Ludwig Tieck
Der getreue Eckart - der Tannenhäser
Ludwig Tieck

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Zweiter Abschnitt

Es waren mehr als vier Jahrhunderte seit dem Tode des getreuen Eckart verflossen, als am Hofe ein edler Tannenhäuser als kaiserlicher Rat in großem Ansehen stand. Der Sohn dieses Ritters übertraf an Schönheit alle übrigen Edlen des Landes, weswegen er auch von jedermann geliebt und hochgeschätzt wurde. Plötzlich aber verschwand er, nachdem sich einige wunderbare Dinge mit ihm zugetragen hatten, und kein Mensch wußte zu sagen, wohin er gekommen sei. Seit der Zeit des getreuen Eckart gab es vom Venusberge eine Sage im Lande, und manche sprachen, daß er dorthin gewandert und also auf ewig verloren sei.

Einer von seinen Freunden, Friedrich von Wolfsburg, härmte sich von allen am meisten um den jungen Tannenhäuser. Sie waren miteinander erwachsen und ihre gegenseitige Freundschaft schien jedem ein Bedürfnis seines Lebens geworden zu sein. Tannenhäusers alter Vater war gestorben, Friedrich vermählte sich nach einigen Jahren; schon umgab ihn ein Kreis von fröhlichen Kindern, und immer noch hatte er keine Nachricht von seinem Jugendfreunde vernommen, so daß er ihn auch für gestorben halten mußte.

Er stand eines Abends unter dem Tor seiner Burg, als er aus der Ferne einen Pilgrim daherkommen sah, der sich seinem Schlosse näherte. Der fremde Mann war in seltsame Tracht gekleidet, und sein Gang wie seine Gebärden erschienen dem Ritter wunderlich. Als jener näher gekommen, glaubte er ihn zu kennen, und endlich war er mit sich einig, daß der Fremde kein anderer als sein ehemaliger Freund der Tannenhäuser sein könne. Er erstaunte und ein heimlicher Schauer bemächtigte sich seiner, als er die durchaus veränderten Züge deutlich gewahr wurde.

Die beiden Freunde umarmten sich, und erschraken dann einer vor dem andern, sie staunten sich an, wie fremde Wesen. Der Fragen, der verworrenen Antworten gab es viele; Friedrich erbebte oft vor dem wilden Blicke seines Freundes, in dem ein unverständliches Feuer brannte. Nachdem sich der Tannenhäuser einige Tage erholt hatte, erfuhr Friedrich, daß er auf einer Wallfahrt nach Rom begriffen sei.

Die beiden Freunde erneuerten bald ihre ehemaligen Gespräche und erzählten sich die Geschichte ihrer Jugend, doch verschwieg der Tannenhäuser noch immer sorgfältig, wo er seitdem gewesen. Friedrich aber drang in ihn, nachdem sie sich in ihre sonstige Vertraulichkeit wieder hineingefunden hatten, jener suchte sich lange den freundschaftlichen Bitten zu entziehen, doch endlich rief er aus: »Nun, so mag dein Wille erfüllt werden, du sollst alles erfahren, mache mir aber nachher keine Vorwürfe, wenn dich die Geschichte mit Bekümmernis und Grauen erfüllt.«

Sie gingen ins Freie und wandelten durch einen grünen Lustwald, wo sie sich niedersetzten, worauf der Tannenhäuser sein Haupt im grünen Grase verbarg und unter lautem Schluchzen seinem Freunde abgewandt die rechte Hand reichte, die dieser zärtlich drückte. Der trübselige Pilgrim richtete sich wieder auf, und begann seine Erzählung auf folgende Weise:

»Glaube mir, mein Teurer, daß manchem von uns ein böser Geist von seiner Geburt an mitgegeben wird, der ihn durch das Leben dahinängstigt und ihn nicht ruhen läßt, bis er an das Ziel seiner schwarzen Bestimmung gelangt ist. So geschahe mir, und mein ganzer Lebenslauf ist nur ein dauerndes Geburtswehe, und mein Erwachen wird in der Hölle sein. Darum habe ich nun schon so viele mühselige Schritte getan, und so manche stehn mir noch auf meiner Pilgerschaft bevor, ob ich vielleicht beim Heiligen Vater zu Rom Vergebung erlangen möchte: vor ihm will ich die schwere Ladung meiner Sünden ablegen, oder im Druck erliegen und verzweifelnd sterben.«

Friedrich wollte ihn trösten, doch schien der Tannenhäuser auf seine Reden nicht sonderlich achtzugeben, sondern fuhr nach einer kleinen Weile mit folgenden Worten fort: »Man hat ein altes Märchen, daß vor vielen Jahrhunderten ein Ritter mit dem Namen des getreuen Eckart gelebt habe; man erzählt, wie damals aus einem seltsamen Berge ein Spielmann gekommen sei, dessen wunderbarliche Töne so tiefe Sehnsucht, so wilde Wünsche in den Herzen aller Hörenden auferweckt haben, daß sie unwiderstreblich den Klängen nachgerissen worden, um sich in jenem Gebirge zu verlieren. Die Hölle hat damals ihre Pforten den armen Menschen weit aufgetan, und sie mit lieblicher Musik zu sich hereingespielt. Ich hörte als Knabe diese Erzählung oft und wurde nicht sonderlich davon gerührt, doch währte es nicht lange, so erinnerte mich die ganze Natur, jedweder Klang, jedwede Blume an die Sage von diesen herzergreifenden Tönen. Ich kann dir nicht ausdrücken, welche Wehmut, welche unaussprechliche Sehnsucht mich plötzlich ergriff, und wie in Banden hielt und fortfahren wollte, wenn ich dem Zug der Wolken nachsahe, die lichte herrliche Bläue erblickte, die zwischen ihnen hervordrang, welche Erinnerungen Wies und Wald in meinem tiefsten Herzen erwecken wollten. Oft ergriff mich die Lieblichkeit und Fülle der herrlichen Natur, daß ich die Arme ausstreckte und wie mit Flügeln hineinstreben wollte, um mich, wie der Geist der Natur, über Berg und Tal auszugießen, und mich in Gras und Büschen allseitig zu regen und die Fülle des Segens einzuatmen. Hatte mich am Tage die freie Landschaft entzückt, so ängstigten mich in der Nacht dunkle Traumbilder und stellten sich grauenhaft vor mich hin, als wenn sie mir den Weg zu allem Leben versperren wollten. Vor allen ließ ein Traum einen unauslöschlichen Eindruck in meinem Gemüte zurück, ob ich gleich nicht die Bilder deutlich wieder in meine Phantasie zurückrufen konnte. Mir dünkte, als wäre ein großes Gewühl in den Gassen, ich vernahm undeutliche Gespräche durcheinander, darauf ging ich, es war dunkle Nacht, in das Haus meiner Eltern, und nur mein Vater war zugegen und krank. Am nächsten Morgen fiel ich meinen Eltern um den Hals, umarmte sie inbrünstig und drückte sie an meine Brust, als wenn uns eine feindliche Gewalt voneinanderreißen wollte. ›Sollt ich dich verlieren?‹ sprach ich zum teuren Vater, ›o wie unglücklich und einsam wäre ich ohne dich in dieser Welt!‹ Sie trösteten mich, aber es gelang ihnen nicht, das dunkle Bild aus meinem Gedächtnisse zu entfernen.

Ich ward älter, indem ich mich stets von andern Knaben meines Alters entfernt hielt. Oft streifte ich einsam durch die Felder, und so geschah es an einem Morgen, daß ich meinen Weg verlor, und in einem dunkeln Walde, um Hülfe rufend, herumirrte. Nachdem ich so lange Zeit vergeblich nach einem Wege gesucht hatte, stand ich endlich plötzlich vor einem eisernen Gatterwerk, welches einen Garten umschloß. Durch dasselbe sah ich schöne dunkle Gänge vor mir, Fruchtbäume und Blumen, voran standen Rosengebüsche, die im Schein der Sonne glänzten. Ein unnennbares Sehnen zu den Rosen ergriff mich, ich konnte mich nicht zurückhalten, ich drängte mich mit Gewalt durch die eisernen Stäbe, und war nun im Garten. Alsbald fiel ich nieder, umfaßte mit meinen Armen die Gebüsche, küßte die Rosen auf ihren roten Mund, und ergoß mich in Tränen. Als ich mich eine Zeit in dieser Entzückung verloren hatte kamen zwei Mädchen durch die Baumgänge, die eine älter, die andre von meinen Jahren. Ich erwachte aus meiner Betäubung, um mich einer höheren Trunkenheit hinzugeben. Mein Auge fiel auf die jüngere, und mir war in diesem Augenblicke, als würde ich von allen meinen unbekannten Schmerzen geheilt. Man nahm mich im Hause auf, die Eltern der beiden Kinder erkundigten sich nach meinem Namen, und schickten meinem Vater Botschaft, der mich gegen Abend selber wieder abholte.

Von diesem Tage hatte der ungewisse Lauf meines Lebens eine bestimmte Richtung gewonnen, meine Gedanken eilten immer wieder nach dem Schlosse und dem Mädchen zurück, denn hier schien mir die Heimat aller meiner Wünsche. Ich vergaß meiner gewohnten Freuden, ich vernachlässigte meine Gespielen, und besuchte oft den Garten, das Schloß und das Mädchen. Bald war ich dort wie ein Kind vom Hause, so daß man sich nicht mehr verwunderte, wenn ich zugegen war, und Emma ward mir mit jedem Tage lieber. So vergingen mir die Stunden, und eine Zärtlichkeit hatte mein Herz gefangengenommen, ohne daß ich es selber wußte. Meine ganze Bestimmung schien mir nun erfüllt, ich hatte keine andere Wünsche, als immer wiederzukommen, und wenn ich fortging, dieselbe Aussicht auf den künftigen Tag zu haben.

Um die Zeit ward ein junger Ritter in der Familie bekannt, der auch zugleich ein Freund meiner Eltern war, und sich bald ebenso, wie ich, an Emma schloß. Ich haßte ihn von diesem Augenblicke wie meinen Todfeind. Unbeschreiblich aber waren meine Gefühle, als ich wahrzunehmen glaubte, daß Emma seine Gesellschaft der meinigen vorziehe. Von dieser Stunde an war es, als wenn die Musik, die mich bis dahin begleitet hatte, in meinem Busen unterginge. Ich dachte nur Tod und Haß, wilde Gedanken erwachten in meiner Brust, wenn Emma nun auf der Laute die bekannten Gesänge sang. Auch verbarg ich meinen Widerwillen nicht, und bezeigte mich gegen meine Eltern, die mir Vorwürfe machten, wild und widerspenstig.

Nun irrte ich in den Wäldern und zwischen Felsen umher, gegen mich selber wütend: den Tod meines Gegners hatte ich beschlossen. Der junge Ritter hielt nach einigen Monden bei den Eltern um meine Geliebte an, sie wurde ihm zugesagt. Was mich sonst wunderbar in der ganzen vollen Natur angezogen und gereizt hatte, hatte sich mir in Emmas Bilde vereiniget; ich wußte, kannte und wollte kein anderes Glück als sie, ja ich hatte mir willkürlich vorgesetzt, daß ihren Verlust und mein Verderben ein und derselbe Tag herbeiführen solle.

Meine Eltern grämten sich über meine Verwilderung, meine Mutter war krank geworden, aber es rührte mich nicht, ich kümmerte mich wenig um ihren Zustand, und sah sie nur selten. Der Hochzeitstag meines Feindes rückte heran, und mit ihm wuchs meine Angst, die mich durch die Wälder und über die Berge trieb. Ich verwünschte Emma und mich mit den gräßlichsten Flüchen. Um die Zeit hatte ich keinen Freund, kein Mensch wollte sich meiner annehmen, weil mich alle verloren gaben.

Die schreckliche Nacht vor dem Vermählungstage brach heran. Ich hatte mich unter Klippen verirrt und hörte unter mir die Waldströme brausen, oft erschrak ich vor mir selber. Als es Morgen war, sah ich meinen Feind von den Bergen herniedersteigen, ich fiel ihn mit beschimpfenden Reden an, er verteidigte sich, wir griffen zu den Schwertern, und bald sank er unter meinen wütenden Hieben nieder.

Ich eilte fort, ich sah mich nicht nach ihm um, aber seine Begleiter trugen den Leichnam fort. Nachts schwärmte ich um die Wohnung, die meine Emma einschloß, und nach wenigen Tagen vernahm ich im benachbarten Kloster Totengeläute und den Grabgesang der Nonnen. Ich fragte: man sagte mir, daß Fräulein Emma aus Gram über den Tod ihres Bräutigams gestorben sei.


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