Hermann Sudermann
Miks Bumbullis
Hermann Sudermann

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XIV.

Der Gendarm erstattete die Anzeige.

Die Herren vom Gericht nahmen sich der Sache mit großem Eifer an. Ein Steckbrief wurde erlassen, Polizisten hielten Nachforschungen hüben und drüben, auch wurden Auslieferungsverhandlungen angebahnt, damit, wenn man ihn faßte, kein Aufschub entstand.

Alute, die trotz ihrer Selbstbezichtigung noch immer frei herumlief, lachte zu alledem und sagte: »Was gebt ihr euch für Müh'! Das Kind wird ihn schon holen gehn.« Sie hütete sich wohl, in ihrem Haus zu bleiben, und selbst für kurze Zeit ging sie nur in Begleitung hinein, denn sie fürchtete, daß Miks ihr dort auflauern würde.

Nacht für Nacht hielt sie sich mit dem Gendarmen und ein paar Männern, die dazu aufgeboten waren, hinter dem Kirchhofzaun versteckt. Die Männer wechselten ab, denn keiner konnte für die Dauer die Nachtwachen vertragen. Sie aber war immer zur Stelle.

Bei Tag streifte sie herum wie ein wildernder Jagdhund. Wo und wann sie schlief, wußte keiner.

Wenn einer von den fremden Gendarmen, die den hiesigen jede zweite Nacht ablösen kamen, gegen Morgen hin frierend und mißmutig sagte: »Ich denke, wir stellen die vergebliche Arbeit ein, denn er müßte schön dumm sein, uns freiwillig in die Arme zu laufen«, dann wehklagte sie und flehte mit erhobenen Armen: »Erbarmen, Pons Wackmeisteris! Ich weiß, das Kind wird ihn schon holen gehn – wird ihn schon holen gehn.«

Was sie aber nicht wußte, war, daß zu gleicher Zeit und gar nicht weit vom Kirchhof Madlyne im Graben lag – dicht an dem Weg, der von der Grenze her auf das Dorf zuführte. Sie hielt sich heimlich in dem Haus eines früheren Bewerbers auf, dessen Frau ihr dankbar war, weil sie ihn nicht genommen hatte. Und allabendlich, wenn es dunkel wurde, schlich sie sich hinaus auf Wache für den Fall, daß er vorbeikommen sollte.

Manchmal war es noch kalt, und manchmal regnete es, aber sie fror nicht und ließ sich ruhig durchweichen. Nur gegen den Schlaf anzukämpfen fiel ihr schwer. Darum legte sie sich gewöhnlich eine ihrer Klotzkorken auf den Kopf, die ihr gegen die Knie fiel, wenn sie ihn einschlafend nach vorn überneigte. Und von dem Schmerz wurde sie dann wieder ganz wach.

Ab und zu ließ vom Kirchhof her ein leises Stimmengeräusch oder ein Säbelklirren sich hören; ab und zu, wenn der Wind danach stand, zog auch ein Tabaksgeruch über sie hin. Dann lachte sie höhnisch und schüttelte die Fäuste in das Dunkel hinein. Solange sie wachte, war keine Gefahr.

Aber in einer Nacht – es mag die vierzehnte oder fünfzehnte ihres Dienstes gewesen sein –, da muß der Schlaf sie doch überwältigt haben, oder aber er war nicht auf dem Weg, sondern quer über die Felder gegangen, denn plötzlich hörte sie auffahrend vom Kirchhof her Knallen und Männergeschrei. Und die Stimme Alutens mischte sich keifend darein.

Da wußte sie: Sie hatten ihn. Weinend lief sie auf den Lichtschein los, der plötzlich aufgeflammt war.

Und da sah sie ihn auch schon kommen. Zwei Männer brachten ihn geführt, und Alute tanzte um ihn herum, indem sie ihm die Zähne zeigte und die Zunge ausstreckte.

In seinem Gürtel hing der Oberteil einer breithalsigen Flasche, die wohl beim Kampf mitten durchgeschlagen war. Darin war das Opfer für die Giltinne gewesen, mit dem er dem Kind noch einmal die ewige Ruhe hatte erkaufen wollen.

Madlyne warf sich ihm in den Weg und küßte die eisernen Ringe, in die sie seine blutigen Hände gesteckt hatten.

Er sah gleichsam mitten durch sie hindurch und schritt weiter – seinem Schicksal entgegen.


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