Theodor Storm
Zur »Wald- und Wasserfreude«
Theodor Storm

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Am nächsten Sonntage, es war schon gegen Abend, fuhr in drei Wagen eine Gesellschaft feiner Leute an der »Wald- und Wasserfreude« vor. Herr Zippel, dem vorher nichts angemeldet worden, geriet in große Aufregung, als man ihm ankündigte, hier sei die letzte Station der heutigen Lustfahrt; man wolle nun mit Abendbrot und Tanz den Kehraus machen. Der Doktor dagegen schien von allem unterrichtet; er war sogleich zur Stelle, half den alten und jungen Damen vom Wagen und schalt die jungen Herren, daß sie sich unterwegs so lange aufgehalten.

Kätti stand, nach der Flußseite, halb verdeckt hinter der Ecke des Hauses. Untätig, mit düsteren Augen und herabhängenden Armen, hörte und beobachtete sie alles, was hier vorging; dann, als die Gäste von ihrem Vater in das Haus hineinkomplimentiert waren, schlich sie sich zögernd durch den Garten in die Küche.

Nicht lange nachher erschien sie mit Tischzeug und Geschirr in der Veranda und begann unter Herrn Zippels kreuz und quer fliegenden Befehlen die Abendtafel herzurichten. Während sie leicht und sicher eines nach dem andern an seinen Platz setzte, wandelte die Gesellschaft plaudernd und lachend auf den Gängen des sich unterhalb ausbreitenden Gartens, und Kätti konnte es nicht lassen, mitunter halb beklommen einen Blick hinauszuwerfen. Die jungen Damen waren ihr fast alle bekannt, mit mehreren hatte sie einst auf derselben Schulbank gesessen, und – sie zog grübelnd eine ihrer schwarzen Flechten über die Brust hinab – von keiner war sie noch begrüßt worden. Aber freilich, sie war bei ihrer Ankunft ja auch hinten um das Haus herumgelaufen! – Nur eine, die hübscheste, ein schlankes blondes Mädchen, war ihr fremd; sie hatte was Vornehmes in dem lässigen Neigen ihres Kopfes, und Kätti selber mußte immer die Augen nach ihr wenden. Aber es war noch ein andres, wodurch die blonde Dame wie magnetisch die Blicke des braunen Mädchens auf sich zog. Es war nicht zu verkennen, daß sie sich immer wieder wie von selber mit dem Doktor Fedders zusammenfand, und eben jetzt gingen beide ohne Begleitung den Seitensteg zum Flusse hinab und konnten der überhängenden Büsche wegen von der Veranda aus nicht mehr gesehen werden. Kätti blickte auf die Stelle, wo die jugendlichen Gestalten verschwunden waren, bis sie vor der scharfen Stimme ihres Vaters aufschreckte und nun emsig in ihrer Arbeit fortfuhr.

Als sie die letzte Schüssel aufgesetzt hatte, sah sie das Paar aus der Tiefe des schon dämmerigen Gartens auf dem an der Veranda vorbeiführenden Steige heraufkommen. Das blonde Mädchen hatte eine feine weiße Hand erhoben und redete lebhaft zu dem jungen Doktor. Gewiß, sie war die Hübscheste; aber – Kätti wußte nicht recht weshalb – auch wohl die Stolzeste!

Und jetzt näherten die beiden sich der Veranda, und da sie auf dem Steige langsam vorübergingen, ließ die junge Dame ihre blauen Augen eine Weile betrachtend auf Kättis Antlitz ruhen und fragte dann wie gleichgültig, sich wieder zu ihrem Begleiter wendend: »Wer ist das Mädchen?« Sie hatte laut genug gesprochen, und in dem Ton der Frage lag kein Bemühen, sie vor ihrem Gegenstande zu verbergen.

»Es ist die Wirtstochter«, sagte der Doktor leise und schien rascher vorübergehen zu wollen.

Aber Kättis feine Ohren hatten auch das gehört.

Die junge Dame hob den blonden Kopf und sprach lächelnd ein paar Worte auf französisch, und Wulf Fedders erwiderte in derselben Sprache. Dann gingen sie vorüber, und Kätti hörte sie von hinten in den Saal treten.

Der Garten drunten hatte sich geleert; die übrige Gesellschaft war am Flußufer auf und ab gegangen und kam jetzt die große Felstreppe wieder herauf, welche zu der Anfahrt des Hauses führte.

Die braune schmächtige Wirtstochter stand noch immer in der Veranda, unbeweglich an derselben Stelle; sie wußte selbst nicht, was sie überkommen war; aber sie fühlte, wie ihr das Herz fast schmerzhaft schlug und wie ihr ganzer Körper bebte. Plötzlich warf sie, was an Gerät noch in ihren Händen war, fort und lief in den Garten hinab. – Noch eine Weile saß sie unten vor der Abnahmewohnung auf dem großen Feldstein, der unter den Fenstern ihres Gastes lag. Es war ganz einsam hier; nur der Fluß rollte in dem Abendwind, der sich erhoben hatte, eintönig seine Wellen an dem Uferrand hinauf. Kätti starrte auf das immer wiederkehrende Spiel des Wassers; sie hatte keinen Gedanken, sie fühlte sich nur ganz verachtet und vernichtet. Aber jetzt hörte sie oben vom Hause her die Stimme ihres Vaters »Kätti! Kätti!« rufen und dann schärfer und lauter: »Rosalie!« und noch einmal: »Rosalie!«

Sie wußte wohl, jetzt, während die Gäste in der Veranda tafelten, sollte sie mit Sträkelstrakel spielen und zur Gitarre ihre Lieder singen. Aber – vor jenem blonden Mädchen? Sie hätte sich eher die Zunge abgebissen. Und selbst vor ihren früheren Schulkameradinnen – auch vor denen nicht; nein, nun und nimmer wieder!

Vorsichtig stand sie auf; aber sie ging nicht, wohin sie gerufen wurde. Seitwärts unter alten Nußbüschen war ein niedriges Rohrdach auf dem Boden hingebaut, ein Aufbewahrungsort für allerlei Gerümpel, noch von dem vorigen Wirte her. In dem hintersten Winkel, hinter leeren Tonnen und Bienenkörben hatte Kätti sich zusammengekauert. Sie hörte noch einmal ihren Vater rufen, aber sie achtete nicht darauf; sie hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und stützte die Arme auf ihre Knie. Doch saß sie jetzt nicht mehr in dumpfem Hinbrüten; »die Wirtstochter!« sprach sie halblaut vor sich hin, »nur die Wirtstochter!« – Er hatte vor Jahren auf dieselbe Frage ja ganz dieselbe Antwort gegeben, und sie hatte sich damals kindisch darüber gefreut; warum denn brannte heut das Wort wie eine Kränkung in ihrer jungen Brust? – Aber es war ja auch nicht jenes Wort allein; wie anders als gegen sie war sein Benehmen jenem blonden Mädchen gegenüber! Sie hatte früher nie daran gedacht; aber jetzt wallte es siedend in ihr auf: er hatte keinen Anstand genommen, sie noch immerfort zu duzen, so wie sie selber es bisweilen mit dem armen Sträkelstrakel machte!

Sie richtete sich jäh empor, daß sie den Kopf an einen Sparren stieß. – War das eine Mahnung, daß sie sich nicht zu hoch erheben sollte? – Freilich, sie hatte nichts gelernt, sie konnte nicht französisch mit ihm sprechen, in der Schule war sie immer faul gewesen. Aber sie besaß noch ihre Bücher; es war noch Zeit, um das Versäumte nachzuholen; nur das Lexikon fehlte ihr – aber unter des Doktors Büchern hatte sie eins gesehen; gleich morgen wollte sie ihn darum bitten! Nein, keine Teufelskünste, wozu die lange Trina sie verführen wollte; aber lernen, lernen! Er sollte sehen, daß sie keiner etwas nachgab.

Sie legte wieder den Kopf in ihre Hände. Da hörte sie es von oben aus dem Garten herabkommen, und bald darauf unterschied sie ein Saitenklimpern und daneben den ungleichen Tritt des kleinen Musikanten. Gewiß, mit seiner Geige unter dem Arme wanderte er umher, um sie zu suchen. Aber sie regte sich nicht, und die Schritte entfernten sich wieder. Einmal flog es durch sie hin, und ihr war, als stocke jählings ihr Herz, ob denn nicht er, er selber sie vermissen würde? – Aber es kam niemand mehr. Statt dessen hörte sie bald vom Saal herab das Getöse des Tanzes, Geigenstriche und fröhliches Lachen.

Qualvolle Stunden vergingen; endlich wurde es still, und die Wagen fuhren ab. Kätti schlüpfte aus ihrem Versteck, ließ einen Augenblick noch den feuchten Nachtwind über ihre Wangen gehen und schlich sich dann im Dunkeln fort auf ihre Kammer.

 

Am andern Tage, da es noch morgenfrisch vom Fluß heraufwehte, kam Kätti wie gewöhnlich mit dem aus Brot und Milch bestehenden Frühstück des Doktors nach dem Abnahmehaus herab; vor der Haustür aber zögerte sie und holte ein paarmal tiefen Atem. Sie sah etwas bleich und anders aus als sonst; die dunkelrote Schleife saß zwar noch in dem glänzend schwarzen Haar; aber die langen Zöpfe waren am Hinterkopf zu einem Knoten aufgesteckt. Sie wollte nicht mehr wie ein Kind vor ihm erscheinen.

Als sie eintrat, stand der Doktor vor einer aufgezogenen Schublade und kramte in seiner Wäsche, wandte aber auf das Geräusch des Türöffnens den Kopf und sah die Eintretende voll Erstaunen an. »Kätti! Fräulein Rosalie!« rief er scherzend. »Du bist ja ganz verwandelt. In welchem Zauberwinkel warst du gestern uns verschwunden?«

Sie hob den Kopf, und aus dem Spalt der halb geschlossenen Lider flog es wie ein Blick des Hasses auf ihn hin. »Ich bin krank gewesen«, sagte sie düster. Als sie aber den plötzlichen Ausdruck der Teilnahme auf seinem Antlitz sah, öffnete sie die Augen weit und blickte mit kindlicher Hilflosigkeit zu ihm auf.

»Du hättest noch ruhen sollen«, sagte er; »ich hätte mein Frühstück mir schon selbst geholt!«

Sie schüttelte den Kopf und zeigte auf ein kleines Diktionär, das zwischen andern Büchern auf einem Seitentische lag. »Wollen Sie mir das leihen?« frug sie. »Darf ich es mit nach Haus nehmen?«

»Das? Was willst du damit?«

»Ich will Französisch lernen.«

Das Antlitz des jungen Mannes verriet eine flüchtige Verlegenheit, die Kättis scharfen Augen nicht entging. Sie dachte: Was mag er gestern über dich gesprochen haben?

Aber der Doktor lachte schon wieder. »Wäre es nicht besser«, sagte er, »du bliebest beim Nähen und Stricken? Mich dünkt, du warst früher gerade kein Held darin.«

Sie antwortete ihm nicht darauf; sie wiederholte nur ihre Frage, ob er das Diktionär ihr leihen wolle.

»Gewiß, Kätti«, sagte er harmlos, »und behalte es, so lange es dir gefällt.«

Sie nahm das Buch und wollte eben gehen, als sie von ihm zurückgerufen wurde. »Sieh da«, sagte er und zeigte ihr einige auf dem Tische liegende Leinwandstücke, die augenscheinlich Teile eines zugeschnittenen Hemdes waren; »ich habe bei meiner plötzlichen Abreise das letzte vom Dutzend so mit fortnehmen müssen; habt ihr eine leidliche Näherin im Dorf?«

Sie schüttelte erst den Kopf; dann aber sagte sie hastig: »O ja, doch, es wird schon gehen; ich weiß doch eine.«

»Dann sei so gut, es zu besorgen!«

Sie packte rasch die Leinwand zusammen und ging mit dieser und dem Buche fort. Als sie draußen am Fenster vorüberschritt, sah er ihr durch die Scheiben nach, ja er öffnete das Fenster, um ihr noch weiter nachzusehen, und er tat es, bis das feine Köpfchen mit dem glänzend schwarzen Haarknoten droben im Gebüsch verschwunden war. »Vraiment, une petite princesse dans son genre!« Halblaut wiederholte er sich diese Worte, durch welche gestern die blonde Majorstochter sich mit der eigentümlichen Anmut des Mädchens abgefunden hatte.

Er stieß auch noch die andern Fensterflügel auf, um die frische Morgenluft hereinzulassen. »Dans son genre?« murmelte er vor sich hin. – »Nur dans son genre?« Und nachdenklich setzte er sich an den Tisch, um das ihm von der petite princesse gebrachte Frühstück zu verzehren.

– – Inzwischen schritt Kätti, nachdem sie oben am Hause das Diktionär in ein offenes Fenster gelegt hatte, die Dorfstraße hinab, bis sie an das niedrige Strohdach des Musikanten kam. Als sie zu ihm in die Stube trat, rutschte er mit möglichster Behendigkeit von seinem Schneidertisch herab und stand in seinen wollenen Strümpfen vor ihr auf dem Lehmboden.

»Sträkelstrakel!« sagte Kätti, während der kleine Mann sie halb verwundert, halb besorgt betrachtete. »Er kann doch Weißzeug nähen, Sträkelstrakel?«

Seine schmalen Lippen zogen sich zu einer harmlosen Selbstverspottung zusammen. »Ei freilich, Mamsellchen; ein Schneider im Dorf kann alles nähen: Hemden und Pudelmützen, und was Sie sonst noch lustig sind, Mamsellchen!«

Sie nickte und kramte ihre Leinwandstücke auf dem Arbeitstische aus. »So hilf mir! Nähen kann ich's schon; ich weiß nur nicht, wie es zusammengeht.«

Bald lehnten beide gegen den Tisch und suchten die zusammengehörigen Stücke richtig aneinanderzupassen. Der Schneider geriet wirklich ein paarmal in Verlegenheit, denn so ein Stadtherrending war doch was andres als ein gewöhnliches Bauernhemd. Endlich aber kam's zurecht. »So!« rief er und betrachtete jetzt etwas verwundert die Länge und Breite des Gewandes. »Ich hätte noch kaum den Herrn Zippel für eine so ansehnliche Person gehalten!«

Kätti wurde glühend rot. Aber der Schneider bemerkte das nicht, und sie selber sah sich nicht veranlaßt, ihn über ihren Arbeitgeber aufzuklären. Zärtlich, als verhülle sie ein Geheimnis, rollte sie die Leinwand wieder auf; dann fragte sie noch statt des Dankes: »Was meint Er, wollen wir einmal heut abend unsre Sonate spielen?«

Sträkelstrakel warf einen Blick auf seine Geige, die glücklich wieder an der Wand hing. »Ach ja, Mamsellchen«, sagte er freudig, »die von dem großen Mozart; und wir haben sie so lange nicht gespielt! – Freilich«, setzte er hinzu, »Sie haben jetzt auch viel zu schaffen; die Aufwartung da drunten bei dem jungen Herrn.« –

Er sah ihr seufzend nach, da sie mit einem freundlichen Nicken ihn jetzt verließ. Noch immer vermochte er ein neidisches Gefühl nicht ganz zu unterdrücken, daß der junge vornehme Herr das Mädchen so ohne alle Mühe vom Wege aufgelesen hatte. Aber die angeborene Dankbarkeit seines Herzens trug den Sieg davon. »Pfui! Pfui!« sagte er zu sich selber. Dann hinkte er an die Wand, langte Geige und Bogen von ihrem Haken, und bald erklangen aus dem niedrigen Stübchen in reinen Tönen die lieblichsten Passagen der Mozart-Sonate.

 

Als es an diesem Abend elf vom Glockenturm geschlagen hatte, stand der Doktor von seiner Arbeit auf und setzte sich auf den großen Stein vor seiner Haustür, um der Nachtkühle zu genießen und vor dem Schlaf noch eine Weile lieblichen Gedanken nachzuhängen, wie sie die zukunftsreiche Jugend zu besuchen pflegen. Nur eine Weile ruhten seine Blicke auf der Landschaft, die in verschwimmendem Umriß sich vor ihm ausbreitete; was sonst getrennt war, die Welt seiner Innern und die da draußen, im schützenden Dämmer der Nacht traten sie traulich zueinander und verwebten sich in eins. Wie traumredend durch die weite Stille rauschte der Fluß in seinen Ufern, und in dem silbernen Lichte des Sternenhimmels tauchte die Gestalt des blonden blauäugigen Mädchens wie Anadyomene aus der Flut. Er sah sie deutlich vor sich; nur der Saum ihres weißen Gewandes verlor sich in den Wellen; mit jenem lässigen Neigen des Hauptes lächelte sie ihn an, und in dem Rauschen des Schilfes unterschied er deutlich ihre Stimme: »Vraiment, une petite princesse dans son genre!« Aber sie war jetzt nicht mehr drunten über dem Wasser; sie wandelte an seiner Seite, sie beide vor den Säulen der Veranda; sie flüsterte noch etwas, aber er verstand es nicht.

Als er unwillkürlich den Kopf nach dem Lande zurückwandte, wo droben über dem Gebüsch der Giebel des Haupthauses sich gegen den Nachthimmel abhob, sah er zu seiner Verwunderung noch ein Licht durch die Zweige schimmern, und bald auch, daß es aus dem Fenster strahlte, hinter welchem, wie er wußte, Kättis Kammer war.

Er hatte so spät dort niemals Licht erblickt. Was mochte das wunderliche Mädchen jetzt noch treiben? Französisch? Aber weshalb denn, da sie es als Kind so gründlich doch verabscheut hatte? – Gleichviel; was kümmerte es ihn!

Aber dennoch sah er sie vor sich; das müde Köpfchen auf die Hand gestützt und gleichwohl eifrig in seinem Diktionär blätternd.

Er wandte sich wieder ab. Der Fluß rauschte noch wie zuvor in seinen Ufern; aber die blonde Majorstochter wollte nicht wieder aus seiner Flut emporsteigen, so ernstlich der junge Doktor auch seinen Willen darauf zu richten suchte. Unwillkürlich wandte er immer wieder seine Augen nach dem Lichte, das landwärts durch die Bäume schien; es schlug schon Mitternacht vom Turme; und erst, als es längere Zeit nachher erlosch, stand er von seinem Steine auf und ging in seine Kammer.

– – Die nächste und die darauffolgende Nacht war es ebenso. Am Morgen des dritten Tages, da Kätti ihm das Frühstück brachte, legte sie die fertige Näharbeit auf den Tisch.

Er nahm sie und betrachtete sie genau, während das Mädchen gespannt zu ihm hinüberblickte. »Das ist gut!« sagte er. »Lache nur nicht; ich verstehe mich darauf.« Er war, wie manche Männer, fast pedantisch in bezug auf seine Leibwäsche. »Und was kostet es?«

»Es kostet nichts«, erwiderte sie.

»Nichts? Lassen die Näherinnen hier sich nicht bezahlen?«

»Es gibt hier keine; ich selber habe es genäht. – Aber, wollen Sie mir jetzt auch diese Arbeit durchsehen?« Und damit legte sie ein mit französischen Themen beschriebenes Heftchen vor ihm hin.

Er nahm es schweigend und begann zu lesen, während sie mit beklommenem Atem vor ihm stand. Einmal zuckte sie erschreckt zusammen, da er einen Bleistift nahm und damit zwischen ihre Schrift hineinschrieb; endlich gab er ihr das Heft zurück. »Das ist auch gut!« sagte er und sah sie voll mit seinen blauen Augen an, während ein helles Freudenrot über des Mädchens Antlitz flog.

»Aber bist du denn nicht mehr die alte Kätti; wer hätte dich früher an den Nähtisch oder an die Bücher bringen können? Und nun? – Wie geht das zu? Oder ist es am Ende gar ein Wunder?«

Ihre Augen öffneten sich weit und sahen ihn an, bis sie sich mit Tränen füllten. »Ich weiß nicht«, stammelte sie verworren, »aber darf ich mit meinen Themen wiederkommen?«

Und als er ihr das zugesagt hatte, nahm sie ihr Heft und verließ eilig das Zimmer.

 


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