieder in seinem wahren Sinne anwenden zu hören.

Anekdoten! sagte der Kaufmann Enikel; ja, ja, recht hübsche Schnurren sind das, so – à la Münchhausen.

Der Geistliche wendete sich zum Bürgermeister und sagte heimlich: Es ist unter meiner Würde, mich mit diesen Burschen in einen Disput einzulassen. Hierauf nahm der würdige Bürgermeister selber das Wort und äußerte: Ich weiß nicht. wie dergleichen, meine Herren, noch mit unserer Religion, dem Christenthum bestehn kann.

Lindhorst eilte, etwas zu erwiedern, um Amsel zu verhindern, wieder einige Anekdoten zum Besten zu geben: Mein Herr, sagte er, wenn ich mich auch noch so milde ausdrücke, so muß ich dennoch behaupten, daß dieses Institut, welches wir das Christenthum oder unsre Religion nennen, in allen seinen Theilen völlig veraltet und für die Fortschritte der Zeiten völlig unbrauchbar geworden ist. Es kann seiner Regeneration nicht widerstreben, es muß dem bewegenden Sturme des Lebens nachgeben und sich in ganz neue Formen fügen, ja von Grund aus verwandeln. Es handelt sich nicht mehr um Gesetz, Glaubensartikel, Cultus und dergleichen, sondern die höchste Welt-Anschauung muß sich eben hier am kühnsten ausprägen. Die Geister, die ächt-religiösen, die die Menschheit erziehen werden, haben sich auch schon gemeldet. Und merkwürdig genug, daß aus dem kecksten Zweifel, aus der scheinbar völligen Vernichtung alles Geistes 386 und alles Göttlichen diese neue Offenbarung hervorspringen wird.

Und die sogenannte Kirche, setzte der Küster sanft lächelnd fort, wird zuerst einer neuen durchgreifenden Reformation unterliegen müssen, durch welche sie sich einzig und allein wieder erheben kann. Denn es ist klar, daß der niedrig gestellte Mann, in der Regel der thätige und wahrhaft-fromme, in Gehalt und Wirksamkeit viel zu schwach angesetzt ist Die Schulen müssen steigen, wie viel mehr der Schulmeister: dieser muß Sitz und Stimme bei den höchsten und wichtigsten Verhandlungen haben, denn er ist es allein, welcher das Volk kennt, von dem doch einzig und allein That, Kraft und ächte Wirksamkeit ausgehen soll. Aber es ist eine Schande, wie man allenthalben in der ganzen Christenheit die Küster behandelt. Ein Hund, welcher Stöcke aus dem Wasser apportiren muß, hat es besser: und doch soll der Zurückgesetzte die Jugend zu Engeln bilden. Einen Folianten könnte ich darüber schreiben, was ich in meinem kläglichen Amte schon ausgestanden habe.

Lassen wir das jetzt, fuhr Lindhorst fort, denn diese Ansichten der Religion möchten zu persönlich ausfallen und sich zu wenig zur ächten Welt-Anschauung erheben. Ich meine nur –

Welt-Anschauung! rief Amsel jetzt, indem er schon weinte. Ja, das ist das Wort! Kein Einfall, kein bon-mot, kein Epigramm darf es mehr geben, in welchem sich nicht die Totalität einer unermeßlichen Welt-Anschauung manifestirt. Und wie Bruder Wallroß in unserm Erdglobus nur eine Dampfmaschine oder einen Theekessel wahrnimmt, so kann ich keinen Theekessel, keine Kaffeekanne sehn, ohne mir das ganze Geheimniß, Struktur, Bau, noch mehr aber geistige Anspielung und Bezüglichkeit auf unsern Erdglobus, ja wohl 387 auf das Welt-All vielthätig zu vergegenwärtigen. Ist es nun ausgemacht, daß die Welt ein Nichts ist, weniger als ein Wurm: was bin Ich alsdann? Eben darum, weil ich so gar nichts bin, ein Alles, eine Totalität, indem mein Individuum in seiner Anschauung aus dem Ur-Nichts heraus zum Schöpfer, Gedanken, der Idee des Welt-Alls unmittelbar aus sich selber emporschwingt Und ohne weiteres Zuthun, als durch meinen kräftigen Willen, in welchem das A und O, Anfang und Ende ist.

Er legte sich hierauf mit dem Kopf zwischen beiden Armen auf den Tisch und weinte laut und heftig. Trösten Sie sich, rief der Superintendent, ein Sünder, welcher in sich geht, findet Gnade.

Aber ich verlange sie nicht! rief Amsel plötzlich erzürnt, indem er sich hoch aufrichtete. Gnade soll niemals statuirt werden, es ist ein aristokratisches, ein feudalistisches Wort: wer der Gnade bedarf oder sie wünscht, muß schon deswegen verurtheilt werden.

Ich habe es nicht böse gemeint, erwiederte der Geistliche, denn ich merke so viel, daß wir uns unter einander nie sonderlich verstehen werden.

Wie sich aber alles dies, fiel jetzt der Bürgermeister ein, mit Regierung und Obrigkeit vertragen wird, soll mich doch Wunder nehmen.

Die Regierungen, sagte Lindhorst ganz gelassen, werden aber schon völlig aufgehört haben, wenn diese allergrößten Aufgaben ins Leben treten, wenn man diese Mysterien in Scene setzen wird. Die Regierung, was man nehmlich jetzt so nennt, mochte für unreife, ungebildete Zeitalter nothwendig seyn, jetzt ist die Menschheit allenthalben diesen dürftigen Zwangs-Anstalten entwachsen, und was jetzt entstehen wird und muß, sind jene unbedingt freien Verfassungen, in welchen 388 das Volk sich selber regiert und als ein aufgeklärtes, sicheres, nur das Beste wollend, alle jene kostbaren Anstalten, in Civil, wie Militär, erspart, durch welche unsre Zustände jetzt ebenso verkümmert als vertheuert sind.

Das goldene Alter! sagte der korpulente Bürgermeister seufzend; wenn ich es nur noch erlebte! dann könnte ich meine ganze Zeit meinem Garten und Blumen widmen, oder noch mehr gute Gedichte und unterhaltende Geschichten und Erzählungen lesen.

Lesen! Gedichte! Wohl gar Liebesgedichte! rief jetzt Amsel wieder – also Sie glauben wirklich, daß sich jene idyllische Zeit unsers deutschen Volkes wiederholen könnte? Jene friedlichen Tage, in welchen jeder Hausvater, die Nachtmütze über die Ohren gezogen, hinter dem Ofen saß und sich etwa über Haller oder Utz den Kopf zerbrach? Wo die eifrigen Männer, die sich durch ihr Feuer auszeichneten, stritten, welche Erzählungen von Gesner oder Lichtwer und Gellert die besseren seien, und wo man über Daphnis oder Clarissa Thränen vergoß? die Damen sich Briefe schrieben und sich die Gefühle ihres Herzens und ihre Urtheile über Pamela mittheilten? Die Zeit der Bewegung, unser volksthümlicher Enthusiasmus hat alles das verweht, so wie ein heftiger Sturmwind es mit jenen Blumentöpfchen machen würde, die manche Leute noch immer so gern vor ihre Fenster stellen mögen. Und freilich möchte ich wieder darüber weinen. daß eine Zeit, die denn doch auch ihr Gutes hatte, so auf Ewigkeit untergegangen ist. – Er weinte wirklich.

Jetzt aber, fing der Kaufmann Enikel an, scheinen doch wenigstens zwei Autoren bei uns Deutschen für immer den Sieg davon getragen zu haben. Göthe und Schiller sind doch allgemein anerkannt und gelten für die Schriftsteller der Nation. Und diese, vorzüglich Göthe, haben doch auch 389 so Manches geschrieben und gesungen, was friedlich lautet und nicht in jene Kriegs-Arien hinein tönen will, die, wie Herr Amsel meint, das Einzige sind, was jetzt noth thut.

Hier nahm Wallroß wieder das Wort und sprach Folgendes aus: Mein Herr! Was Sie da sagen, ist nicht ganz ohne, weil in uns allen, im ganzen Volke, immer noch ein Rest jenes alten Sauerteiges steckt. Ist der erst jetzt ganz ausgeworfen oder verarbeitet, so werden auch für uns ganz andere Zeiten herauf leuchten. So viel kann ich Ihnen wenigstens als ganz etwas Gewisses sagen, daß (ihre großen Plane für die Zukunft abgerechnet) meine jungen literarischen Freunde hier ganz andere Gedichte, Romane und Tragödien aufzuweisen haben, als jene beiden Männer je haben anfertigen können. Es kann wohl seyn, daß die gegenwärtige Welt noch nicht ganz reif ist für diese ungeheuern Produktionen, aber wir werden es gewiß nicht verabsäumen, die Zeit dahin zu erziehen.

Jetzt blickte Wolfram, der Redakteur, forschend und zweifelnd zu Lindhorst hinüber, weil er sich einbildete, mit dessen Vorrath an dichterischen Manuscripten genau bekannt zu seyn, indem er mehr wie einmal es verweigert hatte, sie dem Druck zu übergeben. Lindhorst lächelte ihm entgegen und Wolfram begriff, daß hier ein lauter Widerspruch höchst unschicklich seyn würde und die Diskretion einer edlen Freundschaft eintreten müsse. Lindhorst sagte hierauf: Unser Freund Wallroß schlägt vielleicht unsre Talente zu hoch an. wann wäre die Freundschaft nicht partheiisch gewesen? Soll ich aber meine ganze Meinung über jene beiden berühmten Männer aussprechen, wie in einem vertrauten Kreise – –

Wie man eigentlich sagt: sub rosa, warf der Küster dazwischen.

So glaube ich, fuhr Jener fort, daß die Zeit gar nicht 390 mehr fern ist, in welcher man von der Ueberschätzung dieser Genien zurückkommen wird. Wir haben sie schon jetzt so ziemlich ausgekostet und ausgenossen. Sie waren Kinder und Zöglinge ihrer Zeit, und haben als solche denn auch jener kleingeistigen, engherzigen ihren Tribut bezahlen müssen. Wie konnte ihnen das große ächte Gestirn der Begeisterung aufgehen, da sie es noch gar nicht einmal wußten, daß es sich unter den Himmelsbildern befinde, es damals auch noch tief unter dem Horizonte ruhte? Unsre Welt beginnt erst jetzt, vorzüglich aber unsre Literatur, und so wird alles Bisherige, oder das Beste darunter künftig nur als Antiquität und Curiosum etwa gelten und den Neugierigen noch vorgezeigt werden. Sehn wir denn nicht schon die deutlichen Symptome und dürfen wir sie verkennen? Wo finden sich denn in allen den vielseitigen, oft weitschichtigen Schriften unsers Göthe solche Stellen, Ansichten, so viel Phantasie und Gedicht, als in jenen Briefen an ihn? Hier ist ja ein überreiches Füllhorn von Herrlichkeit, von so wahrhaft himmlischen und göttlichen Gefühlen und Phantasien ausgegossen, Glanz und Pracht und Innigkeit, und in einer Sprache, kurz alles so, wie es sich unser Alter nicht hätte können träumen lassen. Ja hier athmet und spricht schon die neue Zeit, die Zukunft, der ächte Zeitgeist.

Ja! rief jetzt Amsel begeistert, so ist es und so muß es seyn! – Sagt mal, Küster, was ist Eure Meinung über einen Punkt, über welchen die Theologen seit Jahrhunderten so vielen unnützen Streit geführt haben: was ist denn nun die Sünde gegen den heiligen Geist?

Der Superintendent sah hoch auf, warf dem Küster einen scharfen Blick zu und dieser schmunzelte verlegen. Diese Frage, sagte der Priester, ist wohl zu wichtig, um sie zum Gegenstand eines Tischgesprächs zu machen.

391 Und warum? rief Amsel von Neuem; in Luthers Tischreden kommt auch manches Tiefsinnige vor. Reden ist Reden und Worte sind Worte. Es ist auch zu verzeihen, wenn die Menschen bisher nicht wußten, was diese so verrufene Sünde sei: aber jetzt sollten es doch die Kinder auf den Gassen wissen.

Nun? fragte der Bürgermeister mit gespannter Neugierde, und der Superintendent schüttelte unwillig mit dem Kopfe.

Wer unsere Zeit und den Zeitgeist nicht anerkennt, schrie Amsel, wer uns nicht verehrt und an uns nicht glaubt, wer vollends gegen uns ist und etwa unsre Bestrebungen schilt oder verlacht, der begeht jene Sünde gegen den heiligen Geist, die niemals verziehen werden kann.

Ei, das ist mir lieb, sagte der Geistliche, daß man also jener fürchterlichen Sünde so leicht und bequem aus dem Wege gehen kann. Wenn sich aber zu Zeiten Herr Amsel selbst verachtet, wenn er sich ein Nichts und weniger als Nichts nennt, so verfällt er ja selber in jene unverzeihliche Sünde. Wie da ausgleichen? Wenn das Salz selber dumm wird, womit soll man salzen? Sie verzeihen, denn so ist unsre Uebersetzung jener Stelle, und ich will mit den Worten nichts Anzügliches gesagt haben.

Amsel war in einem Zustande, daß er kaum auf diese Rede achtete, aber Lindhorst wurde für ihn roth, konnte jedoch nicht sogleich eine irgend passende Antwort finden. Der Bürgermeister sagte: Wir sehn also ohngefähr so viel ein, daß wir alle hier und wohl unser ganzes Städtchen, ja vielleicht die ganze Provinz, und möglicherweise ganz Deutschland, ja Europa, noch sehr zurück sind und in arger verstockter Finsterniß liegen, die wenigen hellen Köpfe abgerechnet, die diese klaren, leicht faßlichen Wahrheiten 392 verbreiten. Glücklich wir Philister, daß wir in unserm Hausstand bei Frau und Kindern in stiller, glücklicher Ehe und in unsern Geschäften und Arbeiten unsern Frieden finden.

Sie sprechen von Ehe! rief Amsel von Neuem begeistert: Sie glauben also auch an dieses armselige Institut, wie es noch immer existirt? Das muß ebenfalls zusammenbrechen und erneuert werden, und Frauen und Mädchen ganz dieselben Rechte und Freiheiten wie die Männer genießen. Diese Fesseln, diese scheinbare Heiligkeit und sogenannte Treue, diese Unterthänigkeit des Weibes ist der jungen kräftigen Zeit nur hemmend und hinderlich. Nur dem Gewissen, dem Gefühl, der Liebe muß Alles anheimgestellt werden, und so wird sich entdecken, daß sehr oft im Treubruch die Treue, in der Verletzung die wahre ächte Ehe leuchtend aufgeht.

Man war am Schluß der Mahlzeit, und der Superintendent sagte mit lächelnder Miene: Unser Herr Amsel ist eigentlich ein gar lockerer Vogel, ein schlimmer Vogel, und die beiden Herren gemahnen mich an jenen Treufreund und Hoffegut in Göthe's Vögeln, ein Stück, welches jetzt wahrlich noch nicht veraltet ist, sondern wie jenes des uralten Aristophanes neue Bedeutung erhalten hat. Wir sind eigentlich, statt zu schmausen, heute beim Herrn Wallroß in die Schule gegangen und haben gelernt, daß die Erde eine Dampfmaschine sei, die wohl bald platzen kann, um dann das Paradies zu erschaffen, daß die Regierungen, Gesetze, Ehe und Verfassung zerstört werden müssen, daß wir keine Literatur haben und uns tagtäglich der Sünde gegen den heiligen Geist schuldig machen. Wir Alle hier, Herr Wallroß, sind aber zu alt zum Lernen, unsre Beine sind zu steif, um in dieser Manège und Turn-Anstalt diese urkräftigen Sprünge einzuüben und mitzumachen. Und so erlauben Sie uns wohl, 393 diese heutige Zusammenkunft als einen Abschiedsschmaus zu betrachten, damit wir nicht bei wiederholter Doktrin an einer schlimmen Indigestion gar verscheiden. Wir verstehn uns vielleicht besser, Herr Wallroß, wenn die Erde erst zersprungen und von einem geschickten Maschinisten wieder zusammengeleimt ist, oder auf einem andern Planeten, und bis dahin wollen wir Ihren Systemen und Verbesserungen und Reformationen Gedeihen wünschen, ohne uns als Winzer anzustellen, oder uns einzubilden, wir dürften aus der Rebe starken Rum, Rack und Branntwein keltern.

So verließen diese Spießbürger die Gesellschaft und das Haus, und es war nicht zu verkennen, daß Wallroß verlegen und Lindhorst verdrüßlich war, vorzüglich darüber, daß Amsel in seiner vom Wein erzeugten weinerlichen Trunkenheit seine Orakel und Prophezeiungen zu grob und nackt herausgestoßen hatte. Er wollte diesen auch zur Rede stellen, aber der Prophet lag schon auf dem Sopha und schlief fest und ruhig. Der Küster, welcher noch geblieben war, um den andern Gästen einen Vorsprung zu lassen, sagte: Aergern Sie sich, Freunde, nicht über diese Philister, die sich unmöglich zu uns hinauf ranken können; lassen Sie den guten Amsel schlafen, er hat heut wacker für die gute Sache gearbeitet und wie Simson in dies Philistervolk hineingehauen: er verdient die Ruhe, die er jetzt genießt.

Wolfram hatte sein Pferd vorführen lassen und begab sich nach seiner Heimath, einer Stadt, die in entgegengesetzter Richtung von jener lag, nach welcher der Bürgermeister, der Kaufmann und der Geistliche, jetzt als Meuter und erklärte Feinde der guten Sache, zurückfuhren. Auch der Küster nahm mit einigen aufgeklärten Redensarten Abschied, und als Lindhorst und Wallroß jetzt im Saale auf und ab wandelten, sagte dieser: Freund, mir ist doch etwas 394 bange geworden, wenn ich heut so encyclopädisch vortragen hörte, was alles, und zwar jetzt und binnen Kurzem in der Welt geschehen soll. Es ist beinahe zu viel, und das Gefäß wird überlaufen.

Spricht so einer der Eingeweihten? erwiederte Lindhorst. Du zweifeln? Zagen? Kleinmüthig werden? Du, dieser Riesengeist?

Man kann sich zuweilen, erwiederte Jener, solcher Empfindungen nicht erwehren. So beängstigt es mich jetzt auch, daß sich jener Verbindung mit der schönen Elisa zu große Schwierigkeiten entgegen stellen möchten. Sind ihre Brüder von der Brutalität und Bosheit, wie Du sie geschildert hast, so kann wohl gar aus diesem Wunsche Unglück entstehn. Und dann, – wenn sie sich selber gar nicht auf dergleichen einlassen will?

Mein Geist, antwortete Lindhorst, sagt mir, daß Alles gelingen und zu Deinem Glück ausschlagen wird.

Jetzt erwachte auch Amsel wieder, rieb sich die Augen und schloß sich den Gesprächen der beiden Freunde an. Im Schlaf, sagte er, sind mir wieder ganz neue Gedanken gekommen, die ich nächstens andeuten und zum Theil ausführen will. In diesem Schlummer-Zustande gerathe ich manchmal in ein gewisses Hellsehn, welches mir mehr offenbart, als mich alle Bücher lehren könnten. Nur ist es eine Kunst, so zu schlafen, daß man etwas Erkleckliches lernt. Zuweilen ist der Zustand beinah einem ordinären Müßiggang gleich zu stellen. Im ächten Schlaf aber steigt ein hoher Geist freundlich in den unsrigen, und beide Unsichtbaren führen dann ein Zweigespräch, das, wenn es ein Schnellschreiber gleich aufzeichnen könnte, wohl Alles übertreffen möchte, was wir bisher noch als Dichtung oder Philosophie besitzen.

395 Wie kann man nur, fragte Wallroß, zu solchem interessanten Schlafwesen gelangen?

Er ist ein Schwärmer, fiel Lindhorst ein: glaube mir, man kann sich auch einbilden, daß man sich etwas einbildet: es ist in uns wie Reflex von Reflex. Unbedeutender Schimmer.

Ihr werdet mir meine Erfahrungen nicht abstreiten, rief Amsel; es giebt auch schon ein altes Büchlein, in dem diese Materie abgehandelt ist, nur geht der Autor zu sehr damit um, die angenehmen oder tiefsinnigen Träume durch Nahrungsmittel oder Pflanzen, im Schlafzimmer aufgestellt, und dergleichen hervorzubringen.

Der Gedanke an sich ist aber nicht übel, antwortete Wallroß, und man sollte Experimente darüber machen.



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