Adalbert Stifter
Nachkommenschaften
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Adalbert Stifter

Nachkommenschaften

So bin ich unversehens ein Landschaftsmaler geworden. Es ist entsetzlich. Wenn man in eine Sammlung neuer Bilder gerät, welch eine Menge von Landschaften gibt es da; wenn man in eine Gemäldeausstellung geht, welch eine noch größere Menge von Landschaften trifft man da an; und wenn man alle Landschaften, welche von allen Landschaftsmalern unserer Zeit gemalt werden, von solchen Landschaftsmalern, die ihre Bilder verkaufen wollen, und von solchen, die ihre Bilder nicht verkaufen wollen, ausstellte, welch allergrößte Menge von Landschaften würde man da finden! Ich rede hier gar nicht von verschämten Töchtern, welche in Wasserfarben heimlich eine Trauerweide malen, unter welcher irgend ein bekränzter Krug steht, an dessen Fuße Vergißmeinnicht blühen, welches Werk die Mutter zum Geburtstage erhalten soll; ich rede ferner nicht von den Erzeugnissen, welche reisende Frauen oder Mädchen von dem Dampfschiffe oder dem Fenster ihres Gasthauses aus in ihr Handbuch als Erinnerung eintragen; ich rede auch nicht von den Landschaften, welche Schönschreibmeister in ihre Verzierungen verflechten, noch von den Packen Zeichnungen, welche alljährlich in den Fräuleinschulen verfertigt werden, unter denen sich viele Landschaften mit Bäumen befinden, auf denen Handschuhe wachsen – wenn man das alles hinzuzählte, so wären wir mit Landschaften überschüttet, und die Menschen müßten verzweifeln. Nun, es sind der in Ölfarben gemalten und mit Goldrahmen versehenen Landschaften schon genug. Und ich will nun auch noch so viele Landschaften mit Ölfarben malen, als in mein noch übriges Leben hineingehen. Ich bin jetzt sechsundzwanzig Jahre alt, mein Vater ist sechsundfünfzig, mein Großvater achtundachtzig, und beide sind so rüstig und gesund, daß sie hundert Jahre alt werden können; mein Urgroßvater, mein Ururgroßvater und deren Großväter und Ururgroßväter sind nach der Überlieferung der Großmutter über neunzig Jahre alt geworden. Wenn ich nun auch so alt werde und stets Landschaften male, so gehören, falls ich sie alle am Leben lasse und sie einmal in Kisten samt ihren Rahmen verpackt verführen will, fünfzehn zweispännige Wagen mit guten Rossen dazu, wobei ich noch so manchen malfreien und vergnügten Tag verleben kann.

Das ist betrachtenswürdig.

Ich fahre fort. Wenn man zu einem Alpensee kommt und in einem einsamen Gasthause übernachtet, so kommen abends drei oder vier Landschaftsmaler in die Gaststube, welche unter Tag auf verschiedenen Stellen des Angers gesessen sind und gemalt haben. Die sich an dem Rande des Gletschers befinden, übernachten in der Alphütte auf der Ochsenwiese oder sonst irgendwo. Unterhalb des Staubdaches sind mehrere sehr große weiße Sonnenschirme ausgespannt wie das Schildkrötendach der Römer bei Belagerungen, unter denen Männer sitzen und versuchen, den herabwallenden Schleier des Wassers nachzuahmen.

Am Rande des Waldes dann, vor den Trümmern eines alten Ritterschlosses, vor getürmten Felsen, vor gedehnten Ebenen, am Gestade des Meeres, in Grotten und grünblauen Eishöhlen der Gletscher, vor einzelnen Bäumen, Ruinen, Wässerlein, Waldpflanzen sind solche, welche sich bestreben, die Dinge, die sie da sehen, mit Farben auf ihre Leinwanden zu bekommen. Dann macht noch ein Lehrer der Landschaftsschule von der Staatsmaleranstalt mit allen seinen Schülern einen Ausflug, daß sie nur im Freien die Dinge geradeso malen, wie sie sie sonst in der Stube nach seinen Vorlagen gemalt haben. Und ich bin jetzt auch mit einem dreifüßigen, zusammenlegbaren Feldstuhle versehen; dann mit einem weiten, groben, weißgrünen Sonnenschirme, den ich in die Erde pflanzen und so befestigen kann, daß er wie ein Wartturm dasteht; dann mit einem Malerkasten, der mit Leinwand, Papier, Farben, Pinseln und so weiter versehen ist und als Staffelei dient; ich will von den wasserdichten Stiefeln und von dem Wachsmäntelchen und anderen Schutzdingen gar nicht reden.

Das ist bemerkenswert.

Oft, wenn ich die unzähligen Wälder betrachtete, welche sich in öffentlichen Sammlungen befinden, oder wenn ich die Verzeichnisse neugemachter Bücher ansah, dachte ich, wie man denn noch ein Buch machen kann, wenn schon so viele vorhanden sind. Ja, wenn man eine neue, erstaunliche Erfindung macht, so mag man dieselbe in einem Buche beschreiben und erklären; aber wenn man bloß etwas erzählen will, da schon so unendlich viele etwas erzählt haben, so erscheint das sehr überflüssig. Und doch ist es mit einem Buche viel besser als mit einer in Öl gemalten, in einem Goldrahmen befindlichen Landschaft. Ein Buch ist an sich klein, kann in einem Winkel liegen, die Blätter können herausgerissen werden und die Teile des Einbandes können als Deckel auf Milchtöpfen dienen; aber die Landschaft, mit deren Goldrahmen die Menschen Mitleid haben, kann mehrere Geschlechter hintereinander warten, bis sie in einem Gange eines Schlosses oder in dem Vorhause eines Wirtshauses oder an der Außenwand eines Trödlergewölbes hängt und endlich, wenn gar kein Gold mehr an dem Rahmen ist und die Farben alle Töne ihres Lebenslaufes bekommen haben, in der Rumpelkammer alle Jahre in eine andere Ecke gestellt wird und so gleichsam als ihr eigenes Gespenst umgeht, während von dem Buche schon alle Blätter verbraucht sind und die Deckel morsch und schimmlig geworden und weggeworfen worden sind.

Aber ich bin ganz unschuldig.

Ich habe nie daran gedacht, ein Landschaftsmaler werden zu wollen. Habe ich in der lateinischen Schule in der Benediktiner-Abtei nicht den ersten Preis erhalten? Muß ich daher nicht tüchtig Lateinisch gelernt haben? Und auch Griechisch? Und habe ich nicht auch sehr viel Erdbeschreibung und Geschichte vor mich gebracht? Da hatten sie auch eine Zeichnungsschule. Ich hüpfte vor Freude empor, als ich von einem Schüler einer höheren Klasse eine mit Tusche gemalte Säule sah, deren Grund schön blaß grünspangrün und deren Durchschnitt schön blaß rosenrot war.

Ich schrieb meinem Vater um die Erlaubnis, m diese Schule eintreten zu dürfen, und erhielt sie. Ich malte nun auch solche Säulen mit grünspangrünem Grunde und rosenrotem Durchschnitte. Dann zeichnete ich aber Bäume, und der Lehrer ließ mich recht viele zeichnen, weil er sagte, ich hätte Anlage. Und da waren im Mittage von der Abtei sehr schöne blaue Berge, grüne Hügel, goldene Getreidefelder, rauschende Wässer und Bäume mit wunderbaren Blätterschlägen. Ich betrachtete das alles mit Vergnügen, zeichnete manches mit schwarzer Kreide, und anderes malte ich mit Wasserfarben auf weißes oder auf blaues Papier.

Und als ich schon lange nicht mehr in der Abtei war, als ich Menschen und Städte und Bildersammlungen und Bilderausstellungen angesehen hatte und als ich in den Alpen oft vielmal kreuz und quer, hin und wieder gewandert war, sagte ich: ,Soll es denn gar nicht möglich sein, den Dachstein gerade so zu malen, wie ich ihn oft und stets vom vorderen Gosausee aus gesehen habe? Warum malen sie ihn alle anders? Was soll denn der Grund dieses Dinges sein? Ich will es doch sehen.' Und ich machte nun zehn und etliche Versuche. Sie mißlangen sämtlich. So sehr war ich damals darauf erpicht, den Dachstein so treu und schön zu malen, als er ist, daß ich einmal sagte: ,Ich möchte mir am Ufer des vorderen Gosausees dem Dachsteine gegenüber ein Häuschen mit einer sehr großen Glaswand gegen den Dachstein bauen und nicht eher mehr das Häuschen verlassen, bis es mir gelungen sei, den Dachstein so zu malen, daß man den gemalten und den wirklichen nicht mehr zu unterscheiden vermöge.'

Da sagte ein Freund von mir, der aber ein Schalk war: »Dann wirst du siebenundfünfzig Jahre in dem Häuschen gewesen sein und gemalt haben. Die Sache wird bekannt, die Zeitungen reden davon, Reisende kommen herzu, Engländer werden auf den Höhen herumsitzen und mit Ferngläsern auf dein Häuschen schauen. Freunde werden dich mit manchem Nötigen versehen, und wenn die siebenundfünfzig Jahre aus sind, wirst du sterben, wir werden dich begraben, und das Häuschen wird angefüllt sein mit mißlungenen Dachsteinen.«

Er hätte mögen mit dem Mißlingen recht haben; aber ich baute das Häuschen nicht, und ich malte keine Dachsteine mehr; allein die Farben hatte ich nun einmal angeschafft, der Sonnenschirm, der Malerkasten, der Feldstuhl waren da, und ich malte weiter. Das Malen ist mir lieber als die ganze Welt; es gibt gar nichts auf der Erde, was mich tiefer ergreifen könnte als das Malen. Wenn das Früh rasch dämmert, wache ich auf und freue mich schon darauf, wieder in den lieblichen Farben zu wirken, und wenn der Abend kommt, denke ich daran, was der Tag gefördert hat oder worin er zurückgeblieben ist, und male in Gedanken weiter.

Bei mir ist aber vieles anders als bei ändern Malern. Der Schalk hätte nicht erlebt, daß das Häuschen am Gosausee mit mißlungenen Dachsteinen angefüllt gewesen wäre. Alles, was mir von meinen Arbeiten nicht gefällt, verbrenne ich. Jene wirklich mißlungenen Dachsteinmalereien sind alle verbrannt worden, ich konnte sie gar nicht ansehen und hatte keine Ruhe, solange sie auf der Welt waren. Und so würde sich in dem Häuschen, wenn ich schon mein Ziel nicht erreicht hätte, nur sehr viel Asche gefunden haben. Wohl sagte mancher Freund: »Ich bitte dich, wenn dir auch eine Arbeit nicht gefällt, mir gefällt sie sehr wohl; schenke sie mir lieber, ehe du sie verbrennst, das ist ja widersinnig, an einem verbrannten Dinge kann ja kein Mensch mehr eine Freude haben.« – »Das ist widersinnig, was du willst«, sagte ich, »an der nicht verbrannten Pfuscherei habe ich zeitlebens Ärger, solange ich sie auf der Welt weiß, auf die verbrannte vergesse ich, indem ich mir denke, ich will jetzt etwas ganz Schönes machen.« Und so sind schon viele Dinge in das Feuer gegangen.

Diese Sache kann eine merkwürdige Folge haben.

Entweder ich vervollkommne mich von Bild zu Bild, dann ist bei meinem Tode nur ein Bild von mir vorhanden, an dem ich nämlich eben vor dem Tode gearbeitet habe, weil alle andern verbrannt worden sind; oder ich steige rasch empor und male hierauf lauter Meisterstücke, dann sind bei meinem Tode jene fünfzehn zweispännigen Wagen voll Bilder von mir vorhanden oder vielleicht zwanzig Wagen voll, weil ich in der Freude über das Gelingen meiner Werke immer eifriger male und durch die Übung immer geschwinder zu malen verstehe. Wo würden dann aber jene Bilder sein? Würde ich sie wirklich, wenn ich einmal gegen mein Lebensende im siebenundneunzigsten oder achtundneunzigsten Jahre in eine andere Stadt oder in ein anderes Haus übersiedelte, in den Wagen zu verfahren haben? Oder werden sie zerstreut sein?

Dies führt mich auf einen weiteren Zustand meines Malertums. Ich habe nämlich das Glück, daß ich kein Bild verkaufen muß. Ich werde auch keines verkaufen. Ich habe an Geld und Gut so viel, daß ich, und wenn ich ein Weib mit sieben Kindern hätte, mit allen davon reichlich leben könnte. Ich werde aber gar niemals ein Weib bekommen, weil mir an einem solchen gar nichts liegt.

Mein Oheim sagte, als mein Vater Bedenken über meine Malerangelegenheiten äußerte: »Lasse dem Narren das Ding, er muß etwas haben, daran er mit den Hörnern stößt, und wenn du es ihm nimmst, so ergötzt er sich vielleicht daran, sein Geld zu verschwenden.« Nun, mit dem Verschwenden hat es seine guten Wege. Farben, Leinwand, Pinsel, Malerstäbe sind nicht teuer, sonst brauche ich nicht viel, und so wird das Geld immer mehr. Aber was ich mit den Bildern, falls sie am Leben bleiben werden, tue? Das weiß ich noch nicht. Jetzt, wenn ich ein Bild male und wenn Zug nach Zug so gelingt, so habe ich eine Freude daran, daß ich das Bild um keinen Preis hergäbe, man möchte mir Geld oder gute Worte oder Verwandtschaftsliebe dafür bieten, bis ich es nach und nach verderbe und verbrenne.

Bleiben also doch Bilder übrig und ändere ich diesen Sinn nicht, so habe ich endlich wirklich alle meine Bilder in meiner Wohnung beisammen oder in den Räumen, die ich dafür miete. Ändere ich meinen Sinn, was sehr übel wäre, so habe ich eine Schwester, die Kinder hat; so haben meine zwei Oheime Kinder; diese Kinder bekommen einst Kinder, welche wieder Kinder bekommen, so daß ich bei dem hohen Alter, welches ich erreichen werde, Nichten, Neffen, Geschwisterkinder, Urnichten, Urneffen, Urgeschwisterkinder, Ururnichten, Ururneffen, Ururgeschwisterkinder und so weiter in großer Zahl haben werde, unter welche ich meine Bilder als Geschenke verteilen kann.

Meine Großmutter sagt, daß unsere Vorfahren immer zahlreiche Nachkommenschaften gehabt haben und daß das Geschlecht nie so zusammengeschmolzen gewesen wäre wie eben jetzt, sich aber wieder auszudehnen beginne, indem ihre jüngeren Söhne schon so viele Kinder haben und noch mehr zu bekommen hoffen dürfen, welche Hoffnung bei meinem Vater auch noch nicht vorüber wäre. Und wären jene Oheime und Großoheime und Tanten nicht gestorben, von denen ich mein Geld geerbt habe, so würde das Geschlecht noch ausgedehnter geworden sein; das könnte nun einen Maler in Atem erhalten, der es mit Landschaften zu versorgen hätte. Mögen sie sich ausdehnen, ich dehne mich nicht aus, wie mein Großoheim sich nicht ausgedehnt hat, der so unendlich viele Hasen geschossen hat, bis er ohne Kind und Kegel gestorben ist.

Da bin ich in dem Lüpfinger Tale, an das mich auch eine Hexe gebannt hat. Es ist gar nicht schön und hat ein langes Moor, von dem man das Fieber bekommt. Ich bekomme aber nicht das Fieber, denn ich war schon einmal da und bekam kein Fieber, sondern ich suchte das Moor und den daranstoßenden einfarbigen Fichtenwald und die gegenüberliegenden Weidenhügel und den hinter ihm liegenden ebenfalls einfarbigen Fichtenwald und die hinter diesem Fichtenwalde emporstehenden blauen und mit grauen Lichtern glitzernden Berge zu malen. Ich male jetzt wieder daran, weil ich das frühere verbrannt habe. Aber es ist nicht viel zu malen, denn da hat ein unbillig reicher Mann das Schloß Firnberg gekauft und läßt so viele Steine und Erde in das Moor führen und so viele Gräben von ihm wegziehen, daß das Moor kleiner und das Fieber weniger geworden ist. Er hat dann ein bißchen Gras und sehr schlechten Hafer auf dem Moore geerntet. Meine Frau Wirtin auf der Lüpf sagt, es sei jetzt gar nicht mehr der Rede wert, was an Fiebern erkranke, und ich sage, es sei nicht der Rede wert, was man an dem Moore malen könne – aber ich muß es malen, denn der reiche Mann vernichtetes am Ende ganz, und dann ist gar nichts mehr zu malen.

Da ist auch ein Schlammbad mit einem Hause, das zu dem Schlosse Firnberg gehört; der reiche Mann hat das Haus veröden und das Schlammbad verfallen lassen, so daß das Schwein des Wegmachers der letzte Schlammbadegast gewesen sein soll. So ändert sich alles. Wenn nicht das Haus meiner Wirtin auf einem Hügel stände, von dem aus man das ganze noch übrige Moor und die zwei einfarbigen Fichtenwälder und die grauen Hügel gegenüber und die blauen Berge hinten überschauen kann, und wenn nicht der Hügel und das Haus schon seit der Sündflut dem Wirte gehörte und wenn der jetzige Lüpfwirt nicht alles andere eher täte, als das Haus dem Lüpfgeschlechte zu entziehen und es wegzugeben; der reiche Mann hätte es schon gekauft und vielleicht den Hügel und das Haus in das Moor geworfen.

Wenn der Sohn und der Enkel des Lüpfwirtes dem Vater und Großvater nachschlagen, so werden sie auch ihre kleinen Felder auf den Anhöhen hinter dem Hügel pflügen, den Wanderern, die hier als auf einem Kreuzpunkte der Fußwege von vier Tälern zusprechen, einschenken und einen Maler in dem oberen Stübchen beherbergen, der die Felder unter sich malt, wenn die Nachkommen des reichen Mannes schon lange statt des Moores nichts mehr haben als eine Wiese mit gelbem Grase und einen Acker mit kurzem Hafer.

Als es gestern seit den drei Tagen, die ich im Lüpfhause bin, zum erstenmale ein wenig wärmer geworden war, setzte ich mich gegen Abend, nachdem ich all mein untertags verwendetes Malerzeug geputzt und geordnet hatte, vorne auf dem Hügel, wo ein Apfelbaum steht, auf ein Holzbänkchen an eines der vier dort befindlichen Holztischchen, um mein Abendessen zu verzehren. Die Wirtin brachte mir einen gebratenen Fisch, ein Ei, ein Stück weißen Brotes und ein Glas guten Weines, den sie meinetwegen eingelegt hatte. Diese Dinge kann man im Lüpfhause immer frisch bekommen, da die Hühner die Eier legen, der große Bach in der Lüpf Fische hat und die Wirtin zu ihren Broten immer ein weißes Laibchen bäckt.

Als ich gegessen hatte und mich behaglich der Betrachtung meines Moores hingab, nicht des gemalten, sondern des wirklichen, kam ein Mann zu dem Apfelbaume. Er war mittlerer Größe, hatte ein graues Käppchen auf und graue Kleider an. Seine nicht langen Haupthaare waren weiß, und sein nicht langer voller Bart war auch weiß. Daraus sahen rote Wangen hervor, und die Augen, die er hatte, waren braun und klar. Er setzte sich zu einem der Tischchen, lüftete das graue Häubchen und wischte sich mit einem weißen Tuche ein wenig Schweiß von der Stirne. Dann lüftete er das Häubchen noch einmal und grüßte mich. Ich erschrak, stand auf und dankte sehr artig; denn es wäre eigentlich an mir, dem Jüngeren, gewesen, zuerst zu grüßen.

Die Wirtin brachte ihm in einem geschliffenen Deckelglase Bier und setzte es vor ihn hin. Nach einer Weile lüftete er den Deckel des Glases, blies den weißen Schaum ein wenig weg und kostete das Bier. Ich sage: kostete; denn nicht sieben Fingerhüte voll hatte er getrunken. Nach einer sehr langen Weile trank er wieder; und jetzt mehr. Ich hatte nichts vor mir; denn, wenn ich gegessen und mein Glas Wein getrunken habe, brauche ich nichts mehr. Wieder nach einer Weile, aber nach einer kurzen, redete er mich an und lobte den Abend. Wir saßen nämlich, wenn auch an zwei verschiedenen Tischen, doch so nahe, daß ein Gespräch geführt werden konnte. Ich lobte auch den Abend; denn wirklich, statt Kühler zu werden, wurde er beinahe immer wärmer; das Moor unter uns wurde stets schöner und duftiger und die Luft klarer. Er sagte, daß jetzt der Frühling mit Gewalt vorrücken werde und daß wir kaum mehr bedeutende Fröste zu erwarten haben dürften, dann erzählte er mir von dem Straßenbau in Kiring und sagte, daß man große Felsensprengungen habe machen müssen; die Sache sei aber sehr notwendig geworden, die Kiringer Straße sei über einen Berg gegangen, der Menschen und Tiere, zuschanden gerichtet habe. Dann redete er von dem Kohlenflöze im Fuchsberge. Er bringe jetzt der Gegend wenig Nutzen, da dieselbe noch Überfluß an der Rottanne habe; allein für die Folge und für die Ferne werde der Fuchsberg ein unermeßliches Gewicht erlangen; dann sagte er, daß die untere Lüpf durch diese gegen die jährlichen Überschwemmungen des Lüpfbaches gesichert werden sollte.

Ich antwortete wenig, weil ich die Sachen, von denen er sprach, nicht genug kannte und verstand, sondern ich hörte größtenteils nur aufmerksam zu. Er hatte während des Gespräches nach und nach sein Bier ausgetrunken, und als dieses geschehen war, legte er mehrere Kreuzer, die das Bier kostete, neben das Glas. Nach einer Weile stand er auf, lüftete wieder das graue Häubchen, wünschte mir eine gute Nacht und ging fort. Ich hatte seinen Gutenachtgruß erwidert, indem ich aufgestanden war, und sah ihm nach. Die Wirtin, welche bei seinem Aufbruche aus dem Hause gekommen war, beknixte ihn und begleitete ihn. Ich setzte mich wieder zu meinem leeren Tischchen. Die Wirtin mochte ihn bis zum Wacholdergehege hinter dem Hause begleitet haben, wo der Weg abwärts zu gehen beginnt; dann kam sie aber wieder eilig hervor und, nachdem sie das Geld und das Deckelglas genommen hatte, sagte sie: »Das ist er gewesen.«

»Wer?« fragte ich.

»Der Herr Roderer«, sagte sie.

»Der Herr Roderer«, sagte ich, »der Herr Roderer? Nun, Roderer heiße auch ich.«

»Ihr heißt Roderer, lieber Herr?« entgegnete die Wirtin. »Nun, dann muß das ein anderer Roderer sein, und es gibt mehrere. Bei uns sind viele Meier, Bauer, Schmid.«

»So, Meier, Bauer, Schmid«, sagte ich, »diese gemeinen Dinge; aber Roderer! Und wer ist er denn, wenn er der Herr Roderer ist?«

»Der reiche Mann«, sagte sie.

»Der reiche Mann«, entgegnete ich, »der mit seinem unbilligen Reichtum das Moor austrocknen will?«

»Ja, der die Steine in das Moor wirft«, antwortete sie. »Seit er uns im vorvorigen Herbste nach dem großen Hagelschlage das Wintersaatkorn geschenkt hat, kommt er immer herauf. Wir nehmen aus Erkenntlichkeit das Bier aus seinem Bräuhause, das er in der oberen Lüpf an dem Hasenhange gebaut hat, und da scheint es mir, daß er heraufkommt, das Bier zu kosten, ob wir es nicht verfälschen. Nun, Gott sei Dank, wir haben keine Ursache, etwas zu verfälschen. Er trinkt immer nur ein einziges Glas, nicht mehr und nicht weniger, dann bezahlt er es und geht. Oft kommt er alle Tage herauf, er hat ein eigenes geschliffenes Deckelglas für sich gestiftet. An dem Willigitter wartet sein Wagen, und er fährt herauf, dann nach Lüpfing und in sein Schloß Firnberg. Er sitzt in der Wärme immer an dem Apfelbaume und, wenn es kalt ist, kommt er gar nicht. Er hat Euch gewiß angeredet, er redet alle Leute an.«

»Er hat mich angeredet – und woher ist denn der Herr Roderer gekommen?« sagte ich.

»Er ist weither gekommen«, antwortete die Wirtin, »mit seiner Frau und mit seinem Sohne und mit seiner Tochter ist er von Holland oder von Spanien gekommen und hat das Schloß gekauft und hat einen Forstmeister und hat einen Verwalter und hat einen Baumeister und hat einen Gärtner. Dem Zugerhäusler hat er gar kein Geld gegeben, als er abgebrannt ist, und hat sich dann in den Aufbau gemischt und hat ihm dann einen Dachstuhl setzen lassen, um das Bauholz wegzubringen, das er hinter dem Schlosse aufgehäuft hatte. Es liegt noch ein Teil da; aber es brennt jetzt niemand ab. Wir haben ihn Herr Baron heißen wollen, weil es sich so schickt, aber er hat es nicht geduldet. Im Frankwalde läßt er Fichtenbretter schneiden, und unten, wo der Letten ist, wirft er Gräben auf, damit Holz wachsen soll, wo nur Huflattich fortkommt und weiße Wasserblumen. Er kleidet sich nicht nach seinem Stande und geht schlicht daher. In Lüpfing, will er, sollen alle kranken Armen in ein einziges Haus kommen, wohin er Suppen und Arzneien schicken will. In Kiring draußen hat er eine Mühle im Trocknen mit einem Kirchturme. Sein Sohn ist jetzt gar nicht da, er will die Maschinen lernen und ist nach England gefahren. Morgen wird es noch wärmer als heute, da kommt er gewiß wieder heraus, Ihr könntet mit ihm reden, vielleicht kauft er Euch die vielen Risse ab, die Ihr von dem Moore macht, er kann sie etwa gut brauchen.«

»Es ist schon recht, Frau Wirtin«, sagte ich, »morgen bringt Ihr mir, ehe der Tag graut, meine warme Milch hinauf mit dem weißen Brote und legt noch ein Stück Brot dazu, das ich mitnehme; ich komme den ganzen Tag nicht nach Hause. Auf den Abend bratet Ihr mir zum Mittagsmahle ein Huhn oder eine Ente.«

»Ein Huhn ist nicht möglich«, sagte die Wirtin, »wir brauchen alle vorhandenen zum Eierlegen, aber eine Ente bekommt Ihr von der letzten Zucht, und weil die Rosenäpfel bis in den Frühling gedauert haben, stecke ich einen hinein.«

»Es ist gut«, sagte ich, »und jetzt gehe ich schlafen.«

»Glückliche Ruh'«, entgegnete die Wirtin und knixte.

Ich ging die Treppe zu meiner Stube empor. Droben dachte ich: ,Es wäre doch entsetzlich närrisch, wenn dieser reiche Roderer – nun, wie reich, weiß man doch nicht – auch noch ein Roderer zu unserem Geschlechte wäre; wenn sein Herr Sohn mein Herr Vetter und sein Fräulein Tochter mein Fräulein Muhme wäre! Dann wären ja doch', dachte ich, ,die Roderer ausgedehnt genug. Ich muß es der Großmutter hinterbringen, die hat Freude am Forschen.'

Der nächste Morgen stieg ohne ein Wölklein an dem Himmel herauf. Da kaum die Sterne erblaßt waren, kam meine gewissenhafte Wirtin mit der warmen Milch und den Broten herauf. Ich war schon angekleidet und aß schnell, was für den Morgen bestimmt war. Das Brot, die Nahrung des Tages, steckte ich in die Tasche, dann sah ich noch einmal die zwei Blätter an, die ich schon von Moorstellen entworfen und vorläufig in der Stube aufgehängt hatte, nahm meinen Kasten auf mich, den großen Sonnenschirm, meinen langen Stock und trat die Wanderung an.

Was nötig war, hatte ich schon gestern vorbereitet, Farben, Pinsel und viele Blätter, darauf gemalt werden kennte; denn ich wollte Moor in Morgenbeleuchtung, Moor in Vormittagsbeleuchtung, Moor in Mittagsbeleuchtung. Moor in Nachmittagsbeleuchtung beginnen und alle Tage an den Stunden, die dazu geeignet wären, an dem entsprechenden Blatte malen, solange es der Himmel erlaubte. Moor im Regen hatte ich mir schon vorgenommen, von meinem Fenster aus zu malen. Über das Moor im Nebel habe ich noch nicht nachgedacht. Es war doch ein Glück, daß ich für meinen Kasten eine Vorrichtung erfunden habe, viele ölnasse Blätter in ihm unterbringen zu können, ohne daß sie sich verwischen.

Es kam ein heißer Frühlingstag, wie ich noch wenige erlebt habe. Ich mußte mich ungemein beeilen; die Stunden flogen wie Augenblicke dahin, die Beleuchtungen wechselten, und ich mußte die Stellen aufsuchen, von denen sich die Beleuchtungen am schönsten zeigten, ich hatte bald gar kein Wasser für meinen Durst bekommen, wenn mir nicht die Männer, die mit Wagen auf dem Damme hinausfahren, der in das Moor gebaut ist, um von ihm Steine hinabzuleeren, in einem grünen bauchigen Kruge frisches Quellwasser gegeben hätten. Es schmeckte vortrefflich.

Als der Tag vorüber war und während ich alles putzte, was not tat, und während ich den Kasten wieder in die Verfassung setzte, ihn morgen gleich mitnehmen zu können, brachte meine Wirtin die Ente, und als ich in der lauen Abendluft an dem Apfelbaume saß und sie wohlgebraten mit ihrem Rosenapfel in ihrem Innern vor mir auf dem Tische stand, kam der Herr Roderer mit seinem grauen Anzüge, seiner grauen Haube und mit seinen weißen kurzen Haaren daher. Ich sprang sogleich auf, ihn zuerst zu grüßen, daß ich nicht wieder die Beschämung wie gestern hätte; ich hielt meine Kappe in der Hand und richtete die Augen auf ihn. Er lüftete wieder sein Häubchen wie gestern und trat zu mir heran. Ich bot ihm einen Sitz an einem Tischchen an, und er setzte sich zu mir. Dann brachte ihm die Wirtin sein Glas Bier.

Während ich nun meine Ente aß, tat er genau wie gestern. Er öffnete den Deckel, blies den Schaum weg und kostete das Bier. Nach einer Weile tat er erst den ersten Trunk. Das Gespräch kam heute viel leichter in Gang. Er sagte, daß es viele Arbeit gegeben habe, da solche Frühlingstage viel fordern. In dem Garten, auf den Feldern und Wiesen, im Walde und auf der Weide sei zu schaffen gewesen. Er selber habe einen großen Weg zurückgelegt, da sei ihm der Abend doppelt willkommen.

»Ich habe ein Bräuhaus«, sagte er, »von dem ich mir das Bier des gelungensten Sudes in mein Haus kommen lasse und es dort in einen guten Keller lagere und es gut behandle, und doch schmeckt mir ein Trunk des Bieres, das die Leute aus meinem Bräuhause nehmen, unter diesem Apfelbaume besser als in meinem Hause. Wenn ich abends an dem Moore nachsehe, gehe ich gerne herauf und genieße den Trunk. Der Flügel hier besteht aus Sandstein, und da ist der Keller trefflich, und das Bier bleibt würzig. Dann ist das Heraufgehen, das schon vorbereite:, und dann ist das darauffolgende Fahren nach meiner Wohnung, das so behaglich ist. Ich will davon nicht reden, daß dieser einsame Hügel am Rande des Moores mit dem Apfelbaume etwas sehr Anziehendes hat, derlei muß man sich ausschlagen.«

»Ich schlage es mir nicht aus«, sagte ich, »deswegen bin ich an jedem Abend, wenn es nicht Frost oder Nässe hindern, hier.«

»Das wird anders werden«, entgegnete er, »man muß sich oft das Liebste ausschlagen. Sie haben heute sehr viel gearbeitet; meine Leute, welche an dem heutigen Tage an dem Moore beschäftigt gewesen sind, haben es mir gesagt, sie haben Sie den ganzen Tag ohne Mittagsmahl gesehen.«

»Mein Mittagsmahl ist diese Ente hier«, sagte ich.

»Das habe ich mir gedacht«, entgegnete er. »Ich lasse meine Leute an dem Moore immer nach einiger Zeit durch andere ablösen, daß die Gefahr des Fiebers für sie geringer wird. Sie aber gehen nun immer derselbe hinaus, und die Luft, die da erzeugt wird, kann auf Sie Einfluß nehmen.«

»Darauf muß ich es meines Zweckes wegen wohl ankommen lassen«, sagte ich.

»Nun, ich wünsche, daß Sie Ihre Zwecke auf das beste und vollständigste erreichen«, antwortete er, »man kommt durch Beharrlichkeit meistens zum Ziele; aber die Ziele wechselt man öfters.«

Und so redeten wir noch mehreres, bis er sein Bier ausgetrunken hatte, bis er aufgestanden war, sein Häubchen lüftete und mir gute Nacht sagte. Ich hörte dann, wie unten sein Wagen mit ihm fortrollte.

Am nächsten Tage war es wieder ganz heiter. Ich ging mit dem Anbruche des Tages in das Moor und blieb den ganzen Tag in demselben. Ich hatte mir zur Löschung des Durstes nun selbst eine sehr große überflochtene Flasche voll Wasser mitgenommen. Das Wasser wurde wohl warm, aber es mußte helfen. Ich arbeitete auf allen Stellen an den für diese Stellen begonnenen Entwürfen weiter, bis es gegen Abend ging. Die Leute, welche mit Austrocknung des Moores beschäftigt waren, brachten Ladung nach Ladung und warfen sie in den weichen Grund, der sie verschlang, bis der Tag seinem Ende entgegenrückte. Er war noch viel heißer gewesen als der gestrige. Abends kam der alte Mann zu dem Apfelbaume, und wir redeten miteinander.

Ich wollte eine Reihe von Entwürfen ausarbeiten, die mir dann dienen sollten, ein sehr großes Bild in Angriff nehmen zu können.

Als ich eines Tages auf einer meiner Stellen saß – es war ein trockener, grauer Rasen, der sich unweit des Weges nach Firnberg am Rande des Moores befand, kam, während ich unter meinem weißen Schirme fleißig arbeitete, eine Gesellschaft gegen mich heran. Ich gewahrte erst, daß jemand hinter mir stehe, als ich einmal zufällig außerhalb meiner Richtung blickte und Schatten von Dingen sah, die nicht ich und mein Sonnenschirm waren. Ich schlug den Deckel meiner Malvorrichtung zu, damit das Gemälde nicht mehr gesehen werden konnte, und blickte, auf meinem dreifüßigen Stühlchen sitzenbleibend, um. Da standen vier Menschen hinter mir. Zwei waren junge Mädchen, zwei waren junge Männer. Ein Mädchen war gerade hinter mir gestanden. Es hatte braune Haare, braune Augen und ein blühendes Angesicht. Auf dem Haupte war ein gelbes Strohhütchen. Neben ihr stand ein Mann, der hatte nankinggelbe Beinkleider an, eine nankinggelbe Weste, einen nankinggelben Rock und auf dem Haupte hatte er auch ein gelbes Strohhütchen. Er war blond und hatte eine fröhliche Gesichtsfarbe. Die andern zwei waren sich fast gleich. Jedes hatte schwarze Haare und dunkle Augen. Sie standen etwas weiter weg. Als ich diese vier Menschen erblickt hatte, stand ich von meinem Stühlchen auf und wendete den Rücken gegen mein Malerzeug, das Angesicht aber gegen die Personen. So blieb ich stehen.

»Sie handeln mißgünstig, daß Sie uns den Anblick Ihrer schönen Arbeit so schnell entziehen«, sagte die mit den braunen Augen.

»Sie haben diese Arbeit, deren Schönheit noch ungewiß ist, schon heimlich gesehen«, antwortete ich.

»Wir haben Sie überrascht«, sagte sie, »da Sie in Ihrer Kunst vertieft waren, und haben wohl etwas zugesehen. Halten Sie das für unrecht?«

»Ja«, entgegnete ich, »weil Sie nicht wissen konnten, ob der malende Mann sein Malen zum Zusehen eingerichtet habe.«

»Das ist ein Weg, auf dem man von Kiring nach Firnberg gehen kann«, nahm jetzt der blonde junge Mann das Wort, »und jeder Mensch darf dieses Weges gehen, der sich keiner Übertretung schuldig gemacht hat, um derentwillen man ihn einfangen dürfte. Da wir nun zu dieser Menschengattung nicht gehören, so ist uns erlaubt, auf dem Wege zu gehen. Und da wir Augen haben, dürfen wir auf den Weg schauen und auf alles das, was sich neben ihm rechts und links befindet.«

»Was sich rechts und links befindet«, antwortete ich, »ja – wenn man an dem Weg handelt, wohl nicht; dazu braucht man die Einwilligung des Handelnden.«

»Sie konnten ja Ihr Malerfach schließen, als Sie uns kommen hörten«, sagte der Mann.

»Ich habe Sie nicht kommen gehört, das wissen Sie recht gut«, antwortete ich.

»Zanken Sie nicht, Herr Graf«, sagte die Braunäugige, »es ist wohl von uns unartig gewesen, daß wir von dem Farbenreize, der da unter der aufgespannten Schirmleinwand war, verführt, stehenblieben und ein wenig zusahen, wie dieser Farbenreiz entsteht. Wir hätten den Herrn um Erlaubnis bitten sollen.«

»Sie haben recht, schöne Susanna, wie Sie immer recht haben«, antwortete derjenige, den sie mit ,Herr Graf angesprochen hatte, »und vielleicht öffnet nun dieser Herr, wenn ich für Sie recht artig bitte, den Deckel von seinem Farbenreize.«

»Was unter dem Deckel dieses Faches ist«, entgegnete ich, »besteht aus unfertigen Strichen und Haken, die nur für den einen Sinn haben, der sie weiter entwickeln und zu diesem Sinne gestalten will. Daher sind sie zum Vorzeigen nicht geeignet.«

»Das ist richtig und billig«, antwortete die Braunäugige, »aber ich weiß, edler Herr, daß Sie in der Lüpfschenke fertige Entwürfe dieser Gegenden haben. Wäre es denn für ein Mädchen, das diese Gefilde und die Kunst liebt, unbescheiden, wenn es den Wunsch hegte, einige dieser Entwürfe zu sehen?«

»Es ist nicht unbescheiden, diesen Wunsch zu hegen«, sagte ich, »allein meine Gemälde sind nicht zum Vorzeigen verfertigt worden. Vielleicht zeige ich sie jemandem, vielleicht schenke ich sie jemandem, vielleicht behalte ich sie immer bei mir, vielleicht zerstöre ich sie auch. Zudem sind die Dinge, welche in der Lüpfschenke liegen, nur Entwürfe und keine Gemälde. Ich kann sie Ihnen daher nicht zeigen.«

»Sie sehen schon, verehrte Susanna, daß mit diesem edlen Herrn kein Vertrag zu schließen ist«, sagte der, welcher ,Herr Graf geheißen wurde, »wir müssen wohl schon darauf verzichten, etwas mehr zu sehen, als wir schon gesehen haben.«

»Wir müssen halt verzichten«, sagte sie.

Nach diesen Worten nickte sie, ich verbeugte mich, die andern verbeugten sich auch, und die zwei Paare gingen vorüber.

Nach kurzer Zeit kam ein Wagen in der Richtung, in welcher die vier Menschen gingen, an mir vorüber. Der Wagen war leer, er war sehr schön und wurde von zwei vorzüglichen Braunen gezogen. Als er die zwei Paare eingeholt hatte, setzten sie sich ein und fuhren in der Richtung nach Firnberg weiter. Ich aber öffnete jetzt den Deckel, setzte mich und malte noch so lange fort, bis meine Zeit an dieser Stelle aus war.

Ich habe diese Menschen später noch einmal gesehen. Wenn ich auf der Stelle neben dem Wege saß, war ich nach jener Begegnung sehr vorsichtig und sah zu rechter Zeit wegauf- und wegabwärts. Und da sah ich sie kommen. Ehe sie mich erreichten, schloß ich den Deckel, stand auf und richtete das Angesicht gegen sie. Da sie vorübergingen, grüßte ich sie, und sie dankten. Susanna hatte sehr große feurige Augen und sah mich mit ihnen an. Da sie ihres Weges weiter waren, malte ich erst ruhiger fort.

Es kam endlich eine andere Zeit. Ein Gewitter ging über das Moor, und es folgten mehrere kalte und regnerische Tage. Den Regen über dem Moore suchte ich nun von meinem Fenster aus zu malen. Da trübe Tage ohne Regen kamen, ging ich in meinem Zimmer daran, die gemalten Entwürfe auf das einzige große Bild anzuwenden, das ich vorhatte. Ich stellte zu dem Zwecke meine zerlegbare Staffelei zusammen, spannte auf Leisten, die ich mitgebracht hatte, eine große Leinwand, stellte die Leinwand auf die Staffelei und richtete neben ihr einen eigenen Malerkasten zurecht. Damit ich von Zeit zu Zeit die rechte Ferne von dem Bilde nehmen konnte, öffnete mir die Wirtin die Tür in eine Dachbodenkammer, in die man aus meinem Zimmer gelangen konnte, und ich ging nun während der Arbeit oft in dieses Nebengemach und sah aus demselben auf mein Bild hinaus. Ich bestellte sofort durch ein Schreiben auch einen Goldrahmen samt einer Kiste für das Bild, damit ich durch nichts in der Förderung des Werkes auf gehalten würde; denn die letzten Striche an einem Bilde sollen und müssen in dem Rahmen gemacht werden, und die Kiste brauchte ich, um in jedem Augenblicke das Gemälde an einen andern Ort schaffen zu können, falls ich das für nötig finden sollte. Um nicht zerstreut zu werden, aß ich auch jetzt zu Mittag nicht, sondern legte mir ein Brot zurecht, von dem ich zeitweise einen Bissen nahm. Erst gegen Abend, wenn ich aufhörte, wenn alle Geräte gereinigt waren und wenn ich alles für den nächsten Tag zurechtgerichtet hatte, beriet ich mich mit der Wirtin über mein Mittagessen, das zugleich ein Abendessen war.

In den fünf trüben, zum Teile auch mit Regenschauern heimgesuchten Tagen konnte ich die große Leinwand ganz mit Farbe bedecken, also das Bild untermalen. Die Wirtin hatte mir nach und nach die allerlei Habseligkeiten, die sie in der Dachbodenkammer hatte, weggeräumt und mir auch die Kammer zur gänzlichen Benützung gegeben, da sie sah, wie ich anfing, ganz und gar keinen Platz mehr zu haben. Ich setzte in diesen fünf Tagen keinen Fuß aus dem Hause, um einen Gang in den Fluren zu machen, kaum daß ich zuweilen abends ein wenig unter den Apfelbaum trat und in das Moor hinaussah.

In diesen fünf Tagen ereignete sich eine Seltsamkeit mit mir, die ich im Grunde von mir nicht begreifen konnte. Der reiche, alte, kurzweißhaarige Herr Roderer, der natürlich durch die regnerischen Tage in seinen Arbeiten im Moore nicht aufgehalten war, ja in der Kühle durch Pferd und Mann mehr wirken konnte als in den heißen Tagen, der mir also einen bedeutenden Vorsprung abgewann, kam auch an manchem Regentage oder, wenn es grau und frostig am Himmel war, auf den Lüpfhügel herauf. Er saß dann mit mir in der Wirtsstube, in welcher selten abends ein Gast war, da die Fußgänger, die am häufigsten hier zusprachen, das Moor am Abende mieden, teils der Dünste, teils der Gespenster wegen. Die Wirtin sagte mir, daß der hochgeborene Herr Roderer sonst an solchen Tagen nie gekommen sei, daß er an mir Gefallen gefunden haben müsse und daß er jetzt auch länger dableibe als sonst, wenn er auch eigensinnigerweise nicht mehr als ein Glas Bier trinke.

Eines Tages, da es in der Wirtsstube zu sehr rauchte, während die Wirtin mein Abendessen kochte, saßen wir in dem einzigen noch verfügbaren Gelasse des Hauses, einem kleinen Kämmerlein neben meinen zwei Arbeitsstuben. Als ich nun am andern Tage, ich weiß nicht, ob es wieder geraucht hat, den Herrn Roderer abermals die Treppe zu dem winzigen Kämmerlein heraufsteigen hörte – ich kannte seine Tritte schon recht gut und konnte sie von denen des Wirtes und der Wirtin und dem Gerassel der Buben wohl unterscheiden – rief ich ihn, von den Worten der Wirtin und meiner eigenen Beobachtung, daß er wirklich jetzt länger bleibe, wirblig gemacht, durch die offene Türe meiner Stube zu mir herein, und nun sah er, da der Tag schon länger und es völlig licht war, alle meine Bilder und Entwürfe, die ich niemandem zeigen wollte und die ich nicht einmal Susanna gezeigt hatte, die doch weit lebhaftere Augen besaß als der Herr Roderer, obgleich die seinigen so braun waren als die ihrigen. Ich putzte eben die Pinsel, und er ging von einer Arbeit zu der andern, wie sie eben entweder herumlagen oder an die Wand geheftet waren, und betrachtete jede genau. Auch das angefangene, auf der Staffelei stehende große Bild schaute er lange an. Ich konnte es ihm nicht verbieten, da ich ihn selber hineingerufen und ihm folgerecht die Dinge zur Betrachtung preisgegeben hatte. Er sprach aber über alle die Arbeiten kein Wort. Wir setzten uns, da ich mit meinen Pinseln fertig war, in das kleine Stübchen, auf dessen Hängetischchen die Wirtin sein Bier und meine Abendkost gestellt hatte. Als seine Zeit um war, kletterte er die Treppe hinab, ging über den Hügel hinunter und fuhr in seinem Wagen nach Hause.

Am andern Tage war schönes Wetter. Mein Reisebarometer, welches ich in meiner Malerstube aufgehängt hatte, zeigte achtundzwanzig Zoll und vier Linien, was Dauer des schönen Wetters bedeutete, und ich nahm meine stets bereitstehenden Malerwandersachen und ging sofort zum Malen auf das Moor hinaus. Es folgten mehrere schöne Tage, und ich benützte sie.

Meine Wirtin hätte mir bald Unannehmlichkeiten bereitet. Es nahte das Kirchweihfest in Lüpfing, und da redete sie mir zu, ich sollte an diesem Tage Ruhe machen und nach Lüpfing gehen; denn etwas Schöneres als dieses Fest könne ich gar nicht sehen. Ich wies ihr Ansinnen zurück. Als der Tag des Festes vorüber war, den sie ganz und gar in Lüpfing zugebracht hatte, kam sie abends zu mir an den Apfelbaum, an welchem heute mein Herr Roderer nicht saß, weil Feiertag war, und erzählte mir, wie außerordentlich schade es sei, daß ich nicht nach Lüpfing gekommen bin. Die Leute kennen mich alle, sie lieben mich, sie haben alle nach mir gefragt und meine Bilder gepriesen; sie habe gesagt, ich sei ein sehr gewöhnlicher Herr, der keinen Stolz hat und mit allen redet, sie könne meine Bilder sehen, wann sie wolle, wenn sie aufräume oder etwas frage, und ihr Mann könne sie auch sehen, wenn er ein Wasser hinauftrage oder dergleichen, und wenn ich nach der Arbeit aufräume, sage ich nicht einmal ihren Buben einen Tadel, wenn sie hinaufkommen. Die Leute freuen sich außerordentlich auf die Bilder. Sie werden kommen.

Ich sagte zu der Frau Wirtin: »Ihr, meine liebe Frau Wirtin, wenn Ihr in meine Stube kommt und etwas zu schaffen habt, 'Und Euer Mann, der Herr Wirt, wenn es für ihn bei mir etwas zu 'tun gibt, könnt meine Bilder nach Herzenslust anschauen, selbst Eure Knaben können es zu einer Zeit tun, in der sie «mich nicht stören, aber jeder andere Mensch darf es nicht, wenn er auch aus Lüpfing oder Kiring kommt oder aus der oberen Lüpf oder aus der unteren Lüpf oder aus Paris oder aus Petersburg oder München. Sagt einem jeden, daß ich nicht Zeit habe, Leute zu empfangen, und daß meine Bilder nicht zu sehen sind.«

»Das ist so, so ist es«, antwortete sie, »wir haben ein großes Recht, wir und der hochgeborene Herr Roderer, die Bilder anzusehen, und sonst niemand.«

»Ihr könnt sie anschauen«, sagte ich, »weil Ihr seid, wie Ihr seid, und dem Herrn Roderer habe ich sie gezeigt, weil ich sie ihm nun eben einmal gezeigt habe.«

»Ja, das verstehe ich«, antwortete sie.

»Und so tut auch, wie ich gesagt habe«, erwiderte ich.

»Ich werde es tun, freilich tue ich es«, sagte sie.

Und hiermit war wohl das Gespräch aus, aber nicht die Sache. Denn in den Tagen, die auf die Lüpfinger Kirchweihe folgten, kamen wirklich Leute aus Lüpfing und anderswoher zu mir, die mich einfach besuchen wollten. Die Tage waren trüb, ich arbeitete an dem großen Bilde in meiner versperrten Stube und ließ sagen, daß ich mich nicht unterbrechen könne und nicht gestört werden dürfe. Endlich ließ ich mir durch den Wirt, welchen ich sendete, einen Wagen aus Lüpfing bestellen und fuhr in demselben nach Lüpfing. Die Wirtin äußerte ihre Freude, daß ich einmal von der großen Plage, die ich mir auferlege, innehalte und auch ein Vergnügen suche, wie es sich gebühre. Ich aber kaufte in Lüpfing zwei gleiche Eisenringschrauben und ein Vorhängeschloß und fuhr wieder heim. Die Eisenringschrauben schraubte ich von außen in Türstock und Türe meiner Stube, so daß die Ringe übereinander paßten, und als ich das nächstemal in das Moor malen ging, legte ich das Vorhängeschloß in die Ringe und sperrte so meine Stube, daß sie in meiner Abwesenheit nicht geöffnet werden und man meine Bilder niemand zeigen konnte.

Der Goldrahmen zu dem großen Bilde kam nun auch endlich an. Der Rahmen war zerlegt und in seinen Teilen der Länge nach in die Kiste gepackt. Ich konnte ihn jetzt nicht zusammenstellen, sah aber an den Teilen, daß er sehr schön sein müsse wie alles, was von meinem Vergolder kommt.

Als es schon Sommer war und ich an einem lauen, lieblichen Abende mit Roderer an dem Apfelbaume saß, sagte er: »Sie werden sehr wahrscheinlich einmal zu malen aufhören und dann nie mehr einen Pinsel anrühren.«

Ich schaute ihn mit den größten Augen, die in meiner Macht waren, an und sagte: »Das wäre das seltsamste Ding, ich finde dazu noch gar keinen Anfang in meinem Wesen. Und was werde ich denn dann tun, wenn ich nicht mehr male?«

»Das weiß ich noch nicht«, antwortete er, »aber tun werden Sie gewiß etwas.«

»Ja, gewiß etwas tun«, sagte ich, »und Sie können mir wohl nicht verargen, wenn ich Sie frage, was Sie zu diesem Ausspruche über mich berechtigt, der so tief in meine Tätigkeit eingeht.«

»Gewiß kann ich Ihnen die Sache nicht sagen«, antwortete er, »aber sie ist mir sehr wahrscheinlich, und wenn mein Ausspruch zur schnelleren Entwicklung Ihres Laufes etwas beitragen kann, so wird es mich sehr freuen, und wenn ich mich irre und Sie ein Maler bleiben, so werden Sie durch meinen Ausspruch und mein Benehmen erst ein rechter Maler.«

»Nun, ich bin begierig«, sagte ich.


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