Ludwig Tieck
Glück giebt Verstand
Ludwig Tieck

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Es schien, als wenn sich der Mai eigen dazu geschmückt hätte, den jungen Simon im väterlichen Hause recht freundlich zu bewillkommen, denn alle Blumen und Blüthen waren aufgebrochen, so daß der ganze frischbelaubte Garten wie in einem einzigen duftenden Strauß aufgequollen dastand. Der junge Mann, der Sohn des Landpredigers, sprang auch mit erneuten Sinnen über Feld und Wiese, lagerte sich in der geflochtenen Laube, hörte den summenden Bienen unter der großen Linde vor dem väterlichen Hause mit Andacht zu, und genoß, nach einer Abwesenheit von zwei Jahren, die Reize des Landlebens um so frischer, da er ihrer so lange in einem kleinen Städtchen, unter drückenden und langweiligen Geschäften hatte entbehren müssen.

Die Mutter freute sich an der Trunkenheit ihres Sohnes, aber der ernstere Vater hatte erwartet, daß der Sohn mehr mit der Miene des Geschäftmannes die Scene seiner Kindheit besuchen würde. Er bedachte nicht, daß er um so viele Jahre älter, der Umgebung mehr gewohnt sei und deshalb die Freude des Sohnes nicht theilen könne, dem er ein stolzeres und kälteres Wesen wünschte, um den Leuten mehr zu imponiren, die vor seinem jugendlichen frohen Gesichte keine große Achtung, viel weniger Scheu empfinden wollten. Er, als ein stolzer und eitler Mann, hatte gehofft, daß in diesem Sohne der Glanz seiner Familie sich neu beleben 6 sollte, und aus diesem Grunde hatte er ihn auch bewogen, die Rechte zu studiren, obgleich Simon in seiner Kindheit und Jugend mehr Hang zur Einsamkeit zeigte und seiner Neigung nach lieber so, wie sein Vater, als Prediger in diesem stillen, friedlichen Dörfchen seine Tage hingebracht hätte. Immer schwebte dem Alten das ehrwürdige Bildniß seines eignen Großvaters vor Augen, der als berühmter Criminalrath in der Residenz auf einem großen Fuße gelebt hatte, ob er gleich der Sohn eines Landpredigers gewesen war. Der Sohn dieses angesehenen Rechtsgelehrten war mit wenigeren Talenten ausgestattet, oder minder vom Glück begünstigt gewesen, und deshalb hatte er seinen Sprößling, den Vater Simons, der Theologie gewidmet. Durch seinen Einfluß, indem er eine, zwar untergeordnete, Rathsstelle bekleidete, hatte er ihm diese einträgliche Pfarre auf dem Dorfe, in einer schönen Gegend verschafft, und Bäring (so hieß der Vater) hätte glücklich seyn können, wenn ihn nicht beständig das Gefühl gemartert hätte, er sei zu höheren Dingen berufen, und habe aus Nachgiebigkeit gegen den Vater seine wahre Bestimmung verfehlt. Darum eben sollte Simon, sein ältester Sohn, alle jene Ansprüche geltend machen und den Platz in der Gesellschaft einnehmen, von welchem eine zu große Aengstlichkeit seines Vaters ihn für immer entfernt hatte.

Simon selbst war ehrgeizig genug, aber auf andre Weise. Er war furchtsam, und sein Vater begriff nur seine Zaghaftigkeit deshalb nicht, weil der Sohn Talente, Kraft und Männlichkeit daran geben sollte, um sich zu erheben, indessen er, aus sichrer Einsamkeit, sich als Zuschauer am Glücke des Erzeugten ergötzen wollte. Die Mutter zitterte im Gegentheil für den Geliebten und konnte die Grausamkeit des Vaters, wie sie dessen Aufmunterungen nannte, so 7 wie die Ergebenheit des Sohnes nicht begreifen, der in wenigen Tagen der Entscheidung seines Schicksals in der Residenz entgegen gehen sollte.

Jetzt suchte sie ihn im Garten, um recht herzlich und liebevoll mit ihm zu sprechen, aber er war in seiner Begeisterung schon wieder fort, und weder in der Laube, noch im Baumgange zu finden. Sie ging in das Haus zurück, und als sie vor der Thüre der Kinderstube war, mußte sie vor Verwunderung stille stehn, denn aus dem Zimmer, in welchem ihre beiden Knaben und eine kleine Tochter sich mit Spielen und Lernen ruhig beschäftigen sollten, hörte sie laute Flüche und ein wildes Gelärme. Himmelkreuzdonnerwetter! schrie so eben wieder Jemand mit einer tiefen Stimme, indem er dazu mit der Faust auf den Tisch schlug: ich will euch Mores lehren, Satansrangen! Element und Mohrenpestilenz! das muß anders werden, oder blitzblaue Granaten-Bomben-Carthaunen-Regiments-Cosacken-Unteroffiziere sollen das Oberste zu unterst kehren! Ganz im Erstaunen verloren, wer der wüthende Unbekannte seyn könne, der in der Kinderstube so unvernünftig tobe, öffnete die Mutter die Thür, und, starr vor Verwunderung, sah sie Niemand, als ihren ältesten Sohn, den blonden, schmächtigen Simon, der mit hochrothem Gesicht in der Mitte des Zimmers stand, indessen die beiden Knaben sich bleich und geängstigt in die äußersten Ecken zurück gezogen hatten und auf ihre Bücher stumm niedersahen; die kleine Sophie aber war hinter den Ofen gekrochen und weinte bitterlich.

So wie die Mutter eintrat, verwandelte sich die Scene, die Kinder kamen hervor und umringten sie schmeichelnd und liebkosend, indessen Simon sich beschämt zum Fenster wendete und den übrigen, um seine Verlegenheit zu verbergen, den Rücken zukehrte. Was giebt es denn? fragte die Mutter. 8 Der Bruder will uns erziehen, sagte Ernst, der ältere Knabe, und meint, es müsse mit Strenge geschehn, weil sonst nichts aus uns werde. – Ja, sagte Sophie noch weinend, Simchen hat sich auch schon die Hand blutig gemacht, so böse ist er auf uns und den Tisch da gewesen.

Die Mutter beruhigte die Kinder und führte dann ihren Aeltesten, dessen beschämtes Gesicht im dunkelsten Purpur glühte, in den Garten. Ich kenne Dich nicht wieder, sagte sie hier, indem sie ihn scharf betrachtete, Du bist sonst die Sanftmuth selbst, Dein Vater schilt auf Deine Weichheit, die er gern stärken möchte, und nun finde ich Dich hier tobend und fluchend und die Kinder ängstigend, die sich doch nicht einmal gegen Dich vergangen zu haben scheinen. Was hattet Ihr denn mit einander?

Liebe Mutter, erwiederte stotternd der Jüngling, ich bin so verlegen, daß ich nicht weiß, was ich antworten soll. Eben, weil ich wohl fühle, wie Recht mein männlicher Vater hat, daß ich zu weichlich und furchtsam bin, und weil ich jetzt in wenigen Tagen einer so schweren und ängstigenden Bestimmung entgegen gehe, übe ich mich schon seit einem Jahre, rauh, auffahrend und wild zu seyn, damit ich mir das zarte, jüngferliche Wesen etwas abgewöhne, das allen Menschen, wie vielmehr meinen Vorgesetzten, nur geringe erscheint, und wodurch alle, selbst der Unbedeutendste, ein so großes Uebergewicht über mich erlangen. Ich zittere vor Jedem, und kein Einziger läßt sich von mir imponiren.

Liebes Kind, antwortete die Mutter, das scheint mir ein sonderbares Mittel, Dich abzuhärten und Dir ein männliches Ansehen zu geben. Würde es der Vater wohl billigen? Ein solches gottloses Fluchen in einem stillen Priesterhause, und noch dazu vor Kindern!

Sie haben Recht, erwiederte der Sohn, der Vater 9 würde zornig darüber werden, und darum habe ich auch mit Micheln oben die Uebung nicht anstellen wollen, weil dort die Stube des Vaters zu nahe ist, und Michel selbst, der mich noch als Kind gepflegt und gehütet hat, sich wohl nicht darein finden würde. Aber es muß seyn, daß ich mir manchmal eine solche Stärkung gebe, denn ohne das würde ich ganz verzagen. In dem Städtchen dort war mein Aufwärter darauf abgerichtet.

Und ließ sich denn der Mensch Dein Fluchen und Schimpfen gefallen? fragte die Mutter.

Er bekam etwas mehr Lohn, war die Antwort des jungen Assessors, und ich galt auch deshalb in der Nachbarschaft für einen recht bösen Herrn. Nur einmal vergaß der Dummkopf unsere Abrede, und glaubte, es sei mein Ernst. Ich schimpfte vielleicht etwas zu viel und empfindlich, denn der Bürgermeister war zugegen, und ich wollte mir vor diesem ein Ansehn geben, weil ich gehört hatte, daß der alte Mann mir nicht viel Charakter zutraue. Der einfältige Bediente aber nahm die Sache übel und schalt ärger als ich, so daß ich in meinem Leben noch nicht so beschämt vor Jemand gestanden habe. Er entschuldigte sich nachher damit, daß ich zu anzüglich geworden sei, und so ganz empfindliche Reden unmöglich durch die kleine Vergütigung quitt gemacht werden könnten. Ich mußte nur froh seyn, daß er sich nicht an mir vergriffen hatte, denn es war freilich das erstemal, daß ich ihm zugleich eine Ohrfeige gab.

Die Mutter konnte diese Erzählung und das wunderliche Beginnen des Sohnes nicht begreifen. Als sie in ihrem Unglauben beharrte und diese Art von spartanischer Uebung und Mißhandlung der Heloten eben so unnütz als unmoralisch finden wollte, ereiferte sich Simon und sagte mit vieler Empfindlichkeit: Liebe Mutter, Sie verderben und zerstören 10 mir da völlig meine allerletzte Hoffnung. Bedenken Sie doch nur meine Lage. Hier in der Einsamkeit aufgewachsen, nachher einer Schule in der kleinen Stadt anvertraut, wo ich nirgend Welt und Menschen sah und kennen lernte, und meine natürliche Furchtsamkeit nur genährt wurde, – was half mir da die Universität, wo mich mein schüchternes Wesen von Studenten und allen lauten Gesellschaften wieder entfernte? Nun komme ich zurück und soll einen Mann, einen Gelehrten vorstellen: – ich lebe wieder bei Ihnen, und komme dann in das kleine Nest als Assessor hinüber. Da versitze ich wieder zwei Jahre und sehe weder Welt, noch Sitten und Manieren, und fürchte mich vor dem Kuhhirten, wenn er seine Heerde austreibt. Nun giebt man mir Hoffnung, Rath zu werden, ich soll mich examiniren lassen, ich soll in die große mächtige Residenz hinein; und so wie mir mein Schulkamerad, der gute Schwebus, schreibt, ist der Minister, dem ich mich vorstellen muß, ein erzgrimmiger Mann, der schon einen Haß auf mich geworfen hat, und mich beim Examen, bei welchem er auch selbst zugegen ist, will durchfallen lassen. Und warum ist der schreckliche Mann mir entgegen? Er hat da einen andern Assessor, einen wilden, großartigen, genialischen Menschen, der dabei gelehrt ist, die Welt kennt, lange Privatsekretär des Ministers war und mit allen Hunden gehetzt wurde; diesem Goliath, diesem furchtbaren Feind und Riesen, einem Herrn Wohlgast, diesem hat der Minister, von dem es einzig und allein abhängt, meine Stelle schon seit Jahren versprochen. Und da soll ich nicht zaghaft seyn? Soll ich nicht zu den verzweifeltsten Mitteln greifen? An einem Strauch hält sich der Schiffbrüchige, auch wenn ihn dieser nicht retten kann. – Ja, Mutter, ich bin außer mir! – Mit einem Thränenguß beschloß der weiche und aufgebrachte Sohn seine Rede.

11 Die Mutter tröstete, so viel sie vermochte, sie erinnerte ihn daran, daß sein Schulfreund Schwebus nicht eben zu den wahrhaftesten gehöre, daß dieser, so oft er bei ihnen auf dem Lande gewesen, sich eine besondere Freude daraus gemacht, den arglosen und furchtsamen Simon zu necken und zu ängstigen, daß also die Umstände vielleicht viel günstiger sich gestalteten, als man ihm beibringen wolle, und daß eine ruhige Resignation, im Fall es mißlinge, so wie ein fester Muth, dem entscheidenden Augenblick entgegen zu schreiten, viel anständiger und männlicher, ein Vertrauen auf den Himmel und dessen Fügungen aber viel nothwendiger sei, als in einer fast kindischen Angst das Unpassendste zu ergreifen, wodurch nur Aergerniß gegeben werde. Auf den schlimmsten Fall, schloß die belehrende Mutter, kehrst Du in Deine vorige Stellung zurück, und erwartest ruhig vom Schicksal und einer günstigen Stunde eine bessere Versorgung.

Und mein Vater? rief Simon unwillig aus: wird der Mann, der eigentlich zum Monarchen von Trapezunt oder Bessarabien geboren ist, sich auch so demüthig zufrieden geben, selbst wenn ich es wollte? Dem ist ja die Rathstelle in der Residenz noch zu wenig und ich müßte mindestens dirigirender Minister selbst werden, wenn ich ihn zufrieden stellen wollte! Nein, Mutter, da müßte ich Jahre lang die Ermahnungen seines zornigen Ehrgeizes anhören und vor Schaam und Verdruß sterben. Und doch hat er gut reden, da er es ja selbst nimmermehr zum Superintendenten bringen kann. Kein Mensch darf ihm nur etwas sagen, sonst würde ich ihm dergleichen antworten. Und nach meinem Neste drüben zurück? Es geht ein für allemal nicht. Ich habe von allen Menschen Abschied genommen, allen Räthen aus Eitelkeit gesagt, ich hätte die Stelle schon, mich beim Einsteigen in den Wagen mit dem Bürgermeister tüchtig 12 gezankt, ihn aus dem Wagen heraus, da ich das letzte Wort hatte, derb geschimpft, daß ich lieber nach der Türkei, als dorthin möchte. Auch ist meine Stelle gewiß schon besetzt.

Daß Du mit so weniger Einsicht handelst, sagte die Mutter, muß ich immer schmerzlicher fühlen. Aber warum hast Du Dich denn mit dem alten, reichen Manne so überworfen?

Ein Wort gab das andre, erwiederte Simon. Ich war viel in dem Hause gewesen und man hatte mich gut aufgenommen. Die Tochter hatte immer viel mit mir zu schaffen. Sie ist recht hübsch und auch nicht ohne Verstand. Der Alte, das merkte ich bald, wollte ein Paar aus uns machen, und die Stadt, wie die kleinen Nester einmal sind, nahm es auch schon so an. Ich wollte das Haus mehr vermeiden, ich ging weniger mit der Familie spazieren, aber ich konnte unmöglich ganz abbrechen. Wie es nun zur Abreise kam, wollte der alte thörichte Mann, ich sollte mich entschließen, ich sollte mich erst verloben und dergleichen mehr, und als ich das durchaus nicht wollte, nannte er mich undankbar und schlecht, und machte Anstalten, mir seinen Fluch zu geben. Da verlor ich denn auch die Geduld, und so gab es denn zu guterletzt, da ich so vollkommen im Rechte war, Schimpfen gegen Schimpfen, Fluchen gegen Fluchen.

Ach, liebstes Kind, fing die Mutter wieder an, da bist Du ja Deinem Glücke recht muthwillig aus dem Wege gegangen. Was hielt Dich denn ab, Dich mit einem hübschen, reichen Mädchen, und dazu aus einer guten Familie, zu verbinden?

Hier wandte sich der Sohn unwillig ab. Von Neuem überflog eine Gluth sein zartblühendes Gesicht. Er sah dann die Mutter mit einem scharfen, fast zürnenden Blicke an. 13 Wie? rief er aus: so denken Sie, die Sie Alles wissen und mich ganz kennen? Und meine erste Liebe?

Aufrichtig, das habe ich nur für eine Kinderei gehalten.

Kinderei? rief Simon, wie im Entsetzen aus; die erste, einzige Liebe!

Du weißt ja doch, fuhr die Mutter fort, sie ist nicht Deines Standes, sie ist ein Fräulein, arm und ohne Schutz und Familie, einige Jahre älter als Du –

Sie ist, rief der erhitzte Jüngling, Sidonie – Sidonie ist sie, und in dem einzigen Laut ist Alles gesagt und Alles widerlegt. Wie kann eine zärtliche Mutter gegen ihren unglücklichen Sohn so grausame Worte aussprechen!

Das Gespräch hätte sich vielleicht noch mehr erhitzt, wenn ihnen nicht der ernste Vater in diesem Augenblicke entgegen gekommen wäre, bei dessen Anblick sie es Beide gänzlich fallen ließen.


Nein! rief der Vater, als er sich mit dem Sohne allein auf seinem Zimmer befand, niemals, unter keiner Bedingung darfst Du Deinen hohen Beruf aufgeben, auch wenn Dir Millionen zu Gebote ständen. Bis zum letzten Athemzuge muß der Mensch wirken und arbeiten; Dein Beruf ist Deine Ruhe, die Mühe Deine Erquickung.

Ich meinte nur, antwortete bescheiden der Sohn, daß im Alter, wenn ich vielleicht viele Jahre schon Präsident oder Kanzler gewesen, ich mich dann etwa mit Frau und Kindern als Greis auf eines meiner Güter zurück ziehen könnte –

Niemals! eiferte der Vater: Luftschlösser! mein Sohn. Laß Deine Güter alsdann von Deinen Verwaltern regieren: an Dich selbst hat der Staat viel höhere Forderungen. 14 Deine Kinder selbst müssen ja alsdann auch schon im Dienste seyn und zum Besten des Landes arbeiten.

Ich meinte nur die Töchter, warf Simon bescheiden ein.

Sind verheirathet, antwortete der alte Bäring; und wenn auch noch nicht, so können sie in der Stadt auf jeden Fall viel besser als auf dem Lande erzogen werden. Und, mit einem Wort, Du sollst, wenn Du mein Sohn bist, in Deinem Berufe leben und sterben. Ja, mein theurer Simon, wenn ich noch das Glück erlebte, Dich, als einen hohen Richter in Israel, zu sehen, mit strenger Miene dasitzend, geehrt und gefürchtet, vor Dir, vor Deinem Richterstuhl ein Großer, irgend ein Mächtiger, der Dir Rede und Antwort geben müßte, dem Du gelassen und strengen Tones eindringliche Worte sagtest, auf die er nicht zu antworten vermöchte – o, mein Geliebter, wenn dann unser Landesherr Dich lobte und priese, Dich belohnte und hochschätzte, und ich etwa durch Deinen Einfluß die wichtige Stelle des Superintendenten und Hofpredigers erhielte, – sieh, geehrter Freund und Sohn, diese Wonne würde den ganzen Inhalt meines Lebens ausfüllen und verklären.

Es kann ja, antwortete Simon, auf diesem Wege alsdann geschehn.

Narr! fuhr der Vater auf: sitzt er nicht schon da, als wenn ich sein demüthiger Client wäre! Das sind ja alles nur Träume und Hirngespinnste, denn Du bist gar nicht der Mann darnach, diese schönen Hoffnungen wirklich zu machen. Du bist zu schwach und demüthig, zu blond, was immer unmännlich ist, allzu schmächtig, wodurch alle Haltung verloren geht; wirst um jede Kleinigkeit roth, wodurch Dich jeder Thor erschrecken kann, und hast eine feine, klare Stimme, vor der auch der zaghafteste Verbrecher niemals erzittern wird.

15 Simon, in seine natürliche Verlegenheit plötzlich zurück geworfen, hustete, und vermied den ernsten Blick des Vaters, indem er sich am Fenster ein Geschäft machte. Es kommt ein Bote, rief er, von Ihrem Collegen, dem Pastor Brüggemann, drüben in Neudorf.

Die Frau trat gleich darauf herein, indem sie meldete, der Prediger vom nächsten Orte habe sich als Gast zu Mittag und auf ein Nachtlager ansagen lassen, weil er morgen auf einigen andern Dörfern Geschäfte habe.

Wirklich? rief der alte Bäring halb ergrimmt; ich glaube, der hochmüthige Mann spielt schon den Superintendenten. Frau, ich sage Dir, kommt er heut und sagt mir mit dem demüthigen Gesicht und dem schleichenden Lächeln, daß er die Stelle doch endlich bekommen hat, so rührt mich der Schlag. Ich überlebe es nicht, unter diesem aufgeblasenen, unwissenden Menschen zu stehn. Aber er läßt immer wieder drucken und dedicirt, bald aufgeklärte Predigten, bald Erziehungsschriften, bald Lieder und politische Ansichten, und was Buchhändler und vornehme Herren eben begehren, und seine Brüder, die unglücklichen Freimaurer, werden es endlich schon durchsetzen, daß er mir über das Haupt wächst, und mich als mein Vorgesetzter auf die freundlichste Weise schikaniren und ärgern kann. Ich zittre jedesmal, wenn er den Fuß nur über diese Schwelle setzt, denn ich sehe immer schon die fürchterliche Nachricht auf den breitgezogenen Lippen schweben.

Der Mann hat sein Gutes, erwiederte bescheiden die Frau, man kann ihn doch nicht hassen.

Ich hasse Niemand, fuhr der Prediger fort, am wenigsten einen verdienstvollen Collegen: aber sein Hochmuth ist mir, wie jedem Christen, zuwider, und ich tadle es mit 16 Recht, daß er nicht ruht und rastet, bis er diese Leidenschaft wird befriedigt haben. Kann er denn mit seiner vortrefflichen Pfarre nicht zufrieden seyn? Ist sie nicht eben so einträglich, als die hiesige, vielleicht noch mehr? – Aber wie haben sich die Zeiten geändert! Ja vormals! da hatten die christlichen Geistlichen noch die Demuth vor Augen. Ein solches musterhaftes Beispiel gab uns mein Aeltervater. – Er suchte mit diesen Worten nach einem alten Buche, welches Mutter und Sohn nur allzu gut kannten, und gern die erneute Mittheilung jener Aufsätze vermieden hätten. Da sie aber wußten, wie wenig der Vater auf dergleichen ungeziemende Wünsche einging, so hielten sie sich ruhig und gaben sich, so viel sie nur irgend konnten, die Miene der neugierigen Aufmerksamkeit.

Ihr wißt, fuhr der alte ernsthafte Mann fort, daß, so weit meine Nachrichten reichen, alle meine Vorfahren die geistliche Würde bekleidet haben. Von einem einzigen Schulmeister will eine alte Legende fabeln, die ich aber nicht annehme, obgleich ein tüchtiger Schulmeister auch für einen halben Geistlichen gerechnet werden könnte. Mein Aeltervater Sigismund war Prediger auf einem kleinen, kleinen Dörfchen, zehn Meilen von hier, und genoß so schmale Einkünfte, daß man seine Stelle wohl zuweilen im Scherz eine Pönitenz-Pfarre nannte. Er hatte nur einen einzigen Sohn, Albertus, der, von guten Leuten und Stipendien unterstützt, sich, der Armuth ungeachtet, dem Studiren widmen konnte, es aber vorzog, da er die traurige Verfassung des Vaters sich zu Herzen genommen hatte, ein Jurist zu werden, und so zuerst die lange Ahnenreihe meiner priesterlichen Vorfahren zu unterbrechen. Hier ist das Tagebuch meines Altvaters Sigismund, und ich will heute nur ein Weniges daraus vorlesen, weil Ihr einiges schon kennt, indem ich nur den alten Styl 17 verbessere, der in unsern Tagen auch oft zu unbillig getadelt und verachtet wird.

– – »Im Jahr – den zwanzigsten Mai. – Heut ist mein Geburtstag. Meine alte Frau und Gehülfin feiert ihn mit mir, mehr in Worten und Gesinnungen, Gebeten und Wünschen, als daß wir, wie die Weltmenschen, an diesem Tage etwas mehr uns zu Gute thun, oder irgend eine Schau- und Prunkweise anstellen könnten, an welcher sich unsere noch ärmeren Nachbaren nur ärgern dürften. Unsere Ergötzlichkeit waren die Blumen unsers kleinen Gartens, das Summen der Bienen und das Geschrei des Pfingstvogels zusammt einem schönen Liede der Nachtigall, die unsere geringe Gegend alljährlich besucht. Von meinem lieben Sohne Albertus habe lange nichts vernommen. Gott beschütze ihn. Ein Reisender wollte uns neulich sagen, er läge krank. Meinen Brief wird er jetzt wohl haben.« –

»Den ein und zwanzigsten Mai. – So schrieb ich in meiner Unschuld gestern. Konnte ich denn auch wissen, was mir der Herr an diesem, meinem drei und sechzigsten Geburtstag bescheert hatte? Gewiß war mein Albertus, dieser mein Herr Sohn, der mir und unserm ganzen Lande so viel Ehre bringt, immer von hoher Gesinnung, aber dergleichen konnte ich doch nicht von ihm erwarten. Indem wir bei unserm kleinen Mahl sitzen, und eben die bescheidenen Gläschen des schwachen Landweins anstoßen, ich und die fromme Brigitta, mein altes Gemahl, so entsteht ein Auflauf im Dorfe, Geschrei, Rennen, und fremdes Tönen und Musiziren. Ich erschrecke und vermuthe Feuer, will den Theobald zum Küster senden, als das Geschrei und der Auflauf sich meiner kleinen Hütte tobend zuwälzt. Da seh' ich Reiter, hinter denen eine blanke Kutsche mit Fenstern und Gold; vorauf vier blasende, musizirende Postillionsreiter. Je näher sie kommen, je 18 lauter und fröhlicher blasen die Männer, die alle in neuer Montur mit Tressen und Silber daher glänzen und Blumensträuße auf ihren bordirten Hüten tragen. Muß ich nicht denken, ein regierender Fürst prunke so klingend daher? Aber wie wird mir, als der glänzende Zug sich nach meinem Hause herbewegt, ja endlich gar vor meinem Gartenstaket stille hält, indem ich in dem kühlen Hausflur stehen bleibe, und alle vier Männer immer lauter in ihre gekrümmte Posaunen stoßen, so daß ihnen die Backen dick und roth auflaufen, und ein Widerschall vom grünen Hügel drüben und der Amtswohnung so seltsamlich antwortet, und dreifältig nachklingt, wie ich in hiesiger Gegend noch niemals dergleichen vernommen habe. Und wer – wer steigt endlich aus dem großen beweglichen Glashause, angethan mit einem sammtnen Kleide? – Mein eigner, leiblicher Sohn, der ehrwürdige Albertus. – Die Alte ist fast vor Freude gestorben, und mir haben die gewöhnlichen Sinne, mit denen ich bis dato fertig geworden, ebenfalls versagt, und habe meine Fassung beinah auf unchristliche Weise auf einige Zeit eingebüßt. – Er ist nehmlich, der theure Sohn, der Stolz meines Alters, dem durchlauchtigen Fürsten selber bekannt geworden, und dieser hat ihn, seinen Feinden und Neidern zum Trotz, zum Criminal- und Tribunalrath ernannt, mit großem Gehalt, und da hat der Einzige mir und der Mutter diese unverhoffte, sonderbare Freude an meinem Geburtstage machen wollen. Auch will er mir einen Adjunktus halten, der für mich das Amt versieht, und außerdem jährlich ansehnlich beisteuern, daß wir unser Alter pflegen können! – Dank sei dir, Herr, Schöpfer und Wohlthäter! – Der Amtmann selbst hat sich tief vor meinem Herrn Sohn verbeugt. Die Jugend, wie es zu gehn pflegt, hat ihn für den Fürsten gehalten. Mein Schulmeister Lobethan hat ihm ein Carmen gedichtet und noch gestern 19 Abend überreicht. – So viel hat mein Gebet zum Himmel und mein Segen an diesem Sohne gewirkt. Erlebe er eben diese Freude an seinen Kindern!« –

Es entstand eine Pause nach dem Lesen, während welcher sich Bäring die Augen trocknete. Dieser mein Großvater, Albertus, sagte er dann, konnte aber dennoch, weil er im Alter sich mit dem jungen Fürsten entzweit hatte, meinen trefflichen Vater zu keiner hohen Würde erheben, und ich, ohne Protektion und Verwandte, muß deshalb hier auf einsamem Dorfe verwildern. Du aber, mein Sohn, an den ich so viel gewendet habe, kannst den Glanz unsers Hauses wieder erneuern.

Damals, sagte Simon, war es auch noch leichter, sich auszuzeichnen und empor zu steigen.

Schweig! rief der Vater mit zornigem Blick. So dachte mein Großvater nicht! Du bist aber auch kein Albertus. – Er blätterte weiter im Manuscript und hätte wohl, zu Simons Leidwesen, noch mehr daraus vorgetragen, wenn nicht in diesem Augenblick ein kleiner Wagen unten gehalten und der Pastor Brüggemann aus diesem gestiegen wäre.


Nach Tische saß die Familie beim Kaffee in der Gartenlaube, indem mit dem Gaste Gespräche mancherlei Art gewechselt wurden. Simon sah mit Verlangen seitwärts nach dem kleinen Hause und Garten hinüber, in welchem seine Jugendgeliebte wohnte, und wäre gern der vielen lästigen Reden entübrigt gewesen, bei welchen er obenein, seiner Jugend wegen, meist nur einen stummen Zuhörer abgeben mußte. Die beiden Geistlichen waren freundlich mit einander, so oft sich auch ein kleiner Streit über diesen oder jenen Gegenstand erhob, der sich um so leichter schlichtete, weil 20 Brüggemann sich als den Weltmann, Einsichtsvolleren und an Geist Ueberwiegenden benahm, und daher sogleich nachgab, wenn der starrsinnige Bäring irgend einen Punkt zu nachdrücklich behauptete. Simons Mutter nahm Theil an den Leiden ihres Sohnes und hätte ihn gern von der Gesellschaft frei gemacht, wenn sie nicht den Zorn des Mannes befürchtet hätte, der sich auch ohne Rückhalt würde gezeigt haben, wenn man eine von ihm getroffene Ordnung nicht geachtet hätte. Doch sie selber wurde jetzt ängstlich, als ein gut gekleideter Landmann von der Anhöhe jenseit des Gartens die Gesellschaft mit Ehrfurcht begrüßte, indem der Pastor Bäring nur nachlässig den Gruß erwiederte, und seiner besorgten Frau einen drohenden Blick zuwarf. Der Fremde war nehmlich der Schulze eines nahen Dorfes und der Mutter Simons verwandt, welche selber die Tochter eines wohlhabenden Landmanns war. Ihre Schönheit und freundliche Anmuth hatten den Pastor Bäring in seiner Jugend vermocht, diese Mißheirath, wenn auch mit Sorge und oft widerstrebendem Herzen, zu schließen.

Bäring konnte es nicht unterlassen, das Gespräch zu unterbrechen, indem er unwillig sagte: da kommt der Schulze von Ebersdorf schon wieder, und gewiß ist uns der Besuch zugedacht, denn der lästige Mann meint, ich sehe ihn mit derselben Freude, mit welcher er mir unbequem fällt.

Hat er Geschäfte, oder ein Anliegen? fragte Brüggemann.

Er ist uns weitläuftig verwandt, antwortete der Wirth, von Seiten meiner Frau; so beträgt er sich denn auch als ein Mitglied der Familie, und was das schlimmste ist, es gilt der Mann in seiner Gemeine für außerordentlich klug und geistreich, so daß er sich oft beikommen läßt, gewissermaßen den Theologen zu spielen. Er hat seine Lust am 21 Disputiren, und ist so rechthaberisch, wie ein Candidat nach seiner ersten Predigt.

Bei dergleichen Männern, bemerkte Brüggemann, wird es die Pflicht des Geistlichen und Vorgesetzten, sie auf alle Weise wieder in den ihnen angemessenen Kreis zurück zu führen, sollte es auch manchmal mit einer gewissen Härte geschehn müssen. Wenn in Gewerben und Künsten Dilettanten eben nur Stümperei hervorbringen, so sind diese Pfuscher in Theologie und Religion geradezu gefährlich, besonders, wenn sie sich eine gewisse Mystik zu eigen gemacht haben, die natürlich immer sehr wohlfeil zu erlangen steht.

Bei diesen Aeußerungen ward die Mutter noch ängstlicher und Simon fast noch mehr, der diesen Vetter liebte und eine Art von Ehrfurcht für ihn empfand. Sogleich trat auch der Schulze ein, reichte der Predigerin und Simon die Hand, die er herzlich schüttelte, und verbeugte sich dann gegen die Geistlichen, die seinen Gruß nur mit Kopfnicken erwiederten.

Der Schulze setzte sich auf die Bank der Laube, von den übrigen etwas entfernt, und seine Verwandte gesellte sich zu ihm, indem die Geistlichen wieder ein gelehrtes Gespräch anfingen. Man redete über die Art, in welcher der Gemeine gepredigt werden solle, und Brüggemann behauptete, es dürfe zwar alles faßlich und leicht seyn, was vorgetragen würde, müsse aber doch mit Fleiß und Nachdenken ausgearbeitet und vorher genau memorirt werden, weil der Lehrer sich nur alsdann Nutzen und einen sichern Erfolg versprechen könne. Bäring gab ihm im Ganzen Recht, war aber der Meinung, der Landprediger dürfe auch wohl nach gewissen Zeiten eine und die andere Predigt, die besonders eindringlich gewesen, wiederholen, um nicht aus Absicht, stets etwas Neues zu sagen, triviale oder ganz unpassende Dinge vorzutragen.

22 Warum, Herr Vetter, fing der Schulze mit bescheidener Stimme an, als eine Pause entstanden war, bemühen und quälen sich doch die Herren Landprediger, und zwar die allerbesten, soviel damit ab, Predigten aufzuschreiben und sie dann so mühselig auswendig zu lernen?

Wie meint Ihr das, mein guter Schulze? fragte Bäring.

Wenn es die Herren im ersten Jahre thun, antwortete dieser, so begreife ich es wohl, aber nachher, wenn sie ihre Gemeine und jede Haushaltung derselben genau kennen, Armuth und Reichthum, Liebe und Zwiespalt, Frömmigkeit oder Wildheit eines jeden Mitgliedes: so möchte der geistliche Hirt, da er doch die Gabe der Rede hat, nur immer, wenn auch vorbereitet und durch Gebet gesammelt, so aus dem Kopfe frischweg nach seinem Bibeltexte für die Umstände eine passende Rede halten, und sie würde gewiß eindringlicher wirken, als die mühsam auswendig gelernten.

Also wie die Methodisten oder Quäker? warf Brüggemann ein: da würde freilich die christliche Kirche herrlich bestellt seyn.

Ich kenne diese Herren nicht, erwiederte der Schulze, aber, wenn sie es so machen und die Sache geräth ihnen, so möchte ich sie deswegen nicht tadeln.

In diesem Augenblick trat noch ein Wesen zur Gesellschaft, das sich, nach kurzem Gruße, sogleich vertraulich zum Schulzen niedersetzte, und ohne Umstände die von der freundlichen Mutter dargebotene Erquickung annahm. Brüggemann, und Bäring noch sichtbarer, wurden verdrüßlicher; denn diese alte Frau, die zwar reinlich gekleidet ging und nicht ganz gemein erschien, lebte von den Wohlthaten des Dorfes. Als sie jetzt dem jungen Simon, mit dem sie schon beim Eintritt freundliche Blicke gewechselt hatte, die Hand gab, warf ihr dessen 23 Vater einen so strengen Blick zu, daß sie sich schnell wieder nieder setzte, ohne die angefangene Rede zu beendigen.

Nur der Gelehrte, fing Brüggemann mit lauter Stimme wieder an, kann den Ungelehrten, nur der Vorbereitete den Unwissenden unterrichten. Sich auf eine augenblickliche Begeisterung, oder gar Inspiration, verlassen wollen, ist der verderblichste von allen Irrwegen. Ein solcher Lehrer muß sich erst selbst erhitzen, um Gedanken und Vorstellungen zu finden; er wird die suchen, die etwas Fremdes, Seltsames enthalten; ja in seiner exaltirten Stimmung, in welcher er sich selbst nicht mehr bewachen kann, werden sich ihm paradoxe Meinungen anbieten, an denen er sich erfreut, und so, wie ein Wort das andre, giebt dann eine Thorheit die andre, und statt die Zuhörer zu erbauen und zu bessern, wird er sich selbst mit jedem neuen Taumel verschlimmern, um nur nicht ins Alltägliche, oder in Verlegenheit zu verfallen, die dem Verwöhnten dann kaum noch eine zusammenhängende Rede zuführen möchte.

Das wäre freilich ein böser Ausgang, sagte der Schulze, wenn der Lehrer obenein mit dem Kirchsprengel zugleich verloren ginge. Ich habe aber hier zu Lande, wie draußen, als sie mich zum Soldaten geworben hatten, Prediger gekannt und oft gehört, die so schlichthin aus dem Kopfe reden konnten, so unmittelbar nach Brand, Sterben, oder anderem Unglücke Trost gaben, oder auf gutmüthige erlaubte Weise warnten, daß sie für ihre Gemeinen vom größten Segen waren. Der eine vorzüglich sprach ganz wie ein besserer Bauersmann, er nahm seine Gleichnisse und Erläuterungen vom Ackerbau her, redete oft in Sprichwörtern, die jedermann längst kannte, oder schon wieder vergessen hatte; und diesem Manne habe ich, wie viele hundert Menschen, unendlich viel zu verdanken.

24 Sprichwörter und dergleichen, sagte Bäring, gehören nicht einmal in ein gutes Buch, geschweige in eine vernünftige, anständige Predigt. Da sie vom Volk ausgehen, und auch nur bei diesem aufbewahrt bleiben, so drücken die meisten, wenn nicht alle, etwas Verkehrtes aus, so daß man sie immer mit demselben Rechte umdrehen und den entgegengesetzten Sinn heraus lesen kann. – Wißt Ihr ein einziges vernünftiges anzuführen?

Ich schäme mich, sagte der Landmann, daß mir, mag ich auch auf und ab denken, kein unpassendes, oder dummes beifallen will. Alle, die ich kenne, haben so viel verständigen Inhalt, daß man lange darüber nachsinnen kann.

Sie sind oft, sagte die verarmte Fremde, dem Unglücklichen sein bester Trost, nächst der Schrift und dem Worte des Herrn; denn sie meinen es so ehrlich, und lassen sich so freundlich zum geringen Manne herab. Wer recht viele deren im Kopfe hat, der hat ungefähr das, was dem Reichen eine große Sammlung von Büchern bedeuten mag. Es blättert sich hübsch in ihnen.

So fällt mir unter anderen, fuhr der Schulze fort, ein sprichwörtlicher Vers ein, der aus Dänemark stammt, und den ein braver Prediger in Niedersachsen oft im Munde führte, ihn auch wohl auf der Kanzel anbrachte:

Halte dich rein,
Achte dich klein,
Sei gern allein,
Mit Gott gemein:
In der Kirche andächtig,
Zu Hofe prächtig;
Im Handeln richtig,
Mit Herren vorsichtig.

Ach! wie schön und nachdenklich! rief die Bettlerin laut aus, indessen die beiden geistlichen Herren ein lautes 25 Gelächter aufschlugen. Nun, sagte endlich Bäring, das war recht der Berg in der Fabel, der die Maus zu Tage geboren hat. Schulz, wie könnt Ihr solch dummes Zeug für was halten, da Ihr doch ein verständiger Mann seyn wollt? Läppische Regeln, die sich von selber verstehn, oder Worte, die so gut wie gar keinen Sinn haben.

Der verehrungswürdige Herr Vetter, sagte der Landmann nicht ohne einige Empfindlichkeit, ist allzu hart: sollte ich mich denn so sehr irren, wenn mir bei diesem schönen Reimspruche so mannigfaltige gute Gedanken einfallen? Mein' ich doch fast, irgend ein gewiegter Mann habe darin die Erfahrungen seines ganzen Lebenslaufes niederlegen wollen.

Das ist zu viel! rief Brüggemann. Nun, Freund, so behandelt denn einmal den alten einfältigen Spruch, wie das Gedicht eines klassischen Autors, und erklärt ihn uns ein wenig, da wir seine Tiefe nicht fassen können. Gleich zum Anfang: »Halte dich rein« ist das nicht eine schaale Regel und Anweisung, die sich von selbst versteht?

Es sollte wohl so seyn, hochwürdiger Herr, antwortete der Landmann; und doch wird diese Vorschrift nur allzu sehr, wie wir es täglich sehn, selbst von ganzen Völkerschaften vernachlässigt. Wer dies Gebot recht befolgt, der wird nie dahin kommen, sich selber zu verachten, er wird von dieser löblichen Gewohnheit aus auch diesen und jenen Mangel an sich verbessern; denn im Guten wie im Bösen bleiben wir nicht bei der einen Sache stehn, die wir ausüben. Gewohnheit, sagt ein anderes altes Sprichwort, ist unsre zweite Natur: wer nichts Unsauberes, Widerwärtiges an sich dulden kann, der wird auch ordentlich, in seinen Sitten ehrbar werden, sauber und gerecht in Worten und Werken, keine unnützen Reden führen, keinen Anstoß geben, schlechte Gesellschaft und unreine Gespräche vermeiden, und so fast gezwungen werden, 26 auch das auf seine Seele überzutragen, was er bloß erst mit seinem Leibe angefangen hat. Dies, glaube ich auch, soll alles in dem ersten kleinen Verse liegen, und so angesehn, ist er nicht mehr so ganz dumm und unbedeutend.

Ihr habt Euch mit einer gewissen moralischen Allegorie geholfen, sagte Bäring: es sei, wenn es so seyn muß, – nun zum andern Verse. –

»Achte dich klein,« sagte der Bauer, ist für uns Menschen die allernöthigste Ermahnung, denn jeder von uns vergißt sie oft, auch beim besten Willen. Der Gelehrte vergißt sich gegen den Unwissenden, der Schulze gegen den Bauer, der Vornehme gegen den Geringen, und der Tugendhafte in der Nähe des Sünders. Denn selbst der Beste, der jene erste Vorschrift schon auf die löblichste Weise ausgeführt hätte, dessen Seele ganz rein vor den Augen des Herrn stände, soll auch dies Gebot in Acht nehmen und halten, damit ein sündlicher Stolz ihn nicht mit schwärzern Flecken besudle, als er erst von sich abgewaschen hat. In dieser Kleinheit sollen wir unsre Befriedigung und Genüge finden, und doch ist diese stille Demuth vor dem Herrn ganz etwas anderes, als jene sündhafte Selbstverachtung, die so oft auch den Hoffärtigsten peinigt. Eine Sünde, eben so groß als Uebermuth und Hochmuth selbst.

Genug und übergenug, rief Brüggemann; wenn man das Ding so angreift, so sind auch die albernen Sprüche der Bilderfibel tiefsinnig und zu rechtfertigen. Wie gehört denn aber nun der Ausspruch: »Sei gern allein« – hieher, der dazwischen fällt, wie ein Apfel vom Baum?

Mein Herr Prediger, sagte der Schulze, der Spruch ist eben so nothwendig und gültig, als die vorigen. Es giebt so viele achtbare Menschen, die sich selbst durch löbliche Thätigkeit verwöhnen; die, immerdar im Haufen sich umtreibend, 27 rathend, helfend, sprechend, Neues und immer wieder Neues erforschend, der Zerstreuung und des Vergessens ihrer selbst bedürfen. Ist die Geselligkeit nicht eine schöne Tugend? Gewiß, fast die nothwendigste, wenn wir Menschen seyn und bleiben wollen. Ich will nicht der Schwachen hier gedenken, die sich im nüchternen Umtreiben und wilden Schwarm der Menge selbst verlieren müssen, um gleichsam bei sich zu seyn, denn diese werden sogar von den Nüchternen in der Welt nicht für glückselig geachtet. Aber jedem ist diese Stille, dieser Umgang mit sich selbst nothwendig, um sich nicht abhanden zu kommen. Der Sabbath muß auf den Werkeltag folgen und gefeiert werden. Kann denn der Mensch irgend wohin gelangen, wenn es ihm schon unmöglich ist, sich selbst in der Einsamkeit anzutreffen? Alles andre sind seine Geschäfte und Pflichten, Vergnügen und Außenwerke, Freunde und Gesellschafter. Aber plötzlich setzt der Müller die Mühle zu und das Getriebe steht. Wer nicht mehr gern allein ist, der kann wohl auch nicht mehr auf die rechte Art in Gesellschaft seyn.

Ihr führt Euren Text ganz leidlich durch, sagte Bäring mit mildem Ton, – aber was zunächst folgt – –

Es heißt, sagte der Schulze: »Mit Gott gemein.« –

Was das für ein Ausdruck ist! rief Brüggemann. Abgeschmackt!

Nein, verehrte Herren, fuhr der Landmann fort: die Rede ist geradezu die schönste im ganzen Spruch. Auch der Gottlose und Zweifler weiß, daß Gott ein allmächtiger ist; auch dem, der ihn läugnet, glänzt er furchtbar aus Sonne und Mond und der unermessenen Sternenwelt entgegen; so zittert der wilde Heide vor seiner Gegenwart, und der Freigeist möchte sich in seinem Aberwitze vor ihm verbergen. Aber die Kinder des Hauses, wir, die wir so glückselig sind, 28 uns gläubige Christen zu nennen, wir haben vertraulichen Zutritt und freundlichen Umgang mit ihm. Wir lassen die Furcht und Scheu, wie vor einem Vornehmen, die ängstlichen Mienen, wie vor einem hohen Fremden, draußen auf der Schwelle. Väterlich kömmt er uns entgegen, vertraut und liebevoll, und wir dürfen ihm unser ganzes schwaches Herz mit allen seinen Irrthümern und thörichten Wünschen ausschütten. So erlaubt er uns, er, die Liebe selbst, gemein mit ihm umzugehn, als wäre er unsersgleichen; dazu aber haben wir nur den Muth, wenn wir uns die vorangegangenen Regeln schon zu eigen gemacht haben. Haben wir gesündigt, dann kommt freilich die Furcht und Scheu, wie vor einem strengen Vater zurück, bis unsre wahre Reue und Besserung uns wieder seinem liebenden Herzen ganz nahe bringt. Darum glaube ich, daß der Ausdruck »gemein«, ganz der richtige ist, denn das Größte und Herrlichste soll der Herr uns seyn, aber auch das Nächste, und nichts Fremdes, kein Gefühl, wie vor einem vornehmen, stolzen oder gar unbegreiflichen Wesen, uns von ihm zurück schrecken.

Bäring sah nachdenklich vor sich nieder und Brüggemann schüttelte mißbilligend den Kopf. Das folgende, fing der letzte wieder an, »In der Kirche andächtig,« bedarf keiner Erklärung, das versteht sich von selbst.

Gewiß, antwortete der eifrige Landmann, wie alles Gute und Richtige, was aber doch nur so selten beobachtet wird. Aus Gewohnheit, die aber eine löbliche ist, gehn die meisten in die Kirche; viele, besonders in den Städten, um ihren Kleiderputz zu zeigen, und manche junge Dirne kann das Geläute kaum abwarten, um nur den anderen Närrinnen im Hause Gottes ein neu errungenes buntes Fähnchen zu zeigen, und ist erfreut, wenn diese sich ärgern und in neidenden Lästerungen ergießen. Darin ist keine Andacht, und 29 es ist besser, demüthig, einfach und reinlich in den Tempel zu treten, ja der Arme im schwachen Gewande und der Bettler in seinen Lumpen sind höher und würdiger als jene eitlen Thoren. – Aber prächtig, so viel es seyn kann, soll der Mensch bei Hofe erscheinen, weil der Diener dadurch seinen Fürsten ehrt und der Unwürdige dort keinen Zutritt hat; dort darf Armuth und Elend nicht erscheinen, und zu große Schlichtheit und Mangel an Zier wird Beleidigung. – »Im Handeln richtig,« ist eine herrliche Vorschrift für Bürger und Bauern, daß sie sich nicht in zweideutige, doppelsinnige Anschläge und Dinge einlassen, die oft einen so guten Anschein haben, und durch die der Mensch zuweilen etwas Gutes und Löbliches durchzusetzen meint. Immer wichtiger und nothwendiger wird aber diese Regel, je höher der Mensch in Würden steigt, je näher er den Vornehmsten, oder dem Fürsten selber steht. Aber auch daran hat ein solcher noch nicht genug, er muß auch den letzten Spruch »Mit Herren vorsichtig« ja in Obacht nehmen, um nicht doch, selbst bei aller Tugend, zu Grunde zu gehn. Ist der Herr, der Fürst vertraulich, fordert er dasselbe vom befreundeten Diener, so vergesse dieser doch niemals, auch in den besten Stunden, daß jener sein Herr sei: er spreche, er vertraue nichts, das ihn in späteren Tagen, wenn die Freundschaft wieder vergessen ist, gereuen möge. Der Fürst und Herr kann handeln und sprechen, wie es Laune und Augenblick mit sich bringt, niemals ganz so der Unterthan. Wird er zu dreist, vergißt er sich, vertraut er unbedingt, so werden sich alle seine Worte wie gewappnete Feinde in Zukunft gegen ihn aufrichten und ihn zu Boden schlagen. Gnade und Versprechen des Fürsten kann vergessen und zurückgenommen werden, und wehe dem, der zu sicher darauf gebaut hat. Auch rechten, hadern, selbst in der besten Sache, 30 soll der Untergebene mit seinem Fürsten nicht. Wie gemein und vertraut der Mensch mit dem höchsten Herrn seyn darf, so soll und kann er es niemals mit seinem irdischen. Daß ein General, in dessen Dienst ich stand, als ich noch Soldat war, diese letzte Vorschrift vergaß, machte ihn bei allen seinen guten und herrlichen Thaten und Wissenschaften unglücklich. – Ich sollte aber auch bedenken, daß ich mit Vorgesetzten spreche, und mehr Vorsicht beobachtend, ihnen nicht Lehren und Sprüche aufdrängen, die sie selbst viel besser inne haben, und darum, Herr Vetter und Herr Pastor, nichts für ungut, vergebt dem einfältigen Bauersmann sein Geschwätz.

Ihr habt Gaben, Schulz, sagte Bäring, halb versöhnt: aber gefährlich ist es, Mann, alles so drehen und deuteln zu können; denn auf dieselbe Weise kann man auch das Richtige und Bessere so handhaben, daß kein gutes Haar daran bleibt. Indessen ist es wahr, in dem Sprüchlein steckt mehr, als uns anfangs seine schlichte Physiognomie gewahr werden läßt.

Eigentlich kam ich, sagte der Landmann, indem er aufstand, mit dem jungen Herrn Vetter Simon ein Wort zu sprechen, und mich Raths bei ihm zu erholen, ehe er nach der Stadt geht. Ich kenne nehmlich eine ansehnliche unglückliche Person, die von einem Mächtigen sehr schlimm ist gekränkt und verletzt worden: diese, wenn es mich auch nichts angeht, und mir auch von ihr selbst kein Auftrag ward, könnte man doch vielleicht gegen den Unterdrücker vertreten und vertheidigen. Nun soll mir Vetter Simon sagen, ob er vielleicht selber die Klage gegen den angesehenen Mann in der Stadt führen will.

Jetzt war Bäring auch aufgestanden und sagte mit großer Würde: Freund, nehmet da meinen jungen Sohn, und erzählet ihm die Sache, insofern Ihr darum wißt; so weit erlaube 31 ich es Euch und ihm. Daß er aber, bevor er noch in der Regierung irgend festen Fuß gefaßt, sich mit einer bedenklichen Klage gegen einflußreiche Männer einlasse, verbiete ich ihm geradezu, vermöge meiner väterlichen Autorität. Auch Euch warne ich, daß Ihr Euch nicht um Dinge allzuviel kümmert, die Euch nichts angehn, über welche nothwendige Vorsicht wir auch treffliche Sprichwörter haben, die Ihr besser kennen werdet, als ich selbst. Nehmet Euch in Acht, daß Ihr nicht aus Ueberklugheit in ein rebellisches widerspenstiges Wesen gerathet, – denn, was deines Amtes nicht ist, da laß deinen Vorwitz.

Der Schulze ging mit Simon, und die arme Frau, welche im Dorfe nur die Frau Rose genannt wurde, folgte ihnen. Unausstehliche Menschen! rief Bäring, als sie den Garten verlassen hatten; wie überklug und hochmüthig! Solchem Volke, Herr Amtsbruder, sollen wir Lehrer seyn, und sie möchten uns lieber in die Schule nehmen.

Das ist der Geist der Zeit, antwortete Brüggemann, die alte Ehrfurcht vor unserem Stande ist einmal verschwunden, alles denkt und raisonnirt, alle Welt lieset und kritisirt, der Unterschied der Stände bricht immer mehr zusammen, und wo man mit Autorität wirken sollte, da verlangt das Volk Vernunft und Ueberzeugung, wie sie es nennen; und wie schwer es hält, den zu überzeugen, der keinen Glauben an uns hat, das haben wir in unserer Amtsführung alle mehr wie einmal erfahren.

Glauben Sie mir nur, fuhr Bäring fort, die alte Bettelfrau da, die jetzt mit ihm ging, hält sich für eben so gescheidt, und ob sie gleich von dem Almosen hiesiger Leute lebt, so ist ihr doch im ganzen Dorfe kein Mensch klug genug. Und das steckt an; zwei Menschen, wie diese da, sind darum fast wie Ketzer zu betrachten. Ich höre, wie man 32 hie und dort meine Predigten kritisirt und dies und jenes mäkelt, wie man anfängt, die Schrift willkührlich auszulegen. Immer geräth man in die sonderbare Lage, daß man nicht weiß, in wie fern man etwas Gutes ausübt. Ist der Bauer wild, roh und ausschweifend, so setzen wir alles daran, ihn zum Menschen und Christen zu machen; und haben wir ihn endlich aus der Schenke und zur Bibel hin mit allen Künsten der Ueberredung und Ermahnung gebracht, so will er denken, zweifeln, wird Sektirer und Separatist, und ist auf dem stillen Wege plötzlich von Kirche und Christenthum eben so weit fortgelaufen, als er früher auf der gottlosen Bahn davon entfernt war.

Doch ist eins besser, wie das andere, bemerkte der fremde Prediger. – Können Sie es leiden, fuhr Bäring eifernd fort, daß Bettler in Seide und Gros de Tours gehen, wie diese Alte mit ihrem verbleichten meergrünen Kleide? Der Hochmuth ist doch das älteste Laster in der Menschheit und am tiefsten eingewurzelt. Unsinn über Unsinn! Sie könnte das Wesen verkaufen, und in Linnen sich tragen.

Das ist oft die traurigste Armuth, antwortete die Mutter, die für täglich, bis zu Lumpen, gutes Zeug aus bessern Tagen abnutzen muß. Um welchen Spottpreis müßte sie das alte, vielleicht geliebte Kleid hingeben, und es gehört schon eine bedeutende Auslage dazu, auch das schlechteste neu anzuschaffen. Der, dem es wohl geht, versteht nie das Elend der Armuth ganz.

Man erhob sich jetzt, um einen Spaziergang nach dem nahen Wäldchen zu machen.


Simon hatte den Vortrag des Schulzen mit einiger Zerstreuung angehört, und machte sich von ihm los, sobald 33 er nur konnte. Er hatte kaum noch seine Geliebte sprechen können, so sehr hatte ihn der Vater mit Ermahnungen gequält und ihm die Zeit geraubt. Der Alte war gegen das Verhältniß, welches er ein ganz unvernünftiges nannte, drum konnte der Sohn seine angebetete Sidonie nur in abgestohlnen flüchtigen Augenblicken besuchen.

Fräulein Sidonie war früh eine Waise geworden. Die Eltern, welche in der Residenz auf einem zu hohen Fuß gelebt hatten, konnten ihr nur wenig Vermögen hinterlassen, wohl aber Schulden und verwickelte Prozesse, so daß der Vormund, ein praktischer und verständiger Mann, im Anfange meinte, er würde gar nichts für sie retten können. Die Verwandten kümmerten sich um die Waise nicht sonderlich, und nachdem der vorsorgliche Mann mit gewissenhafter Thätigkeit die verwickelten Geschäfte seiner Mündel geordnet hatte, kaufte er ihr ein kleines Haus und anmuthigen Garten in demselben Dorfe, wo Bäring als Prediger lebte, ließ eine alte noch ärmere Muhme des Fräuleins zu ihr ziehn, welche die kleine Wirthschaft mit einer Magd und einem Knechte führte, indeß Sidonie ihre Blumen pflegte, las, musizirte und ihre unterbrochenen leichten Studien fortsetzte. So lebte sie heiter und ohne Sorgen von den Zinsen eines kleinen Capitals, und da ein Theil von diesem auf ein Gut des dortigen Amtmanns untergebracht war, so versorgte sie dieser reiche Mann auch mit Naturalien, die sie in ihrer kleinen Wirthschaft brauchte. Der welterfahrne Vormund hatte es vorgezogen, der Verlassenen hier auf einem einsamen Dorfe einen Zufluchtsort zu bereiten, als sie in der Residenz, oder gar einer kleinen Stadt dem Geschwätz und der Verläumdung preis zu geben. So wohnte Sidonie, die jetzt sieben und zwanzig Jahre zählte, schon seit vierzehn Sommern auf dem Lande, und hatte durch ihre Eingezogenheit, 34 verständiges Betragen, Milde und Demuth, selbst Wohlthätigkeit, so weit es ihre Kräfte erlaubten, sich die Achtung des ganzen Dorfes erworben; die Mutter Simons liebte das schöne große Mädchen, deren blasse Farbe ihrem edlen Gesicht einen noch großartigern Charakter gab, wie eine Tochter; Simon, der mit ihr aufgewachsen war, betete sie an, und nur der Vater Bäring konnte niemals sein Herz zu ihr neigen, weil er ihr stilles ruhiges Wesen für Hoffarth hielt, das er sich selbst als Adelstolz auslegte, und ihrer Verbindung mit Simon war er, ihrer Armuth wegen, auf alle Weise entgegen.

Sidonie war eben beschäftigt, auf dem kleinen Platze vor ihrem Hause die Blumen zu begießen, als Simon die Thür des Gatters öffnete. Geblendet fuhr er vor der hohen Gestalt in Ehrfurcht zurück, die im hellblauen Gewande, im Strohhut, mit den leuchtenden großen Augen und den purpurnen feinen Lippen im bleichen Antlitz, ihm wie eine wundersame fremde Königin entgegen trat. Sie gingen in das helle aufgeschmückte Zimmer, in welchem die alte Muhme war, die in der Wirthschaft ab und zu ging, und, etwas taub, wenig von dem verstand, was gesprochen wurde, sich auch nicht, da sie nicht neugierig war, darum kümmerte.

Simon verschlang mit den Augen die Schönheit seiner Gebieterin, die jetzt den Strohhut ablegte und die braunen Haare in vollen schweren Locken frei nieder wallen ließ. Theuerstes Fräulein, fing er an, in zweien Tagen muß ich nun nach der Residenz, ins Elend; dürfte ich mir schmeicheln, daß Ihr Andenken mir folgen wird?

Lieber Simon, antwortete Sidonie, Sie wissen, daß ich Ihnen von früher Jugend her gut war, ich bin Ihre wahre Freundin, und ich halte Sie für einen aufrichtigen, edlen Freund.

35 Nichts mehr? antwortete Simon mit schweren Seufzern, indem ihm schon die Thränen in den Augen standen. Sie wissen doch, was ich wünsche, welche Ueberzeugung ich mit mir nehmen möchte. Wollen Sie denn immer diese Grausamkeit gegen mich ausüben? Ach, ich weiß nicht, was ich sprechen, was ich thun soll. Ich kann von Ihnen nicht lassen, und doch kann ich Ihnen kein Schicksal anbieten, wie Sie es verdienen, wie Ihr Werth, Ihr hoher Geist, Ihr adlicher Sinn und Ihre feine Bildung es fordern dürfen.

Sie bleiben bei Ihrem Entschluß, Ihren Wünschen? fragte Sidonie; seit unserm langen, herzlichen Gespräch von neulich haben Sie meinen Worten und Bitten nicht reiflich nachgesonnen?

Theuerste, rief Simon im schmerzlichsten Gefühl aus, Sie bringen mich um, wenn Sie der Sache die Wendung geben, wie damals. Soll ich den wahren Inhalt meines Lebens, ja mein Leben selbst, o das, was viel höher als mein Dasein steht, für einen nüchternen, jugendlichen Traum halten? Glauben Sie mir nur, wenn ich auch heiter jetzt in manchen Stunden erscheine und meine Lage vergesse, so habe ich eigentlich doch alles schon verzweifelnd aufgegeben. Ich werde durch meinen Vater in eine Laufbahn gestoßen, die mir nicht geziemt, zu Unternehmungen, denen ich erliegen muß, hinter mir ist durch eigene Thorheit alles verschüttet, ich gehe Feinden und Verfolgern entgegen, alles, was ich sehe, was mich umgiebt, ist Tod und Trostlosigkeit. Da ist nun Ihr Bild, die Erinnerung an Sie, mein Gefühl für Sie ein so leuchtender lebenskräftiger Punkt, ein solcher Inbegriff aller Wonne, daß ich mich doch für den glückseligsten aller Menschen halten darf. Nicht durch Ihren nahen Besitz, durch das Glück der Liebe, sondern nur, daß ich weiß, daß dieser ewige Stern in dem Dunkel meines Herzens 36 aufgegangen ist; daß alle Ihre himmlischen Blicke, Reden, Bewegung, Stellung, die ich von Ihnen sah und auffaßte, und die ewig in meinem Gedächtnisse leben, daß alles dies mich wie ein still befriedigendes Eigenthum begleitet, wohin ich nur denke, und was ich thu und sinne: dies ist es ja, was Sie nur bestätigen, mir erneuern sollen, dies, was keine Gewalt der Erde und des Himmels mir rauben kann, dies sollen Sie mir nur nicht entziehen wollen, sondern durch das süßeste, unbedingteste Vertrauen mir versiegeln, wie ich es wohl durch meine Liebe um Sie verdiene.

Ich glaube Sie zu verstehen, lieber Freund, antwortete Sidonie, Sie sind so gut und weich, so liebevoll; möcht' ich doch fast sagen, zu sanft für das Leben und seine Forderungen.

Das ist es eben, sagte Simon, und ohne Sie versinke ich ganz, aber Sie sind meine Stärke: die Ehrfurcht vor Ihnen, diese Bewunderung, dieses Gefühl, welches Sie so hoch über mich stellt, was in meine nächste sicherste Liebe zu Ihnen so ein Gefühl von Fremdheit wirft, das Anbeten einer Hoheit und Kraft, die stets über mir und mir unerreichbar bleiben wird, diese seltsame Vermischung von Widersprüchen ist es gerade, was mir Ihr Dasein zur himmlischen Erscheinung, zum allersüßesten Gefühl erhöht. Ich sehe, daß ich keine Worte finden kann. Schon die alten Germanen hatten das heilige Bedürfniß, eine Velleda als Orakel zu verehren und ihrem Worte zu glauben, nach welchem sie die wichtigsten Dinge ordneten. So, Sidonie, bist Du mir Seherin und Prophetin, nicht ein Abbild bloß der ewigen unsichtbaren Kräfte, sondern das Wesen selbst, mir das sichtbare Verständniß aller Räthsel.

Lassen Sie uns die Erde nicht ganz aus den Augen verlieren, sagte Sidonie, indem sie ihm die Hand gab, die Erde ist auch schön. Mag sich auch das Fernste und 37 Unsichtbarste mit dem Wirklichen durch unser Gefühl und unsre Phantasie in manchen Stunden verknüpfen, so ist es doch wohl gefährlich, zu lange in jenen Regionen zu verweilen, die wir immer nur im Reflex unserer leidenschaftlichen Stimmung, wie im vorbeischwebenden Spiegel, wahrnehmen können. Ich will ganz aufrichtig mit Ihnen seyn. Was ich auch gelesen und gedacht und geschwärmt habe, so muß ich doch sagen, daß jenes Gefühl, welches ich in meinen Dichtern als Liebe dargestellt gefunden, nicht in meinem Wesen ist. Ich bin nicht mehr so jung, daß ich fürchten müßte, mein ganzes Dasein könnte sich noch von Grund aus ändern. Wie mir mein Garten lieb ist, der Blick auf Feld und Wald, wie mich der Frühling freut und entzückt, meine Bücher mir theuer, meine Religion mir unentbehrlich ist, so umgiebt und reizt mich doch nichts so mächtig, daß ich diese Stille und Ruhe je verlöre, die, so glaube ich, mein eigentliches Wesen ist. Wenn ich Ihnen also sage, daß ich Ihnen so gut bin, wie keinem andern Menschen, den ich bis jetzt habe kennen lernen, wenn ich glaube versichern zu können, daß jene Liebe, von der die Dichter sprechen, niemals mein Herz erschüttern wird, so müssen Sie damit zufrieden seyn. Ich werde mich nie verheirathen, und wo sollte ich in meinem Wesen jene Empfindungen hernehmen, die Sie mir schildern, die Sie für Ihr höchstes Glück achten. Ich würde Sie also nur unglücklich machen, da ich Ihnen, abgesehn von allen übrigen Unmöglichkeiten, nur mit meiner Ruhe erwiedern könnte, die Ihnen als Kälte und Lieblosigkeit erschiene. Auch vergessen Sie immer wieder, daß ich älter bin, als Sie.

Unaussprechlich machen Sie mich glücklich! rief Simon aus. Ich weiß wohl, daß ich mich selbst oder die anderen Menschen nicht verstehe. Könnten Sie anders werden, als Sie sind, so verlöre ich ja den Gegenstand meiner Anbetung 38 und ich würde elend seyn. Daß ich so die ganze Zeit meines Lebens zu Ihnen hinauf blicken muß, daß ich Sie so innigst verstehe und Ihr Wesen dem meinigen doch durchaus ungleich, und Sie mir eben deswegen doch fremd und unverstanden bleiben, das eben ist meine Wonne. Dazu gehört auch, daß Sie älter, größer, stärker, klüger und besser sind, als ich, damit ich in allen Kräften meines Wesens meine Abhängigkeit von Ihnen empfinde und mich meiner Demuth freue. Daß andere Männer in der Entzückung der Liebe selbst sich doch zu dem geliebten Wesen immer herablassen, daß sie das Geringe, was sie sich auch im Taumel nicht ableugnen können, bald Naivität, Jungfräulichkeit, unbewußte Unschuld, oder wie sie immer mögen, willkührlich taufen, ist mir recht in der Seele verhaßt: darum aber sehn wir auch, nach ernüchterter Trunkenheit, wie in diesen armen, kalten Ehen Langeweile das Scepter führt, und Geringschätzung sich hinter Pflicht und Duldung verschanzen muß.

Müßte denn aber, fing das Fräulein wieder an, wenn Sie hierin auch vielleicht nicht ganz Unrecht haben, nicht Gleichheit wenigstens in Liebe und Ehe seyn?

Für andere, sprach der junge Bäring eifrig weiter, mag es nothwendig, mag es das Rechte seyn; ich will Niemand tadeln, der glücklich ist: ich weiß nur, daß ich ein solches Glück nicht brauchen könnte. Sie wissen ja, wie früh ich Sie kennen lernte. In allem, was ich las und hörte, wenn von Königinnen die Rede war, in der Schule nachher von den Göttinnen des Alterthums, das Höchste und Größte, was die menschliche Phantasie erschwingen kann, Pallas und Juno und Diana, Sie waren das Bild meiner Seele, und ich lernte nur leicht, weil Ihr Auge, Ihr Gang, der Ton Ihrer herrlichen Stimme mich allenthalben begleitete. Wenn ich Sie in Ihrem Garten so groß und schlank neben Ihren 39 Lilien stehen sah, noch weißer und glänzender als die strahlende Blume, so war mir immer, als säh' ich das Himmelreich und fühlte es ganz gegenwärtig mit beseligender Ruhe in meinem Innern. Der Besitz eines solchen Wesens schien mir etwas Unmögliches, der Wunsch unsinnig. Und doch ward ich Ihnen immer näher und näher gezwungen und spiegelte mich nun selbst in Ihrer Trefflichkeit; nun fühlte ich erst meine Anlagen, mein Herz und meinen Geist und war schon längst im Geheim ganz unbedingt Ihr Eigenthum. Bei Ihrer vorigen Erklärung bin ich für jetzt beruhigt, ja ganz glücklich. Sie als die Gattin eines andern zu sehn, würde mich wohl ganz elend machen. Aber warum, Geliebteste, nun noch so fremde zu mir seyn? Warum wollen wir nicht das trauliche Du mit einander tauschen, da Sie mir doch das nächste Wesen auf der Welt sind? Warum mir nicht versprechen, die meinige zu werden, sobald ein glücklicher Zufall sich für mich erklärt?

Liebster Simon, sagte die schöne Gestalt, ich fürchte mich vor jeder Veränderung. Dieses Zeichen eines höheren Vertrauens mag Ihnen wichtig seyn, mir ist es nicht so. Und warum soll ich Ihnen versprechen, was jetzt, wie Sie selber sagen, auf jeden Fall überflüssig ist? Sollte ich einmal heirathen, wie ich nicht glaube, daß der Fall jemals eintreten wird, so soll Niemand anders, als der freundliche, gutmüthige, allzu demüthige Simon mein Mann werden, und wenn meine Regierung dann etwas fruchtet, so soll er mehr Stolz und Selbstvertrauen gewinnen.

Im höchsten Entzücken küßte Simon die blendend weiße Hand, sie sah ihm mit dem schönsten Vertrauen in seine glänzenden Augen, so befreundet war sie ihm noch nie gewesen, und er wagte es zitternd, den ersten Kuß aus den feinen Mund zu drücken. Er wurde blaß vor Wonne und 40 die Sinne vergingen ihm, als er keinen Zorn, ja nicht einmal Widerstand bemerkte; sie sah ihn nachher eben so treuherzig an, als wenn nichts vorgefallen wäre.

Lassen Sie uns in den Garten gehn, sagte Sidonie, die Sonnenhitze ist vorüber, und die Kühlung wird uns wohlthun.

Sie erinnern mich, erwiederte Simon, daß ich auch bald nach Hause muß. – Im Garten strömte ihnen der lieblichste Blumenduft entgegen und man vernahm aus der Ferne das Rieseln und Murmeln des kleinen Flusses, der zwischen seinen Felsenufern abendlich schwatzte. Ich vergesse den Nachmittag nicht, fing Simon wieder an, als vor fünf Jahren der General, Ihr Oheim, Sie besuchte. Das ganze Dorf war in Aufruhr, alle glaubten, es wäre der König über die Gränze gekommen, die Jugend lief dem großen, starken Manne bewundernd nach, und fürchtete sich doch vor ihm. Als die Gestalt, mit der reichen Uniform, den vielen Orden, und dem Hute mit breiter Tresse und weißer Feder vor uns vorbei kam, grüßte ich ehrerbietig, und er dankte mir nur, kaum bemerklich, mit einem Nicken. So schritt er mächtig her zu Ihnen. Sie standen zwischen den Blumen, draußen vor dem Hause. Er öffnete das Staket; Sie begrüßten ihn, freundlich und höflich, aber so, als wenn sein Erscheinen nichts besonderes wäre. So gingen Sie auch mit ihm in die Stube hinein, und blieben ganz so ruhig. wie Sie immer waren. Das alles beobachtete ich aus der Ferne. Sie kamen mir schon damals viel größer und vornehmer vor, als der General mit seinen Orden und Sternen.

Er nahm Abschied und wagte noch einen Kuß, den sie ihm eben so willig gab oder sich nehmen ließ. In seligen Gefühlen kehrte er zum elterlichen Hause zurück.


41 Simon hatte keine Zeit zu verlieren, denn schon war die Stunde fast versäumt, in welcher er seinem strengen Vater Gesellschaft leisten mußte. Zu den Sonderbarkeiten des Alten gehörte, daß er seinen Tag genau zu seinen Geschäften, Studien und Erholungen eingetheilt hatte, so daß nur die wichtigsten Veranlassungen die altgewohnte Ordnung stören durften. Jetzt war der Augenblick, in welchem er zu rauchen anfing, und obgleich Simon niemals seinen Abscheu gegen den Taback hatte überwinden können, so mußte er doch, so oft er sich im väterlichen Hause befand, in dieser Stunde neben dem Vater sitzen, ihm Gesellschaft leisten und eine ungestopfte thönerne Pfeife, als wenn er rauchte, am Munde halten. Heute war auch noch der zweite Gast, der Prediger Brüggemann zugegen. Sie saßen (denn dies war ebenfalls die Sitte des Hauses) in Schlafröcken, und auf dem Haupte baumwollene Mützen. Für jeden Gast, der das Haus öfter besuchte, war eine solche, nebst dem weiten bequemen Nachtgewande in Vorrath, und der Amtmann und Oberförster, die Sonntags gewöhnlich hier einkehrten, ließen sich diese Anordnung nicht nur gefallen, sondern fanden sie so bequem, daß sie dieselbe Gesetzgebung und Kleidertracht in ihren Häusern ebenfalls eingeführt hatten.

Simon aber, der von seiner Geliebten heute so hochgestimmt, wie noch nie, zurückgekehrt war, konnte sich an diesem Abend dem alten Polizeigebote nicht fügen, um so weniger, da ihm heute Brüggemann und selbst sein Vater in ihrer Tracht und mit den spitz in die Höhe gerichteten Mützen lächerlich erschienen. Er hatte also nur seinen Ueberrock umgeworfen, und ein schwarzes Barett, das er auf der Reise getragen hatte, auf seinen blondlockigen Kopf, und zwar etwas schief gesetzt, um noch poetischer gegen die rauchenden Veteranen sich abzuheben. Er konnte auch nicht auf 42 die Gespräche hören, sondern ihm klang im engen Studirzimmer des Vaters noch immer Sidoniens Stimme, der rauschende Fluß und das Klingen des fernen Waldes. Die beiden Küsse zitterten noch immer auf seinen rothen frischen Lippen, und um diese nicht zu entweihen, hielt er die Pfeife ihnen so entfernt, als er nur konnte, da er die Täuschung, daß er an dem hergebrachten Spiele Theil nähme, nicht ganz zerstören durfte.

Von Politik wurde gesprochen, vom Verfall des Handels und der Wissenschaften, nebenher auch von der Philosophie. Diese wurde von den beiden Geistlichen nicht sonderlich hochgehalten, da sie ihr hauptsächlich die Schuld beimaßen, daß der Stand der Geistlichen in unserem Jahrhundert weniger, als in früheren Zeiten, geachtet würde. Als die beiden Herren ziemlich eifrig wurden, und das Wort Philosophie oft laut und lauter wiederholten, sagte der berauschte Jüngling in einer Pause zu sich selbst: Sophie: ja, so heißt meine Schwester, aber wie viel schöner klingt doch Sidonie!

Der Vater, der bisher den Sohn kaum bemerkt hatte, sah sich wie erschreckt um. Was ist das? fing er an: warum bist Du so in mein Zimmer getreten? Bist Du so zerstreut, daß Du alle Sitten unsers Hauses vernachlässigst?

Lieber Vater, sagte der junge Mann, muthiger als sonst, ich kann mich unmöglich zu dieser fast komischen Tracht bequemen. Hätten die Alten, die einen so regen Sinn für Schönheit hatten, wohl je einer ihrer würdigen Figuren eine so spitze Dütenmütze auf den Kopf gesetzt? Warum soll ich denn auch diese Pfeife länger halten, und mir die Lippen und Zähne verderben, da ich niemals rauchen werde. Er ließ die thönerne Röhre auf den Boden fallen, so daß sie in viele Stücke zerbrach.

Der Alte stand auf, und sah mit Erstaunen seinen Sohn 43 an, dann blickte er zweifelnd auf seinen Gast, ging tief sinnend einmal im Zimmer auf und ab, blies die dickste Rauchwolke, die er nur erschaffen konnte aus seinem stark aufgeworfenen Munde und stand dann wieder mit ernster Miene still, worauf er sich langsam setzte. Man sah, daß dieser einer der wichtigsten Momente seines Lebens sei. Du willst Dich emancipiren, wie ich sehe, fing er dann bedächtig und mit milder Stimme an; es sei! Du bist oder wirst Rath, trittst Deinem Fürsten nahe, kannst mir vielleicht bald, als mein Vorgesetzter, Befehle zusenden, so handle denn selbstständig. Rauche nicht, trage keine heimische Schlafmütze, die Vertrauen weckt und giebt, sondern sitze mit Deinem schiefgezogenen Barett malerisch da und verachte alle gute Sitten und Häuslichkeit, selber nur eine Nachahmung. Du, von unzulänglichen Bildnissen und empfindsamen Nebelgesichtern, die Deiner Phantasie vorschweben. Hättest Du aber früh geraucht, wie sonst jedermann auf Universitäten es that, so hättest Du auch schon lange eine tiefe männliche Stimme bekommen. Aber was die Antike betrifft, Schönheitssinn und dergleichen, da bist Du nur übel berichtet, mein lieber Sohn. Hätten die guten Alten nur die höhere Vollendung unserer Manufakturen gekannt, mit Freuden hätten sie diese Mützen, die bequemste Kopfbedeckung getragen, die Erfindung dieses leichten, schmiegsamen Kleidungsstückes, mit dem es sich eben so gut schläft, als wacht, wohl irgend einem Gotte, dem Morpheus, oder Merkur, der Denkerin Minerva, oder gar dem Apollo, zugeschrieben, und sie auch auf ihren Bildsäulen uns und der Nachwelt überliefert.

Sehr wahr, sagte Brüggemann sehr ernsthaft, indem er die Schlafmütze etwas von der Stirne schob und die schwarzen Augenbraunen angestrengt in die Höhe zog. Sehen wir denn nicht den lieben Ulysses, oder auf griechisch 44 Odysseus, so oft mit einer Mütze, die in ihrer steifen Ungeschicktheit gern eine moderne Schlafhaube wäre, wenn sie nur zu dieser Ehre gelangen könnte? Was ist denn die phrygische Mütze anders, als die in der rohen Knospe steckende Nachtmütze unsrer Tage? Unerzogen, grob und bäurisch muß sie auf dem Kopfe stehen, weil sie von Filz oder Leder ist. Nein, es bleibt ausgemacht, in gewissen Dingen sind wir den Alten voraus.

Das leidet keinen Zweifel, fuhr Bäring fort. Es geht aber hierin, wie in allen Dingen, das Vorurtheil steckt zu tief und fest, und die einmal in jenem Aberglauben für die Alten eingefroren sind, machen es wie die Freimaurer, sie geben dem Forschenden keine gründliche Antwort, sondern berufen sich wie diese auf Geheimnisse, die der Ungeweihte weder erfahren darf, noch auch verstehen würde.

Bei dieser Rede gerieth Brüggemann in ein ängstliches Husten; er schwieg, sich räuspernd, lange, sah dann seinen Collegen, freundlich zwar, aber doch wie vermahnend an, und sagte hierauf mit milder und eben so feierlicher Stimme: verehrter Herr Amtsbruder! wozu und zu was Ende, aus welchem Grund und zu welchem Nutzen diese häufigen Ausfälle, Anspielungen und Sarkasmen auf unsre verehrungswürdige Gesellschaft? Sie waren selbst in früheren Jahren ein fleißig arbeitendes Mitglied, Sie sind ausgeschieden, gut: aber warum schelten und verfolgen? Ist das brüderlich? ist das christlich?

Herr College, antwortete Bäring fast zornig. was will sie, diese verehrungswürdige Gesellschaft? Entweder nichts, als was andre rechtliche Menschen auch wollen und dürfen: wozu dann das Geheimniß? Oder, sie haben wirklich etwas zu verbergen, ihre Absicht und ihr Treiben verträgt die Oeffentlichkeit und das Tageslicht nicht: nun, ist dieser Orden 45 alsdann nicht dem Staate, dem Fürsten, und wahrscheinlich auch dem Christenthum gefährlich? Sie, verehrter Herr Bruder, sind vermöge Ihres Genies und Ihrer höheren Einsichten viel weiter vorgeschritten, als ich, Sie haben so viel mehr Grade erhalten, Sie könnten mir hierüber am besten genügende Auskunft geben.

Hier veranstaltete Brüggemann in seiner Verlegenheit ein sonderbares Gesicht, welches vielerlei bedeuten sollte. Seine Absicht war keinesweges, die hohe Meinung seines Collegen von ihm zu zerstören, sondern vielmehr zu bestätigen; er sah ihn also mit einem Auge, das zwar verlegen zugedrückt wurde, aber doch etwas von oben herab, an, worauf er es schnell aufriß und ihm einen strafenden Blick zusendete. Da er aber doch mehr verlegen, als sicher und stolz war, so nahm er zugleich die Pfeife aus dem Munde, käute mit den Zähnen, als wenn am Mundstücke etwas zerbrochen wäre, und hielt sie dann, den Kopf nach oben, fast senkrecht, vom Gesichte abwärts, worauf er noch einmal den Blick zu seinem Collegen wandte, um gesammelter ihn mit vollem Ernst groß zürnend anzuschauen, auf dessen Munde er aber unerwartet ein so schalkhaftes Lächeln traf, daß er wie entsetzt sich etwas zu behende umkehrte, die Richtung aber in übereilter Flucht verfehlte, so daß er mit seiner langen scharfen Nase so heftig an die Pfeifenspitze fuhr, daß diese wirklich abbrach, und er niesend das Rohr, welches indeß erloschen war, mit thränenden Augen niederlegte. Der Püschel auf der hochaufgerichteten Zipfelmütze hatte bei diesem Angriff und dem übereilten Rückzuge so seltsame Kreise in der Luft beschrieben, daß Simon, so ernsthaft er sich zu bleiben zwang, dennoch in ein lautes Gelächter endlich ausbrach.

Beide Gesichter der Alten wendeten sich mit dem verschiedensten Ausdruck nach dem Jüngling hin. Der des 46 Vaters im strengsten strafenden Ernst, da Simons rebellische Weise sich heut zu unverholen kund gab; Brüggemann aber, dessen Verlegenheit den höchsten Grad erreicht hatte, lachte wohlgefällig mit, als wenn ihm ein gut angebrachter Spaß gelungen wäre, und Simon ging, um ihn nicht durch den schnell angelegten Ernst zu beleidigen, plötzlich von neuem in ein lautes Lachen über, so daß der alte Bäring, zwischen beiden seine verwunderten Blicke wechselnd, nur ein mißbilligendes Kopfschütteln übrig behielt.

Nach einer ziemlich langen Pause fing Bäring wieder an. Sie sind mir noch, Herr College, auf meine vorige Frage die Antwort schuldig geblieben. Brüggemann deutete auf Simon hin, indem er anfing: Sie wissen ja – Thut nichts, fiel sein Gegner rasch ein, jene Bestimmung und Zurechtweisung können sie mir auch in Gegenwart meines Sohnes geben.

Hat nicht, fing Brüggemann ungewiß an, jede Zunft, jedes Handwerk seine Geheimnisse? Alle die offenkundigen Handgriffe, wodurch schnell und sicher etwas geschieht, wir sehn und erkennen sie; aber wenn einer von uns zum Nadler, Weber oder Tischler hinzutreten sollte, um da fortzufahren, wo sie aufhörten, so würde es uns auch beim besten Willen und theoretischen Unterrichte unmöglich fallen, weil es uns eben an jener Uebung und Sicherheit ermangelte, wodurch für uns das, was offen zu Tage liegt, doch wieder zum Geheimniß wird.

Eine Antwort, erwiederte Bäring, haben Sie mir gegeben, aber nur eine ausweichende.

Lassen Sie uns abbrechen, rief Brüggemann verstimmt, der nicht wußte, wie er sein verlornes Uebergewicht wieder herstellen sollte. Man hat mir gesagt, Sie schrieben gegen die ehrwürdige Brüderschaft, und hätten sogar die Absicht, 47 es dem Drucke zu übergeben: ich hoffe aber, Sie lassen bei näherer Prüfung diesen Vorsatz fahren, da dies Ihnen nur schaden, auf keine Weise aber nützen könnte.

Ich weiß nicht, sagte Bäring, ebenfalls verdrüßlich, wer Ihnen dergleichen hat hinterbringen können, da ich doch eben so gut, wie die Herren Freimaurer, meine Geheimnisse habe, die ich nicht jedermann mittheile.

Noch mehr gereizt wollte jetzt Brüggemann seinen Gegner gänzlich entwaffnen, und Wahrheit mit seiner Hoffnung, die Wirklichkeit mit dem Möglichen kühn vermischend, fing er an: haben Sie nicht gehört, ob der Superintendent in der Stadt schon wirklich gestorben ist?

Ich soll noch erfahren, daß er krank ist! rief Bäring höchst erschrocken aus.

Ohne Hoffnung ist er wenigstens schon seit acht Tagen, fuhr Brüggemann ganz gelassen fort: gestern erhielt ich die sichere Nachricht. Das zwingt mich auch eben, einige Besuche in der Nachbarschaft zu machen, vielleicht sogar nach der Stadt zu gehn.

Was Sie sagen! fuhr Bäring heraus; – und Sie meinen also, – daß, – wie soll ich mich ausdrücken? – daß Sie selbst –

Davon ist nicht die Rede, brach Brüggemann ab: zwar weiß ich, daß ich Gönner habe, die mir Muth einsprechen; ich erkenne aber selbst meinen Unwerth zu sehr, und mag keinem Würdigeren diese einflußreiche Stelle rauben.

Die Mutter kam, sie zum Abendessen abzurufen. Bäring hatte allen Appetit verloren, und nahm sich vor, seine Abhandlung gegen die Freimaurer noch in dieser Nacht, und zwar mit den kräftigsten und bittersten Argumenten und Invectiven zu beendigen.


48 In dieser Nacht war der entzückte Simon nicht in sein Bett gekommen, sondern war im klaren Mondlichte durch Wiese und Wald in seligen Erinnerungen und Hoffnungen umhergeschwärmt. Auf Stunden vergaß er seine Angst und peinliche Lage und überließ sich den kühnsten Träumen, weinte vor Freude und gleich darauf vor Betrübniß, daß es ihm an mächtigen Beschützern so wie am eigenen Muth so gänzlich gebreche. In der Frühe hatte er Sidonien wieder gesehen und aus ihren klaren großen Augen neuen Muth geschöpft. Der Vater war so verdrüßlich und verschlossen, daß er an diesem Tage den Sohn nur wenig unterhalten und belehrt hatte, er hielt sich in seinem Zimmer auf und arbeitete, da Brüggemann schon mit Sonnen-Aufgang abgereiset war.

So war der Tag vergangen, und jetzt kam Simon noch einmal von Sidonien zurück, indem die Sonne schon unterging. Er traf seine Mutter im Garten, die im Freien zwischen den Blumen mit der Frau Rose, Gespräche wechselnd, auf und nieder ging. Der Sohn begleitete beide und suchte in Erzählungen und Scherzen zu vergessen, wie nah ihm schon die Abreise nach der gefürchteten Residenz sei. Die Mutter behandelte die arme Frau wie eine Freundin, und erinnerte sie durch ihr Benehmen in keinem Augenblicke an die reichlichen Almosen, die sie aus dem Predigerhause erhielt, und Simon ehrte und liebte die Alte fast wie seine Mutter. War er mit ihr allein, so mußte sie ihn noch immer, wie in seiner Kindheit, Du nennen, und er erwiederte ihr dann, wie einer alten Spielgefährtin in demselben Tone; waren aber Fremde, vorzüglich der stolze Vater zugegen, so benahmen sich beide zurückhaltender. Selbst in Gegenwart der Mutter, die fast alles gut fand, was ihr Sohn that, vermieden sie die vertraute Anrede.

49 Ich weiß wohl, sagte Frau Rose, nach einigen andern Reden, daß die Leute hier, auch der Herr Prediger, es mir übel auslegen, daß ich in diesem alten seidenen Kleide gehe. Wenn sie mich kennten und alles wüßten, sie würden es mir nicht so schlimm ausdeuten. Der Anzug hier, liebe geehrten Freunde, ist noch mein Hochzeitskleid. Ja, das erinnert mich an vieles Leid und an die kurze Freude meines Lebens. Gott verzeihe denen, die an mir so übel gethan haben. Mein lieber Johannes, mein seliger Mann, war ein geschickter Uhrmacher. Er hatte ein kleines Vermögen von seinen Eltern geerbt und mit seinem Fleiße war ihm das genug, um bequem und sorgenfrei mit mir davon zu leben.. Ein liebes Kind, ein Töchterchen, bekamen wir auch bald. Mein guter Johannes hatte recht viel hier von unserm lieben Simon: so fein gebauet und still und eben so furchtsam vor den Leuten. Den Muth und die Kraft kann sich kein Mensch geben, so wenig er eine Elle seiner Länge zusetzen kann. Es war ein reicher Mann in der Stadt, vom besten Ruf, leutselig und fromm, der keine Kirche versäumte. Er war sonst Fabrikant gewesen, hatte aber schon lange alle Geschäfte niedergelegt, und lebte von seinem großen Vermögen: hatte auch Häuser in der Stadt und ein Gut. Der Mann war gegen alle Menschen, auch gegen uns arme Leute so liebreich und herablassend. Zu dem trug mein Mann unser kleines Capital, den Abend vorher, ehe unser Töchterchen sich legte. Hast Du die Verschreibung? fragte ich meinen Johannes. Ich gehe morgen wieder zu ihm, antwortet mir der: es wird auf sein großes Haus eingetragen. In der Nacht schon muß er bei Sturm und Regen den Doktor holen. Der Schreck dazu und die Angst um das Kind griffen den schwächlichen Mann, der schon sonst an der Brust litt, gewaltig an. Am Kinde war keine Hülfe, es starb; das war ein Jammer über 50 Jammer. Der Vater läßt den Muth sinken, vergißt den liebreichen Helfer im Himmel und streckt sich auch auf sein Todtenbette hin. Er überlebte unser Christinchen nur vier und zwanzig Stunden. O Simonchen, mir war, wie im Traum. Ich hatte vorher nicht geglaubt, daß man so viel Elend erleben könne. Sonderbare Gründe, die wir Menschen nicht verstehen, muß es auch dazu geben. Es war kein Geld im Hause. Unsre Wirthschaft war noch jung. Der Mann hatte kürzlich, weil er ordentlich war, alle seine Schulden bezahlt. Vorräthige Arbeit war auch nicht im Hause, denn wir hatten noch keinen Gesellen angenommen. Die Leichen sollten doch bestattet werden. Hätt' ich meinen Herzensjammer nicht etwas durch Gottes Wort bezähmen können, so wäre ich damals auch gestorben. Ich betete auch eifrig um meine Auflösung. Ach! damit war ja alles dann so schön in Ordnung gebracht. Wenn man sich damit trösten kann, daß es auch andere Unglückliche giebt, so hatte ich freilich solchen Trost nahe genug. Es ist kein Trost, aber doch schwächt es die bittere Empfindung, die sich in großen Leiden unsers Herzens gar zu leicht bemeistert, und in Aufruhr und Widerstand gegen den Schöpfer ausbrechen möchte. In unserm Hause wohnte ein armer kranker Mann mit drei Kindern, die Mutter war schon seit einem Jahre gestorben. Den unterstützten wir, so viel wir vermochten.

Jetzt mußt' ich in meinem Jammer zu jenem reichen Manne gehn, der unser Geld hatte, etwas davon zurücknehmen, und mit dem übrigen eine Einrichtung treffen. Der Gang war schwer. Alle Häuser auf der Straße schienen mir zu wanken. Ich dachte immer, aus dem einen würde mein lieber Johannes heraus treten, und alles sei nur ein dummer Traum. Der alte Mann empfing mich sehr liebreich, die Thränen standen ihm in den Augen, als ich ihm 51 mein ganzes Unglück erzählte. Aber vom Gelde wußte er nichts, er hatte gar nichts empfangen, mein Mann war auch gar nicht bei ihm gewesen. Ich bin die Ordnung selbst, liebe Frau, sagte er freundlich, aber mit fester Stimme; Sie müßten ja doch einen Schein von mir in Händen haben, denn ich, als ein Greis, konnte nach Menschenrechnung viel eher sterben, als Ihr seliger Mann. Er hat es mir vielleicht geben wollen, hat es irgend wo anders hingethan: was weiß ich? Es ist Unrecht, Ihnen nicht genau die Sache mitgetheilt zu haben. Er entließ mich mit vielen Tröstungen, die ich in meiner Betäubung nicht mehr hörte, denn ich empfand ein Grauen vor dem menschlichen Leben und vor mir selber. War der Alte ja doch mein Bruder, eben so von Gott geschaffen und zur Seligkeit bestimmt, und konnte am Rande des Grabes so Gott vergessen, und des Elends spotten. Ich war so niedergeschlagen, daß mir nun alles gleichgültig war. Wie ich zu Hause kam, mußte ich Betten und das allernöthigste verkaufen, um nur Anstalten zum Begräbniß zu treffen, ich mußte mit Trödlern und Handelsleuten alles selbst besorgen, weil ich keine Freunde hatte, die mir das traurige Geschäft abgenommen hätten. Meine Thränen aber waren vertrocknet. So konnte ich nun, da wir Küche und Stube leer gemacht hatten, die geliebten Leichen bestatten. Es war aber keine Möglichkeit, Trauerkleider für mich anzuschaffen. Ich war ja nun auch darüber hinaus, was die Nachbarsleute von mir denken würden. Ich zog also, als ich den Leichen zum Kirchhofe folgte, dieses mein Hochzeitkleid an, das ich freilich mit ganz andern Empfindungen und Erwartungen hatte machen lassen, und trauerte nur mit einem schwarzen Tuch und Bändern. Der Tag des Begräbnisses war ein schöner stiller Sonntag, der erste warme und helle nach vielen kalten und stürmischen. Das neue Grün 52 war eben herausgekommen, und die Frühlingserde hatte mein Liebstes in Empfang genommen.

Als ich allein nach der Stadt zurück ging, fiel es mir aufs Herz, daß ich seit den schrecklichen zwei Tagen meinen Armen im Hause und seine Kinder gänzlich vergessen hatte. Ich konnte ihnen freilich nicht mehr das geben, was sie sonst von mir erhielten, aber sie doch vielleicht trösten und ihr Leben fristen. Auf dem Markt begegnete ich den geputzten Leuten, die eben in dichten Zügen aus der Hofkirche kamen. In seinem warmen schönen Pelze ging auch der reiche alte Mann stattlich einher, in der einen Hand das Gesangbuch, ganz mit Gold beschlagen, in der andern Hand das Rohr, mit dem großen goldnen Knopf. Die sanfte Frühlingsluft träufelte das Rauchwerk an seiner grünen Sammtmütze. Alle, auch der Prediger, der vorüber ging, neigten sich vor ihm mit Ehrfurcht, und die weißen Locken, die ganz herunter fielen, wenn er die Mütze abnahm, standen ihm recht schön. Da wird Auflauf und Geschrei. Halt den Dieb! ruft man, und ein blasser, schlecht gekleideter Mensch will durch die Menge stürzen. Er rennt an den alten Greis und dieser hält ihn fest. Stehlen, Mensch, ruft er aus, sogar Sonntags, während dem Gottesdienst! Alles drängt sich herzu, der Bäcker in Hemds-Aermeln auch, der den Auflauf erregt hatte. Den sie festhielten und schalten und mißhandelten, war Niemand anders, als mein armer Kranker, der in höchster Verzweiflung für seine hungernden Kinder, so wie er dem vollen Bäckerladen vorbei geht, ein Brod entwendet hatte. – Während dem Tumult zogen wilde Gänse mit ihrem trompetenden Geschrei hoch über uns durch den blauen Himmel und die erste Nachtigall ließ sich aus dem Elsenbusch draußen, jenseit des Thores hören, und meine verdorrten Augen vergossen wieder milde, tröstende Thränen; denn alles sagte mir, Frühling, 53 Schwalbe und Nachtigall und die süße Luft um mich und der durchsichtige Himmel, daß ein Gott sei, daß irgendwo anders gemessen und gerichtet wird, als hier auf Erden, daß diese herben Gefühle auch einmal vergütet werden und sich in stille Freude auflösen.

Ich that, was ich konnte, ich bat bei der Obrigkeit für den armen Dieb und bettelte für die verschmachteten Kinder. Es geschah auch etwas Weniges für sie alle, sie sind aber doch bald im Elend gestorben. Nach einigen Jahren, so habe ich nachher erfahren, ist auch der reiche Greis fromm und still verschieden, von der ganzen Stadt bedauert, und der Hofprediger selbst hat einen schönen Leichensermon an seinem Grabe gehalten.

Ich war nun selbst eine Bettlerin. Ich arbeitete für Geld, und lernte, wie sauer sich so das nothdürftigste Brod erwirbt. Wie ich älter wurde, kam ich durch Zufall hier in das liebe Dorf, wo gute Menschen sich meiner so freundlich angenommen haben. Wenn diese Freunde aber mein Schicksal wissen, so werden sie mich nicht mehr schelten, wenn sie mich noch oft in diesem ausgeblichenen grünen Kleide von der starken dicken Seide gehn sehn; denn da ich es überwinden mußte, so dem Sarge meines Kindes und Mannes zu folgen, so konnte ich mich auch leicht über das andere wegsetzen. Das feste Zeug wird auch noch bis zu meinem Tode halten. Und wer verdenkt es einer Bettlerin, wenn sie auch Flicken von anderer Farbe drauf setzt?

Die Mutter weinte, und sprach dann mit der Alten, die mit Verstand und Ruhe ihr Schicksal betrachtete. Simon schlich sich davon, um seinen Thränen unbeobachtet ihren Lauf zu lassen, denn die kurze Geschichte hatte ihn tief erschüttert. Als er nach einiger Zeit in den Garten zurück kam, färbte der letzte Schimmer der untergegangenen Sonne 54 die dunkelnden Bäume mit einer röthlichen Dämmerung. Die Mutter hatte den Garten schon verlassen und Frau Rose wollte auch eben durch die Thür schreiten, welche ins Feld führte, als Simon sie noch einholte. Er hatte, ohne genau nachzurechnen, eine große Geldrolle zu sich gesteckt, die er jetzt der Alten aufdrängen wollte, in dem Gefühl, als wenn er wenigstens durch den Beweis seiner Liebe das Elend jener längst entschwundenen zu bittern Stunden etwas vergüten müsse. Sei kein Kind, Simonchen, sagte die Alte: warum willst Du Dich gerade jetzt vom Gelde so entblößen, da Du in der Stadt so viele Ausgaben haben wirst? Ich kann jede Stunde sterben. Auch läßt es mir Deine liebe Mutter und die Frau Amtmann auf dem Vorwerk draußen nicht am nöthigsten fehlen. Sieh, mein lieber Freund, den einen Gulden will ich aus Liebe zu Dir, wenn ich ihn gleich nicht eben brauche, doch behalten, die übrigen neun und vierzig, oder ob es noch mehr seyn mögen, mußt Du wieder zurück nehmen, wenn Du mich lieb hast. Sie stritten noch lange, aber die Alte gab nicht nach, und der weiche Simon mußte sich endlich ihrem Willen bequemen. Im Streiten hatte sich während des Auf- und Abgehns Simon einige Mal gebückt, und ohne etwas dabei zu denken, Pflanzen ausgerupft. Was hast Du da, mein Sohn? fragte die Alte. – Ich weiß es nicht, antwortete Simon, Blumen und Kräuter.

Indem kam die volle rothe Mondesscheibe hinter dem Hügel dunkel golden hervor und warf ihr stilles Licht über Berg, Feld und Garten. Die Alte öffnete Simons Hand und betrachtete die Pflanzen. Sieh, Simonchen, rief sie freudig aus, unter dem andern Grase zwei vierblättrige Kleepflanzen: zwei! Was sagst Du dazu? Bist Du nicht ein Glückskind? Die bedeuten Deine Rathsstelle und Sidonchen.

55 Bist Du abergläubig, Rose? fragte Simon? ich hätte Dich für verständiger gehalten.

Bist Du es denn etwa nicht? fragte die Alte wieder; und hast Du vielleicht schon einen Menschen gekannt, der es nicht gewesen wäre? das Böse dabei ist nur, wenn der Mensch darüber mehr oder minder von Gott abfällt. Aber Sachen, die ihm etwas bedeuten, Vorzeichen, an die er glaubt, läppische Furcht, der er nachgiebt, hat ein jeder, er mag sich auch anstellen, wie er will. Und ein junger Mensch, der so verliebt ist, wie Du, ist ja ganz aus Aberglauben zusammen gesetzt, so daß kaum für Glauben und Vernunft ein Plätzchen in seinem Herzen übrig bleibt.

Der Jüngling drückte der Alten die Hand, und sie schieden mit Herzlichkeit und nicht ohne Rührung. Simon ging nun einsam im Garten auf und ab. So schön war ihm das strahlende Mondlicht noch niemals vorgekommen, so lieblich hatten ihm die Blumen noch nie geduftet. Er hielt an der Prophezeiung der alten Freundin und der Kleeblätter mit Vertrauen fest, und fragte und zweifelte nicht mehr, wie und auf welchem Wege sich sein unwahrscheinliches Glück entscheiden könne.

Da kam ein fremder Bote, der ihn schon im Hause gesucht hatte, brachte ihm einen großen Brief und entfernte sich sogleich wieder. Er küßte das große, adliche Siegel, und in der Ueberzeugung, Sidonie nähme noch einmal Abschied von ihm, gebe ihm wohl ihr feierliches Wort und rede ihn mit dem vertraulichen Du an, um welches Zeichen der Liebe er sie heute wieder vergeblich gebeten hatte, riß er, ohne das Wappen zu verschonen, den Brief hastig von einander, drückte das Blatt noch einmal an seine Lippen und las nun, da der Vollmond hell genug schien, und die Züge der weiblichen 56 Hand klar und groß genug waren, zu seinem Erstaunen folgendes.

»Nach den vielen Kränkungen und Mißhandlungen, die ich von Ihnen erfahren habe, erniedrige ich mich vielleicht zu sehr, Ihnen noch einmal zu schreiben. Aber es ist meine Pflicht, als Mutter, als Versorgerin der armen verlassenen Waise, die mir die Feder wieder in die Hand giebt, obgleich ich auf verschiedene Briefe, die dasselbe sagten, was der heutige wiederholen muß, keine Antwort, ja keinen Bescheid, noch weniger die unentbehrliche Unterstützung erhalten habe. Führt mir mein böser Genius jene früheren Jahre zurück, als ich mich, jugendlich thöricht, von Schwüren und scheinbarer Liebe täuschen, von so glänzenden Versprechungen blenden ließ, so gränzt in meinem gegenwärtigen Elende, da ich ohne Eltern, Schutz und Verwandte bin, meine Stimmung an Verzweiflung. Ich will lieber glauben, Sie haben durch irgend eine Intrigue Ihrer Leute meine vorigen Briefe nicht erhalten, als daß ich mich überzeuge, Du seist wirklich so tief gesunken, daß Du auch die letzten Reste des Gefühls und der Menschheit in Dir vertilgt habest. Darum gebe ich diesen Brief einem sicheren Manne, dem Assessor Bäring mit, der ihn Dir selbst überreichen wird, und ich beschwöre Dich, diesem Bäring sogleich, indem Du ihn erhältst, mit zwei Worten vorerst nur den Empfang zu bekunden – –«

In der Betäubung las Simon den ganzen Brief zu Ende, und sah nun wohl, daß es jene hülflose verarmte adliche Dame war, von welcher ihm der Schulze gestern so umständlich gesprochen hatte. Er fand auch auf dem Boden den offenen Zettel liegen, den er unachtsam hatte fallen lassen und der ihm vom Boten zugleich überliefert war, in welchem ihn die Fremde ersuchte, den wichtigen Brief ja selbst zu übergeben und sich alsdann vom Empfänger einen 57 Schein über das Erhalten desselben zustellen zu lassen, den er ihr sogleich mit der ersten Post senden möge. Das Entsetzen Simons konnte nur dadurch noch gesteigert werden, daß er, als er den Brief wieder faltete, die Addresse las und mit Grausen inne wurde, das Schreiben sei an Niemand anders, als seinen Minister gerichtet, von dem sein Schicksal unbedingt abhing, und der schon gegen ihn eingenommen war.

O Rose! rief er verzweifelt aus: o Kleeblätter! – Unsinn über Unsinn! – –

Wenn in diesem Augenblick der Tod zu ihm getreten wäre, er hätte, das fühlte er, mit Freuden seine Hand in die dürre des Unholds gelegt, und wäre mit ihm gegangen, um nur aus dieser verzweiflungsvollen Lage gerissen zu werden, die nun für ihn auf Erden nicht höher steigen konnte.

Wie oft hatte ihn schon der Vater vor Jahren gescholten und ermahnt, nicht Briefe, die er empfange, wie es seine Art war, sogleich aufzubrechen, ohne erst mit Bedacht die Addresse zu lesen. Diese, freilich nöthige, Vorsicht trieb der alte Bäring so weit, daß er die Aufschrift mit allen Titeln und Bedingungen wieder und wieder ablas, das Postzeichen entzifferte und dann den Namenzug oder das Wappen des Petschaftes studirte, ja oft frühere Briefe hervor suchte, um, ohne zu öffnen, aus dem Siegel den Schreiber zu erfahren. Von dieser Gewohnheit war Simon zuweilen, wenn man wichtige Nachrichten erwartete, geängstigt worden. Jetzt segnete er dies Zögern, und verwünschte seine Hast. Um keinen Preis aber hätte er es gewagt, den Vater zum Vertrauten seiner Uebereilung zu machen. Rath wußte er aber auch nicht, so zerrissen war Wappen und Brief, als seinem gefürchteten Vorgesetzten alles zu gestehn, und sich einer 58 kalten Verzweiflung still zu überlassen, die nichts mehr zu fürchten, weil sie nichts mehr zu verlieren hatte.

Er ward zum Abendessen gerufen, und unter anderen Reden sagte der Vater am Schluß zu ihm: Du bist jetzt ein freier Mensch, Simon, ich werde Dich nicht mehr hofmeistern, ich werde Dich zu nichts mehr zwingen, denn ich habe gestern gesehn, daß Du ein Mann geworden bist. Du hast mit jener Mütze die vielleicht kleinstädtischen Sitten Deines väterlichen Hauses abgestreift, Du wandelst Deinen eignen Weg, Du bist Rath und des Fürsten Vertrauter und wirst bald dem Minister unentbehrlich seyn. Ich rechne darauf, daß Du, wenn es Noth und Recht will, diesem, ja Deinem Landesherrn, eben so keck entgegen trittst, wie Deinem Vater, auch wenn es sich um höhere Dinge handelt. Aber – ex ungue leonem; aus diesem Mützenstreit habe ich wenigstens zu meinem freudigen Erstaunen gesehn, daß Manneskraft und Freiheitssinn Dir beiwohnen, größer, als ich je von Dir geglaubt hätte. Die Thatkraft ist nun aus der Knospe gebrochen, wird zur Blüthe und zu ihrer rechten Zeit auch reife heilsame Frucht werden. Mein väterlicher Segen, meine inbrünstigen Gebete begleiten Dich auf Deiner neuen wichtigen Laufbahn.

Er drückte ihm einen feierlichen Kuß auf die Stirn und entließ ihn dann mit ernster Geberde. – Simon suchte lange den Schlaf vergeblich, der erst nach Mitternacht seine Angst einwiegte und den Armen seine widerwärtige Lage vergessen machte.


Am frühen Morgen war alles im Hause munter. Selbst die Kinder waren aufgestanden, um vom Bruder Simon, der nun wahrscheinlich in Jahren nicht wieder komme, Abschied zu 59 nehmen. Der kleine Ernst, der ältere der jüngern Geschwister, machte sich viel zu schaffen, um dem Kutscher zu helfen; Sophie trug ihre Puppe herbei, und Simon mußte diese oft küssen und versprechen, sie nicht zu vergessen. Der zweite Knabe bedung sich aus, daß, so wie Simon seine Stelle in der Residenz in Besitz genommen habe, er ihn zum General, und zwar von der Cavallerie, machen solle. Simon, dem es in seiner jetzigen Stimmung auf Kleinigkeiten nicht ankam, versprach alles genau zu erfüllen.

In einer Familie, die so einsam lebt, wie diese des Predigers, war die Abreise Simons für alle eine große Begebenheit. Als der Vater dem hoffnungsvollen Sohn noch einmal seinen Segen gegeben hatte, stieg die Mutter mit ihm in den Wagen, um mit den drei kleinen Geschwistern bis zum Vorwerk, eine Viertelmeile vom Dorfe zu fahren, und von dort zu Fuß zurück zu kehren.

Der Abschied war zärtlich, und Sophie sagte: nun ist Bruder Simon wieder freundlich und gut geworden, warum muß er denn nun gerade so weit weg fahren? Ernst gab ihm ein neues Federmesser zum Andenken mit und sagte verständig: denke dabei immer an mich, außer wenn Du Dich in den Finger schneiden solltest. Conrad wäre lieber gleich mitgereist, um noch heut General zu werden, und er rief ihm noch nach: ein schönes Pferd kannst Du mir auf allen Fall gleich aussuchen.

Als Simon nun allein weiter fuhr, kam ihm das Verlangen seines kleinen Bruders gerade eben so vernünftig vor, als daß er selbst nach der Stadt reisete, um Rath zu werden. Jede Stunde, die er auf der Reise noch gewann, achtete er für ein Glück; er suchte sich an jedem Wäldchen und kleinen Dorfe zu zerstreuen, er phantasirte über jeden 60 unbedeutenden Gegenstand, um sich nur selbst zu entfliehen, und die nächste Aufgabe seines Lebens zu vergessen.

Man hatte Pferde vorangeschickt, die nach einigen zurückgelegten Meilen vorgeschirrt wurden, so daß die Reise bis zu Mittag schnell von statten ging. Simon hätte sie langsamer gewünscht; diese Eil, die ihn seinem Unglück entgegen führte, war ihm verhaßt. War er auch einen Augenblick über die Schönheiten des Frühlings und die Lieblichkeit des Wetters entzückt, so mußte er immer wider Willen nach jener Brieftasche fühlen, in welcher der unglückliche entsiegelte Brief ruhte, der ihn noch schmerzlicher, wie alles andere, drückte.

In einer einsamen Waldschenke spannte der Fuhrmann aus, um Mittag zu machen. Der Wirth war einer von denen, die durch zu weit getriebene Höflichkeit ihren Gästen sehr beschwerlich werden können. Er sagte kein Wort, ohne seine Mütze abzunehmen und sich tief zu verbeugen; so wie Simon sich nur umsah, rannte er herbei, um sich zu erkundigen, was zu Befehl stehe; wenn sein Gast aus dem Fenster blickte, beruhigte er ihn geschwätzig über die Sicherheit des schönen Wetters und zankte mit dem Canarienvogel, der während des Gespräches sang, und wollte ihn tobend und schimpfend zum Stillschweigen bringen. In einer Ecke schlief auf einem Schemel eine große und feiste Cyperkatze, sie war schön gezeichnet, und hatte ein rothes ledernes Halsband um, auf welchem mit Gold sonderbare Charaktere gestickt waren; über diesen Schmuck verwundert, fragte Simon: was ist das? – Der allzueilige Wirth sprang herbei, und seine Höflichkeit gegen den Gast auch auf sein Hausthier übertragend, und die Frage in der Eil nicht fassend, sagte er mit der tiefsten Verbeugung: dieses da seind unsere Katze. – Jetzt wurde er abgerufen und rannte hinaus, um dort Rede und Antwort zu geben und das Mittagsessen zu besorgen. Simon 61 setzte sich neben den Kater und streichelte den Trägen, der ihm durch behagliches Murren seinen Dank abstattete.

Nicht bloß meinen Fuhrmann und den geschmeidigen Wirth möchte ich beneiden, sagte Simon halb laut zu sich, sondern selbst dich, du unschuldiges, behagliches Katzenwesen, daß du, als treuer Hausfreund, mit so wenig Anstrengung deinen einfachen Beruf erfüllst. Du sollst nicht zum Rath examinirt, oder, wie ich, exanimirt werden, du hast keinen verwünschten Brief zerrissen, der schon uneröffnet meinem fürchterlichen Nichtgönner eine böse Laune geben müßte; auf deine Erhebung wartet kein strenger Vater und keine liebende Mutter; du bist, was du bleibst, – und wie gern möcht' ich mein Wesen mit dem deinigen vertauschen, um nur den morgenden bösen Tag so, wie du, in saumseliger Ruhe verschlafen zu können. O liebes, dickes Katzenvieh, warum kann ich dich nicht, statt meiner, zum bösen Minister hinein schicken? Könntest du ihm nicht deine Aufwartung machen?

Dieselbige Katze, rief der Wirth, der unbemerkt wieder herein gekommen war, haben aber nichts gelernt, sie haben sich etwas auf die faule Seite gelegt. Durch meine Kinder und Frau seind sie verdorben worden.

Simon war beschämt, da er sein Selbstgespräch behorcht glaubte. Er ging in den Wald, um ungestört träumen zu können, und kam nur zum Essen zurück. Der Wirth, der indessen vom Fuhrmann die Absicht der Reise erfahren hatte, war noch höflicher und redseliger, und ließ es sich nicht nehmen, den Gast bei Tische zu bedienen. Wenn Seiner Excellenz in der Stadt so ein großer Liebhaber von Katzen seyn sollten, fing er nach einiger Zeit wieder an, wie ich nach des verehrten Herrn Rathes Aeußerungen schließen muß, und Ihnen gegenwärtiges ausgezeichnetes Exemplar, um es als Präsent zu überliefern, anständig wäre, so sollte es mir 62 nicht darauf ankommen, Ihnen selbiges unter billigen Bedingungen abzulassen. Künste, wie gesagt, kann er nicht, aber er ist gut und freundlich. Der Transport würde freilich seine Schwierigkeiten haben und meine Kinder würden in Verzweiflung fallen, denn sie hängen an dem Dicken mehr, als an einem leiblichen Bruder.

Simon wollte ihm auseinander setzen, wie sehr er sich irre, und daß von ihm an sein verehrtes Hausthier kein Anspruch gemacht würde, als sich, ihn unterbrechend, ein lautes Kindergeschrei und Weinen zur Thür herein drängte. Es war die Wirthin, die den Kater noch mehr aufgeschmückt und mit seidenen Bändern umwunden, in einem zierlichen Korbe herbei brachte; die Kinder folgten heulend, und nach dem Thiere hinauf langend. Als der Vater unter sie fuhr, waren sie ein Weilchen still, so daß die Frau anheben konnte: verehrter Herr Rath, ich und die Meinigen bringen Ihnen und dem angebeteten Minister das allergrößte Opfer, dessen wir als Sterbliche nur immer fähig sind. Wie wir diesen hier geliebt haben, was er uns war, wird Mit- und Nachwelt niemals begreifen, genug, daß er in unseren Herzen lebt. Als ich vor einiger Zeit in einem großen Buche las, wie heilig das Katzengeschlecht bei den Aegyptern in ehemaligen Zeiten gehalten wurde, habe ich aus demselbigen Buche ihm mit eigener Hand einige sinnvolle Hieroglyphen auf dieses sein Halsband gestickt, er wird durch dieses Abzeichen nicht geringer geworden seyn.

Sie wollte ihm den Korb aufdrängen und wieder ertönte ein so lautes Geheul der Kinder, daß Simon eine Zeitlang keine Möglichkeit sah, ihnen deutlich zu machen, daß der Hausherr im Irrthum sei und ein hingeworfenes Wort von ihm falsch verstanden worden. Nun erhob sich ein noch lauterer Jubel, die Kinder fielen über den Kater 63 her, um ihn zu umarmen und zu küssen, der sich auch in seiner phlegmatischen Ruhe alle diese stürmische Verehrung gefallen ließ. Da der Wagen wieder angespannt war, stieg Simon eilig hinein, indem die Frau ihm nachrief: Heil Ihnen! einem so edlen Manne muß alles gelingen: es folgt Ihnen der Segen einer ganzen Familie. Ja! Segen! Segen! hörte Simon noch im Walde die Kinder und die abgeschmackte Mutter ihm nachrufen.

Als es anfing dunkel zu werden, erreichte er die Stadt. Jeder Wagen, jeder gutgekleidete Fußgänger erschreckte ihn, denn in jedem konnte ihm sein Feind und Richter begegnen. Er ging aus dem Gasthofe, wie man es ihm in Briefen bestimmt hatte, sogleich zu seinem Schulfreunde Schwebus, der auch als Rath angestellt war. Dieser war eine kleine dicke Gestalt, die sich mit der größten Behendigkeit umschwenkte, sein Gesicht war rund und unbedeutend, und konnte gewiß die kleinsten Augen aufweisen, mit denen man sich nur irgend, um zu sehn, behelfen kann, und da er sie bei jeder Veranlassung, am meisten aber beim Beobachten zudrückte, so sah man in der Regel gar kein Auge in der röthlichen aufgequollenen Masse, sondern nur zwei schmale Ritzen, aus welchen von Zeit zu Zeit ein Schimmer hervorblitzte. Die Freude der alten Bekannten, sich nach geraumer Zeit wieder zu sehn, war groß, und Schwebus erzählte dem Fremden sogleich, daß er ihm zu Ehren ein kleines Fest angestellt habe, und noch einige Freunde erwarte.

Simon sah auch Gläser und Weinflaschen, nebst anderen Anstalten zu einem Gastmahl. Es war ihm unlieb und ängstlich, da er in seinen Reisekleidern geblieben war, und nun nicht wußte, welche Menschen, von welchem Rang oder welchen Gesinnungen er heut noch sollte kennen lernen. Da kommt, antwortete Schwebus leichthin, erstlich der Graf von 64 Hohenesche, dann der Geheimerath von Kummersdorf, der Baron von Wiesenheim, und der Gesandte, Freiherr von Zahlburg. Weiter niemand, wenn nicht ein oder der andere meiner Bekannten vielleicht noch ungebeten eintritt, wie es bei uns wohl zuweilen geschieht.

Der peinliche Simon erschrak über diese vornehmen Herren, die ihn heut in seiner Stimmung, da er auch von der Reise ermüdet war, nur in Verlegenheit setzen würden; doch der muntre Schwebus versicherte ihm das Gegentheil und sagte, um ihn völlig zu beruhigen: theures Kind, hier in der Residenz mußt Du alle Deine Krähwinkel-Sitten ablegen und ein neues und freies Betragen anziehn, wie es sich für den gebildeten Mann ziemt, dem es Bedürfniß und Gewohnheit geworden ist, mit Leuten seines Gleichen und mit den höheren Ständen behaglich zu leben. Du bist da draußen auf Deinem Dorfe und nachher noch mehr in dem kleinen Nest, das sich eine Stadt schimpfen läßt, völlig verdorben, und es ist die höchste Zeit, Dich von Deinem Roste zu säubern, der sich Dir sonst bis in Mark und Gebein einfressen wird.

Der Graf, ein schlanker, ältlicher Mann, mit blassem, oder vielmehr gelbem Gesichte, trat jetzt schon herein. Guten Abend! rief er; ist das der wunderliche Gast, von dem Sie uns gesagt haben? Ohne Antwort abzuwarten, schloß er Simon in seine Arme, indem er fast schreiend fortfuhr: Sein Sie uns tausendmal willkommen, ich hoffe, ein neues interessantes Mitglied unseres frohen Zirkels und einen wahren Freund an Ihnen gewonnen zu haben. Sind Sie verheirathet oder noch ein Junggesell?

Noch bin ich, antwortete Simon verlegen –

Desto besser! fiel der Graf ein, ohne den Sprechenden endigen zu lassen: man ist nur ein Mensch, ein freier Mann, 65 so lange man unvermählt ist; nachher muß man Bequemlichkeit, Angewöhnung, Freunde und Gesinnung den Launen der Frau zum Opfer bringen. Ich habe noch keine Ehe gekannt, in welcher die Verheiratheten das frische Leben ihrer Jugend hätten fortsetzen können.

In lautem Gespräch trat jetzt der Gesandte mit dem Geheimenrathe ein. Es galt die Politik, in welcher sie über einen wichtigen Punkt in Streit begriffen waren, so daß sie kaum ihren Wirth und noch weniger den neu angekommenen Gast bemerkten. Sie wurden erst ruhiger, als der Baron Wiesenheim die Gesellschaft vollständig machte. Jetzt wurde Simon vorgestellt, und alle umarmten ihn nach der Reihe, indem sie ihn ihrer Freundschaft versicherten, und daß er, so oft er sie bedürfe, auf ihre Dienste rechnen könne.

Simon, der bisher nur wenig von der Welt gesehen hatte, war erstaunt, über die Leichtigkeit sowohl, mit welcher er so schnell Bekanntschaft machen, ja Freundschaft mit so vornehmen und ausgezeichneten Männern schließen konnte, wie auch über den lauten, lärmenden Ton, den er sich vormals in seiner kleinen Stadt viel feiner und edler gedacht hatte. Im Verlauf vieler, oft geänderten und noch öfter unterbrochenen, schreienden Gespräche erschien er sich, vorzüglich als er sich an einigen Gläsern kräftigen Weines gestärkt hatte, als der feinste und gebildetste in der Gesellschaft; denn er bemerkte mit nicht geringer Verwunderung, daß die Herren sich so grobe Schnitzer der Unwissenheit zu Schulden kommen ließen, daß er in ihrer Seele erröthete. So geschah ihm denn, was er vor kurzem für unmöglich hielt, daß er sich leicht und vertraulich zwischen diesen Gestalten bewegte, daß er dreist redete, seine Meinung behauptete, und jedem im Kreise beherzt widersprach, wenn dieser nach seiner Einsicht etwas Unrichtiges vorgetragen hatte. Selbst der 66 lauernde Schwebus war über das Betragen seines Schulfreundes verwundert, der in so wenigen Minuten jene Schüchternheit abgestreift hatte, die ihn sonst zum Gegenstand des Spottes machte, und der sichtlich immer fester und sicherer wurde, so daß er bald die übrigen fast zu beherrschen schien.

Da man die Gläser fleißig klingen ließ, so wurde bald jede Rückhaltung von den frohsinnigen Zechern verbannt. Anekdoten, ärgerliche Gerüchte, schlimme Geschichten mit noch böseren Anmerkungen darüber, wurden unter Witz und Lachen vorgetragen, und da Simon in diesem Felde der Unterhaltung ganz fremd und unerfahren war, so wurde er wieder still und bescheiden, und begriff nicht, wie Männer vom höchsten Beruf sich an solchen Armseligkeiten oder unanständigem Geschwätz so von ganzem Herzen erfreuen konnten.

Sie sind ein Neuling, rief der Gesandte, der am boshaftesten war, zu ihm hinüber; man sieht es an Ihrer Miene und an Ihrem ungeziemlichen Erröthen.

Ich wette, sagte der Geheimerath, er selbst ist verliebt, und so recht in Siegwartscher Schwärmerei verfangen. O theurer Jüngling, wenn wir Sie nur ein halbes Jahr in der Schule gehabt haben, so werden Sie Ihre Beiträge auch schon liefern können. Wie heißt denn Ihr Schatz? daß wir auf dessen Gesundheit trinken mögen.

Simon wurde nur noch röther und antwortete nicht. An wen, unterbrach der Baron, haben Sie Addressen?

Keine, antwortete Simon, aber ich muß morgen früh dem Minister meine Aufwartung machen.

Von keinem, fuhr der lachende Gesandte fort, gehen doch so viele skandalöse Geschichten in der Stadt um, als von diesem lieben Manne. Er muß doch zu schlecht bedient seyn, daß alle seine galanten Abentheuer so ins Publikum kommen.

67 Sein trefflicher Sekretär, fiel der Graf ein, der berüchtigte Wohlgast, treibt es doch fast noch ärger. Das ist überhaupt der merkwürdigste Mann in der ganzen Stadt, ja überhaupt eine der wundersamsten Erscheinungen, die mir nur jemals auf allen meinen Reisen vorgekommen sind.

Wie das? fragte Simon gespannt.

Sehn Sie, fuhr der Graf fort, dem Menschen gelingt alles in der Welt, was er sich nur ernsthaft vornimmt. Er ist ohne Frage eines der größten Genies unseres Zeitalters. Denken Sie, der Mensch hat noch nie gefahren, er weiß wenig oder nichts von Pferden, denn er hat nicht einmal seine Manege gemacht. Vorige Woche fällt ihm ein, mit den wilden Hengsten des Engländers zu kutschiren; der tolle Squire, der immer lebt, als ob er in seinem Schranke einen Hals in Vorrath liegen hätte, vertraut sich ihm an, und zum Erstaunen der ganzen Stadt lenkt der verwegene Mensch um alle Ecken, überholt die geschicktesten Kutscher und bringt seinen Engländer wie die Hengste wohl behalten nach Hause. Der Squire schwört, er habe noch nie, selbst in England nicht, einen so vortrefflichen Kutscher von so sicherem Auge und leichter Hand gesehen.

Was sagen Sie dazu? fuhr der Gesandte fort. Er hat sich niemals auf Poesie und Literatur applicirt. Da wettet er mit dem berühmten großen Autor, unserem Habakuk, er wolle in vierzehn Tagen ein Trauerspiel fabriciren, das wenigstens so viel Glück, als das beste Habakuks machen solle. Der Dichter lacht ihn aus, wir treten zusammen und wetten für und gegen; der Wohlgast setzt sich nieder, und ohne sich lange zu besinnen, rührt er so viel Schicksal, Ahndungen, Brudermord und Blutschande, mit sechs oder sieben längst verstorbenen Geistern zusammen, daß er schon in acht Tagen mit der ganzen Geschichte fertig ist. Er liest uns das Ding 68 vor: ich schwöre, wir haben alle in Gänsehäuten dagesessen, so abscheulich ist uns zu Muthe geworden. Nun hat er es über die Gränze geschickt, dort in der benachbarten Residenz ist es gespielt, und hat Furore gemacht, was ich Ihnen sage, Furore; es ist siebenmal mit brechend vollem Hause gegeben worden, man hat die Akteurs und den Dichter gerufen, und wir alle, die wir es ihm nicht zutrauten, haben unser Geld und unsre Wette verloren. Der Habakuk ist seitdem nun etliche Zoll kleiner geworden.

Merkwürdiger als alles, fing jetzt der Baron an, ist sein Glück bei den Weibern, obgleich alle wissen, daß er verruchter als Don Juan ist, dessen er auch kein Hehl hat, sondern im Gegentheil bei jeder Frau mit seiner Verachtung der Weiber prahlt. Darum schelten und lästern ihn auch manche, und keine that es so unverholen, als die reiche Wittwe, die junge Frau von Sendheim, die sich so klug dünkt und mit ihrem Manne durch ganz Europa gereist ist. Das hört unser geniale liebenswürdige Bösewicht und schwört, die überkluge Sittenrichterin in sich bis zur Verzweiflung verliebt zu machen. Dienstfertige Freunde tragen ihr diese Prahlerei wieder zu, sie spottet über den Dummdreisten, sie vermeidet ihn in Gesellschaften nicht, um ihm ihre baare Verachtung zu zeigen, sie nimmt seine Besuche an, und – ist es nun, daß sie sich zu sicher dünkte, und diese Sicherheit sie stürzte, ist es ein Schicksal, oder seine wirklich bezaubernde Persönlichkeit, ist es wohl gar ein Dämon, der ihm beisteht, – genug, sie ist jetzt in Verzweiflung und will sterben und sich ermorden, wenn sie nicht seine Liebe gewinnen kann, der nun jetzt zur Erwiederung den Spröden und Grausamen gegen sie spielt und ihre Gesellschaft recht geflissentlich vermeidet.

O weh! o weh! seufzte Simon, hörbar genug.

69 Was ist Ihnen? fragten die übrigen.

Dieser so wunderbar begabte Wohlgast, antwortete der Jüngling, ist mein Mitbewerber um die Stelle, welche ich suche.

Da sind Sie verloren, armer Freund, riefen alle einstimmig. Außerdem, fuhr der Graf fort, ist er des Ministers rechte Hand, dieser kann ihn nicht entbehren, denn er weiß um alle Geheimnisse seines Vorgesetzten. Ja der Minister fürchtet ihn, und ist auch gewissermaßen abhängig von ihm, denn er weiß recht gut, daß, wenn dieser Allerweltsmensch sich fest vornimmt, in des Ministers Stelle zu rücken, es ihm auch gelingt. Es heißt außerdem schon, daß er sich wird adeln lassen.

Wer hätte das wohl, fuhr der Geheimerath fort, seinem Großvater, dem alten ehrlichen Tabaksspinner ansehn können? Oder seinem Vater, dem stillen Herrenhuter, der zu gar keinem Geschäfte zu brauchen war? Darum hat der Großvater von Türken und Heiden, Wittwen und Waisen das Geld zusammenscharren müssen, damit aus seinem starkknochigen Enkel ein solcher Großsultan konnte aufgefüttert werden.

Der Diener rief mit erschrockener Miene den Rath Schwebus hinaus. Keiner, als Simon, hatte die Verlegenheit seines Wirthes bemerkt. Der Rath kam gleich wieder zurück und rief: meine Herren, erschrecken Sie nicht, ich bin außer mir, der Fürst selbst erzeigt mir die Gnade, daß er unsre Gesellschaft verherrlichen will. – Alle erhoben sich schnell, am verlegensten Simon; jeder wollte den regierenden Herrn empfangen, der auch sogleich lächelnd und mit edlem und zierlichem Anstand in das Zimmer trat. Er war fein gebaut, etwa dreißig Jahr alt, und Uniform und Stern verkündeten außer seinem feinen Wesen den Fürsten. Keine 70 Störung, meine Herren, sagte er verbindlich, wenn ich Sie irgend genire, so vertreiben Sie mich schnell wieder aus Ihrer Mitte. Ich hatte mir aber vorgenommen, diesen Abend einmal in einem heiteren Zirkel recht behaglich zu verleben, und alles zu vergessen, was mir oft genug meine frohe Laune verdirbt. Wer ist dieser junge Mann? fragte er, indem er auf Simon wies; die übrigen Herren sind mir mehr oder minder bekannt.

Simon wurde ihm von Schwebus vorgestellt, und der Fürst äußerte, daß ihm die Miene des jungen Mannes vorzüglich gefalle. Auf Verlangen des Herrn setzte man sich wieder; der Fürst nahm die Oberstelle ein, und wollte den jungen Simon neben sich haben, um ihn näher kennen zu lernen und sich recht ungestört mit ihm zu unterreden. Der junge Bäring war über diese Gnade und Auszeichnung so außer sich, daß es ihm anfangs schwer wurde, nur irgend etwas auf Fragen und Anreden zu erwiedern: aber die feine Art des Fürsten, und dessen herablassende Vertraulichkeit gab ihm bald Muth und löste seine stockende Zunge.

Wovon war die Rede, als ich eben herein trat? fragte der Fürst nach einiger Zeit.

Erlauben Ew. Durchlaucht, nahm Schwebus bescheiden das Wort, wir redeten eben von Dero Minister und dem Assessor Wohlgast, der sich zugleich mit meinem jungen Freunde um die erledigte Rathsstelle bewirbt. Mein zaghafter Freund fürchtet, daß sein Mitbewerber ihm wird vorgezogen werden.

Das hängt denn doch nicht, antwortete der Fürst wie etwas verstimmt, so ganz unbedingt vom Minister ab. Ich höre über diesen Wohlgast so manche Klagen, es sind mir so verschiedene, seltsame Gerüchte zu Ohren gekommen, daß, wenn ich auch nur das Wenigste davon glaube, ich 71 nimmermehr wünschen kann, einem so zweideutigen Manne den Zutritt zu meiner Person zu erleichtern.

Wir waren vorher schon derselben Meinung, äußerte der Graf. Auch scheint unser neuer Freund, der junge bescheidene Mann, des Schutzes von Ew. Durchlaucht nicht unwürdig.

Er ist mir, antwortete der Fürst äußerst huldreich, schon von vielen Seiten empfohlen worden, und zwar von Männern, deren Worte bei mir ins Gewicht fallen. Seine Gegenwart bestätigt auch das Vorurtheil, das ich schon für ihn gefaßt hatte; denn so sieht nur ein edler und zugleich talentvoller Mann aus, dies helle Auge verkündigt Feuer und Gemüth, diese Stirn Poesie und Phantasie, der Mund Witz und Heiterkeit. Sind Sie nicht Dichter?

Durchlaucht, erwiederte Simon stotternd, Jugendversuche –

Haben Sie nie etwas drucken lassen?

Einigemal, unter fremdem Namen, in der blauen fliegenden Zeitung. ich nannte mich damals Rustan.

Ist es möglich, rief der Fürst aus, daß die schönen Gedichte, die mir ein so großes Vergnügen gewährten, die ich nicht oft genug lesen konnte, von Ihnen herrühren? – Auf den Ruhm und die Unsterblichkeit unsers lorbeerbekränzten jungen Poeten! – Simon mußte anklingen, sich bedanken, und trinken. Die Stube tanzte um ihn, und alle Gesichter, die er vorher matt und unbedeutend gefunden hatte, glänzten ihm in Verklärung entgegen.

So wird aber die Elisa, fing der Fürst wieder an, ebenfalls nicht der wahre Name der Angebeteten seyn.

Adela hatte ich sie getauft, erwiederte der trunkene Dichter.

Richtig, Adela! fuhr der Fürst fort; immer schweben 72 mir doch die mißgeborenen Verse unsers Habakuk vor den Augen. Aber wie heißt sie denn mit ihrem wirklichen Namen?

Sidonia, sagte kaum hörbar der Jüngling.

So müssen Sie, rief der Geheimerath, sich lieber Tyrus nennen, denn Tyrus und Sidon ist in der Schrift immer eben so unzertrennlich beisammen, wie Sodom und Gomorrha.

Die übrigen lachten, der Fürst war aber vielmehr verdrüßlich und sagte in einem etwas hohen Ton: Herr Geheimerath, Sie haben oft das Unglück, wie manche Menschen falsches Geld, falschen Witz bei sich zu führen. Sie sollten ihn gelegentlich um eine bessere Sorte vertauschen.

Der Geheimerath demüthigte sich mit einem so sonderbaren Gesichte, daß Simon das Lachen unmöglich lassen konnte. Der Fürst gab ihm die Hand, indem er ihm ins Ohr sagte: so ziemt es sich, daß der Geist sich über die Plattheit erhaben fühlt.

So wie die übrigen der Gesellschaft sahen, daß der Fürst so ausgezeichnet freundlich, ja vertraut mit dem jungen Bäring war, wurden sie alle in demselben Maßstabe gegen diesen demüthiger, so daß er im Verlauf der Unterhaltung nächst dem Fürsten der Held der Versammlung schien. Jedes Wort, das er sagte, wurde beifällig angehört, selbst die älteren widersprachen und antworteten ihm mit zurückhaltender Bescheidenheit.

Was kann ich für Sie thun? fragte endlich der Fürst den jungen Mann, den er wie seinen erklärten Liebling behandelte.

O, mein gnädiger Herr, rief Simon begeistert aus, wenn Ihre Huld mir die Stelle gewähren könnte, auf welche mein Vater für mich schon mit Gewißheit rechnet – –

73 Wir wollen sehn, antwortete der Fürst; indessen wünsche ich, daß Sie vorerst es meinem Minister noch nicht so bestimmt sagen, daß ich sie Ihnen bewilligt habe; aber ich sehe Sie als meinen Rath an, und in zwei Tagen muß sich alles entschieden haben. Bitten Sie sich außerdem noch eine Gnade aus.

Simon ergriff die Hand des wohlthätigen Prinzen und küßte sie inbrünstig. Versöhnen Sie mich dem Minister, sprach er von Freude bewegt, indem alle Furcht vor diesem Vorgesetzten schon längst aus seinem Herzen bis auf die kleinste Spur verschwunden war.

Der Fürst wollte wissen, weshalb er den Zorn des Ministers fürchte, und Simon erzählte ihm kürzlich, was seine hastige Unvorsichtigkeit an dem Briefe verschuldet habe, den er für ein Abschiedswort seiner Geliebten gehalten hatte.

Haben Sie den Brief mitgebracht? fragte der Fürst.

Allerdings, antwortete der junge Mann, so aufgerissen, wie er nun einmal ist.

Du solltest ihn Seiner Durchlaucht und uns vorlesen, sagte Schwebus.

Er ist, antwortete Simon, im Gasthofe verschlossen zurück geblieben.

Aber Du könntest ihn schnell holen, fuhr der Schulfreund fort, oder mir beschreiben, wo er liegt, daß ich ihn bringen könnte.

Das werde ich nicht thun, sagte Simon bestimmt. Es heißt. »im Handeln sei richtig!« und dies wäre eine sehr schiefe und ungerechte Handlung.

Da Sie ihn aber doch, wie Sie gestehen, selbst schon gelesen haben – wendete der Graf ein.

Das geschah, antwortete Bäring, in der Angst und wider meinen Willen. Da es aber ein persönliches Geheimniß 74 des Ministers betrifft, so wäre es Verrath von meiner Seite, etwas davon zu verlautbaren, oder gar den Brief hier zu einem öffentlichen zu machen.

Sehr delikat gedacht, nahm der Geheimerath das Wort, gegen einen ungerechten Mann, von dem Sie wissen, daß er Sie verfolgt.

Mein persönliches Verhältniß, fuhr Simon auf, hat hiebei nichts zu thun. Ich handele bloß so, wie ich es vor mir selbst verantworten kann.

Das scheint mir, sagte Schwebus sehr lebhaft, in der Gegenwart des durchlauchtigen Herrn an Hochverrath zu gränzen, und mich wundert es sehr, daß Du es wagst, seine Gnade so aufs Spiel zu setzen. Es wäre mindestens Deine Pflicht, den Inhalt, so viel Du ihn begriffen hast, bekannt zu machen, damit der gnädige Fürst doch seine nächsten Diener genauer kennen lerne.

Alle fuhren, indeß der Fürst ruhig aus der Ferne beobachtete, mit ungestümen Dringen und Drohungen auf Simon los, daß er ihnen und dem Fürsten, der sich noch nicht geäußert hatte, in so weit willfahren solle. Aber Simon sagte mit größter Bestimmtheit. enthielte dieser Brief irgend einen Verrath gegen das Land und dessen verehrten Regenten, so würde ich vielleicht mein Herz und Gewissen zwingen und beschwichtigen können, das meinem gnädigen Herrn mitzutheilen, was ich selbst nur auf so sonderbare und unerlaubte Weise erfahren habe. Da es aber Familienverhältnisse und Geheimnisse sind, die im mindesten nichts mit der öffentlichen Wohlfarth zu thun haben, so bleibt das auch ewig in meinem Herzen begraben und stirbt mit mir, was meine Augen, von meinem bösen Dämon verführt, lasen und entdeckten. Soll mir diese Weigerung das höchste Gut, die unschätzbare Gnade und Liebe meines durchlauchtigen Gebieters kosten, 75 die ich Unwürdiger durch seine himmlische Güte und Herablassung auf so unerwartete Weise gewonnen habe: nun, so muß ich diesen tödtlichen Verlust eben auch zu jenen Unglücksfällen rechnen, die mich immerdar verfolgen: und diesen habe ich mir dann wenigstens nicht durch Leichtsinn oder Uebereilung zugezogen. Ja, stände mein Leben hier auf dem Spiel, Kerker, Marter und Tod, ich könnte von diesem Entschlusse nicht weichen und wanken.

Alle umringten ihn scheltend und drohend, sie überschrieen sich im zankenden Eifer, bis des Fürsten tönende Stimme: Ruhig! in die Verwirrung rief, und alle beschämt aus einander fuhren. Jetzt erinnerte sich aber auch Simon des letzten Verses: »mit Herren vorsichtig« und wandte sich beschämt zum Fürsten, indem er sagte: vergeben mir Ew. Durchlaucht diese übertriebene und ungehörige Erhitzung, denn Sie haben auch noch mit keiner Sylbe zu verstehn gegeben, daß Sie das Begehren der Herren rechtfertigen, oder selbst damit einstimmen: beruhigt mich doch der Adel Ihres großen Herzens und Ihre hohe Milde selbst in so weit, daß ich im Gegentheil glauben muß, Sie sind mit mir einverstanden.

So ist es, sagte der Fürst äußerst gütig, fast gerührt; die unbillige Forderung dieser Herren ist mir darum erwünscht gewesen, weil sie mir Gelegenheit gab, Sie, Guter, zu prüfen und ganz Ihre Gesinnung kennen zu lernen. – Ich halte Ihnen mein Wort, Sie sind der meinige: können Sie es aber morgen noch dem Minister verschweigen, so ist es mir um so lieber. – Jetzt, meine Herren, wünsche ich Ihnen allen eine gute Nacht, denn ich muß mich nach Hause verfügen. Keine Begleitung und keine Umstände, wenn mein Wort etwas gilt. – Das aber sage ich Ihnen, halten Sie diesen jungen Mann in Ehren, denn er ist mehr werth, als 76 Sie alle. Keiner von Ihnen hätte diese Prüfung wohl auf diese Weise bestanden.

Er nahm vom Bedienten seinen Mantel, hüllte sich ein und entfernte sich mit einem stummen Gruße.

Die Gesellschaft schien über die letztere Aeußerung etwas verstimmt, nur Simon wandelte wie ein Seliger im Mondschein noch durch den Park. Das ganze wirkliche Leben hatte sich ihm wie in einem süßen Traum aufgelöst. Er konnte sich, in seiner jetzigen Sicherheit und Freude, seinen früheren Zustand der Angst und Trauer kaum deutlich zurück rufen.


Fast mit der Dämmerung war Simon zu seinem Besuche schon angekleidet. Er betrachtete sich wohlgefällig im Spiegel, denn er kam sich größer, breiter und älter vor. Jenes kindische, unreife Wesen, das ihm sonst zu seinem innigen Verdrusse aus dem Glase entgegen blickte, schien seit gestern völlig verschwunden. Nachdem er mit Behaglichkeit sein Frühstück genossen, ging er wieder nach dem Park und dichtete im Wandeln Liebeslieder an seine Sidonie. Als der Vormittag fast vorüber war, wendete er sich wieder nach der Stadt, und jedermann, der ihm begegnete, erschien ihm bedauernswürdig und geringe, da er weder die Zuneigung Sidoniens, noch die Gnade des Fürsten in dem Grade wie er besaß. Die Steine unter seinen Füßen schienen ihm so elastisch, wie der grüne Rasen einer feuchten Wiese; er sprang mehr, als er ging, und mit derselben Zuversicht stieg er die breiten Treppen zu der Wohnung des Ministers hinan. Im Vorsaal mußte er warten, indeß ihn der Kammerdiener meldete.

In seinem Arbeitszimmer saß der Minister, ziemlich 77 verstimmt, und neben ihm Wohlgast, dem es heute nicht gelang, ihn zu erheitern. Als er den Namen Bärings hörte, befahl er, daß der junge Mann noch draußen warten solle, bis der Assessor Wohlgast ihn verlassen habe. Da haben wir nun den Gimpel vom Lande, sagte der Minister; er hätte nicht so zu eilen gebraucht, um hieher zu kommen, denn er wird doch eben so wieder abreisen müssen, wie er angelangt ist. Zwar höre ich viel Gutes von dem jungen Mann, er verspricht nicht geringes Talent, das sich hier in der Residenz entwickeln könnte: und was mich ganz für ihn gewonnen hat, sind die Arbeiten, die er vor drei Wochen einschickte. Man kann diese schweren Fragen nicht klarer und verständiger auflösen, so daß auch eigentlich das Examen überflüssig wäre. Aber Sie haben einmal mein Wort. – Zwar, warum Sie nach dieser Stelle, bei Ihrem großen Vermögen, so sehr trachten, begreife ich immer noch nicht.

Excellenz, sagte Wohlgast, von ihr, wie Sie wissen, hängt meine ganze künftige Carriere ab. Trete ich nicht ein, – so – es könnten sich Fälle ereignen – Sie blühen zwar in der Fülle der Gesundheit – aber, wenn ein für mich so fürchterlicher Fall eintreten sollte – könnte ein andrer Dirigirender nicht vielleicht ganz andere Gesinnungen hegen, als mit welchen Sie mir, so ohne mein Verdienst, zugethan sind?

Ich verstehe Sie besser, als Sie sich ausdrücken, antwortete der Baron ganz verdrüßlich: der Fürst könnte mir auch wohl seine Gunst entziehen, er könnte einem meiner Feinde sein Ohr leihen – so meinen Sie es doch? Launig, wie der Herr ist, oft wunderlich, das Seltsame und Auffallende liebend, ist es freilich schwer, sein Zutrauen und Wohlwollen auf lange zu fesseln. Wenn man mir aber bei 78 ihm schaden kann, so geben Sie eigentlich die nächste Veranlassung dazu.

Excellenz scherzen, sagte Wohlgast überrascht und etwas empfindlich.

Nichts weniger, als das, fuhr der Minister im lehrenden Tone fort: Sie kennen die Vorurtheile unseres Herrn und mit welcher Leidenschaft er manche unschuldige Sache haßt. So die Freimaurer. Man empört ihn, wenn man nur von ihnen spricht, und jeder, von dem er weiß, daß er zu dieser Gesellschaft gehört, ist ihm im höchsten Grade verdächtig. Dies wissen Sie so gut, wie ich, und dennoch haben Sie sich vorige Woche aus Langeweile, Uebermuth, kurz aus wahrem kindischen Muthwillen, aufnehmen lassen: die halbe Stadt, weil Sie selbst davon schwatzen, hat es erfahren; wie soll ich nun vor ihm stehen, wenn er auch, was jede Stunde geschehen kann, davon hört?

Gnädiger Herr! rief Wohlgast schmerzlich aus, ich glaubte nicht, daß ein Schritt, den ich gethan habe, um mich den Edelsten anzuschließen, und auch zur Milderung der Leiden, und zur Vervollkommnung der Menschheit mitzuwirken, mir so könne ausgelegt werden.

Sprechen wir nicht so kindisch mit einander, antwortete der Minister: Sie kennen mich ja doch, und ich kenne Sie. Und was ist es mit der reichen Wittwe? Soll das Stadtgeschwätz nicht bald aufhören? Werden Sie sie denn nicht heirathen?

Vielleicht.

Auch über diese Punkte denkt unser Herr streng. Ich zittere, so oft er dort nach der Gränze hinunter reiset. Er soll sich jetzt wieder dort in der Gegend aufhalten.

Ich glaube es nicht, antwortete Wohlgast. Seit die Vermählung projektirt ist, soll er unruhiger als jemals seyn; 79 mir wollte man gestern sagen, er sei hier in der Stadt geblieben, ohne irgend jemand zu sehn, und kein Bedienter dürfe verrathen, daß er hier sei.

Es ist alles möglich, bemerkte der Minister mit der finstersten Miene. Wenn ich nur erst mit jener Frau dort in Ordnung wäre; wenn sie meine Wohlthat nur unter den Bedingungen, die ich ihr gestellt habe, annehmen wollte.

Excellenz, sagte Wohlgast, reisen ja nun selbst nach jener Gegend – mündlich läßt sich in einer Stunde mehr, als durch hundert Briefe besprechen.

Mittag reise ich, antwortete der Baron, und was ich Ihnen versprochen habe, das erhalten Sie. Jetzt lassen Sie den jungen Menschen herein; es thut mir leid, aber ich muß ihn noch recht schnell abführen und zur Ruhe verweisen.

Indessen der Minister das feierlichste Gesicht zurecht legte, ging der große Wohlgast mit der stolzesten Miene hinaus, um den armen Clienten schnell im Vorbeigehn niederzuschmettern. Simon aber, der sich in seinen süßen Träumereien indessen gar nicht gelangweilt hatte, empfing ihn mit einem so vornehmen Lächeln, sah ihm mit den hellblauen so dreist in seine schwarzen Augen, nahm die Erlaubniß einzutreten mit einer Art von Herablassung an, und versicherte endlich den Stolzen so leichthin und von oben beschützend seiner Freundschaft, daß der freche Wohlgast in Verlegenheit gerieth, und das fast grob angefangene Gespräch mit überhöflichem Stottern endigte. So schritt Simon als Sieger zum Minister ein, ganz unbekümmert, ob er diesen freundlich, oder verdrüßlich finden würde.

Ueber dieses kecke Eintreten, diese sichere, leichtsinnige Haltung, das heitere Lächeln wurde der Baron halb verwirrt, und fiel sogleich aus der Rolle, welche er sich zu 80 spielen vorgenommen hatte. Sie sind Herr Bäring? sagte er, indem er aufstand und ihm höflich entgegen ging.

Excellenz aufzuwarten, erwiederte dieser; auch wird Ihnen nach meinen Briefen und eingesendeten Arbeiten die Ursach meines Besuchs nicht unbekannt seyn.

Freilich nicht, Herr Bäring. – Doch setzen Sie sich.

Beide setzten sich, und Simon fuhr dreist und leicht in seiner angefangenen Rede fort, indeß der Minister nicht begreifen konnte, wie der Fremde, der ihm wie ein verlegener Landmann war geschildert worden, sich diesen vertraulichen Ton zu ihm erlauben dürfe. Sie wundern sich, sagte Simon, und mit Recht, wie ich mehr in der Art und Weise eines solchen zu Ihnen komme, der einen Dank für empfangenes Gut abstatten, als eines bittenden Clienten, der bei seinem vielleicht verweigernden Gönner sein Flehen einreichen will. Es wäre unhöflich, wenn ich Ew. Excellenz die Ursache meines Benehmens verschwiege, und ich halte es für pflichtmäßiger, ganz offen gegen Sie zu seyn, als mich zu verstellen, wenn ich mir auch dadurch einen Verweis meines höchsten Beschützers zuziehen sollte.

Ich bin begierig, sagte der Minister mit einiger Verwunderung, um so mehr, da ich Sie gar nicht verstehe.

Gestern Abend, schwatzte Simon mit der fröhlichsten Behaglichkeit weiter, besuchten mich unerwartet die allerglückseligsten Stunden meines Lebens. Zu einer vornehmen Gesellschaft gezogen, fast hinein gezwungen, überraschte uns – wer? Seine Durchlaucht selbst, unser allergnädigster Fürst.

Der Fürst! rief der Minister, und erblaßte. – Wohlgast und meine Ahndungen hatten Recht; sagte er halb vor sich hin.

Simon, der sich durch nichts irre machen ließ, fuhr fort: seine Gnade und Freundlichkeit war so überschwenglich, daß 81 er mich auszeichnete und mir Huld und Vertrauen bewies. Ich mußte ihm mein Schicksal erzählen und meine Wünsche mittheilen. So unwürdig ich bin, so nannte er mich den seinigen, versprach mir die nachgesuchte Stelle, gab mir die Hand und war so ganz Milde und Freundlichkeit, versicherte auch wiederholt, daß ich ihm nahe bleiben solle; daß ich die ganze Nacht hindurch in Entzückung und dankbarer Rührung geschwärmt habe, noch jetzt in diesem Andenken schwelge, und gewissermaßen außer mir bin, wie Ew. Excellenz auch wohl selbst an mir bemerken werden.

In der That, antwortete der Baron, denn es ist auffallend genug. Aber, wirklich, Herr Bäring, Herr Rath, das stellt die Sache freilich ganz anders. Hm! hm! Sie werden also – ich weiß nicht, – ich wollte abreisen – ich muß noch darüber denken.

Jetzt aber, gnädiger Herr, sagte Bäring etwas ernsthafter, komme ich zu einem Punkt, der mir und Ihnen noch wichtiger seyn muß, und wo ich Ihr ganzes Vertrauen, das ich freilich noch durch nichts verdient habe, Ihre edelste Milde und Nachsicht, ja Ihre christliche Vergebung in Anspruch nehmen muß. Ich habe nehmlich einen wichtigen Brief an Sie, der ein Geheimniß enthält, eröffnet, in der einfältigsten Hast und Uebereilung, fest überzeugt, er sei an mich; in diesem thörichten Wahn habe ich ihn auch ganz gelesen. –

Der Brief wird doch nicht von – –

Ganz recht, antwortete Simon vorschnell, ohne die Frage beendigen zu lassen, von derselben unglücklichen Person. Auch darüber mir Ihre gütige Verzeihung zu erwirken hat mir der gnädigste Fürst gestern Abend versprochen.

Todtenbleich sank der Minister in seinen Sessel zurück. – Und der Fürst hat den unseligen Brief ebenfalls gelesen? stammelte er, nachdem er sich etwas wieder erholt hatte.

82 Was denken Sie von mir? rief Simon fast im Zorne aus. Eher hätte ich mein Leben aufgeopfert, ehe irgend wer, auch selbst der Fürst, den Brief gesehn, oder durch mich nur eine Sylbe von dem Geheimniß erfahren hätte. Der Fürst forderte es auch nicht einmal, aber ein Gesandter und Graf, welche zugegen waren. Nein, gnädigster Herr, ein schlimmer Zufall hat mich in dies Geheimniß eingeweiht, aber jeder Blutstropfe in mir verbietet mir, es irgend wem mitzutheilen, wenn ich nicht der ehrloseste aller Menschen heißen will. Das erklärte ich auch gestern laut, und daß ich lieber die neugewonnene Gnade meines Fürsten einbüßen wollte, als einem solchen Befehl gehorchen, selbst wenn er mir von ihm gegeben würde. Der Edelste war aber sehr entfernt, dergleichen nur zu denken, er lobte im Gegentheil mein Betragen und schalt die anderen Herren wegen ihrer Anmuthung.

Der Minister ließ sich nun den Brief geben, den er mit zitternder Hand empfing und langsam las. Es blieb, auch nachdem er geendiget hatte, eine lange Pause. Dann nahm der Baron die Hand des jungen Mannes und sagte mit Feierlichkeit und Rührung: ich muß es als ein Schicksal anerkennen, daß mir plötzlich ein junger Freund gesendet wird, der um meine Schwächen und Geheimnisse weiß, durch Edelmuth seine Uebereilung wieder gut macht, und mir so nahe gestellt wird, daß ich ihn nicht zurückweisen kann und darf. Ja, junger, edler Mann, lassen Sie uns Freunde seyn. Und weil ich Sie so annehme, im wahresten Sinne des Wortes, so lassen Sie diese Rathstelle fahren, die dem Wohlgast schon zu gewiß verheißen ist. Eine bessere, höhere und einträglichere ist aber beim Tribunal offen, die ein lebenssatter Greis schon längst hat niederlegen wollen. Dieser Platz stellt Sie auch dem Fürsten näher und bringt Sie oft mit diesem in unmittelbare Berührung. – Umarmen Sie 83 mich – und kommen Sie in einer Stunde wieder, bis dahin werde ich alles eingerichtet haben: ich reise ein oder zwei Stunden später, um nur Ihre Sache zu Ende zu führen.

Mit Thränen umarmte Simon seinen väterlichen Freund und entfernte sich dann in stummer Rührung. In der Thür aber kehrte er wieder um, ging an den Tisch, wo der Brief noch offen lag, und deutete auf jene Stelle, indem er sagte: zwei Zeilen nur, verehrter Mann, daß ich den Brief abgegeben und das Blättchen sogleich hinschicken kann.

Unnöthig, sagte der Minister, ich bin früher dort, als jede Post. – Sie umarmten sich noch einmal, und Simon verließ das Zimmer.


Es mochten acht Tage verlaufen seyn, seitdem Simon sich zur Stadt begeben hatte, als an einem schönen Vormittage der alte Bäring in seinem Studirzimmer saß, um seine große Abhandlung noch einmal fleißig durchzusehn, und sie dann dem Druck zu übergeben. Plötzlich stürzte der kleine Conrad herein, und rief: Vater! der Bruder schickt mir mein Regiment Husarenreiterei, es sind hundert Trompeter darunter. Der Alte wollte sich über den Knaben erzürnen, der es gegen alle strenge Hausordnung wagte, so ungerufen in sein Zimmer mit Geschrei zu fahren, als ein verwirrtes Getöse und Töne wie von Blase-Instrumenten sein Ohr trafen. Er eilte mit dem Kinde hinunter, um zu sehen, was es gebe, und fand vor seinem Hause schon seine ganze Familie neugierig versammelt, indessen die Bauern ebenfalls in Aufruhr waren, und Alt und Jung aus den Fenstern und von den grünen Hügeln die Hälse weit nach dem Eingange des Dorfes streckten. Was die Verwirrung veranlaßte, war ein Zug von sechs aufgeschmückten blasenden Postillionen, 84 dem ein junger Mann auf einem großen Pferde in reicher Uniform folgte. Wie erstaunte der alte Bäring, als er in diesem Reiter seinen Sohn Simon erkannte, von dem er, seit er fort war, auch noch nicht die kleinste Nachricht erhalten hatte; die Kinder jubelten, die Mutter weinte Freudenthränen, und der Vater konnte sich einer Rührung nicht erwehren, denn wie erfüllten sich ihm so unerwartet die Prophezeiungen des alten Tagebuchs, das er dem Sohne so oft feierlich vorgelesen hatte.

Simon, der nun schon näher gekommen war, wollte in kurzen Reitersprüngen mit edlem Anstande sich im raschen Galopp vor die väterliche Schwelle begeben. Er nahm das Roß kurz, drückte Knie und Sporen an, da er aber so gut wie gar keine Uebung und Wissenschaft hatte, das Roß auch nicht zu den lenksamsten und gelehrigsten gehörte, die Absicht des Pferdebändigers auch wohl auf unziemliche Art ausgesprochen ward, so nahm es die Sache auf seine verkehrte Weise und bockte, statt zu galoppiren, so daß Simon fast den Sattel und die Steigbügel verlor. Beschämt hierüber drückte er die Sporen noch fester ein, und das Pferd, im schon bestehenden Mißverständnisse zwischen ihm und dem Regenten, von den klingenden Posthörnern begeistert, baute einen falschen Schluß auf den andern, und setzte sich nun, merkend, daß es nicht bocken sollte, in wildeste Carriere und flog, wie ein abgeschossener Pfeil, durch die bunte Reihe seiner blasenden Begleiter. Das ganze Dorf schrie auf. Statt aber in den offenen Pfarrhof zu eilen, wo Michel schon stand, dem Reiter absteigen zu helfen, rannte es seitwärts um den Garten, wo eben aus dem Hohlwege der kleine Wagen des Pastor Brüggemann heraus ihm entgegen fuhr. Es preschte links ab, so gewaltsam, daß Simon sich eben nur noch an der Mähne erhalten konnte, und sich nun 85 unbedingt dem Glück und blindem Zufall überließ. Brüggemann streckte schreiend den Kopf aus dem Wagen und sah ihm nach, Michel kletterte auf einen Baumstumpf, guckte über den Gartenzaun, und schrie, was er nur konnte: er bricht den Hals! Das ganze Dorf heulte es nach, und schlug erschreckt in die Hände, als, bleicher als sonst, und mit Thränen des Entsetzens in den Augen, die schöne Sidonie mit ganz aufgelöstem, nachfliegendem Haar über die Straße nach der Pfarrwohnung rannte, indeß die Eltern versteinert und ohne Regung standen. Jetzt schrie man von der andern Seite, und hervor stürzte der wilde Jäger, der indessen Hut und Reitgerte verloren hatte, und war rennend fast auf denselben Fleck wieder gelangt, von wo er ausgestürmt war, indeß die Postillione, nicht mehr blasend, Front gegen ihn machten, um ihn wo möglich aufzufangen. Aber wieder setzte das wilde Thier von der Seite, doch diesmal so ungeschickt geschickt, daß es in den Hof der Pfarre gerieth, wo der starke und gewandte Michel es sogleich am Zügel festhielt, und den ermatteten Reiter, der seines Abentheuers schon beim halben Rennen überdrüßig geworden war, absteigen half.

Alle dankten dem Himmel und umgaben ihn tröstend, scheltend und fragend. Michel führte das schweißtriefende Pferd, welches prustete, den Kopf aufwarf und die Nüstern schnaubend weit aufriß: es stellte sich, als wenn es wunder welche Heldenthat ausgeführt hätte, so daß der alte Bäring es scheu von der Seite betrachtete, und Brüggemann, der indessen vom Wagen gestiegen war, entsetzt zurück sprang, als er sich neugierig hinzu gedrängt hatte. Da Ruhe und Sicherheit wieder hergestellt war, bliesen nun die Postillione vor dem Hofe eine noch freudigere Melodie, worauf sie umlenkten, um sich nach Hause zu begeben, indem einer zugleich das noch immer widerspenstige Roß mit sich führte. –

86 Du bist also Rath? fragte der Vater sehr dringend. Aber Simon hatte nicht Zeit ihm zu antworten, denn er hielt die zitternde Sidonie in seinen Armen, die mit einem Schwindel und verhaltenen Thränen kämpfte: endlich löste sich der Krampf und ihr ward wohl und leicht, als sie laut und anhaltend weinen konnte. Conrad weinte ebenfalls, daß der Bruder seine Reiter, besonders aber den schönen Rappen, der mit ihm so herrlich gesprungen sei, wieder weggeschickt habe. Die Mutter tröstete alle, und Brüggemann konnte, so viel er auch fragte, die Ursach der Trauer wie der Freude, des Jubels und der Thränen nicht erfahren.

Die Dorfleute zerstreuten sich wieder, auf dem Pfarrhofe wurde es ruhiger. Die Gesellschaft ging jetzt in das untere große Zimmer, um sich zu verständigen und zu erfreuen; die Kinder folgten, wenn sie auch nicht begriffen, wovon die Rede war, und Brüggemann, obgleich sein Wagen noch vor dem Thore hielt, drängte sich wißbegierig ebenfalls nach.

Du hast also, fing der Vater, nachdem sich alle gesetzt hatten, mit fester Stimme an, die Stelle erhalten.

Nein, antwortete Simon, – (und alle fuhren erschreckend zurück) aber durch die Gunst des Ministers und die Gnade des Fürsten, der mich kennt und mir sehr wohl will, eine viel bessere; ich bin nämlich wirklicher Tribunalrath.

Der Vater faltete die Hände und sah andächtig nach oben, die Mutter weinte noch immer, und faßte die Hand des Sohnes, die sie zärtlich streichelte; Simon hatte aber eigentlich nur Sinn und Auge für Sidonien, die sich neben ihn auf das Sofa niedergelassen hatte. Vor allen Dingen, fing er an, muß ich wissen, ob ich es nun wagen darf, hier in aller Gegenwart dies edle theure Fräulein für meine Braut zu erklären.

87 Du bist Herr und Meister Deines Willens, sagte der Vater, indem er sich vor beiden verneigte, die Mutter vereinigte die Hände der beiden jungen Leute und sah das Mädchen zärtlich und fragend an; Sidonie umarmte freiwillig den Jüngling und drückte einen Kuß auf seine Lippen, indem sie erwiederte: Du hast die Bedingung, die Du Dir selbst setztest, erfüllt, ich bin die Deinige, weil ich weiß, daß ich Dich glücklich machen kann.

Selig! rief Simon aus, alles andre wäre mir sonst wieder zu nichts geworden; es gab keine Erfüllung meiner Wünsche, wenn dieser Wonne entsagt werden mußte.

Brüggemann wünschte freundlich und umständlich Glück und entfernte sich dann, um auf das Amt zu fahren, wo er Geschäfte hatte. Der alte Bäring vergaß in seiner Freude, ihn auszuforschen, wie seine Reise abgelaufen sei, und welche Hoffnungen er für seine Beförderung mitbringe. Aber der neue Tribunalrath mußte jetzt erzählen, und der Vater drückte mit jedem Umstande, den er erfuhr, mehr Ehrerbietung gegen seinen glücklichen Sohn aus. – Ernst kam jetzt herein, der ausgegangen war, den verlornen Hut zu suchen; er brachte diesen, der durch den Kampf und Sturm ziemlich verletzt war, was der Mutter von neuem Gelegenheit gab, auf ihren Schreck und ihre Angst zurück zu kommen, und Sidonie fügte hinzu: in diesem fürchterlichen Augenblick fühlte ich es zuerst, wie sehr ich Dich liebte, ich wußte nun, daß es das Gefühl sei, welches die übrigen Menschen so nennen, und daß ich ohne Dich nicht leben könne. War doch auch meine Ruhe so gänzlich verschwunden, daß ich noch immer nicht meinen vorigen Zustand wieder finden kann.

Ja, dieser Schreck! sagte der Pfarrer, durch den Du uns alle erschüttert hast! Wenn Du mir nun einmal, wie es gerade so meinem ehrwürdigen Aeltervater durch den 88 wackern Albertus geschah, dieselbe Freude machen wolltest; warum kamst Du denn nicht eben so in einer Glaskutsche und stiegest hier sittsam und feierlich aus? So fuhrest Du nicht, wie ein wilder Student, und dicht bei dem Halsbrechen vorbei, in Deine Familie hinein.

Lieber Vater, sagte Simon, Sie wissen es ja, wenn sich auch Begebenheiten auf ähnliche Weise wiederholen, wie denn nichts Neues unter der Sonne geschieht, so sind doch die Umstände jedesmal anders. Buchstäblich eben so kann nichts aus der älteren Zeit wiederkehren. Es ist gleich thöricht, das Griechenthum wie das Mittelalter wieder herstellen zu wollen. Es lag mir daran, recht bald Ihnen diese überraschende Freude zu machen, recht schnell Sidonien wieder zu sehn. So wie also alles in der Stadt richtig war, reisete ich mit Extrapost ab. Die Kutsche hätte ich mitnehmen müssen, das hätte mich aufgehalten, denn auf der letzten Station war natürlich keine zu finden. Wie Sie, mein Vater, Ihre Einbildungen haben, die Ihnen werth sind, wie jeder Mensch etwas hat, das ihn oft unnöthig begeistert und anspornt, so war von Jugend auf die Lust in mir, mich einmal, recht ausgeputzt, als wilder Reiter zu sehn. Als Student wagte ich den Versuch niemals, um mich nicht vor meinen Genossen lächerlich zu machen. Nun gab es die trefflichste Gelegenheit, und ich wollte eigentlich die alte Legende vom Aeltervater durch einen viel poetischern Zusatz verbessern. Sie wissen ja, daß oft auch in vollendeten Gedichten sich bedeutende Varianten und sehr abweichende Lesearten finden, so daß es oft schwer hält, sich für eine oder die andere zu entscheiden. Ich sehe aber doch jetzt ein, daß ich den richtigen Text durch meine Emendation verdorben habe, denn ich tauge nicht zum Reiter und werde den halsbrechenden Spaß Zeit meines Lebens nicht wieder versuchen. 89 Morgen kommen auch meine Kleider, so daß ich mich bequemer, als in diesem Gallarock, tragen kann. Das ächte Auftreten wäre gewesen, eine eigne glänzende Equipage anzuschaffen, wie ich es wohl in Zukunft werde und muß, und so vorzufahren. Das hätte aber auch meine Ankunft um einige Tage verzögert.

Sieh, mein Sohn, sagte der Vater, das hat mein Segen an Dir vermocht, so viel haben meine Ermahnungen gefruchtet. Und Du hast über alle Hindernisse gesiegt, um eine neue Bestätigung der Wahrheit zu geben, daß der Mensch mit einem ernsten festen Willen alles vermöge.

Es ist aber doch, bemerkte die Mutter, so wunderbar gekommen, so völlig anders, als nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, daß es mich immer noch wie eine äußerst wundersame Erzählung gemahnt, wo wir zuweilen die Wahrscheinlichkeit aufgeben müssen, um den Genuß zu behalten, daß wir sie glauben.

Die glücklichste Familie setzte sich an den runden Tisch zum Mittagsessen. Simon mußte immer wieder von neuem erzählen, jedes Wort des Fürsten wiederholen, das Betragen des Ministers schildern, und der alte Pfarrer war wie trunken und verjüngte sich sichtbarlich in dem so schnell aufgeblühten Glücke seines geliebten Sohnes, den er jetzt mit einer gewissen Ehrfurcht und Rückhaltung behandelte, ganz seiner früheren Weise entgegen gesetzt. Der Sohn war jetzt das Haupt der Familie, und dieser fand sich auch so leicht in diese neue Rolle, daß es einem Fremden scheinen konnte, als sei es immer so gewesen.

Als man nach Mittage in der Gartenlaube saß, kam auch Frau Rose, um ihren herzlichen Glückwunsch abzustatten. Der Pfarrer, welcher recht gut wußte, wenn er sich auch immer unwissend gestellt hatte, wie viel seine Frau und 90 Sidonie, am meisten aber sein Sohn von der Verarmten hielt, und wie vertraulich alle mit ihr umgingen, schritt ihr entgegen und setzte ihr selbst einen weichen Stuhl neben Sidonien hin, welche die alte redliche Frau auch sogleich herzlich umarmte. Nicht wahr, Sidonchen, sagte Simon, nun folgt uns die alte Freundin nach der Stadt, hilft unsre Wirthschaft einrichten und bleibt bei uns, um die Oberaufsicht zu führen? – Mit Freuden nehme ich sie auf, sagte Sidonie: die Stadt wird mir dann um so mehr gefallen.

Nein Kinder, antwortete die Alte verständig, in die Stadt, unter Eure vornehmen Leute, mit denen Ihr doch leben müßt, passe ich nicht. Mein Dorf, meine Linde und die Blumen hier kann ich nicht mehr entbehren, so wenig wie das einfältige liebe Geschwätz meiner guten Nachbarsleute. Euer Glück ist mein Glück, auch in der Ferne, und Ihr kommt ja doch wohl einmal, da es nicht so weit ist, zu uns herüber.

Der Schulze, der draußen auf dem Amte schon von den großen Begebenheiten gehört hatte, kam auch erfreut und glückwünschend herzu. Der Pfarrer stand auf und schüttelte ihm die Hand. Der alte Landmann war gerührt und sah ihn mit großen Augen an. Verehrtester Herr Vetter, sagte er dann, das ist das erstemal im Leben. Wird nun immer so seyn, antwortete der Pfarrer freundlich, wenn man so hoch hinauf klimmt, darf man auch wieder etwas hinab steigen.

Simon, welcher in der Laube seitwärts saß, so daß er in den tiefen kühlen Hausflur, und durch diesen auf die Landstraße sehen konnte, ward jetzt unruhig; er stand schnell auf, um einen Fremden, der in das Haus getreten war, anzureden. Wie erstaunte er, als dieser Niemand anders war, als sein mächtiger Beschützer, der heut, von Eile roth, in einem schlichten Oberrock erschien, und alle 91 Ehrfurchtsbezeugungen des Rathes von sich schnell abwies, der ihm gegenüber, in seiner Uniform, fast wie ein Fürst neben seinem Clienten sich ausnahm. Ich bin in großer Eile und völlig inkognito, sagte der Fremde; ich bin hieher gefahren, unbekannt, und will auch von keinem erkannt seyn; aber ich finde hier weder Wagen noch Pferde und muß heute noch wenigstens fünf Meilen nach der Gränze dort hinüber machen. Schaffen Sie mir Pferde, aber schnell! Ich habe dort ein wichtiges Geschäft, von dem viel, sehr viel abhängt. Simon erschüttert und erfreut, winkte Casper, dem Knecht, der zugleich den Kutscher vorstellte; dieser zog die Pferde aus dem Stalle, spannte an, erhielt vom Rath den Befehl, der dann den Fremden einsteigen half. Er wollte ihm die Hand küssen, aber jener umarmte ihn herzlich, indem er sagte: Sie guter, lieber Mensch! Bald sollen Sie mehr von mir wissen. Jetzt nur meinen herzlichsten Dank. – Fort flogen Pferde und Wagen.

Der Pfarrer war in der Ferne stehn geblieben und hatte alles mit Erstaunen beobachtet. – Wer war der Herr? mein Sohn, fragte er dann. Du wolltest ihm ja die Hand küssen. – Still, mein Vater, rief der Sohn, mit vergeisterten Blicken: er war es selbst, der Fürst, er will nicht erkannt seyn; er hat dort wichtige Staatsgeschäfte fünf Meilen von hier abzumachen, und will auch dort inkognito bleiben. Darum keine Sylbe über Ihre Lippen! setzte er gebietend hinzu. Wir hören gewiß bald von großen politischen Veränderungen. Der Minister ist ebenfalls in jener Gegend, – wer weiß –

Und hat Dich umarmt! flüsterte der Alte. Umarmt. Selbst einen Kuß recht eigen auf den Mund gedrückt! Ich habe es wohl gesehn. – Sie gingen wieder zur Gesellschaft, und den ganzen Nachmittag betrachtete der Pfarrer seinen 92 großen glücklichen Sohn nur mit stiller Ehrfurcht, ohne vor Bewunderung viel an den Gesprächen Theil zu nehmen.


Man hatte sich eilig in das Haus begeben müssen, denn ein Sturm und Gewitter war im Anzug. Die Wolken flogen, und der plötzliche Wind, der nach allen Weltgegenden stoßweise umsetzte, sagte die Nähe des Orkans voraus. Im Augenblick, als man eintrat, und Thüren und Fenster zumachte, kam noch ein Expresser vom nächsten Postamt, welcher einen Brief aus der Stadt an den Tribunalrath brachte, der in höchster Eil sollte befördert werden. Obgleich Simon das cito citissime deutlich geschrieben sah, las er dennoch zuvor mit bedächtlicher Aufmerksamkett die ganze Aufschrift, besah dann einigemal das Petschaft, welches ihm, begreiflicher Weise, ein ganz unbekanntes war, und öffnete dann erst vorsichtig den Brief, ohne ihn zu zerreißen; der Inhalt war sonderbar genug, er lautete nehmlich folgendermaßen.

»Ew. – gebe mir die Ehre zu melden, daß ein Mitglied einer hiesigen sehr ansehnlichen Familie entwichen ist, an dessen Habhaftwerdung viel gelegen, wenn auch gleich die Sache nicht landkundig, oder die Verhaftung selbst auf beschimpfende Art ausgeführt zu werden braucht. Er hat im Duell hier jemand verwundet, hat auf unerlaubten Wegen Schulden gemacht, und ist außerdem in vielerlei schlimme Händel verwickelt, die durch ihn selbst nur aufgeklärt werden können. Wir haben hier sichere Nachricht, daß er sich seit einigen Tagen in Ihrer Nähe aufhält, und da er vielleicht noch nicht erfahren hat, daß man ihm von hier aus nachstellt, oder seinen Aufenthalt kennt, so gelingt es Ihnen hoffentlich, sich seiner still und ohne Aufsehn zu bemächtigen und hieher zu schaffen. Er hat sich, vieles andere zu 93 geschweigen, auch so weit vergangen, daß er sich mehr wie einmal für unsern gnädigen Fürsten selbst ausgegeben, und in dieser frevelhaften Maske Unwissende betrogen hat. Am Sonnabende werde ich Ihnen selbst meine Aufwartung machen, indem ich dem Herrn Minister entgegen reise. Ich bin u. s. w. – Wohlgast.«

Nach dem Lesen war Simon sehr nachdenkend. Hätte das Ungewitter jetzt nicht zu wüthen angefangen, er würde sich selbst aufgemacht haben, um jenen verdächtigen Menschen in den nächsten Ortschaften aufzusuchen. Jetzt röthete der erste starke Blitz die ganze Gegend und ein heftiger Donnerschlag folgte, als die Hausthür schnell aufgerissen wurde, und ein gutgekleideter Fremder, da unmittelbar nach dem Schlage ein ungeheurer Platzregen nieder stürzte, Schutz und Obdach suchte. Der Pfarrer ging ihm sogleich vorsorglich entgegen und führte ihn zu seiner Familie, indem des Eintretenden Anstand und edles Gesicht von jedermann Aufmerksamkeit zu fordern schien. Er erzählte, daß er auf einem benachbarten Gute sich der Jagd wegen seit einigen Tagen aufgehalten habe, er sei heut, als Freund der Mineralogie, einige Meilen zu Fuß umgestreift, um sich mit dem Gebirge bekannt zu machen, und nehme dankbar für diese Nacht das Obdach des wohlwollenden Pfarrers an, indem er zugleich erfreut sei, eine so interessante Familie näher kennen zu lernen. – Er war bald mit dem Pfarrer, wie mit der Mutter in Gespräche und verschiedenartige Mittheilungen verwickelt, da sein Wesen von der Art war, daß man leicht, wie sehr man seinen Geist und seine Art sich auszudrücken achten mußte, in eine behagliche Vertraulichkeit mit ihm gerieth. Am meisten schien ihn Sidonie zu beschäftigen, der er viel Schönes und Verbindliches zu sagen wußte, als er ihren Brautstand erfuhr. Vom Schulzen und der Frau Rose, die ebenfalls zugegen 94 waren, hielt er sich etwas entfernter, ohne sie und die übrige Gesellschaft zu verletzen. Kurz, der Fremde verkündigte in allem einen Mann von Welt und Erfahrung.

Simon aber, dessen Auge durch den eben eingegangenen Brief ungewöhnlich war geschärft worden, und der den Fremden so vieles von der Residenz erzählen hörte, welches eine genaue Kenntniß des Orts und seiner Verhältnisse voraussetzte, und der, immer schärfer beobachtend, außerdem fand, daß der Unbekannte etwas zu Stolzes und Herablassendes hatte, gerieth bald auf die Vermuthung, er habe in seinem väterlichen Hause, wie vom Schicksal selbst hereingesendet, jenen gefährlichen Menschen eingefangen, von welchem Wohlgasts Brief so umständliche Meldung that. Als Criminal- und Tribunalrath sah er es für eine Aufgabe seines Scharfsinns an, der Sache auf den Grund zu kommen, und je mehr er aufmerksam hinhörte und das Gehörte überdachte, je mehr verwandelte sich, was anfangs nur Vermuthung war, in Gewißheit und feste Ueberzeugung.

Sie scheinen, fing er an, in der Residenz sehr bekannt zu seyn.

Bei jemand, war die Antwort, der dort geboren und erzogen ist, ist das wohl sehr begreiflich.

Und sind jetzt schon seit lange von dort entfernt?

Ungefähr seit acht Tagen, weil mich ein Geschäft zwang, das ich allein nur beendigen konnte, mich in der hiesigen Umgebung aufzuhalten.

Aber, wie es scheint, inkognito.

Allerdings, mein Herr, sagte der Fremde etwas empfindlich, wenn Sie es so nennen wollen.

Verzeihn Sie, fiel Simon ein, ich wollte Sie nicht beleidigen. Man hat oft auch untadelhafte Gründe, seinen 95 wahren Namen zu verschweigen, oder einen andern anzunehmen.

So ist es, fuhr der Unbekannte fort, mein Herr Rath, und jedermann, der nicht gerade das einfachste Leben, nur von den Seinigen umgeben, sich in demselben kleinen Zirkel umdrehend, geführt hat, wird auf Reisen, oder in genirenden Verhältnissen mehr als einmal das Mittel ergriffen haben, sich einen Namen zu geben, den ersten den besten.

Den besten, ja wohl! sagte Simon lachend, und sich seines Scharfsinns erfreuend. Der Fremde sah ihn groß an, weil er nicht wußte, wie er dieses Lachen deuten sollte. Ich meine nur, sagte der einsichtsvolle Criminalrath, es sei zu Zeiten besser, sich im Inkognito höher, als niedriger zu stellen, denn man gewinnt dabei, zumal auf Reisen.

Daß ich nicht wüßte, sagte der Unbekannte, der Baron thut wohl am besten, sich als Bürgerlicher, der Bürgerliche sich als Handwerker, der Probst als Pastor, und der Graf oder Minister sich als Künstler oder Kaufmann zu verkleiden.

Kann seyn, sagte Simon, doch sind nicht alle Menschen so vorsichtig. Es giebt der umgekehrten Fälle wohl auch. Die Menschen haben sehr unterschiedliche Begriffe von der Klugheit.

Der Vater, welcher aufmerksam zugehört hatte, begriff nicht, wo dieses Gespräch hinaus wolle, um so weniger, weil ihm sein Sohn von Zeit zu Zeit bedeutende und schalkhafte Blicke zuwarf. Doch, nun schon gewohnt, sich unter dessen Geiste zu demüthigen, ließ er es dahin gestellt seyn, überzeugt, daß der Rath nur das Richtige, und zwar auf dem richtigen Wege wolle und durchführe.

Man setzte sich zum Abendessen. Nach vielen heitern Gesprächen, in welchen besonders der Fremde seinen Geist entwickelt hatte, gingen Sidonie und Frau Rose nach ihren 96 Häusern, der Schulz blieb aber auf einen Wink des Rathes noch zurück.

Verehrter Herr, sagte der Pfarrer zum Unbekannten, auf meiner Studirstube ist Ihnen ein Nachtlager bereitet; ich wünsche, daß Sie es sich gütigst gefallen lassen, und daß ein recht wohlthätiger Schlaf Sie dort erquicke.

Und im voraus, antwortete der Fremde, meinen herzlichen Dank, ich werde immer an diesen Abend und diese unvermuthet gemachten lieben Bekanntschaften mit Freuden gedenken.

Als die übrigen sich entfernt hatten, sagte Simon zum Fremden, der allein noch im Zimmer geblieben war: Jetzt erlauben Sie mir auch eine Frage, geehrter Herr. Darf ich nicht wissen, wessen Bekanntschaft ich heut gemacht habe.

Da Ihr Vater, sagte jener, der Wirth des Hauses, sich dieses Wunsches begeben hat, so dünkt mich, Sie sollten es noch leichter können.

Es ist doch ein Unterschied, antwortete der Rath; mein Vater übt nur Gastfreundschaft, wie es sich geziemt, und ist weiter nicht verantwortlich: der Rath aber, den der Fürst mit dieser wichtigen Stelle beehrt hat, darf wohl Verzeihung und gütige Nachsicht erwarten, wenn er in einer bedenklichen Zeit, in welcher er sogar schon Warnungen erhalten hat, zu wissen wünscht, mit wem er unter einem Dache schläft, um eben seinem verehrten Landesherrn nichts zu vergeben.

Nun denn, sagte der Fremde mit hoher Miene, mein guter Tribunalrath, so lassen Sie denn Ihrem zu sorglichen Patriotismus und der Liebe zu Ihrem Landesherrn sagen, daß Sie eben in mir (wir sind jetzt allein, und Sie werden schweigen) den Fürsten selbst beherbergen, was Ihnen und Ihrem Vater nicht zum Nachtheil gereichen soll.

Ohne Verwunderung oder Verbeugung stand der 97 unerschütterliche Simon still und sah seinen Gast lange mit festem Blicke so scharf an, als wenn er ihn durchbohren wollte. Ich gestehe, sagte er endlich gelassen, das ist dieselbe Antwort, die ich von Ihnen erwartete, und bekennen Sie nur, daß Sie jetzt jene oben erwähnte Vorsicht aus der Acht gelassen haben, das Inkognito lieber in einer niederern, als in einer höhern Sphäre zu nehmen. Das war es auch, was ich Ihnen schon vorher zu verstehen geben wollte, und was Sie mir übel deuteten, denn, mit einem Worte, so wie Sie in das Haus traten, wußte ich auch, wer Sie waren.

Nun gut denn, mein Herr, sagte der Fremde, so sind wir ja einig, ob ich gleich Ihre Reden immer nur halb begreife.

Sagen Sie vielmehr, Sie wollen nicht, antwortete Simon, indem er ihm zugleich jenes Blatt von Wohlgast hinreichte. Der Unbekannte nahm, las es mit gleichgültiger Miene und gab es dann lachend zurück. Sie haben die schönste Fassung von der Welt, bemerkte Simon höflich; wäre ich meiner Sache nicht so völlig gewiß, Sie könnten mich irre machen.

Und was habe ich mit diesem Blatte oder jenem Taugenichts zu schaffen? fragte der Fremde.

Ich klage Sie nicht an, antwortete Simon, ich behaupte nichts, aber als dem Diener meines Fürsten werden Sie mir es auch nicht verdenken, wenn ich bis auf nähere Ausweisung die Sache für unausgemacht halte, denn das gebieten mir Pflicht und Gewissen.

Ich pflege keinen Paß bei mir zu führen, erwiederte der Gast: indessen denke ich morgen früh alles aufzuklären.

Weiter wünsche ich nichts, sagte der Rath. Sie werden 98 es sich also in meines Vaters Zimmer gefallen lassen, wo Sie alle Bequemlichkeiten finden werden, die dieses kleine Haus Ihnen bieten kann. Sie geben mir aber auch Ihr Ehrenwort, sich nicht ohne mein Wissen zu entfernen. Zum Ueberfluß, ob ich Ihnen gleich vertraue, werden sich zwei wackere Männer vor Ihrer Thür aufhalten, mehr zu Ihrer Bedienung, wenn Sie etwas bedürfen, als um Sie zu bewachen.

Es sei! sagte der Fremde lächelnd: ich kann Sie nicht tadeln, weil Sie mich nicht kennen, und Sie benehmen sich als ein feiner und redlicher Mann. Muß es mir doch gefallen, auch etwas mir ganz Neues zu erleben, daß ich mich so plötzlich aus Ihrem Gast in Ihren Arrestanten verwandle. Indessen hoffe ich, werden Sie mich wenigstens mit Ketten verschonen.

Auch Simon mußte lachen, so gern er sein feierliches Amtsgesicht beibehalten hätte. Er führte den Fremden auf das Bücherzimmer, auf welches die Mutter schnell ein Bett mit seidenen Gardinen hatte stellen lassen, er selber setzte die zwei silbernen Leuchter mit Wachskerzen auf den Tisch, erkundigte sich noch einmal, ob der Fremde noch etwas zu befehlen habe, und entfernte sich auf die Verneinung desselben mit einer tiefen Verbeugung. Der Unbekannte sah ihm lächelnd nach, schüttelte den Kopf, und ging im Zimmer auf und ab. Dann nahm er eins der Lichter und musterte die Büchersammlung; setzte sich mit einem Manuskripte, das er auf dem Tische fand, in den Sofa und las.

Simon hatte indessen Michel und den Schulzen, aber nur obenhin, bedeutet, daß sie gewissermaßen vor der Thüre Wache halten sollten, für den Fremden einstehn müßten, ihn aber doch, da er ein Mann von Stande sei, mit der 99 allergrößten Höflichkeit behandeln. Michel fand den Auftrag sehr verwickelt und schlief bald in einem Stuhle ein; der Schulze aber, da der Fremde nach einer Stunde aus der Thüre trat, führte mit ihm ein langes Gespräch, indessen Simon sich mit dem Bewußtsein in seinem Bette ausstreckte, etwas ganz Außerordentliches auf die feinste Weise von der Welt ausgerichtet zu haben.


Die unruhige Thätigkeit duldete den jungen Rath nicht lange im Bette. Es ängstigte ihn auch, ob nicht sein Delinquent, seines Versprechens ungeachtet, durch List seine Flucht hätte bewerkstelligen und die beiden Wächter hintergehen können. Wie erfreut war er daher, als er beide noch wachend auf ihrem Posten fand, und den Fremden schon aufgestanden und angekleidet, der aus dem Fenster sah, und den frischen Morgen genoß. Simon begrüßte ihn und äußerte seine Verwunderung, ihn schon so früh wach zu finden. Ich bin das frühe Aufstehn gewohnt, antwortete jener, auch hat mir die Nachtigall dort mit ihrem schönen Gesange nur wenige Ruhe gelassen; eine Zeit lang habe ich gestern noch mit dem Schulzen, einem sehr verständigen Manne, gesprochen, ich habe eine interessante Lektüre gefunden, kurz, ich habe Unterhaltung und Belehrung aller Art angetroffen, so daß mich, ohngeachtet des kurzen Schlafs, die Langeweile nicht gequält hat. – Aber, lieber Rath, treten Sie doch einmal ans Fenster hier. – Nicht wahr? Es ist nicht hoch? Und das Pfirsichen-Spalier bildet selbst in dieser geringen Höhe eine bequeme Treppe für einen Mann von meiner Jugend und meinem schlanken Wuchse. Wenn ich der war, für den Sie mich hielten, so konnten Sie mir kein besseres Zimmer 100 anweisen; und was halfen Ihnen denn die beiden Wächter und alle Maßregeln?

Simon war beschämt und fand im klaren Morgenlicht die Physiognomie des Fremden noch edler und ausdrucksvoller, als gestern Abend beim Kerzenschimmer. Gern, fing er mit Verlegenheit an, will ich ja das Beste von Ihnen glauben, mich mit Freuden davon überzeugen, daß Sie nicht jener im Briefe Angeschuldigte sind, wenn Sie sich nur sonst ausweisen könnten. Jetzt erlauben Sie aber, daß ich bei meinem Argwohn bleibe, da die Umstände gegen Sie zeugen, daß ich Ihnen das Frühstück herauf sende, und daß wir uns nachher noch förmlicher miteinander besprechen.

Er verließ das Zimmer und suchte seinen Vater, der schon im Garten lustwandelte. Diesem erzählte er mit Selbstgefälligkeit, daß er den Fremden diese Nacht habe bewachen lassen und daß er bald nachher ein förmliches Verhör mit ihm anstellen wollte. Er gab seinem Vater zugleich Wohlgasts Brief zu lesen und erwartete Lob und Bewunderung, daß er sogleich in dem Unbekannten, den ihnen der Sturm in die Hände geliefert, den durchtriebenen Schalk erkannt habe, und daß er durch die Ablieferung des gefährlichen Menschen sein Richteramt auf diese Weise am glänzendsten antreten würde.

Der Alte aber schüttelte den Kopf. Der Mann, sagte er bedächtlich, sieht keinem Vagabunden ähnlich: diese natürliche Würde hat niemals einer, der nur eine Rolle spielt. Sohn! Sohn! ich habe Dich bisher bewundern müssen, – aber, – wenn Du Dich nur nicht hier vergriffen hast, – wenn nur mein altes Mißtrauen gegen Dich bei mir nicht wieder die Oberhand gewinnt.

Wie das, mein Vater? fragte der routinirte 101 Geschäftsmann ganz empfindlich. Ich sage Ihnen, daß ich beim ersten Blick den ausgelernten Intriguen-Macher in ihm erkannte. Und wie mit Recht! Was sagen Sie dazu? Als wir beide allein waren, wollte er mich stutzig machen, und gab sich, da ich mich nach seinem Charakter erkundigte, gerade wie dieser Brief von ihm aussagt, für den Fürsten selber aus.

Fürsten! rief der Vater, heftig erschreckend.

Ich ließ mich aber nicht irre machen, fuhr der Sohn ruhig fort, und darüber, das sehe ich dem Schlaukopf deutlich an, mochte er verzweifeln. Wenn ich ihn nun ins Verhör nehme, muß er sich doch auf irgend eine Art ausweisen, und ich freue mich schon im voraus auf alle die Widersprüche, in welche er sich verfangen wird.

Sohn! Sohn! rief der Alte warnend, Du wandelst auf einer gefährlichen Bahn! Auf einem schmalen, glatten Stege. Hüte Dich vor dem Ausgleiten. Dein Schicksal ist wunderbar und romanhaft. Es wäre aber mehr als seltsam, weinerlich, lächerlich und tragikomisch zum Verzweifeln, wenn Du vielleicht durch eine Dummheit oder Thorheit gestiegen wärest, und durch irgend eine Abgeschmacktheit von Deiner Höhe wieder herunter stürztest.

Ich verstehe Sie nicht, mein Vater, sagte Simon, und trat vor Verwunderung einen Schritt zurück, um seinen Vater noch schärfer ins Auge zu fassen.

Ich verstehe mich selbst nicht, erwiederte der Alte; verhüte der Himmel, daß ich nicht in prophetischem Unbedacht geweissagt habe.

Da ich aber den Fürsten so genau kenne, rief Simon, sich ereifernd, aus, da er mein Glück gegründet hat, da ihn 102 der Minister fürchtet, da er mir hier wieder erschienen ist, so muß dieser da oben ja ein Abentheurer seyn!

Kann seyn, muß aber nicht, sagte altklug der Pfarrer. Das ist deutlich, hier wird Amphytrio gespielt, hüte Dich in alle Wege nur, daß sie Dich nicht zum Sosia machen. – Erlaube mir aber, bei diesem Verhör, das mir sehr merkwürdig dünkt, zugegen zu seyn.

Mit Freuden, mein Vater, antwortete der Rath, um so mehr, da Sie nun selbst Zeuge seyn können, mit welcher Vorsicht ich die Sache führen werde.

Sie gingen nach einiger Zeit zum Studirzimmer hinauf. Der Tisch ward mit Schreibezeug belegt, und Simon nöthigte den Fremden, auf dem Sofa Platz zu nehmen; der Vater setzte sich seitwärts, nachdem er den Fremden um Erlaubniß gebeten, und Simon an den Tisch, das eingebogene Blatt vor sich legend.

Mein Herr, fing er hierauf mit feierlicher Stimme an, bei der Hochachtung, welche ich für Sie empfinde und die Ihr bloßer Anblick, wie mehr Ihr Gespräch und Benehmen einflößt, bei diesem Gefühl, welches ich Ehrfurcht nennen möchte, wird es mir schwer, heute mein Amt zu verwalten, um so schwerer, weil Sie dieses Fragen und Vernehmen übel deuten. Wäre nicht jene wichtige Anforderung an mich geschehn, handelte ich nicht wider Pflicht und Gewissen, so würde ich zu jeder andern Zeit, unter andern Umständen, Sie auf keine Weise bemühen, oder Ihnen mit meiner Zudringlichkeit zur Last fallen. Wenn Sie schuldlos und ein Mann von Stande sind, wie ich es wünsche und hoffe, so werden Sie mir, meines Berufs wegen, vergeben, so wie ich Sie, wenn ich Ihren Namen und Stand erfahren habe, dem gemäß ehren und tituliren werde; denn was Sie mir gestern 103 Abend sagten, kann ich nur für einen freundlichen Scherz halten, oder, Sie müßten diejenige Person seyn, für welche ich Sie nur mit Schmerzen anerkennen und dem gemäß dem Gericht alsdann überliefern müßte. Wer sind Sie also? Wie heißen Sie? Wo halten Sie sich auf? Was ist Ihr Stand, oder welche Würde bekleiden Sie?

Der Fremde schickte sich an, zu antworten, als Michel, der von der feierlichen Verhandlung in der Studirstube seines Herrn nichts wußte, tölpisch hereinfuhr, und das Verhör unterbrach, indem er sagte: hier bringt der Kutscher, der eben jetzt erst wieder gekommen ist, einen Brief von dem Herrn von gestern. Das Gewitter hat sie unterwegs aufgehalten, sonst würde er schon in der Nacht gekommen seyn.

Von dem fremden Herrn? fragte Simon.

Freilich von dem, war Michels Antwort: der Kutscher scheint mit dem Trinkgelde recht zufrieden.

Michel ging, und Simon wendete sich zu seinem Arrestanten, mit der Bitte, ihm vorerst zu erlauben, das Billet zu lesen. Er erbrach es, und erblaßte sogleich sichtlich, welches aber nur der Vater bemerkte, da der Fremde seine Augen niedergeschlagen hatte. Der Rath steckte hierauf den Brief hastig und zitternd ein, ohne ihn einmal völlig zu Ende zu lesen, so stark war seine Verlegenheit.

Nach einer ziemlich langen Pause sagte der Unbekannte mit freundlichem Ton: ich soll sagen, wer ich bin? Wie ich heiße? Wo ich wohne? Welche Würde ich bekleide? Da ich meine gestrige Aussage nicht wiederholen soll, und auch jetzt nicht mag, da wir nicht allein sind, so sage ich Ihnen nur: daß ich meistentheils in der Residenz wohne, daß ich Ihr wahrer Freund bin, der Ihnen alles im voraus verzeiht, 104 was Sie im falschen Amts-Eifer gegen mich gewagt haben, daß ich eine solche Würde bekleide, daß ich mein Wort in jedem Sinne gut machen kann. Und nun lassen Sie uns das schöne Wetter nicht versäumen, sondern etwas im Garten spazieren gehn.

Da sprang Simon auf, warf sich knieend zu den Füßen des Unbekannten hin, ergriff dessen Hand, die er mit Küssen bedeckte, indem er rief: Verzeihung! durchlauchtiger Herr! Ja, Sie sind es selbst, wie möchte ich Sie verkennen? Diese edlen Worte kann nur unser gnädigster Fürst selbst aussprechen.

Der Fürst beugte sich zum Knieenden, hob ihn auf und umarmte ihn. Sie sind ein wackrer Mann, sagte er dann freundlich; es ist mir lieb, daß Sie dieses wichtige Amt erhalten haben, was Sie mir so oft persönlich nahe bringt. Sie sind noch jung, aber ich werde Sie in Zukunft noch weiter befördern; Ihr Glück soll meine Sorge seyn.

Simon neigte sich wieder in stummer Dankbarkeit auf die wohlthätige Hand nieder; sein Herz, das in wenigen Sekunden von den widersprechendsten Gefühlen erschüttert war, war für den Sturm dieser Empfindungen zu schwach, er fühlte sich einer Ohnmacht nahe.

Erholen Sie sich, junger Mann, sagte der gütige Fürst, Ihr Dank und Ihr Gefühl für mich muß Sie nicht zu Boden drücken. Und das bitte ich mir von Ihnen aus, so wie von Ihnen, Pastor, daß unten noch keiner von allen erfährt, wer ich bin, ich bleibe noch der unbekannte Fremde von gestern. Zum Amtmann können Sie senden, dort werden sich der Minister und sein Sekretär, oder der Rath Wohlgast, treffen; lassen Sie die beiden Herren, so wie sie angekommen sind, hieher bescheiden.

105 Durchlaucht, rief der Alte zitternd, – mein gnädiger Landesherr, – wie soll ich die Freude, die Ehrfurcht verbergen können, mein Entzücken über alle diese unverdiente Gnade?

Beruhigen Sie sich beide ein wenig, sagte der Fürst, der fast von der Rührung des alten Mannes selber gerührt wurde; und wenn Sie etwas stiller und kälter geworden sind, so folgen Sie mir zum Garten, ich sehe dort Fräulein Sidonie schon mit der Mutter wandeln, ich verfüge mich zu denen; der Bräutigam wird ja wohl nicht eifersüchtig werden.

Das Lächeln eines Beglückten antwortete dem Scherz. In der Thür kehrte der Fürst noch einmal um. Sagen Sie mir doch, fing er lebhaft wieder an, von wem ist dieser treffliche Aufsatz, der mich einen Theil der Nacht auf das lebhafteste beschäftigt hat? So schön ist über diese geheim-öffentliche Gesellschaft noch niemals gesprochen worden.

Durchlauchtiger, gnädigster Herr, stotterte der Alte, mit freudefunkelnden Augen, ein schwacher Versuch von mir. –

Von Ihnen, Pastor? fiel der Fürst ein: – geben Sie mir die Hand, alter Herr, Sie sind ein trefflicher Mann. – Als der Alte die dargebotene Hand küßte, fiel aus seinem überquellenden Auge eine Thräne darauf. – Wissen Sie wohl, fuhr der Fürst fort, daß ich einen Superintendenten und Hofprediger brauche? Der jetzige ist sterbend. Sie folgen mir in einigen Wochen nach der Stadt. Das bleibt aber auch bis heut Abend ein Geheimniß.

Er ging hinunter, ohne den neuen Dank abzuwarten. So wie die Thür wieder zugefallen war, setzte sich der Alte, warf sich mit dem Kopf auf den Tisch und brach in ein lautes und anhaltendes Weinen aus, so daß die Thränen zu seinen Füßen den Boden benetzten. Simon warf sich in 106 den Winkel des Sofas, und stimmte leichtgerührt, wie er war, herzlich in das Schluchzen des Vaters mit ein, indessen beide vom Garten herauf das fröhliche Lachen Sidoniens, das Schwatzen der alten Mutter, die tönende Rede des Fremden, und das kindische Jauchzen der Knaben vernahmen.

Gott im Himmel! rief nach einer langen Pause der Alte; daß Du mich das alles erleben lässest, wodurch habe ich denn irgend das verdient? Ja, ich muß mich mäßigen, und im Gebet zu Dir mein Herz beruhigen, denn ich fühle, daß der Mensch vor Freuden sterben kann. Nicht wahr, mein Sohn? Ist Dir nicht auch so zu Muthe?

Der Sohn umarmte den Vater mit der innigsten Zärtlichkeit und beide hielten sich lange umschlossen. O mein Vater, fing Simon mit gebrochener Stimme an: wir können dem Himmel nicht dankbar genug seyn. Und daß Sie nun die Stelle haben, die Sie sich seit Jahren wünschten. Auch das ist schön, daß ich sie Ihnen nicht durch Ueberredung und Bemühung verschafft habe, sondern daß Sie sie allein Ihren eigenen Verdiensten danken.

Es ist alles so gekommen, antwortete der Alte, wie ich es mir wohl zuweilen in schönen Träumen vorbildete. Aber Sohn! Simchen!

So hatte ihn der Vater seit dem siebenten Jahre nicht mehr genannt, und dieser Ton, mit allen Erinnerungen an die Kindheit, das Gefühl, wie der strenge ernste Vater so ganz in Liebe und Wehmuth zerschmolzen sei, rührten den Jüngling auf die empfindlichste Weise. – Still! fuhr der Alte dann fort, wir wollen uns nicht allzu weich machen. Wie recht hatte meine Ahndung! Du warst in Gefahr, mit dem ganzen Wagen umzuwerfen. Ich mußte Deine Gegenwart des Geistes bewundern, daß Du den ersten Augenblick 107 so schicklich, ja großartig, beim Stirnhaar ergriffst und so meisterlich wieder einlenktest. Zeige doch den Brief, der Dich so erschütterte, wie ich es wohl bemerkte, und der Dich zu dem raschen und kühnen Schritt bestimmte.

Ich habe ihn selbst noch nicht einmal zu Ende gelesen. sagte Simon sehr beschämt. – Er nahm ihn und der Alte las laut:

»Jetzt, mein geehrtester Rath, werden Sie wohl schon erfahren oder doch vermuthet haben, daß ich nichts weniger als der Fürst sei, den ich neulich so übermüthig vor Ihnen spielte. Wie tief bereue ich es, daß mich mein Leichtsinn, und die Gewöhnung, mit schlechter Gesellschaft zu leben und in ihr der Witzigste zu seyn, mit so nichtswürdigen Menschen verbrüdert, und mich durch diese der Schande überliefert hat. Sie werden nun auch wohl denken können, daß es nichts weniger als Grafen und Gesandte waren, mit denen man Sie neulich zusammen brachte. Von dem elenden Schwebus rührte die Erfindung her, uns allen an Ihrer Verlegenheit und Schwäche ein Fest zu geben. Ich fand aber bald, wie Sie müssen bemerkt haben, daß Sie mehr werth waren, als wir alle, und so wie ich Achtung für Sie gewann, erwachte auch mein Gewissen. Es freut mich nur, daß dasjenige, was Ihnen am meisten schaden konnte, auch wohl sollte, Ihnen auf eine wunderbare und unbegreifliche Art muß genützt haben, da Sie eine bessere Stelle bekommen haben, als jene ist, um die Sie anhalten wollten. Der elende Mensch, der an jenem Abend den Grafen spielte, hat mich noch einigemal veranlaßt, bei Unerfahrnen in der Fürstenmaske aufzutreten, worauf er das treuherzige Entzücken und die Hoffnung auf hohe Protektion hinter meinem Rücken benutzt hat, den Leichtgläubigen bedeutende Summen 108 abzunehmen. Darüber habe ich den Ehrlosen zur Verantwortung gezogen, und er liegt an einer schweren Wunde darnieder. Durch Ihre Hülfe habe ich die Gränze erreicht und bin gerettet. Dank Ihnen, Edler, Freundlicher. Meine Familie muß mich vergessen. Daß Sie dem verächtlichen Schwebus, so wie der übrigen Rotte allenthalben ausweichen werden, brauche ich wohl nicht erst als Warnung hinzuzufügen.« –

Der Superintendent sagte: gleich ins Feuer mit diesem Blatte, damit es niemals ein Zeugniß gegen Dich werde, und nun vermeide jede Gelegenheit, von diesem Abentheurer, dem Du selbst über die Gränze geholfen hast, irgend zu sprechen, damit der Fürst und der Minister auch nicht das Kleinste von dieser Geschichte erfahren. »Im Handeln richtig, mit Herren vorsichtig.« Erinnerst Du Dich noch des Spruches? Der alte Schulze hat doch Recht, es steckt viel in den alten Sprichwörtern.

Hand in Hand gingen sie zur Gesellschaft nach dem Garten hinunter.


Hier zeigte sich Sidoniens Liebenswürdigkeit in ihrem schönsten Glanze. Sie gehörte zu den seltenen Wesen, die, wenn sie auch nicht in der großen Welt erzogen sind, von Natur und durch ein feines Gefühl geleitet, die Bildung darstellen, die sonst nur die beste Erziehung geben kann. Ihr Benehmen war frei und ungezwungen, ihr Gespräch heiter, ihr Scherz fröhlich, dabei war ihr Betragen sehr sittsam, ohne gesucht oder feierlich zu seyn, daß sie jedes Herz gewinnen mußte. Der Pfarrer sah jetzt ein, wie unrecht er ihr gethan hatte, sie stolz zu nennen; ihre Freundlichkeit war nur nicht jene aufdringliche Vertraulichkeit, die so oft an 109 Frauen ohne Erziehung verletzt. Simon aber fühlte auch, wie sehr sich seine Geliebte seit gestern verändert hatte, weil sie ihm und sich nun erst wahrhaft vertraute und den neuen Lebenslauf, den sie beginnen sollte, ohne Zagen und mit Sicherheit ergriffen hatte.

Die Mutter, die bisher ganz unbefangen gewesen war, beobachtete den Pfarrer mit Aengstlichkeit, dessen Art und Weise ihr so fremd erschien, daß sie um seine Gesundheit oder gar seinen Verstand besorgt werden mußte; denn der alte Mann, von seinem Glücke berauscht, und immer beachtend, welchen hohen Gast er unter seinem niedern Dache beherberge, war in beständiger Spannung, den Fürsten mit Ehrerbietung beobachtend und sich doch selbst bewachend, damit seine Ehrfurcht sich nicht verrathen möchte, so daß er von übertriebener Höflichkeit zuweilen, um seinen Fehler wieder gut zu machen, in den noch größern einer ungeziemenden Vertraulichkeit verfiel, auch dies Vergehn dann selbst erröthend bemerkte, und sich so abquälte, eine Aufgabe zu lösen, die für ihn zu schwierig und verwickelt war. Simon im Gegentheil war ganz heiter und leicht und verwies seinem Vater einigemal, indem er mit ihm in den Seitengängen auf- und abging, die Aengstlichkeit seines Benehmens.

Der Fürst führte seine Rolle desto besser durch, denn keiner von den übrigen gerieth auf den Argwohn, etwas anders in ihm, als einen heitern freundlichen Mann von guter Erziehung und vielleicht vornehmen Stande zu suchen. So ging die Mittagszeit vorüber. Der Schulze hatte sich wieder entfernt, weil er mit dem Prediger Brüggemann zu reden hatte, er kam aber Nachmittag mit der alten Frau Rose zurück. Auch Brüggemann erschien und war mehr als gewöhnlich begeistert, weil der Minister, mit dem er im 110 Amthause gesprochen hatte, sehr gnädig gegen ihn gewesen war; er nahm sich vor, diesem großen Staatsmanne sein nächstes Werkchen über den Getreidehandel, welches binnen kurzem fertig seyn sollte, zu dediciren. Der alte Bäring hörte heute alle diese Eröffnungen, die nicht ohne eine gewisse Prahlerei mitgetheilt wurden, mit der größten Seelenruhe an und jemehr Brüggemann erzählte, um so freundlicher und milder wurde Bäring gegen seinen Confrater. Dieser, welcher gewohnt war, daß sein College bei dergleichen Gesprächen bitter und verdrüßlich wurde, und alsdann die Gelegenheit ergriff, über irgend ein Thema heftig zu widersprechen, begriff heut den cholerischen Pfarrer nicht. Da keines seiner Mittel anschlug, diesen zu reizen, so glaubte er endlich darin die Auflösung zu finden, daß Bäring dem Einflusse seines Sohnes unbedingt vertraue, und daß er darauf rechne, dieser werde seine Stellung beim Fürsten, und noch mehr die zum Minister benutzen, welcher ihn so außerordentlich ausgezeichnet hatte. Er konnte sich einer kleinen Schadenfreude nicht erwehren, da er hoffen durfte, daß Simon nicht immerdar beim Minister so viel gelten werde; denn er war Zeuge davon gewesen, wie dieser sich sehr empfindlich beleidigt gefühlt habe, daß ihn der Rath Bäring so ohne Umstände in die Pfarrwohnung seines Vaters habe zitiren lassen. Der junge Mann, so sehr ich ihn achte und ihm meine Freundschaft bewiesen habe, scheint seine Stellung zu mir ganz zu verkennen: so hatte er sich zum Amtmann geäußert, und Wohlgast hatte durch bittere Bemerkungen den Zorn des Ministers noch mehr angeschürt. Er war also auch deswegen vorangeeilt, um einen Zeugen abzugeben, auf welche Art der verletzte Minister dem jungen Rathe entgegen treten werde.

Endlich fuhr der Wagen vor. Simon ging hinaus und 111 half seinem Beschützer aussteigen, welchem Wohlgast folgte. Jener verneigte sich nachlässig gegen den Pfarrer und eilte nach dem Garten, wo er die Gesellschaft bemerkte, indem er ironisch und mit rothem Gesicht sagte: Sie haben befohlen, mein Herr Rath, daß ich lieber in Ihrem eignen Hause das erfahren sollte, was Sie mir zu sagen haben können, als beim Amtmann. – Doch das Wort erstarb ihm auf der Zunge, als ihm der Fürst jetzt mit ernster Miene entgegen trat und etwas kurz sagte: nicht unser junger Freund, Herr Baron, ich hatte den Wunsch, Sie in diesem Hause zu sehn, wo es mir so wohl ergangen ist, daß ich meine frohe Stimmung durch keine Störung verlieren kann.

Durchlaucht, antwortete der Minister etwas verlegen, verzeihen, daß ich nicht schon früher meine Aufwartung gemacht habe, da ich aber nicht wissen konnte –

Der Fürst ging mit ihm in den Nebengang und winkte Simon zu folgen. Brüggemann, der anfangs geschmunzelt hatte, als der Minister herein trat, ward jetzt plötzlich sehr ernst und nachdenkend, die Mutter schrie vor Schrecken laut auf, Rose und der Schulze warfen sich bedeutende Blicke zu, und der, ebenfalls sehr überraschte Wohlgast war über und über roth geworden; nur Sidonie blieb ungestört, eben so wie sie zuvor gewesen, und war erfreut, daß der Fürst zugleich, wenn er wollte, ein so liebenswürdiger Privatmann seyn konnte.

Indeß der Fürst mit seinen beiden Räthen sich nach dem schattigen Lindengange begab, faßte Bäring seinen Collegen unter den Arm, um sich mit ihm in einem anderen Theile des Gartens zu besprechen. Wohlgast blieb bei den Frauen. Vorerst, sagte der Fürst, meinen herzlichen Dank, daß Sie mir einen so wackern jungen Mann zum Diener 112 gegeben und mir ihn so nahe gestellt haben. Ein neuer Beweis, wie sehr Sie mein Vertrauen verdienen, das ich Ihnen bisher so treu erhalten habe. Er winkte dem jungen Rathe freundlich, der sich entfernte, um zu seiner Braut zu eilen. Wie aber kann, fuhr der Fürst jetzt fort, derselbe gewissenhafte Mann Jahrelang ein unglückliches Verhältniß hinschleppen lassen, wo er im höchsten Unrecht ist, und sich der Welt, der Geliebten, ja vor sich selber als ein Grausamer, Gefühlloser hinstellen?

Mein Fürst, – sagte der erblaßte Mann, ich könnte viel – o Himmel! wie unedel! – haben Durchlaucht dies vom jungen Bäring – er selber –

Lästern Sie ihn nicht, unterbrach der Fürst, er ist in der That zu edel, um hinterrücks zu verrathen, ein Vertrauen zu mißbrauchen, oder gar einen Freund zu verletzen. Nein, mein Herr, auf ganz anderem Wege und ohne die mindeste Mitwirkung von seiner Seite habe ich die traurige Geschichte erfahren. Ich sage Ihnen im Vertrauen, daß ich seit einigen Tagen inkognito und ganz allein drüben war, um meine Braut, ohne daß sie mich kannte, kennen zu lernen. Hier erfuhr ich von einer Hofdame zuerst von diesem Verhältniß. Ich ging hierauf selbst nach dem Dorfe, sah die blasse leidende Frau, und das liebe Kind, ein schönes Töchterchen. Ein alter Justiziar, ein weicher, sanftmüthiger Greis, dem sie ihr ganzes Schicksal anvertraute, hat verschiedene ihrer früheren, wie späteren Briefe gelesen, und mir ebenfalls ihren Inhalt mitgetheilt. So sanft der Mann ist, so hat er doch oft zum Prozeß gerathen, nur sie hat niemals einwilligen wollen. Den schlimmsten Gegner von Ihnen habe ich aber allerdings hier im Hause kennen lernen, einen verständigen Schulzen aus jenem Dorfe, der Zeuge des Elends 113 der Frau ist, der unsern jungen Rath schon hat bewegen wollen, eine Klage gegen Sie anzunehmen, der mich auch hat in Harnisch gegen Sie bringen wollen, und der, wie er mir sagte, mehr wie einmal fast schon auf dem Wege nach der Residenz war, um dem Fürsten alles zu entdecken.

Verdamme mich mein gütiger Fürst nicht unbedingt und nicht ungehört, erwiederte mit weicher Stimme der Minister. Ich gestehe den Fehler meiner früheren Jahre ein, die Leidenschaft hat mich leichtsinnig und wortbrüchig gemacht. Ich habe mein Vergehen auch auf allen Wegen wieder gut machen wollen, aber in ihrem unbeugsamen Stolz besteht sie darauf, unter keiner andern Bedingung meine Hülfe anzunehmen, als wenn ich ihr vorerst am Altar meine Hand reiche. Nachher, so schreibt sie, stehe es bei mir, sie nie wieder zu sehn.

Und hat sie nicht Recht? erwiederte der Fürst; Sie haben sie geliebt, das leugnen Sie selbst nicht, Sie haben ihr Aeltern, Familie, Jugend und Ehre geraubt. Eine gewöhnliche, geringe Versorgung ist kein Ersatz. Sie sind Gatte, Vater: warum wollen Sie es nicht öffentlich seyn?

Ich fürchtete, erwiederte der Gerührte, Ihre Ungnade, wenn ich die Arme jetzt an das Licht zöge, mir bei Ihnen zu schaden –

Und waren lieber, fiel der Fürst ein, hart und schadeten Ihrem Gewissen. Nun weiß ich ja alles, und werde Sie im Gegentheil höher schätzen, wenn Sie sich über die falsche Schaam und kurzes Geschwätz der Welt hinwegsetzen, und Ihren Fehler auf eine tugendhafte Weise wieder gut machen. Ja, mein lieber Walther, meine junge Gemahlin darf von meinen vertrautesten Räthen nicht dergleichen 114 erfahren; ihr sanftes, reines Gemüth würde eine Furcht vor Ihnen bekommen, und Sie müssen doch meinem Haushalt nahe bleiben.

Und Sie werden mir Ihr ganzes Vertrauen, Ihr ehemaliges Wohlwollen wieder schenken? fragte Walther.

Sie haben es noch nie verloren, antwortete der Fürst sehr freundlich. Der Mensch kann fehlen und irren, auch der Beste, und der Edelste bleibt, wie der Glücklichste, der, wenn es noch in seiner Macht steht, sein Vergehen wieder gut macht. Wenn nun die Frau, wenn die Tochter indeß gestorben wäre. – Umarmen Sie mich, zum Zeichen meiner völligen Aussöhnung.

Walther war bis zu Thränen gerührt. Ein Stein, sagte er, ist von meinem Gewissen und Herzen. Schon morgen fahre ich hinüber, und bringe sie als meine Gattin nach der Residenz.

Wackrer Freund! rief der Fürst, indem er ihm die Hand gab. Doch noch eins, – lassen Sie sich den unnützen Wohlgast nicht so vertraut nahe kommen, dies mißrathene Genie, der gar keine Grundsätze hat. – Kommen Sie jetzt zur Gesellschaft. – Arm in Arm kehrten sie jetzt ganz heiter zu den übrigen zurück.

Der alte Bäring war in derselben Zeit mit dem Prediger Brüggemann auf- und abgegangen, mancherlei Gespräch wechselnd. Das ist ein wunderbarer Zufall, fing Brüggemann an, daß Sie den Fürsten in Ihrem Hause beherbergt haben.

Wunderbar genug, sagte Bäring, aber kein Zufall, wenn man den Ausdruck dieses Wortes genau nimmt.

Er scheint, fuhr jener fort, an Ihrem Sohne vielen Antheil zu nehmen.

115 Fast mehr als das, versetzte Bäring, er scheint recht eigentlich seinen Liebling aus ihm machen zu wollen.

Wie das?

Ich meine nur, fuhr Bäring fort, daß mein Sohn in der kurzen Zeit unglaublich viel Terrain bei ihm gewonnen hat. Denn er frägt den jungen Mann über jeden Gegenstand um Rath.

Das ist ja wie ein Zauberwerk, bemerkte Brüggemann; sagen Sie mir nur, nach Ihrer eigenen unpartheiischen Urtheilskraft: wird sich etwas so Unnatürliches wohl auf lange erhalten können?

Kommt auf die Umstände an, erwiederte Bäring ganz kaltblütig: mein Sohn wenigstens sitzt fest und unerschütterlich im Herzen des Durchlauchtigen. Heut früh, als ich mit meinem Simon meine Aufwartung machte, sagte der Fürst ganz deutlich: Sie haben eine gute Stelle, aber ich werde dafür sorgen, daß Sie auf diesem Flecke nicht stehen bleiben, Sie müssen weiter, denn ich brauche Leute Ihrer Art in den allerhöchsten Posten. Was sagen Sie dazu?

Könnte, dürfte man zweifeln, antwortete Brüggemann, so wäre es hier, denn die Sache gränzt ans Wunder.

Wie so? fuhr Bäring lebhaft fort; die Zeit der Wunder ist vorüber, aber nicht die des Wunderbaren, denn der gnädige Fürst, der in dieser Nacht in meinem geringen Hause, vom Gewitter überrascht, wohnte, ist eben so gnädig und huldreich gegen mich, wie gegen meinen Sohn.

Die Verdienste, sagte Brüggemann, sind ja auch wenigstens gleich.

Das will ich nicht behaupten, antwortete Bäring, obgleich der gnädigste Landesherr auch sehr nachsichtig, ja wohl 116 gütig und freundlich über meine Produktionen urtheilt, wenigstens über jenen Aufsatz, der den Orden der Freimaurer betrifft, den er gefällig gelesen hat, als wir ihm eine Schlafstelle in meinem Schreibezimmer einrichteten.

So??? sagte Brüggemann, mit einem sehr gedehnten Frageaccent.

Dieser Aufsatz, fuhr Bäring, ohne sich von diesem übertriebenen Fragezeichen stören zu lassen, fort, hat ihm wenigstens so sehr gefallen, daß er ohne ein Wort oder eine Bitte meinerseits (wie ich wohl hätte können einfließen lassen, da wir so vertraut mit einander wurden) mir freiwillig und von seiner Seite zuerst die Superintendentur und die Stelle eines Hofpredigers angetragen hat.

Hierauf konnte Brüggemann auch nicht einmal ein einsylbiges: So? mehr antworten, sondern er war völlig verstummt, als nun so unbedingt zu seinem Nachtheil die große Frage für alle Zeiten entschieden war, um welche die beiden Freunde seit zwanzig Jahren mit allen Kräften und Künsten gerungen hatten.

Mein theurer Freund, fing Bäring nach einiger Zeit wieder an, zürnen wir deshalb nicht einer auf den andern. Ich hätte es als Christ und Freund übertragen, wenn es Ihnen gelungen wäre, wie denn mehr wie einmal die Wahrscheinlichkeit sich auf Ihre Seite neigte; jetzt ist es mir ohne meine Bemühung und ohne mein Verdienst so gut geworden: bleiben wir Freunde! und, wie Sie oft äußerten, wenn Ihnen die hiesige Pfarre anständiger, als die Ihrige ist, so nehmen Sie sie in Besitz. Wir können mit wenigen Worten die Sache einrichten. Einträglicher ist sie auf jeden Fall.

Danke! danke! rief Brüggemann eilig aus; Sie haben 117 wenigstens auf Ihren schönen Garten sehr viele Unkosten verwendet. Es wird sich ja alles finden.

Sie gingen zur Gesellschaft zurück; der eine von ihnen in höchstem Grade verstimmt. Hier trafen sie den Fürsten in lebhaftem und freundlichem Gespräche mit Sidonien und Simon, auch die alte Rose stand in der Nähe, und schien an der Unterhaltung Theil genommen zu haben. Mein lieber Schulz, sagte der Fürst eben, was Er mir heut morgen alles erzählt hat, bleibt unter uns, die Sache wird sich zum Besten lenken; aber was ich von dem Herrn Wohlgast gehört habe, läßt sich vielleicht jetzt gleich beschließen.

Wohlgast trat näher, verschämt und verlegen, und zugleich sehr neugierig, von welcher Sache, die ihn betreffe, die Rede seyn könne.

Wohlgast! sagte Frau Rose bewegt; mein Gott, den Namen habe ich seit vielen Jahren nicht ausgesprochen.

Unser wackerer Schulze hier, fing der Fürst wieder an, hat mir hier eine seltsame Geschichte von der wunderbaren Vergeßlichkeit Ihres Großvaters erzählt. Können Sie sich, Herr Rath Wohlgast, gar nichts davon erinnern?

Der Schulze nahm den Beschämten beiseit, und erzählte ihm jene traurige Begebenheit. – Durchlaucht, sagte hierauf der Rath Wohlgast, ich bin erstaunt und verwirrt, daß von dieser Sache die Rede seyn kann. Ich will die Schwäche meines Großvaters, oder, man nenne es, wie man will, auch nicht auf die entfernteste Weise entschuldigen, denn wer möchte es wagen, die Grausamkeit und Gefühllosigkeit auch nur mit einem Worte zu vertreten? Aber mein Vater, der von dieser Begebenheit wußte, hat schon das Unrecht vergütigen wollen. Denn er ließ, nach dem Tode meines Großvaters, da er von diesem, ich weiß nicht wie, die Sache erfahren 118 hatte, in den Zeitungen die Frau Rose Hänlich mehr wie einmal auffordern, sich zu melden, da aber nichts erfolgte, und wir von verschiedenen Seiten hörten, die Frau sei kinderlos gestorben, so beruhigte sich mein Vater, und ich mich ebenfalls, nach dessen Tode. – Indessen

Wie viel beträgt das Kapital? fragte der Fürst.

Vier tausend fünf hundert Thaler: war die Antwort.

Lassen Sie es, sagte der Fürst, wegen der vieljährigen Zinsen, für fünf tausend gelten, das kann Ihnen, wenn Sie es zurück zahlen, bei Ihrem großen Vermögen, immer nur Kleinigkeit erscheinen. Dann ist vergütigt, was die früheren Zeiten gesündigt haben.

Wohlgast verneigte sich und sagte: es gehört zum Glücke meines Lebens, diese Schuld noch abtragen zu können, die mich sehr würde gedrückt haben, wenn ich nur hätte ahnden können, daß die Frau jenes Armen noch lebte.

Frau Rose gab ihm die Hand und sah ihm scharf in die Augen. Dann ging sie zu Sidonien, mit der sie eifrig sprach. Ja, liebes Kind, sagte sie endlich laut, Sie müssen diese Gabe von mir annehmen, Sie müssen, als einen Beweis Ihrer Freundschaft, denn sonst muß ich glauben, daß Sie mir in allen diesen Jahren Ihre Wohlthaten nur als einer Bettlerin erwiesen haben.

Simon widersprach, aber Sidonie, mit der Mutter im Einverständniß, nahm die großmüthige Gabe an. So bin ich nun, sagte das Fräulein, mit dem, was mir schon gehört, keine so arme Braut mehr, Herr Superintendent.

Dieser schmunzelte freundlich, und die Pfarrerin sagte: wir nehmen es nur an, liebe Frau Rose, wenn Sie zu uns zieht, und in der Stadt bei uns bleibt, und sich verpflegen läßt.

119 Das können Sie auch, sagte Wohlgast: denn die Wohnung des Superintendenten liegt einsam, hat einen schönen großen Garten, und man kann dort leben, wie hier auf dem Dorfe.

Ich nehme es an, sagte Frau Rose, um dem Glücke meines lieben Simon, ich will sagen des Herrn Tribunalrathes recht nahe zu seyn. – Auch kann ich dann recht oft das Grab meines Johannes und meiner Tochter auf dem schönen Kirchhofe besuchen.

Nun zum Schluß, sagte der Fürst. Morgen ist Sonntag, wir bleiben beisammen, und ich schlafe noch einmal im Hause meines würdigen Superintendenten. Dann höre ich seine Predigt, und nach dieser wird mein Rath Bäring vor dem Altar der Kirche mit seiner schönen Braut kopulirt, und ich bin der Brautvater.

So geschah es. – – Dann zogen alle in die Stadt, und der glückliche Superintendent erlebte es noch, seinen Sohn Simon geadelt, und als Präsident zu sehen, geachtet, reich, als den Besitzer einiger Rittergüter und den Vater einer gesunden Familie.

Der Minister wurde glücklicher Gatte und Vater und entfernte den verdächtigen Wohlgast von sich, der, eben so wenig, als Schwebus einen höheren Rang erstieg.

Der letztere, der jenen Abend nicht vergaß, der den Grundstein zum Glücke des Präsidenten gelegt hatte, dichtete in der Bosheit diesen Spruch:

Aus kleinen Blümchen wird ein Kranz,
Aus schwachen Flimmern heller Glanz,
Das ist das Schicksal manches Manns,
Zum Adler wächst die stille Gans,
Durch Hänseln ward er 'n großer Hans.

120 Nach einigen Jahren, wie es zu geschehen pflegt, änderten diejenigen, die den Zusammenhang nicht verstanden, den letzten Vers so um:

Aus Hänschen wird ein großer Hans.

Und diese Trivialität, die keine Bedeutung mehr hatte, sang man lange Zeit in der ganzen Stadt.

 


 


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