Adolf Stoltze
Unseres lieben Herrgotts Kostgänger
Adolf Stoltze

Adolf Stoltze

Unseres lieben Herrgotts Kostgänger

Novelle

Es gibt Leute, die säen nicht und ernten nicht, und unser himmlischer Vater nährt sie doch. Ja, er ernährt sie zuweilen besser als solche, die im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot essen. Diese Glücklichen, die behaupten Unglückliche zu sein, trifft man am zahlreichsten unter den Künstlern.

Klingelt's da an meiner Türe, und wie ich öffne, steht ein großer wohlgenährter Kerl mit einer schwarzen Lockenmähne, die seit Monaten kein Kamm durchfurcht, vor mir und fragt, ob ich Doktor Wunderli sei.

Da er außer der Lockenmähne auch noch einen eleganten Pelzmantel, eine Diamantenbusennadel und Gummischuhe trug, antwortete ich: »Womit kann ich dienen?«

»Pardon, wenn ich störe!« erwiderte der Baumlange, »aber ich habe soviel Gutes von Ihnen und den Kindern Ihrer Muse gehört, daß es mich mit Polypenarmen herzog, Ihre werte Bekanntschaft zu machen.«

Nach dieser schmeichelhaften Phrase drängte er mich förmlich in mein Zimmer und folgte mir nach. Ich bedeutete ihm, sich zu setzen, was er übrigens schon vor meiner Einladung hierzu getan hatte, und erwartete nun den Zweck seines Besuches zu erfahren.

Langsam öffnete er statt dessen seinen Pelzrock und zog ein mit Perlen gesticktes Zigarrenetui hervor. »Sie rauchen doch?« fragte er, indem er mir eine Riesenbauchbandzigarre offerierte. »Kraut für Kenner, lieber Doktor. Geschenk Sr. Hoheit des Fürsten Knuffkniffsky, Vorsitzender der Hinrichtungskommission in Rußland bei dem ich, auf dessen Bitte kürzlich virtuosierte. Famoser Kerl, der Fürst, Urkaukasier – bißchen kräftig, ich meine natürlich die Zigarre, und immens reich, selbstverständlich der Fürst. Zar Nikolaus raucht sie bis auf den Stummel.«

»Danke verbindlichst, ich bin kein Raucher.«

»Wollte, könnte das auch von mir sagen, wäre mindestens um fünfzigtausend Mark reicher. Trotzdem reut mich das Geld nicht, denn eine feine Zigarre ist ein Genuß, der gleich nach der Wonne der Liebe kommt. Namentlich diese Sorte hier zeichnet sich durch ein Aroma aus, das deinesgleichen sucht – wenn Sie erlauben, zünde ich mir eine an.«

Ohne meine Zustimmung abzuwarten, führte er sein Vorhaben aus und blies mir alsdann zum Mitgenuß, wie er sagte, den Rauch so kräftig ins Gesicht, daß ich einen Hustenanfall davon bekam.

»Erlauben Sie,« keuchte ich, »ich weiß noch nicht, wen ich die Ehre habe, vor mir zu sehen.«

»Wirklich? Nun ich dachte, Sie kennen mich aus der Woche: Niklo Karavanto.«

»Ah!« sagte ich mit einer Verbeugung, konnte mich aber nicht erinnern, jemals diesen Namen gehört zu haben. »Violinvirtuose?«

»Nichts von gespannten Schafsdärmen! Ich meistere die Saiten des allumfassenden Instruments, des Konzertflügels. In Rußland, Amerika und den romanischen Landen bin ich so populär, daß mich jeder Junge auf der Straße kennt«

Da ich mich meiner Unwissenheit schämte, sagte ich nur: »So, so!«

»Nun, wie finden Sie den Duft dieser Zigarre? Entzückend, nicht wahr? Und dabei brennt sie wie eine Opferflamme im Heiligtum der Kunst.«

»Es scheint ein ziemlich schweres Kraut zu sein,« wagte ich, als Entschuldigung meines beständigen Hustenreizes schüchtern zu bemerken.

»Für gesunde Lungen nicht – ich rauche täglich fünfzehn Stück ohne jede Beschwerde, wenn Sie aber der Rauch geniert – bitte –«

»Lassen Sie sich nicht stören – ich liebe starken Tabak.«

Er schien mich nicht verstanden zu haben, denn er qualmte ruhig weiter.

»Ohne unbescheiden zu sein, lieber Doktor,« nahm er das Gespräch wieder auf, »kann ich von mir sagen, mein Renommee eilt mir überall voraus und verschafft mir Zutritt zu höchsten und allerhöchsten Kreisen. Nur in dem verwünschten Deutschland konnte ich noch keinen Boden fassen.«

»Das verstehe ich nicht, denn in der Regel wird es den Ausländern bei uns sehr leicht gemacht, sich in Szene zu setzen.«

»Ja, den Ausländern! ich bin aber kein Ausländer, ich bin Deutscher; mein Vater war Strumpfwirker engros und hieß Rindsfuß, meine Mutter war eine geborene Karavanto aus Montenegro. Daß ich als Rindsfuß keine Karriere machen konnte, war selbstverständlich, ich nannte mich deshalb wie meine Mutter. Nun sehen Sie, es ist mir in der ganzen Welt geglückt, mit Ausnahme meines Vaterlandes; hier verfolgt mich das Pech, natürlich nicht künstlerisch – das ist ausgeschlossen – sondern ganz allgemein. Vor einigen Jahren beabsichtigte ich im Gewandhaus in Leipzig zu konzertieren. Schon war alles in Ordnung bis auf die öffentlichen Anzeigen, als mich mein Geschick in Auerbachs Keller führte. Sie kennen doch Auerbachs Keller?«

Ich mußte zu meiner Schande gestehen, daß ich noch nicht dortgewesen war und sagte verlegen: »Nur aus Goethes Faust.«

»Das genügt, um sich keinen Begriff davon zu machen. Denken Sie sich, ein im Souterrain gelegenes halbmodernes Restaurant und einige Stufen tiefer einen kleinen Keller mit Goldrahmenspiegel und rundem polierten Kleidergestell, dazu das ovale Faß des Mephisto. Das Ganze eine Parodie auf das, was man sich im allgemeinen unter Auerbachs Keller vorstellt. Ich ärgerte mich über die geschmacklose Ausstattung dieser Sehenswürdigkeit und trank eine Flasche vorzüglichen Rüdesheimer, der meinen Groll sicherlich hinuntergespült hätte, wenn nicht am Nachbartische drei Studenten, die einzigen Gäste außer mir, in überschwenglichen Worten den Raum gelobt hätten. Das brachte mich in Harnisch, und heißblütig wie wir Künstler nun mal sind, machte ich aus meinem Herzen keine Mördergrube, sondern widersprach weidlich. Das Ende vom Liede war, daß wir aneinander gerieten und auf der Straße zu Tätlichkeiten übergingen. Die Polizei erschien schließlich, und ich hatte das Vergnügen, als Fremder, der sich nicht legitimieren konnte, die Nacht auf der Wache zuzubringen. Natürlich war es jetzt mit dem Konzert vorbei, denn die Zeitungen bauschten den Fall auf und ergriffen Partei für die Studenten.«

»Das ist alles sehr interessant, aber ich bin mir noch immer nicht klar, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft,« erlaubte ich mir, ungeduldig werdend, zu bemerken.

»Kommt schon, lieber Doktor! – Jammerschade, daß Sie nicht rauchen! es plaudert sich ganz anders gemütlich, wenn jeder einen Schornstein unter der Nase hat. Also, ich verließ Leipzig, begab mich nach Amerika und machte von San Franzisko einen Abstecher nach Japan. Erfolg, grandios! Da lesen Sie mal Kritiken über mich in der Tokio Nichi-Nichi Shimbun.«

Mit diesen Worten reichte mir Herr Karavanto eine alte japanische Zeitung, schlug die Arme übereinander und sah mich mit überlegenen Blicken an.

Abermals war ich in die unangenehme Lage versetzt, meine Unwissenheit eingestehen zu müssen, und, indem ich ihm das Blatt zurückgab, bemerkte ich kleinlaut: »Zu meinem lebhaften Bedauern bin ich der japanischen Sprache nicht mächtig.«

»Nun sehen Sie wieder, was von uns Künstlern alles verlangt wird. Doch, auf mein Mißgeschick in Deutschland zurückzukommen: Nach dieser erfolgreichen Tournee suchte ich mein Vaterland wieder auf, um mich in Köln im Gürzenich hören zu lassen. Sie kennen ja Köln und den Gürzenich?«

»Gewiß, besser als die Tokio Nichi-Nichi Shimbun,« erwiderte ich, froh, daß ich nun endlich auch ein Wort mitreden konnte.

»Dann ist Ihnen sicherlich auch die Hochstraße bekannt?«

»Allerdings.«

»Vor vierzehn Tagen nun, bei dem Glatteis – Sie hatten sicherlich auch hier Glatteis?«

»Ich entsinne mich nicht mehr.«

»In Köln war es fürchterlich! Ich bin gewiß Parkett gewöhnt, aber solche Glätte hatte ich noch nicht unter meinen Füßen. Also kurz und gut, ich glitt in der Hochstraße aus, stürzte und verstauchte mir den vierten Finger der rechten Hand. Was der vierte Finger bei einem Pianisten bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu sagen.«

»Das ist freilich sehr unangenehm.«

»Unangenehm! Nein, mein Herr, niederträchtig ist es! ich laboriere noch daran. Aber ein Malheur kommt selten allein, als ich mit meinem verstauchten Finger in mein Hotel zurückkehrte, war mein Impresario, Fuchs heißt der Lump, mit der letzten Monatseinnahme verschwunden. Zum Glück hatte ich am Platze Bekannte, so den Herrn Direktor vom Konservatorium, dem ich auch ihre werte Adresse verdanke, und der Sie durch mich grüßen läßt – und nun können sie sich denken, was mich, außer der Verehrung für Sie, zu Ihnen führt.«

Das wußte ich nun allerdings, aber ich wußten nicht, wie groß der Aderlaß sein sollte, der mir zugedacht war, und sagte: »Leider bin ich nicht in der Lage – – –«

»Meinen Verlust zu ersetzen,« unterbrach er mich, »verlange ich auch nicht! Was einem schwer fällt, wird vielen leicht. Ich konzertiere zunächst in London, natürlich dritter Klasse kann ich nicht hinfahren und dort auch nicht in einem Hotel zweiten Ranges wohnen.«

»Wenn Ihnen mit zehn Mark gedient ist – –«

»Lieber Doktor, Sie wissen in der Not frißt der Teufel Fliegen. Apropos! kennen Sie vielleicht Frau Konsul Rosenberg? Soll 'ne passionierte Musikfreundin sein.«

Da ich erklärte, daß mir eine Dame dieses Namens völlig unbekannt sei, nahm er meine zehn Mark, schob sie wie ein Zehnpfennigstück in die Tasche, zog seine goldene Uhr und rief, indem er sich erhob:

»Donnerwetter, lasse meine Autodroschke schon eine halbe Stunde warten! Das kommt von der angenehmen Gesellschaft – hat mich wirklich sehr gefreut, auf Wiedersehen, lieber Doktor, auf Wiedersehen!«

Als er mich verlassen hatte, nahm ich mir zum soundsovieltenmale vor, künftighin keine Korridortüre mehr selbst zu öffnen, und unbekannte Gäste, ohne den Zweck ihres Kommens zu kennen, nicht mehr zu empfangen.

Den Abend besuchte ich das Schauspiel und veranlaßte den mir befreundeten Theaterdirektor, nach der Vorstellung mit mir in einem erstklassigen Restaurant ein Glas Bier zu trinken.

Wenige Tische von uns saß der Virtuose, der mir am Vormittag die zehn Mark abgeknöpft hatte, und labte sich an Austern und einer Flasche Rüdesheimer Auslese. Als er uns bemerkte, grüßte er äußerst kardial mit der Hand und rief mit weithinschallender Stimme: »Guten Abend, Direktor! guten Abend, Doktor!«

»Kennen Sie den Herrn?« flüsterte ich dem Bühnenleiter zu.

»Ja, seine Bekanntschaft kostete mich zwanzig Mark.«

»Er ist doch kein Schauspieler.«

»Das tut nichts, ein Künstler schickt ihn dem andern, damit der auch bluten soll; das gehört zur Kollegialität.«

Wenige Wochen später erlebte ein Schauspiel aus meiner Feder auf unserer heimischen Bühne seine Uraufführung, die einen glücklichen Verlauf nahm. Es gehört nun zu den Gepflogenheiten der ortsansässigen und durchreisenden Kunstschnorrer, eine solche Gelegenheit nicht unbenützt vorübergehen zu lassen; und so wunderte ich mich auch garnicht, als schon in der Frühe des nächsten Tages ein heiserer Rezitator, ein engagementloser Charakterdarsteller und ein auf der Wanderschaft begriffener Dekorationsmaler mir ihre Glückwünsche zu dem »ungeheueren« Erfolg mitteilen ließen.

Meine Frau, eine sparsame Natur, welche sie empfangen hatte, honorierte ihre Artigkeit mit fünfzig Pfennige bis eine Mark, je nach dem Alkoholparfüm, das sie verbreiteten; und die Leute gaben sich zufrieden und gingen weiter.

Gegen die Mittagsstunde aber stürzte mein Dienstmädchen in höchster Aufregung in mein Zimmer und rief: »Herr Doktor! Sie bekommen Besuch.«

»Von wem?« fragte ich erstaunt.

»Ich weiß es nicht, aber es muß ein sehr vornehmer Herr sein, denn er hat im Parterre gezankt, weil ich im zweiten Stock am Treppenaufgang Ihren Rock ausgebürstet habe.«

»Das habe ich allerdings!« erklärte energisch ein älterer korpulenter Herr, der dem Mädchen auf dem Fuße gefolgt und ohne Umschweife in mein Zimmer getreten war. »Erlauben Sie, verehrter Kollege,« wandte er sich an mich, »daß ich Ihrem dienstbaren Geiste auseinandersetzte, daß man nicht stäubt, wenn Herrschaften die Treppe emporsteigen. So, nun können Sie gehen.«

Überrascht über diese seltsame Art, sich einzuführen, fragte ich nicht gerade freundlich, was ihn zu mir führe.

»Was! Sie kennen mich nicht?« antwortete er in gekränktem Tone, zog seinen Überzieher aus und warf ihn auf das Sofa. »Schlagen Sie nur im deutschen Literatur-Kalender, Seite vierzehnhundertneununddreißig auf; Daniel Schmetterer, dramatischer Dichter und Poet, derzeit in Genf wohnend. Sie sind vielleicht ungehalten wegen meines Auftretens, aber bitte, keine Empfindlichkeiten unter Kollegen. Ich bin ein Orginal und muß als solches verbraucht werden.«

In der gereizten Stimmung, in der ich mich befand, erklärte ich dem Original kurzweg, daß mir seine Werke völlig unbekannt wären.

»Wohl möglich,« gab er lächelnd zurück, »die älteren sind vergriffen, und die neuen noch nicht erschienen. Da, wenn es Sie interessiert, da habe ich noch eine Jugendsünde in der Tasche: »Mein Herzblut«, Gedichte von Daniel Schmetterer. Ich würde Ihnen das Buch gerne dedizieren, aber es ist das letzte Exemplar, das ich besitze.«

Ich versicherte ihn, daß ich von seiner edlen Absicht überzeugt sei, worauf er das dünne, stark vergilbte Heftchen, sicherlich die einzige literarische Tat seines Lebens, eiligst wieder in der Brusttasche verschwinden ließ. »Es freut mich ungemein,« nahm er nach einer kurzen Pause wieder das Wort, »daß es mir vergönnt ist, Ihnen meinen Glückwunsch zu Ihrem Schauspiel auszusprechen. Recht geschickt gemacht, namentlich der dritte Akt, dem der Segen von oben niemals fehlen wird. Sie haben den Rummel los, verehrter Kollege, da können wir Alten mit euch Modernen nicht Schritt halten, wir haben noch zu viel Ideale und schwören auf die Klassiker, die ihr längst über Bord geworfen.«

»Sie haben sich die Aufführung angesehen?«

»Von Anfang bis zu Ende, und die Hände dabei gehörig gerührt. Komme eben von der Theaterkanzlei, Sie können zufrieden sein, morgen ausverkauft. Jetzt die Lärmtrommel gerührt, und die Tantiemen fließen wie's Bächlein auf den Wiesen.«

»Ich hoffe, es geht auch so.«

»Klappern gehört zum Handwerk; so dachte sogar vorhin der Chorsänger, den ich im Vorzimmer des Direktors traf. Denken Sie, ein alter stimmlahmer Chorist spricht dort vor und bittet unter einer Tränenflut flehentlich um ein Almosen, seine Frau sei vorige Woche gestorben und habe ihm neun unmündige Kinder hinterlassen, die jämmerlich nach Brot schrieen. Der gutmütige Sekretär, der keine Personenkenntnis besitzt, gibt ihm drei Mark; indem kommt der Theaterdiener herein, sieht sich den Kunden näher an und ruft: Herr Sekretär, das ist ja der alte Schnorrant, dem seit sieben Jahren, jedesmal zu Beginn der Saison, die Frau stirbt und neun Kinder hinterläßt! Hinaus Schwindler!«

»Ich kenne diese Sorte, leider, leider!«

»Ich war,« setzte mir der gesprächige Gast auseinander, »auf die Kanzlei gekommen, um mich von dem Direktor, dem ich eine Tragödie aus meiner Feder in Aussicht gestellt habe, zu verabschieden, bei dieser Gelegenheit war auch von Ihrem Stück die Rede.«

»Nun, und wie urteilte er darüber?«

»Im Vertrauen, er hält es für einen Schmarrn – natürlich unter uns.«

»Was!« rief ich empört und sprang auf. »Mir erklärte er, es sei das beste Werk der Saison.«

»Ja, Ihnen – Sie vergessen, der Mann schreibt auch Stücke.«

Während ich wütend im Zimmer auf- und abging, hatte sich auch mein Besuch erhoben und sagte: »Was halten Sie davon, wenn ich mich bei Ihnen zu Tische bitte? Wir können uns dann in aller Gemütsruhe über Ihre lieben Kollegen hier am Platze aussprechen. Zwei Bedingungen knüpfe ich jedoch daran, daß Sie keine Umstände machen, und daß wir im Kreise Ihrer Familie speisen.«

»Das ist unmöglich!« erklärte ich kurz und bündig, durch diese Unverfrorenheit gereizt. »Wir waren bereits bei Tische.«

»Wahrhaftig, das tut mir leid.«

»Mir auch – aber wir essen in der Regel um elf Uhr zu Mittag.«

»Das ist allerdings zeitig,« sagte er, und eine bittere Enttäuschung malte sich auf seinem Gesicht. »Man sehnt sich bei dem Hotelfutter auf der Reise manchmal nach Hausmannskost. – Na, morgen bin ich ja wieder daheim.«

»In Genf?«

»Nein, auf meiner Villa am Comersee – ein kleines, unscheinbares, aber reizendes Idyll. Da müssen Sie mich, verehrter Kollege, mit Ihrer Familie mal auf einige Wochen besuchen. Sie werden dort eine prächtige, internationale Gesellschaft kennen lernen, Maler, Komponisten und Dichter. Als ich verflossenes Jahr meinen sechzigsten Geburtstag feierte, beschlossen diese Getreuen, mir als Ehrengeschenk eine erhebliche Summe zu überreichen.«

»Bravo, das läßt sich hören!«

»Ja, es ist eine schöne Sitte, Dichter, denen es nicht vergönnt war, goldene Schätze aufzuspeichern, an ihrem Lebensabend auf diese Weise zu erfreuen.«

»Gewiß ist es das.«

»Nun also, es bildete sich ein Komitee, und der Schatzmeister desselben übernahm es, die Sache in Fluß zu bringen, aber noch bevor er dazu kam, stürzte er an einer scharfen Kurve mit seinem Auto in den See und ertrank. Sie haben sicherlich davon in der Zeitung gelesen.«

»Möglich, erinnern kann ich mich nicht.«

»Das Komitee trat nun aufs neue zusammen und beschloß, da sich keiner der Herren zum Schatzmeister eignete, mir dieses Ehrenamt zu übertragen.«

»Ihnen!« rief ich, durch die Neuheit des Gedankens überrascht.

»Ja mir. Ich hatte erst Bedenken dagegen, schließlich aber ließ ich mich überreden und willigte ein. Nun das Komitee kann sich bei mir bedanken, bis jetzt hatte ich einen ganz netten Erfolg. Da sehen Sie mal!« Mit diesen Worten sprang er auf, eilte an das Sofa und zog aus der Brusttasche seines Paletots ein längliches Papier, das er mir überreichte.

Ich nahm dasselbe und las: »Sammelliste zu einem Ehrengeschenk für den deutschen Dichter Daniel Schmetterer zu dessen sechzigsten Geburtstage.«

»Wenden Sie nur um,« rief er mir zu, »auf der anderen Seite stehen die hiesigen Zeichner. Sehen Sie hier, Vorstand des Vereins für ästhetische Kultur, fünfundzwanzig Mark; da Ihr Kollege, der Bühnenschriftsteller Klatschmann, zwanzig Mark; der Direktor des Theaters, zwanzig Mark, und so weiter und so weiter! Ich wollte Sie nicht vor Ihrer Premiere aufsuchen, jetzt aber erlaube ich mir, namens des Komitees diese Liste gleichfalls vorzulegen.«

Ich griff mir unwillkürlich nach der Stirne und überlegte einen Augenblick, ob ich den Jubilar nicht zur Türe hinausweisen sollte, dann aber warf ich wieder einen Blick in die Liste und die Macht des Herdensinnes, die solchen Sammlungen allein den Erfolg sichert, siegte über mich. Mechanisch griff ich zur Feder, schrieb meinen Namen ein und dahinter fünfzehn Mark. »Sie nehmen das Geld doch gleich in Empfang?« fragte ich.

»Es scheint mir am praktischsten,« erklärte er. »Sie ersparen hierdurch die Spesen der Posteinzahlung.«

Nachdem diese Sache erledigt war, hüllte er sich in seinen Überzieher und verabschiedete sich mit den Worten: »Also verehrter Kollege, wenn Sie jemals Ihr Weg nach dem Comersee führt, suchen Sie mich auf, und bin ich zufällig nicht zu Hause, treffen Sie mich sicher, diesseits der Alpen, in Genf.«

Er ging, und ich öffnete, sobald er draußen war, die Türe zum Nebenzimmer und rief meiner Frau zu: »Therese, das war wieder einer von denen, die weder säen noch ernten, und der himmlische Vater ernährt sie doch, hoffentlich bewahrt uns das Schicksal vor solchen Kostgängern bis zur nächsten Premiere!«