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Es war in den ersten und heißesten Tagen des Julius, als die ganze Landschaft, Städte und Dörfer in unruhige Bewegung kamen. Die großen Feste, die der Lord Leicester seiner Königin Elisabeth in seinem Schlosse Kenelworth geben wollte, regten alle Menschen, selbst alte, träge und gebrechliche, auf, und Alle bestrebten sich, zu Fuße, zu Pferde oder in Wagen jene glückselige Gegend zu erreichen, wo durch Beschützung, Vordringen oder Zufall mehr oder minder von diesen Herrlichkeiten zu sehen war, welche die Phantasie Jedem mit den glänzendsten Farben vormalte.
Nur ein ruhiges, bürgerliches Haus in Stratford am Avon blieb, wie immer, still und geräuschlos, oder schien es wenigstens; denn von den Wünschen der Einwohner, oder der Unzufriedenheit des einen oder des andern durfte wenigstens nichts sichtbar werden. Der finstere, einsilbige Vater, dessen Melancholie mit jeder Woche zunahm, schüchterte seine Frau und Kinder so ein, daß die Geschäfte des Tages, die Gespräche, das Aus- und Eingehen, in der gewöhnlichen einförmigen und ermüdenden Ordnung blieben. Der junge eilfjährige Knabe, Wilhelm, hatte nicht den Muth, seine Bitten vorzubringen, ob er es gleich wußte, daß die Mutter ihn gern würde gewähren lassen.
Mürrisch, im Rechnen vertieft, war der Gatte ein Mann, ohngefähr von sechs und dreißig Jahren, und sein 6 Blick verfinsterte sich immer mehr, indem er ausstehende Schulden summirte, und fand, daß sie nicht die Summe erreichten, die er zu zahlen hatte. Die Frau saß an einem der Fenster, die alle, wegen der Hitze, offen standen, damit eine frische Luft die niedrigen Zimmer abkühlen möchte. Die Frau sah von ihrem Nähzeuge oft auf, und grüßte auf die Straße hinaus die Vorübergehenden, die lachend, scherzend oder singend fast alle in fröhlicher Wallfahrt nach Kenelworth begriffen waren.
Dieser Wollhandel, rief der Mann von den Büchern auf, verbreitet sich, wirft aber immer weniger Gewinn ab. Zeit kostet mich jedes Geschäft, weil ich es gründlich treibe, und ich bin es längst überdrüssig, daß ich die Stadtgeschäfte auch noch mit verwalten soll. Die andern Herren haben mehr Muße dazu. – Wer schreit so draußen?
Unser Gevatter Thomas Hathaway, sagte die Mutter freundlich. Ein lustiger Mann.
Ein Narr, brummte der Gatte verdrüßlich. Der hat Stimme und Brust für die ganze Welt; aber wenn er einmal Rath geben soll, der junge Mensch, so kann er kein Wort aufbringen.
Wilhelm, der Knabe, trat schüchtern herein, und setzte sich mit einem Buch in eine Ecke. Was willst Du? fragte der Vater. Die Geschwister, die kleinen, sagte der Knabe, sind mir oben zu unruhig, man kann keinen Gedanken zusammen halten.
Gedanken! wiederholte der Vater gedehnt; halte sie ja zusammen, das thut Dir noth. Bis jetzt hast Du deren noch wenige erjagt, und die wenigen haben auch bald wieder Reißaus genommen.
Es entstand eine tiefe Stille im Zimmer; der Vater rechnete, Wilhelm vertiefte sich in sein Buch, und der 7 Mutter Blicke ruhten lange und mit rührendem Ausdruck auf dem Antlitz des Kindes, dessen Wünsche vorzutragen, sie den Muth nicht finden konnte. Die hellbraunen Augen des Sohnes sahen zuweilen glänzend und bittend nach der Mutter; diese schüttelte aber mit dem Kopfe, als wenn es noch nicht Zeit sei, das große Geschäft in Gang zu bringen.
Herein! rief der Vater auffahrend. – Was poltert denn draußen so ungestüm herum?
Ich bin es, trefflicher Herr Shakspeare, antwortete eintretend ein junger, heiterer Mann. Es war derselbe Thomas Hathaway, der kurz zuvor laut singend an dem Fenster vorüber gegangen war. Stör' ich Euch? fuhr er fort. – Nein, sagte der Verdrüßliche, indem er mit finstrer Miene von seinen Büchern aufstand. Ich glaubte, Ihr wäret schon unterwegs.
Meine Schwester, antwortete der junge Mann, war mit ihrem Anzuge noch nicht fertig, wie es die Weibsleute denn einmal machen. – Nun, und Ihr? – Freilich weiß ich es schon, daß Ihr solche Thorenwanderungen, wie Ihr sie nennt, nicht mitmachen werdet.
Auf keinen Fall, sagte der Vater, auch wenn ich nicht, meiner Geschäfte wegen, wieder auf einige Tage nach Bristol müßte. Morgen reise ich ab, und komme erst nach vier Tagen wieder.
Um so besser trifft es sich ja, fuhr der junge heitere Mann fort, denn Ihr könnt nur noch weniger dagegen haben, uns Euern jungen Sohn mitzugeben, für den wir, wie für ein eigenes Kind, oder einen Bruder sorgen wollen.
Daraus wird nichts, antwortete der finstere Kaufmann: aber ich habe es schon seit einigen Tagen gemerkt, daß Ihr Alle, auch die Mutter mit eingerechnet, da hinaus wollt. 8 Der Junge lernt so nichts, Romane, Albernheiten erfüllen seinen ganzen Kopf; in der Schule ist er nicht fleißig. –
Die Schule ist ja für diese Woche aufgehoben, sagte Jener.
Einerlei! fuhr der Eifernde fort; es soll nicht seyn!
Die Mutter stand auf, und Thomas faßte die Hand des Mannes, indem er schmeichelnd sagte: Seht, Freund und Herr, solch Fest, von dem wir schon Manches versäumt haben, kommt wohl in Menschen-Altern nicht wieder in unsere Gegend. Was der große Lord Alles anstellt, ist unbeschreiblich und übertrifft Alles, was man nur erwarten kann. Es ist ja wahrlich, als wenn die alte Tafelrunde Arthurs wieder auflebte, wenigstens kann es dort nicht wundervoller hergegangen seyn.
Das ist es eben, sagte Shakspeare; dies weltliche, hoffärtige Treiben, dieses sündhafte Prunken und Pracht-Ausspielen, dieser Uebermuth der vornehmen, reichen Welt, – wie können wir, die wir von einem Tag zum andern sorgen müssen, doch daran nur ein Ergötzen finden, da uns diese unvernünftige Verschwendung nur mit Hohn unsre eigne Armuth vorwirft? Bitterkeit, Trübsinn, Haß und Ekel würde mir alle diese Leichtfertigkeit erregen, wenn ich gezwungen würde, auf irgend eine Weise Theil daran zu nehmen. Und die arme Landschaft, die gehetzt und geängstigt wird, um Lastvieh, Karren und Wagen, Lebensmittel und Getränk herbei zu schaffen! Vieles wird bezahlt und vergütet, – aber wie? Und wie vielen Hunderten geschieht von den hoffärtigen Dienern und Aufsehern Gewalt und Unrecht!
Theurer Mann, sagte der Jüngling, Ihr seid zu ernst für diese Welt, Ihr seht Alles nur darauf an, in wie fern es Euch und Andern Verdruß machen könnte. Die Pracht fährt auf ihrem Wagen der Begeisterung, vor dem Eitelkeit 9 und Hoffart angespannt sind, hin durch die grüne Sommerwelt, und die Dichtkunst erwacht in Wald und Flur, die Schalmeien klingen, Jung und Alt jubelt, und Keiner nimmt es im Rausch so genau, von woher die Freude kam, und ob sie Thorheit zu nennen sei. So besteht die Welt und geht bald frisch, bald träge vorwärts.
Ja, ja, murmelte der ältere Mann, Ihr verderbt mir den Burschen auch, und ebenso thut es die Mutter da, und Alle. Seht, das ist es eben. Was Ihr so meint und sprecht, und meine Frau, und zuweilen Eure sonst klügere Schwester, Johanne, – das ist jener Taumel, jener Wahn, aus dem uns alles Elend des Lebens kommt. Das Leben ist ernst und finster. Der Noth muß durch Erwerb, dem Laster durch Tugend und Aufopferung, dem Umsichgreifen jener Thorheit durch Wahrheit und Kraft entgegen gearbeitet werden. Wo das Volk, Adel und Fürst in Eurer Bahn gehen, da entsteht eben Gottlosigkeit, Tyrannei und aller Frevel. O ja, die Vorderseite des traurigen Gefängnisses sieht schmuck und einladend aus, – aber drinnen! So ist es mit Frankreich gegangen, das aus Italien und aus allen Ländern den weltlichen Uebermuth und Hoffart überkam, und Poesie, wie Ihr es nennt, und Ueppigkeit und Wollust aller Art. Seht nur hinüber! Ihr habt auch schon die fürchterliche Bartholomäusnacht vergessen, die uns Alle vor zwei, drittehalb Jahren so unendlich erschütterte. Nicht wahr, da wurde auch gelacht? Da gab es auch Hof-Feste? Und der junge Carl ist ein feiner Hofmann und Falkenjäger und Poet? Nicht? O Wahnsinn, Wahnsinn der Welt!
Es ist ja gut, erwiederte der junge Mann mit der größten Freundlichkeit, wenn Eures Gleichen, die ernsten Gemüther, das Ding wieder im Gleichgewicht erhalten.
Und was kommt bei Allem heraus? fuhr Jener im 10 Eifer fort. Vor zwei Jahren, als sie in Warwick das dumme Feuerwerk gaben, das bald die ganze Stadt in Brand gesetzt hätte, – wo die beiden alten armen Bürgersleute fast umkamen und nur eben noch nackt gerettet wurden, – konnt Ihr nicht Alle bei diesem unnützen Zeitvertreib zu Grunde gehn? – den Armen damals wurde zwar in etwas ihre verlorne Habe und ihr abgebranntes Häuslein ersetzt; aber wer konnte ihnen den Schreck und die Angst vergüten? Das Einzige, sie hatten das Glück, die huldreiche Königin zu sprechen, aus deren Munde sie Trost empfingen.
Ein schönes großes Mädchen, die zwanzig Jahr alt seyn mochte und in der Blüthe der Schönheit glänzte, steckte jetzt den Kopf durch die Thüre herein, indem sie froh lächelnd fragte: Darf ich?
Komm nur vollends herein, Hanne, rief ihr Thomas zu, und hilf uns unsern allzustrengen Freund besänftigen, der seine Einwilligung nicht geben will.
Das große Mädchen hüpfte herein und sagte, indem sie dem Kaufmann, dessen Miene etwas freundlicher geworden war, die weiße Hand auf die Schulter legte: Alter, lieber, grämlicher Herr, wann werde ich Euch denn einmal ohne die Runzeln auf der Stirn antreffen?
Narren, antwortete Shakspeare. Ihr denkt mich mit Euerm Liebkosen weichherzig zu machen, – aber – weit gefehlt. Mein Junge da hält schon das Ernste, Nützliche nicht hoch genug; immer finde ich ihn, daß er Tiraden aus seinen Dichtern auswendig lernt, und manchmal oben auf dem Boden schreit, was er aus der Kehle bringen kann. Laßt mich mit der ganzen Sache zufrieden. Das ist mir der fürchterlichste Gedanke, daß ein Kind von mir einmal so in die Lehre genommen würde, um in der Kapelle diese oder jene Stelle als Satyr oder Waldgott, Merkur und 11 Ganymed, oder was weiß ich, komödiantisch herzuspielen. Es scheint aber fast, daß nur zu viele junge Bursche Neigung zu dergleichen Unfug haben; doch unbegreiflich bleibt, wie verständige, christliche Eltern ihre Einwilligung zu dergleichen Aberwitz geben können.
Jetzt sah der Knabe hoch erröthend den Vater mit einem durchdringenden Blick an; er schlug die hellen Locken von der hohen weißen Stirn zurück, indeß die Röthe fliegend über diese hinzog. Nein, fuhr der Vater fort, ich weiß, William, daß so hoch Deine Dummheit nicht steigen wird; denn ich habe Dich zu gut erzogen, als daß Du so weit abirren könntest.
Und darum, Vater, sagte der Knabe, indem er sich freundlich an diesen drückte, gebt mir Eure gütige Erlaubniß zu diesem Hof-Fest. Wir sind nachher Alle wieder um so fleißiger.
Unser Oheim, fügte das Mädchen hinzu, der würdige Strange, geht auch mit uns, und hält uns Alle in Zucht; dessen ehrbare Frau und Schwester begleiten uns ebenfalls.
Kinder und Thoren! fuhr Shakspeare fast lachend heraus; nein William hat ja zu schwache Beine, er kommt ja nicht so weit.
Sie gehen langsam, sprach die Mutter dazwischen, die sich jetzt auch mit der bittenden Gruppe vereinigt hatte; er ist rüstiger und stärker, als er aussieht; ich habe meine Freude an ihm, so oft er sich im Freien bewegt und läuft, wozu er nur allzu selten Gelegenheit findet.
Johanne nahm den anmuthigen Knaben in den Arm und rief lachend: Vater Shakspeare! Ihr wißt ja, unser William ist mein Männchen, mein Schatz, er gehört mir eben so, wie Euch. Wir haben uns schon längst versprochen, und wenn ich nach Kenelworth laufe, so muß er nothwendig 12 mitgehen, damit er sieht, ob ich ihm dort auch nicht untreu werde.
William machte sich beschämt aus den Armen der Muthwilligen los. Laß das, Johanne, sagte er empfindlich, Du weißt, daß ich es nicht leiden kann. Ich bin für Dich zu jung, komm' ich in das Alter, wo ich an Heirathen denken kann, so hast Du schon erwachsene Kinder.
Bösewicht! rief sie im neckenden Zorn, und schlug ihn schalkhaft auf den Rücken, was sprichst Du mir von Kindern? Ich warte auf Dich und Deinen Verstand, und werde Deine Hausfrau und keines Andern. Sie küßte den Knaben, so sehr er sich auch sträubte. Ja, ja, Kindchen! fuhr sie in ihrem anmuthigen Tone fort, Du wirst sehen, daß Du mein Mann werden wirst, je früher, je besser, sobald Du nur erst die Schule hinter Dir hast; denn frühe Ehen sind immer die glücklichsten; auch muß ich noch nicht gar zu alt seyn, wenn Du mich als Bräutigam vor den Altar führst. Und der würdige, edle, tiefsinnige Herr Shakspeare, geborner, wahrer Edelmann, wird dann mein Schwiegerpapa und giebt mir gute Lehren. Wißt Ihr denn auch, ehrbarer Freund, was im Frühjahr unser Wilhelm für einen merkwürdigen Traum hatte, den er nur mir und der Mutter vertrauen durfte, und von dem Ihr vielleicht noch jetzt nichts wißt?
Träume, Schäume, sagte der Vater. Nun, was war es denn, da Ihr einmal davon sprecht?
Wilhelm, so antwortete sie, kaufte für sich und mich das herrliche Haus, das sie in unsrer kleinen Stadt nur das große Haus nennen, in der Hoch-Straße, der Kapelle gegenüber. Das richtete er schön und sauber ein; Ihr zogt mit der Mutter zu uns; Euer Adel wurde erneuert und Wilhelm ließ Euer Wappen, den Speer mit silberner Spitze im schrägen rothen Balken, über die Hausthür in Stein aushauen. 13 Das Haus war nun so kostbar und groß, daß die Königin einmal zu uns nach Stratford kam, eine Weile hier blieb, und keine bessere Wohnung als die unsre zu ihrer Residenz finden konnte.
Wirklich? träumt der Junge so anständige, vernünftige Sachen? sagte der Vater schmunzelnd, und – es sei! rief er freundlich. Und da Wilhelmchen doch gestern und heut so überaus fleißig gewesen ist, so soll der liebe Junge seinen Willen diesmal haben.
Alle waren froh, nur William selbst wandte sich schluchzend ab, ging in den Winkel, um sein weinend Gesicht zu verbergen, und sagte abgewandt: Ihr seid viel zu gut, Vater.
Nein, mein Sohn, antwortete dieser. Da liegt noch sein Buch, in welchem er so unablässig studirt hat, daß ich mich selbst darüber wundern mußte. – Er nahm das Buch in die Hand, blätterte und las, und warf es endlich mit dem Ausdruck der Wuth auf den Boden, indem er es mit den Füßen trat. Wilhelm hatte sich am Kamin niedergekauert und schluchzte laut.
Nein, rief der Vater mit einer Stimme, welche durch Wuth entstellt und ohnmächtig wurde; er ist und bleibt zeitlebens ein Taugenichts! Die Lehrer klagen über ihn, er versäumt die Schule und steht lieber auf der großen Brücke und guckt ins Wasser; Ammenmährchen läßt er sich erzählen und phantasirt über den Guy und Bevis, und Mutter und seine Braut oder Frau, wie sie sich nennt, verderben ihn in Grund und Boden. Ich denke, es ist seine Grammatik, oder sein lateinischer Autor, und es sind die Gedichte von dem verruchten leichtsinnigen Soldaten und Narren, dem Gascoign! Dieser Müßiggänger gehört auch zu den eitlen Thoren, die das Leben in Lüge, Trug und Phantasie vergeuden; erst hat 14 er Narrentheiding gedichtet, dann sich im Kriege in den Niederlanden als Soldat herumgetrieben, nun ist der große Held zurück gekommen, und ist Dichter, alter Dichter, das heißt Thor und Bettler von Neuem. Das verdammte Buch habe ich ihm schon einmal weggenommen, und immer wieder muß ich ihn über den Fratzen betreffen. Tam Arte, quam Marte, unterschreibt sich jetzt der alte Narr, nun er etwas Pulver gerochen, und wer weiß, wie viele schlechte Streiche ausgeübt hat. – Aber nur hinaus, Bösewicht! In das kleine Stübchen schließe ich Dich ein, und Du wirst nicht frei, bis ich von Bristol wiederkomme! Deine lateinischen Bücher nimmst Du mit, die Mutter bringt Dir Dein Essen hinaus, und Geschwister und Freunde sehen Dich nicht. Daß alle Deine lateinischen Exercizien fertig sind, wenn ich wiederkomme, darauf rechne ich, sonst werden wir uns noch anders sprechen.
Alle Vorbitten waren umsonst. Er führte den Knaben, den er heftig am Arm faßte, selbst hinaus und schloß ihn ein. –
Der Vater war noch vor Abend mit einem befreundeten Kaufmann aus der Stadt geritten. Die Wohlwollenden hatten Stratford noch nicht verlassen, Johanne hatte selbst den alten Strange vermocht, noch zu warten, weil ihr und dem Bruder die Sache zu wichtig schien, so daß sie noch mit der Mutter Kriegsrath halten wollten, deren schnellen Blick und halbes Wort sie beim Abschiede wohl verstanden hatten.
Der besorgten Mutter schien dieser häusliche Zwist so wichtig, daß sie um die Gesundheit, ja wohl um das Leben ihres geliebten Sohnes besorgt wurde. Die Freude und der plötzliche Schreck und Kummer drohten den zartgebauten und fein fühlenden Knaben auf das Tiefste zu erschüttern; einen so großen Schmerz hatte er bis dahin in seinem eng 15 umgränzten Leben noch nicht erfahren. Sie hatte ihn belauscht und vernommen, wie er in seinem Gefängnisse sich weinend und schluchzend, bald wüthend und dann wieder klagend auf dem Boden wälzte. Die Aussicht auf dieses Fest, die Hoffnung, an ihm Theil zu nehmen, hatten ihn zu sehr entzückt; ihm war, als wenn sein ganzes übriges Leben, nun dieses Glück ihm entwichen war, nicht mehr der Rede werth seyn könne.
Der Vater hatte sich in der Ueberzeugung entfernt, jene Thörichten seien schon auf dem Wege nach Kenelworth. Die Mutter sah Johannen und den Bruder des klugen Mädchens jetzt mit Freude und selbst Entzücken in das kühl gewordene, niedrige Zimmer treten; denn sie rechnete es den Freunden hoch an, daß sie ihrethalb und des Sohnes wegen noch in der Stadt geblieben waren.
Der Rath des muthigen Thomas ging da hinaus, daß man für diesesmal eine Ausnahme machen und den Befehl des zornigen Vaters nicht so unbedingt achten solle. Er habe dem Kinde einmal die Reise erlaubt; wenn das liebe Wesen sich in der Einsamkeit die Sache zu Gemüth zöge, so sei es noch schlimmer.
Johanne erschrak erst vor diesem Gedanken, gewöhnte sich aber bald an ihn, und meinte nur, es sei besser, den verdrüßlichen Vater bei der Meinung zu lassen, William sei immer eingeschlossen geblieben, da sie doch gewiß einen Tag früher als jener zurück kommen würden.
Die Mutter mußte ihnen für diese Liebe zu ihrem Sohne danken, nur ängstete sie die Vorstellung, eine Lüge so lange durchführen zu müssen, die doch nur allzu leicht erkannt und von irgend einem Bürger aus Stratford entdeckt werden könne. – Ihr seid dann, fuhr sie fort, nicht zugegen, und ist mein Mann John allzu schlimm, so geht Ihr fort, kommt 16 vielleicht gar nicht wieder zu uns, wenn er sich allzu ungebärdig erzeigen sollte. Dann bin ich mit ihm allein, und muß mir den Vorwurf machen, daß er mich mit Recht verachtet und mir zürnt; daß er mir nie mehr in meinem Leben trauen kann; daß ich diese Treulosigkeit mir bei jeder Gelegenheit muß vorwerfen lassen.
Nein, gute, liebe Freundin, rief Thomas aus, so soll es nicht werden. Nur den ersten Abend soll es verschwiegen bleiben, damit das Toben nicht sogleich über Euch ausbricht. Am Morgen nehmen wir ihn dann zum alten Ritter Lucy hinüber, auf den er so große Stücke hält. Ihr wißt ja, was so ein Edelmann aus altem und berühmtem Hause bei ihm gilt; der gütige Mann soll ihm dann die Sache zuerst vortragen und ihn auch zugleich begütigen. Dann ist Alles für immer vorbei, und Euer armer Sohn hat doch seine Freude genossen, es ist doch einmal ein wahrer Sonntag in sein finstres Leben gefallen, und er kann nachher den Unmuth des Alten wieder um so besser ertragen. Seid Ihr doch seine Mutter, die auch wohl ein Wort mitsprechen könnte, wenn der Vater nicht allzu tyrannisch wäre.
Sie gingen hinaus. Wilhelm saß blaß und verweint bei seinen Büchern. Wie ist es Dir, mein Sohn? fragte die Mutter.
Ich habe Unrecht, sagte der Knabe, aber der Vater auch. Fleißiger konnte ich seyn; aber er brauchte nicht so zornig zu werden. Und seht nur unten selber in dem lieben Buche nach, das er mit Füßen getreten hat: tam Arte, quam Mercurio unterschreibt sich der verständige Dichter. Nicht, wie der Vater sagte, tam Marte, quam Marte. Es ist nicht ganz dasselbe, wenn es auch ohngefähr auf eins trifft. Diese Bücher trösten mich oft. Lesen wir doch auch in der Schule die Poeten, und durch sie ist das alte Griechenland berühmt. 17 Aber ich soll nichts thun, als Rechnungen schreiben, Grammatik lernen, und mich um die Rechte bekümmern, um einmal Schreiber eines Advokaten, oder Wollhändler zu werden. Auf der großen Brücke darf ich kaum stehen, und mir Landschaft und Wasser betrachten. Zu den Dörfern darf ich nicht, wie andre Knaben, hinüber laufen; in den Park bin ich noch kein einzig Mal gekommen, und ich werde doch schon groß, und bin in der Schule nicht am meisten zurück, oder der Einfältigste. Aber man läßt mir nicht Freiheit, auf meine Art klug zu werden, und alle Menschen können doch nicht wie der Vater sein, so verständig er auch ist. Ach! und wenn er nur öfter freundlich wäre! Damit könnte er bei mir am meisten ausrichten. So oft er mich nur Wilhelmchen nennt, oder mir die Hand giebt, möchte mir das Herz vor Freude brechen. Dadurch könnte er mehr als durch Schwert und Strang es dahin bringen, daß ich niemals ein poetisches Buch wieder in die Hand nähme.
Beruhige Dich, Schatz! sagte das Mädchen, Du gehst doch mit uns, heut Abend noch; die Mutter erlaubt es Dir, und ich und Thomas nehmen die Verantwortung über uns.
Der Knabe sah sie wie erschrocken an, wurde erst noch blässer, dann plötzlich sehr roth und die Freudenthränen stürzten ihm aus den Augen. Schnell trocknete er diese und rannte auf das Mädchen zu. So schön, rief er aus, bist Du mir noch niemals vorgekommen, Johanne. Nun darfst Du mich auch auf der ganzen Reise Deinen Mann nennen, und ich will immer freundlich dazu aussehen. Komm, liebe Frau, ich erlaube Dir jetzt auch, mir einen Kuß zu geben, wozu Du mich sonst immer zwingen mußt.
Er sagte diese Worte mit der größten Ernsthaftigkeit. Johanne faßte seinen Kopf, und spielte mit dem hellen seidenen Haar, das sich nur wenig kräuselte, faßte ihn, und küßte 18 ihn lachend und schäkernd. Aber, sagte sie dann, wenn wir nun wiederkommen, und der Vater ist Dir recht böse?
Der ist oft ohne alle Ursach böse, erwiederte der Kleine, und ich muß es auch aushalten. Haben wir dann doch die schönen Tage genossen und hinter uns. Das ist doch nur wie Sturm und Gewitter nach dem ersten und schönsten Frühling.
Die Mutter ermahnte; Geld, Lebensmittel, Wäsche wurden eingepackt; der Bruder, der den Knaben zärtlich liebte, trug dessen Bündel nebst seinem eigenen und Alle machten sich auf den Weg, um den Oheim und dessen Schwester, die sie gewiß schon seit lange erwarteten, vom nahe liegenden Dorfe abzuholen.
Die lustige Gesellschaft ging an diesem Tage noch bis zu einem der Dörfer zwischen Stratford und Warwick. Die Kirche, das Schloß zu Warwick wurden dann am Morgen mit Eifer betrachtet, und der Knabe Shakspeare besonders war über alle Beschreibung glücklich.
Wie geht es Dir? fragte Johanne den Knaben, der niemals zu ermüden schien. O herrlich! rief dieser: so weit vom Hause zu kommen, und Städte, Schlösser zu sehn, hätte ich mir niemals träumen lassen, daß es mir begegnen würde. Habt Ihr aus den Fenstern des Schlosses unsern Avon, den lieben Fluß, gesehen und wieder erkannt? Und die sausende, einsame Mühle da unten? Dabei und in allem Geräusch des Waldes und des Stromes den Gesang der vielen Vögel! – Hier lebten sonst die mächtigen, großen Warwicks, er, der die Könige ein- und absetzte, und selber so gewaltsam sterben mußte!
19 Du bist gelehrt, sagte Johanne; woher hast Du denn das Alles?
Soll nicht jeder Engländer, erwiederte der Knabe, die Geschichte seines Landes inne haben? Besonders den Krieg der weißen und rothen Rose? Haben wir doch dazu unsre Chroniken. – Mit Freuden habe ich auch in dem alten Schlosse die Waffenrüstung des alten Riesen Guy gesehn, des Stammvaters der berühmten Grafen. Hier nun, hier ist der Ort, wo er als Einsiedler so lange gelebt hat.
Der Knabe lief vom Wege abseits, rechts nach einigen Wohnungen und seltsamen Felsengestalten hinüber. Der alte Strange schüttelte den Kopf, und ging mit den Seinigen langsam voraus, indeß Johanna und ihr Bruder mit lautem Lachen dem schwärmerischen Knaben folgten.
Sie holten ihn bald ein, und mußten mit ihm die Grotten durchwandern und die Gebäude besuchen. Alles betrachtete William genau, und hatte oft Thränen im Auge. Als sie sich wieder auf der Landstraße befanden, sagte Thomas: Laß uns nicht so eilen, kleiner Freund, daß Du Dich nicht zu sehr ermüdest, wir treffen unsre Gefährten doch Mittags wieder an, wo wir Alle rasten werden; denn wir kommen heut immer noch zeitig genug nach Kenelworth.
Ich bin gar zu glücklich, rief William aus. Nun habe ich den Platz mit Augen gesehen, mit dem ich aus Erzählungen schon so genau bekannt war. Ich wußte auch gleich, daß diese Felsen die merkwürdige Stelle seyn mußten. Ach der große, ungeheure Guy! der tapfre Ritter und Riese! Die Ungeheuer hat er überwunden und erschlagen; die Tochter des großen, reichen Grafen ist nun endlich seine Gemahlin geworden; er, der arme, verachtete, geringe Knappe. Da erwacht, im schönsten Glücke, sein Gewissen. Er pilgert nach dem gelobten Lande. Auch dort kämpft er Jahre hindurch 20 und erschlägt viele Feinde der Christenheit. Nun kommt er zurück, nach langer, langer Zeit, vermagert, unkenntlich. Schon hat er sein Schloß im Auge. Da sieht er hier diese Felsenwand mit ihren wunderbaren Höhlen. Sein Gemüth erregt sich. Er zieht hier ein, und lebt, von der Welt vergessen, als Einsiedler. Täglich geht er bettelnd nach seinem eigenen Schlosse und empfängt von der Hand seiner schönen und mitleidigen Gemahlin ein Almosen. Sie spricht mit ihm, sie wird von seinen Worten und Erzählungen gerührt. Endlich, Jahre sind so vergangen, kommt er an sein Ende, und er fühlt seinen Tod. Er sendet nach der Frau und schickt ihr seinen Trauring. Sie kommt und findet ihn sterbend. Ach! was das zum Erbarmen, was das rührend ist! –
Sie standen eben unter einem Baume und hielten ein Weilchen still. Johanne sah den Knaben mit ihren großen, klaren Augen eine Weile an, dann brach sie in ein lautes Lachen aus und sagte: Einfältiger Mensch! glaubst Du denn das Alles? Du bist sonst so klug und verständig, mehr als Kinder Deines Alters, und hierin willst Du Dich so dumm zeigen? Das sind ja nur Mährchen, alberner Junge! Wie kann es denn einen so großen Mann gegeben haben, als dieser beschrieben wird; wie kann er alle die Wunderthaten verrichtet haben! Nein, sage, William, Du kannst das Alles für wahr halten?
Der Knabe schwieg erst eine Weile, denn er war über diese Rede empfindlich geworden, dann sagte er: Du schiltst mich fast, wie der Vater, aus, Johanne, weil Du keinen Glauben hast. Es ist immer eben so wahr, wie Alles in der Welt. Woher käme denn sonst die schöne Geschichte?
Das sind ja eben die Poeten, die Dichter, erwiederte Thomas, die dergleichen ersinnen.
So? sagte William; und die? Woher haben sie's? Es 21 wäre ja, so zu sagen, ein Engel, der aus ihnen spräche, wenn sie so schöne Sachen uns vorerzählten. Aber Etwas ist an der Sache. Und, wenn auch nicht ganz so, ist es mir doch rührend und fromm, es gerade so zu glauben. Wie war es mit dem Bache letzt, den Ihr, im eifrigen Gespräch über das neu angekaufte Gartenstück, gar nicht einmal murmeln hörtet, und wo ich die Worte und Reden aufschrieb, die mir, so glaubte ich, im Ohr klangen, wie er durch den stillen Wind rieselte? Ihr hattet Recht und ich nicht Unrecht, und der Bach kann uns nachher Beide ausgelacht haben. Der Fels ist noch hier, im Schlosse noch die Rüstung, und viele Tausende haben vor uns die Sache geglaubt. Der Glaube, die Rührung unsrer Voreltern steckt auch mit in allen den Sachen. Vom Guy von Warwick war die erste schöne Geschichte, die mir meine liebe Mutter erzählte. Ich war damals ganz, ganz klein und erst zwei Jahre alt. Ach! was mußte ich weinen! Sie hatte auch als kleines Kind darüber geweint. Nachher hat sie die Gegend hier mit frommer Andacht besucht. Sie grübelt und zweifelt nicht; nein, sie hat sich gefreut. Nun seh' ich auch die Gegend, die ich so oft, so oft im Auge meiner Mutter, im herzlichen Ton ihrer rothen Lippe sah. Ich glaube auch Alles, und bin nun mit meiner Mutter in den Geschichten, als wenn sie, wie ein kleines Schwesterchen, mit mir hier herumspränge, und ich könnte ihrer Neugier die Sache zum ersten Mal erzählen. Und ist nicht auch der große Heinrich der fünfte, der Held von Agincourt, als frommer Pilger hier in diesen Felsengrotten gewesen? Was hatte er hier zu suchen, wenn er die Sache nicht glaubte? Und sind wir etwa klüger, als dieser größte englische Held?
Das Mädchen schüttelte mit dem Kopf und sagte: Kleiner Mann, Du sprichst Unsinn. Aber Thomas, der wie 22 gerührt war, unterbrach sie: Laß ihn, Schwester, Du verstehst ihn nicht. Der Himmel erhalte Dich und spare Dich gesund, junger Freund, daß das Sprichwort von klugen Kindern bei Dir nicht in Erfüllung geht. Wohl hast Du Recht: wir haben Alles nur im Glauben; und der ist die Freude an der Dichtkunst und den alten Romanzen, der ist die Lust am Leben. Ich spreche gern mit Dir, Freundchen, denn so oft Du noch so hingeschwatzt hast, habe ich von Dir was Neues gehört. –
Je näher sie an demselben Tage Kenelworth kamen, um so häufiger und gedrängter wurden die Züge der Vornehmen, Bürger und geringen Leute, die hin und her flutheten, in verschiedenen Geschäften, oder von Neugier angetrieben. Viele hielten sich bei dem schönen warmen Wetter auch die Nacht im Freien auf, weil sie kein Unterkommen finden konnten. Manche begaben sich nach dem Walde; denn in dem kleinen Marktflecken waren alle Zimmer, ja Boden und Keller gedrängt voll Menschen, welche die Pracht der Feste hergelockt hatte. Auch unsre Gesellschaft hätte sich der Witterung Preis geben müssen, wenn der alte Strange nicht schon seit einem Monat ein paar Zimmer für sich und seine Begleitung beim Förster bestellt gehabt hätte, der abseit vom Städtchen wohnte.
Viele, die den Prunk der ersten Tage gesehen hatten, begaben sich schon wieder mit Jubel und Freude auf den Rückweg zu ihrer Heimath; denn das Getümmel und ununterbrochene Geräusch betäubte Jedermann, und auch der Fröhlichste sehnte sich nach einer Stunde der Einsamkeit, um seinen Sinnen wieder Ruhe zu verschaffen. Denn wie die Massen und der Andrang der Menschen immer mehr und 23 mehr Neugierige herbei locken, und die Sucht zu schauen und Fremdartiges zu erleben bis zur heftigsten Leidenschaft gesteigert wird, so treibt alsdann im Genusse die Ermüdung dieselben Massen wieder auseinander, und Jeder ist dann froh, für sich selbst wieder zu leben, und die Eindrücke, die Verwirrung auf eine Zeitlang zu vergessen.
Die Familie des Försters, so wie andere, die sich bei ihm noch einquartiert hatten, erzählten von den Wundern des verflossenen Tages, von dem prachtvollen Auszuge der Königin, dem kostbaren Schmucke der Damen, der Kleidung der Lords und Ritter. Große allegorische Darstellungen hatten sich gezeigt, ausgeschmückt mit Allem, was Phantasie und Kunst nur möglich machen konnten. Gottheiten waren erschienen, mit Gaben für die Königin; die Frau des Sees, von der die Alten Mährchen sangen, war auf einem künstlichen Schiff auf dem großen Teiche vor dem Schlosse zur Königin hinan geschwommen; Alles hatte Verse gesprochen und gesungen, und die Königin hatte Alles sehr gnädig aufgenommen und Jedem ernst und scherzend, wie es die Gelegenheit gab, erwiedert. Auch ein Feuerwerk war im innern Schloßhofe abgebrannt worden.
Am Morgen, es war ein Montag, machte sich die ganze Gesellschaft im Hause des Försters sehr frühe munter. Die Nacht war sehr heiß gewesen, und obgleich der Himmel sich mit Wolken bedeckte, so schien es doch, als würde sich das Wetter nicht abkühlen. Man erfuhr auch, daß an diesem Tage, der drückenden Hitze wegen, sich die Königin in den kühlen Gemächern des Schlosses aufhalten würde, und Lord Leicester deshalb alle Feste und Aufzüge für diesen Tag untersagt habe. Nur am Abend würde im Park der Hirsch par forçe gejagt werden, und diese Jagd würde sich auch am folgenden Tage wiederholen. In den letzten Tagen der 24 Woche sollten Bärenhetzen, Künste der Seiltänzer und Springer, ländliche Schauspiele und allegorische Masken-Darstellungen die Zeit verkürzen.
Der alte Strange mit Frau und Schwester, Thomas und Johanne mit William gingen aus, um die schöne Gegend zu durchstreifen. An vielen Orten war es schwer, nur durchzukommen, vorzüglich, wenn man sich den Landstraßen näherte. Fuhrwerke mit Maschinen, Feuerwerken, Ladungen mit Lebensmitteln, Reisende, die noch in Wagen und zu Pferde kamen, die Dienerschaft des Lords, das Gefolge der übrigen Herren, Alles drängte und stieß sich unter Schelten, Geschrei oder lautem Lachen, so daß man im Gedränge sich nicht im freien Felde, sondern in den engsten Straßen Londons, die bei einem Auflaufe des Volks gesperrt wären, zu befinden glaubte.
Plötzlich, bei einer Wendung des Weges, war William verschwunden. Man sah sich um, man suchte; Alle riefen, aber vergebens; denn das Getümmel machte es unmöglich, zu forschen, zu fragen, oder mit sichrer Unterscheidung umher zu schauen. Thomas war ängstlich, Johanna außer sich; sie wollten ohne ihn nicht weiter gehen, und doch konnten sie keinen Anschlag ersinnen, des Kleinen habhaft zu werden. Man mußte sich entschließen, ihn auf das Ungewisse hin aufzusuchen. Doch Strange sagte: ich bin aller dieser Aengstlichkeit mit Eurem Willy da schon längst überdrüssig; schon einmal ist uns der kleine Hasenfuß davon gelaufen, und nun schon wieder. Oder, hat er sich verloren: warum giebt er nicht besser Acht? Kommt, Frau und Schwester, gehn wir ruhig und bequem dahin, wohin es uns gut dünkt; am Mittag und Abend treffen wir uns Alle beim Förster wieder zusammen, und Ihr, Thomas, mögt nun den windigen Springinsfeld aufjagen, nach Herzenslust. Euer Männchen, 25 Hanne, hat sich früh aus dem Ehestande davon gemacht und das Freie gesucht.
So ging er lachend mit den beiden ältlichen Frauenzimmern davon, und Johanna war auf ihren kleinen Freund erzürnt, daß er sich ihnen nicht näher und vorsichtiger angeschlossen hatte. Thomas, der immer Heitere, war auch verstimmt, und Beide gingen hin und her nach allen Richtungen, wo sie im bewegten Menschengewühl in der Ferne ein Kind wahrzunehmen glaubten.
Es war aber kein Zufall, daß William seiner Gesellschaft abhanden gekommen war. Schon auf der Reise war ihm die strenge Aufsicht lästig geworden. Dieser erste Ausflug seines jugendlichen Lebens, die Wälder, Berge, alte Schlösser mit ihren Denkmalen. und jetzt die Pracht des neuern Kenelworth, der Glanz des Sommerlichtes, in welchem sich die Reiter und Docken, die geputzten Frauen und Mädchen so schöner abhoben, und gegen Bürger und Bauern, fratzenhafte, lächerliche Gestalten, oder biedre Landleute so liebreizend abstachen, hatten das junge Gemüth berauscht und begeistert. Er dachte es sich als das Schönste, was ihm zu Theil werden könne, so ganz allein und sich selbst überlassen durch alle diese Gruppen hinzuschwärmen, sich dann wieder in der Einsamkeit zu verlieren, und nicht immerdar mit seinen aufsehenden Begleitern, so lieb sie ihm sonst waren, lästige Reden wechseln zu dürfen. Da er sich so viel vertraute, auch ohne Nachweisung die abgelegne und kenntliche Försterwohnung wiederfinden zu können, so dünkte es ihm kein zu großer Frevel, Jenen bei erster Gelegenheit den Rücken zu kehren, und ein selbsteignes Leben auf einige Stunden zu führen. Bat er sich dies von ihnen als freie Gabe aus, so wußte er wohl, daß sie es ihm abschlagen und ihn von dem Augenblicke an nur um so genauer beobachten würden.
26 Er hatte aber außerdem an der Waldecke etwas entdeckt, was ihn, wie mit einem Zauber, dorthin unwiderstehlich zurück zog, und was er seinen Gefährten im Gedränge nicht hatte zeigen können. Er glaubte nehmlich im Walde ganz deutlich einen wilden halbnackten Mann, mit Eppich, Moos und Eichenlaub gekränzt und umkleidet, wahrgenommen zu haben, der eine große Keule in der Hand trug, ganz so, wie er auf den Bildern es gesehn, oder in Gedichten von dergleichen Waldgottheiten gelesen hatte. Er benutzte also die Gelegenheit einer neuen Menschenfluth, um, indem seine Gefährten eben einigen geschmückten Reitern mit Erstaunen nachsahen, zurück zu bleiben, und dann, so stark er nur konnte, in entgegengesetzter Richtung fortzulaufen. Sein scharfes, schnelles Auge bewahrte ihn davor, von seinen Freunden überrascht zu werden, und als er sie entfernt genug glaubte, rannte er nach jener Waldecke, die ihm durch die wundervolle Erscheinung so merkwürdig geworden war. Hier hatten sich die Menschen verlaufen, Alle drängten sich nach dem Schlosse und dem Städtchen, und als William in das Gehölz eingedrungen war, befand er sich bald in einer schönen, grünen Einsamkeit. Er konnte sich eines Schauders nicht erwehren, wenn er jetzt an die Gestalt des wilden Mannes dachte, und dennoch trieb ihn die Neugier, indem er von allen Seiten umschaute, tiefer in das Dickicht hinein.
Er war jetzt von der Straße so weit abgekommen, daß er nichts mehr von dem Geräusche der Menge und des Fuhrwerkes vernahm, und indem er mit klopfendem Herzen aufhorchte, glaubte er nicht allzu entfernt eine tiefe Stimme zu vernehmen, die mit vollem, wohllautendem Ton bald etwas hersagte, bald wieder murrte und schalt. Er ging dem Klange nach, und nicht lange, so stand er im dichten Walde vor jenem wilden Manne, der vor einer kleinen Hütte 27 saß, welche von Baumzweigen, Brettern und Decken aufgerichtet war. Er hatte einen Knaben neben sich, der krank und übellaunig schien. William und der Wilde sahen einander mit großen Augen an. Der Wilde, ein kräftiger, starker und hochgewachsener Mann, stand auf; seine Kränze, die dicken, buschigen Augenbrauen, das Feuer der Augen, das Moos in den schwarzen, dicklockigen Haaren, der Eppich um Hüfte und Schultern, die Sandalen und die Bekleidung von fleischfarbenem Tuch, die sich eng an den Leib schmiegte, um das Nackte auszudrücken, gaben ihm einen höchst seltsamen Charakter. Wer bist Du? was willst Du? rief er den erstaunten Knaben an. – Und wer bist Du, wildes Wesen? rief ihm William entgegen, der sich wieder ein Herz gefaßt hatte.
Der große wilde Mann lachte laut auf und sagte dann: Du hältst mich, Kleiner, so scheint es, für einen wirklichen Wilden. Nein, mein Söhnchen, dies ist nur eine Maskerade, unserer Königin zu Ehren angelegt, und darum kannst Du wohl etwas mehr Umstände mit mir machen und mich nicht Du, sondern Herr und Gascoign tituliren, wie es Alle thun, die mich hier im Lande als Gelehrten, oder auswärts als Soldaten gekannt haben.
Wie? schrie William auf, der von rascher Besonnenheit war: wie? Ihr seid doch wohl nimmermehr der berühmte, herrliche tam Marte, quam Mercurio?
Ja, Allerwelts-Bube! rief der Waldgott, dem diese sonderbare Anrede schmeichelte: weißt Du denn was von mir, Bürschchen? Kennst Du denn etwas von meinen Gedichten?
Wohl! wohl! rief der Knabe: nur allzu gut; sie haben mir schon einigemal Schläge von meinem Vater zugezogen, welcher meint, daß ich die Zeit mit Euern schönen Versen verderbe.
28 Du hast eine klare, helle Stimme, sagte der Waldmensch, aber schwach; schreie einmal ein paar Worte, so laut Du kannst, aber vernehmlich.
William that es, und so wie der Maskirte dies hörte, sprang er jubelnd im Kreise umher, indem er seine große Keule mit Leichtigkeit einigemal über seinen Kopf hinschwang. Gefunden! gefunden! rief er dann; die Schicksalsgöttinnen schicken dem armen Poeten aus Mitleid Dich, holden Knaben, in meinen Wald hinein, um mich vor Verzweiflung, vor Schande zu bewahren. Laß Dich umarmen, Kind, doch so, daß mir nicht die Schminke und die falschen Locken abfallen und abfärben. Nimm Dich in Acht!
Er umarmte den Knaben heftig, wandte sich dann zu jenem Erkrankten und sagte: Erdwurm! geh nun in die Hütte hinein, iß und trink dort, und wickle Dich in die Decken und Betten, um Dich warm zu halten; so mögen Dich denn Deine Angehörigen heut Nacht nach Hause abholen. Der Knabe folgte dem Befehl. Sieh, mein Sohn, fuhr Gascoign fort, in der Nacht, es war fast schon Morgen, schickt unser Robert Dudley, der große Leicester, wie es nun die vornehmen Herren an der Art haben, ich soll schnell, schnell ein artiges Lob auf die Königin dichten, am liebsten in der Maske eines Sylvan; sie habe alle Feste auf heut verbeten, und würde nur am Abend im Walde jagen. So dichte ich denn schnell, in Eil diese hundert Verse, – ein artiger Gedanke, wo Echo immer antwortet. In dem Gedicht erwähne ich auch die Festlichkeiten von gestern, und erkläre noch Einiges; Alles, wie ich denke, daß es dem Lord und unserer Königin gefallen wird. Ich hole mir den Jungen, der mir schon sonst geholfen hat, und der frißt sich heut früh den Leib so voll Kirschen, daß er nun elend da liegt, und auch dazu noch heiser ist, so daß er keinen Ton aus dem 29 Halse bringen kann. Nun schickt Dich Jupiter oder Pan, um mir aus der Noth zu helfen.
Aber verehrter Herr Gascoign, sagte William, ich habe noch niemals dergleichen Spiele aufführen helfen; ich habe keine Uebung, auch ist die Zeit wohl zu kurz, um etwas so einzustudiren, daß ich mich vor unserer höchsten Herrscherin sehen lassen dürfte.
Still! sagte Gascoign, Deine Bedenken passen nicht; Du hast eine klare, deutliche Stimme, Du bist klug, denn Du hast meiner Verse wegen schon Schläge bekommen, bist also zu meinem ritterlichen Schildknappen von Deinem eignen unpoetischen Vater eingeweiht. Spielen sollst Du nicht, erscheinst auch nicht vor der Königin, sondern, Schluß und Einleitung abgerechnet, die ich solo spreche, sagst Du nur fünf und zwanzig Mal, immer nach zwei Versen, die ich rezitire, ein Wort, als Echo, aber deutlich, weil darin der Witz meiner Composition besteht. Ich rufe nämlich Jupiter und andere Götter an, um mir zu sagen, was das Gedränge und Gepränge um mich her zu bedeuten habe. Niemand antwortet; so fordere ich denn die Echo heraus, mir eine vernünftige Antwort zu geben.
Ho! Echo! Echo! ho! Wo bleibst du, Echo, schier?
Wo, freundlich Echo, wohnst du jetzt? Du wohntest sonst allhier.
Nun sagt Echo: – Hier!
Und so fort, fünf und zwanzig Mal, freilich immer andre Worte. Aber, Söhnchen, kannst Du auch bei mir bleiben? Darfst Du mir das Glück und die Freude machen? Werden es Deine Angehörigen erlauben?
Herr Gascoign, sagte William, daß ich Euch so unvermuthet, so wunderbar angetroffen habe, ist die größte Freude meines Lebens; Blut und Leben ließe ich gern für Euch, und 30 meine Freunde, mit denen ich von Stratford herüber gekommen bin, können mich schon bis heute Nacht entbehren. Wo könnte ich besser aufgehoben seyn, als bei dem berühmten, herrlichen Dichtersmann?
Nun so laß uns das Gedicht durchprobiren, sagte Gott Sylvan. Aber nimm das Blatt ums Himmels willen in Acht, wenn ich es heut Abend Deinen Händen anvertraue; es ist das einzige Exemplar, ich habe nicht Zeit zu einer zweiten Abschrift gehabt. denn ich hatte genug mit dem Memoriren zu thun: ginge es also verloren, so könnte ich das Gedicht nicht drucken lassen. Bewahre es also wie Deinen Augapfel.
Sorgt nicht, sagte William, ich bin kein kleines Kind mehr; Ihr sollt mit mir zufrieden seyn.
Sogleich wurden die Uebungen vorgenommen. Der Alte rezitirte seine Verse, und der Knabe spielte sich in die Rolle der Echo ein, indem er immer, wann der zweite Vers ausgesprochen war, nach einer kleinen Pause das letzte Wort, oder eins, das auf das letzte reimte, klar und vernehmlich aussprach, nicht den Ton heraus stieß, sondern nur bestimmt einsetzte, ihn anschwellen und wieder allgemach verhallen ließ. Der soldatische Poet war entzückt, und schwur, er hätte noch niemals ein wirkliches Echo mit so natürlichem Ausdruck gehört, am wenigsten aber eins jener nachgemachten, die wohl zu schreien, aber nicht zu hallen, und noch weniger zu verhallen verstünden.
Schreien, Hallen, Rezitiren, Corrigiren des Echos hie und da, indem, wenn der Ausdruck »Königin« oder »Sie« wiederholt werden sollte, der Nachhall mehr Gefühl aussprechen mußte, als bei gewöhnlichen Worten, nahm die Zeit des Vormittags hin. Dann begaben sich Beide in die Hütte, um sich an Trank und Speise zu erlaben. Aber, sagte 31 Gascoign, sei hübsch mäßig, Du kleines Poetchen, so wie ich es auch seyn werde, damit unsere Stimmen heut Abend ja recht klar und vernehmlich klingen, und wir nicht, wie Thiere, die Gunst der Musen verscherzen, so wie es dort dem schmachtenden Erdwurm ergangen ist, der mit seinen Leibschmerzen wie ein gefangener Aal auf den Binsen liegt. Sei nur nicht verlegen, Wilhelmchen, wenn Du unsere große Königin so nahe weißt, und halte Tact und Tempo unverrückt, damit wir Beide bei der Majestät Ehre einlegen.
Nach Tische, die Zeit einer kleinen Ruhe abgerechnet, wurde von Neuem eingeübt. Jetzt ist es genug, sagte dann Gascoign; nicht zu viel, sonst wird es uns allzu geläufig und die poetische Aufmerksamkeit ist dann nicht mehr dabei. Gegen die vierte Stunde kamen verschiedene Männer zu ihrem einsamen Aufenthalt, mit Fackeln und Kleidern, die sich hier ebenfalls ihre Masken anlegten, einige als Wilde, andere als Landleute, um am finstern Abend mit den angezündeten Fackeln umher zu stehen und die Scene draußen vor dem Walde zu erleuchten. Gascoign und William begaben sich nun auch wieder zum Saume des Waldes, in die Nähe der Landstraße, wo ein offner Platz ausgewählt war, auf welchem die Königin mit ihrem Gefolge nach der Jagd am schicklichsten halten konnte. Hier mußte William noch einmal, das Antlitz gegen einen hohen Stein gerichtet, sein Echo probiren. Es klang noch schöner und eindringlicher, als drinnen im Walde.
Jetzt versammelten sich Bewaffnete draußen, Diener und Aufseher, und stellten sich in abgemessenen Räumen auf, um das andrängende Volk und die Zuschauer vom Wald und jenen Stellen, welche die Königin und ihr Gefolge einnehmen sollten, abzuhalten. Ein kühler Abend lagerte sich auf der Landschaft, jede Brust hob sich freier und muthiger, als 32 der sanfte, frische Wind über das Feld strich und in den Blättern des Waldes ein sanftes Geräusch erhob. Nicht lange, so hörte man, indessen sich das Volk von allen Seiten versammelt hatte und in Zügen über die Hügel und durch die Ebne sich ergoß, die herannahende Jagd. Der ausgesonderte Hirsch wurde von Jägern und der Königin verfolgt; Lords und Edle, Damen und Ritter waren im Zuge. Die Damen alle auf reichgeschirrten Rossen mit schön verzierten Quersatteln, in denen sie von der Seite schwebend anmuthig saßen. Als der Hirsch in der Ferne verendet hatte, war schöner und erfreulicher, als Alles, das gut vertheilte und vielfach tönende Jagdgeschrei anzuhören. Des Grafen Oberjägermeister hatte, zur Freude seines Herrn, hier ganz seine Aufmerksamkeit und kluge Einrichtung gezeigt. Außer den jagenden Windhunden waren nah und fern, auf den Hügeln und am Walde die Hunde mit tiefen Stimmen vertheilt, deren Gebell auf die abwechselnden Zeichen des Hornes laut und tief, höher und schallender dort und hie mit dem Hussaruf der Jäger ertönte. Fernes Geschrei fiel in die Pausen, und viele Waldhörner hüben und drüben antworteten sich in kurzen Sätzen. Neben dem wunderbaren Klang des Waldhorns erschallten auch die stoßenden Hifthörner wie mit thierischem Gebrüll, so daß im Wald oder vom hoch liegenden Schloß ein vielfaches Echo erwachte, das durch ein künstliches, von Jägern hier und dort nachgeschrieen, seltsam verstärkt und vermannichfacht wurde. Nun war es fast ganz finster geworden; die Töne so vielerlei Art, stark und schwach, verschwanden und verhallten. William war so entzückt, daß ihm die Thränen in die Augen traten. Was wird's? rief Gascoign; ums Himmels willen nur kein Grausen und weichliches Magdalenengesicht! – Ach! sagte der Knabe, habt Ihr gehört? Das war ein Echo, gegen das 33 das unsrige kaum für ein neugebornes Kind zu achten ist. – Schweig, kleiner Poet, rief der große wilde Mann, dafür ist dies auch nur ein unvernünftiges Echo gewesen, das unsrige aber wird ein dichterisches und gedankenreiches. Wir wollen einmal sehen, welches von beiden unsre hohe Herrscherin mehr afficiren wird, jenes von den Hunden und Bestien, oder das von zwei bewegten, patriotischen Gemüthern. Still! sie kommen! Nun mache Dich fertig. mein geliebtes kleines Wilhelmchen.
Die Königin hielt. Sie trug ein grünes, langes Reitkleid von Sammet, das mit Perlen gestickt war. Die Aermel waren von weißen Spitzen mit goldenem Netzwerk, durch welches Arm und Schulter reizend und blendend erschien. Der grüne Hut war vorn aufgekrämpt, und rothe und weiße Federn schwankten majestätisch herunter. Ueber der weißen Stirn glänzte im blonden Haar ein halber Mond von Diamanten, an Cynthia erinnernd, mit welchem Namen sich die schöne Fürstin gern grüßen hörte. Das Pferd war ebenfalls mit grünem Sammet bedeckt, und neben ihr ritt Leicester, als Jägerfürst, im Glanz der männlichen Schönheit und alles Schmuckes, den die Kunst nur ersinnen konnte.
Vor dem Walde stellten sich jetzt die mannichfach verzierten Fackelträger. Im Glanz der Lichter strahlte das Gold und die Edelsteine vom Gewande der Fürstin und der Damen und Herren ihres Gefolges noch heller und blendender, und eine feierliche Stille war nach dem verschwundenen lauten Jagdgetöse eingetreten.
Da sprang auf ein unbemerkt gegebenes Zeichen der Waldgott aus seinem Hinterhalt hervor, schwang seine Keule und hielt seine Rede. Alles still, kein Gott, kein Mensch gab ihm Antwort, was dies Gepränge, die Versammlung so hoher Gäste zu bedeuten habe. Er wendet sich an seine 34 vertraute Echo, und sie sagt ihm, in Erwiederung der letzten Sylben seiner selbstgestellten Fragen, daß es die hohe Königin, die angebetete, sei, die diesen Zulauf von Adel und Unadel veranlaßt habe. So wird das poetische Zweigespräch fortgeführt, und die Königin sowohl, als Leicester, scheinen mit dem Lobe und der Schmeichelei nicht unzufrieden, die ihnen der Dichter und seine Echo spenden. Nur gegen das Ende des Dialogs entstand ein kleines Versehen, welches die Nahestehenden zum lauten Lachen zwang. Ein Geräusch von Waffen und Pferden machte sich laut, das der Wind in den Wald trug, so daß William für einen Augenblick seinen rezitirenden verehrten Waldgott nicht vernehmen konnte. Er brachte also seinen erwiedernden Nachschlag »Königin« früher, als Sylvanus das Wort »Königin« ausgesprochen hatte, so daß es schien, der rezitirende Dichter sei vielmehr ein Echo vom Wiederhall. Ueber dieses Echo praecox spottete Leicester laut, so daß die Königin das Lachen nicht zurückhalten konnte. Indessen wurden Ernst und Feierlichkeit der Poesie bald wieder hergestellt. Als der Schluß des Gedichtes nahte, der wilde Mann die Königin erkannte, kniete er nieder, und zerbrach im Freudentaumel seine Keule, die für diesen Fall schon eingerichtet war. Er wollte im Enthusiasmus die beiden Stücke hinter sich werfen, verfehlte es aber in der Eile so sehr, daß das knotige Ende ihm aus der Hand fuhr, und mit ziemlich starkem Schlag auf den Kopf des Pferdes traf, welches die Königin trug. Das Roß sprang erschreckt etwas zurück, der Wilde bebte und die letzten Worte erstarben ihm im Munde. Leicester wollte, entsetzt und im Zorne, vorsprengen, als die Königin mit der lieblichsten Milde sagte: Haltet, es ist nichts, Keiner hat Schaden genommen! Der Kloben der Keule war rückspringend in den Haufen des zuschauenden Volkes geflogen, und ein junger Mann fing ihn auf und behielt ihn, wie er erklärte, zum Angedenken. Gascoign lag noch knieend zu den Füßen der Königin, die ihm einige freundliche Worte sagte, als ein neues unerwartetes Schauspiel die Augen von ihm ab und nach dem Walde lenkte. William hatte, nach seiner geendigten Rolle, unverwandt nach der vornehmen Welt, am meisten nach der Königin geschaut. Ein muthwilliger Abendwind machte sich seine Zerstreuung zu Nutze, um ihm jenes Blatt, das ihm so sehr empfohlen worden war, und auf welchem jenes rezitirte Gedicht stand, zu entführen. Der Knabe merkte den Verlust nicht eher, als bis es über ihm, wie ein weißer Vogel, in den Lüften flatterte. Er sprang ihm erschreckt nach, und tanzte so, dem Blatte hochauf nachhüpfend, aus dem Walde heraus. Ob es ein neues, bestelltes Schauspiel sei, fragten sich Viele; am meisten verwundert aber war jener Jüngling, der die mörderische Keule erbeutet hatte, weil er in dem leichtgefüßten Tänzer sogleich seinen verlornen William wieder erkannte. Johanna, die neben ihm stand, schrie vor freudigem Erschrecken laut auf. Jetzt neigte sich das fliegende Blatt; William, ohne auf herrschende und beherrschte Zuschauer Rücksicht zu nehmen, glaubte es jetzt mit Sicherheit zu erhaschen, und so wie es sich der einen Fackel näherte und in Gefahr war, Augenblicks zu verbrennen, stürzte er sich auf die Fackel, ergriff glücklich noch einmal aufspringend das Blatt, stieß aber zugleich die brennende Fackel dem Diener so in das braun gefärbte Gesicht, daß falsches Haar, Flachs und Hanf und Moos, Augenblicks in einer lichten Flamme stand, und der Leuchtende schreiend in den Wald lief, um sich abzukühlen. Leicester und ein andrer Lord wollten auf den Knaben zornig eindringen, als Elisabeth wieder rief: Halt, Dudley! Nicht so hastig! Es ist ein liebes Kind, und jener Brennende wird schon wieder gelöscht seyn.
36 William hatte sich wieder besonnen; er hielt das Blatt in der Hand und wollte es dem Dichter, der sich staunend und geängstigt erhoben hatte, überreichen; auf einen Wink der Königin mußte er aber zu dieser kommen. Wer bist Du, Kind? fragte sie, noch lachend. – Als William zögerte, antwortete Gascoign für ihn. Er ist, durchlauchtige Regentin, mein Echo, das von ungefähr in den Wald zu mir gelaufen ist; ein verständiges Kind, das, bis auf den einen Fehler, Alles gut gemacht hat. William hatte sich, wie er vom Dichter erst gesehen und oft die Sitte hatte beschreiben hören, ebenfalls demüthig auf ein Knie niedergelassen. Wie heißest Du? fragte Elisabeth den Kleinen, indem sie sich vorn über beugte. – Ich bin William, antwortete er, ohne zu stammeln, der älteste Sohn des John Shakspeare, aus Stratford am Avon, wo mein Vater, meiner Monarchin getreuester Unterthan, Alderman ist, nachdem er das Amt eines Friedensrichters aufgegeben hat.
Die Königin winkte, und ein Ritter erhob den Knaben, indem er ihm auf ihr Geheiß eine goldene Medaille mit dem Bildnisse Elisabeths gab. Nimm das, liebes poetisches Echo, zum Angedenken dieses Tages, sagte sie lächelnd. Wünschest Du sonst Etwas?
Dürft' ich, erwiederte William, mit meiner Frau, die dort steht, die Schauspiele sehn, die der hohe Lord giebt, so lange ich noch hier bin?
Frau? sagte Elisabeth, Du bist doch nimmermehr schon verheirathet?
Verzeihung, große Königin, sprach der Knabe verwirrt, – ein Scherz, den man sich angewöhnt; es ist Johanna Hathaway, die sich selber immer meine Frau nennt.
Das große Mädchen trat hervor, ganz Schaam und Röthe. Leicester, der sich an der Scene erfreut hatte, gab 37 einem Ritter Befehl, den Knaben und seine Begleitung näher bei den Spielen und Festlichkeiten zuzulassen. Elisabeth sprach noch freundliche Worte mit Gascoign, worauf sie sich mit ihrem Zuge entfernte. Der Dichter umarmte dankend noch einmal seinen jungen Gehülfen, und Johanna, so wenig wie ihr Bruder, konnten die Scheltreden und Strafpredigten über die Entweichung, so wenig wie die Schilderung ihrer erlittenen Angst bei Wilhelm anbringen, da sie nach dessen dreistem Gespräch mit der angebeteten Königin den von Elisabeth beschenkten Knaben mit einer Art von Ehrfurcht betrachteten.
In Stratford war es indessen anders gekommen, als es Alle mit zu großer Sicherheit berechnet hatten. Der Vater war nehmlich schon am nächsten Tage seiner Ausreise höchst mißmüthig wieder angelangt, zum großen Schrecken der Mutter, die Anfangs nicht erfahren konnte, was diese schnelle Rückkehr veranlaßt habe. Endlich, nachdem der Gatte die kleinen Kinder begrüßt und Einiges in der Wirthschaft angeordnet hatte, sagte er, tief seufzend: was soll man doch von den Zeiten und den Menschen sagen? der solideste, ernsteste Mann in ganz England, der eher etwas zu fromm und fast kopfhängerisch ist, bleibt bei dem Taumel, der die ganze Welt ergriffen hat, gleichfalls nicht zu Hause und bei seinem Geschäft, sondern rennt, ob er es schon ziemlich weit hat, noch ebenfalls zu den Thorheiten nach Kenelworth hin; – so erfahre ich mit Sicherheit, nachdem ich schon ein Stück Weges nach Bristol gemacht habe. Und wir gehen doch nicht einmal hin, da uns doch die Geschichte so in der Nähe betrieben wird. Wahrlich, wenn alte Männer, die neben dem Handel hinweg an Grab und Tod genug zu denken hätten, sich so kindisch geberden und von Flittertand verlocken 38 lassen, so kann man es wohl unmündigen Knaben verzeihn. Der arme, kleine Knirps hat wirklich nicht viele Freude; die Kinderkrankheiten damals, keine Gespielen, wenig Freiheit, – curios denkt er nun einmal, – ja, das ist seine Sache. – Wenn die andern Narren nur nicht schon fortgelaufen wären! – Es muß doch, wenn ich es auch eigentlich nicht begreife, um den Spaß etwas Besonderes seyn, daß alle Welt so darnach rennt, und Tod, Krankheit, Armuth, Geschäft und Religion darüber vergißt. – Hole die Krabbe, Mutter, 'mal von ihrer Bodenstube herunter, unser Wilhelmchen; ich will mit dem Kinde doch einmal ein vernünftiges Wort sprechen. Ich habe ihm gestern doch wohl Unrecht gethan.
Die Mutter zitterte. Sie wagte nicht, gegen den Mann, der ihr jetzt so gut und vernünftig gegenüber stand, die Augen aufzuschlagen. Der Vater wurde blaß, weil er nach dieser zitternden Verlegenheit meinte, sein Kind sei gefährlich krank, wohl gar schon todt. Nun, fing die Frau endlich nach überwundenem ersten Schrecken an, Du mußt es ja doch erfahren, – was hilft's? Wilhelmchens Frau und der Thomas haben mich überredet, mich beschwatzt, – er ist mit den Beiden nach Kenelworth. Sei mir und dem Kinde nicht allzu böse, Alter; wir dachten nicht, daß Du so bald wieder kommen würdest. Laß heute fünf für gerade gelten, – es ist ja doch das erste Mal, daß so etwas gegen Deinen Willen geschieht!
So? fuhr der Vater im höchsten Zorne heraus; da hättet Ihr's mal! Das ist nun Euer Gehorsam, Eure Liebe zu mir! So weit geht also die Verachtung meiner Befehle?
Stumm, und ohne einen Blick weiter auf die Frau zu werfen, ging er aus dem Hause, kam zu Mittag und Abend nicht wieder, und erst in der Nacht erfuhr die Mutter, er sei 39 nach einer kleinen Stadt gegangen, um ein Geschäft abzuthun, das er freilich, ohne diesen Vorfall, wohl noch einige Wochen würde aufgeschoben haben. –
Jene Gruppe der Ausgewanderten, welche Stratford kürzlich verlassen hatte, befand sich indessen auch früher auf dem Rückwege, als sie es sich anfangs konnte vorgesetzt haben. Man bemerkte im Wandern, daß alle Erwartung doch immer mehr sei, als die Erfüllung. Müde wird man, sagte Johanna, und endlich unfähig, noch irgend etwas zu genießen. – Es müßte eben, fügte Thomas hinzu, das Ganze der Ergötzlichkeiten mehr einen innern, nothwendigen Zusammenhang haben, um Hoffnung, neue Aussicht zu erwecken; die Aufzüge, Erfindungen müßten sich steigern; so scheine Alles aber mehr der Laune, als einer verständigen Anordnung überlassen gewesen. Der alte Strange fand ohne Kritik Alles vortrefflich, freute sich aber, sein stilles Haus bald wieder zu betreten. Unser William, bemerkte Johanna, ist auf dem Rückwege ein Anderer, als auf der Hinreise; er sieht fast aus und beträgt sich, als wäre er auf einmal zehn Jahre älter geworden.
Es kann wohl zuweilen so kommen, erwiederte William: als ich die Königin gesprochen hatte, so nahe, sie so gnädig, da hat dieser glückliche Zufall mir eigentlich die Lust an allem Uebrigen verdorben; denn was konnte nun noch geschehn. das dieses Gefühl überträfe? Es war mir auch lieb, daß diese Gnade sich nicht zum zweiten Male wiederholte, daß die Königin mich gar nicht wieder bemerkte, weil mir solch Nachspielen desselben Dinges wohl auch den Geschmack am ersten Glück verdorben hätte. Ach! die liebe, herrliche, majestätische Königin! Alles bemühte sich um sie, lobte und vergötterte nur sie, und doch hat sie bei allen diesen geputzten Mühseligkeiten ihren Unterthanen wenigstens eben so viel 40 Opfer gebracht, als diese ihr dargeboten haben, immer aufmerksam, immer dankend, froh und lächelnd. Jeden, auch den Umständlichsten, ließ sie ausreden und sprach dann mit ihm. Ihr Wesen war, als wüßte sie, daß die Leute das Alles um sich selbst eben so sehr, als um die Fürstin thäten, und darum half sie ihnen so liebreich nach. Auch sich so ergötzen und bewundern zu lassen, ist mühselig, und was hatte sie mehr von allen diesen Anstalten, als der ärmste Unterthan, da alle die Kniebeugungen, Ceremonien und Opfer der Ehrfurcht doch nicht in ihr Herz dringen können?
Man ging die Bärenhetzen, Jagden, die komischen Bauernspiele, welche die Einwohner von Coventry der Königin nach altem Festgebrauch aufgeführt hatten, alle Feierlichkeiten und Späße in der Erinnerung wieder durch, und kam darin überein, daß eigentlich das Langweiligste ein Schauspiel gewesen sei, welches in der Halle des Schlosses gegeben worden war, und zu welchem dieser ländlichen Gesellschaft ganz unverhofft, durch Wirkung jenes Zufalls, der Zutritt war gestattet worden.
Kleider, Masken, Alles, bemerkte Thomas, war prächtig und bedeutend, die Verse klangen gut, aber ich habe immer gemeint, ein Schauspiel müsse ganz etwas Anderes bedeuten. Nun habe ich eins gesehen, und gewiß ein gutes; aber meine Erwartung war poetischer, als die Sache selbst, und ich würde mich zu keinem zweiten wieder drängen.
Recht schön war es, sagte William, aber immer waren die Figuren gar nicht wie Menschen; sie bedeuteten nur etwas, wie Großmuth, Güte und andre Tugenden, und ging Alles so bloß die Königin an, daß es für sich selbst gar nichts bedeuten konnte. So eine wahre Begebenheit, wenn die Verse auch nicht schön wären, mit gewöhnlichen Kleidern, so was, das wirklich in der Welt vorgehen kann, in kurzen, schnellen 41 Reden, oder mit heftigen Worten, fröhlichem oder ernsthaftem Inhalt, das anzusehen, müßte außerordentlich lustig seyn.
Sie näherten sich ihrer Heimath und so eben war auch John Shakspeare wieder in sein Haus getreten. Die Mutter, zwischen Freude und Angst getheilt, erwartete, was sich begeben würde, als der Vater dem Sohne die Hand gab, und ziemlich freundlich sagte: Diesmal sei es Dir verziehen, denn der steife, rechtgläubige Benson ist auch aus Bristol dorthin gepilgert, woher Du kommst.
Die Mutter umarmte den Sohn mit Innigkeit. Strange und dessen Begleitung beurlaubten sich; aber Thomas und Johanna blieben noch, um sich beim Freunde umständlicher zu entschuldigen, daß sie ihm den Sohn heimlich entführt hatten, und ihm zugleich, da sie ihn ziemlich heiter sahen, Vieles von ihren Abenteuern zu erzählen. Darüber war man aber überein gekommen, niemals etwas von dem Comödienspiel zu sagen, welches der Sohn versucht hatte, weil man den Abscheu des Freundes vor diesen Dingen kannte, und hoffen durfte, daß von dieser Episode der Echo, da nur wenige Zuschauer den Zusammenhang verstanden hatten, dem Vater niemals etwas würde verrathen werden.
Als Johanna auf den Punkt der Erzählung kam, die sie so vortrug, wie man verabredet hatte: wie William sich auf eine kleine Weile von ihnen verirrt, und drauf von der Königin bemerkt worden sei, diese gnädig mit ihm gesprochen und ihm ein Geschenk zum Andenken dieser Stunde mit huldreichen Worten gegeben habe, so weinte die Mutter in tiefer Rührung, und die Augen des Vaters leuchteten im heitern Glanz. Jetzt näherte sich William dem Vater und sagte: geliebter Vater, ich weiß, wie sehr Ihr unsere Königin als treuer Unterthan liebt und ehrt; nehmt von mir diese 42 Schaumünze als ein Geschenk an, da ich so glücklich gewesen bin, ihren Blick zu fühlen und ihr freundliches Wort zu hören.
Zitternd empfing der Vater das Goldstück. Er betrachtete es lange und heftete dann einen Kuß darauf; dann küßte er den Sohn und sagte: gesegnet seist Du mir, mein William, der Du mir ein solches unschätzbares Kleinod in mein demüthiges Haus bringst! Ich will Dir bis zu Deinen mündigen Jahren diese Kostbarkeit aufbewahren, und Du wirst es, so wenig wie ich, vergessen, daß Elisabeth meinen Sohn, den Knaben, ihres Anblicks und Wortes würdigte. – Er eilte hinaus, um seine tiefe Rührung zu verbergen.
Die Mutter war still glücklich. Der Vater war nicht nur besänftiget, sondern durch diesen glücklichen Zufall und die Gabe der Königin zu seinem Sohn, wie es schien, in ein besseres Verhältniß gesetzt. Sie dankte den Freunden, die sich ihres William so treu angenommen und für ihn gesorgt hatten. Der Knabe mußte noch mehr erzählen, was er gerne that, wobei er aber sein Abenteuer mit Gascoign immer verschwieg.
Das Gespräch und die fröhlichen Erzählungen der glücklichen Menschen wurden jetzt durch ein lautes, schallendes Gelächter unterbrochen, das unauslöschlich schien. Der Schall ließ sich draußen, unmittelbar vor dem Zimmer, vernehmen; es war ein Ton, der ihnen Allen unbekannt war. Wie erstaunten sie, als der Vater, noch immer lachend, herein trat; – sie hatten ihn nicht erkannt, weil Keiner ihn jemals laut lachen gehört hatte. Er trug den Kopf der Keule in der Hand, der Johannen und ihrem Bruder an den Kopf geflogen war, als der Waldgott, zum Zeichen der Ergebenheit, seinen Baumstamm zerbrach.
O ihr Menschen! ihr Menschen! rief John Shakspeare endlich, als er sich im Lachen ersättigt hatte. Muß denn auch 43 beim Ernsthaftesten und Edelsten immer etwas Läppisches und Albernes mit unterlaufen? Mit der goldenen Denkmünze kommt mir zugleich diese dumme Keule in mein Haus, die der alte Narr Gascoign draußen geschwungen hat, die meinem lieben Thomas an seinen tiefsinnigen Schädel fährt, um ihn zu erinnern, daß er doch auch in Kenelworth, oder in Arkadien gewesen ist; und der Wallfahrer ist auch andächtig genug, die Reliquie, die ihm an den Kopf geflogen ist, um seine Gedanken zu erwecken, selbst bis nach Stratford herzuschleppen. Haupt und Block haben sich unmittelbar berührt, und unsere Sprache bringt auch gerne block-head zusammen. Draußen hat mir eben der alte lustige Ritter Lucy, der herrliche Mann, Alles erzählt. Er selbst hat ganz in der Nähe gestanden. – Und unser Wilhelmchen – Ei! mein Sohn! ein großer Schauspieler, ein großer Kunstmensch bist Du ja geworden, ein Echo, – ein Nachplapperer von einzelnen Worten des alten poetischen Narren! – Das ist eine Vorbedeutung, Söhnchen! Solltest Du Lust bekommen, Dich einmal auf das Eis der Poesie zu begeben, so wirst Du auch nur Nachbeter, ein schwaches, verhallendes Echo früherer Thoren seyn. Darum hüte Dich, und arbeite und sei thätig! – Ein Echo ist unser Söhnlein gewesen! – Ja, Kind, Du wirst Lärmen in der Welt machen, das ist gewiß! Wer so anfängt, muß es weit bringen!
Er ergab sich dem Lachen von Neuem, und da Thomas sah, daß William sich gekränkt fühlte, nahm er für seinen jungen Freund das Wort: Wenn Ihr nun Alles wißt, so denkt im Lachen auch daran, daß dieser Spaß ihn zur Königin führte. Und so bringt das Kleine oft im Leben zum Großen. Und kann denn die Poesie, auch die beste, etwas Anderes, als ein Wiederhall, ein Echo der Wirklichkeit seyn? Sorgt ihr Thätigen, Handelnden, Regierenden nur dafür, 44 daß es schöne und kräftige Worte und bedeutsame Töne sind, die der Hall euch nachspricht.
Der Alte gab ihm die Hand, ging dann an seinen Schreibtisch, und nahm ein großes, schön eingebundenes Buch heraus. Ich muß Dir, Wilhelmchen, für Deine Königsmünze etwas geben. Diesen Chaucer solltest Du erst an Deinem künftigen Geburtstage erhalten; nimm ihn jetzt, wenn Du ihn auch nicht verstehn wirst. So helfen wir Verständigen denn doch, kämpfen wir auch noch so sehr gegen die Thorheit, diese selbst befördern.
Der Sohn küßte mit dankbarer Rührung die väterliche Hand.