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Die Dachserin

Entern Zaun stand die Dachserin mit einem hochroten Kopf und schimpfte mit durchdringender Stimme in den kleinen Nachbargarten hinüber.

Das heißt, die geweste Dachserin von Flinsbach, denn seit sie mit ihrem Manne übergeben hatte, konnte sie eigentlich den stolzen Namen nicht mehr führen, sondern war nichts als die Kreszentia Wiechel, Austräglerin in Erlbach, die nichts mehr zu tun, aber auch nichts mehr zu sagen hatte.

Aber man kann seine Gemütsart nicht mit dem Anwesen weggeben, und deswegen hatte die Kreszentia Wiechel noch genau die nämliche Reschen, die ihr als Dachserin gut angestanden hatte.

Und wer war denn gar die drentern Zaun?

Die Klöcklin von Freitsmoos, wenn man da schon überhaupt von einem Hausnamen reden kann, wo nichts war und nichts ist.

Und wenn sich die armselige Fretterin jetzt als Anna Maria Rankl auch Austräglerin hieß, so gab es halt doch Unterschiede, und es sollte nicht vergessen werden, was für ein Hauswesen die Dachserin einmal regiert hatte.

Aber die Anna Maria Rankl vergaß es oder wußte es gleich gar nicht, oder wenn sie es wußte, gab sie nichts darauf und war frech und unverschämt und so voll Bosheit, wie halt die Fretter sind, wenn sie keinen Nutzen mehr zu hoffen haben.

Wen unser Herrgott strafen will, dem gibt er eine bösartige Nachbarin, so eine, wie die Klöcklin war.

Der Tag ist lang, und was so einer Austräglerin alles einfällt zum Leuteärgern, das glaubt man gar nicht.

Da hatte die Dachserin oder, daß ich es recht sage, die Kreszentia Wiechel, ihre Wasch zum Bleichen auf den kleinen Wiesfleck hinterm Haus gelegt und war dann in der Kuchel beschäftigt, weil sie dem Ihrigen ein Schweinernes braten wollte, das ihnen der Bub, der jetzige Dachser von Flinsbach, mitgebracht hatte, als er zur Schranne hereingekommen war.

Und wie dann die alte, die geweste Dachserin das Schweinerne übergossen und die Erdäpfel zugesetzt hatte, ging sie in den Garten hinaus, um Suppenkräuter zu holen.

Und da bot sich ihr ein Anblick, der ihr beinah das Herz stillstehen ließ. Die ganze schöne Wasch war voll Rußflecken, und es war gar nicht anders möglich, als daß die Loas, die miserablige, drentern Zaun mit einer Schaufel oder überhaupt halt den Ofenruß herübergestreut hatte.

»Na, so was! Na, so was ganz Ausg'schamtes!« hatte die Wiechlin gerufen, und Schmerz und Zorn hatten sie zum Weinen gebracht.

Und weil gerade die Traunerin, ihre Nachbarin auf der anderen Seite, die aber ein richtiges, braves Leut war, ins Freie kam, zeigte sie ihr den Schaden und forderte sie auf zu bezeugen, daß so was Freches und Ausgelassenes wie die Klöcklin auf der ganzen Welt nicht mehr zum Finden wäre.

»Ja, zahn no recht frech umma,« schrie sie, als sich die Anna Maria Rankl am Fenster zeigte. »Dös werd si aufweisen, ob du ander Leut Sach z' grund richt'n derfst!«

»Was han i?«

»An Ruaß hast ummag'schmis'n … du … du …«

»Gib ma'r no wieder a Nama, balst z' viel Geld hoscht.«

»Dir … du … du …«

»No zua! Na koscht wieder in d' Armakass' zahl'n, wia's letztemal!«

Das war ein ungemein schmerzender Stich, denn die zwanzig Mark für den Namen einer glumpeten Zigeunerin, die die Wiechlin letztes Jahr um Georgi herum hatte zahlen müssen, waren nicht vergessen. Und dabei hatte der Bürgermeister beim Sühneversuch noch so getan, als wenn die Klöcklin weiß Gott wie barmherzig wäre, weil sie bloß das und nicht mehr verlangt habe.

Nein, die zwanzig Mark waren nicht vergessen und nicht verschmerzt.

»Dösmal zahlst du, daß d'as woaßt. Und de ganz Wasch muaßt zahl'n, und i mach's advikatisch …«

»Mach zua! Was liegt denn mir dro? Dös werst du beweis'n müas'n, wer die dreckate Wasch …«

»Dreckat? Bal no du …«

»No zua …!«

»Überhaupts gib i mi gar it ab mit so oana … du … du«

»Sag's no, was d' gern sag'n mögst!«

Aber wie die Dachserin so gar keinen Schimpfnamen hinüberschreien durfte von wegen der Armenkasse und den zwanzig Mark, fiel es ihr schwer aufs Herz, und sie schickte die Einladung, die noch eine gewisse Erleichterung verschafft, über den Zaun.

»Überhaupts …,« schrie sie, »überhaupts kost du …« und so weiter. Der Leser weiß schon.

Aber jetzt kam das Allermerkwürdigste.

Die Klöcklin, das heißt also die Anna Maria Rankl, wollte es so hinstellen, als wenn diese Einladung eine Beleidigung wäre.

Mitten in Bayern, in Erlbach, wo man seit Menschengedenken seinen Unwillen auf diese und keine andere Weise kundzugeben gewohnt war, sollte es strafbar und beleidigend sein.

Die Klöcklin bestand darauf, lief zum Bürgermeister, und als die Dachserin im berechtigten Gefühle ihres Rechtes beim Sühneversuch ausblieb, fuhr die freche Person nach München hinein und überredete den Justizrat Siegfried Prachtbau, daß er eine Klage gegen Kreszentia Wiechel erhob.

Er beschrieb den Hergang der Sache und setzte auseinander, daß die ordinäre Redensart, nämlich diese Einladung, eine Bezeigung von Verachtung in sich trage und zum Ausdruck bringe. »Da hört sich doch schon die Gemütlichkeit auf!« sagte der Oberamtsrichter Haberl, als er das Schriftstück las.

»Herr Sekretär, da gengan S' amal einer!« rief er in die Gerichtsschreiberei hinein.

»Da kommen S' amal her und lesen S' den Schmarrn!«

Der Sekretär Neuburger kam und las die Klagschrift mit geziemendem Erstaunen durch.

»Ja, was waar denn jetzt dös!« rief er. »Dös hoaßt ma do …«

»Mit'n G'richt Schindluder treib'n … jawohl, dös hoaßt's. Net gnua, daß ma sowieso nimma woaß, wo oan da Kopf steht vor lauter Arbet, kimmt so a Fackelstecher« – Ferkelstecher hieß Haberl jeden Advokaten – »kimmt so a Wortfuchser daher und machet aus so was aa no a Beleidigung! Wenn dös ei'reißt, kemma mir aus'n Büro überhaupts nimmer naus.«

Neuburger teilte die Entrüstung seines Vorgesetzten, der noch aus der guten alten Zeit stammte und das Rechtsuchen und das Prozessieren für eine feindselige Handlung ansah. Haberl zwirbelte seinen langen, grauen Schnurrbart drohend hinaus und schwor, daß er dem Himmelherrgottsakramentsadvokaten die Freude an den Diäten versalzen wolle.

Wenn es die Dachserin gehört hätte, wäre Zuversicht über sie gekommen; aber da sie nichts davon wußte, wurde sie doch beim Herannahen der Verhandlung immer kleinmütiger.

Und der Dachser tröstete sie nicht.

»Jetzt hoscht as,« sagte er. »Weilst dei Mäu net halt'n kost. Mit selle Leut gibt ma si überhaupts gar it ab …«

»Du nacha, du hoscht leicht red'n. Du bischt bei'n Unterbräu g'hockt und hoscht wohl nix g'wißt davo, wia ma der Zigeunerschlampen, der abscheilige, mein Wasch verdreckt hat. I ko's ja wieder richt'n, denkst da du, und i ko mi ja schind'n und plag'n, und daweil hockst du beim Unterbräu …«

»Dös Gred hat koa Hoamat … Dös g'hört da gar it her, wenn i amal a Maß bei'n Unterbräu trink …«

»Ja, weils as ös it wißts, was dös hoaßt, bal ma sei Arwat firti hat und muaß auf a neu's ofanga … und jetzt helfast du gar no zu dera …«

Die Dachserin fing zu weinen an.

»So is recht; plärren muaßt d' aa no. Und was dös hoaßt, i helf zu dera?«

»Is vielleicht it wahr? Jetzt sagast du gar …«

»Nix sag i, als daß ma si mit so an G'raffl net o'gibt. Grad weil dös gar so a Dracken is, so a hundshäuterner, waar ma'r i z' guat dazu … vastehst …?«

»Was hon i denn g'sagt dazua? Daß si mi …? Dös werd ma do no sag'n derfa …«

Das konnte der Dachser nicht bestreiten. Es war landauf und landab gutes Recht und alter Brauch, daß man so was sagte. Nicht grad einmal am Tag, sondern öfter, und noch weniger ließ sich doch schon von der ganzen Herrgottswelt nicht sagen, als wie das.

»Jetzt stell di net her und woan mir was für!« sagte er einlenkend. »I fahr morg'n auf Minka eini und nimm für di an Advikat'n. I kenn oan, der wo öfter herauß'n war und dem i scho zuaglost hab. Er hat a ganz a guate Votzen. Der werd na de G'schicht scho richti hi'reib'n, und bal's aa was kost't, Alte, desweg'n verderb'n mir no lang it.«

Wie die Dachserin ihren Bauern so reden hörte, wurde es ihr leichter ums Herz, und wie es die Weiberleute an sich haben, wenn sie von einem Kummer ledig werden, so wurde jetzt auch die Dachserin recht gesprächig.

»Und z'weg'n dem Ruaß,« sagte sie, »da hat de Traunerin aa g'sagt, i soll's durchaus gar it guat sei' lass'n, und bal sie's aa leugna möcht, na treib i's auf'n Schwur, de Krattlerloas, de ganz miserablige …«

Es kam dann der Verhandlungstag.

Im Zuhörerraum drängten sich viele Leute; die Austragler von der hintern Gasse waren mit ihren Weibern vollzählig erschienen, und aus den nahen Dörfern waren auch Bauernleute hereingekommen. Es hatte sich herumgesprochen, daß die geweste Dachserin von Flinsbach verhandelt werde, bloß weil sie den uralten, eingewurzelten Kirchweihspruch hergesagt habe, und da wollte man doch wissen, ob die neue Zeit auch darin alles umgekehrt habe.

Es waren auch etliche Freunde eines guten Spaßes unter den Bauern, die sich eine richtige Gaudi von den Ausführungen über das angestammte Wort versprachen. Die gleiche Hoffnung hatte viele Marktbürger in den Gerichtssaal gelockt. Vorne dran stand der alte Unterbräu, der sich recht sichtbar auf die Delikateß freute und eifrig mit ein paar Spezeln wisperte.

Die Advokaten waren schon erschienen und hatten an einem kleinen Tische vor dem Podium Platz genommen. Der Justizrat Siegfried Prachtbau war ein bewegliches Männchen, hoch in den Fünfzigern, aber noch voll Eifer, Spürsinn und Pflichtgefühl. Er stand immer wieder auf und ging zur Klöcklin, die auf der Zeugenbank saß. Er tuschelte ihr was ins Ohr, lief an den Tisch und schrieb was auf, dann ging er zum Sekretär Neuburger, der in seiner feierlichen Robe schon oben auf seinem Platze saß, und fragte ihn was. Der Sekretär zeigte eine abweisende Miene, aber der Justizrat Prachtbau lächelte freundlich, eilte an den Tisch und schrieb wieder was auf. Der verstand es.

Wenn ein Totalisator eingerichtet gewesen wäre, hätten die mehreren Bauern auf den Prachtbau gesetzt.

Besonders, weil sein Gegner, der Doktor Leixner, scheinbar teilnahmslos am Tische saß und seine Zeitung las. Er war ein Mann in jüngeren Jahren, von einem düsteren Aussehen. Die dunklen Haare fielen ihm in die Stirne herein, und wenn er einmal aufsah, bemerkte man einen brennenden, fast drohenden Blick. Er ging zur Dachserin hinüber, die weit weg von der Klöcklin beim Fenster stand und ihr Gesicht hinter dem vorgezogenen Kopftüchel versteckt hielt. – Der Trauner flüsterte hinten im Zuschauerraum dem Dachser zu: »Daß sie der Enker gar it rührt? Und der ander is grad wepsi. Dös gfallt mi fei gar it, daß der Enker gar it dergleicha tuat, der is scho a weng gar z'loamlacklet.«

»Laß'n no geh!« wisperte der Dachser zurück. »Jetzt gelt's no nix, aba der kimmt scho in Schwung, bal's amal richtig o'geht. I hon an scho an etlamal g'hört. Er hat a ganz a guate Votzen.«

»Moanscht do?«

»Jo, werst as sehg'n.«

»Aba der ander, woaßt, der is halt lebfrisch. Der ko's it derwart'n … schaug no hi, jetza lafft er scho wieder zu da Klöcklin und schreibt eahm was auf …«

»Laß'n no schreib'n, der inser faßt'n na scho …«

Aber ein wenig unheimlich war es dem Dachser doch, wie er den Prachtbau gar so herumsausen sah. Und was er bloß für ein Aufschreibets hatte? Er steckte den Bleistift ins Maul und schrieb, und hernach lachte er so verstohlen, als wenn ihm was ganz Hinterhältiges eingefallen wär'.

Nun ging aber die Türe weit auf, und der Oberamtsrichter Haberl trat ein; hinter ihm kamen die zwei Schöffen.

Der Haberl rauchte auch sonst keinen Guten, aber heute sah er schon dreimal so grimmig aus. Das Barett hatte er schief ganz vorne in die Stirne hineingezogen; seine Augen blitzten hinter den buschigen Brauen hervor, und der Schnurrbart war verwegen zum Anschauen. Die Schöffen waren zwei blühende Marktbürger von stattlichem Gewicht.

Dem einen, einem Melber, glänzten die Äuglein zwischen knallroten Backen; der andere, ein wuchtiger Zimmermeister, war blaurot im Gesichte, schnaufte und fuhr sich mit einem geblümten Sacktuch über die spärlichen Haare. Wer die beiden Männer betrachtete, wußte, daß sie am altbayrischen Brauche nicht rütteln ließen.

Jetzt räusperte sich der Oberamtsrichter Haberl und warf scharfe Blicke in den dicht gefüllten Zuschauerraum.

»Scheiblinger!«

Der Gerichtsdiener trat vor.

»Machen S' danach amal a Fenster auf! Da herin hat's ja a Luft als wia nach'n Saumarkt in der Wirtsstuben. Da warmen si wieder amal die Herrn Austragler ihre krachledernen Hosen auf …«

Ein summendes Gelächter ging durch das Volk.

»Ruhe! Da herin is koa Theata. Wenn i oan siech, der si net anständig aufführt, den laß i auf der Stell abführ'n …«

Haberl meinte es nicht so bös, aber er hielt es für angebracht, den Leuten zu zeigen, daß es kein Kleines sei, vor dem Richter zu stehen.

Sonst hätte die Himmelherrgottsakramentsbande bloß zum Vergnügen prozessiert. Er zog die Augenbrauen dichter zusammen, räusperte sich und sagte: »Es kommt zum Aufruf die Sache Anna Maria Rankl gegen Kreszentia Wiechel wegen Be – –«

Er räusperte sich nochmals und wiederholte mit scharfer Betonung: »wegen Beleidigung. Wo is die Wiechel?«

Die Dachserin trat schüchtern vor.

»Also Sie sind die Beklagte? So? Und die Klägerin? die gnädige Frau Austräglerin Anna Maria Rankl?«

Die Klöcklin schwänzte um ein gutes kecker vor und zeigte die Zuversicht einer um ihr gutes Recht kämpfenden Person.

»Was wollen Sie?« fragte Haberl barsch, als sich der Justizrat Prachtbau erhob.

»Ich wollte nur bemerken, daß ich als der Vertreter der Klägerin erschienen bin.«

»M – hm … ja … und als Verteidiger is der Herr … Herr …«

Der düstere junge Mann verbeugte sich. »Rechtsanwalt Leixner …«

»Also der Herr Rechtsanwalt Leixner is als Verteidiger anwesend. Nacha hamm mir ja alles beinander für diesen bedeutenden Kriminalfall.

Frau … ah … Rankl, kommen S' amal näher her. Sie san Austräglerin hier?«

»Ja.«

»Wo waren S' denn früher?«

»In Freitsmoos.«

»So? Also da san also die Leut so feinfühlig und so vornehm, daß s' nimmer altboarisch verstengan und wegen de landläufigsten Redensarten zum G'richt laffen? Machen die Freitsmooser an Ausnahm von de andern Leut? Oder – gengan S' amal her, Frau Rankl! Nur näher! – Oder sagen Sie vielleicht so was net? Hamm Sie dös no nia g'sagt?«

Herr Prachtbau erhob sich lebhaft. »Ich muß namens meiner Mandantin dagegen protestieren. Meine Mandantin nimmt derartige Ausdrücke nicht in den Mund …«

»Herr Justizrat, ich frag' jetzt die hier erschienene Klägerin selber. Da gibt's gar nix zum Protestieren …«

»Verzeihen Herr Oberamtsrichter, aber …«

»Plädieren können Sie darnach. Ich muß jetzt bitten, mich nicht nochmal zu unterbrechen. Also Frau Rankl, hamm Sie selber noch nie jemand auf d' Kirchweih g'laden? Sagen Sie dös net womögli alle Tag'?«

»Na … dös sag i gar nia …«

Die Klöcklin war ein standhaftes Mensch und ließ sich nicht einschüchtern, obwohl sie der Oberamtsrichter Haberl mit seinen Blicken durchbohrte.

»So was sag i durchaus gar it, und i laß ma's aa it sag'n von dera, und da werd's aa no a Recht geb'n, daß de sell net grad moant, sie derf all's sag'n, und 's letzt Jahr hat s' mi a glumpete Zigeunerin g'hoaß'n …«

»Was vorigs Jahr war, geht net daher. Sie woll'n also behaupten, daß Sie das nie sag'n, was bei uns eigentlich jeder sagt. Und Sie hamm sich dadurch beleidigt gefühlt?«

»Ja, i laß mir amal von dera so was it biat'n …«

»Is recht. Setzen S' Ihnen daweil hintri. Also, jetzt müssen mir wirkli a Verhandlung führ'n, weil sich a paar Weibsbilder net mitanand vertrag'n können. Da muaß ma zum G'richt laufen, Kosten hermachen, den Richtern die kostbare Zeit stehl'n …«

Der dicke Zimmermeister schnaufte entrüstet, und der Melber nickte zustimmend mit dem Kopfe.

Nun wurde die Dachserin vorgerufen und mußte erzählen, wie sie dazu gekommen war, jemand einzuladen, der ganz und gar nicht eingeladen sein wollte.

Sie holte weit aus und begann zu schildern, was sie seit Jahr und Tag von der Klöcklin zu leiden gehabt habe.

»Ihr seids Nachbarinnen, net wahr? Und seids Weibsbilder, wia halt d' Weibsbilder sind. Das weiß ma scho lang, daß die net nebenanand auskommen. Da brauch'n mir koa lange Soß …«

Aber das mußte die Dachserin doch erzählen dürfen, das von ihrer Wasch. Wie sie zuerst blühweiß im Gras gelegen und dann auf einmal mit Ruß beschmiert war.

In Gottes Namen, weil es zur Sache gehörte, durfte sie es erzählen.

Aber da erhob sich schon wieder der Prachtbau und protestierte dagegen, daß man seiner Mandantin ohne Beweis und Zeugen einen Verdacht anhänge.

»Dös is a Luada,« sagte hinten der Trauner zum Dachser, und dem wurde es auch bänglich zumut.

Also, dann kam man zur Hauptsache, und die ehrliche Kreszentia Wiechel gab unumwunden zu, daß sie die verhängnisvollen Worte gebraucht habe.

»Weil Sie zornig war'n, net wahr?«

»Ja, und weil do so was ganz unverschämt is, bal ma'r oan d' Wasch verschmiert, und nacha zahnt sie beim Fenster außa und dableckt mi no …«

Die Dachserin setzte sich bescheiden auf die Bank.

Die Stimmung war gewiß für sie günstig; im Zuschauerraum und auf den Richtersitzen. Der dicke Zimmermeister nickte ihr sogar wohlwollend zu, vor er sich mit Geräusch schneuzte. Der Herr Prachtbau erhob sich wieder und sagte mit milder Stimme, er verzichte auf die Zeugin Trauner, weil ja der Tatbestand durch das ehrliche Geständnis der Beklagten festgestellt sei.

Sein Gegner, der Herr Doktor Leixner, war damit einverstanden. Er machte eigentlich zum erstenmal in dieser Verhandlung seine berühmte scharfe Votzen, wie der Dachser sagte, auf und erklärte, daß er auch keinen Wert auf die Aussage der Zeugin lege.

Aber siehe da, der Oberamtsrichter Haberl ging nicht auf die so liebenswürdig angebotene Abkürzung der Verhandlung ein, sondern ließ die Traunerin hereinkommen. Sie trat zögernd vor und hielt ihren Handkorb, den sie bloß dekorationshalber mitgenommen hatte, vor den Bauch. Sie mußte ihn aber auf die Bank stellen und die rechte Hand aufheben, um bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden zu schwören, daß sie über jene orts- und landesgebräuchliche Einladung alles gewissenhaft berichten und nichts verschweigen werde. Sie hatte auch ganz und gar nicht die Absicht, irgend etwas zu verschweigen, sondern sie war von dem Wunsche beseelt, noch viel mehr zu sagen, als zu der Sache gehörte. Sie wollte die Verfolgungen schildern, die ihre liebwerte und ehren geachtete Nachbarin Kreszentia Wiechel mit christlicher Geduld ertrug und ertragen mußte.

»Halt … halt!« sagte aber Herr Haberl. »Nur Zeit lassen, mir san da net bei an Kaffeeratsch. Jetz passen S' auf, Traunerin, Sie sind doch aus der hiesigen Gegend. Is Ihnen das so abscheulich oder grob oder seltsam vorgekommen, was die Wiechel da über'n Zaun nüber g'schrien hat?«

»Na, gar it …«

»Gar nicht?«

»Na, i hätt' dös nämli g'sagt, weil de Klöcklin gar a so außa zahnt hat beim Fensta …«

»Sie hätten das nämliche g'sagt. Das is doch amal aufrichtig g'red't. Natürlich hätten Sie die Klägerin eing'laden, schon weil's der Brauch is, net wahr?«

Die Traunerin schaute Herrn Haberl etwas verständnislos an.

»Sie hätten Ihnen nix dabei denkt, weil man das überhaupt so sagt. Net wahr?«

»Ja freili, und weil de Klöcklin a so außa zahnt hat …«

»Und weil man das hier alle Augenblick und von an jeden hört, net wahr? Jetzt geben S' amal Obacht: die Frau Rankl, die Klägerin da, behauptet, daß ihr das als eine Ehrenkränkung vorgekommen is und daß sie selber so was nie sagt und nie g'sagt hat …«

»Ah … ah! …«

»Glauben Sie das?«

»Sie hat's ja erst gestern zu mir g'sagt …!«

»Sooo? …«

Herr Prachtbau erhob sich. »Ich muß bitten …«

»Na, jetzt bitt' ich, daß ich meine Ruh' krieg, und zwar ganz energisch. Wenn Sie was fragen müssen, so fragen Sie nachher! Jetzt vernehm ich die Zeugin, und der Sach geh ich auf den Grund.«

Herr Prachtbau setzte sich indigniert auf seinen Stuhl zurück und schaute die Traunerin an, wie eine Brillenschlange das Kaninchen, vor sie es frißt.

Aber die brave Nachbarin wurde durch die zum Herzen sprechende Güte des gestrengen Richters sicher gemacht.

»So, Traunerin,« sagte Haberl, »jetzt erzählen S' uns die G'schicht recht genau. Wie und wo hat die Frau Rankl das gesagt?«

»Geschting auf d' Nacht. I hätt mir a Bier g'holt beim Brunnawirt, und bei da Schenk hiebei is die Klöcklin g'stanna, und i hätt s' wohl it o'gredt, indem daß i mit ihr it gern was z'toa hab, aber sie hat o'g'fangt und hat wieda recht zahnt und sagt zu mir, moring, hat s' g'sagt, da kimm i dera ganz andern, und zahl'n muaß s', daß s' schwarz werd …«

»Da hat sie die Wiechlin gemeint?«

»Ja, die Dachserin …«

»A recht a netter Charakter! Also bloß zum Kostenmachen hat sie den Prozeß ang'fangt. Sehr lobenswert!«

»Ja, und nacha han i g'sagt, daß du auf dös klag'n magst, sag i, und daß du glei gar an Advikaten nimmscht, han i g'sagt, und sie sagt, grad extra, daß de Dachserin amal was spannt, und, sag i, bal du aber den Prozeß verspielst, nacha mußt du selm dein Advikat'n zahl'n, und da hat sie g'lacht und hat g'sagt, ah was, sagt s', bal i verspiel, nacha ko mi mei Advikat kreuzweis …«

Die Traunerin hielt hier nicht inne, wie der geschämige Erzähler, sondern sagte es mit breitem Wohlbehagen. Und sie wiederholte es. »Ja, genau a so hat sie's g'sagt, bal i an Prozeß verspiel, sagt s', nacha ko mi mei Advikat kreuzweis …«

Durch den Gerichtssaal ging ein dröhnendes Lachen, aber es wurde übertönt durch ein hilfloses, gellendes Kreischen, das der blaurote Zimmermeister ausstieß. Er rang nach Luft und stieß immer wieder Trompetentöne aus. Darüber freuten sich alle Zuschauer und lachten auf neue, und ihr Lachen steckte wieder den Zimmermeister an, daß er ganz außer Fassung kam.

Endlich trat Ruhe ein, und Haberl wandte sich mit einer einladenden Gebärde zu Herrn Prachtbau.

»Also, Herr Justizrat, Sie hören die freundliche Einladung …« Prachtbau wehrte mit beiden Händen ab, und da er sah, daß mit Ernst nichts mehr auszurichten war, rief er in spaßhaftem Tone: »Ich danke vielmals, ich danke …«

Jetzt ist nicht mehr viel zu erzählen. Der Prachtbau verteidigte zwar seinen Posten und blieb darauf stehen, daß die Einladung eine Beleidigung sei; was er mit der seinigen anfange, ob er sie großmütig überhöre, ob er sie ernst oder scherzhaft nehme, sei seine Sache. Aber die Klöcklin habe es einmal ernst genommen und verlange Bestrafung.

Nachher kam Herr Leixner und redete von der gesunden, derben Kraft, die Gott sei Dank unserem bayrischen Volke innewohne und die gerade in jenem keineswegs abschreckenden, sondern anheimelnden Kernspruch einen glücklichen humorvollen Ausdruck gefunden habe, einen Ausdruck, der, so könne man wohl sagen, ein einigendes Band um alle Stände schlinge, indem er ja allen gemeinsam sei.

Dieses und anderes führte Herr Leixner aus, und da er viel redete und lang redete, konnte man dem Dachser beistimmen, daß der Mann eine gute Votzen habe.

Aber viel kürzer und besser machte es der Herr Oberamtsrichter Haberl. Er sprach die Dachserin frei und sagte: »Die Klägerin hat den besten Beweis gegeben, daß sie in der Einladung zur Kirchweih keine Ehrenkränkung erblickt. Denn sie hat den Mann, dem sie ihr Vertrauen schenkte, dem sie Dank und Respekt entgegenbringt, dazu eingeladen; sie wollte ihn gewiß nicht kränken oder ihm Mißachtung zeigen; sie wünscht ihm auch sicherlich alles Gute und hat ihm auch dieses in der besten Gesinnung gewunschen. Damit hat sie gezeigt, daß sie in dieser vielgebrauchten Redewendung gar nichts Schlimmes erblickt.«

Die Dachserin ging freudestrahlend aus dem Gerichtsgebäude, und jeder, der sie kannte, rief ihr lachend etwas Freundliches zu.

Der Klöcklin aber erging es nicht so gut. Herr Prachtbau, mit dem sie wegen Appellierens noch was reden wollte, rief ihr einige unwillige Worte zu und eilte mit Hast von ihr weg.

Vielleicht dachte er, weil der Prozeß wirklich verloren war, daß ihm nun statt der Gebühren nur jener andere Ersatz blühe.

Er lief mehr als er ging in den Markt hinunter, und als ihm die Klöcklin nacheilte, mußte sie von links und rechts höhnische Reden hören.

Und das geschah ihr recht. Möge es allen so gehen, die am guten alten Brauch rütteln.

 


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