Ludwig Tieck
Der Aufzug der Romanze
Ludwig Tieck

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Einleitung des Herausgebers

Tiecks zweites dramatisches Hauptwerk, von dem wir nur den Prolog »Aufzug der Romanze« abdrucken, und das der Dichter nicht ohne Berechtigung darum an die Spitze der ganzen Sammlung seiner »Schriften« (1828) stellte, »weil es seine Absicht in der Poesie am deutlichsten ausspricht«, das »Lustspiel« (wie er es sonderbar genug nannte) »Kaiser Octavianus«, erschien im Juni 1804Jena, bei Fr. Frommann. Eine »Ankündigung« des Verlegers, die auf S. 500 ff., den letzten Blättern des 32. Bogens, steht, ist »Jena, im Juny 1804« datiert. im Druck. Nach des Verfassers eigner Aussage»Schriften«, Bd. 1, S. XXXVIII. ward es schon im Frühling 1801, also noch vor dem »Runenberg«, begonnen und nach 18 Monaten beendigt. Damit kann aber nur die Vollendung der Arbeit im großen und ganzen gemeint sein, während die Einsendung zum Druck sich noch um ein Jahr verzögerte. Tieck selbst berichtet,A. a. O., S. XL. er habe im »Octavian« »vieles oft geändert und umgearbeitet, vorzüglich den Prolog«, und verschiedene Zeugnisse beweisen, daß die Dichtung allerfrühestens im Herbst des Jahres 1803 völlig abgeschlossen worden ist. Die lyrischen Stellen des Dramas, die Tieck unter seine »Gedichte« aufnahm, sind von ihm selbst im »chronologischen Verzeichnis«»Gedichte«, Bd. 3, hinter dem »Vorwort« und »Inhalt des dritten Teils«. mit den Jahreszahlen 1801, 2 und 3 bezeichnet. Das älteste Zeugnis für die Entstehungszeit des »Octavianus« findet sich in einem Briefe Dorothea Veits, die von Jena aus am 17. Dezember 1801 an den Dichter schreibt: »Ich möchte Ihnen gern alles sagen können, welche innige Freude Sie mir mit dem ›Octavian‹ gemacht. Frommann hat ihn mir vorgelesen. Ich danke Ihnen tausendmal dafür. Wie habe ich wieder Ihre ganze Liebenswürdigkeit, die Tiefe und die Glorie Ihrer Kunst und Ihrer Ziele so gefühlt.« Damit kann indes nur der erste Teil gemeint sein, denn Karoline Schlegel meldet, gleichfalls aus Jena, am 14. Januar 1802, Tieck habe Manuskript von »Kaiser Octavian« geschickt, am 15. Februar, er habe noch nichts weiter geschickt. Friedrich Schlegel berichtet an seinen Bruder aus Dresden am 1. März, daß der »Octavian« noch nicht fertig sei. Vierzehn Tage später, am 15. März 1802Bei Holtei, »Briefe an L. Tieck«, Bd. 3, S. 283, steht freilich 1803, und die Handschrift (mit andern Briefen W. Schlegels an Tieck und dessen Bruder und Schwester auf der königl. Bibliothek zu Dresden aufbewahrt) kann allerdings so gelesen werden; der ganze Inhalt des Briefes aber beweist unwiderleglich, daß dieser 1802 geschrieben sein muß. schreibt Wilhelm Schlegel von Berlin aus an den Dichter: »Am Sonnabend Mittag ist Dein Brief angekommen, und ich habe noch gleich an demselben Tage den ›Octavian‹, deinem Auftrage gemäß, an Frommann mit einem Briefe abgeschickt . . . Melde doch . . ., ob die zweite Hälfte des ›Octavian‹ bald nachfolgen wird.« Daraus ergibt sich, daß auch Karolinens Worte vom 18. März: »Ich habe nun den ›Octavian‹ wirklich schon im Hause«, sich nur auf den ersten Teil beziehen können. Und selbst an diesem wurde vermutlich noch mancherlei geändert. Wenigstens ist die berühmte Glosse am Schlusse des »Prologs« im chronologischen Verzeichnis der Gedichte mit der Zahl 1803 bezeichnet. Die Freunde warteten lange vergebens auf den Abschluß des ganzen Werkes. »Es wäre wirklich«, mahnt W. Schlegel am 15. Februar 1803 den säumigen Dichter, »jetzt an der Zeit, daß Du einmal wieder ein großes Kunstwerk aufstelltest, und je länger Du es aufschiebst, je schwerer wird dir die Vollendung werden. Wenn Du einen Teil des Manuskripts um die Mitte März und das übrige Ende März hinschickst [an Frommann], so kann es gewiß noch auf die Messe fertig werden. Welchen Triumph alle deine Freunde haben würden, brauche ich nicht erst zu sagen.« Aber noch sieben Monate später klagt er in einem an Schleiermacher gerichteten Briefe vom 26. September 1803, der erste Teil des »Octavian« liege immer noch fertig gedruckt bei Frommann und warte auf den zweiten, nun angefangenen. So sehen wir, daß die Arbeit an dieser Dichtung sich recht im Gegensatz zu der schnell vollendeten »Genoveva« über länger als dritthalb Jahre hin erstreckte. Mancherlei Hemmungen waren daran schuld: Gemütsbewegungen, verursacht durch den Tod seiner beiden Eltern und die lebensgefährliche Erkrankung seiner Schwester, Nachwirkung des Schmerzes über Hardenbergs Tod, Mißstimmung über Angriffe literarischer Gegner, Anfälle von tiefer Melancholie, körperliche Leiden, dazu äußere Störungen, wie die Übersiedelung von Dresden nach Ziebingen im Spätjahr 1802, die Sommerreise mit Burgsdorff im nächsten Jahre, endlich anderweitige literarische Beschäftigungen, wie die Herausgabe von Hardenbergs Nachlaß, das Studium der altdeutschen Poesie, dessen Frucht unter anderm die bereits 1803 erschienenen »Minnelieder« waren, Entwürfe und Anfänge eigner Dichtungen.Vgl. unser »Chronologisches Verzeichnis« am Schlusse des 3. Bandes.

Über seine Bekanntschaft mit dem Stoffe erzählt Tieck:»Schriften«, Bd. 1, S. 37 ff. »In Hamburg fand ich [im Jahre 1800] auf einem Wege durch die Stadt [bei einem Antiquar] das Volksbuch vom ›Kaiser Octavian‹. Ich glaubte jene Volksbücher alle zu kennen, und doch war mir dieses neu. Ich nahm es auf meinem Spaziergang mit zu Rainville, einem Gasthof und Belustigungsort der Stadt, wo ich eine Gesellschaft von Freunden erwartete. Im Freien sitzend, wo man die schöne Aussicht über den breiten Strom hat und Schiffe kommen und wegsegeln sieht, las ich in meinem Büchelchen. Mich erfreute der Reichtum dieser Erfindung; die vielen heitern und seltsamen Gestalten ergötzten meine Phantasie, und das ganze buntgeflochtene Gewebe ward mir so lieb, daß in diesen behaglichen Stunden fast schon der Plan fertig wurde, wie es dramatisch auf neue Weise bearbeitet werden könne.« Ebenda heißt es unter anderm weiter: »Mir waren seitdem die poetischen Werke des Mittelalters bekannter geworden; es war in Deutschland vom Charakter des Romantischen so viel die Rede gewesen, und, von CalderonVgl. die Anmerkung 1 zu S. 171. für die allegorische Poesie begeistert, versuchte ich es, in diesem wundersamen Märchen zugleich meine Ansicht der romantischen Poesie allegorisch, lyrisch und dramatisch niederzulegen.« Wir erfahren dann, daß der PrologDer Entwurf zu diesem und der größte Teil der Ausführung fällt zweifelsohne schon ins Jahr 1801, die Vollendung aber, wie aus dem vorher Gesagten erhellt, erst in den Anfang 1803. bestimmt war, diese Absicht deutlich anzukündigen, daß nicht nur die Romanze (d. i. die romantische Poesie in Person) im Prolog und im ersten Teil des Gedichtes, sondern sogar Personen, für deren Schicksale und Charaktere wir uns interessieren sollen, nämlich die Kaiserin Felicitas und die schöne Sultanstochter Marcebille, »zugleich die dichterische Ansicht der Poesie und Liebe aussprechen« sollen, daß sich »die Allegorie und das Bild der Rose und Lilie« durch das ganze Gedicht ziehen, ja, daß dieses Gedicht in seiner reichen, regellosen, lyrisch-phantastischen Fülle »selbst die Rose abspiegeln« solle, »die es verherrlicht«. Diese Allegorisierung des Ganzen aber, an der der Dichter selbst so viele Freude fand, mag wohl der Hauptgrund sein, weshalb einem bei der Lektüredes Gedichtes, ungeachtet der berauschendsten Schönheiten im einzelnen, nicht recht wohl wird, weshalb dieses Erzeugnis, in dem Tieck die ganze Pracht und Lieblichkeit seiner Sprache in allen möglichen Versmaßen sich ergießen läßt, in das er Stimmungsbilder von wahrhaft hinreißender Macht verwoben hat, als Ganzes ein verfehltes Werk, mindestens ein verfehltes Drama ist; und ein Drama sollte es doch sein, obwohl es dazu schon eines festen Planes ermangelt. Überdies hat es unter der Hand eine so gewaltige Ausdehnung gewonnen, daß es in der ersten Ausgabe 498, in den »Schriften« 421 Seiten füllt. Schon aus äußern Gründen hätten wir demnach darauf verzichten müssen, den ganzen »Octavian« unsrer Auswahl einzuverleiben, selbst wenn dazu nicht die Erwägung getreten wäre, daß eine allegorisierende Dichtung von solchem Umfang heutige Leser schwer zu genießen vermöchten, sowie die andre, daß – trotz der Erweiterung des Gesichtskreises durch Bilder aus dem märchenhaften Orient und durch derben Humor – doch im wesentlichen alle hier erklingenden Töne schon in der »Genoveva« angeschlagen sind, die wir ja aufgenommen haben. Wir sind deshalb dem Vorgang Weltis»L. Tiecks ausgewählte Werke«. Mit einer Einleitung von L. Welti, Stuttgart o. J., Bd. 2. gefolgt und haben den Prolog: »Der Aufzug der Romanze«, den Tieck dem eigentlichen Drama vorausschickt, hier eingereiht, da er auch in sich ein abgerundetes und in seiner räumlichen Beschränkung genießbares Kunstwerk, ja unleugbar ein Prachtstück dichterischer Allegorie ist, dem nur etwas mehr greifbare Handlung zu wünschen wäre.

Erwähnt sei noch, daß dieser Prolog bei der Tieck-Feier am 31. Mai 1833, dem 60. Geburtstage des Dichters, zu Berlin aufgeführt worden ist; die Komposition der Gesänge hatte Franz Gläser, damals Kapellmeister des Königsstädtischen Theaters, geliefert.Vgl. Holtei: »Vierzig Jahre«, Bd. 3, S. 342, und »Briefe an L. Tieck«, Bd. 2, S. 368. Neuerdings ist der Eingang der Dichtung von Ernst Rudorff, einem Bluts- und Geistesverwandten Tiecks, in Musik gesetzt worden.Die geist- und phantasievolle Komposition »Der Aufzug der Romanze. Eine Frühlingsfeier etc. für Chor, Solostimme und Orchester«, ist 1872 erschienen und als Op. 18 bezeichnet. Die Hauptgruppe des von Julius Hübner gemalten Vorhangs im alten, 1869 abgebrannten Dresdener Hoftheater stellte die wichtigsten der am Schlußtableau des Prologs teilnehmenden Personen dar. Über den Einfluß des ganzen Stückes auf jüngere Dichter vergleiche man die Einleitung zur »Genoveva«.


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