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Eine Alm mit Sennhütte in Dalarne. Im Vordergrund die Sennhütte aus rotgemalten Balken. Davor zwei Birken, deren Stämme bis zum Boden herunter weiß sind. Rechts ein mit Tannen bewachsener Abhang mit einem kleinen Wasserfall. Darunter ein Teich mit Wasserrosen. Im Hintergrund ein großer See mit den blauen Bergen am jenseitigen Ufer. In der Ferne ist eine Kirche sichtbar. An der Giebelwand steht der Schleifstein. Es ist Sonntagabend bei Sonnenuntergang.

Die Mutter (sitzt auf einem Klotz vor der Sennhütte und raucht aus einer Pfeife).

Kersti (mit der Lur in der Hand steht vor der Mutter).

Mutter: Wo bist du all die Zeit über gewesen, Tochter?

Kersti: Ich bin im Wald gewesen, Mutter!

Die Mutter: Und du hast Erdbeeren gepflückt; ich seh's an deinen roten Lippen.

Kersti: Warum hast du die Lur geblasen, Mutter?

Die Mutter: Es war ein Schleichen und Rascheln im Walde. War es der Bär?

Kersti: Weiß nicht.

Die Mutter: Hab ich eine Axt gehört, oder hab ich mich getäuscht?

Kersti: Der Bär hat doch keine Axt bei sich, Mutter!

Die Mutter: Warum hast du so ein schönes Kleid an, Tochter?

Kersti: Heut ist doch Sonntag, Mutter.

Die Mutter: Du hast Milch auf dem Brustlatz, Kind. Hast du die Mairose oder das Sternlein gemolken?

Kersti: Wenn ich doch die Sterne melken könnte – oder den Mond, o!

Die Mutter: In der Nacht, o!

Kersti: Tag und Nacht!

Die Mutter: Nacht und Tag! ... Das kenn ich! Nimm dich vor dem Bären in acht!

Kersti: Meinst du, er könnte das Kälbchen zerreißen?

Die Mutter: Hast du es verloren?

Kersti: Soll ich Anna fragen?

Die Mutter: Frag sie!

Kersti (nimmt die Lur und bläst):

Noten

(Dann singt sie):

Noten

Anna (antwortet aus der Ferne, aber es ist ein hoher Tenor. Es ist nämlich Mats):

Noten

Die Mutter: Sonderbar, was Anna für eine grobe Stimme bekommen hat!

Kersti: Sie hat die Lur geblasen und gerufen, seit die Sonne anfängt zu sinken.

Die Mutter: Was hast du da drunten im Gau gehört, Kind?

Kersti: Die Glocke der Schellenkuh, das Glöckchen der Ziege ...

Die Mutter: Sonst nichts?

Kersti: Hahnenkrähen, Hundegebell, Büchsenkrachen, Wagengerassel und das Knirschen der Ruder in den Ruderdollen.

Die Mutter: Wes Hahn hat gekräht, wes Hund hat gebellt?

Kersti: Des Müllers!

Die Mutter: Wie heißt der Müller?

Kersti (schweigt).

Die Mutter: Heißt er Anna?

Kersti (schweigt verlegen).

Die Mutter: Was siehst du dort drunten im Gau?

Kersti: Ich seh das Wasserrad im Bach, ich seh den Rauch aus dem Schornstein steigen ...

Die Mutter: Aus wessen Schornstein?

Kersti (schweigt).

Die Mutter: Aus dem der Müllersleute?

Kersti: Es wird spät, Mutter!

Die Mutter: Ich muß gehen! Noch eh es finster wird! ... (Steht auf.) Das war der längste Sonntag, den ich je erlebt habe! ... Was ist das für ein Geruch, der da zu mir dringt?

Kersti: Es riecht nach dem Wald, es riecht nach dem Vieh, es riecht nach Heu ...

Die Mutter: Nein du, Rauschbeeren hast du gepflückt! (Versinkt in Gedanken. Singt):

Noten

(Und spricht): Wie hold war es einst, und wie schlimm ist es nun!

Kersti: Es wird finster, Mutter!

Die Mutter: Das seh ich, Tochter. Die Finsternis senkt sich herab wie eine dicke Decke, und ich gehe jetzt hinunter ... hinunter! Aber du bleibst da und gibst acht aufs Käsen. Verlaß dich drauf, ich sehe es am Rauch, ob du das Feuer ausgehen läßt!

Kersti: Das Feuer soll nicht ausgehen, du kannst dich auf mich verlassen, Mutter!

Die Mutter: Gute Nacht also. Vergiß dein Abendgebet nicht!

Kersti: Gute Nacht, Mutter!

Die Mutter: Wie hold war es einst, und wie schlimm ist es nun! – Vergiß dein Abendgebet nicht! (Geht nach links.)

Kersti (macht die Tür der Sennhütte auf. Man sieht einen Kessel über dem Feuer, das sie schürt. Sie kommt heraus und nimmt die Lur, nachdem sie sich vergewissert hat, daß die Mutter gegangen ist. Sie bläst):

Noten

Mats (antwortet von rechts aus der Ferne, singt):

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Kersti (singt):

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Mats (singt):

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Kersti (singt):

Noten

Mats (singt):

Noten

Es fängt an zu wehen. Die Bühne liegt im Schatten, aber hoch oben auf dem Tannenwald rechts liegt noch die Sonne. Da hört man rundumher und von hinten, erst in der Ferne und dann näher, das Hallo und Rufen der Treiber, das Knacken von Zweigen, Hundegebell, Pferdegetrab und Galopp, Schüsse, Hasenklappern, das Gedröhn fallender Bäume, das Brausen des Wasserfalls, das immer mehr zunimmt. Darauf ein Kanon von zehn Jagdhörnern, so, daß Nr. 1 beginnt und aushält, während die andern der Reihe nach einfallen und aushalten.

Noten

Kersti (bleibt erschreckt stehen und sieht sich rundum. Nachdem der Lärm sich langsam entfernt und endlich ganz aufgehört hat, geht sie in die Sennhütte hinein und trägt Reisig heraus, das sie auf dem Boden ausbreitet und mit einer bunten Decke bedeckt. Dann stellt sie zwei abgerindete junge Tannen, die oben noch einen Wipfel haben, rechts und links von der Tür. Danach geht sie an den Teich und zieht weiße Wasserrosen heraus, woraus sie einen Kranz für ihren Kopf windet).

Mats (tritt nun auf von links mit dem Kind in einem mit Riemen versehenen Ledersack).

Kersti (stürzt herzu und küßt das Kind): Lieber, kleiner, goldener Schatz, schläft er noch?

Mats: Ja, er schläft.

Kersti: Komm, die Bäume sollen ihn wiegen! (Sie befestigen die Wiege zwischen den beiden Birken, die im Winde schaukeln.)

Kersti (trällert): Der Sturmwind saust, und die Birke schwankt; sanft schläft der Kleine im Walde. – – – Mats, hast du die Jagd gehört?

Mats: So spät am Tage gibt's keine Jagd mehr.

Kersti: Aber ich hab sie doch gehört!

Mats: Nicht möglich! ... Was hat deine Mutter gesagt?

Kersti: Sie hat mich gequält – sie quält mich beinah zu Tode.

Mats: Ja, Kersti, Liebste, Friede und Glück wird uns nicht zuteil, bevor nicht unser Bund geweiht und der Kleine getauft ist.

Kersti: Solange sich unsere Eltern widersetzen, werden wir nicht getraut, aber wir wollen Gottes Segen für unsern Bund erflehen, bevor wir dem Kleinen einen Namen geben!

Mats: So hatten wir's ausgemacht, und nun müssen wir's auch tun!

Kersti: Du siehst ja, ich habe schon alles vorbereitet.

Mats: Gut hast du's gemacht. Ach, wir Ärmsten! Es ist eine armselige Hochzeit!

Kersti: Gott sieht uns ins Herz, daß kein Falsch darin wohnt ... Was soll uns alles andere! Hast du das Buch mitgebracht?

Mats: Ich hab's. Aber ist es auch keine Sünde, Kersti, Liebste?

Kersti: Keineswegs. Die Hebamme darf ja doch auch nottaufen.

Mats: Ja, die!

Kersti (setzt sich den Kranz auf): Wollen wir nun anfangen?

Mats: In Gottes Namen. Mögen wir es nie bereuen! (Sie knien einander gegenüber auf die Decke nieder. Mats reicht einen Ring dar, den Kersti entgegennimmt, während Mats aus dem Gebetbuch vorliest.) »Ich, Mats Anders Larsson, nehme dich, Kersti Margreta Hanstochter, zu meiner Ehefrau, dich zu lieben in Freud und Leid, und des zum Wahrzeichen gebe ich dir diesen Ring.«

Kersti: »Ich, Kersti Margreta Hanstochter, nehme dich, Mats Anders Larsson, zu meinem Ehemann, dich zu lieben in Freud und Leid, und des zum Wahrzeichen nehme ich diesen Ring entgegen.« (Nach einem kurzen stillen Gebet erheben sie sich, reichen einander die Hand, küssen einander aber nicht.)

Mats: Kersti, Liebste, nun bist du mein vor Gott. Was die Menschen nun noch sagen mögen, bekümmert uns nicht mehr.

Kersti: Es wird herauskommen!

Mats: Kersti, Liebste, was haben wir zum Hochzeitsschmaus?

Kersti: Gar nichts, Mats!

Mats (nach einer Pause): Dann müssen wir eine Pfeife Tabak rauchen. (Sie setzen sich, jedes auf ein Dreibein, und rauchen, nachdem sie mit Stahl und Stein Feuer geschlagen haben.)

Mats: Was hast du denn vorhin von einer Jagd gesagt, Kersti?

Kersti: Jetzt ängstige ich mich nicht mehr, Mats, seit mir klar geworden ist, was das für Leute gewesen sind. Ich ängstige mich nicht mehr.

Mats: Nein, dann lieber nicht! ... Siehst du, wie die Wiege schaukelt – ganz wie von selbst.

Kersti: Das ist der Wind, Mats! Das ist der Wind, der durch die Birken weht!

Mats: Aber ihre Zweige bewegen sich nicht im Winde!

Kersti: Nein, wirklich nicht. Ja, es ist heute abend nicht ganz geheuer!

Mats: Wie kannst du das sagen!

Kersti: Sieh doch, mein Rauch zieht gen Norden!

Mats: Und meiner gen Süden!

Kersti: Und die Mücken tanzen ...

Mats: Wie zur Hochzeit ...

Kersti: Meinst du, wir seien jetzt froher?

Mats: Kaum.

Kersti (nach einer Pause): Hörst du, wie der Birkhahn spielt?

Mats: Wie zur Hochzeit ...

Kersti: Aber es läuten keine Kirchenglocken.

Mats: Sie sind müde nach dem Sonntagsgeläute ... Wie wollen wir den Kleinen heißen?

Kersti (wild): Überlast, Unheil, Notzwang, Kronräuber ...

Mats: Warum Kronräuber?

Kersti: Darum und darum und darum ... Weil ich keine Brautkrone tragen dürfte, wenn wir auch eine richtige Hochzeit halten könnten. Wie soll er heißen? Brautschänder, Muttersorge, Waldknabe!

Mats: Wer Böses tut, dem geschieht Böses.

Kersti: Meinst du?

Die Mutter (erscheint oben im Fichtenwald und betrachtet sich Mats und Kersti).

Mats: Der böse Blick ist hier um den Weg!

Kersti: Und böse Gedanken ... Du braust und ich trinke! Du mahlst und ich backe!

Die Mutter (verschwindet).

Mats: Weißt du, warum unsere Alten einander so unchristlich hassen?

Kersti: Es handelt sich um irdisch Gut! Parteilichkeit, zu Unrecht an sich gebrachte Habe und bestochene Richter und ... alles Böse, Böse, Böse!

Mats: Und jetzt ist aus dem Haß Zuneigung geworden, Liebe, Leidenschaft ...

Kersti: Aber vergiftet, alles!

Mats: Wie finster wird alles, wenn der Haß erscheint!

Kersti (wirft ihren Kranz in den Teich): Das mußt du sagen! Eine Schande ist der Kranz, wenn die Brautkrone fehlt! ...

Mats: Sag das nicht!

Kersti: Wie die Bettler, wie die Landstreicher, wie die Gauner, so halten wir Hochzeit ... Es gibt nichts zu essen, es gibt nichts zu trinken, aber es schmeckt uns dennoch; das ist der Tabak, der ist das Hochzeitmahl. Das Feuer unter dem Kessel verlischt, geh, Mats, und trag Holz herbei, das ist dann der Tanz!

Mats: Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so bist du zur Königin geboren.

Kersti: Kann sein! Kühe zu melken gewiß nicht!

Mats: Liebster, liebster Herr Jesus, was für ein Leben!

Kersti: Armer Kleiner! Was soll aus uns werden? Bring Holz, Mats! Wenn das Käsen nicht vorangeht, schlägt mich die Mutter. Geh, Mats!

Mats: Kersti, du hast doch einmal bei meinem Vater gedient. Jetzt diene ich dir. Er war hart gegen dich, dafür werde ich gut sein.

Kersti: Du bist gut, Mars, und das bin ich nicht. Wenn ich's doch wäre!

Mats: So werd es!

Kersti: Werd du böse, Mats! Sieh mal, ob du es kannst!

Mats: Das meinst du ja nicht!

Kersti: Wer weiß! ... Eil dich, Mats, geh, es kommt jemand! Ich kenne den Tritt, es ist meine Mutter!

Mats: Deine Mutter? – Und der Kleine?

Kersti (nimmt die Decke vom Boden auf und wirft sie über die Wiege. Darauf nimmt sie ihren Pelz von der Wand der Sennhütte und breitet ihn darüber): Geh, geh, geh!

Mats: Gib acht auf den Kleinen! Gib acht auf ihn! (Geht nach rechts ab.)

Kersti: Ja doch, ja!

Die Mutter (kommt von links): Ist Anna dagewesen?

Kersti: Jawohl!

Die Mutter: Und ist sie eben weggegangen? ... Und hat sie eine so grobe Stimme?

Kersti: Warum nicht?

Die Mutter: Und die Brautbäume und das Reis hat sie gehauen?

Kersti: Ist das so merkwürdig?

Die Mutter (reißt Kersti an den Haaren): Lügnerin, Dirne, Verruchte! ...

Kersti (hebt die Hand auf): Schämst du dich nicht?

Die Mutter: Hebst du die Hand gegen deine Mutter, du Hure! Hat dich Mats das gelehrt? Sein Vater hat uns von Haus und Hof vertrieben, und du umfängst den Sohn, Tochter! ... O!

Kersti: Ach, darum!

Die Mutter (deutet auf die Wiege): Was hast du da?

Kersti: Ich lüfte Kleider.

Die Mutter: Kleine Kleider!

Kersti: Nicht so besonders kleine.

Die Mutter: Was hast du in der Schaukel?

Kersti: Kleine Kleider, aber nicht zu kleine.

Die Mutter: Es ist das Kind!

Kersti: Wessen?

Die Mutter: Deins!

Kersti: Gibt's nicht.

Die Mutter: Willst du's beschwören?

Kersti: Ich schwöre! Der Wassermann soll mich holen, wenn ich lüge!

Die Mutter: Schwöre nicht zu deiner eigenen Schande!

Kersti: Auch nie zu der eines andern.

Die Mutter (setzt sich): Es geht ein Gerücht um im Dorf.

Kersti: Ach so!

Die Mutter: Ein sonderbares Gerücht.

Kersti: Ei was!

Die Mutter: Es heißt, Mats soll die Mühle bekommen.

Kersti (steht auf): Ist das wahr?

Die Mutter: Ebenso wahr, wie der Spruch: Ungeduld ist an vielem Unheil schuld.

Kersti: Mats soll die Mühle bekommen? Dann muß er wohl heiraten?

Die Mutter: Ja, das wird auch gesagt.

Kersti: Wen denn?

Die Mutter: Wer's auch sein mag, und auf wen seine Liebe auch fallen mag, jedenfalls muß es eine Kronbraut sein.

Kersti: O!

Die Mutter: O! – Du hast einen goldenen Ring am Finger!

Kersti: Ja.

Die Mutter: Bist du verlobt?

Kersti: Ja.

Die Mutter: Und darfst die Krone tragen?

Kersti (schweigt).

Die Mutter: Hast du sie verloren?

Kersti (geht unruhig auf und ab): Weißt du, daß mir eine Krone prophezeit ist?

Die Mutter: Unsinn, Geschwätz! Der Jungfernkranz ist eine schönere Krone als die einer Königin. Wohl der, die ihn mit Ehren trägt!

Kersti: O!

Die Mutter: O! – Arm waren wir. Böse Menschen kränkten uns. Unheil kam über uns. Weh uns!

Kersti: Arm waren wir, reich werden wir sein. Das Glück kommt!

Die Mutter: Zwei Familien in Haß gegeneinander. Feuer und Wasser, jetzt kocht es!

Kersti: Das Feuer brannte, das Wasser löschte. Nun wird es warm!

Die Mutter (steht auf, um zu gehen): »Wie hold war es einst, und wie schlimm ist es nun!« (Geht nach rechts.) Da liegt ja ein Kranz im Wasser. Wo ist die Krone? (Geht ab.)

Kersti: Sie kommt, sie kommt!

Der Wassermann [der Neck] erscheint in hellem weißem Licht oben am Wasserfall; er trägt eine silberne Tunika mit einer meergrünen Schärpe um die Mitte und eine rote Mütze auf dem Kopfe. Jung, mit hängenden blonden Locken. Er spielt auf einer goldenen Geige mit einem silbernen Bogen.

Der Wassermann (singt und spielt):

Gesang:

Noten

Kersti (steht erst in Gedanken versunken da. Sie erblickt den Wassermann, und als er seinen Vers zum zweitenmal wiederholt hat, sagt sie spöttisch): Du hast gar keinen Erlöser!

Der Wassermann (macht eine Pause und betrachtet Kersti kummervoll. Dann singt er seine Strophe noch zweimal).

Kersti: Wenn du jetzt aufhörst, dann darfst du bei meiner Hochzeit aufspielen.

Der Wassermann (nickt seine Zustimmung, und der Fels verbirgt ihn wieder).

Die Hebamme (kommt hinter der Sennhütte hervor, in einen schwarzen Radmantel gehüllt und eine schwarze Haube aus dem Kopf. Unter dem Mantel trägt sie eine Tasche. Sie läßt nie ihren Rücken sehen): Guten Abend, liebe Jungfer! Ich störe doch nicht?

Kersti: Ach, das ist ja die Hebamme, Frau Larsson!

Die Hebamme: Jawohl! Ich hab ja auch der lieben Jungfer beigestanden, als ...

Kersti: Jawohl, jawohl! Aber Ihr habt doch versprochen, nie mehr davon zu reden!

Die Hebamme: Davon wollen wir auch gar nicht reden. Aber wie geht es dem Kleinen?

Kersti (ungeduldig): Dem geht's ausgezeichnet.

Die Hebamme: Hör mal, liebe Jungfer, sei doch nicht so ungeduldig ... ärgerlich!

Kersti: Wer sagt, daß ich ärgerlich sei?

Die Hebamme: Das sagte die kurze Rede und der kleine leichte Fuß ... Aber da ist ja Gold an deinem Finger. Dann komm ich also bald auf eine Hochzeit.

Kersti: Ihr?

Die Hebamme: Bei den Kindtaufen bin ich ja selbstverständlich mit dabei, aber bei einer Hochzeit bin ich noch nie gewesen ... Ich meine, das müßte sehr schön sein!

Kersti: Denkt, was Ihr wollt!

Die Hebamme: Unter allen menschlichen Tugenden gibt es eine, die ich am höchsten schätze ...

Kersti: Eine Tugend wird das kaum sein.

Die Hebamme: Etwas, das es gar nicht gibt, kann auch nicht geschätzt werden. Aber siehst du, Dankbarkeit, die schätze ich.

Kersti: Ihr seid doch bezahlt worden!

Die Hebamme: Es gibt Dienste, für die man nicht mit Geld abgespeist werden kann.

Kersti: Und Menschen, die sich überhaupt nicht abspeisen lassen.

Die Hebamme: Ganz recht, mein Hühnchen, und zu der Sorte gehöre ich ...

Kersti: Das merk ich.

Die Hebamme: Ja ... Und noch einer.

Kersti: Wer denn?

Die Hebamme: Der Vogt!

Kersti: Der Vogt?

Die Hebamme: Ja, der Vogt. Das ist ein sehr sonderbarer Mann, und ich weiß niemand, der das Gesetz von A bis Z so gut auswendig kann wie er. Und ich könnte es niemals so gut lernen wie er! Aber ... es gibt da ein Kapitel, das ich als Hebamme auswendig wissen muß ... es ist das merkwürdige vierzehnte Kapitel, das ist gar zu merkwürdig mit seinen vielen Paragraphen ... Was gibt's denn?

Kersti (erregt): Sagt, was Ihr wißt!

Die Hebamme: Ich weiß gar nichts ... Ich bin nur ein armes Weib, das um ein Nachtlager bittet.

Kersti: Ein Nachtlager? Hier?

Die Hebamme: Ja, gerade hier!

Kersti: Geht Eures Weges!

Die Hebamme: Ich kann doch nicht in den Wald gehen, in den stockfinstern Wald ...

Kersti (ergreift einen Stock und droht damit): Dann sollt Ihr in den Wald laufen!

Die Hebamme (zieht sich etwas zurück, aber immer ohne sich umzudrehen): Sind wir so weit, sind wir jetzt so weit? Laß den Stock in Ruh, sonst ...

Kersti: Sonst?

Die Hebamme: Sonst kommt der Vogt, verstanden? Und das vierzehnte Kapitel ...

Kersti (hebt den Stock, um zuzuschlagen): Fahr zur Hölle, verdammte Hexe! (Der Stock fällt in Stücke.)

Die Hebamme: Haha! Haha!

Kersti (ergreift das Feuerzeug und schlägt Feuer): Bei Christi Wunden, weiche von hinnen!

Die Hebamme (dreht jetzt den Rücken, und man sieht, daß es der Rücken eines Fuchses ist mit hängendem Schwanz. Sie läuft zischend in großen Sprüngen ab): Wir treffen uns auf der Hochzeit, geladen oder ungeladen! Mit dem Vogt! Mit dem Vogt: Ä pfui! Ä pfui! Ä pfui!

Kersti (allein. Geht zuerst unschlüssig an den Teich, als ob sie sich hineinstürzen wolle, dann läuft sie vor der Wiege auf und ab. Endlich zieht sie ihre Jacke aus und legt sie noch auf die Kleider in der Wiege. Sie setzt sich dann auf einen Stuhl neben der Tür der Sennhütte und schlägt die Hände vors Gesicht).

Jetzt fängt der Schleifstein an sich zu drehen und zu surren; dann hört man Glöckchen klingen, wie die der Ziegen. Im Fichtenwald werden kleine weiße Flämmchen sichtbar, und man hört Kuhglocken ganz in der Nähe. Dann erscheint der Wassermann.

Der Wassermann (der wieder sein Lied singt):

Ja, ich hoffe, ja, ich hoffe,
daß mein Erlö–ser lebet.

Kersti (ist aufgestanden und steht vor Entsetzen wie versteinert da).

Jetzt hört man aus dem Teich Klänge wie von einer Glasharmonika, ein weißgekleidetes Kind, für Kersti nicht sichtbar, steigt zwischen den Wasserrosen im Teich hervor und geht zur Wiege hin. Nun wird es still auf der Bühne, der Schleifstein dreht sich nicht mehr. Der Wassermann verschwindet, alle die Irrlichter, außer einem einzigen, erlöschen. Das weiße Kind, von Kersti immer noch ungesehen, rührt sachte die Wiege an, horcht und bleibt bekümmert stehen, fängt an zu weinen und bedeckt das Gesicht mit den Armen. Die Glasharmonika ist immer noch zu hören. Dann nimmt das weiße Kind weiße Wasserrosen und zerpflückt sie, so daß die Blätter auf die Wiege fallen, küßt sie und steigt wieder hinunter in den Teich. Da erlischt das letzte Flämmchen, und die Glasharmonika hört auf zu spielen.

Die Hebamme (tritt wieder auf, ihre Tasche ist sichtbar): Vielleicht darf ich jetzt kommen? Vielleicht nimmt die Jungfer jetzt die Hebamme auf?

Kersti: Was gebt Ihr mir?

Die Hebamme (zieht eine Brautkrone aus ihrer Tasche): Die hier!

Kersti: Was verlangt Ihr dafür?

Die Hebamme (deutet auf die Wiege): Du siehst es, ich sehe es, die ganze Welt sieht es, und es ist doch nicht da.

Kersti: So nimm es!

Die Hebamme (geht an die Wiege): Ich hab es. (Unbemerkt nimmt sie etwas aus der Wiege und steckt es in ihre Tasche, die sie unter den Mantel verbirgt.) Darf ich nun zur Hochzeit kommen?

Kersti: Kommt!

Die Hebamme: Sag Willkommen!

Kersti: Da müßte ich lügen!

Die Hebamme: Übe dich ...

Kersti: Du bist willkommen ... wenn du jetzt gehst!

Die Hebamme (geht rückwärts ab): Viermal rundherum, achtmal trab trab drum, viere am Himmel stehen, vier zum Dorf hinsehen! (Ab.)

Mats (singt hinter der Bühne, jubelnd):

Noten

Kersti (horcht, fröhlich, das Herz schwillt ihr vor Mut und Stolz).

Mats (kommt mit einem Armvoll Holz, fröhlich).

Kersti (geht ihm entgegen): Ist dir jemand begegnet?

Mats: Jawohl! ... Hier soll's eine Hochzeit geben! (Er wirft das Holz in die Hütte.) Laß den Kessel überkochen, ich koche auch.

Kersti: War es der Vater?

Mats: Vater und Mutter. Und die Mühle krieg ich!

Kersti (zeigt die Krone): Siehst du, was ich da habe?

Mats: Woher hast du sie?

Kersti: Meine Mutter hat sie mir gegeben.

Mats: Ist sie dagewesen?

Kersti: Sie war vergnügt.

Mats: Aber der Kleine, der Kleine, der Kleine!

Kersti: Setz dich, Mats! Setz dich! Ich weiß mir schon zu helfen!

Mats (setzt sich): Der Kleine, der Kleine!

Kersti: So, ja! – – – Mats! Jetzt, wo das Dunkel weicht und das Leben lacht, meinst du nicht, wir könnten mit Geduld weite Wege gehen?

Mats: Aber gerade Wege – – –

Kersti: Gewiß, gerade und kurze!

Mats: Was meinst du?

Kersti:

Wer das Große will erlangen,
Darf nicht um das Kleine bangen!

Mats: Du verstehst es, zu reden.

Kersti: Wart ein wenig!

Mats: Ich warte!

Kersti: Die Alten haben ihre Bedingungen gestellt, nicht wahr?

Mats: Ich kenne sie.

Kersti: Eine Kronbraut verlangen sie! Was ist eine Kronbraut? Die die Brautkrone trägt!

Mats: Mit Ehren!

Kersti: Mit oder ohne. Was man nicht sieht, was niemand weiß, das ist auch nicht vorhanden.

Mats: Laß mich mal nachdenken. (Er sinnt.) Jawohl. Aber weiter!

Kersti:

Wer ums Kleine nicht bangt,
Der das Große erlangt.

Mats: Nicht bangen um das Kleine, aber wohl um den Kleinen!

Kersti: Willst du mich jetzt im Stich lassen?

Mats: Im Stich lassen? Dich? Niemals, Kersti, Liebste!

Kersti: Wir sagen jetzt: Das Aufgebot ist geschehen, die Hochzeit wird ausgerichtet, und der Kleine schläft sanft im Walde. Wer melkt die Kuh, wer gießt in den Schuh und gibt dem Kind zu trinken? Wer, wer, wer?

Mats: Ja, das mußt du fragen! (Denkt nach.) Wenn man es wagte – – – Hast du etwas gesagt?

Kersti: Nichts!

Mats: Es kam mir so vor ... Wenn man es wagte – – –

Kersti: Sag's!

Mats: Nein, sag du's!

Kersti: Du mußt es sagen!

Mats: Jemand muß nach dem Kleinen sehen!

Kersti: Wer?

Mats: Es gibt nur eine.

Kersti: Dann ist es leicht zu erraten.

Mats: So sag's doch!

Kersti: Du sollst es sagen!

Mats: Außer uns beiden gibt es nur eine, die von dem Kleinen weiß.

Kersti: Wer?

Mats: Da du es weißt, warum sagst du's nicht?

Kersti: Weil du es sagen sollst.

Mats: Das ist's, die Hebamme. Hast du das nicht gesagt?

Kersti: Ich hab nichts gesagt, aber du hast es gesagt! ... Und ich gehorche dir, Mats, das weißt du!

Mats: Das glaub ich nicht!

Kersti: Aber ich habe dir gehorcht! Der Kleine darf nicht länger im Walde sein, muß unter Dach kommen. Die Nächte werden kalt, und geschieht etwas, so kommt – der Vogt.

Mats: Der Vogt! Ja, er kommt!

Kersti (fährt auf): Kommt er?

Mats: Wenn etwas geschieht! ... Wo ist die Hebamme?

Kersti: Willst du sie holen?

Mats: Ich wollte, sie wäre hier!

Kersti: Was willst du von ihr?

Mats: Sie soll den Kleinen unter Dach bringen.

Kersti: Unter wessen Dach?

Mats: Unter ihres.

Kersti: Für wie lange?

Mats: Bis die Hochzeit vorüber ist!

Kersti: Aber wenn der Kleine bei ihr krank wird?

Mats: Dann ist es immer noch besser, als wenn er im Walde friert, im Wald erfriert. (Horcht nach der Wiege hin.) Still, ich hör ihn!

Kersti: Nein, er schläft ...

Mats: Still, ich hör ihn!

Kersti: Du hörst ihn nicht!

Mats (steht auf): Still, ich hab ihn gehört!

Kersti (stellt sich vor die Wiege): Weck ihn nicht! Wenn er schreit, könnte ihn jemand hören!

Mats: Oh! – – – Meinst du, man könnte ihn hören? Die Mutter könnte ihn hören?! – – – Das hätten wir niemals tun sollen, Kersti, Liebste!

Kersti: Ungeschehen wäre am besten.

Mats (traurig): Wir müssen ihn heute nacht zur Hebamme bringen, aber ich muß hinunter ins Dorf.

Kersti: Ich will ihn hinbringen.

Mats (geht auf die Wiege zu): Ja, tu's!

Kersti: Aber weck ihn nicht!

Mats: Ich muß ihm doch gute Nacht sagen!

Kersti: Rühr ihn nicht an!

Mats: Bedenke, wenn ich ihn nun nie mehr zu sehen bekäme, den Kleinen!

Kersti: Dann geschähe dessen Wille, den wir nicht ändern können!

Mats: Sein Wille geschehe!

Kersti: Du hast es gesagt!

Mats: Was hab ich gesagt, das dich so freut?

Kersti: Daß, daß – – – Du beugst dich also unter den Willen dessen, ohne den nichts geschieht?

Mats (einfältig): Alles, was geschieht, geschieht ja nach seinem Willen.

Kersti: Ja!

Mats: Nun gute Nacht, Kersti, Liebste, und du, Kleiner! (Geht.)

Kersti: Gute Nacht, Mats!

Kersti (macht die leere Wiege los und versenkt sie in den Teich. Das weiße Kind steigt hervor und droht mit dem Finger. Kersti fährt erschrocken zurück).

Der Wassermann (zeigt sich wieder, drohend. Jetzt ist er barhäuptig und hat eine goldene Harfe. Er singt zur Harfe):

Wolken, sie leuchten, und Wasser stehn still,
Wasser stehn still;
Sonne ich sah, als in anderer Welt
Selig ich ging;
Sonne ist tot,
Nacht ist nun nah;
Sünde ist schwer,
Wasser ist tief,
Hold war es einst,
Schlimm ist es nun!
Trübsal und Wehsal, so heißet mein Heim!
Weh!

Kersti (hat unterdessen die Brautkrone ergriffen und in die Hütte getragen. Als sie dann das Feuer unter dem Kessel auslöscht, steigt der Rauch aus dem Schornstein und bildet phantastisch geformte bunte Schlangen, Drachen, Vögel usw.

Als sie wieder heraustritt, hat sie eine Jacke an, die Tasche an der Seite und eine Lur in der Hand. Sie schließt die Tür ab und geht, während der Wassermann seine letzten Zeilen singt, aufrecht mit stolzen Schritten fort).

 

Die Mühlkammer. Alles ist weiß vom Mehlstaub. Im Vordergrund rechts eine große offene Falltür, durch die man einen Teil des Wasserrades sieht. Etwas weiter rechts mündet die Trommel, an der ein Mehlsack befestigt ist. Daneben der Mühlbaum. In der Mitte des Hintergrundes große Tore, links davon große Luken, wie in einer Scheune. Rechts eine große offene Feuerstelle mit glühenden Kohlen und einem Kessel darüber. Links ein Bett und ein Webstuhl, ein Spulrad, ein Haspel und ein Spinnrocken. Rechts eine Tür. Vor der Feuerstelle im Kreis herum sitzen der Großvater, die Großmutter, Mats' Vater und Mutter, Brita [Mats' Schwester, erwachsen], Anna [seine Schwester, halb erwachsen], Klein-Karen [seine Schwester, ein Kind], Klein-Mats [sein Bruder, ein Kind]. Alle rauchen aus kleinen eisernen Pfeifen und sind sehr ernst. Brita ist mit einer Handarbeit beschäftigt. Klein-Karen und Klein-Mats spielen, jedes mit einer Puppe.

Brita (zu Klein-Karen): Sag, wo hast du die Puppe her?

Klein-Karen: Von Kersti.

Brita (nimmt ihr die Puppe weg): Fort damit! ... (Zu Klein-Mats) Woher hast du deine Puppe?

Klein-Mats: Auch von Kersti.

Brita (nimmt die Puppe): Her damit!

Der Vater: Still, still! Großvater überlegt! (Schweigen.)

Die Mutter (zu Brita): Was machst du da?

Brita: Eine Uhrkette. Aber das Haar geht mir aus.

Die Mutter: Wo willst du mehr herbekommen?

Brita: Wohl weiß ich, wo sie ausgerissen werden sollten!

Die Mutter: Den Pferden reißt man sie aus!

Brita: Und die Hühner werden gerupft, die Schweine geben Borsten, und die Mädchen werden gekämmt. Kammhaar ist ganz gut, aber Schnitthaar ist am besten!

Der Vater: Still, still! Großvater überlegt! (Schweigen.)

Anna (halblaut zu Brita): Was überlegt er denn?

Brita: Du wirst es schon erfahren. Und wir werden gut davon haben.

Anna: Gilt es Mats?

Brita (schweigt).

Anna: Und Kersti? Sollen sie Hochzeit halten?

Der Vater: Still, still! Großvater überlegt! (Schweigen.)

Anna (zu Brita): Du kannst von meinem Haar bekommen.

Brita: Deines hat nicht die richtige Farbe.

Anna: Wessen hat denn die Farbe?

Brita (schweigt).

Anna: Kerstis?

Brita: Schweig! still davon! (Schweigen.)

Die Großmutter (zum Großvater): Hast du nachgedacht?

Der Großvater (der mit Bibel und Gesangbuch auf den Knien in Gedanken versunken dagesessen hat, wacht aus seinen Gedanken auf): Ich habe nachgedacht. (Öffnet das Gesangbuch aufs Geratewohl; zu den Anwesenden): Lied Nummer 278, vierter Vers: Geburt und Tod, den nehmen wir.

Alle (beten gemeinsam wie die Kinder in der Schule):

In Tod, Geburt sich alle gleichen!
Gehe hin zum Totenbein,
Such dir aus die Armen, Reichen,
Wer war vornehm, wer gemein?
Gehe dann zur Wiege hin,
Ob das Kind, das schläft darin,
Hat gebracht, das schwache, kleine,
Mit sich Gold und Edelsteine!

Der Großvater: Es ist entschieden! Wer Ohren hat zu hören, der höre! – Ist es entschieden?

Die Großmutter: Noch nicht!

Der Vater: Noch nicht ganz.

Die Mutter: Herr, du siehest es!

Brita: Was sagt die Schrift?

Anna: Meinest du, daß Gott unrecht richte, oder der Allmächtige das Recht verkehre?

Klein-Karen: Was soll ich sagen?

Der Großvater: Ja, mein Kind, raten sollst du, wenn wir deinem Rat auch nicht gehorchen sollten. Die Wahrheit läßt sich hören aus dem Munde der Unmündigen ... Soll Kersti den Mats haben?

Klein-Karen: Wenn sie einander haben wollen!

Der Großvater: Wohl gesprochen!

Der Großvater (zu Klein-Mats): Klein-Mats!

Klein-Mats (mit dem Finger im Mund): Ich will meine Puppe haben!

Der Großvater: Und Mats will die seine? Soll er sie bekommen?

Klein-Mats: Wenn's Kersti ist, dann soll er sie bekommen, denn sie hat mir meine Puppe geschenkt.

Brita: Da hört ihr's!

Der Großvater: Wir wollen die Schrift befragen! (Schlägt die Bibel auf und liest): Es ist das erste Buch Mose, das 34. Kapitel, der achte Vers:

»Da redete Hemor mit ihnen und sprach:
Meines Sohnes Sichems Herz sehnet sich nach eurer Tochter; Lieber, gebet sie ihm zum Weibe.«

Ist das genug?

Die Großmutter: Jawohl, gut genug!

Der Vater: Steht auch etwas von der Mühle dabei?

Die Mutter: Sein Wille geschehe!

Brita (kurz): Amen!

Anna: Ja, ja, es soll also geschehen!

Klein-Karen: Ich mag Kersti gern, weil sie lieb ist.

Klein-Mats: Und ich auch!

Der Vater: Still, still! Großvater denkt nach! (Schweigen.)

Der Großvater (zum Vater): Rufe den Schwager herein.

Der Vater (steht auf und geht zu der Tür im Hintergrund, wo er stehen bleibt).

Der Großvater (tritt ans Bett, zieht die darunter befindliche Schublade heraus, der er einen Pack Schriftstücke entnimmt. Wendet sich an den Vater): Er soll hereinkommen!

Der Vater (macht die Tür auf): Komm herein, Stig Matsson, mein Schwager!

 

Der Vogt (in Uniform): Der Friede Gottes sei mit euch!

Alle (stehen auf): Gott segne dich!

Der Großvater: Stig Matsson! Ich habe dich rufen lassen, den Grund weißt du. Mats Anders Larsson, mein Enkel, will Kersti Margreta Hanstochter (seufzt) heiraten. Die Familien haben sich lange – allzulange – befehdet und bekämpft. Nun endlich ist mir klar geworden, daß, ehe ich die Augen schließe und zur letzten Ruhe eingehe, Zank und Streit ein Ende haben müsse. Wirf einen Blick in diese Papiere ... (Der Vogt nimmt die Papiere und sieht sie durch.) Es sind Gerichtsverhandlungen, Flurbereinigungen, Testamente, Quittungen, Vollmachten, die teils schon entschiedene Prozesse, teils noch unentschiedene betreffen. Hast du sie durchgesehen?

Der Vogt: Jawohl.

Der Großvater (nimmt die Papiere wieder zu sich): Gut! Hier werfe ich sie ins Feuer. – Der Haß hat seine Zeit! Die Zeit des Hasses muß vorbei sein, ich sehne mich nach Ruhe! – Darum bitte ich meine Nächsten und meine Anverwandten, alles, was früher geschehen ist, als nicht vorhanden zu betrachten – und ich frage euch: Wollt ihr alles vergessen und ohne Groll oder Hintergedanken euern neuen Verwandten entgegentreten und sie als Freunde begrüßen? Gebt Antwort!

Alle: Ja!

Der Großvater: So übergebe ich alles böse Vergangene dem Feuer! (Er wirft die Papiere ins Feuer, zieht die Herdklappe herunter und öffnet die kleinen Klappen.) Setzt euch!

Alle (setzen sich um die Feuerstelle her und schauen in den roten Schein, der durch die Öffnungen herausdringt).

Anna (zu Brita halblaut): Horch, wie es knistert!

Brita: Es wimmert. – Mir schneidet's ins Herz! (Schweigen.)

Der Großvater (steht auf).

Alle (stehen auf).

Der Großvater (zum Vater): Führ sie herein!

Der Vater (geht zur Tür rechts und läßt Mats herein).

Die Mutter (geht zur Tür im Hintergrund und läßt Kersti, deren Mutter, ihren Vater, den Soldaten in der alten Paradeuniform des Heeres, und Kerstis Großvater, den Küster, eintreten).

Der Großvater (ohne jede Geste): Gott segne euch! – Nehmt Platz!

Alle (setzen sich, außer Mats, Kersti und dem Vogt).

Mats (hat Kersti bei den Händen gefaßt). (Schweigen.)

Der Großvater: Wann wollt ihr Hochzeit halten?

Mats: In zwei Wochen, am Tage der dritten Verkündigung.

Der Großvater: Eilt es so sehr?

Kersti (erregt).

Mats: Haben wir nicht lange genug gewartet?

Der Großvater: Kann schon sein!

Mats (zu seinen anwesenden Verwandten): Sagt denn niemand ein Wort zu Kersti? (Schweigen.) Niemand?

Der Vogt (tritt zu Kersti und faßt freundlich ihre beiden Hände): Da ist also das Kind!

Kersti (entsetzt, will sich losmachen).

Der Vogt: Hast Angst vor mir? – Nicht doch! – Sieh mir ins Gesicht, Kersti! Ich hab dich auf meinen Knien geschaukelt, als du noch ein Kind warst, und dein schönes Köpfchen zwischen den Händen gehalten. Du hast einen so schönen Kopf mit einer Stirn, so hart wie die eines jungen Stiers, darum hast du auch deinen Willen durchgesetzt ...

Der Großvater: Wir wollen gehen und die Jungen allein lassen.

Alle (stehen auf und gehen an Mats und Kersti vorbei durch die Tür im Hintergrund hinaus).

Brita (die die letzte ist, spuckt aus, als sie an Kersti vorbeigeht): Pfui, ä pfui!

Mats (spuckt auch aus): Pfui!

 

(Kersti und Mats allein.)

Mats: Willkommen bei mir zuhause, Kersti!

Kersti: Bei dir? Ja!

Mats: Was hast du mit den andern zu tun?

Kersti: Sag es mir!

Mats: Ist es denn die Familie, die du heiraten willst?

Kersti: In die Familie hinein!

Mats: Wir gehören nicht zu den Weichherzigen, das weißt du doch! Und zu den Zärtlichen auch nicht!

Kersti: Das seh ich ... Und hier sollen wir wohnen?

Mats: Ja. Wie gefällt's dir?

Kersti: Alles ist weiß ...

Mats: Das ist der Mehlstaub, ja. Paßt dir das nicht?

Kersti: Und naß ...

Mats: Das ist der Mühlbach ...

Kersti: Kalt auch!

Mats: Das macht der Seegrund!

Kersti: Bekommen wir neue Möbel?

Mats: Ei nein! Hier gibt's nichts Neues. Alles vererbt sich weiter.

Kersti: Kann man das Weiße hier nicht aufwaschen?

Mats: Ei nein! Das gehört in eine Mühle, wie die Kruste im Pfeifenkopfe, daran darf nicht gerührt werden!

Kersti: Ist dies das Mühlrad?

Mats: Ja, das ist das Mühlrad. (Geht hin und zieht am Mühlbaum. Das Wasser braust, das Rad dreht sich.)

Kersti: Uh, nein! Kann das jemand mit anhören?

Mats: Es gehört uns. Und man ist froh, solange man es hört, denn dann hat man Mahlgut.

Kersti: Niemals scheint hier die Sonne.

Mats: Niemals! Wie könnte sie?

Kersti: Und nirgends eine Pflanze. Nur der grüne Schleim auf dem Mühlrad.

Mats: Wir haben Aale im Mühlbach und Neunaugen!

Kersti: Uh nein! Es ist schöner auf der Alm, wo der Wind weht!

Mats: Und die Birke schwankt!

Kersti (weint in ihre Schürze): Soll ich hier wohnen, unter dem Wasser, auf dem Seegrund?

Mats: Ich bin hier geboren!

Kersti: Und wir werden hier sterben. Ach!

Mats: Oho!

Kersti: Halt das Rad an!

Mats: Kannst du das Rad nicht ertragen? ... ja, dann ...

Kersti (hebt eine der Falltüren auf): Was ist hier?

Mats: Da ist der Mühlbach!

Kersti: Halt das Rad an!

Mats (zieht am Mühlbaum, aber das Rad bleibt nicht stehen): Hör doch! Spukt es draußen? ... Es bleibt nicht stehen!

Kersti: Ich muß hier sterben!

Mats: Laß mich auf die Stegbrücke und das Rad anhalten. Es spukt wahrhaftig draußen!

Kersti: Und hier innen auch.

Mats: Kersti! Liebste!

Kersti: Miau, miau! sagte die Katze.

Mats: Was hast du?

Kersti: Das, was ich gewollt habe!

Mats: Und wenn man es hat, dann ist es nichts! (Das Mühlrad dröhnt und geht rückwärts.) Hilf, Jesus Christus, das Rad geht rückwärts! (Ab durch die Tür im Hintergrund.)

 

(Kersti allein.)

Der Webstuhl fängt an zu schlagen; das Spulrad, der Haspel und der Spinnrocken surren. Die Bühne ist wie vom hellsten Sonnenschein beleuchtet. Dann wird es dunkel, und die Feuerstelle macht eine Drehung in die Bühne hinein, so daß die drei kleinen Öffnungen Kersti gewissermaßen anstarren, während die Feuerstelle ihr nachläuft. Die Feuerstelle geht wieder an ihren Platz. Das Mühlrad dröhnt, und der Wassermann erscheint in dem Rad, mit der goldenen Geige und der roten Mütze. Er singt und spielt wie früher.

Der Wassermann:

Ja, ich hoffe, ja, ich hoffe,
Das mein Erlö–ser lebet!

(Verschiedene Male wiederholt.)

Kersti (ab durch den Hintergrund): Mats! Mats!

Der Wassermann (verschwindet. Man hört den Gesang allmählich hinsterben).

Die Hebamme (tritt auf; sie kommt herein, öffnet eine der Falltüren auf dem Fußboden und legt ihre Ledertasche hinein):

Gehst du um, so geht es nicht!
Gehst du nicht um, so geht es!
Ei sieh, jawohl! Nun werd ich tanzen auf der Hochzeit!

Sie tanzt, doch ohne den Rücken sehen zu lassen. Der Webstuhl schlägt im Dreivierteltakt, das Spulrad, der Haspel und der Spinnrocken schnurren. Dann verschwindet sie durch die Tür im Hintergrund, und als sie den Rücken dreht, wird der Fuchsschwanz sichtbar. Der Webstuhl fährt fort zu weben, das Spulrad, der Haspel und der Spinnrocken zu surren.

 

Kersti (kommt herein; alles steht still).

Der Küster (tritt herein).

Kersti: Bist du's, Großvater?

Der Küster: Ja, Kind, ich hab etwas vergessen. (Nimmt seine große Ledertasche vom Bett.)

Kersti: Was hast du da?

Der Küster: Ich komme eben von der Sakristei ... Ich wollte die Nummern mit nach Hause nehmen und putzen ...

Kersti: Welche Nummern?

Der Küster: Die Nummern, mit denen in der Kirche das Lied auf der Tafel angezeigt wird ...

Kersti: Darf ich sie sehen?

Der Küster (holt die Tafeln mit den Nummern aus Messing heraus): Da sieh her, Kind! Was hast du denn, Herzchen?

Kersti: Ich weiß nicht, Großvater! ... Ich glaube, ich hätte niemals hierherkommen sollen!

Der Küster: Liebes Kind, was sagst du da?

Kersti: Es ist schlimm hier im Hause ...

Der Küster: Ach nein, bewahre ...

Kersti: Ach! Ach! Ach! Es muß jetzt etwas Fremdes gekommen sein ...

Der Küster: Liebe Kersti, was soll daraus werden?

Kersti: Sag du mir's, sag du mir's!

Der Küster: Jetzt muß ich gehen, mein Kind; ich muß in die Kirche und die Brautkrone holen, denn sie muß zum Goldschmied und mit Weinstein geputzt werden.

Kersti: Dann geh, Großvater, geh nur ...

Der Küster: Deinetwegen, siehst du, muß die Krone geputzt werden ... Deinetwegen ... (Ab durch den Hintergrund.)

 

Der Soldat (tritt ein).

Kersti: Bist du's, Vater?

Der Soldat: Ich bin's nur, ich wollte meine Kopfbedeckung holen, die ich vorhin vergessen habe. (Nimmt den Helm vom Nagel.)

Kersti: Vater, lieber Vater, ich bin so unglücklich ...

Der Soldat (kurz angebunden): Was ist geschehen?

Kersti: Nichts ist geschehen.

Der Soldat: Wie kannst du dann unglücklich sein?

Kersti: Er versteht mich nicht!

Der Soldat (kurz, indem er seinen Helmriemen zuschnallt): Fasse dich, Kind!

Kersti: Geh nicht fort, Vater!

Der Soldat: Liebeskummer geht bald vorüber ... Fasse dich, das ist mein Rat! Fasse dich! (Geht ab.)

 

Brita (kommt herein).

Kersti: Was hast denn du vergessen?

Brita: Ich vergesse nichts, du!

Kersti: Was suchst du?

Brita: Dich!

Kersti: Wie liebevoll!

Brita: Meinst du?

Kersti: Haßerfüllte!

Brita: Dirne!

Kersti: Schwägerin!

Brita: Was soll das heißen?

Kersti: Weissagst du mir, Hexe?

Brita: Ja, den Strick!

Kersti: Im Hause des Gehängten!

Brita (geht an den Sack, der an der Mühltonne hängt): Sieh, ich weissage dir. Die Mühle ist dein! ... Das Mahlgut darnach auch. (Sie nimmt eine Handvoll Erde aus dem Sack und bildet daraus einen kleinen Grabhügel auf dem Fußboden.)

»Für ihre Männer
Mahlen Erde
Zur Nahrung
Leichtfertige Weiber.«

Kersti: Du Hexe!

Brita: Ja, und Schätze kann ich finden ... Ich will dir einen kleinen Schatz suchen!

Kersti: Hexe, pfui, nimm dich in acht! Todsünden übst du! Im Feuer solltest du brennen, ins Wasser geworfen, würdest du oben schwimmen!

Brita (nimmt ein wenig Erde aus dem Sack und streut sie Kersti auf den Kopf): Ich weihe dich mit Erde, ich kröne dich mit der Erdkrone. Schande über dich!

Kersti: O schäme dich, schäme dich!

Eine Kinderstimme (wiederholt): Schäme dich!

Kersti: Wer war das?

Die Kinderstimme: Wer war das?

Brita: Errate! – Das war der Schratt!

Kersti: Wer ist der Schratt?

Die Kinderstimme: Der Schratt!

Brita: Der Schatz ist der Schratt! Kennst du den Mordling?

Kersti: Den Mordling? Was geht der mich an?

Die Kinderstimme: Der mich an?

Brita: Der Tod ist der Sünden Sold!

Kersti (ruft laut): Mats!

Die Kinderstimme: Mats!

Kersti (verzweifelt): Ach! Ach! (Sie löst ihr rotes Strumpfband ab und knüpft es sich um den Hals.) Ich will sterben, ich will sterben!

Brita: Du wirst! Du wirst!

Kersti: Häng mich an einen Baum!

Die Kinderstimme: An einen Baum!

Brita: Ich nicht!

 

Mats (draußen, singt): Kersti, Liebste, schläft er denn?

Brita: Tief drinnen im Walde! ... Pfui über dich! (Geht hinaus.)

Mats (kommt herein, fröhlich): Tief, tief drinnen im Walde! (Hinter Kerstis Rücken, hält ihr die Hände vor die Augen.) Wer ist's?

Kersti: Ach, du tust mir weh!

Mats (faßt das Band, das sich Kersti um den Hals gelegt hat): Was ist das für ein Halsband?

Kersti: Laß los!

Mats (zieht scherzend an dem Bande): Nun führ ich dich, nun bist du meine Gefangene, meine Taube, meine Ziege, die ich auf die Weide führe. (Führt sie an dem Bande.) Mein weißes Zicklein, mein Kälbchen! (Singt):

Komm, Liebste, Liebste, Liebste!
Komm, Liebste, Liebste!

Kersti: Du bist vergnügt, Mats!

Mats: Sehr vergnügt! Rat einmal, warum?

Kersti: Kann nicht mehr raten.

Mats: Hab die Hebamme getroffen ... Läßt grüßen, vom Kleinen!

Kersti: Wirklich?

Mats: Ja! ... Er schläft, sagt sie, so lieb, so lieb!

Kersti: Ach!

Mats: Tief drinnen im Walde! ... Was hast du da im Haar?

Kersti: Erde.

Mats: Du hast Erde auf dir?

Kersti: Bin schon unter der Erde!

Mats (putzt ihre Haare rein): Uha! Wer hat's getan?

Kersti: Rate!

Mats: Brita, mit dem bösen Blick!

Kersti: Kannst du ihn unwirksam machen?

Mats: Ich nicht, allein Jesus Christus! (Man hört die Abendglocke läuten.)

Kersti: Bete für mich!

Mats: Das muß man selbst tun!

Kersti: Wenn man kann!

Mats: Man kann, wenn das Gewissen rein ist!

Kersti: Wann ist es das?

Mats: Hörst du die Abendglocke?

Kersti: Nein!

Mats: Ich höre sie, dann mußt du sie doch auch hören!

Kersti: Ach! Ich höre sie nicht! Weh! Weh!

Mats: Das ist schlimm! ... Hörst du den Wasserfall?

Kersti: Den Wasserfall im Walde, den Dreschflegel auf der Tenne, das Glöcklein auf der Weide, aber die Glocke nicht.

Mats: Das ist schlimm. Ich erinnere mich ... Beim Begräbnis des alten Vogtes, da läuteten alle Glocken, man sah sie sich bewegen, aber man hörte nichts! Das ist schlimm!

Kersti: Brita hat mich verhext!

Mats: Dann geht's ihr schlecht!

Kersti: Geh mit mir auf die Alm! Ich muß die Sonne sehen!

Mats: Ich gehe mit dir, Kersti, Liebste!

Kersti: Ach!

Mats (umfaßt ihren Kopf und drückt ihn an seine Brust): Ach!

 

Zwischenakt.

Kranzbinden [Polterabend] bei Kerstis Eltern. Die Wohnung des Soldaten, über der Tür im Hintergrund sein Schild mit Wappen und Nummer; links und rechts von dieser Tür Fenster mit Blumen. Der Fußboden, Dielen mit Astknorren und Nagelköpfen, frisch gescheuert.

Links eine große offene Feuerstelle mit überhängendem Kamin. Drumherum läuft eine Bank mit Decken belegt. Rechts unter dem Fenster steht eine Kommode, auf der ein mit einem Schleier verhüllter Spiegel, Leuchter, Gipsfiguren und andere Kleinigkeiten stehen. Rechts im Vordergrunde Tisch und Bank. An der Wand darüber hängt das Gewehr, alt, mit gelbgebeiztem Birkenholzschaft, rotem Riemen und einem Zündhütchenschloß. Außerdem die Patronentasche, das weiße Bandelier mit dem Bajonett und die Pickelhaube. Darunter eine Lithographie von Karl XV. in Uniform. Durch die offene Tür im Hintergrund wird eine Augustlandschaft mit Getreidehocken sichtbar.

Beim Aufgang des Vorhangs steht das Dienstmädchen am Herd und scheuert Kupfergeschirr, Kasserollen, Kessel und Kaffeekannen.

Am Tische rechts sitzt der Küster und scheuert die neben ihm liegenden Nummern für die Lieder in der Kirche. Auf dem Tisch liegt der Klingelbeutel aus rotem Samt mir Silberstickerei und einem Glöckchen. Am Tisch stehen mit schiefen Köpfen Klein-Karen und Klein-Mats und betrachten mit gespannter Aufmerksamkeit, großen Augen und dem Finger im Mund, was der Küster tut. Dieser lacht sie von Zeit zu Zeit an und streicht ihnen übers Haar.

Der Soldat (in Dienstuniform mit der Mütze auf dem Kopf sitzt am selben Tisch und geht Papiere durch; er macht dabei Aufzeichnungen mit einem Bleistift, den er zuweilen in den Mund steckt).

Die Mutter (steht am Herd und hält zwei Handtücher zum Trocknen ans Feuer).

Als der Vorhang aufgeht, hört man draußen Gesang von Mädchenstimmen. In der Stube herrscht eine gedrückte Stimmung, und jedes liegt seiner Beschäftigung ob, ohne sich um die andern zu kümmern.

Noten

(Der Gesang hört auf.)

Der Soldat (sieht auf, langsam zur Mutter): Hörst du, Mutter?

Die Mutter: Jawohl!

Der Soldat: Waren es sechs Tonnen, die wir letztes Jahr ernteten?

Die Mutter: Ja, es waren sechs!

Der Soldat (schreibt): Gut! (Schweigen.)

Der Küster: Sind die Mädchen noch im Bad?

Die Mutter: Ja. – – – Diese Hochzeit hier nimmt viele in Anspruch. – – – Der Hafer sollte herein ... und dann ist jetzt auch bald Preißelbeerzeit!

Der Küster: Die Hundstage sind bald vorbei; man sieht es an den Fliegen, die wie benommen sind. Es gibt heuer viele Preißelbeeren.

Die Mutter: Jawohl. (Schweigen.)

Der Soldat: Kommen die Mädchen noch nicht bald?

Die Mutter: Ich weiß nicht, wo sie so lange bleiben.

Der Soldat: Es ist sehr heiß.

Der Küster: Die beim Manöver haben's nicht gut!

Der Soldat: Bei der Infanterie geht's noch an ...

Der Küster: Es war ein Glück, daß du Urlaub bekommen hast ...

Der Soldat: Ja, das war's!

Die Mutter: Na, kommen sie jetzt?

Der Soldat: Hast du etwas zum Vorsetzen?

Die Mutter: Sie haben in der Badestube etwas bekommen und das reichlich. (Schweigen.)

Man hört draußen Geplauder; dann kommt Kersti aus dem Bade heim, weiß im Gesicht und mit hängenden nassen Haaren. Hinter ihr Brita und Anna mit den Brautjungfern Elsa, Nike, Greta und Lisa. Die vier letzten bringen einen Krug und Weingläser, die sie auf den Herd abstellen. Kersti, Brita und Anna tragen Handtücher mit bunten Borten, die sie an der Tür aufhängen. Die Mutter stellt einen Stuhl für Kersti in die Mitte der Bühne, trocknet ihr die Haare mit Handtüchern ab und kämmt ihr dann das Haar. Die Mädchen setzen sich auf die Bank links, Brita so, daß sie Kersti anstarren kann. Niemand grüßt oder gibt sonst irgendeine Gemütsbewegung kund.

Die Mutter: Nimm den Spiegel!

Kersti: Ich will keinen Spiegel. Laß ihn stehen!

Brita: Du sollst dich doch sehen, wenn auch sonst niemand!

Kersti: Was soll das heißen?

Brita: Ja, was meinst du! ... Schöne Haare; bekomme ich die, die ausfallen?

Kersti: Nein, du nicht!

Die Mutter (zu Brita): Was willst du damit?

Brita: Für Mats eine Uhrkette flechten.

Die Mutter: Für Mats kannst du sie doch geben!

Kersti: Ich will nicht.

Brita (zieht eine Haararbeit aus der Tasche): Diese Farbe kann ich nirgends bekommen.

Kersti: Wenn ich tot bin, kannst du sie haben.

Brita: So! Halt nur Wort!

Kersti: Ich halte es! (Schweigen.)

Der Soldat: Sag mal, Mutter – – – Seid still, Kinder! – – – ob der Fahnenjunker eingeladen ist?

Die Mutter: Västerlund? Ja!

Der Soldat: Morgen um vier in der Kirche, nicht wahr?

Die Mutter: Jawohl!

Der Soldat (legt die Papiere zusammen): Dann geh ich jetzt zum Pfarrer ... Und dann geh ich zum Glöckner – – – (Vor sich hin) Jaha – – – das war es! – – – das war es! (Geht nachdenklich hinaus, ohne zu grüßen. Schweigen.)

Der Küster (freundlich zu Klein-Karen und Klein-Mats): Nicht wahr, ihr rührt nichts an, Kinder, wenn ich weggehe?

Klein-Karen: Ich will auf Klein-Mats aufpassen, daß er nichts anrührt!

Der Küster: Ja, paß du auf, du!

Die Mutter: Wo willst du hin, Vater?

Der Küster: Ich will nur die Krone vom Kaufmann holen, der jetzt aus der Stadt kommt.

Brita: Ha, die Krone!

Der Küster (steht auf): Sie ist nämlich beim Goldschmied gewesen und mit Weinstein geputzt worden; man kocht sie nämlich mit Weinstein, ich meine das Silber.

Brita (höhnisch): Hoho!

Die Mutter (zum Küster): Wart noch einen Augenblick; ich komme mit zum Kaufmann.

Der Küster: Kann man die hier allein lassen?

Brita: Was sollte denn geschehen?

Die Mutter: Sie sind ja große Menschen.

Brita: Und Kersti ist ja am liebsten allein. Sie kann es nicht leiden, daß jemand sie ansieht ...

Die Mutter: Schweig still!

Brita: Besonders wenn sie in die Badstube geht, will sie keine Gesellschaft haben! Aber sie ist ein erwachsener Mensch, und sie fürchtet sich nicht ...

Kersti (windet sich unter Britas Blicken auf ihrem Stuhl).

Die Mutter: Sitz still!

Brita: Sie ist längst kein Kind mehr! Sie hat die Kinderschuhe und auch noch anderes verwachsen. Vielleicht paßt ihr die Brautkrone auch nicht mehr. Habt ihr's schon versucht?

Der Küster (einfach): Das wollen wir jetzt tun. (Geht ab mit der Mutter. Schweigen.)

Kersti (setzt sich jetzt an den Tisch rechts und beschäftigt sich mit den Nummern).

Brita (folgt Kersti mit den Blicken): Das ist ja lustig am Polterabend!

Kersti: Wollt ihr spielen?

Brita: Papa und Mama und Kind?

Kersti: Rätsel raten?

Brita: Ich hab schon eines erraten ...

Kersti: Oder singen?

Brita: Schlaf, Kindchen, schlaf! – – – Nein, wir wollen in der Bibel lesen.

Kersti: In der Bibel?

Brita: Ja, im ersten Buch Mose. Vierunddreißigstes Kapitel, achter Vers.

Kersti: Von Sichem?

Brita: Jawohl! Und von Dina, nach der sein Herz sich sehnte – – – Weißt du, wer Dina war?

Kersti: Das war Jakobs und Leas Tochter.

Brita: Richtig! ... Weißt du, was Dina war?

Kersti: Ist das ein Rätsel?

Brita: Nein, nein! – Weißt du, was sie war?

Kersti: Nein!

Brita: Sie war ein wenig ver–schämt, d. h. schwach!

Kersti: Ist das ein Wortspiel?

Brita: Gewiß, Kersti!

Kersti (neigt den Kopf gegen die Brust, als ob sie ihn verstecken wollte).

Brita: Hast du begriffen?

(Schweigen.)

Brita: Hast du außer Frau Larsson sonst noch jemand eingeladen?

Kersti: Die Hebamme! Ich hätte – die Hebamme eingeladen?

Brita: Ja, sie sagt es.

Kersti: Dann lügt sie.

Brita: Vereidigt ist sie als Hebamme; ob aber der Eid rein oder ein Meineid war, ist nicht gesagt. Lügen tut sie nicht, aber schwören!

Kersti (senkt wieder den Kopf).

Brita: Auf mit dem Kopf! Kannst du den Leuten nicht ins Gesicht sehen?

Kersti (zu den andern Mädchen): Sagt doch etwas, Mädchen!

(Schweigen.)

Brita: Was man nicht gesehen hat, davon ist nicht gut reden. Aber man weiß darum doch so viel – als man weiß.

 

Der Vogt (erscheint unter der Tür): Ich komme herein – – – Ein alter Mann darf wohl zu den jungen Mädchen gehen ... wenn auch die Burschen draußen bleiben müssen!

Brita (tritt zu Kersti und hält ihr die Faust vors Gesicht): Die Krone sollst du nicht tragen!

Kersti: Das glaub ich dir!

Brita (geht hinaus).

Der Vogt (tritt vor, nimmt einen Stuhl und setzt sich vor Kersti nieder).

(Die Mädchen schleichen sich eine nach der andern hinaus, Klein-Mats bleibt stehen und hängt sich Kersti an den Rock. Der Vogt spricht freundlich, wenn er aber fein sein will, wird er grob, und seine Worte bekommen einen andern Sinn, als er beabsichtigt hat.)

Der Vogt (ergreift Kerstis Hand und sieht ihr in die Augen): Hör doch, liebes Kind, was ist denn das für eine Braut, die so verdrießlich aussieht, wenn sie den bekommen hat, nach dem ihr Herz sich sehnt? Wie geht denn das zu?

Kersti (kalt): Was denn?

Der Vogt (schlägt sie leicht auf die Wange): Ei! Gibt man einem alten Freunde eine solche Antwort, der morgen an dem Fest ein Verwandter sein wird? ... Sind vielleicht die jungen Mädchen mißgünstig und wären lieber selbst an den Altar getreten?

Kersti: Kann sein!

Der Vogt: Oder ist es das neue Leben, das deiner in der Mühle und in der Küche wartet? Jetzt ist's aus mit dem Jodeln und Singen im Walde, wo der Wind weht und die Birke schwankt, aus mit dem Tanz in der Scheune am Samstagabend! Jetzt heißt's: am Herde stehen und an der Wiege sitzen und das Essen auf den Tisch stellen, wenn Mats kommt. Und den Gleichmut nicht zu verlieren, wenn die finstern Tage kommen ... denn die kommen so sicher, wie der Regen nach dem Sonnenschein. Ist dir bange vor dem Ernst, liebes Kind? Es ist nicht gar so gefährlich mit dem Ernst, der macht das Leben gut und bringt ein wenig Feierlichkeit hinein.

Kersti: Ach!

Der Vogt: Was hast du Ach! zu sagen ... Da ist irgend etwas, das nicht in die Gedanken eines jungen Mädchens hineingehört. Da stimmt irgend etwas nicht. Paß auf, liebes Kind, ich werd es schon herausbringen! (Scherzend.) Der Kommissar bringt ja die Wahrheit aus allen Leuten heraus. Was hast du auf dem Herzen? Ist Mats nicht brav?

Kersti: Ach freilich!

Der Vogt: Oder sind die Verwandten schroff und hochmütig? Was hast du denn mit den Verwandten? ...

( Klein-Mats klettert Kersti auf den Schoß und schlingt ihr die Arme um den Hals. Er lehnt sich an sie und schläft allmählich ein.)

Der Vogt: Übrigens, seht den kleinen Schelm nur an; er hat seine Schwägerin lieb, und das bedeutet Gutes. Die Kinder wissen, wer ihre wahren Freunde sind. Magst du Kinder, Kersti?

Kersti (mißtrauisch): Warum fragt Ihr das?

Der Vogt: Pfui, was ist das für eine Antwort! ... Ist es denn nicht nett, so ein kleines – – – auf dem Schoß zu haben und zu fühlen, wie es sich an einen drückt? Als ob in dieser Brust weder Verrat noch Untreue wohnen könnte! – – – Ich glaube gar, er ist eingeschlafen; vertraut seinen unbeschützten Schlaf einer Fremden an ... die ihm nichts Böses will!

Kersti: Habt Ihr Mats gesehen?

Der Vogt: Er war drüben mit den Burschen und schmückte die Mühlkammer, in der morgen nach Noten getanzt werden soll. (Schweigen.) Es ist lange her, seit wir hier keine Kronbraut mehr gehabt haben.

Kersti: So!

Der Vogt: Jawohl! Es sind neue Sitten aufgekommen ... durch die Reisen in die Stadt und die Feldlager ...

Kersti (spöttisch): Ihr habt sonst schon die Waldkäufer beschuldigt ...

Der Vogt: Ach ja, aber ohne die Waldkäufer hättet ihr die Mühle nicht bekommen ...

Kersti: Sie sind schuld, sie sind schuld.

Der Vogt: Kersti, du bekommst einen braven Mann.

Kersti: Einen guten – – – zu gut für mich!

Der Vogt: Sei doch nicht bitter, ich meine es doch gut ...

Kersti: Ich war nicht bitter – – – Es war die reine Wahrheit, was ich sagte ...

Der Vogt: Wir verstehen einander nicht recht, wir beide ... Es sieht fast aus, als ob wir nicht gut Freund wären ...

Kersti: Warum denn nicht?

Der Vogt: Wenn ich es gut meine, dann nimmst du es krumm, und umgekehrt! Ja ... so geht's häufig, wenn irgend etwas nicht stimmt!

Kersti: Was sollte denn nicht stimmen?

Der Vogt (steht auf): Ich weiß es nicht.

Kersti: Ich auch nicht. Aber so etwas sagt man nicht zu einem Mädchen!

Der Vogt: Hör du, hör du – – – einem reinen Gewissen kann man alles vorlegen, ohne es gleich mit ihm zu verschütten ... aber, aber, aber – – –

Kersti: Ist das Verhör vorbei?

Der Vogt: Es war keines.

Kersti: Der Herr Kommissar – versteht nicht mit Frauen zu reden.

Der Vogt (böse): Kersti!

Kersti: Ja, was meint Ihr denn?

Der Vogt (schaut sie ernst an): Was meinst denn du?

Kersti: Was meint Ihr?

Der Vogt (sieht sie scharf an): Was meinst du?

Kersti: Was meint Ihr?

Der Vogt: Siehst du, so pflegen die Frauen zu fragen, wenn sie wissen wollen, ob ich etwas weiß!

Kersti: Was solltet Ihr denn wissen?

Der Vogt: Ah, bist du soweit, bist du soweit? (Schweigen.) Ja, dann will ich gehen – – – dann will ich gehen! (Geht langsam durch den Hintergrund ab mit dem Finger auf dem Munde, als ob er sich selbst Schweigen gebieten wollte.)

Kersti (allein, küßt den schlafenden Klein-Mats auf den Kopf).

(Mats wird am Fenster rechts sichtbar. Es ist draußen dämmrig geworden, bleibt aber doch noch hell.)

Mats: Ah!

Kersti: Mats, komm herein!

Mats: Nein, ich darf nicht hereinkommen. Ich hab's versprochen!

Kersti: Ach, komm doch!

Mats: Nein, nein! – – – Schläft der Kleine?

Kersti: Ja, der hier! Still, still!

(Vom Lager her hört man in der Ferne Hörner):

Noten

Kersti (entsetzt): Ist das die Jagd wieder?

Mats: Ach nein, am Abend ist keine Jagd!

Kersti: Was ist denn das?

Mats: Sollte eine Soldatentochter das nicht kennen?

Kersti: Nein, so sag doch!

Mats: Im Lager wird der Zapfenstreich geblasen. Zum Abendgebet nämlich.

Kersti: O ja, freilich. Ich bin ja ganz irr und wirr!

Mats: Komm her ans Fenster, Kersti!

Kersti: Ich glaube – – – Laß mich nur erst den Kleinen hinlegen!

Mats: Den Kleinen!

Kersti (steht vorsichtig auf und trägt Klein-Mats an die Bank bei der Feuerstelle, wo sie ihn niederlegt und sorgfältig einhüllt): St! – st! – st!

(Im Lager wird ein Abendlied gesungen.)

Kersti (fällt an der Bank auf die Knie und versucht zu beten, ringt aber nur verzweifelt die Hände. Dann küßt sie dem Kind die Schuhe, steht danach auf und tritt ans Fenster, wo sie stehen bleibt).

Mats: Die Kleinen sind doch lieb und nett!

Kersti: Ja! – Ja!

Mats: Du warst ganz allein?

Kersti: Ja, sie sind fortgegangen. Alles ist feindselig, alles!

Mats: Morgen ist Hochzeit!

Kersti: Ach ja! – Denk doch nur!

Mats: Ja, denk doch! ... Morgen ist Hochzeit!

Kersti: Und dann sitze ich in der Mühle!

Mats: Bei mir in der Mühle!

Kersti: Bis der Tod kommt, um uns zu scheiden!

Mats: O, es ist lang bis dahin!

Kersti: O!

 

Die Hochzeit. Die Mühlkammer ist ausgeräumt. Die Türen im Hintergrund sind ausgehoben, so daß man in einen großen Vorratsraum sieht, der als Festsaal hergerichtet ist mit gedeckten Kaffeetischen. Die Läden vor den großen rechteckigen Öffnungen links von der Hintergrundtüre sind sogar weggenommen, so daß ein Tisch mit Lichtern für die Spielleute sichtbar wird. Rechts von der Hintergrundtür ist die Öffnung, die zum Mühlrad geht; der Webstuhl usw., auch das Bett sind weggenommen.

Auf dem Boden vor der Loge der Spielleute steht der »Männertisch« mit Kannen, Krügen, Tabakspfeifen, Kartenspielen usw.

Mitten auf der Bühne stehen Stühle und Bänke, auf denen frischgewaschene Bettücher, Kissenbezüge und Handtücher zum Trocknen ausgebreitet sind. Sechs Mädchen mahlen auf Kaffeemühlen, während man von draußen Glockengeläute und einen von Geigen gespielten Brautmarsch vernimmt. Dann singen die Mädchen, während sie die Bettücher und die anderen Wäschestücke zusammenlegen.

Noten

Jetzt kommt der Brautzug heran. Die Mädchen tragen die Wäsche hinaus und schieben die Bänke und Stühle auf beide Seiten. Die Bühne steht leer, und draußen ist es still geworden. Man hört des Wassermanns Singen im Rad, aber man sieht ihn nicht.

Der Wassermann:

Ja, ich hoffe, ja, ich hoffe,
Daß mein Erlö–ser lebet!

Die Falltür auf dem Boden öffnet sich, und nun sieht man den Mordling Zu Mordlingen (schwed. mylingar) entwickeln sich nach schwedischem Aberglauben die Geister unehelicher Kinder, die umgebracht oder im geheimen in ungeweihter Erde bestattet worden sind. daraus aufsteigen wie ein Wirrwarr von weißen Schleiern, zwischen denen man undeutlich die Umrisse eines kleinen Kindes im langen Taufkleid erkennt, das über der Öffnung schwebt. Dann hört man draußen den Brautmarsch. Der Wassermann verstummt, der Mordling verschwindet.

Der Brautzug wird in dem hinteren Raum sichtbar. Zuerst kommen die Geiger, dann die Brautjungfern und Brautführer, dann Braut und Bräutigam; dann der Pfarrer, die Eltern und Verwandten, die Jugend usw. Der Brautzug kommt in die Mühlkammer herein, schweigend und verstimmt. Die Braut wird mitten auf der Bühne hinter der Falltür auf einen Stuhl gesetzt, so daß sie gerade auf die Falltür hinuntersehen muß. Nun stellt sich die Gesellschaft im Kreis um die Braut her, die blaß ist und vor sich auf den Boden starrt. Dann tritt einer nach dem andern zu der Braut, sagt ihr einige Worte und geht hierauf in die Hinterstube.

Mats (zu Kersti): Jetzt, Kersti, ist die schlimme Zeit vorbei. (Geht.)

Brita (mit den Brautjungfern zu Kersti): Die Krone hast du. Hüte sie wohl! (Geht mit den Brautjungfern.)

Kerstis Mutter (rückt ihr die Krone auf dem Kopf zurecht): Aufrecht, Kind, und Kopf in die Höh! (Geht.)

Der Soldat (zu Kersti): Gott segne dich! (Geht.)

Der Küster (zu Kersti): Und behüte dich! (Geht.)

Mats' Großvater (zu Kersti): Schön bist du, wie der lichte Tag! (Geht.)

Mats' Mutter (zu Kersti): Willkommen in der Verwandtschaft! (Geht.)

Mats' Vater (zu Kersti): Meine Tochter von nun an. Was gewesen ist, ist nicht mehr! (Geht.)

Der Vogt (zu Kersti): So bleich um die Wange, das Blut strömt zum Herz, was drückt dich so schwer?

Kersti (hebt den Kopf und sieht den Vogt böse an): Nichts!

Der Vogt: Nichts war viel! Nichts ist nichts mehr!

Kersti: Geht!

Der Vogt: Wenn du fährst, gehe ich voraus! Wohin du gehst, folge ich dir nicht! Fällst du auf die Knie, so steh ich! – Wer zückt den Stahl nach dir? Ich nicht!

Kersti: Brich dir den Hals, Böser!

Der Vogt (legt die flache Hand an ihren Hals): Nein, dir! (Geht.)

Die übrigen Anverwandten gehen vorbei und grüßen kalt.

Die Spielleute haben sich an den Tisch in der Loge links gesetzt. Die Männer haben am Männertisch Platz genommen und rauchen. Die Spielleute spielen eine Polka auf:

Noten

Zu gleicher Zeit wird die Geige des Wassermanns im Mühlrad hörbar [ohne Gesang], wie Seite 15. Dies wird von zwei Geigen gespielt.

Noten

Als die Tanzmusik beginnt, ruft es drinnen in der Hinterstube:

Der Braut die Krone herunter! (In der Mühlkammer ertönt die Antwort): Der Braut die Krone herunter!

Kersti (wird unruhig).

Der Pfarrer (tritt auf sie zu).

Die Spielleute (die jetzt erst auf das Spiel des Wassermanns aufmerksam werden, rufen): Wer stimmt dagegen?

 

Die Musik geht weiter. Der Wassermann hört auf. Da ergreift der Pfarrer die Hand der Braut und führt sie würdig, mit feierlichen Schritten über die Bühne. Als er dann den Arm um die Braut legt, um den Tanz mit ihr zu eröffnen, beginnt der Wassermann wieder mit seinem Spiel.

 

Kersti (verliert die Krone, die in den Mühlkanal rollt): Jesus Christus!

Alle (in der Mühlkammer stehen auf und schreien): Die Krone im Bach!

Alle (in der Hinterstube): Was gibt's?

Alle (in der Mühlkammer): Die Krone im Bach!

(Die Musik bricht plötzlich ab. Allgemeiner Aufstand.)

Mats (an der Tür des Hintergrundes): Hinaus und suchen!

Alle: Hinaus und suchen!

Der Pfarrer: Behüt uns Gott im Himmel!

Alle: Gott im Himmel soll uns bewahren!

Der Vogt: Hinaus und suchen!

Alle: Hinaus und suchen!

Mats: Hinaus und suchen!

Alle ab durch den Hintergrund, Kersti ausgenommen, die sich auf den Stuhl setzt. Die Dämmerung ist hereingebrochen. Das Mühlrad fängt an zu gehen, der Wassermann erscheint mit der Harfe und singt sein Lied von Seite 22: »Wolken, sie leuchten« usw. Nachdem der Gesang begonnen hat, öffnet sich die Falltür vor Kerstis Füßen, und der Mordling steigt auf wie zuvor. Kersti betrachtet ihn zuerst mit Entsetzen, dann streckt sie die Arme aus und drückt ihn gegen die Brust. Der Wassermann verstummt und verschwindet. Die Kinderstimme [der Schratt] wird aus der Öffnung vernehmbar.

Die Kinderstimme: Kalt ist der Fluß. Warm ist meiner Mutter Brust. Nichts gabst du mir im Leben, im Tode nehm ich, was mein ist!

Kersti (die erst das Kind gesäugt hat, gibt nun durch Gebärden zu erkennen, daß die Brust sie schmerzt): Ach hilf mir, errette mich!

Die Kinderstimme: Leben um Leben! Nun trinke ich deines!

Kersti (schreit): Hilfe! Hilfe!

 

Die Hebamme (kommt herein, schwänzelnd): Sieh, sieh, ich komme, sieh, ich komme! Mütterchen soll sich fassen! (Nimmt Kersti das Kind von der Brust und legt es hinunter in die Öffnung.) Ich verstehe es, mit diesen Kleinen umzugehen. Ich bringe sie in die Welt und unter die Erde! – – – Sieh, jetzt komm ich zur Hochzeit!

Brita (ist in der Loge der Spielleute erschienen und hat gesehen, daß etwas in der Öffnung der Falltür versteckt worden ist).

Die Hebamme: Nun, der Wassermann war auch eingeladen. Ist er gekommen?

Kersti: Was soll ich dir geben, daß du gehst?

Die Hebamme: Das, was du nicht hast!

Kersti: Du meinst, die Krone ...

Die Hebamme: Nicht gerade. – – – Still, droben geht jemand! Ich will mich im Ofen verstecken! – Siehst du, ich bin doch gekommen! (Geht an die Feuerstelle und zieht die Klappe herunter.)

Brita (kommt herein; tritt zu Kersti): Jetzt heißt es du oder ich!

Kersti: Du!

Brita: Du sollst etwas bekommen!

Kersti: Gib her!

Brita: Armbänder sollst du bekommen, aber nicht von mir! (Schweigen.) Armbänder aus Eisen! (Stellt sich an die Öffnung der Falltür.) Jetzt trete ich auf deinen Kopf, jetzt stehe ich auf deinem Herzen, jetzt stampfe ich dein Geheimnis aus der Erde oder aus dem Wasser oder dem Feuer. (Schweigen.) Jetzt bekomm ich dein Haar, jetzt bekomm ich meine Uhrkette, die keine ist. Wo ist die Hebamme, der Ehrengast auf dieser Jungfernhochzeit?

Die Krone stahlst du, der Wassermann nahm sie!
Die Mühle stahlst du, aber sie bleibt nicht dein!
Sichems Dina war geschwächt, nicht schwach!
Der Kleine schläft, nicht im Walde, im Bach!
Den Bruder geschändet, die Familie geschändet hast du,
Meinen Namen geschändet hast du!
Sterben sollst du!

Kersti: Ich bin tot; ich bin mehrere Tage hintereinander gestorben – – – Bist du zufrieden?

Brita: Du sollst noch mehrere Tage hintereinander sterben. Du sollst sterben für Meineid, für Lüge, für Totschlag, für Diebstahl, für Kränkung, für Verrat! Sechsmal sollst du sterben! Und das siebente Mal ist's nur des Anblicks wegen. – – In geweihter Erde sollst du nicht ruhen, einen schwarzen Sarg mit silbernen Sternen sollst du nicht haben, weder Tannenreis noch Glockengeläute ...

Kersti: Das kann ich mir denken!

Brita: So – – – Hörst du die Schritte; zähle sie: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs ... (usw. nach den Schritten des Vogts.)

Der Vogt (tritt auf im Hintergrund).

Brita (geht ihm entgegen und flüstert etwas).

Der Vogt (tritt an die Falltür): Hier liegt etwas!

Brita: Doch wohl die Krone nicht!

Der Vogt: Sie oder etwas anderes! (Öffnet die Falltür.) Die Krone ist es nicht! ... Arme Kersti! – Hast du es da hineingeworfen?

Kersti: Nein!

Der Vogt: Nein? ... Sprich die Wahrheit!

Kersti: Ich habe es nicht hineingeworfen!

Brita (schlägt sie auf den Mund): Sprich die Wahrheit!

Kersti: Ich hab es nicht hineingeworfen!

Brita (steckt die Hand in die Tasche des Vogts und zieht Handschellen heraus): Die Armbänder an!

Der Vogt (zu Brita): Geborenes Henkersweib! ... Weh uns! (Schlägt die Hände vors Gesicht und weint.) Weh!

 

Der Pfarrer (herein durch den Hintergrund): Gefunden?

Der Vogt: Die Krone nicht, aber ...

Der Pfarrer: Nicht weiter! Ich weiß – – – (Er schlägt die Hände vors Gesicht und weint.) Weh uns, weh!

Der Soldat (durch den Hintergrund herein): Ist die Krone gefunden?

Der Vogt: Die Krone nicht, aber ...

Der Soldat: Still, ich weiß – – – (Schlägt die Hände vors Gesicht und weint.)

 

Kerstis Mutter (herein durch den Hintergrund): Ist die Krone gefunden?

Der Vogt: Ach nein!

Die Mutter: Ach! (Betrachtet Kersti, die ihre Arme den Handschellen hinhält, die ihr Brita entgegenstreckt, schreit:) Ach! (Dann nimmt sie eine Schere und schneidet Kersti die Haare ab, die sie Brita zuwirft; diese fängt sie auf und riecht daran, als ob es ein Wohlgeruch wäre. Die Mutter reißt Kersti den Schleier und den Brautschmuck ab und wirft ihr ein Tuch über den Kopf.)

 

Mats (kommt durch den Hintergrund herein, bleibt vor Kersti stehen und betrachtet sie erstaunt): Wer ist das?

Brita: Sieh sie dir genau an!

Mats (betrachtet Kersti näher): Sie sieht jemand gleich!

Brita: Sieh sie näher an!

Mats: Ich kenne sie nicht!

Brita: Hättest du sie doch nie gekannt!

Mats: Sieh, die Augen sind verschwunden! Aber der Mund, der schöne Mund – – – und das kleine Kinn – – – nein, sie ist es nicht! (Dreht ihr den Rücken und sieht die offene Falltür.) Was ist das? Ihr steht da wie um ein Grab!

Brita: Es ist ein Grab!

Mats: Was liegt darin?

Brita: Alles, alles, was Wert hatte in deinem Leben!

Mats: Dann ist es der Kleine! – – – Wer hat mir das getan?

Brita: Sie und sie und sie!

Mats: Das ist nicht wahr!

Alle (die hinausgegangen waren, haben sich nun lautlos im Hintergrund versammelt.)

Brita: Es ist wahr!

Mats: Lügnerin!

Der Soldat (zu Brita): Lügnerin aus lügnerischem Geschlecht!

Mats' Verwandte (sammeln sich links von Kersti): Lügnergesellschaft, Diebesgeschlecht, du, du!

Kerstis Verwandte (sammeln sich rechts): Du, du!

Der Pfarrer: Friede! Friede! Im Namen des Herrn!

Alle: Friede!

Der Vogt: Niemand fälle ein Urteil im voraus!

Alle: Lasset uns hören!

Der Vogt: Wer klagt?

Alle: Wer klagt?

Brita: Ich, Brita Lisa Larsson, klage an!

Alle: Brita Lisa Larsson klagt an. Wen klagt sie an?

Brita: Kersti Margreta Hanstochter!

Alle: Kersti Margreta Hanstochter! – Sag deine Anklage!

Brita: Die Braut ist geschändet, hat die Krone verscherzt!

Kerstis Verwandte: Beweise! Beweise!

Brita: Zwei Zeugen sind vollgültig!

Mats' Verwandte: Zwei Zeugen sind vollgültig!

Kerstis Verwandte: Wir erheben Einspruch!

Der Vogt: Keinen Einspruch aus Gutmütigkeit!

Brita: Ein Mädchen setzt ein Kind heimlich aus. Stirbt es, verliere die Mutter das Leben!

Mats' Verwandte: Sie verliere das Leben!

Kerstis Verwandte (machen drohende Bewegungen gegen Mats' Verwandte): Schämt euch! Geht heim!

Mats' Verwandte: Schämt ihr euch!

Kerstis Verwandte: Ein schlechter Mann und ein arger Sinn will nicht wissen, daß er selbst schuldig ist! – Mats hat die Schuld!

Mats' Verwandte: Mats hat nicht die Schuld!

Kerstis Verwandte: Mats hat die Schuld, denn er hat die Tat getan!

Mats' Verwandte (mit erhobenen Händen): Welche Tat? Fragt doch Kersti!

Kerstis Verwandte: Fragt sie!

Der Vogt (zu Kersti): Hast du das Kind getötet?

Kersti: Ja, ich hab's getan!

Mats' Verwandte: Habt ihr's gehört?

Kerstis Verwandte: Weh uns!

Mats' Verwandte: Habt ihr's gehört?

 

Mats (der nachdenklich am Herd gestanden und allen den Rücken gekehrt hat, wirft jetzt seinen Bräutigamsstaat auf den Boden; er steht einen Augenblick still, dann springt er wie irr auf den Männertisch und durch die Loge der Spielleute hinaus): Wie hold war es einst, und wie schlimm ist es nun! Kersti! Liebste! Der Kleine schläft sanft im Walde!

Der Pfarrer (weint in die Hände; dann tritt er an die offene Falltür und spricht).

Herr mein Gott!
Gib den Toten Ruh,
Tröste die,
So leben.

Alle (sprechen ein stummes Gebet hinter der vorgehaltenen Hand wie beim stillen Vaterunser in der Kirche oder an einem Grab).

Der Pfarrer: Der Herr segne euch und behüte euch!

Alle (weinen in die Hände): Amen!

(Sie gehen ab, stumm und traurig.)

 

Nachdem die Bühne leer geworden ist und Kersti allein noch dasitzt, schließt der Vogt die Tür im Hintergrund mit dem Schlüssel zu; hierauf auch die Loge der Spielleute. Man hört ein Geräusch in der Feuerstelle wie Donner. Kersti fährt erschreckt auf.

Der Wassermann (wird im Mühlrad sichtbar und singt zur Geige):

Ja, ich hoffe, ja, ich hoffe,
Daß dein Erlö–ser lebet!

(Mehrere Male.)

Kersti auf den Knien mit ausgestreckten gefesselten Händen.

Das weiße Kind kommt hinter dem Herd hervor. Es hat einen Korb mit Tannenreis und Blumen.

Der Wassermann verstummt und verschwindet.

Das weiße Kind streut Tannenreis vor sich her, so daß eine Art Weg bis zu der Öffnung der Falltür entsteht. Als es dort angelangt ist, streut es Blumen in die Öffnung. Die Glasharmonika läßt sich hören, auch Glockengeläute. Dann tritt das Kind hinter Kersti, die es nicht sieht, legt ihr sanft die Hände auf den Kopf und sieht nach oben wie im Gebet. Kerstis Gesicht, das bis jetzt ganz verzweifelt ausgesehen hat, sieht jetzt ruhig und fröhlich aus.

 

Rechts die offene Vorhalle einer Dorfkirche. Sie ist blendend weiß gegipst. Das Dach gedeckt mir schwarzen Schindeln. Kersti liegt in Gefangenentracht auf der Armsünderbank und hat die Kapuze über den Kopf gezogen. Im Hintergrund ein See und eine Tallandschaft. Vorne der Bootshafen. Rechts im Hintergrund eine Landzunge, und auf dieser das Schafott, bestehend aus einer Estrade mit einem Klotz. Am Eingang zu der Vorhalle stehen zwei Soldaten mit »Gewehr bei Fuß«. Aus der Kirche tönt ein Orgelvorspiel. – – – Zwei große Kirchboote kommen herbei, das eine von links, das andere von rechts. Die Boote gleiten heran, und die Ruderer halten die Ruder erhoben. Sie scheinen sich um den Platz im Bootshaus zu streiten.

 

Mats' Verwandte sind in dem Boot links, Kerstis Verwandte in dem rechts.

Mats' Verwandte: Aus dem Wege, Mordlinge!

Kerstis Verwandte: Aus dem Wege, Mühlvolk!

Mats' Verwandte (heben drohend die Ruder): Aus dem Wege!

Kerstis Verwandte (mit drohenden Bewegungen mit den Rudern): Aus dem Wege!

Mats' Verwandte: Wir schlagen mit acht Paaren!

Kerstis Verwandte: Mit sechzehn, wenn ihr wollt! Schlagt zu!

Mats' Verwandte: Schlagt zu! Schlagt zu! Schlagt zu!

(Die in beiden Booten fechten mit den Rudern gegeneinander.)

 

Der Pfarrer (barhaupt, im Bug des linken Bootes): Friede! – Friede in Jesu Namen!

Kerstis Verwandte: Friede!

Mats' Verwandte: Kampf, Kampf bis aufs Messer!

Der Pfarrer: Friede!

Mats' Verwandte: Kampf!

 

Der Küster kommt aus der Vorhalle, zieht am Strick und läutet. Die Ruder sinken nieder, die Boote gleiten in den Hafen herein und legen Seite an Seite an. Aus dem Boot links steigen zuerst der Pfarrer, dann Mats, der einen kleinen mit Tüllspitzen verzierten Sarg trägt. Dann alle Angehörigen und Freunde von Mats. Aus dem Boote rechts steigt zuerst der Soldat, dann Kerstis Mutter, und dann alle Verwandten und Freunde von Kersti. Beide Parteien bringen ihre Kleider in Ordnung und betrachten einander mit feindseligen Blicken. Jetzt kommt zuerst Mats mit dem Sarg und hinter ihm der Pfarrer.

Mats (bleibt vor Kersti stehen. Er sieht ganz verzweifelt aus): Da ist der Kleine! Leicht ist er, leicht wie der Sinn leichtfertiger Weiber! Jetzt schläft er – bald schläfst auch du!

Kersti (hebt den Kopf, und die Kapuze sinkt zurück): O!

Mats: Du darfst wohl O! rufen! Das ist das Ende, aber A ist der Anfang. Zwischen A und O liegen viele Buchstaben, aber O ist der letzte. Sage nun O zum letzten Male, so daß der Kleine es hört. Er soll dem Herrn und Heiland davon erzählen, damit du Vergebung erlangst! – – – Ja, ja! Küsse diesen weißen Schrein, da unten, wo die Füßlein sind, die kleinen Füßlein, die nie die sündige Erde betreten durften!

( Kersti küßt den Sarg.)

Mats: So! – Nun wollen wir hineingehen und spielen und singen und dem Kleinen die Glocken läuten – doch kein Pfarrer spricht ein Gebet für ihn – – – das ist deine Schuld! – Ich aber werde selbst beten, wenn ich an die Grube komme! In die Erde werden wir ihn legen als ein Samenkorn, das keimen und wachsen soll zu einer Herzblume mit Flügeln dran, so daß sie später zu Gott fliegen kann ... auf einem Windhauch unter der Sommersonne!

Der Pfarrer (zieht Mats am Arm): Genug, Mats, komm mit!

Mats: Ich komme!

(Sie gehen in die Kirche, die andern folgen allmählich nach.)

Der Soldat (bleibt einen Augenblick vor Kersti stehen und schüttelt traurig den Kopf und versucht ein paar Worte zu sagen): Ja! – Ja! (Geht in die Kirche.)

Kerstis Mutter (trocken, aber mit dem Versuch, freundlich zu sein): So sehen wir uns wieder? – – – Hast du es schlecht gehabt im Schlosse?

Kersti (schüttelt den Kopf).

Die Mutter: Möchtest du irgend etwas haben? Zu essen oder zu trinken, so bekommst du es jetzt. – – – Hast du im Schlosse Tabak bekommen?

Kersti (schüttelt den Kopf).

Die Mutter: Halt dich aufrecht, Kersti, damit das Mühlvolk uns nicht verspottet! – Und weine nicht so viel! Der Vater ist ein Kriegsmann und kann so etwas nicht leiden. (Überreicht ihr ein Gebetbuch.) Nimm dies Buch und lies da, wo das Zeichen liegt. Sieh das Zeichen an – – – das hab ich von jemand bekommen – – – der an dich denkt bis zum letzten! Und es hilft gegen das Zittern! – – – Ich gehe nicht weiter mir dir, Kersti, denn das kann ich nicht! Ich kann es nicht, denn ich bin alt – – –

Kersti: Tue, wie du willst, Mutter. Ich habe meinen Tröster gefunden, denn ich weiß, daß mein Erlöser lebt!

Die Mutter: Dann ist es gut, Kind! Nur das hätte ich gerne gewußt! – – – Und du verlangst nicht, daß ich mitkomme?

Kersti: Nein, Mutter, schone dich! Du hast es schwer genug gehabt durch mich.

Die Mutter: Dann verlasse ich mich also darauf, daß das Mühlvolk nichts zu schwatzen haben wird. Ich verlasse mich darauf, daß man sagen kann: Kersti wollte es selbst! Kersti wollte es selbst nicht anders, und ihr letzter Wille ist wie das geschriebene Gesetz, ja, das ist er! (Geht in die Kirche)

 

Brita (deutet auf das Schafott): Zur Königin warst du geboren, die Krone hast du getragen, dort steht dein Thron, der Himmel ist darüber und die Hölle darunter! – Jetzt wärst du dir nicht mehr zu gut, die Kühe zu melken und Holz zu lesen, die Kessel zu scheuern, das Kleinste zu wiegen und Schuhe zu schmieren. Ja, jetzt, wo du meine Familie, deine Familie, unser Kirchspiel, unsern Bezirk, unsern Gau geschändet hast, daß man im ganzen Land davon spricht! Pfui über dich!

Kersti (beugt den Kopf über ihr Gebetbuch).

Brita: Mein Bruder soll dich Auswurf zu Grabe tragen; mein Bruder, du! Aber ich will dich zum Block begleiten, wenn du Rutenstreiche bekommst, und ich werde dir folgen als deine Brautjungfer zu deinem roten Brautschemel! »Eine Leiche, aber nicht gestorben, ein Kind, aber nicht geboren, eine Braut, aber keine Hochzeit!«

Klein-Mats: Sei still, Brita. Kersti ist lieb!

Brita: So, meinst du?

Klein-Mats: Jawohl, das ist sie. Aber sie soll nicht den häßlichen Mantel anhaben, den soll Brita bekommen. – – – Liebe Kersti, warum liegst du denn hier? Ist heute Abendmahl in der Kirche? Und warum bist du nicht bei der Hochzeit geblieben? Wer liegt denn in dem weißen Schrein? Ist das ein Märchen? Weißt du, daß ich meine Puppe verloren habe, die du mir geschenkt hast? – – – Liebe Kersti, warum bist du denn so traurig? (Er hängt sich, ihr um den Hals; Kersti umschlingt ihn mit den Armen und küßt seine Füße.)

Kersti: Klein-Mats! Klein-Mats!

Brita (zu den Soldaten): Ist das erlaubt?

Die Soldaten (stellen sich stramm, geben aber keine Antwort).

Brita (reißt Klein-Mats von Kersti los): Komm mit!

Kersti (zu Klein-Mats): Geh mit der Schwester, Klein-Mats! Und bleib weg von mir! (Liest halblaut in dem Gebetbuch.)

Brita (zu Kersti): Soll ich's ihm sagen?

Kersti: Um Gottes willen, sag es dem Kinde nicht!

Brita: Ich will es nicht sagen um des Kindes willen!

Kersti: Ich danke dir, Brita! Ich danke dir um des Kindes willen!

Brita (geht mit Klein-Mats in die Kirche).

(Alle sind inzwischen in die Kirche gegangen.)

 

Im Hintergrund sieht man von rechts den Scharfrichter hereinkommen, mit einem schwarzen Sarg unter dem Arm.

Kersti (wird ihn gewahr, ohne daß er sie sieht): Jesus Christus, Erlöser der Welt, steh mir bei um deines Leidens und Sterbens willen!

Die Hebamme (kommt von links und tritt zum Scharfrichter): Hör Er, lieber Mann! Darf ich daneben stehen, wenn es geschieht? Ich brauche ein wenig Rotes für einen Kranken, einen, der die fallende Sucht hat.

Der Scharfrichter (geht nach links ab, ohne eine Antwort zu geben).

Die Hebamme: Ach so! Das ist so einer, der nicht mit sich reden läßt! (Tritt zu Kersti.) Sieh, da ist ja meine Liebe ...

Kersti (mit abweisender Gebärde): Weiche von mir!

Die Hebamme (hinter einem Pfeiler, wo sie von den Soldaten nicht gesehen wird): Wart ein wenig, wart ein wenig! Hör doch, liebe Jungfer! – Was andere nicht vermögen, das kann ich! ... Bald schlägt die Uhr, und der Henker wartet! ...

Kersti: Weiche von mir in Jesu Namen!

Die Hebamme: Hör doch! – – – Ich kann, was andere nicht vermögen; ich kann dich freimachen!

Kersti: Ich habe meinen Befreier gefunden. Jesus Christus heißt er!

Die Hebamme: Aber ich kann den Richter betäuben ...

Kersti: Er, der richtet über die Lebendigen und die Toten, Er, der die Auferstehung und das Leben ist, hat mich zum zeitlichen Tod bestimmt – und zum ewigen Leben.

Die Hebamme: Sieh doch, die Soldaten schlafen! Nimm meinen Mantel und lauf!

Kersti: Die Soldaten schlafen?

Die Hebamme: Mit geschlossenen Augen! – Lauf, lauf, lauf!

Kersti (steht auf und betrachtet die Soldaten, die die Augen schließen).

Die Hebamme: Lauf, lauf, lauf!

Kersti (legt sich wieder nieder): Nein, lieber in die Hände des lebendigen Gottes fallen! Weiche von mir! (Sie streckt der Hebamme das Gebetbuch mit dem goldenen Kreuz auf dem Deckel entgegen.)

Die Hebamme (weicht zurück): Wollen wir uns in einer Donnerstagsnacht auf dem Kreuzweg treffen?

Kersti: Auf dem Wege des Kreuzes treffe ich meinen Erlöser, aber nicht dich! Weiche!

Die Hebamme (weicht zurück): Am Strand liegt ein Boot, und am Land stehen Pferd und Wagen. – – – Mats weiß davon, der Vogt weiß nichts davon – – – lauf, lauf, lauf!

Kersti (kämpft mit sich): O Gott, führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel!

Die Hebamme: Sch! Sch! Sch! Sch! Pferd und Wagen!

Kersti (ergreift den Strick der Kirchenglocke und schlägt dreimal an. Beim dritten Schlag entflieht die Hebamme).

Die Hebamme: Ä pfui! Ä pfui! Ä pfui! (Ab.)

 

Das weiße Kind kommt hinter einem Pfeiler hervor. Es ist in die Kindertracht der Mädchen von Rättwik gekleidet, aber alles ist weiß, auch die Schuhe.

Kersti (steht wie geblendet): Wer bist du, holdes Kind, das gekommen ist, als die Böse ging?

Das weiße Kind (legt den Finger auf den Mund).

Kersti: Weiß wie der Schnee, weiß wie die Leinwand! ... Warum bist du weiß?

Das weiße Kind (halblaut): Dein Glaube hat dir geholfen! Die Hoffnung hat den Glauben geboren. (Geht auf Kersti zu.)

Kersti: O liebes Kind, tritt nicht auf die Ameise!

Das weiße Kind (bückt sich und scheint etwas auf einem Blättchen aufzuheben): Aber die Liebe ist das Größte, die Liebe zu allem Lebenden, groß oder klein! – – – Jetzt soll die Ameise in den Wald gehen und dies dem Ameisenkönig berichten, dann kommt der ganze Ameisenschwarm und nagt deine Stricke durch, und du bist frei!

Kersti: Ach nein, sag das nicht!

Das weiße Kind: Zweifle nicht, sondern glaube! Glaube, Kersti – glaube!

Kersti: Wie kann ich?

Das weiße Kind: Glaube! (Ab hinter den Pfeiler.)

 

(Es wird finster.)

Der Wassermann (mit der Harfe wird draußen auf dem See sichtbar. Er singt auf dieselbe Melodie wie früher):

Ja, ich hoffe, ja, ich hoffe,
Daß dein Erlö–ser lebet!

Kersti: Er singt mir von dem Erlöser! Er gibt mir Hoffnung! Und ich habe ihm nichts gegeben!

(Der Wassermann versinkt.)

 

Der Vogt (kommt von rechts mit einem Papier in der Hand, in dem er liest. Er tritt Kersti immer wieder einige Schritte näher und betrachtet abwechselnd den Erdboden und das Papier in seiner Hand): Kersti!

Kersti (steht auf und neigt sofort den Kopf).

Der Vogt (langsam, mit Pausen): Sieh, da ist der Vogt! – Du fürchtest ihn nur! – Tun das alle? – Denk dir einmal, man schicke zum Vogt, damit er dem helfe, der in Not ist! Ist er da willkommen? Jawohl! – – – Kersti, hast du je schon so viele Ameisen gesehen?

Kersti (hebt den Kopf und gibt acht).

Der Vogt: Sieh doch nur, wie sie in Reihen und Scharen gelaufen kommen! – Sieh doch nur! – Weißt du, was das bedeutet? – – – Das bedeutet etwas Gutes! – Du traust mir gar nichts Gutes zu! Du hast mir damals auch nicht getraut, und darum bist du entdeckt worden! Jetzt kommen sie bis zu dir, Kersti! Sich nur die Ameisen! Sich doch nur! Jetzt kommen sie bis zu dir, Kersti! – Fürchtest du dich nicht vor ihnen?

Kersti: Ich habe mich gefürchtet, aber jetzt fürchte ich mich nicht mehr.

Der Vogt: Große Waldameisen, und ich glaube gar, der Ameisenkönig ist auch mit dabei! Was kann der König, das die andern Obrigkeiten nicht tun können? Weißt du das? – Die andern Obrigkeiten können verurteilen, alle können verurteilen, hart oder milde! Aber nur einer kann Gnade geben! Das ist der König! – Wollen wir den Ameisenkönig fragen, ob er Gnade walten lassen will? (Er legt die Hand ans Ohr, als ob er horche.) Will der Ameisenkönig begnadigen, das heißt von dem Schlimmsten? – – – Hast du gehört, was er geantwortet hat? – Ich meine, er hat ja gesagt! – Aber ich kann mich auch verhört haben – – – Und ich gebe nichts auf Hörensagen, ich bin ein Vogt und will es geschrieben haben. – Wir wollen den Ameisenkönig bitten, daß er schreibt, er hat so viele Federn im Walde, kleine Stahlfedern, spitz wie die Nadeln; und Tinte hat er selbst, eine, die brennt! – Wenn wir doch nur ein Papier hätten! (Er tut, als ob er in seiner Tasche suche, und zieht das Papier heraus, in dem er vorher gelesen hat.) Ja wahrhaftig! – Siehst du, das hat der König geschrieben mit eigener Hand! Da steht es: C A R L, das heißt zusammen Carl! (Nimmt die Mütze ab.) So große Buchstaben hast du nicht mehr gesehen, seit du in die Schule gegangen bist, Kersti. Und da, der rote Siegellack, der so gut riecht, wie das Harz im Walde, wenn es warm ist! – Und da ist auch die gelb und blaue Seidenschnur – – – und der Löwe und die Kronen – das ist königlich. – – – Lies nun selbst, Kersti, dann werde ich den Soldaten ihre Befehle geben.

Kersti (nimmt das Schriftstück entgegen).

Der Vogt (spricht leise mit den Soldaten, die sich darauf entfernen).

Kersti (hat das Schriftstück gelesen und gibt es mit Ruhe und Würde zurück).

Der Vogt: Bist du froh, Kersti?

Kersti: Ich bin dankbar, daß meine und euere Verwandten der großen Schande entgehen. Froh bin ich nicht, denn ein Leben in Fesseln ist weniger als das ewige Leben.

Der Vogt: Nimm es als eine Zeit der Vorbereitung.

Kersti: Das will ich tun.

Der Vogt: Fürchtest du dich immer noch vor mir?

Kersti: Ich fürchte nichts mehr, seit ich dem Tod ins Auge gesehen habe.

Der Vogt: So komm mit mir!

Kersti: Mach mich erst frei!

Der Vogt (löst den Strick).

(Orgelspiel aus der Kirche.)

Kersti (hebt die Hände gen Himmel empor).

 

Die Bühne stellt einen eisbedeckten großen See dar. Im Hintergrund das Ufer. Das Eis ist mit Schnee bedeckt. Der Fußboden der Bühne stellt das Eis vor. Auf diesem sieht man den Winterweg mit Tannenreisern abgesteckt. Mitten auf der Bühne gegen den Hintergrund zu ist eine große viereckige Wake mit Tannenzweigen umgeben zum Fischen. Am Eisrand dieser Wake liegen Eisenten und singen. Das Lied der Eisenten ist ein schwedisches Volkslied. Rings um die Wake sind kleine Gerten zum Fischen. Ganz im Hintergrund wird »das Schloß« (Gefängnis), ein alter düsterer Bau mit Turm und Zinnen, sichtbar. Tagesgrauen.

Der Fischer (kommt von rechts mit Schlitten und Eispickel. Die Eisenten tauchen in der Wake unter. Der Fischer sieht die Gerten nach).

Die Hebamme (kommt von links): Willst du am Ostermorgen fischen?

Der Fischer: Ich fische nicht, ich sehe nur nach!

Die Hebamme: Du, der du so klug bist, sag doch einer armen alten Frau, die sich verirrt hat, wo sie ist.

Der Fischer: Wenn du mir Feuer gibst!

Die Hebamme: Wenn du mir Stahl und Stein gibst!

Der Fischer (reicht ihr zwei Stücke Eis): Da nimm!

Die Hebamme: Eis? Ja, Wasser ist Feuer, und Feuer ist Wasser! (Sie schlägt die Eisstücke gegeneinander, nachdem sie sich einen Fetzen von ihrem Mantel gerissen hat; dann reicht sie den glimmenden Lappen dem Fischer, der damit seine Pfeife ansteckt.)

Der Fischer: Bist du so eine, dann weiß ich Bescheid!

Die Hebamme: Aber wo bin ich denn?

Der Fischer: Du bist mitten auf dem See von Krummedikke, und da liegt das Schloß. Krummedikke war in früherer Zeit ein König, der wie Herodes alle Kinder männlichen Geschlechts ermorden ließ, denn er fürchtete für seine Krone. Aber jetzt sitzen dort auf seinem Schlosse alle Mädchen, die ihre Kronen nicht bewahrt haben.

Die Hebamme: Was tun sie dort?

Der Fischer: Sie spinnen!

Die Hebamme: Das ist also das Spinnhaus?

Der Fischer: So ist es.

Die Hebamme: Und der See hier?

Der Fischer: Ja, das ist so eine Sache! Was jetzt See ist, war früher Land, und da stand eine Kirche. Um diese Kirche entstand ein Streit; der Streit drehte sich um den besten Platz. Das Mühlvolk, das das vornehmste war, wollte am nächsten beim Altare sitzen, aber die Mordlinge waren stärker. An einem Ostertag gerieten sie im Hauptgang der Kirche aneinander, und es floß Blut. Die Kirche war verunreinigt und konnte nie mehr reingefegt werden. Da wurde sie geschlossen und verlassen. Und sie sank in die Erde, und fünfzehn Ellen Wassers stiegen über den Hahn auf der Turmspitze. Und nun hat der See viele hundert Jahre gewaschen und gewaschen, aber solange das Mühlvolk und die Mordlinge streiten, kann das Gotteshaus nicht rein werden.

Die Hebamme: Warum heißen sie Mordlinge?

Der Fischer: Darum, daß sie von dem Kindermörder Krummedikke abstammen.

Die Hebamme: Und sie streiten noch immer?

Der Fischer: Streiten noch und morden noch! – – – Du weißt doch ... Kersti, die Tochter des Soldaten?

Die Hebamme: Jawohl!

Der Fischer: Sie sitzt im Schlosse, aber heute soll sie in der Kirche ihre jährliche Kirchenbuße tun.

Die Hebamme: Ach so!

Der Fischer: Die Mordlinge holen sie ab, und das Mühlvolk kommt, um zuzusehen.

Die Hebamme: Hörst du, wie es in dem Eise dröhnt?

Der Fischer: Jawohl!

Die Hebamme: Kommt Tauwetter?

Der Fischer: Vielleicht!

Die Hebamme: Reißt sich das Eis vom Lande los?

Der Fischer: Ja, meist. – Aber wenn das Wasser steigt, dann läuft es durch den Wasserfall dort ab.

Die Hebamme: Ist es weit bis zu dem Wasserfall?

Der Fischer: Nein, gar nicht. – Du kannst den Wassermann hier gut hören. – Heute ist er beizeiten auf, denn er wartet auf etwas.

Die Hebamme: Worauf wartet er denn?

Der Fischer: Du weißt wohl, worauf er wartet ...

Die Hebamme: Ich weiß es nicht. Sag mir's doch!

Der Fischer: So will ich's sagen. Jeden Ostermorgen, zu der Zeit, wo der Erlöser aus dem Grabe stieg, erhebt sich Krummedikkes Kirche aus dem See! Und wer sie erblickt, hat Frieden für dieses Jahr!

Die Hebamme (läuft nach rechts ab): Ä pfui, ä pfui, ä pfui!

Der Fischer: Das war eine schlimme Begegnung. – – (Er zieht einen Fisch heraus und löst ihn von der Gerte.) Hoho du! (Der Fisch schnellt in die Wake. Der Fischer sucht ihn mit dem Hamen. Eine ganze Reihe von Fischen steckt die Köpfe aus der Wake) Stumm, aber nicht taub! Wer ruft lauter als der Kranich? Wer ist weißer als der Schwan?

Das weiße Kind (als weißes Rättwiksmädchen gekleidet, kommt von links auf Schneeschuhen mit einer Fackel):

Lauter als der Kranich ruft der Donner des Himmels!
Weißer als der Schwan ist, wer nie Böses getan hat!

(Die Fische verschwinden.)

Der Fischer: Wer hat mein Rätsel gelöst?

Das weiße Kind: Wer löste die Bande der Gefangenen? Wer löste den Fischen die Zunge?

Der Fischer: Niemand!

Das weiße Kind: Niemand, der von Menschen geboren ist, aber einer von dem lebendigen Gotte. – – – Wer die gläserne Brücke gebaut hat, der kann sie auch zerbrechen! ... Nimm dich in acht! (Ab nach rechts.)

Der Fischer (legt seine Fischgerätschaften zusammen).

 

Das Mühlvolk (Mats' Verwandte, tritt von links auf, auf Schneeschuhen mit Stäben; Mats mit einer Fackel).

Mats: Wo ist der Winterweg?

Der Fischer: Kannst du die Spur des Fisches im Wasser sehen?

Mats: Nein, aber die des Pferdes im Schnee!

Der Fischer: Seid ihr auf dem Weg zum Ting oder zur Kirche?

Das Mühlvolk: Auf dem Weg zur Kirche!

Der Fischer: Zum Wasserfall führen alle Wege für den, der sich verirrt hat. (Es dröhnt im Eise.)

Der Fischer: Die Decke bricht!

Das Mühlvolk: Wo ist der Kirchweg?

Der Fischer: Überall!

Das Mühlvolk: Wo ist die Kirche?

Der Fischer: Ihr steht darauf, ihr geht darauf, bald wird sie da sein!

Das Mühlvolk: Ist dies der See des Krummedikke?

Der Fischer: Das ist Krummedikkes See und Krummedikkes Schloß und Krummedikkes Kirche; bald ist es naß!

Das Mühlvolk: Gott behüte uns! (Ab nach rechts.)

 

Die Mordlinge (Kerstis Verwandte, von links auf Schneeschuhen mit Schneeschuhstäben. Der Soldat mit einer Fackel): Wo ist der Fahrweg?

Der Fischer: Hier geht der Weg zum Wasserfall. Kehrt um!

Die Mordlinge: Eisriffe und quellende Wasser! Das Eis ist vom Lande los!

Der Fischer: Geht ostwärts! Die Sonne wartet!

Die Mordlinge: Nach Osten! (Ab nach rechts.)

 

Das Mühlvolk (kommt wieder zurück von rechts).

Der Fischer: Kehrt um! Das Eis ist im Westen vom Lande los!

Das Mühlvolk: Und im Osten auch! ... Nach Norden!

Der Fischer: Im Norden ist der Fluß!

Das Mühlvolk: Dann nach Süden!

Der Fischer: Im Süden ist der Wasserfall!

Das Mühlvolk (sie stehen mutlos still und stützen sich auf ihre Stäbe): Gott sei uns gnädig!

 

Mats: Die Mordlinge haben einen falschen Weg abgesteckt!

Brita: Immer sind es die Mordlinge gewesen!

Der Vater: Und der erste Platz in der Kirche!

Der Großvater: Große Sache! Aber den Tag, wo ich die Papiere verbrannte, den Tag segne ich nicht!

Die Mutter: Wann wird Frieden?

Der Großvater: »Die edlen Friedfertigen am seligsten leben und nähren selten Kummer!«

Das Mühlvolk (sie erheben die Stäbe): Die Mordlinge!

 

Die Mordlinge (kommen wieder von rechts mit erhobenen Stäben): Das Mühlvolk! Steht! Einen falschen Weg habt ihr abgesteckt!

Das Mühlvolk: Lügner!

Die Mordlinge: Selbst Lügner!

Das Mühlvolk: Rechtsverdreher!

Die Mordlinge: Selbst Rechtsverdreher! (Es dröhnt im Eise.)

Der Fischer: Friede in Jesu Namen! Das Wasser steigt!

Alle (mit einem Angstschrei): Das Wasser steigt!

Mats' Vater: Das Eis sinkt unter, bleibt!

Mats' Großvater: Denn wir müssen sterben! Danach aber das Gericht!

Das Mühlvolk umarmt einander. Die Frauen nehmen die Kinder auf ihre Arme. Die Mordlinge tun untereinander dasselbe.

 

Mats' Mutter (zu Mats): Um deiner törichten Liebe willen müssen wir sterben!

Kerstis Mutter: »Niemand tadle die Liebe eines andern. Das Schöne nimmt oftmals den Weisen gefangen, aber niemals den Toren!«

Der Soldat: »Um dieses Fehlers Willen soll niemand ihn tadeln. Denn die gewaltige Liebe macht die Söhne der Menschen von Weisen zu Toren.«

Mats (reicht dem Soldaten seine Hand): Dank für dieses Wort! Ich habe dich einmal Vater genannt!

Der Soldat: Der Tod macht uns alle gleich – – –

Mats' Vater: Du hast mir dies Wort aus dem Munde genommen! Reich mir deine Hand!

Der Soldat (streckt zögernd seine Hand aus): Da ist sie! – Wir sind Christen, und es ist heute der große Versöhnungstag! Möge die Sonne nicht mehr über unserm Zorn aufgehen!

Die Mordlinge: Versöhnung! (Die beiden Familien nähern sich einander mit ausgestreckten Händen; aber nun dröhnt es wieder im Eise, und es entsteht eine Spalte, die beide Familien trennt.)

Mats' Vater: Getrennt im Leben und getrennt im Tode!

Mats' Großvater: Die Brücke barst unter der Last des Frevels!

Mats' Mutter: Wo ist Kersti?

Der Soldat: »Und es ward gesagt, es sei besser, daß ein Mensch sterbe für das Volk«!

Mats' Vater: »Da sprechen sie zu ihm: Was sollen wir mit dir tun, daß uns das Meer stille werde?«

Kerstis Mutter: »Nehmt mich und werfet mich in das Meer; denn ich weiß, daß ein solch großes Ungewitter über euch kommt um meinetwillen.«

Die Großmutter: Steht das geschrieben?

Alle: Das steht geschrieben!

Kerstis Mutter: Siehe, hier ist Feuer und Holz. Wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?

Die Mordlinge: Wo ist Kersti?

Das Mühlvolk: Wo ist Kersti?

 

Der Pfarrer (tritt auf hinter dem Küster).

Der Pfarrer (zum Soldaten): Der Herr sprach: »Lege deine Hand nicht an den Knaben, und tue ihm nichts. Denn nun weiß ich, daß du Gott fürchtest, und hast deines eigenen Sohnes nicht verschonet um meinetwillen.«

Alle (zum Pfarrer): Rettet uns!

Der Pfarrer: Einer ist euer Gott, der Erlöser! – Lasset uns beten!

Alle (knien nieder).

Der Pfarrer: Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir!

Alle: Herr, höre meine Stimme!

Der Pfarrer: Herr, erbarme dich!

Alle: Christe, erbarme dich!

Der Pfarrer: Herr, erbarme dich!

Alle: Christe, erbarme dich!

 

Der Vogt (tritt auf, von vorne, mit einer Fackel. Hinter ihm vier Soldaten, die Kerstis Leiche tragen).

Alle (stehen auf).

Der Pfarrer: Wen bringt ihr?

Der Vogt: Wir bringen die Kronbraut, wir bringen Kersti!

Der Pfarrer: Lebt sie?

Der Vogt: Sie ist tot! Das Wasser nahm sie!

Der Pfarrer: Möge der Herr ihre Seele zu sich nehmen!

Die Soldaten: O Gott, siehe gnädig an unser Opfer, der du dich für uns geopfert hast!

Der Pfarrer: »Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab!«

Brita: Das Wasser fällt!

Alle: Das Wasser fällt!

(Die Spalte schließt sich wieder; Mats und Brita gehen hinüber zu den Mordlingen, brechen Kiefern- und Tannenzweige ab und breiten sie über Kerstis Leiche.)

Der Pfarrer: Ist nun Friede?

Alle: Friede und Versöhnung!

Der Pfarrer (an Kerstis Leiche):

Herr mein Gott!
Gib den Toten Ruh,
Und tröste die,
So leben!

(Nun steigt im Hintergrund die Kirche aus dem See auf; erst der goldene Turmhahn, dann das Kreuz und die Erdkugel, dann der Turm und die Rundbogenkirche mit schwarzem Schindeldach.)

Der Wassermann (singt in der Ferne sein Lied, aber jetzt in D-Moll aufgelöst):

Ja, ich hoffe, ja, ich hoffe,
Daß mein Erlö-ser lebet!

Der Pfarrer: Danket dem Herrn und lobet ihn!

Alle: Dem Herrn sei Dank und Lob! (Mats und Brita knien an Kerstis Leiche.)

Alle (singen auf den Knien liegend):

Herr Gott, dich loben wir!
Herr Gott, wir danken dir.
Dich Vater in Ewigkeit
Ehrt die Welt weit und breit.
Alle Engel- und Himmelsheer'
Und was dienet deiner Ehr,
Auch Cherubim und Seraphim
Singen immer mit hoher Stimm':
Heilig ist unser Gott,
Heilig ist unser Gott,
Heilig ist unser Gott,
Der Herr Zebaoth!

 


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