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Die Wilderer

Das Dorf Bieberwiehr liegt in Tirol, an der Straße, die über den Fernpaß in das Inntal führt.

Die Einwohner sind kleine Bauern; der reichste hat so ein Dutzend Kühe im Stall.

Von der Viehzucht leben sie, schlecht und recht und in harter Arbeit. Ebenes Land ist nicht viel vorhanden und das meiste Gras müssen sie von den Hängen an der Sonnspitze herunterholen.

Es sind magere, unansehnliche Leute; nicht so, wie man die Tiroler gewöhnlich malt. Auch sind sie nicht so lustig, wie man das öfter liest.

Singen tun sie nicht; tanzen wohl auch nicht viel, und wenn sie eine Unterhaltung führen, geschieht es sonderbar ruhig.

Jeder denkt, daß man leicht zu viel redet, und auch, daß keiner so dumm ist, seine wahre Meinung zu sagen. Nebendem sind die Bieberwiehrer fromme Menschen, arg katholisch.

Sie sind es noch heute, aber vor siebenzig Jahren und so herum muß es ganz stark gewesen sein.

Und in der Zeit hat sich diese Geschichte zugetragen.

Also es war Fronleichnam, sagen wir Anno 1834.

Ein schöner Junimorgen, glockenhell. Nichts wie blauer Himmel über den steilen Wänden des Wettersteins und über dem waldigen Rücken des David.

Klare Luft und gelber Sonnenschein; ein Wetter, das einen feierlich stimmt selbst an mühsamen Werktagen.

Wie noch mehr, wenn die Arbeit ruht und alle Dinge einen festlichen Anstrich haben!

Und das hatten sie.

Bunte Altäre waren in den Wiesen aufgebaut, die Wege waren mit Gras bestreut, und im Dorfe standen vor jedem Hause lichtgrüne Birken. Aus den Fenstern hingen rote Tücher, und alle Häuser waren mit frommen Bildern geschmückt.

Die Böller krachten und schickten das Echo in die Berge hinein.

In Leermoos und Ehrwald blieben sie die Antwort nicht schuldig und schossen nicht minder eifrig den heiligen Tag an.

Aus der Kirche zogen nun in langer Prozession die Bieberwiehrer, Männer, Weiber und Kinder.

In der Mitte ging unter dem roten Himmel der hochwürdige Herr Pfarrer, angetan mit einem goldglitzernden Gewande und in Weihrauchwolken eingehüllt.

Den Himmel trugen die vier ehrbarsten Männer des Dorfes, darunter der Schreinermeister Holzweber.

Dann kamen die Behörden: der Herr Posthalter, zwei Grenzaufseher und drei Gendarmen. Sie trugen brennende Kerzen in den Händen und zeigten sich gottergeben und mit Frömmigkeit erfüllt.

Denn das war so der Brauch und die Forderung der Zeit. Mit Gottes Hilfe wird es auch wieder so kommen.

Die Prozession zog durch das Dorf, in die Felder hinaus.

So war es ein liebliches Bild. Die geputzten Menschen, die flatternden Fahnen; bunte Farben im Grünen.

Wo ein Altar stand, da hielten sie; die Gebete verstummten, und in der tiefen Stille las der hochwürdige Herr das Evangelium.

»Do–ho–hominus vo–ho–biscum!«

Seine fette Stimme klang über die Menge hin.

Die bekreuzte sich andächtig zu den fremden Worten und fiel auf die Knie, als der Geistliche die Monstranz zum Himmel hob.

Der Jakob Holzweber hielt ehrfürchtig den Hut vor das Gesicht und wisperte seinem Nachbar zu:

»Peter, da spür ich woltern ein starken Hirsch. Der hat Tritt. Schaug sell hin!«

Die Himmeltrager knieten zunächst dem Altar am Straßenrand, und da sah man auf dem feuchten Boden einige Hirschfährten.

Das heißt, wenn man die guten Augen vom Holzweber hatte, oder vom Peter Hosp, der sie gleichfalls bemerkte und dem Jakl zublinzelte.

»A–ha–ha–men!« sang der Schullehrer, und das letzte Evangelium war vorüber.

Die vier ehrbarsten Männer des Dorfes hoben den schwankenden Baldachin auf, der Pfarrer schritt darunter hin.

Heimwärts zu, denn jetzt war die heilige Handlung zu Ende gekommen.

 

Zwei Wirtshäuser waren in Bieberwiehr, und in jedem schenkte man einen guten Landwein; zehn Kreuzer das Viertele.

Aber in keines ging der Jakob Holzweber. Obwohl ihn der Posthalter darum anredete und ihn freundlich einlud.

»Ich kann nit,« sagt der Jakl, »du weißt selm, daß mei Frau nit ganz guet ischt; an anderes Mal, Posthalter.«

Damit ging er vorbei und bog beim Schmied in den Feldweg ein.

Mittenwegs holte ihn der Hosp ein, und weil ein paar Weiber in Rufnähe waren, redeten sie über das schöne Wetter und den guten Verlauf der heutigen Frömmigkeit.

»Es war heilig schön,« meinte der Jakob, »und so viel andächtig.«

»Und so viel andächtig, ja, ja!«

»Was isch, Peter?« fragte er, wie jetzt die Frauenzimmer weit genug weg waren.

»Von die Jäger war nit ein einziger da,« sagte der Hosp.

»Ich weiß wohl.«

»Der Kasper hat sie g'wahrt, wie sie in aller Früh über die Kapellen hinaus sind.«

»Die sein am Seeben, und der Reif paßt am Koppen. Mei Bueb isch im Leitnerstadel drein g'sessen und hat acht auf ihn 'geben.«

»Peter, mir geh'n ins Bayrische nüber.«

»Es isch woltern g'fährlich, Jakl.«

»Nit, wann man's richtig angeht.«

»Jakl, das letztemal is auf ein Haar krumm gangen.«

»Sell woll, und es is so g'wesen, wie i g'sagt hab'. Wann der Kasper mir g'folgt hätt, wär' alles besser gangen. So hamm mir den Gamsbock hinten lassen müssen.«

»Ja, ja,« brummte der Peter, »der Mensch is so viel hitzig; schiaßt er nit am helliachten Tage no a mol! Zu viel g'wagt, is leicht verspielt.«

»Heut geh'n mir's anderst an, Peter. Auf den Abend sein mir in der Schanz; der Seppel und der Kasper geh'n voraus und warten am Lehner bei der einschichtigen Lerchen. Der Mond kummt um elf Uhr, da kriag'n mir das schönste Liacht.«

»Der Weg is weit, Jakl, und länger wie zwei Tag kann i nit bleiben.«

»Sell isch lang g'nua. Zwei und drei Hirsch hamm mir schnell. I wart bei der Schanz.«

»Also i komm,« sagte der Peter und ging rechts ab, gegen sein Haus.

Bei der Türe drehte er sich um und rief:

»Jakele, um zwei isch der Rosenkranz.«

Der Holzweber blieb stehen und gab recht freundlich zurück:

»I weiß woll, Peter. Guet Morge!«

 

So lange man's denkt, waren die Hohenreiner bayrische Forstleute. Eine gute Jagdrasse, von einem Geschlecht zum anderen rein gezüchtet.

Kam einer zu Jahren, dann heiratete er ein frisches Bauernmädel und kriegte gesunde Buben.

Die wuchsen in den einsamen Forsthäusern heran wie junge Schweißhunde. Alle Sinne geschärft für das Weidwerk, dem sie vom ersten Tage an zugehörten; vom Vater in guter Lehre gehalten, scharf und eifrig im Beruf, sonst umgängliche Menschen, die gern einmal lustig waren.

In Griesen saß ein Max Hohenreiner; der hatte wieder zwei Buben.

Der älteste, auch Max mit Namen, war in Garmisch als Forstgehilfe stationiert, der zweite, der Anderl, saß daheim und wartete auf die Anstellung.

Der Vater konnte ihn wohl verwenden, denn das Revier war groß, und Lumpen gab es genug.

Der Anderl war wie alle Hohenreiner. Ein langbeiniger Kerl, scharfäugig und flink. Rotbraune Haare, die keinen Strich annahmen, die Nase leicht gebogen und mit Sommersprossen bedeckt, wie auch das bartfreie Gesicht.

Also kein bildsauberer Bursch, aber doch einer, dem die Mädeln gut sein konnten, wenn er Zeit für sie hatte.

Und das war nicht viel, denn der Herr Vater rauchte keinen Guten im Dienst.

Am Fronleichnamstag, vom dem ich erzähle, war der Anderl auf der Frühpürsch gewesen und machte sich jetzt auf den Heimweg.

Der feine Tag gefiel ihm, er setzte sich auf einen Stock und schaute das waldige Tal hinunter, welches sich von Griesen gegen Garmisch erstreckt.

Ein leichter Frühnebel lag über dem Loisachufer und kroch in halber Baumhöhe die Wälder entlang.

Volles Sonnenlicht lag auf den Felsen der Zugspitze, die heute merkwürdig klar in den Himmel ragte.

Den Anderl überkam ein rechtes Behagen an dieser Schönheit und er schaute freudig ringsherum. Dabei ließ er die stete Vorsicht des Jägers nicht außer acht und vermied alles Geräusch und jede hastige Bewegung.

Auf einmal tauchte so hundert Schritte unter ihm ein roter Fleck auf.

Ein Reh, das sich zwischen den Tannenboschen langsam bewegte und hier und dort an den frischgrünen Trieben äste.

Gespannt schaute der Anderl hinunter. Da zog das Reh weiter nach links; der Grind wurde frei.

Herrgottsaggerament! Ein Bock! Und was für einer! Gut Ding handbreit über die Luser reckte sich das Gewicht, dunkel, die Spitzen aber blitzten hellicht herauf. Der Anderl zog auf, lautlos, den Daumen am Hahn, den Zeigefinger am Drücker.

Der Wind war nicht gut, er ging von oben herunter, wie allemal an schönen Tagen.

Und weiß der Teufel, da hatte ihn der Bock schon gewindet und äugte herauf. Dann sprang er weg.

Nicht in voller Flucht, aber doch so, daß man die Unruhe merkte. Ein paar Sprünge, und er wäre im Dickicht verschwunden.

Da wußte sich der Anderl noch ein Mittel. Er stieß einen leisen Pfiff aus.

Der Bock den Pfiff hören und verhoffen war eins.

Diesmal äugte er schärfer herauf, schnurgerade auf den Anderl hin.

Nur einen Augenblick, aber lange genug.

Der Schuß krachte, der Bock schlug mit den hintern Läufen aus und sprang abwärts in das Dickicht hinein, daß die Steine flogen. Dann war es still.

»Saggera,« sagte der Anderl, »den hab i woadwund g'schossen. Nachgeh' derf i eahm gar net; jetzt muaß i's scho lassen, wia's is.«

Er rückte den Hut aus der Stirne und schaute nachdenklich auf die Stelle hinunter, wo der Bock gestanden hatte.

Dann legte er die Büchse wieder an und zielte.

»Grad um a Ruckerl war's z'toa g'wen. A bissel weiter, wenn i vorn' ablass', lieget der do. Jetzt gibt's a lange Suach, und der Alt werd' aa net schlecht schimpfa.«

Er stand auf und pürschte leise weg.

Schritt für Schritt, und mit großer Achtsamkeit, stieg er bergab, damit ihn der kranke Bock nicht vernehme und noch einmal hoch würde.

Wie er so eine Viertelstunde lang gegangen war, trat plötzlich rechts neben ihm ein baumlanger Mensch aus dem Hochholz auf ihn zu.

Ein alter Kerl, verwittert wie ein Tannenbaum. In dem braunroten Gesichte, noch mehr aber in dem lederfarbenen Halse waren scharfe Furchen, als hätte man sie mit dem Messer hineingeschnitten.

Ein Raubvogelgesicht; die scharf gebogene Nase hing über dem buschigen weißen Schnurrbart, dessen Haare sich wie Federn sträubten.

Kalte, graue Augen mit kleinen Pupillen, die sich ruhig, aber scharf auf einen Gegenstand richteten, nicht hin und her fuhren und Gedanken verrieten. Wer den alten Burschen sah, mußte erkennen, daß er schon lange in des Herrgotts grünem Walde herumrevierte.

Und das war auch nicht daneben geraten.

Denn der Jagdgehilfe Lorenz Sprengelsperger tat schon über vierzig Jahre Dienst, und er hatte wahrhaftig nicht alle Nächte im Bette geschlafen.

»Ah, der Lenzei!« rief Anderl und nickte dem Alten freundlich zu.

Der erwiderte den Gruß und fragte:

»Hast auf an Bock g'schossen, Anderl?«

»Ja.«

»Auf der Roaner Leiten, gel?«

»Ja, auf der Roaner Leiten.«

»Aufklaubt hast'n net?«

»Na, woadwund hab i 'n g'schossen, den Herrgottsaggerament,« sagte der Anderl eifrig, »a Mordstrumm Sechserbock is. Aba woaßt scho, wia's oft geht; er is ma z'schnell uma. Grad halt no, daß i z'schiaßen kemma bi. Da hab i's um a Handbroat z'weit hint' schnallen lassen.«

»Hat's 'n a bissel z'sammg'rissen?«

»Ja, und mit de hinteren Läuf hat a 's Zoacha geben.«

»Do, da kriag'n ma'n scho, Anderl. Der is net weit g'sprunga. Mir ganga jetzt mitanand hoam und hol'n mein Pürschei Pürschmann, ein Hundename.. Der führt ins am Schwoaß, daß 's nix Schöneres net gibt.«

»Vom Alten wer i an Schnaps Schelte kriag'n,« meinte Anderl.

Der Sprengelsperger schmunzelte ein wenig und sagte:

»Ah was! Dös is eahm aa scho passiert; aba jetzt geh ma, i ho Zeit, daß i hoam kimm.«

Sie erreichten bald die Garmischer Straße und schritten rüstig gegen Griesen zu.

»Wo bist denn du herkemma?« fragte Anderl.

»Über d' Laaber G'schwend bin i einag'stiegen, und waar schö staad hoam. Da hon i dein Schuß g'hört und bi eahm nachganga.«

»Hast eppa gar glaabt, es waar a Lump um an Weg?«

»No, ma woaß net.«

»Jetzt da herin traut si ja do koaner z'schiaßen! So nah bei der Straßen!«

»Moana sollt'st das! Aba de Luada san jetzt so frech wor'n, daß all'ssamt mögli waar.«

»Hast wieder oa g'spürt?«

»G'spürt? Ja, g'spürt! Auf drei Büchsenschuß bin i dro g'wen. Und wenn nit da Teufi sei G'spiel dabei g'habt hätt', nacha hätt' oana mei g'hört.«

»In da G'schwend hinten?«

»Ja, de vorig Woch'. Beim helliachten Tag, in da Fruah um simmi. I steh obern Holzer Schlag; da fallt hinter meiner a Schuß. Du woaßt ja, wo de Graßlerwand an Eck einamacht? Hinter dera is g'wen. Ich glei umi, wia da Teufi, über d' Reißen; aba da hat mi scho oana g'spannt. I hör an Pfiff, und wia'r i übers Wandl umi kimm, siach i grad no, a vierhundert Schritt unter meiner, wia'r oana in d' Latschen einispringt. Aufziag'n und schiaßen is oans g'wen, aber treffa hon i 'n net kinna. Es is ja oamal z'weit g'wen. Jetzt schau di o, a solchene Frechheit!«

»Herrgott, do wenn i dabei g'wen waar!« sagte der Anderl.

»Hättst 'n aa nimmer dawischt. Der Lump hat z'viel Vorsprung g'habt. Und es san aa mehra beinand g'wen, so Tiroler Spitzbuam.«

»De Lumpen, de vadächtigen,« stimmte Anderl bei.

»Woaßt, wia'r i abikimm,« fuhr der Sprengelsperger fort, »liegt a Gamsgoaß da. 's Kreuz hamm 's ihr a'gschossen. Aba mir kemma scho no amol z'samm, und nacha geht's anderst. Mi soll da Teufi lotweis holen, wenn i net oan 'naufschiaß, daß er flacken bleibt auf da Votzen. Den leg i um, oder i ho's no nia to!« So zornig war der Sprengelsperger geworden, daß ihm die Pfeife ausging. Er blieb stehen und zündete sie wieder an und blies den Rauch links und rechts durch den Schnurrbart hinaus.

Und dazwischen kamen wieder ehrende Namen für die glaubenstreuen Tiroler, »de Hund, de miserabligen, de ganz schlechten.«

Der Anderl nickte beistimmend mit dem Kopfe und hörte dem Alten zu.

Aber doch nur mit geteilter Aufmerksamkeit, denn er sah weiter vorne ein Frauenzimmer des Weges kommen und dachte, wer es wohl sein könnte.

»De Lumpenbande, de ausg'schamte!« sagte der Sprengelsperger und setzte sich wieder in Gang.

Und achtete in seinem Eifer nicht auf das Weibsbild, welches jetzt nahe herankam.

Desto besser spitzte der Anderl hinüber, was ihm nicht zu verübeln war. Das Mädel hätte sich jeder angeschaut.

Kein Gesicht wie Milch und Blut, ziemlich grobe Züge, aber Brust und Hüften im besten Stand.

Und wie sie den sinnlichen Mund zu einem Lachen verzog, sah man die weißen Zähne, einen am andern.

»Di sollt' i kenna, Deandl,« sagte der Anderl und blieb stehen.

»A wengei kennst mi scho,« sagte das Mädel und lachte wieder.

»Hamm mir net am Garmischer Markt beim Husarenwirt tanzt?«

»Ja.«

»Gel, i ho mir's do glei denkt. So was Saubers vergißt ma net.«

»Geh, hör' auf! Hast lang gnua braucht, bis dir ei'g'fallen is.«

»Na, na, Deandl,« versicherte der Anderl eifrig, »mi hat's grad 'blend, wia'st a so resch daher kemma bist. Wia kimmst denn du da eina?«

»Auf de Buachwieser Alm kimm i. Da bin i z'erscht zu enk eini, auf Griesen.«

»Gehst grad a so auf d' Alm?«

»Na, i mach' heuer d' Sennerin droben.«

»Was? Ja, Herrgott! Du, do kimm i fei aufi zu dir.«

»Vo mir aus.«

»Laßt mi eini, bal i klopf' bei der Nacht?«

»Bei der Nacht schlaf i,« sagte das Mädel und streifte den strammen Burschen mit einem Blick, der ihm alles Gute versprach.

Der Anderl blinzelte lustig mit den Augen.

»I weck' di schon auf,« sagte er, »aba jetzt pfüat di Good, i muaß geh.«

»I hon aa koa Zeit mehr,« gab sie zurück, »pfüat di!«

Sie drehte um und ging.

Und was sie von rückwärts zeigte, war auch nicht schlecht. Die Röcke flogen, einmal rechts, einmal links, und der Anderl rief ihr nach:

»Laß mi net z'lang warten bei der Nacht! Es is no kalt.«

Und sie antwortete mit einem fröhlichen Lachen.

Jetzt machte der Anderl kehrt und eilte dem Sprengelsperger nach.

Den hatte die Begegnung nicht gestört in seinen Gedanken; er zog noch grimmig an seiner Pfeife und sagte nach einiger Zeit:

»Oan leg' i um von dena Herrgottsaggerament. Dös woaß i g'wiß.«

Der Anderl hörte es nicht; er dachte an etwas anderes.

»Schön hoch is am Berg, und eb'n is am Land,
Und a almerisch Deandl hat Holz bei der Wand.«

›Dös hot s' aber aa,‹ wiederholte er in Gedanken und griff mit seinen langen Beinen aus.

Da schimmerte rechts vom Wege etwas Weißes aus dem Walde heraus. Es war das Forsthaus Griesen, welches außen so freundlich und sauber erschien wie innen.

Hier grüßte von allen Wänden das edle Weidwerk. Im Hausflur der Gewehrrahmen mit einer stattlichen Reihe von Büchsen; daneben Schneereifen, Tellereisen und Entenfallen; in den Zimmern hing ein Hirschgeweih neben dem andern; dazwischen Rehgewichtel und Gamskriekeln, die meisten gut; nur selten ein geringes darunter.

Ausnehmend behaglich war die Wohnstube. Der gescheuerte Tisch, die kleinen schneeweißen Vorhänge gaben der Frau Förster kein schlechteres Zeugnis als die wohlgepflegten Blumenstöcke an den Fenstern.

Doch wer ihr Schaffen recht würdigen wollte, mußte in die Küche gehen und das blinkende Geschirr sehen.

Da hing alles am rechten Platze, Kessel und Pfannen, und vor dem reinlichen Herde stand eine kleine Frau, aus deren Gesichte ein Paar blanke, ehrliche Augen sahen.

Die Haare waren schon grau, aber die flinken Hände ließen nicht an Alter und Gebrechlichkeit denken.

Es war ihr gut zusehen beim Arbeiten; und das mochte auch der Herr Förster denken, welcher breitbeinig unter der Türe stand und die Hände hinter dem Rücken zusammenlegte.

Er hatte eine behagliche Müdigkeit und einen scharfen Hunger heimgebracht.

»So is recht, Muatta,« sagte er aufmunternd, »koch ma no an großen Teller voll Voressen; i wer scho firti damit.«

»Kimmt der Anderl net hoam?« fragte seine Frau entgegen.

»I denk wohl. An Schuß hab i aa g'hört. Dös muaß er g'wesen sei. Ach, do is er scho.«

»No, was is?« wandte er sich an den Anderl, der eben eintrat und Hut und Büchse an den Rahmen hing.

»Grüaß Gott, Vata! A Bock is, aba z'erscht müaß'n ma'n suacha. Grüaß di Gott, Muatta! Was kochst denn auf?«

»Dös is bei dir allaweil 's erst,« erwiderte die Alte und gab dem Burschen lachend die Hand.

»No, und warum hast den Bock net kriagt?« mischte sich der Vater wieder ein. »Wo hast'n denn hi'g'schossen?«

Der Anderl kratzte sich verlegen hinter dem Ohre.

»I glaab schier gar, a bissel woadwund.«

»Bist halt a Patzer, solang'st warm bist. Hast da halt wieder amal net Zeit lassen?«

»I hab scho koa Zeit g'habt. Dös hat g'schwind geh' müassen. Aber da Sprengelsperger moant aa, mir hamm an schnell mit'n Hund.«

»Is denn da Sprengelsperger bei dir g'wen?«

»Na, aba 'r an Schuß is er nachganga.«

»So, is er jetzt dahoam?«

»Ja, drent in sein Stübl. Er wird glei umakemma.«

Der Anderl winkte seinem Vater verstohlen mit den Augen. Er durfte vor der Mutter nichts erzählen von den Wilderern.

Die Frauenzimmer sind immer gleich ängstlich, und dann können sie ein Geheimnis erst recht nicht halten.

»Ja, geh ma'r in d' Stuab'n,« sagte der Förster, »d' Muatta bringt uns nacha 's Essen eini.«

Er ging voran und gab acht, daß Anderl die Türe hinter sich schloß.

»Was gibt's?« fragte er dann kurz.

»Der Sprengelsperger hat auf an Lumpen g'schossen.«

»Hat er'n umg'legt?«

»Na; es is viel z'weit g'wen.«

»Wo hat er'n auftroffa?«

»Beim Holzer Schlag. Es san eahna mehra g'wen.«

»Beim Holzer Schlag? Mitten im Revier hierin? Ja, da soll ja do scho glei …«

»Sei staad, Vata! D' Muatta kimmt.«

Die Frau Förster brachte das Essen herein und stellte es auf den Tisch. Es entging ihr nicht, daß mit dem Alten eine Veränderung vorgegangen war.

»Was machst denn auf oamal für a G'sicht?« fragte sie.

»Ah was? Wenn der Kamerad an Bock wieder woadwund schießt! Konn i mi scho ärgern!«

»So, wegen dem Bock?« Sie sah ihren Mann mißtrauisch an.

Der zog den Teller näher zu sich und fing recht unbefangen das Löffeln an.

Die Frau Förster wußte, daß sie mit Fragen zu nichts komme, und ging zur Türe.

»Der Sprengelsperger is draußen,« sagte sie.

»Soll a no glei einakemma!« rief der Förster eifrig.

»Aha! Jetzt woaß i, daß wieder was los is,« meinte die Alte.

»Ah, was da du allaweil ei'bildst! Nix is los. He, Lenzei, kimm eina!«

Der Sprengelsperger erschien unter der Türe, und als ihn der Förster so auffällig vor seiner Frau fragte, was er zu melden habe, da wußte er gleich Bescheid.

Und auf eine Lüge hatte er sich nie besinnen müssen, solange er reden konnte. Er stellte sich hin und sagte mit einem recht überzeugenden Pflichteifer:

»Herr Förster, einen recht schönen Gruß soll ich ausrichten vom Herrn Oberförster. Und ob der Herr Förster nit mit'n Herrn Oberförster morgen z'sammkomma will am Oachlköpfi hint', weil der Herr Oberförster einen Bock schießen möcht, hat er g'sagt.«

»Dös is aba fad!« meinte der Förster, »grad morg'n is ma z'wida. Wo hat denn di der Teufi mit'n Oberförster z'sammbracht?«

Er durfte die Frage riskieren, denn er kannte seinen Sprengelsperger und wußte, daß den kein Beichtvater in Verlegenheit bringen konnte.

»Beim Buachwiaser Eck hab' i 'n troffa. Er is vo Grainau kemma. ›Dös is g'scheit,‹ hat er g'sagt, wia 'r a mi g'sehg'n hat, ›daß ich Ihnen treff', Sprengelsperger,‹ sagt er, ›jetzt können glei Sie die Botschaft übernehmen. Sunst hätt ich ein von meine Leut nach Griesen schicken müssen,‹ hat er g'sagt.«

»So, so!« brummte der Förster, »wenn's eahm an andersmal ei'g'fallen waar, hätt i 's liaba g'habt.«

»Hast für'n Sprengelsperger net aa 'r an Teller voll?« fragte er seine Frau.

»I glaub, es is no was da,« antwortete sie und ging zögernd hinaus. So ganz traute sie der Geschichte nicht, aber zu machen war da nichts. Das sah sie wohl ein.

Als sie draußen war, sagte der Förster: »I kimm nacha zu dir umi, Lenz.«

Der Sprengelsperger nickte zustimmend, setzte sich neben den Anderl hin und nahm mit Dank das Voressen in Empfang, welches ihm die Försterin brachte.

Er aß mit vielem Appetit und rief einen schönen Gruß und nochmal ein Vergelt's Gott in die Küche hinein, als er ging.

Eine gute Stunde später kam der Förster zu ihm und ließ sich den Vorgang haarklein erzählen.

»Tiroler san's g'wen; dös is g'wiß,« meinte er, »aba wia sie de Lumpen so weit eina traun, des sell vasteh i net. An Tag ehnder, wenn s' rüber waaren, hätten s' ma in d' Händ einalaffen müassen an der brennten Wand droben. Aba grad gestern bin i auf der drentern Seit' g'wen. Und der Anderl hat nach Partenkirchen eini müassen.«

Der Sprengelsperger pfiff leise durch die Zähne und fragte:

»So, der Anderl war z' Partenkircha? Dös hat a ma no net g'sagt. Herr Förster, is über dös g'redt wor'n, daß er eini muaß?«

»Net, daß i 's woaß. Warum fragst, Lenz?«

»I moa grad.«

»Halt!« sagte plötzlich der Förster, »oana hat's do g'wißt. Der Oberaufseher hat eahm an Brief mitgeben. Aba vo dem hört's do koa Lump!«

»Von eahm net, aba vielleicht von an andern.«

»Lenz, du hast an Vadacht. Ruck außa damit!«

»Herr Förschter, zu 'r an Vadacht g'langt's no net, aba 'r im Wind hab i a bissei was.«

»Red halt!«

Der Sprengelsperger sah nachdenklich auf den Boden, und dann sagte er bedächtig:

»Vor a Wochen a fünf is bei die Österreicher a neuer Grenzer ei'g'stellt wor'n, net wahr?«

»Ja. Der Redenbacher oder wia 'r a hoaßt.«

»Der is a Tiroler. Vo Leermoos is a, hamm s' mir g'sagt.«

»Und nacha?«

»Dem sellen trau i net, Herr Förschter, daß i 's glei schnurgrad sag! Dem trau i net weiter, als i 'n siech.«

»Da muaßt do an Grund dafür hamm?«

»Dös ko ma net allaweil so sag'n. Wenn i an ganz an g'wissen Grund hätt', nacha hätt' i scho lang mit Eahna g'redt. Aba zu dem hat's net g'langt.«

Der Sprengelsperger machte eine kleine Pause. Dann fuhr er fort:

»Sehg'n S', Herr Förschter, wia 'r i den schelchaugeten Kerl zum erschtenmal g'sehg'n hab, do hon i mir glei denkt: Manndei, du g'fallst ma net. Und dös is blieben. No, nacha is ma 'r aufg'fallen, daß der Mensch an Aug auf ins hat. I ko bei 'n Tag und auf 'n Abend net kumma und net furtgeh', daß der Kamerad net beim Zollhäusl heraus steht oder sunst um an Weg is. Und nacha grüaßt a so freundli, und is ma 'r aa schon vorkemma, daß er mi g'fragt hat: ›Wo gehen S' heut no hi, Herr Sprengelsperger?‹«

»Lenz,« sagte der Förster nachdenklich, »jetzt fallt's ma selber auf, daß ma den so oft siecht; viel öfter wia 'r an jeden von de andern.«

»Ja, passen S' no auf; der Ostler Hans is de vorig Woch in da Schanz drin g'wen. Wia 'r a in d' Stuben nei kimmt, siecht er den Kerl da, den Redenbacher, bei a paar Tiroler am Tisch hocken. Es waar eahm weiter net aufg'fallen, wann de Kameraden net auf oamal so mäuserlstaad g'wen waaren. Der Grenzer hat si glei drauf am Weg g'macht, und d' Wirtin fragt 'n, ob's eahm denn gar a so pressiert. ›Heut scho,‹ sagt er und is außi. Wia 'r aba der Ostler Hans a guate Viertelstund spater amol außi geht, siecht er'n hinterm Haus stehn und mit oan von dena Tiroler reden. Und grad notwendi hat er's g'habt. Des sell is an Hans so g'spaßi fürkemma, daß er ma's glei am nächsten Tag vazählt hat.«

»Da schau her, a so a Schlaucher is dös!« brummte der Förster vor sich hin.

»Ja, schlauch!« sagte der Sprengelsperger, »der kimmt mir net schlauch vor. A recht a dumma Teufi is, sinscht waar er net nach fünf Wocha vadächti. Den kriag i leicht g'nua dro, den Tiroler Spitzbuam, den ganz miserabligen.«

»Hm, ja. Vielleicht is was dro, Lenz.«

»I moa scho. Und hat uns der Bazi oamal auf'n Weg paßt, nacha tuat as öfta.«

Der Förster stand auf und schaute nachdenklich zum offenen Fenster hinaus. Nach einiger Zeit drehte er sich um und sagte in seiner ruhigen, bedächtigen Weise:

»So weit rei ins Revier trau'n si de Lumpen de erst Zeit nimma, weil'st g'schossen hast, aba um d' Grenz rum is koan Tag net sauba. Du und der Anderl, ös zwoa geht's heut nach 'n Essen in d' Roaner Leiten hintri und schaugt's, daß den Bock kriagt's. Bal's 'n habt's, brecht's 'n auf und versteckt's 'n guat. Auf 'n Abend kemmt's uma ins Buachwieser G'steig. Da halt's enk heut amol, und bal nix B'sonders net is, morgen in der Fruah aa no. I kimm um a zehni auf d' Buachwieser Alm. Notabene, koana schießt, außer es geht auf an Lumpen. Hast mi guat vastanden?«

»Jawohl, Herr Förschter.«

»Nacha is recht. I wer jetzt a bissel zum Oberaufseher in Hoamgarten nüber geh'. Vielleicht is der Herr Redenbacher wieder um an Weg. Mit 'm Anderl red i no. Du holst 'n um zwoa ab; ös geht's aba net hint' außi, sondern auf da Straßen, daß enk a jeder sehg'n ko.«

»Jawohl, Herr Förschter.«

»So, nacha pfüat di! Und no was. Bal'st an Anderl abholst, gehst z'erscht zu uns nei, und wann grad mei Alte da waar, nacha verzählst ihr, daß ös zwoa den Rehbock suacht's.«

Damit ging der Förster. Eine halbe Stunde später schlenderte er gemächlich zum österreichischen Zollhaus hinüber.

Das lag friedlich da im warmen Sonnenschein und zeigte die behagliche Ruhe, welche allen k. k. Amtsgebäuden eigentümlich ist.

Auf der Bank, die neben der kleinen Freitreppe stand, lag eine Katze und blinzelte in die Sonne hinein; drei oder vier Hühner gruben sich in den heißen Sand.

Sonst war weit und breit nichts zu sehen.

Im kühlen Amtszimmer saß ein Grenzer und blies nachdenklich den Tabakrauch vor sich hin.

Von Zeit zu Zeit nahm er die Pfeife aus den Zähnen und spuckte im weiten Bogen vor sich hin.

Dieser beschauliche Mensch war Josef Redenbacher, und als der Förster ihn sah, war er angenehm überrascht.

Er grüßte ihn freundlich und fragte nach dem Oberaufseher.

»Der wird wohl oben sein,« antwortete Redenbacher. »Warten S' ein wenig, ich hol'n gleich herunter.«

Nach einiger Zeit erschien der Stationsvorsteher Praxenthaler, ein kleiner, dicker Mann, mit einer sehr fetten Stimme. Jedes Wort klang, als wäre es in Schmalz gebacken.

»Ah, der Hohenreiner! Mit was kann ich dienen?«

»I hab di grad frag'n wollen, ob ma net zum Kaffee a kloans Taröckerl machen? Mei Alte spielt aa mit.«

»Warum denn nicht? Da bin ich allemal dabei.«

»Aba recht lang konn i net spielen; um a vieri muaß i ins Revier.«

»Da fang'n mir halt ein bissel früher an; glei nach 'm Essen.«

»Gilt scho,« sagte der Förster und trat mir seinem Freunde vor das Haus. Er bemerkte, daß die Fenster offen standen, und war überzeugt, daß Herr Redenbacher sich in ihrer Nähe aufhielt. Er redete nun in gedämpftem Ton, daß es den Anschein hatte, als wollte er etwas Geheimes verhandeln.

»Praxenthaler,« sagte er, »mir hamm wieda Lumpen im Revier.«

»Ah!«

»Der Sprengelsperger hat a Gambsgoaß g'funden, erscht vor a paar Tag.«

»Hat er s' nit derwischt?«

»Na, dösmal san s' auskemma. Aber woaßt, allemal geht's net so.«

»Wo is denn das passiert? An der Grenz?«

»Na, beim Holzer Schlag. Aber, Praxenthaler,« sagte der Förster leise, »vielleicht probieren's de Tropfen und holen de Gambsgoaß.«

Dabei blinzelte er seinen Freund an.

Der Herr Oberaufseher machte ein pfiffiges Gesicht und lachte herzhaft.

»Das mag leicht sein,« schrie er mit seiner Trompetenstimme, »das mag leicht sein, und wenn s' kommen, finden s' vielleicht auch was? Mußt wahrscheinli deswegen schon fort um vier Uhr?«

»Pst!« machte der Förster, »du muaßt über dös net reden. Aber sei kunnt's, daß de Lumpen kemma, weil Feiertag is.«

Ein Fensterflügel rührte sich, fast unmerklich, aber Hohenreiner hatte es blitzschnell gesehen.

Er wußte, daß der Lauscher genug gehört hatte, wenn der Verdacht Sprengelspergers begründet war, und dachte, daß ein längeres Reden ihn stutzig machen konnte. Deswegen nahm er Abschied von dem ehrlichen Praxenthaler, der sich in das Amtszimmer begab und gemeinschaftlich mit Herrn Redenbacher k. k. Kommißtabak verbrannte.

Es war ein paar Stunden später, gegen zwei Uhr mittags.

Der alte Sprengelsperger holte seine Büchse vom Nagel herunter und prüfte das Schloß. Er stach mit einer Nadel durch die beiden Zündlöcher, um sich zu vergewissern, daß sie nicht durch Staub oder sonstwie verstopft seien; dann setzte er neue Zündhütchen auf und sicherte die Hähne.

Als er damit fertig war, pfiff er dem Hunde, der freudig an ihm heraufsprang, und ging.

Vor dem Forsthause wartete er auf den Anderl und grüßte die Frau Förster, welche sich im Garten an den Blumenbeeten zu schaffen machte.

Sie winkte ihm und trat selbst an den Zaun heran.

»Sprengelsperger,« sagte sie, »ich hab's schon kennt, daß was los is. Mei Mann will mir's ausreden, aber i kenn euch alle gut g'nug.«

»Aba, Frau Förschterin, wia S' no solchene Ängsten hamm mögen. Der Anderl hat halt an Bock ang'schossen, und den derf'n ma do net verfaul'n lassen.«

»Ja, ja; is scho recht. Du redst halt, was dir ang'schafft is. Aba glaubst denn, i hab's net g'merkt, daß du wegen was B'sondern rüberkommen bist, und daß mei Mann bei dir drent war? Und daß i heut nach 'm Essen mit 'n Oberaufseher hätt' tarocken sollen, des hat do aa sein Grund g'habt.«

»Ja, aba wenn i Eahna sag …«

»Geh, sei staad! Sag'n tuast ma's ja do net; aba des muaßt ma wenigstens versprechen, gib mir acht auf'n Buab'n.«

»Jetzt, Sie san g'spaßig, Frau Förschterin. I woaß net, was i da sagen soll.«

»Nix, weil'st mi ja do bloß o'lüagst. Aba gib acht auf'n Anderl. I bin in der größt'n Angst dahoam.«

Sie reichte ihm die Hand über den Zaun, und Sprengelsperger drückte sie mit einer verlegenen Gebärde. Er war froh, daß Anderl endlich aus der Türe trat und dem Gespräch ein Ende machte. Dieser grüßte die Mutter flüchtig, wie er es sonst gewohnt war, und trieb zur Eile an. Die alte Frau wollte nicht zeigen, daß sie eine schwere Sorge bewegte. Sie trat darum in das Haus, mit einer Hast, die dem Anderl auffiel.

»Was hat denn d' Muatta?« fragte er.

»De hat's guat g'spannt, daß heut was net sauber is,« gab der Sprengelsperger zur Antwort. »Mi hat's anderst in d' Eng trieben, mei Liaba! Dei Muatta waar guat zum Beichtsitzen. Sappera no amol!«

»Ja no,« sagte der Anderl gleichmütig, »mir könnan ihr net helfa, wann's as aa g'neißt hat. Aba jetzt mach, daß ma weita kemman!«

Sie setzten sich frisch in Gang. Nach ein paar Schritten blieb der Sprengelsperger stehen und bückte sich zu seinem Hunde nieder. Er tat so, als richtete er etwas am Halsbande; dabei warf er einen forschenden Blick zum Zollhause zurück und bemerkte Herrn Redenbacher, der zufällig seinen Kopf zum Fenster herausstreckte.

Der Alte richtete sich auf und schritt mit einem heimlichen Lachen um die Mundwinkel dem Anderl nach.

»Den Fuchs kriag'n ma,« sagte er zu sich selber. »I wett an Kaisergulden, daß er in a paar Stund bei de Lumpen is und was ausplaniert.«

Er ging schweigend neben seinem Begleiter her, in langen, zügigen Schritten, und überdachte sorgfältig, wie die Lumpen ihren Pürschgang anstellen könnten, und wo sie am ehesten zu fangen wären.

Anderls Gedanken waren nicht so strenge auf einen Gegenstand gerichtet. Der Vater hatte ihm den Plan mitgeteilt, und er war als richtiger Jäger mit Eifer bei der Sache. Daneben hatte er doch herausgehört, daß die Zusammenkunft auf der Buchwieser Alm sein sollte. Er mußte an das Weibsbild denken, dem er heute begegnet war, und er dachte gern daran. Bei der brauchte es keine langen Reden; und ein schlechter Brocken wäre sie auch nicht. Teuflisch gut gestellt; wie ihr die Röcke um die Beine schlugen, war es zu sehen. Vielleicht konnte er in der Nacht auf die Alm; das wäre nicht zuwider.

So schritten die zwei auf der schattenlosen Landstraße dahin, und keiner redete ein Wort.

Nach einer halben Stunde bogen sie links ein und stiegen bergauf, bis sie zur Anschußstelle kamen.

»Anderl,« sagte Sprengelsperger, »halt du an Hund und laß mi suacha.«

Er blickte scharf auf den Boden und sah bald genug die Rehfährte.

»Da is da Bock uma; wo hast'n g'schossen, Anderl?«

»Geh no an Schritt a zwoa weita füri, Lenz; halt! Jetzt bleib steh'! Da muaß g'wen sei.«

Sprengelsperger kniete nieder und breitete mit der Hand das Gras auseinander.

Plötzlich stieß er einen leichten Pfiff aus und rief:

»Hat 'n scho! Ah, do schau her! Du hast eahm durch d'Leber g'schossen.«

Anderl trat heran und betrachtete die dunkeln Schweißtropfen, welche an den Grashalmen hingen.

Sprengelsperger ging einige Schritte weiter.

»Da geht scho wieda a Lack'n Schwoaß her,« rief er, »der hat ja damisch g'schwoaßt, Anderl. I moan, den hamm ma schnell. Gib ma'r amol an Pürschei her!«

Er führte den Hund, welcher schon unruhig an der Leine zog, zur Anschußstelle.

Pürschei schnupperte gierig am Boden, und als ihn Sprengelsperger losließ, verschwand er rasch im Dickicht.

»Der hat'n bald, Anderl, werst as sehg'n,« sagte der Alte.

»Moanst net, mir sollen eahm nachgeh?«

»Ah, g'wiß net. Der verbellt 'n so schö, daß 's nix Zwoat's gibt. Der Bock liegt koane hundert Schritt weit drin, paß amol auf.«

Er zündete bedächtig seine Pfeife an, während Anderl gespannt horchte.

Plötzlich tönte helles, scharfes Bellen aus dem Hochwalde herüber; der Hund gab Laut; wenn er in gleichmäßigen Pausen absetzte, gab das Echo deutlich die Töne zurück.

Sprengelsperger verzog sein Gesicht zu einem freundlichen Lachen.

»Hörst'n? Ja, da Pürschei! I kenn' an ja!«

»Laß da no Zeit, Anderl; dös pressiert gar net; und an Hund müassen ma 'r an Bock no a bissel verbellen lassen. I hör's oamal z'gern.«

Seine Augen schauten vergnügt darein, und er nickte jedesmal zustimmend mit dem Kopfe, wenn der Hund in gleichmäßigen Absätzen anschlug, kräftig und voll.

»So, jetzt geh ma umi!« sagte er nach einer Weile und schritt dem Anderl voran über die Lichtung.

Sie umgingen das Dickicht und näherten sich von oben der Stelle, an der Pürschei Laut gab.

Sprengelsperger blieb stehen und deutete mit dem Bergstocke nach unten.

Da lag unter einer mächtigen Tanne der Bock verendet, und vor ihm stand der Hund; ein erfreuliches Bild für einen Jägersmann.

Sie stiegen rasch hinunter. Sprengelsperger lockte den Hund herein und lobte ihn für sein braves Verhalten. Inzwischen musterte Anderl vergnügt den stattlichen Bock.

»Der hat sauber auf; wia 'r a ma 's denkt hab. Handbroat über d' Luser; schau her, Lenz!«

»A schön's G'wichtel,« sagte der Alte, »da ko'st dei Freud dro hamm. Und a guata Bock; achtadreiß'g Pfund hat a g'wiß.«

Sie suchten nach dem Schusse.

»Stimmt scho,« meinte Anderl, »i hab eahm durch d'Leber g'schossen. Is no besser ausg'fallen, als i g'moant hab.«

Dann brach er den Bock auf, weidgerecht, ohne die Ärmel aufzustülpen oder die Joppe auszuziehen. In der damaligen Zeit hielt man darauf, daß ein Jäger nicht wie ein Metzger hantierte.

Als er fertig war, zog er den Bock in das Dickicht und bedeckte ihn mit Fichtenzweigen.

»Steig' i aufi auf d'Alm,
Ja, da werd ma's Herz weit – und
Siech i d' Senndrin geh',
Tuat s' mi grüaß'n schö',
Ko's nit sag'n, wie's mi' freut.«

(Altes Lied)

Die Nacht kam heran; eine helle, warme Sommernacht. Blaue Schatten kamen die Felsen herunter und senkten sich in das Tal; an den steilen Wänden verglühte langsam das Licht der scheidenden Sonne, und über ihnen wölbte sich der dunkle Himmel.

Da und dort blitzte unruhig flimmernd ein Stern auf und sah dann mit ruhigem Scheine herab.

Der Bergwind fuhr in die Gipfel der Tannen, und sie rauschten so feierlich, daß es klang wie voller Orgelton.

Alle Dinge, in der Ferne und Nähe, nahmen große, seltsame Formen an; drohend streckten die Bäume ihre riesigen Äste aus; Gesträuche und Stockwurzeln zeigten verzerrte Gestalten. Der Wald war lebendig geworden.

Ein Schatten löste sich von seinem Rande los; nun stand er im hohen Grase. Eine Hirschkuh, die erschrocken den Grind emporhielt und nach einer mächtigen Fichte äugte.

Unter der saß Anderl und zog unruhig die Füße an sich. Seit vier Stunden war er auf dem Posten; nichts Verdächtiges hatte sich geregt, und nun kam die Dunkelheit.

Was wollte jetzt noch ein Wilderer tun? Auf fünf Schritte hätte man nicht schießen können. Er visierte gegen das Stück hin; das Korn war nicht mehr zu sehen. Da wurde er ungeduldig, und so leise auch das Geräusch war, im Augenblicke hatte das Tier es vernommen, warf den Grind auf und setzte in den Wald zurück.

»Geh zu'n Teufi!« brummte der Anderl mißmutig.

Himmelseiten, war das langweilig! Gibt's ja gar nicht, daß Lumpen kommen. Und der Sprengelsperger wollte auf das Mondlicht warten, also noch zwei Stunden. Zu was denn da heraußen?

Das könnte man doch leichter auf der Hütte. In einer Viertelstunde wäre man drüben, und wenn ein Schuß fiel, den hörte man dort auch. Und von der Hütte wären es nicht mehr wie tausend Schritte zur Buchwieser Alm. Und wie das Mensch sauber gestellt war! Und das Lachen. Die hielt die Türe nicht zu, wenn er klopfte. Der Anderl zog wieder die Uhr heraus.

Ah was! Vor zwei, drei Stunden rührt sich nichts. Und derweil war er lang zurück; eine Viertelstund hin, eine Viertelstund her. Und dann war es mondlicht und viel besser zum Passen als jetzt.

Er stand auf und rückte den Hut von einem Ohr auf das andere. Dann blickte er gegen die Stelle hin, wo der Sprengelsperger paßte; achthundert Schritt weiter oben.

Der bleibt hocken, und wenn es drei Tage dauert. Eigentlich sollte er auch … Aber was liegt daran!

Und rasch, damit ihn der Entschluß nicht reute, machte sich der Anderl auf den Weg.

Mit langen Schritten ging es bergauf, viel schneller als sonst; durch das Hochholz und über die Almwiese.

Da lag die Hütte im Dunkeln.

Die Läden waren geschlossen, und nichts war zu hören.

Der Anderl stolperte über ein Holzscheit und trat in eine Pfütze.

Er hatte es eilig.

Ein leiser Pfiff.

»Deanei!«

Nichts rührte sich.

»Deanei, mach auf! I bin's!«

Und wieder ein Pfiff.

Dann wartete der Anderl und horchte gespannt hinauf.

Nichts.

Jetzt nahm er den Bergstock, langte in die Höhe und klopfte an den Laden.

Es dauerte eine Weile, dann hörte man ein Geräusch.

Der Laden kreischte in den Angeln, und eine weibliche Stimme fragte:

»Was is?«

»I bin's, der Anderl.«

»Ja, was willst denn du no um de Zeit?«

»Geh, frag net lang! Hoamgarten möcht i.«

»Hoamgarten? Jetzt no? Zu was denn?«

»A so halt!«

»I hon aba Schlaf, schaug! Und morgen muaß i beizeiten außa.«

»Dös macht ja nix. I halt di net lang auf. Grad a bissei dischkrier'n möcht i mit dir.«

»Dös könna ma ja so aa.«

»So is nix, Deandl. Da muaß ma beinand hocka.«

»Ja freili!«

»Herrgottsakrament! Geh, tua net so lang umanand und laß mi eini! Du hast ma's ja vasprocha.«

»Dös hab i dir net vasprocha.«

»No, balst net willst, nacha konn i aa nix macha. I ho ma denkt, du bist a Madl, de wo ihr Wort halt. Balst du a solchene bist und 's Wort brichst, dös hätt' i net glaabt vo dir. Dös is net schö.«

»I hob dir gar nix vasprocha.«

»Jo! G'wiß is wahr. Deandl, i tat's net sag'n, bal's net a so waar. Lüag'n, dös gibt's net bei mir. Durchaus net. Da kennst mi schlecht.«

»Ja, und wann i di einalaß, nacha woaß i's scho.«

»I tua dir nix; g'wiß net. I rühr di net o.«

»No, wann i's amol sag.«

»Is dös wahr?«

»Nacha wart a bissei, i kimm glei oba.«

»Is scho recht. Tummel di a wengl, Deanei.«

Die Sennerin trat vom Fenster zurück, und der Anderl schob den Hut in den Nacken und pfiff leise vor sich hin.

»I hab mir's do glei denkt.«

Jetzt wurde die Türe zögernd geöffnet; Anderl half nach und schlang eine Minute später seinen Arm um das vollbusige Frauenzimmer.

»O'schaug'n derfst mi net, Anderl! I hab grad an Unterkittel o.«

»Na, na! I schaug di net o. Geh' ma'r aufi; daherunten kunnt's da z'kalt sei, und droben, da könna ma leichter dischkriern.«

Sie stiegen die hölzerne Stiege hinauf, und es war oben leichter zu diskurieren.

Die Stunden vergingen.

Volles Mondlicht lag auf den Bergwiesen; auch in die Kammer der Sennerin stahlen sich die hellen Strahlen.

Aber die zwei achteten nicht darauf.

»Magst mei Schatz bleib'n, Anderl?«

»Freili mag i.«

»Ja, dös sagst jetzt, und morgen denkst nimma dro.«

»Wia ko'st dös glaab'n, Deandl?«

»Ös Jaga seid's alle so.«

»De andern vielleicht; aba i net.«

»Kimmst nacha oft zu mir aufa?«

»So oft als 's geht. Am liabsten jeden Tag.«

Sie schwiegen wieder.

Draußen rauschte der Brunnen; sonst tiefe Stille.

Auch der Bergwind hatte ausgesetzt, und schweigend stand der Wald wie eine dunkle Mauer hinter den hell beleuchteten Matten.

Da!

Ein scharfer Knall und rollender Donner die Berge entlang.

»Herrgottsackerament! A Schuß! Dös war a Schuß!«

Im Nu stand Anderl auf den Füßen.

»Wo is mei Büchs? Wo hab' i's denn?«

Das Mädel richtete sich erschrocken auf.

»Was hast denn?«

»Hast as net g'hört, g'schossen hat's. Und i bin do herin! Mei Büchs will i.«

»De hast ja drunt lassen.«

»Nacha muaß i abi! Wo is denn d'Stiag'n? G'schwind, sag i!«

»Oho! Pressiert's denn gar a so? Sagst ma net amal Pfüat Good?«

»I ho koa Zeit. An andersmal.«

Rasch war er unten, riß die Türe auf und faßte nach dem Gewehr. Dann eilte er in mächtigen Sprüngen über die Wiese, so schnell es ging, in das Hochholz.

Im Dunkeln ging es weiter; immer bergab.

Dort stand die Fichte, unter der er gesessen war.

Aber es war nicht ratsam, über die freie Wiese zu laufen. In dem Lichte konnte er weithin gesehen werden. Von den Lumpen oder auch vom alten Sprengelsperger.

Und der sollte es doch nicht wissen, daß er vom Posten gegangen war, wegen dem Weibsbild.

Er umging den Platz und pürschte von unten im Schatten herauf.

Da rührte sich etwas neben dem Baume. Der Anderl stutzte einen Augenblick und schlich näher.

Das war ja der Pürschei! Und der Sprengelsperger stand unter der Fichte.

Der Alte sagte mit leiser Stimme: »Jetzt kimmst daher? Wo warst denn du?«

»I bin a bissei da abi pürscht,« antwortete Anderl.

»Pst! Staad sei! Hast den Schuß net g'hört?«

»Freili, desweg'n bin i glei wieder aufa.«

Der Alte sah den Anderl prüfend an; er glaubte ihm die Ausrede nicht, aber es war nicht Zeit, darüber zu reden.

»Der Schuß is am Buachwieser Eck g'fallen. Mir müassen umi. Wenn'st net weggl'affen warst, kunnt'n ma scho bald drent sei.«

 

Hälftewegs zwischen Ehrwald und Griesen liegt die Schanz; ein gutes Wirtshaus, bei dem alle Fuhrleute anhalten. Es war daher nichts Auffallendes, daß der Schreinermeister Holzweber den Feiertag benützte, um dort einen Schoppen Landwein zu trinken. Er saß im Freien mit anderen Honoratioren aus Ehrwald, redete anständig und gesetzt von allerlei Dingen und lobte auch den schönen Abend.

Zwischenhinein fragte er seinen Nachbar: »Du, Seppel, wer isch der selle Grenzaufseher, der dort sitzt?«

»Der? Des ischt ein neuer; Redenbacher oder so heißt 'r. Er ischt no nit lang in Griesen.«

»So? I han mir's denkt, daß er neu ischt, weil i 'n no gar nie g'wahrt hab.«

Er sagte es recht gleichgültig und redete wieder von etwas anderem.

Nach kurzer Zeit meinte er, es sei nun spät geworden, und er wolle sich auf den Heimweg machen. Er bezahlte seine Zeche und ging gegen Ehrwald zu. Aber nur so lange, bis ihn eine Biegung des Weges den Blicken der Wirtshausgäste entzog. Da blieb er stehen und sah sich vorsichtig um. Als er weit und breit niemand sah, ging er von der Straße ab in den Wald hinein. Hinter einem Gebüsche machte er wieder halt und hielt Ausschau.

Jetzt war er überzeugt, daß ihm niemand nachgegangen war; er schritt rüstig bergauf und kam bald an eine Waldlichtung, in deren Mitte eine alte Lärche stand.

Er hielt die Hand an den Mund und ahmte den Taubenruf nach. Von drüben kam Antwort, dreimal in langgezogenen Tönen, und Holzweber nickte befriedigt mit dem Kopfe.

Er trat in die Lichtung hinaus und stand gleich darauf bei seinen Kameraden Josef und Kaspar Gfeiler.

»So isch recht,« sagte er, »ihr seid's pünktlich g'west. Jetzt wart'n mir no auf'n Peter; der hat no mit dem Redenbacher z' reden.«

Es dauerte nicht lange, dann kam auch Peter Hosp und brachte Nachricht von dem Grenzaufseher.

»Also, die Jäger sein heut am Sunkerberg oder am Schell-Eck; alle drei.«

»Woher weiß der Redenbacher?« fragte der Holzweber.

»Er hat's mit eigene Ohren g'hört, wie der Förschter mit'm Praxenthaler g'red't hat. Er hat woltern g'flucht über die Lumpen, weil s' ihm unter der roten Wand a Gambs g'schossen haben, und er vermeint, daß mir wiederkommen.«

»Vielleicht hat er's bloß g'sagt; i kann's nit recht glauben, daß alle drei dort sein.«

»Es isch a so, Jäkele. Der Redenbacher hat guat achtgeben und hat g'wahrt, wie der Sprengelsperger und der jung Hohenreiner hinter sein. Er hat no a zwei Schtund g'wartet, bis der Förschter selber fort isch. Und er isch links nüber am Nudelwald; genau wie er's an Praxenthaler ang'sagt hat.«

Der Holzweber zweifelte noch immer. »Der Förschter hat do nix g'merkt, daß ihm der Redenbacher abpaßt?« fragte er.

»Sell isch do gar nit menschenmöglich,« versicherte der Jäkele eifrig, »der Redenbacher sagt, daß der Förschter ganz vertraut ischt mit ihm. Und nachher, er hat ja gar nit g'wußt, daß der Redenbacher alles hört; seil war grad unterm Fenschter, und er hat no recht heimli g'redt mit'n Praxenthaler.«

»Und die zwei andere hat 'r auch g'sehen?«

»Ja; sie sein schnurgrad am Sunkenberg hinter; sie können nirgends anderscht hin sein.«

»Also guet!« sagte der Holzweber, »nachher probieren mir's heut am Miesing; i weiß an gueten Platz und find an Weg bei der Nacht. Mir müessen zwei Schtund gehen; es isch jetzt acht; bis zehn sein mir g'wiß dort. I schtell euch an und geh hernach von hint aufer; da komm i mit'n schlechten Wind runter und mach di Hirsch geh'n. Ihr habt a leicht's Schiaßen; es isch a freie Wies da, und 's Mondlicht wird hell.«

»So isch guet, Jäkele,« sagte Hosp.

»Und es werd uns scho wieder recht nausgeh,« fügte Kaspar hinzu. »I hab a Wallfahrt zur Muatter Gottes von Hinter-Riß versprochen, und der Pater Benno hat mir a g'weihtes Bild mitgeben; das hilft gegen Pulver und Blei. I trag's alleweil bei mir, wenn grad wirkli amal a Jager kemmen tat.«

So machten sie sich auf den Weg über den Scharberg gegen den Miesing zu.

Holzweber führte, denn er kannte alle Steige von Jugend auf und fand sich im Dunkeln zurecht.

Er ging schnurgerade auf die Stelle zu, wo er in einem hohlen Baume sein Gewehr versteckt hatte, und mit derselben Sicherheit fand er die Schießwaffen seiner Gefährten.

Er hatte die Schuhe ausgezogen und schlich wie eine Wildkatze durch den Bergwald; kaum einmal knackte ein dürrer Ast unter seinen Füßen.

Als sie nach ermüdender Wanderung ankamen, wiederholte er flüsternd seinen Plan und stellte jeden an seinen Platz.

»Schieß nit zu früh, Kaschper,« sagte er, »und tu g'nau, was i dir sag. Wann du nit folgst, kannst uns no alle ins Unglück bringen.«

Als die drei auf ihren Posten standen, pürschte er zurück.

Es war spät geworden.

Über dem Zimmerskopfe lag schon ein heller Schein, und bald schob sich in majestätischer Ruhe die Scheibe des Mondes über die Felsen herauf.

Silbernes Licht fiel auf die Almwiese und schob die Dunkelheit zurück, immer weiter, bis sie an den hochragenden Fichten hängen blieb.

Und so still war es wie in der Kirche; so still, daß der Gfeiler Kaspar schon von weitem den Hirsch trappen hörte und sich zum Schusse bereit machen konnte.

Auf zwei Zimmerlängen kam er ihm, blieb stehen und sicherte nach rückwärts.

Kaspar hatte das Gewehr an der Backe und zielte.

Es schießt sich verdammt schwer im Mondlicht. Einmal sieht man das Korn, einmal nicht.

Neben dem Hirsche glitzerte ein heller Fleck. Ein Wassertümpel.

Auf den zielte er und schaute sich das Visier zusammen; jetzt ein wenig höher und rechts fahren.

Das muß woltern das Wildbret sein.

Pum!

Dem Schützen gab es eine Ohrfeige, und der Hirsch brach zusammen; hob schwerfällig den Grind und brach wieder zusammen.

Da zeigte es sich, daß Kaspar ein dummer Kerl war, der im Eifer allemal die Lehren des Herrn Schreinermeister Holzweber vergaß.

In seiner Freude über den Schuß trat er auf die Wiese heraus und ging auf das verwundete Stück zu.

Er meinte wohl, das bleibe so liegen und er könnte es recht mit Vergnügen betrachten.

Aber wie ihn der Hirsch sah, nahm er die letzte Kraft zusammen, raffte sich auf und sprang in wilden Sätzen den Hang hinunter.

Im Augenblicke nahm ihn der Wald in seinen Schutz auf; man hörte Äste krachen, Steine poltern; dann war es ruhig.

Da stand jetzt der Kaspar Gfeiler und schaute. Und wäre er nicht ein gottesfürchtiger Tiroler gewesen, hätte er wohl abscheulich geflucht. Sein Bruder und der Peter waren schnell bei ihm und sagten ihre Meinung ohne Ehrfurcht.

Was war jetzt zu machen?

Auf alle Fälle warten, bis der Jakele kam.

»Sell hascht wieder amol sauber angangen; a so a Malefizpatzerei! Der Hirsch hat unser g'hört, wenn d' no grad a Viertelstund aufm Schtand blieben wärscht!«

Der Holzweber hatte sich leise herangepürscht.

»Was isch?« – »Der Kaschper hat …«

»Nit so laut! Und geht von der Wies' weg! Ihr schtellt euch grad ins Licht.«

Sie traten in den Schatten zurück, und Peter erzählte leise den Hergang.

»I kenn di ja, Kaschper,« sagte Holzweber, »i weiß, wie d' as alleweil machscht! Sell weiß i ja schon lang. Nit acht geben, nit Zeit lassen!«

»Was tun mir jetzt, Jakele?« fragte Hosp.

»Ja, was tun mir jetzt? Des Allerbescht wär', mir geh'n heim.«

»Aber mir lassen do den Hirsch nit hint!« sagte Kaspar.

»Wärscht ihm halt völlig nachg'laufen; vielleicht hätt'scht ihn derwischt. Bei der Nacht können mir ihn doch nit suchen!«

»Weit kann er nit sein.«

»Weit oder nah, sell isch gleich. Mir können nix machen.«

Der Gfeiler Josef kam seinem Bruder zu Hilfe.

»I mein,« sagte er, »mir warten, bis es hell wird. In aller Früh können mir den Hirsch noch suachen.«

»Sell isch ganz g'fährlich,« erwiderte Holzweber, »wenn die Jäger den Schuß g'hört haben, gehen s' ihm nach, und mir laufen ihnen grad in d' Händ'.«

»Den Schuß haben sie nit g'hört; sie sein zu weit weg.«

»Sell weiß man nit.«

»Jakele, ganz leer sollen mir nit heim,« riet jetzt auch Hosp, »mir können noch bei der Dämmerung den Hirsch suchen. I sag, mir haben ihn schnell; aft brechen mir ihn auf und verschtecken ihn und holen ihn morgen bei der Nacht.«

Holzweber gab nach, wenn auch mit Widerstreben. Er sagte immer wieder, daß solche Wagnisse zur Entdeckung führten, und daß ihn sein Vater oft und oft davor gewarnt habe, anders als bei Nacht zu wildern.

Seine Kameraden blieben fest, und er wußte, daß sie ohne seinen Beistand wenig ausrichten würden. Zuletzt reizte ihn auch der erhoffte Gewinn, und er blieb bei den anderen.

Sie gingen tiefer in das Holz hinein und warteten unter einer mächtigen Rottanne auf das Tagesgrauen.

Allmählich lichtete sich das dunkle Blau des Himmels, und die flimmernden Lichter erloschen. Ein Flüstern ging durch die Baumkronen, das stärker und stärker wurde und bald in volles Rauschen überging.

Über den Höhen tauchte der Morgenstern auf und zitterte heftig, als machte ihn der frische Bergwind frösteln.

Eine Amsel pfiff.

Da stand der Holzweber auf und sagte, es wäre so weit, daß man aufbrechen dürfte. Er schlich vorsichtig an den Waldrand vor und spähte über die Wiese hinaus.

Nichts regte sich.

Er wandte den Kopf und schaute die Felsen hinauf.

Ein Stein polterte herunter und fiel mit dumpfem Schlage auf. Der Holzweber blickte schärfer hin und gewahrte unter den Latschen einen hellgelben Fleck.

Eine Gambs.

Und er sah auch, wie sich hoch oben auf die Wände des Wettersteins ein leichter Schimmer legte, und wie sich der Schleier von den Felszacken löste und langsam heruntersenkte.

Es war Zeit!

Also auf!

Seine Kameraden waren gerne bereit, zu gehen. Der Kaspar hauchte in die Hände und steckte sie in die Hosentaschen: der Peter hob einen Fuß um den andern in die Höhe, und der Seppel machte es ihm nach.

Es war ein frischer Morgen, und aus dem feuchten Waldmoos stieg es kalt herauf.

»Mir bleiben beinander, und i geh voran,« sagte der Holzweber, »wo is der Hirsch nei?«

»Sell unten, wo der Wald das Eck macht,« erwiderte Kaspar.

»Aft ist er eh'nder wie nit in Scharer Graben rei,« entschied Holzweber und ging rüstig voraus.

Nach einiger Zeit blieb er stehen und deutete auf den Boden.

Richtig, da war eine Hirschfährte; und dort wieder.

Plötzlich kniete Holzweber nieder und bog mit der Hand einen Büschel Farnkraut zurück.

Schwerer Tau lag auf den zierlichen Blättern, aber dazwischen tauchten rote Flecken auf, erst spärlich, dann reichlicher, und zuletzt zeigte Holzweber den andern schmunzelnd ein Blatt, das über und über mit Blut bespritzt war. »Er hat woltern stark g'schweißt,« sagt er, »und muaß bald hergeh'n.«

Sie gingen weiter und kamen an einen langgestreckten Graben, der eine Tiefe von etwa hundert Schuh hatte.

Die ziemlich abschüssigen Wände waren mit Steinen bedeckt, zwischen denen der Huflattich seine Blätter ausbreitete.

Sie stiegen hinunter; Holzweber voran, die Blicke aufmerksam auf den Boden gerichtet.

Mit einemmal fuhr er auf, blieb kerzengerade stehen und lauschte.

»Was hoscht denn?« fragte Kaspar, der ihm zunächst folgte.

»Pst!« machte Jakele und sah ängstlich auf die andere Seite des Grabens hinüber.

Was war das für ein Geräusch gewesen?

Ein klingender Ton; wie Eisen auf Stein. Als wenn einer mit dem Bergstocke aufstößt.

Es rührte sich nichts.

»Geh do amol zua!« drängte Kaspar, »es isch ja nix!«

Holzweber wollte es glauben; er warf noch einen scharfen Blick hinüber, dann stieg er weiter abwärts, fünf, sechs Schritte.

Aber er war unruhig geworden und schaute wieder zurück.

Rührte sich nicht ein Tannenboschen? Dort, wo das Jungholz an den Rand des Grabens heranging?

Und wohl rührte es sich; recht heftig mit einemmal.

Ein alter Kerl stand drüben, mit blitzenden Augen, das Gewehr im Anschlag; und daneben stand noch einer.

Eine wütende Stimme.

»Halt! oder i schiaß!«

Das ging ans Leben.

In mächtigen Sätzen sprang Holzweber abwärts; die andern hinterdrein.

Jetzt waren sie unten.

Zwanzig Schritte entfernt stand eine Fichte; die erste Deckung.

Ohne Besinnen eilte Jakele darauf zu; dicht neben ihm Kaspar.

Die anderen zwei flüchteten aufwärts.

Ein Schuß krachte.

Der Gfeiler Sepp hörte ihn nicht mehr. Er fiel vorneüber auf das Gesicht, schlug mit den Armen ein paarmal um sich und blieb regungslos liegen.

 

Sprengelsperger und Anderl waren so schnell, als es die Vorsicht erlaubte, an das Buchwieser Eck geeilt und standen bald an der Waldwiese, auf welcher Kaspar den Hirsch geschossen hatte. Wären sie eine Viertelstunde früher angelangt, so hätten sie mit den Tirolern zusammentreffen müssen; jetzt war es zu spät.

»Am End' is da Schuß gar net da g'fallen,« sagte Anderl; »mir is a so fürkemma, als ob's weita weg g'wen waar. Es ko' di halt täuscht hamm, Lenz.«

»Na, na, mei Liaba,« erwiderte Sprengelsperger, »do gibt's koa Täuschung. Der Schuß is do g'wen, und es is aa gar net anderst mögli. De Lumpen könna beim Mondliacht bloß auf an freien Platz schiaßen; im Holz drin geht's net. Und von do bis zu da Kohlhütten hintri is koa Wiesen mehr. Also hamm s' do g'schossen. I ho's aa so deutli g'hört, daß koan Zweifi net gibt.«

»Nacha san ma z'spat kemma, Lenz.«

»Des sell woaß ma no net.«

»I moa do scho, wann d'Lumpen nimma da san.«

»Laß da no Zeit, und red staader. De Spitzbuam könna vielleicht z'nachst do sei.«

»Oder aa net.«

»Oder aa net, des is richti. Jetzt laß mi aba a wengl b'sinna, was ma am g'scheitesten tean.«

Beide schwiegen und sahen auf die mondbeglänzte Wiese hinaus.

Nach einer Weile sagte Sprengelsperger:

»Anderl, jetzt woaß i's. Mir gengan in Scharer Graben hintri.«

»Für was denn? Wann ma passen, nacha is do g'scheiter, mir bleib'n do, wo ma'r alles seh'gn könna, wenn si was rührt.«

»Na, sag i, dös hat gar koan Wert net,« erwiderte der Alte entschlossen. »De G'schicht is so. I glaab net, daß de Lumpen auf a Reh g'schossen hamm; da is eahna da Platz z'guat, weil s' an Hirsch aa leicht kriag'n. Bal's aba an Hirsch hamm, nachha san s' no net weit. Als a ganzer bringa s' 'n net hoam, den müassen s' allaweil z'legen, und dös geht net so schnell; do könna ma'r eahna no leicht d'Reib o'laffen, und übern Scharer Graben müassen s' kemma. De gengan do mit dem schwaren Wildbret an nächsten Weg und steig'n net z'erscht no a Stunden weit auf'n Berg aufi. Und z' fürchten hamm s' eahna herunt aa net mehra als wia drob'n. Bal's aba wirkli so waar, daß s' a Reh g'schossen hamm, nacha san s' no net hoam. Dös g'langt eahna net; do san s' no weita ins Revier eina. Und grad so is, wann s' vielleicht g'feit hamm; dös kunnt ja aa sei. Also i sag, über'n Scharer Graben kemman s' uns allawei, oder i müaßt schon gar nix vasteh.«

Der Anderl mußte ihm recht geben.

Sie gingen eine Strecke zurück, denn Sprengelsperger war der Ansicht, daß sie Zeit genug hätten, und daß sie einen größeren Umweg machen müßten, um ja nicht gehört zu werden.

Im weiten Bogen umgingen sie das Buchwieser Eck und kamen an den Scharer Graben. Schritt für Schritt stiegen sie abwärts und gaben wohl acht, daß sie nicht in das Mondlicht hinaus traten.

Als sie auf der gegenüberliegenden Seite die Höhe wieder erreicht hatten und den Graben entlang schlichen, rumpelte unter ihnen ein Wild auf und sprang weg.

Die Jäger blieben stehen und horchten.

Sie hörten die dumpfen Tritte; kurze Zeit, dann war es still.

»Es is net aufwärts,« flüsterte Sprengelsperger, »und muaß si scho wieder niederto hamm. Jetza moan i, kemma ma de Lumpen auf d'Spur.«

Sie pürschten vorwärts, so zweihundert Schritte.

Und wieder hörten sie deutlich, wie unten im Graben das Wild wegsprang.

»Jetzt is de G'schicht oafacher wor'n,« sagte Sprengelsperger, »des hamm de Lumpen o'gflickt. Jetzt wissen ma's g'wiß.«

Er hatte recht. Es war der Hirsch, den Kaspar angeschossen hatte.

»Soll ma glei dobleiben?« fragte Anderl.

»Na, mir gengan an Büchsenschuß weiter z'ruck, bis zu'n Jungholz. Da hamm ma'r a guate Deckung.«

»Moanst, daß s' ins kemman?«

»G'wiß aa no. De Tropfen suachen des Stückl, und bal s' auf der Spur nachgengan, laffen s' ins schnurgrad ani.«

Sie versteckten sich im Dickicht und saßen hart am Rande des Grabens auf Baumstöcken. Von ihrem Platz aus hatten sie einen guten Ausblick nach links und rechts; sie selbst waren durch ein paar junge Fichten gedeckt.

Sie horchten schweigend in die Nacht hinaus; hie und da ertönte der klagende Ruf einer Eule; sonst war nichts zu hören, als der tiefe Atemzug des Waldes.

Anderl kämpfte mit dem Schlafe; er war am frühen Morgen zur Pürsche hinaus, war den ganzen Tag herumgelaufen und hatte obendrein seinen Besuch auf der Buchwieser Alm gemacht.

Jetzt packte ihn die Müdigkeit, und so oft er sich auch zusammenriß, der Kopf sank immer tiefer herunter, und die Augen fielen ihm zu.

Und dann sah er freundliche Bilder.

Den Sechserbock im Frühlicht, der stattlich über die Schneise herüberwechselte; ein kapitaler Kerl.

Und das Weibsbild mit den lustigen Augen. Wie sie den Riegel zurückschob und gleich so vertraut war.

»Jetzt muaßt aba mei Schatz wer'n, Anderl, gelt?«

Und eine Hand faßte nach der seinen; er wollte sie zärtlich drücken.

Aber das waren harte, knochige Finger. Er fuhr auf und sah den Sprengelsperger neben sich, der ihn geweckt hatte.

Der Morgen brach an.

Anderl setzte sich gerade und rieb sich die Augen. Er wollte in seiner Verlegenheit etwas sagen, aber bei der ersten Silbe warf ihm der Alte einen grimmigen Blick zu und legte den Finger auf den Mund.

Dann beugte er sich vor und horchte.

Kam jemand?

Nein.

Und doch!

Da krachte wieder ein dürrer Ast; eine Krähe flatterte auf und flog kreischend davon.

Und drüben trat ein Mensch aus dem Hochholze heraus, ein Gewehr in der linken Hand, vorsichtig nach allen Seiten hinspähend.

Hinter ihm – einer – zwei – drei.

Herrgottsackerament!

Vier Lumpen, und nicht weiter weg wie achtzig Schritt!

Der vorderste stieg jetzt in den Graben herein.

Sprengelsperger spannte ruhig den Hahn und fuhr langsam auf.

Anderl griff hastiger nach seinem Gewehr; der Bergstock rutschte aus und stieß mit der eisernen Spitze an einen Stein.

Wie vom Blitz getroffen blieb der vorderste Wilderer stehen und sah herüber: die zwei Jäger rührten sich nicht. Da ging er weiter, und die anderen folgten.

Sprengelsperger und Anderl standen auf, jeder die Büchse im Anschlag.

Und der Alte schrie:

»Halt oder i schiaß!«

Teufel! Wie es die Tiroler zusammenriß! Wie sie hinuntersprangen! Und drunten erst eine wilde Jagd! Die einen geradeaus, die andern den Graben hinauf.

Anderl ließ die Büchse sinken. Sollte er schießen? Er schaute den Sprengelsperger an. Der stand im Anschlage und zielte. Da blitzte es auf, und einer von den Lumpen stürzte im Feuer zusammen.

Sprengelsperger setzte ruhig ab und sagte: »Den hat's g'wiß. Grad am Rucksackbutzen is ma da Schuß brochen. Warum hast denn du net g'schossen?«

»Ja, i ho ma denkt … i woaß net, weil s' davo g'loffen san.«

»Waar net schad' g'wen, bal no oaner hi g'wen waar. Aber jetzt is a so aa recht,« sagte der Alte, und keine Miene an ihm verriet Erregung.

»Soll'n ma net abi zu dem Kerl?« fragte Anderl.

»Freili! Daß oaner aus'n Dickat rausschiaßt auf ins! Na, mei Liaba, den laß ma flacken; weh tuat eahm aa so nix mehr. Miar gengan z'ruck. I muaß auf d' Buachwieser Alm, wia's dei Vata o'gschafft hat, und du muaßt glei hoam und auf Garmisch eini schicken, daß a Kommission kimmt.«

»Ja, i kunt aa 'r auf d' Buachwieser Alm, balst du vielleicht liaba hoamgangst,« erwiderte Anderl.

»I dank dir recht schö, aba so is g'scheiter; dei Muatta werd a so a bissel Angst hamm und is froh, bal s' di siecht. Und i möcht dein Vata die Meldung glei selm macha,« sagte der Alte.

Sie kehrten um und gingen in guter Deckung zurück.

Nach einiger Zeit trennten sie sich; Anderl ging bergab gegen Griesen zu.

Der Sprengelsperger sah ihm nach und stopfte sich eine Pfeife.

»Auf da Buachwieser Alm muaß er was hamm,« brummte er, »heut nacht, moan i, is er aa drent g'wen.«

Er stieg langsam bergauf, und seine Gedanken wandten sich dem letzten Vorfalle zu.

Aber es waren nicht etwa Gewissensbisse, die sich in ihm regten. Er war durchaus zufrieden damit, daß einer von den dreimal verdammten Spitzbuben ins Gras gebissen hatte; er hätte es jetzt nicht anders gemacht.

Er überlegte nur, ob nicht etwa die Herren vom Gericht sich über den Schuß Gedanken machen würden, weil der Lump von hinten geschossen war.

Aber es konnte nicht schief gehen.

Wenn vier beinander sind, kann man nicht warten, bis sie in Sicherheit sind und dann vielleicht den Stiel umkehren.

Und nicht einer hatte das Gewehr weggeworfen.

»Feit si nix,« sagte der Sprengelsperger und ging auf die Buchwieser Alm zu.

Es war noch früh, aber die Sennerin war schon auf.

Als der Alte sie sah, stieß er einen leisen Pfiff aus und drückte das linke Auge zu.

›Dös is ja de, wo ma gestern g'sehg'n hamm. Aha! Jetzt woaß i, wo der Schlauberger g'wen is.‹

»Grüaß di Good, Sennerin!« sagte er laut.

»Grüaß di Good, Jaga! Wo kimmst denn du scho so zeiti her?«

»Vo da Pürsch halt. Magst ma koa Milisuppen kocha?«

»Jo. Hock di eina!«

Sprengelsperger trat ein und sah zu, wie das rüstige Frauenzimmer am Herd hantierte.

›Saggera Hosenzwickel,‹ dachte er, ›der Anderl is no lang net der Dümmst'. De hat Holz bei da Hütten!‹

Die Sennerin drehte sich um und fragte:

»Gel, du bist vo Griesen?«

»Ja.«

»Habt's ös mit de Schützen was z'toa g'habt?«

»Wer ›ös‹?«

»No, du halt, und … der Anderl.«

»Der Anderl? Der is ja gar net do. Der is, glaab i, am Sunkenberg hint.«

»Na, der is da heroben!«

»So? Da woaß i gar nix. Hast'n denn du g'sehg'n, Madel?«

»Ja,« gab sie zögernd zur Antwort, »vo weiten hon i 'n geh sehg'n.«

»Vo weiten host 'n g'sehg'n?« fragte er und verzog keine Miene dabei, »no, wenn a herob'n is, wer' i 'n vielleicht treffa. Soll i eahm was ausrichten?«

»Na. I hab bloß g'moant, ös seid's mit Schützen z'sammkemma.«

»Mit die Schützen hamm mir 's ganze Jahr nix z'toa,« erwiderte Sprengelsperger treuherzig. »De Lumpen kemma Gott sei Dank net zu uns eina.«

»I hab aber bei der Nacht schiaßen hören.«

»Dös hat di höchstens täuscht. Oder es san Leut g'wen, de an Feiertag no a wengl o'g'schossen hamm. Aba koane Lumpen hamm mir net do herin.«

Die Sennerin fragte nicht weiter und stellte einen Weidling warme Milch auf den Tisch.

Sprengelsperger schnitt sich Brot hinein und aß.

Hie und da blinzelte er vergnügt auf das Weibsbild hinüber, welches am Herde arbeitete.

›Mei liaba Anderl,‹ dachte er, ›auf de Spur bin i dir schnell kemma. Dös muaß i dir amol unter d' Nasen reib'n.‹

Er blieb noch eine Weile, bis er den Förster über die Wiese herüberkommen sah. Da stand er auf und nahm kurzen Abschied. Unter der Türe blieb er stehen und sagte: »Du, Madel, balst an Anderl wieder amol vo weiten siechst, nacha kochst eahm an Schmarren auf. Den ißt er oamal z'gern.«

Draußen ging er auf Hohenreiner zu und grüßte ihn. Dabei blinzelte er mit den Augen; der Förster kehrte um, und sie schritten ruhig und unauffällig nebeneinander her.

»Was is, Lenz?«

»Oan hat's scho g'rissen.«

»Wo is der Anderl?«

»Hoam, daß er d' Kommission in Garmisch b'stellt.«

»Hast du g'schossen?«

»Ja.«

»Hast 'n g'scheit aufi brennt?«

»Sell wohl. Im Scharer Graben flackt a.«

Er erzählte den Hergang.

Hohenreiner hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu und sparte nicht mit seinem Beifall.

Als Sprengelsperger fertig war, fragte er ihn:

»Woaßt g'wiß, daß der Kerl hin is?«

»Ja freili woaß i's. I hab's gnau gnua g'sehg'n.«

»Na laß' ma'n liegen und gengan abi. I bin aa de ganz Nacht auf g'wen, und morg'n hamm ma de Lauferei mit der Kommission. Da is g'rad recht, wenn ma a wengl schlafen könna.«

Den andern Tag kam die Kommission nach Griesen; der Herr Oberförster Hofer, der Herr Landrichter Weiß, der Herr Bezirksarzt Steiger und ein Gerichtsschreiber.

Sprengelsperger und Anderl wurden sogleich in der Wohnstube des Forsthauses vernommen. Beide sagten, daß sie überzeugt seien, die vier Wilderer hätten nur Deckung gesucht, um dann auf sie zu schießen. Keiner hätte das Gewehr weggeworfen oder sei auf den Anruf stehen geblieben.

Der Landrichter nahm ihre Aussagen mit Wohlwollen auf und sagte, daß er ihre Befürchtungen ganz begründet fände.

Außerdem sei ihm vom Herrn Oberförster der Sprengelsperger als sehr ruhiger und pflichttreuer Mann geschildert worden, der gewiß seine Befugnisse niemals überschreiten würde.

Soweit war es gut gegangen, und der alte Lenz rauchte nach der Vernehmung seine Pfeife mit größerem Behagen als den Abend vorher.

Die Herren von der Kommission frühstückten und machten sich dann unter Führung des Hohenreiner sowie des Anderl und Sprengelsperger auf den Weg zum Tatorte. Außerdem nahm man zwei Holzknechte zur Bergung der Leiche mit.

Auf Ersuchen des Herrn Landrichters, welcher an einer Herzverfettung litt, wurde der Aufstieg zum Scharer Graben langsam gemacht; endlich kam man an, und Sprengelsperger bezeichnete zuerst die Stelle, an welcher er geschossen hatte.

Man sah die Leiche unten im Graben liegen.

Der Landrichter erklärte, daß er die Stellung des Toten auch von oben mit genügender Sicherheit konstatiert habe, und daß er es für überflüssig halte, selbst hinunterzusteigen.

Dies sollte der Herr Bezirksarzt in Begleitung Sprengelspergers tun.

Die beiden schritten abwärts und näherten sich dem Toten.

Aber was war das?

Da lag der Wilderer, just so, wie er hingefallen war, doch der Kopf fehlte.

Der Kopf war kurzweg abgeschnitten.

Ein grausiger Anblick.

Der Bezirksarzt untersuchte die Leiche; er fand keine Wunde. Die Kugel mußte durch den Kopf gedrungen sein, wenn sie den Toten überhaupt getroffen hatte.

Auf die sonderbare Meldung hin erklärte der Herr Landrichter, daß die Untersuchung damit beendigt sei; man könne nur feststellen, daß der Rumpf einer männlichen Leiche gefunden worden sei. Trotz genauester Visitation desselben habe sich über die Herkunft nicht das geringste ergeben; ebensowenig könnte die Todesursache festgestellt werden.

Die Holzknechte erhielten den Auftrag, den verstümmelten Rumpf einzuscharren, und die Kommission begab sich mit den Forstleuten nach Griesen.

Man machte in der damaligen Zeit nicht viel Umstände.

 

Nun will ich allen gläubigen Christen sagen, daß sie nicht Angst haben sollen um das Seelenheil des Josef Gfeiler, weil sein Körper in ungeweihter Erde begraben liegt.

Ein jeder Tiroler weiß, und die anderen Leute sollen es erfahren, daß die Seele des Menschen im Kopfe wohnt.

Darum ging der fromme Jakob Holzweber zur Nachtzeit mit Peter Hosp in den Graben zurück, und darum trennten sie dem toten Kameraden das Haupt vom Leibe und brachten es heim nach Bieberwiehr.

Hier legten sie eine schwarzgekleidete Strohpuppe in den Sarg und setzten den Kopf darüber.

Alle teilnehmenden Freunde und Verwandten glaubten, daß sie die sterbliche Hülle des so plötzlich verunglückten Josef Gfeiler vor sich hätten, und verrichteten die gebräuchliche Andacht vor der Leiche.

Am Sonntage nach Fronleichnam war das Begräbnis.

Und als der Pfarrer die Trauerversammlung aufforderte, ein Vaterunser für den Abgestorbenen zu beten, da tat es der Herr Schreinermeister Holzweber mit einer solchen Inbrunst, daß es allen Gläubigen zum erhebenden Beispiele gereichte.

 


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