Theodor Storm
Auf der Universität
Theodor Storm

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Jahre waren seitdem vergangen.

Als ich den Zwang der klösterlichen Schulanstalt hinter mir hatte, brachte ich zum erstenmal wieder einige Herbstwochen im elterlichen Hause zu. Von allen meinen Kameraden fand ich nur noch Christoph im heimatlichen Neste; die übrigen, auch Fritz, waren alle schon ausgeflogen; ins lustige Studentenleben, aufs weite Meer hinaus, in die dunkle Schreibstube eines Kaufmanns, oder wohin sonst Wahl und Verhältnisse sie geführt hatten. Auch Christoph, der zum stattlichen, etwas untersetzten jungen Mann herangewachsen war, rüstete sich zum Abzug; er war Gesell geworden und wollte wandern. Aber zuvor arbeiteten wir noch einmal gemeinschaftlich in der Werkstatt seines Vaters, und ein ungeheurer Tabakskasten, der mit mir die Universität beziehen sollte, war das Resultat unsrer Bemühungen. – Von meiner Mutter erfuhr ich, daß die rüstige Frau Beauregard vor Jahresfrist eines plötzlichen Todes verblichen und ihre Tochter bald darauf nach der kleinen Landesuniversitätsstadt zu einer alten unverheirateten Tante gezogen sei, die sie testamentarisch zur Universalerbin ihres kleinen Vermögens eingesetzt hatte. Das schmale Häuschen mit der Linde war nach dem Tode der Mutter schuldenhalber verkauft worden, und der französische Schneider hatte froh sein müssen, bei einem der andern Meister als Gesell ein Unterkommen gefunden zu haben. Ich traf ihn am Sonntagnachmittage in einer Ecke des Kirchhofs auf der Bank sitzend. Seine Haut über den scharfen Backenknochen war noch gelber geworden, und sein schwarzes Haar war stark ergraut; er hustete, aber die Sonne schien ihm wohlzutun. »Ah, Monsieur Philipp!« rief er, da er mich erkannte, und streckte mir zwei Finger seiner langen knöchernen Hand entgegen, während die andern die alte wohlbekannte Porzellandose umklammert hielten. »Damals – das waren andre Zeiten, Monsieur Philipp!« fuhr er seufzend fort. »Meine Alte, sie hat sich mit ihrer Menage unter die schwarzen Kreuze dort begeben; und das Kind, die Lore« – er schluckte ein paarmal und nahm eine starke Prise –, »Sie werden es ja gehört haben! – Sie wollte nicht, sie wollte ihren armen Vater nicht allein lassen, ich mußte mit Gewalt ihre kleinen Hände von mir losreißen; aber was hilft es denn! Das Kind mußte doch sein Glück machen!« Er ließ den Kopf sinken und legte schlaff seine Hände auf die Knie. »Ich werde Ihnen ihre Briefe zeigen!« begann er dann wieder. »Sie werden sehen, Monsieur Philipp, Sie sind ja ein Gelehrter! Die allerliebsten Buchstaben, und all die lieben guten Worte; eine Marquise könnte es nicht besser.« –

– – So sprach er noch eine Weile fort, bis ich ihn verließ.

Ich habe den französischen Schneider nicht wiedergesehen; denn einige Tage darauf reiste ich ab, um zunächst auf einer ausländischen Universität meine juristischen Studien zu beginnen, und schon nach einem halben Jahre schrieb mir meine Mutter, der ich diese Begegnung erzählt hatte, daß auch Monsieur Beauregard, der Enkel des Ofenheizers vom Hofe Ludwigs des Sechzehnten, unter den schwarzen Kreuzen eine Stelle gefunden habe.

 

Drei Jahre später befand ich mich auf der Landesuniversität, um vor dem Examen noch das gesetzlich vorgeschriebene Jahr hier zu absolvieren. Fritz, mit dem ich das letzte Semester in Heidelberg zusammen gewohnt, wollte erst im nächsten Herbst zurückkehren. Aber mein Freund Christoph hatte die Universität bezogen; er war erster Arbeiter in einem großen Möbelmagazin. Ich trag ihn eines Nachmittags in einem öffentlichen Garten, wo er allein vor seinem Seidel Lagerbier saß und, scheinbar in Sinnen verloren, den Rauch seiner Zigarre vor sich hinblies. Sein starker blonder Backenbart und seine feine bürgerliche Kleidung ließen mich ihn erst in nächster Nähe erkennen. Als ich schweigend meine Hand auf seine Schulter legte, warf er den Kopf rasch und trotzig nach mir herum; denn, wenn ich jetzt auch keine farbige Mütze trug, so gehörte ich doch unverkennbar genug zu den mutmaßlich noch immer nicht von ihm geliebten Lateinern. Allein kaum hatte er mich angesehen, als auch sogleich die freudigste Überraschung aus seinen Augen leuchtete. »Philipp, du bist es?« sagte er, indem er mit einer fast mädchenhaften Bescheidenheit meine dargebotene Hand nahm und sie dann desto kräftiger drückte. – Wir sprachen lange zusammen; über unsre Heimat, über Eltern und Altersgenossen; als ich mich dann der verhängnisvollen Eisfahrt erinnerte, fragte ich auch nach unsrer gemeinschaftlichen Knabenliebe.

Lenore lebte noch im Hause ihrer Verwandten, einer alten Schneiderin, mit der sie zum Nähen in die Häuser der vornehmen Einwohner ging. Aber Christoph wurde bei den Antworten auf diese Fragen immer wortkarger und suchte endlich mit einer gewissen Hast das Gespräch auf andre Dinge zu bringen. Er schien in seinem treuen Gemüte noch immer die Fesseln des schönen Mädchens zu tragen, die ich mit dem Staub der Heimat schon längst von mir abgeschüttelt zu haben glaubte.

Ich mochte mich darin indessen irren. – Einige Zeit darauf hatte ich mit befreundeten Damen jenseits der Meeresbucht, an welcher die Stadt liegt, einen damals beliebten Vergnügungsort besucht. Der Nachmittag war zu Ende, und wir gingen an den Strand hinab, um nach einem Fahrzeug für die Heimkehr auszuschauen. – Zwei Boote, beide schon fast besetzt, lagen zur Abfahrt bereit. Neben dem einen, das etwa dreißig Schritte von uns entfernt sein mochte, stand an der Seite einer ältlichen lahmen Nähterin, die ich mitunter im Wohnzimmer meines Hauswirts gesehen hatte, eine auffallend schöne Mädchengestalt. Sie hatte schon den Fuß auf den Rand des Bootes gesetzt und schien im Begriff, hineinzusteigen; aber sie zögerte plötzlich, da sie den Kopf nach uns zurückwandte. Zwei schwarze fremdartige Augen, wie ich sie lange nicht, aber wie sich sie einst gesehen, trafen in die meinen; ich wußte jetzt, daß es Lenore Beauregard sei. Sie war größer geworden, und unter den braunen Wangen schimmerte das Rot der vollsten Jungfräulichkeit; aber noch immer war ihr in der Haltung jene graziöse Lässigkeit eigen, die mir unbewußt, schon einst mein Knabenherz entführt hatte. Es wallte heiß in mir auf, und ich hatte der Damen neben mir fast ganz vergessen. Denn jene dunkeln Augen schienen mich bittend anzublicken; ich hörte, wie die alte Nähterin ihr zusprach, wie der Schiffer sie nicht eben in den höflichsten Worten zum Einsteigen drängte; aber noch immer stand die schlanke Mädchengestalt unbeweglich, wie im Traum, die Augen nach mir hingewandt.

Schon hatte ich, wie von dunkler Naturgewalt getrieben, ein paar Schritte nach dem Boote zu getan; aber ich bezwang mich; ich dachte an Christoph; seine ehrlichen Augen schienen mich plötzlich anzusehen. »Es wird nicht Platz dort für uns alle sein«, sagte ich zu den Damen. Dann gingen wir seitwärts nach dem andern Fahrzeug am Wasser entlang. – Doch noch einmal mußte ich nach Lore zurückblicken. Sie hatte den Kopf auf die Brust sinken lassen und stieg eben langsam über den Bord in das Innere des Bootes, das im Gold der Abendsonne auf dem regungslosen Wasser lag.

Bei der Heimfahrt saß ich am Steuer, wortkarg und innerlich erregt; meine Augen mochten wohl mitunter auf dem andern in ziemlicher Entfernung vor uns rudernden Boote ruhen, während die jungen Damen mich vergebens in ihre Plaudereien zu ziehen suchten.

»Aber Sie sind heute nicht zu gebrauchen!« sagte die eine; »unsre schöne Nähterin scheint Sie stumm gemacht zu haben!«

»Ist Lore Ihre Nähterin?« fragte ich noch halb in Gedanken.

»Lore! Woher wissen Sie, daß sie Lore heißt?«

»Wir sind aus einer Stadt; ich habe in der Tanzschule meine erste Mazurka mit ihr getanzt.«

»So! – Sie soll auch jetzt noch gern mit Studenten tanzen.«

Unser Gespräch über Lore war zu Ende; aber ich wußte jetzt, weshalb Christoph nicht hatte reden mögen.

Dennoch sah ich ihn später im Laufe des Winters mehrmals an öffentlichen Orten mit Lore zusammen, meistens in Gesellschaft der lahmen Marie oder einer älteren Person, welche niemand anders als die Erbtante sein konnte, die dem armen Schneider noch so kurz vor seinem Ende das Kleinod seines Herzens entführt hatte.

Eines Abends, es mochte einige Wochen nach Neujahr sein, hörte ich von meinem Zimmer aus einen Tumult auf der Straße. Als ich das Fenster öffnete, bemerkte ich unter dem vorbeiziehenden Haufen hie und da rote Studentenmützen; endlich erkannte ich beim Schein der Straßenlaterne auch einen unsrer Pedelle.

»Was gibt's, Dose?« rief ich hinunter.

»Holz hat's gegeben, Herr Doktor.« – Dose nannte mich aus einem nur uns beiden bekannten Grunde allezeit Herr Doktor.

»So? Und wohl wieder auf dem Ballhaus?« fragte ich.

»Nun, wo denn anders?«

Das Ballhaus war ein öffentliches Tanzlokal, wo die altherkömmliche Feindschaft zwischen Studenten und Handwerksgesellen sich zuzeiten Luft zu machen pflegte. Es schien diesmal indessen arg geworden zu sein; denn Dose machte andeutungsweise eine höchst kräftige Bewegung mit der Faust.

»Wer hat's denn gekriegt?« fragte ich noch.

Der Alte hielt die Hand vor den Mund und flüsterte mir zu: »Es ist auf die rechte Stelle gekommen, Herr Doktor.« Ein Bekannter, der unser Gespräch hörte, rief im Vorübergehen: »Es ist der Raugraf; die Knoten haben ihm auf Abschlag gezahlt.«

Der sogenannte »Raugraf« war ein ebenso schöner als wüster junger Mann, der in den Hörsälen der Professoren selten, dagegen häufig auf der Mensur und regelmäßig auf der Kneipe zu finden war; einer von denen, die auf Universitäten eine Rolle spielen, um dann im späteren Leben spurlos zu verschwinden. Von den jungen Handwerkern, denen er ihre Mädchen abspenstig machte, wurde er ebensosehr gehaßt, wie er für die größere Anzahl der jüngern Studenten der Gegenstand einer scheuen Bewunderung war. Nachdem er eine Reihe andrer Universitäten besucht und, teilweise durch Relegation gezwungen, wieder verlassen hatte, fand er für gut, auch die unsrige zu versuchen, und bald gingen von seinem großen Wechsel und dann von seinen noch größeren Schulden die mannigfaltigsten Gerüchte im Schwange. Der Titel »Raugraf«, den er mitbrachte, paßte insofern für ihn, als er an die Zeiten des Faustrechts erinnert und allerdings die Weise der alten Junker, die ja die Schwächeren rücksichtslos für ihre Leidenschaften zu verbrauchen pflegten, sich vollständig auf ihn vererbt zu haben schien.

Da ich den Raugrafen weder genau kannte noch ein Interesse an seiner Person nahm, so schloß ich das Fenster und begab mich zur Ruhe, ohne des Vorfalles weiter zu gedenken.

Am Nachmittage darauf sollte ich indessen aufs neue daran erinnert werden. – Ich hatte eben meinen Kaffee getrunken und saß im Sofa über einer Pandektenkontroverse, als an die Stubentür gepocht wurde.

Auf mein »Herein!« trat die stattliche Gestalt meines Freundes Christoph vorsichtig und etwas zögernd in das Zimmer.

»Bist du allein?« fragte er.

»Wie du siehst, Christoph.«

Er schwieg einen Augenblick. »Ich muß fort von hier, Philipp«, sagte er dann, »Noch heute abend; weit fort, an den Rhein zu meinem Mutterbruder; er ist schwächlich und braucht einen Gesellen, der nach dem Rechten sehen kann. Aber ich fürchte, meine Barschaft reicht nicht für die Reise, und Fechten, das ist nicht meine Sache.«

Ich war schon an mein Pult gegangen und hatte eine kleine Geldsumme auf den Tisch gezählt. »Reicht das, Christoph?«

»Ich danke dir, Philipp.« Und er steckte das Geld sorgsam in seine Börse, die schon einen kleinen Schatz am Gold- und Silbermünzen enthielt. Erst jetzt sah ich, daß er in seiner schwarzen Sonntagskleidung vor mir stand.

»Aber du bist ja in vollem Wichs«, fragte ich; »wo bist du denn gewesen?«

»Nun«, sagte er und rieb sich nachdenklich mit der Hand seine breite Stirn, »ich komme eben von der Polizei!«

»Du hast schon deinen Paß geholt?«

»Jawohl; meinen Laufpaß.«

Ich sah ihn fragend an.

»Es ist wegen der dummen Geschichte auf dem Ballhaus.«

Mir ging ein Licht auf. »So! Also du bist es gewesen?« sagte ich. Daß mir das nicht sogleich eingefallen ist!«

»Freilich bin ich dort gewesen, Philipp.«

»Lenore war wohl mit dir?«

Er nickte.

»Und da hast du den Raugrafen durchgeprügelt?«

Ein Lächeln befriedigten Hasses legte sich um seinen Mund. »Sie sagen ja, daß ich's gewesen sei«, erwiderte er.

Der alte Feind der Gymnasiasten sprach dies in solchem Tone der Genugtuung, daß ich über den Sachverhalt nicht mehr zweifelhaft sein konnte.

Ich mußte laut auflachen. »So erzähl mir doch! Wie kam denn die Geschichte?«

»Nun, Philipp – du weißt doch, da ich mit der Lore gehe?«

»Seid ihr denn einig miteinander?«

»Es ist wohl so was«, erwiderte er. – »Sie ist eine anstellige Person; und nach dem Tode der alten Tante bekommt sie auch noch eine Kleinigkeit.«

Ich sah ihn lächelnd an. »Nun, Christoph, sie ist auch sonst so übel nicht; du hättest so überzeugend sonst auch schwerlich zugeschlagen!«

Er blickte einen Augenblick vor sich hin. »Ich weiß es kaum«, sagte er, »wir standen in der Reihe, Lore und ich – es geschah nur ihr zu Gefallen, daß ich hingegangen war –, da kam der lange blasse Kerl, der schon immer auf sie gemustert und dabei mit einem andern getuschelt hatte, und wollte extra mit ihr tanzen.«

»War er denn unverschämt gegen deine Dame?«

»Unverschämt? – Sein Gesicht ist unverschämt genug!«

»Und Lore?« sagte ich, meinen Freund scharf fixierend. »Sie hätte wohl gern mit dem schmucken Kavalier getanzt?«

Er zog die Stirnfalten zusammen, und ich sah, wie sich eine trübe Wolke über seinen Augen lagerte.

»Ich weiß es nicht«, sagte er leise. – – »Es war nicht gut, daß ihr das Mädchen damals in eurer Lateinischen Tanzschule den Notknecht spielen ließet.«

Er reichte mir die Hand. »Leb wohl, Philipp«, sagte er, »das Geld schicke ich dir; sonst wirst du wohl nicht viel von mir zu hören bekommen; aber um Jahresfrist, so Gott will, bin ich wieder hier, oder bei uns daheim.«

Er ging. – Ich suchte vergebens mich wieder in meine unterbrochenen Arbeiten zu vertiefen; eine unbestimmte Sorge um die Zukunft des Jugendgespielen hatte mein Herz beschlichen. Ich wußte nur zu wohl, was seine Worte nicht verraten sollten, daß seine Phantasie von jenem Mädchen ganz erfüllt war und daß alle Kräfte dieses tüchtigen Kopfes darauf hinarbeiteten, sein Leben mit dem ihren zu vereinigen.

Bald darauf ging ich in die Wohnung meiner Hauswirte hinab, bei denen ich damals meinen Mittagstisch hatte. Es mochte etwas frühzeitig sein; denn von den Hausgenossen hatte sich niemand eingestellt; aber in der Nebenstube traf ich die kleine Nähterin, die »lahme Marie«, welche stumm und einsam inmitten einer Wolke weißer Stoffe mit der Nadel hantierte. – Da ich sie oft in Gesellschaft der beiden Menschen gesehen hatte, deren Geschick mich jetzt beschäftigte, so erzählte ich ihr den gestrigen Vorfall, in der Hoffnung, über die Ursache desselben Näheres zu erfahren.

»Ich hab' es kommen sehen!« sagte sie, die dünnen Lippen zusammenkneifend; »der Tischler ist wohl sonst ein ganzer Kerl; aber gegen das Mädchen ist er zu gutwillig; was wollte er mit ihr auf dem Ballhaus!«

Ich fragte näher nach.

Sie räumte eine Partie Zeuge von einem Stuhl, damit ich mich setzen könne. – »Sie kennen vielleicht das kleine Haus in der Pfaffengasse«, begann sie dann, als ich ihrem Wink gefolgt war; »die alte Schmieden, die Tante von der Lore, hat es vor Jahren von dem Pferdeverleiher nebenan gekauft; aber den Hof dahinter, weil er zu seinem Geschäft doch großen Raum braucht, hat der Verkäufer sich vorbehalten, so daß er mit seinem nun in eins zusammengeht; nur in der Mitte auf einem Stückchen Rasen darf die Alte ihre Waschsachen trocknen und bleichen, soweit es damit reichen will. Sie ist Geschwisterkind mit meiner seligen Mutter, und seit ich konfirmiert war, bin ich oft mit ihr zum Nähen ausgegangen.

Ich denk, es war kurz vor Martini vorigen Jahrs; ich machte mich gleich nach Mittag zu der Schmieden; denn wir hatten eine große Seidenwäsche zusammen. Unterwegs begegne ich dem Tischler, der damals schon mit der Lore ging. Wir sprechen ein Wort zusammen, und im Weggehen ruft er mir noch lachend zu: ›Bei Feierabend komm ich und helf euch die Klammern aufsetzen!‹ Ich sagt's auch der Lore; aber sie schien nicht groß darauf zu achten.

Spätnachmittags, da wir drinnen fertig waren, gingen wir hinaus, um die Leine zwischen den Pfählen aufzuscheren, die draußen auf dem Grasrondell stehen. Lore, das Kleid über ihren Halbstiefelchen aufgeschürzt, ging mit dem kleinen hölzernen Tritt von einem zum andern. Die Alte hatte sich drinnen in ihren Lehnstuhl schlafen gesetzt; ich – ich bin die Größte nicht und konnte ihr eben nicht viel dabei helfen.«

Und die Erzählerin suchte ihren dürftigen Körper möglichst gradezurichten.

»Ich hatte mich neben dem Waschkorb auf einen Prellstein gesetzt und sah mir's an, wie vor dem Stall der Knecht des Nachbars einen Goldfuchs striegelte. – Ich hab' die Pferde gern, wissen Sie, denn mein Vater ist auch ein Fuhrmann gewesen. – Es war gar ein schönes Tier; und wenn es so den Kopf aus dem Schatten in die Sonne hinauswarf, glänzten die Haare wie Metall; aber an dem feinen Beinwerk merkte ich wohl, daß es keines von des Nachbars Mietgäulen sei. – ›Wem gehört das Pferd?‹ fragte ich Lore, die eben ihr Holztreppchen hart neben mir an den letzten Pfahl gerückt hatte. – ›Das Pferd?‹ sagte sie, indem sie sich auf den Fußspitzen hebt und die Leine um das Querholz schlingt; ›das gehört dem fremden Studenten; ich weiß nicht, wie er heißt.‹ – Ich sah zu ihr hinauf; aber sie wandte nicht den Kopf und wickelte noch immer fort mit der Leine. Als ich eben ungeduldig werden wollte, sagte hinter mir eine Stimme: ›Es ist genug, Fräulein Lorchen!‹

Ich sehe noch, wie sie die Arme sinken läßt und hastig das aufgeschürzte Kleid herunterzupft, und da ich den Kopf wende, steht der blasse vornehme Student vor mir, und Lore, ohne ein Wort zu sagen, springt von ihrem Tritt herunter und stellt sich neben mich. – Der junge Herr steht auch nur und macht scharfe Augen auf die Lore, als wenn er das Anschauen ganz umsonst hätte. Daß dich! dachte ich und fing aufs Geratewohl einen lauten Diskurs über den Goldfuchs an, und red'te so lang, bis ich Antwort hatte, und ehe ich mich's versehen, waren wir alle drei auf den Hof hinübergetreten. Das Pferd scharrte mit den Hufen und sah seinen Herrn mit den klugen Augen an; Lore stand daneben, und recht, als trüge sie Verlangen nach dem Tier, ließ sie ihre flache Hand an dem spiegelblanken Hals herabgleiten. ›Er ist lammfromm‹, sagte der junge Herr; ›was meinen Sie, Fräulein Lore, drinnen im Stall hängt noch ein Damensattel!‹ – Sie schüttelte den Kopf; aber ich hörte, wie ihr der Atem versetzte, und ihre Augen blitzten ordentlich vor Lust. Der Herr Graf hatte das wohl auch verstanden; denn auf seinen Wink wurde der Sattel aufgeschnallt und ein leichter Zaum angelegt. Lore sah darauf hin, als wenn ihr die Augen verhext wären. Als aber der Knecht ihr das Holztreppchen zum Aufstieg hinstellte, warf es der junge Herr beiseite. ›Pfui doch, Johann!‹ rief er; und als wenn sich's nur von selbst verstände, faßte er das junge Mädchen unterm Arm. ›Treten Sie fest!‹ sagte er und hielt die andre Hand vor sie hin, indem er mit seinen durchdringenden Augen zu ihr aufsah. Und Lore, als müsse sie nur immer tun, wie der es wollte, setzte ihr Füßchen in seine Hand. Ich merkte wohl, er zögerte; aber es war nur ein Augenblick; dann hob er sie mit einem raschen Schwung hinauf.

Sie sah ganz verwirrt aus und schlug die Augen nieder, als sie droben saß, und ließ sich geduldig den Zaum zwischen den Fingern von ihm zurechtlegen. Der Fuchs schüttelte den Kopf und stieß ein lautes Wiehern aus. Sein Herr strich ihm ein paarmal liebkosend über das seidene Fell; dann legte er die Hand hinter Lore auf den Sattel; mit der andern faßte er den Zaum und führte das Pferd langsam um das Rondell herum.

Ich muß es selbst sagen, sie machten ein stolzes Paar zusammen, und es hätte wohl keiner gedacht, der sie so gesehen, daß die feine Person nur eine arme Nähterin und eines Schneiders Tochter sei.

Bald ging es ihr schon nicht rasch genug. Sie warf die Hand empor, das Pferd fing an zu traben, und der junge Herr trat auf das Rondell zurück. Aber er ließ kein Auge von ihr; wie das Pferd lief, so ging er, die Reitpeitsche in der Hand, im Kreise mit umher; als sei es ihm angetan, so flogen seine Blicke an dem Mädchen hin und wider, von ihren schwarzen wehenden Haaren bis zu dem Füßchen, das oben an dem Sattel unter dem Kleide hervorsah. Bald rief er ihr, bald seinem Fuchs ein kurzes Wort hinüber. Das Tier lief immer schneller; es schob und peitschte mit dem Schweife in die Luft. Lenore sah gar nicht darauf hin. Sie saß nur wie angeflogen und lächelte und sah auf den jungen Herrn, grad als wären's seine Augen, die sie auf dem Sattel festhielten.

So ging es eine Weile. Wenn die Alte herauskäme, dachte ich. Es gäbe ein böses Wetter! Aber sie kam nicht. Da plötzlich schwenkte eine Flucht Tauben mit großem Geklapper über den Hof, und der Fuchs stutzt und macht einen Satz. Ich denk, die Lore stürzt herunter; aber nein, sie hing noch an dem Hals des Pferdes; nur blaß war sie geworden wie der Tod. ›Oho, Virginie!‹ ruft der Herr, und gleich ist er auch drüben, hat die Lore auf seinen Armen, sieht sie einen Augenblick mit den scharfen Augen an und läßt sie dann sanft zu Boden gleiten. – Ehe ich mich noch besinne, höre ich die Hoftür gehen. Da ist die Alte! denk ich; aber als ich mich umkehre, steht der Tischler vor mir. – Wär's nur die Alte gewesen, ich hätte mich nicht so alteriert; denn ganz wie versteinert sah der Mensch aus. ›Ist denn schon Feierabend, Herr Werner?‹ ruf ich. Aber er achtet gar nicht darauf. ›Guten Abend, Marie!‹ sagt er mit ganz heiserer Stimme, und er würgt ordentlich daran, als wenn ihm das Wort im Halse steckenbleiben müßte. – ›Wollen wir nicht ins Haus gehen?‹ sag ich wieder. ›Ich danke‹, antwortet er; ›ihr habt da schon Gesellschaft.‹ – Und ohne das Mädchen anzusehen oder eine Silbe an sie zu verlieren, kehrt er sich um und geht durch den großen Torweg der Straße zu.

Lore stand, ohne sich zu rühren, neben dem schnaubenden Pferde. ›Was wollte der Mensch?‹ fragte der Graf. ›Es ist ein Landsmann von mir‹, erwiderte sie leise. ›Es ist Herr Werner‹, sagte ich, ›der erste Arbeiter in dem großen Möbelmagazin‹; denn mich ärgerte das spöttische Gesicht, womit der Herr dem Tischler nachgesehen hatte.«

Die Erzählerin hatte eine Arbeit vollendet; sie stand auf und legte die Stoffe zusammen. Nebenan im Wohnzimmer fanden sich die Hausgenossen zum Mittagstisch zusammen.

»Was ist denn daraus geworden?« fragte ich noch.

»Was ist daraus geworden?« wiederholte sie. »Ich habe eine Zeitlang hin und wider geredet; am Ende – der Tischler kann ja doch nicht von ihr lassen, und sie, wenn ihr nicht just der Kopf verrückt ist, weiß auch wohl, was sie an ihm hat. Die schönen vornehmen jungen Herren sind ja nun doch einmal doch für sie gewachsen.«

Wir gingen zu Tische. Aber die Geschichte der lahmen Marie lag mir schwer auf dem Herzen. – Lore und Christoph! Ich konnte mir die beiden Menschen nicht zusammen denken.


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